SERIE PÄDIATRIE Arterielle Hypertonie – ein unterschätztes Problem FRÜHE DIAGNOSE UND THERAPIE in jungen Jahren reduzieren kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität im Erwachsenenalter. 20 BIS 25% der erwachsenen Bevölkerung in Industrieländern leiden an einer therapiebedürftigen Hypertonie, jenseits des 65. Lebensjahres sogar bis zu 50%. Die häufigste Ursache einer arteriellen Hypertonie im Erwachsenenalter stellt mit 90% die primäre oder essenzielle Hypertonie dar. Die Inzidenz der arteriellen Hypertonie steigt mit dem Lebensalter, sie liegt im Kindesalter deutlich niedriger, jedoch wird auch eine hohe Dunkelziffer vermutet. Ungefähr 1,5 bis 2% der Kinder zwischen 4 und 15 Jahren haben konstant erhöhte Blutdruckwerte. Die arterielle Hypertonie stellt einen der wichtigsten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse im Erwachsenalter wie Schlaganfall, koronare Herzerkrankung und Herzinfarkt (Abb. 1) dar. Frühzeitige Diagnose und eine effiziente Therapie bereits im Kindesalter verbessern deutlich die kardiovaskuläre Langzeitprognose bezüglich Morbidität und Mortalität. VORWIEGEND SEKUNDÄRE HYPERTONIE Im Kindes- und Jugendalter liegt in über 90% eine sekundäre Hypertonie vor. Die häufigsten ursächlichen Erkrankungen betreffen die Niere, in 60–80% findet man renoparenchymatöse Erkrankungen und in 5–20% renovaskuläre Erkrankungen. In 10% findet sich eine kardiale, in 5% eine endokrine Ursache. Dennoch gibt es auch schon bei Kindern die essenzielle Form der arteriellen Hypertonie. Je jünger das Kind, desto wahrscheinlicher ist eine sekundäre, symptomatische Hypertonie. Erst mit zunehmendem Alter steigt die Anzahl der Kinder mit essenzieller Hypertonie. Ursache hierfür sind eine genetische Prädisposition in Kombination mit Übergewicht, hohem Kochsalzkonsum und Bewegungsarmut. Im Kindesalter existieren geschlechts-, alters- und längenadaptierte Perzentilenkurven für den arteriellen Blutdruck. Von einer arteriellen Hypertonie spricht man, wenn der gemessene Blutdruck die entsprechen38 ÄRZTE KRONE 22/08 de 95. Perzentile überschreitet. Als „PräHypertonie“ oder „Borderline“ gilt, wenn sich die Werte zwischen der 90. und 95. Perzentile befinden. Von Normotonie spricht man bei Blutdruckwerten unterhalb der 90. Perzentile. Gemessen wird der Blutdruck mit einem Standardsphygmomanometer unter Auskultation der Korotkow-Geräusche über der Arteria brachialis oder mittels automatisierter Systeme am rechten Oberarm. Die Messung sollte nach 5 Minuten Ruhe im Sitzen erfolgen, die Umgebung sollte ruhig sein und das Vorgehen dem Kind erklärt werden. Wichtig ist die Wahl der korrekten Blutdruckmanschette, diese sollte zwei Drittel des Oberarmes bedecken. Bei Säuglingen empfehlen sich andere Blutdruckmessmethoden wie die oszillatorische oder vollautomatische. Es ist zu beachten, dass die bei Säuglingen oft angewendete Messung des Blutdrucks am Bein aufgrund des Phänomens der „dikroten Welle“ zu erhöhten Werten führt. Die direkte blutige Blutdruckmessung erfolgt meist nur auf Intensivstationen. Eine Langzeitblutdruckmessung wird bei speziellen Fragestellungen angewendet, z.B. zur Bestätigung einer Erstdiagnose, zur Therapiekontrolle bei Patienten mit bekannter Hypertonie oder solchen mit fehlender Nachtabsenkung (Hinweis auf renale Erkrankung). Bei der Auswertung sollten die Phasen körperlicher Aktivität und Ruhe laut Protokollierung durch den Patienten berücksichtigt werden. Besonders wertvoll können je nach Compliance auch Gelegenheitsmessungen zu Hause sein. Blutdruckmessgeräte für das Handgelenk sind im Kindesalter noch nicht geeignet. Der derzeit benutzte Algorithmus errechnet dafür falsche Werte. DIAGNOSE UND DIFFERENZIALDIAGNOSE Zur Diagnosestellung einer arteriellen Hypertonie im Kindes- und Jugendalter ist der Nachweis von erhöhten Blutdruckwerten an mindestens 3 verschiedenen Tagen im Abstand von mindestens 2 Wochen erforderlich oder ein pathologischer Abb. 1: FOLGEERKRANKUNGEN BEI ERHÖHTEM BLUTDRUCK IM KINDES- UND JUGENDALTER Bluthochdruck Schlaganfall Niereninsuffizienz Endothel-Gefäßschaden Fundus hypertonicus periph. Durchblutungsstörung Herzinsuffizienz/LV-Belastung/Infarkt ©Jungraithmayr 2008 © im Uhrzeigersinn: hammerstudio – Fotolia.de; 1001nights – iStockphoto.com; angelhell – iStockphoto.com; London_England, V. Yakobchuk – Fotolia.de BEHANDLUNGSSTRATEGIEN Das Ziel einer Behandlung besteht in der dauerhaften Senkung des Blutdrucks unterhalb der 90. Perzentile, obgleich eine bessere Langzeitprognose mit langfristiger Einstellung um die 50. Perzentile erreicht wird. Essenziell ist auch die Überwachung von Komplikationen einer Hypertonie wie Fundus hypertonicus, kardiale Hypertrophie oder Arteriosklerose. Eine nicht medikamentöse Therapie empfiehlt sich bei Patienten mit hoch normalen Blutdruckwerten (90–95. Perzentile) und bei essenzieller Hypertonie. Sie besteht aus Gewichtsreduktion und Ernährungsumstellung, körperlicher Aktivität und Behandlung von Risikofaktoren (Diabetes, Hyperlipidämie). Eine positive Korrelation zwischen Körpergewicht und Blut- druck konnte auch bei Kindern nachgewiesen werden, mit der höchsten Korrelation in der zweiten Lebensdekade. Indikationen zur medikamentösen Therapie sind: ● Erfolglosigkeit der non-pharmakologischen Therapie ● Schwere Hypertonie bei initialer Messung ● Klinische Symptomatik oder bereits nachweisbare Endorganschäden MEDIKAMENTÖSE THERAPIE senkung im Kindesalter, die sich ebenfalls zur Monotherapie eignen und immer mehr zum Einsatz kommen. Ca-Antagonisten stellen eher eine Akutmedikation dar, können aber auch als langwirksame Medikamente mit niedrigem Nebenwirkungspotenzial verabreicht werden. Periphere Vasodilatatoren, Alpha-Blocker und zentrale Alpha-Agonisten sind Mittel der 3. Wahl und kommen seltener zum Einsatz. FAZIT Obwohl Wirkungen und Nebenwirkungen der Antihypertensiva im Erwachsenenalter Bei zirka 1–2% der Kinder liegt eine durch zahlreiche Studien gut dokumentiert behandlungsbedürftige Hypertonie sind, existieren nur wenige Studien über devor. Da frühzeitige Diagnose und ren Einsatz im Kindesalter. Dies ist bedingt effiziente Therapie zu einer wesentlidurch die hohen Auflagen und die mangelchen Verbesserung der Langzeitprohafte Praktikabilität von Studien im Kingnose führen, muss die Blutdruckmesdesalter. Fast alle antihypertensiven Medisung Bestandteil der Vorsorgeuntersukamente sind nicht offiziell für das Kindeschungen in jedem Alter sein. Das Voralter zugelassen und werden als so genannliegen sekundärer Hypertonieformen te „Off Label Use“ verabreicht. Dies soll jeund mögliche Endorganschäden müsdoch in Zukunft durch neue Richtlinien für sen identifiziert bzw. ausgeschlossen klinische Studien bei Kindern in der EU werden. Im Falle der medikamentösen und den USA geändert werden. Therapie ist aus Gründen der CompliEine antihypertensive medikamentöse Theance unbedingt auf Pharmakokinetik rapie sollte mit einem Medikament in nied(Einmalgabe) und Nebenwirkungsriger Dosierung mit anschließender Dosisspektrum zu achten. anpassung bis zum Erreichen des Zielblutdrucks begonnen werden. Ist mit einer Monotherapie OÄ Dr. THERESE C. keine ausreichende BlutJUNGRAITHMAYR drucksenkung zu [email protected]; chen, sollte eine Kombinationstherapie erwogen und Univ.-Prof. Dr. LOTHAR werden. Die KombinatiBERND ZIMMERHACKL onsmöglichkeiten sind [email protected] vielfältig und sollten sich vor allem nach den BeUniversitätsklinik für Pädiatrie I, Medizinische Universität gleiterkrankungen der PaInnsbruck tienten richten. Auch mit Mitglieder der Österreichischen Gesellschaft für Kinderdem Nebenwirkungsspekund Jugendheilkunde (ÖGKJ) trum der einzelnen Substanzklassen sollte der behandelnde Arzt ausreichend vertraut sein, z.B. Adipositas unter Beta-Blockern, Zahnfleischwucherungen unter Ca-Antagonisten, Hypertrichose unter Alpha-Blockern, Hemmung der Libido unter zentral wirksamen Antihypertensiva etc. Nur so kann eine vollständige Aufklärung und damit Förderung der Compliance erreicht werden. Als Medikamente erster Wahl werden aufgrund ihres günstigen Nebenwirkungsprofils ACE-Hemmer angewendet, ebenso Beta-Blocker und Diuretika. Angiotensin-IIRezeptorblocker sind neue und viel versprechende Medikamente zur Blutdruck- Fachkurzinformation siehe Seite 92 24-Stunden-Blutdruck in der häuslichen Umgebung. Bei jedem Kind ab dem 3. Lebensjahr sollte einmal jährlich eine Blutdruckmessung erfolgen, entweder anlässlich einer akuten Erkrankung oder als Routineabklärung im Rahmen der jährlichen Gesundenuntersuchung. Eine spezielle Indikation dafür liegt bei Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Krampfanfällen, renalen, kardialen und endokrinologischen Erkrankungen, Übergewicht und Hypertonie in der Familie vor. Ist die Diagnose einer Hypertonie gestellt, muss eine Ursachenabklärung erfolgen. Je jünger das Kind, desto wahrscheinlicher liegt eine Grunderkrankung vor. Die essenzielle Hypertonie stellt eine Ausschlussdiagnose dar. Hierzu gehört eine ausführliche Anamnese mit Fokus auf klinische Symptome einer Hypertonie, renale und kardiale Vorerkrankungen, Medikamentenanamnese und Familienanamnese. Anschließend sollte eine gründliche körperliche Untersuchung mit pädiatrisch-internistischem und neurologischem Status sowie Blutdruckmessung an allen 4 Extremitäten erfolgen. Des Weiteren sind Laboruntersuchungen notwendig (Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, Harnstatus) und – da die häufigsten Hypertonieformen im Kindesalter renal bedingt sind – eine Nierensonographie mit Doppleruntersuchung der Nierenarterien. Außerdem empfehlenswert sind eine Echokardiographie und eine Funduskopie. Bei entsprechendem Verdacht sind weiterführende Untersuchungen notwendig, z.B. Hormonbestimmungen in Plasma und Harn, Schilddrüsenwerte, MRT Schädel, Szintigraphie der Nebennierenrinde etc. ÄRZTE KRONE 22/08 39
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