(2): Konsequent und mit langem Atem

Betriebswirtschaftliche Blätter
Fachzeitschrift für
Unternehmensführung in der
Sparkassen-Finanzgruppe
06.06.15
Firmenkundenakquise (2)
Konsequent und mit langem Atem
von Prof. Dr. Anton Schmoll
Es braucht vor allem innovative Ideen, um ein „lahmendes“ Firmenkundengeschäft wieder anzukurbeln. Im zweiten Teil des Beitrags zeigen die
BBL anhand verschiedener Praxisbeispiele, wie es einige Sparkassen bereits
geschafft haben, erfolgreich und nachhaltig zu akquirieren.
Um neue Firmenkunden zu gewinnen, braucht es einen langen Atem und eine
durchdachte Strategie. (imago)
Firmenkundenbetreuer als Akquisiteur
Anforderungsprofil
Einer der wichtigsten Erfolgs-faktoren, um Akquisitionsziele zu erreichen, sind die
Kundenbetreuer in ihrer Funktion als Akquisiteure. Die fachlichen und persönlichen
Qualitäten der Vertriebsmitarbeiter entscheiden dabei maßgeblich über Erfolg oder
Misserfolg bei der Neukundengewinnung. Neben den klassischen Kompetenzfeldern
wie Persönlichkeits-, Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz kommen für die Neukundengewinnung noch spezifische Anforderungen an die verkäuferische Kompetenz
(Akquisitionskompetenz) hinzu (s. Abb. 1).
Zweifelsohne erfordert das Gewinnen neuer Kunden mehr Kraft und Überwindung
als die Geschäftsintensivierung durch Stammkundenpflege. Daher ist das Verhalten
mancher Vertriebsmitarbeiter auch heute noch stärker vom Bringgeschäft dominiert.
Vor allem der Kaltakquise gehen sie lieber aus dem Weg. Die größten Hürden bei der
Akquisition sind persönliche Widerstände beim Verlassen der Komfortzone sowie
unzureichende Verkaufstechniken oder die Angst vor dem „Nein“ des Nichtkunden.
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Erfolgreiche Akquisition ist neben bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Optimismus) vor allem eine Frage der persönlichen Einstellung zum Beruf des Verkäufers.
Einfach ausgedrückt: Verkaufen muss Freude machen. Wer andere überzeugen möchte
(und nichts anderes ist Verkaufen) muss von seinem eigenen Tun überzeugt sein.
(Eigen-)Motivation bringt (Selbst-)Sicherheit – das erleichtert die Arbeit und bringt
letztlich mehr Erfolg. Zu einem erfolgreichen Verkäufer gehören etwa:
> Fähigkeit zum Kontaktaufbau (z. B. aktives Zugehen auf fremde Menschen)
> Kreativität (z. B. unkonventionelle Ansprachestrategien)
> Mut zum Experiment (z. B. Ausprobieren verschiedener „Türöffner“)
> Beharrlichkeit (z. B. Geduld, Ausdauer, Konsequenz)
> Frustrationstoleranz (z. B. Verkraften von Misserfolgen).
(BBL)
Der „Wettkampf um neue Kunden“ hat viele Parallelen mit dem Wettkampf der Spitzensportler (z. B. Tennis, Skirennen). Für erfolgreiche Akquisition muss man ähnliche
Voraussetzungen mitbringen wie im Kampfsport. Neben optimalen Trainingsvoraussetzungen ist es vor allem die mentale Vorbereitung und die Einstellung im Kampf um
Hundertstelsekunden. Mut, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen sowie der unbedingte
Wille zum Sieg sind Eigenschaften, die man auch für das aktive Verkaufen braucht.
Fit im Verkauf durch regelmäßiges Training
Die Basis für Spitzenleistungen im Sport sind das sportliche Können (d. h. das Beherrschen der Technik) und eine ausreichende Kondition, um die ganze Saison durchhalten zu können. Dazu gibt es für die Sportler umfangreiche Trainingsprogramme.
­Welche Programme gibt es aber für die Kundenbetreuer, um im Verkauf fit zu bleiben?
Traditionell sind die Schwerpunkte der Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf das
Entwickeln fachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten ausgerichtet. Um bei der Akquisition die angestrebten Erfolge erreichen zu können, müssen die Personalentwicklungsmaßnahmen dazu beitragen, die verkäuferische Kompetenz der Vertriebsmitarbeiter
gezielt zu stärken und eine positive Einstellung zum Verkauf fördern. Erst durch regelmäßiges und konsequentes Training werden Erfolge am Markt erzielt.
Jeder Firmenkundenbetreuer sollte daher etwa fünf bis sechs Tage pro Jahr verkäuferisch trainiert werden. Erst regelmäßiges Üben und Trainieren führt dazu, erlernte
Fertigkeiten zu verinnerlichen und anzuwenden. Die Förderung und Kontrolle der verkäuferischen Umsetzung des Erlernten im Vertriebsalltag ist dann die Aufgabe der
Führungskraft vor Ort.
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Sicherstellen der Nachhaltigkeit durch Verkaufscoaching
Trotz der positiven Wirkungen, die durch Verkaufstraining erzielt werden können, ist
zu bedenken: Wenn man von einem durchschnittlichen Arbeitsjahr ausgeht, hat ein
Betreuer rund 210 Arbeitstage in der Sparkasse. Selbst wenn er davon (im Idealfall)
zirka fünf Tage Verkaufstraining hat, gibt es so gut wie keine Änderung im Verkaufs­
verhalten. Um hier Nachhaltigkeit zu gewährleiten, bedarf es eines gezielten Verkaufs­
coachings. Auch hier gibt es wieder die Parallele zum Sport: Der heute vielfach verwendete Begriff „Coaching“ hat ja seinen Einzug in die Welt des Managements über den
Sport gefunden.
Ziel von Vertriebscoaching ist, die Vertriebsleistung der betroffenen Mitarbeiter nachhaltig zu steigern, um sie so für die Herausforderungen im härter werdenden Wettbewerb fit zu machen. Prinzipiell kann diese Coachingrolle entweder von einem externen
Coach oder von der jeweiligen Führungskraft wahrgenommen werden (sofern diese
über eine entsprechende Ausbildung verfügt).
In seiner Funktion als Coach bietet die Führungskraft im Vertrieb dem Kundenbetreuer
Hilfestellung und begleitet ihn auf seinem Weg zum „Profiverkäufer“. Coaching im Vertrieb bedeutet daher, nicht nur darüber zu sprechen, was zu tun ist, sondern Hilfestellung beim „Wie“ zu geben. Auf diese Weise entwickeln Führungskraft und Mitarbeiter
eine gemeinsame Sicht über die notwendigen Schritte sowie über die möglichen Mittel und Wege, die für eine erfolgreiche Neukundengewinnung erforderlich sind. Daher
muss es bei den Sparkassen zu den Aufgaben einer Führungskraft gehören, ihre Vertriebsmitarbeiter bei Akquisitionsgesprächen zu begleiten, ihnen Feedback zu geben
und damit die verkäuferische Kompetenz zu stärken.
Gemeinsam stärker werden durch Salesmeetings
Neben Verkaufstraining und Coaching sind regelmäßige Besprechungen über Vertriebsfragen ein Instrument der Verkaufsförderung. Bei diesen Vertriebsmeetings
der Vertriebsführungskräfte und -mitarbeiter sollen ausschließlich Verkaufsthemen
behandelt werden. Dieser Hinweis ist insofern wichtig, weil viele Mitarbeiterbesprechungen von sparkasseninternen Themen wie ablauforganisatorische Änderungen,
internen Anweisungen etc. dominiert werden – und das Thema Verkauf dann zu kurz
kommt. Bei Verkaufsbesprechungen stehen daher ausschließlich folgende Ziele im
Mittelpunkt:
> Verbesserung der verkäuferischen Fähigkeiten
> gemeinsamer Lernprozess
> Austausch von Erfolgsfaktoren
> Nutzung des Kreativitätspotenzials einer Gruppe
> Motivation der Vertriebsmitarbeiter.
Bedeutsam ist, dass diese Treffen regelmäßig stattfinden und konsequent „durchgehalten“ werden. Im Hinblick auf die Sitzungsfrequenz findet man in der Praxis verschiedene Vorgangsweisen wie die wöchentliche Verkaufsbesprechung oder das monat­
liche Vertriebsmeeting.
In diesen Teambesprechungen berichten die Kundenbetreuer über ihre Verkaufs­
aktivitäten seit dem vergangenen Treffen sowie über ihre Vorhaben der kommenden
Wochen. Alle Mitarbeiter erhalten einen Überblick über wichtige Kundenkontakte und
können gleichzeitig wertvolle Verkaufstipps austauschen. Dabei werden beispielsweise folgende Fragen besprochen:
> Wie viele Wunschkunden konnten im letzten Monat kontaktiert werden?
> Was waren brauchbare Türöffner bzw. Aufhänger?
> Welche Verkaufsargumente sind bei den Unternehmern besonders gut angekommen?
> Wo gab es die größten Barrieren bzw. Hemmnisse?
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Durch diesen systematischen Austausch von Erfahrungen aus der Verkaufspraxis profitieren die Kundenbetreuer von Ideen, die andere bereits mit Erfolg anwenden. Umgekehrt ist es auch notwendig, über Schwierigkeiten offen zu sprechen. Das bietet nämlich die Chance, Lösungsansätze in der Gruppe gemeinsam zu erarbeiten.
Die Akquisitionsplanung
Entscheidend für den Erfolg bei der Neukundengewinnung ist neben dem Instrumentarium (Tools) eine entsprechende Systematik bei der Vorgehensweise. Die einzelnen
Phasen von der Zielplanung über die Marktanalyse und Informationssammlung, die
Kontaktplanung bis hin zur Umsetzung in konkrete Verkaufsmaßnahmen sind daher
klar zu definieren (siehe dazu auch die Checkliste aus Abbildung 4 in den Betriebswirtschaftlichen Blätter 04/2015).
Trichtereffekt
(BBL)
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Bei der Entwicklung einer Akquisitionsstrategie ist zu überlegen, wie viele Wunschkunden anzusprechen sind, um einen Neukunden zu gewinnen. Für die Ermittlung des
erforderlichen Bedarfs an Wunschkunden ist nun der Umkehrschluss von Interesse:
Wenn man X neue Firmenkunden gewinnen will, muss man Y potenzielle Wunschkunden in der Akquisitionsdatenbank haben.
In diesem Zusammenhang kann man von einem „Trichtereffekt“ sprechen. Das bedeutet: In den „Akquisitionstrichter“ muss man oben wesentlich mehr hineinschütten,
damit unten (langsam aber stetig) ein zufriedenstellendes Ergebnis (ausreichende
Neukundengewinnung) rauskommt. Die Abbildung 2 zeigt im oberen Teil den Trichtereffekt der Neukundengewinnung mit entsprechenden Erfahrungswerten aus der Praxis (unten).
Attraktivitäts-Scoring zur Auswahl der Wunschkunden
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine systematische Akquisitionsstrategie ist die Auswahl jener Nichtkunden, die für die Sparkasse von besonderem Interesse sind. Daher
ist es erforderlich, eine institutseinheitliche Vorstellung von Wunschkunden zu ent­
wickeln und Kriterien für die Attraktivität der angestrebten Kundenbeziehung zu definieren. Dazu wird von einigen Sparkassen ein eigenes Attraktivitäts-Scoring eingesetzt.
Mögliche Bewertungskriterien für Firmenkunden können sein: Unternehmensgröße
(Firmenumsatz), Branche, Rechtsform, Unternehmensalter, Auslandstätigkeit, Umsatzwachstum oder Bonität. Mit ihrer Hilfe können dann aufgrund geschäftspolitischer
Schwerpunkte Gewichtungen vergeben werden (z. B. die Faktoren Firmenumsatz mit
25 oder Auslandstätigkeit mit 20 Prozent). Die auf diese Weise ermittelten ScoringWerte sind Basis für eine grobe Prioritätenreihung aller Nichtkunden im Marktgebiet.
Im nächsten Schritt werden durch subjektive Einschätzung der Betreuer (aufgrund
ihrer regionalen Marktkenntnis und Erfahrung) jene Wunschkunden definiert, die das
höchste Chancenpotenzial aufweisen. Wie beim Rating müssen die Werte des Attraktivitäts-Scorings einmal jährlich überprüft werden. Auf diese Weise kann das Wunschkunden-Portfolio an die sich ändernden Marktgegebenheiten angepasst werden.
Bei Türöffnern ist Kreativität gefragt
Wie bei der Kundenintensivierung werden auch beim Akquisitionskonzept konkrete
Standards benötigt. Für eine systematische Neukundengewinnung müssen etwa folgende Fragen beantwortet werden:
> Womit kann man die Wunschkunden ansprechen? (Akquisitionsanlässe, Aufhänger,
Türöffner)
> Wie kann man den Kontakt herstellen? (Wege der Neukundenansprache, Kontaktformen)
> Wie oft sollen Wunschkunden kontaktiert werden? (Betreuungsintensivität).
Die Kontaktaufnahme mit Nichtkunden ist erfahrungsgemäß eine besondere Herausforderung. Es gilt das Interesse des potenziellen Kunden zu wecken und sich von den
Mitbewerbern positiv abzuheben. Das erfordert Kreativität. Und dafür kann es naturgemäß kein Patentrezept geben. Die Aufhänger bzw. Türöffner müssen außerdem zur
Mentalität der Zielgruppe und zum Image der Sparkasse passen. Für die aktive Kundenansprache können die unterschiedlichsten Aufhänger genützt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um:
> betriebsbezogene Aufhänger
> umfeldbezogene Aufhänger
> produktbezogene Aufhänger
> emotionale Aufhänger.
Betriebsbezogene Aufhänger
Hier liegt der Anlass für die Kontaktaufnahme im Bereich der betrieblichen Sphäre des
Wunschkunden. Dabei handelt es sich beispielsweise um ein Firmenjubiläum, um eine
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Betriebserweiterung oder Standortverlagerung sowie neue Produktentwicklungen.
Das Geschehen im Einzugsgebiet der Sparkasse muss daher ständig mit der Zielrichtung verfolgt werden, interessante Unternehmen für die Akquisition zu „entdecken“.
Umgekehrt gilt es, bei den von der Sparkasse definierten Wunschkunden auf derartige
betriebsbezogene Anknüpfungssignale zu achten.
Umfeldbezogene Aufhänger
Jedes Unternehmen ist in ein spezifisches, wirtschaftliches, rechtliches und technologisches Umfeld gebettet. Immer dann, wenn es zu Veränderungen in diesen Bereichen
kommt, ist das ein Aufhänger für Akquisitionskontakte. So führte die EU-Erweiterung
zu neuen Marktdimensionen. Für etliche mittelständische Unternehmen sind internationale, grenzüberschreitende Aktivitäten bereits Realität, andere bereiten sich jedoch
„auf den Sprung über die Grenze“ vor. Viele mittelständische Unternehmen suchen
Informationen über ihre neuen Auslandsmärkte, wodurch der Beratungsbedarf steigt.
Manche Sparkassen bieten mit einem „International Desk“ umfassende Unterstützung
beim Auf- und Ausbau grenzüberschreitender Aktivitäten. Und das ist wiederum ein
konkreter Aufhänger für die Neukundengewinnung.
Um die Konkurrenzfähigkeit zu stärken, ist es erforderlich, dass die Betriebe internationale Qualitätsnormen erfüllen. Die industriellen Fertigungstechniken unterliegen
somit einem ständigen Veränderungsprozess. Gleichzeitig führt die zunehmende ökologische Sensibilisierung zu immer mehr Auflagen im Bereich Umweltschutz (Altlastensanierung, Luftreinhaltung, Abfall- sowie Abwasserbereinigung etc.).
Innovative Fertigungstechnologien und Umwelttechnik erfordern neue Investitionen,
die wiederum zu einem steigenden Kapitalbedarf führen. Neben reinen Finanzierungsfragen ist hier auch spezielles Beratungs-Know-how gefragt, da es gerade auf
diesen Gebieten eine fast unüberschaubare Vielfalt öffentlicher Förderungsaktionen
gibt. Oftmals sind diese Förderungen den Unternehmen nicht bekannt, weshalb zahlreiche Programme ungenutzt bleiben.
Aus diesem Grund ist bei der Wiener Ersten Bank ein spezieller Förderungsservice entwickelt worden, um in diesem Förderungsdschungel Hilfe und Orientierung zu bieten. Eine besondere Aktion war die „Lange Nacht der Förderungen“. Neben den Förderungsspezialisten der Bank gab es bei dieser Veranstaltung bis 23.00 Uhr Beratungen
von Experten verschiedenster Bundes- und Landesförderungsstellen. Ein derartiger
Förderservice sowie damit verbundene Spezialveranstaltungen sind ebenfalls wirkungsvolle Wege, sich am Markt zu profilieren, und sind zugleich wertvolle Aufhänger
für die Ansprache neuer Kunden.
Bankproduktbezogene Aufhänger
Die Leistungs- und Produktpalette einer Bank muss immer wieder an sich ändernde
wirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie sich wandelnde Kundenerwartungen
angepasst werden. Dabei muss es sich nicht immer um Produktinnovationen im engeren Sinn handeln. Viel häufiger kann man in der Praxis Produktvariationen beobachten. Viel wichtiger als diese Unterscheidung ist aus Marketingsicht, dass das Angebot
durch Ergänzungen oder Bündelung bestehender Produkte in den Augen der Unternehmer attraktiver wird und zusätzlichen Kundennutzen bietet.
Derartige neuer Produktprogramme sind „klassische“ Aufhänger für die Neukundengewinnung. Der Betreuer kann (zumindest für einige Zeit) an seine Zielkunden mit
Angeboten herantreten, die die Wettbewerber im Moment nicht haben. Wie erfolgreich das sein kann, zeigen drei Praxisbeispiele, die sich in Österreich bei der Gewinnung neuer Firmenkunden bewährt haben:
> s Wachstumspaket: Die letzten Jahre waren von den Auswirkungen der globalen Finanzund Wirtschaftskrise geprägt. Aus diesem Grund hat die Erste Bank das „s Wachstumspaket“ entwickelt. Unter dem Motto „Holen Sie sich den Aufschwung in Ihr Unternehmen!“
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wird den Unternehmungen ein spezieller Mix von Finanzierungsprodukten und Serviceleistungen angeboten. So gab es etwa den s Beschäftigungs-Bonus. Als erste Bank in
Österreich wurde hier ein einzigartiger Anreiz geboten, Arbeitsplätze zu schaffen: Wenn
ein Betrieb im Rahmen seiner Investitionen neue Arbeitsplätze schafft, reduziert sich
der Kreditsatz (in Abhängigkeit von der Zahl der neuen Arbeitsplätze).
> Firmenkonto mit Zufriedenheitsgarantie: Das „klassische“ Geschäftskonto im mittelständischen Firmenkundengeschäft ist nach wie vor das Girokonto. Es ist quasi das Herzstück,
um die täglichen Bankgeschäfte abzuwickeln. Um neue Kunden anzusprechen, wurde
das „Firmenkonto mit Zufriedenheitsgarantie“ geschaffen. Der Unternehmer hat damit
die Möglichkeit, das Girokonto Kommerz zwölf Monate lang zu testen. Die damit verbundene Servicegarantie für bestimmte Leistungen bietet ihm die Möglichkeit, die Qualität
der Bank zu testen. Bei Nichterfüllung wird dem Firmenkunden eine „Kompensation“
angeboten. Ist der Unternehmer mit den in Anspruch genommenen Dienstleistungen
nicht zufrieden, erhält er nach einem Jahr sein Geld zurück. Zurückgezahlt werden etwa
die bezahlten Kontoführungsprovision, bestimmte Buchungskostenbeiträge, Kosten für
eine BankCard etc.
> Business App „Büro2go“: Ein sehr aktueller produktbezogener Aufhänger ist die neue
Business App „Büro2go“, die 2015 vorgestellt worden ist und über die in den Betriebswirtschaftlichen Blätter bereits berichtet wurde.
Emotionale Aufhänger
Die bisher dargestellten Praxisbeispiele bezogen sich auf die Sachebene. Die Beziehung zwischen einem mittelständischen Unternehmen und einer Sparkasse ist allerdings nicht mit einer abstrakten Geschäftsverbindung zwischen anonymen Wirtschaftseinheiten gleichzusetzen. Unternehmen werden stets von Menschen repräsentiert.
Diese Überlegung ist auch bei der Akquisition zu beachten. Die Devise bei den emotionalen Aufhängern lautet daher: Im Neukunden den Menschen ansprechen.
Die Akquisitionsstrategie „weißes Gold“ der Sparkasse Oberösterreich greift diesen
Gedanken auf. Eine wichtige wirtschaftliche Grundlage dieses Bundeslands ist historisch gesehen Salz. Viele historischer Orte wie Hallstatt, Bad Aussee oder Bad Ischl
zeugen von der Bedeutung der Salzstraße. Der Handel mit dem „weißen Gold“ war
über Jahrhunderte hinweg eine wichtige Einnahmequelle zahlreicher Herrscher. Daneben kann man noch einen weiteren Bezug zum Geld herstellen: Salz ist ein kostbares
Konservierungsmittel und beständig wie ein Zahlungsmittel.
Mit dem Aufhänger „weißes Gold“ wurden daher mehrere für die Akquisition wichtige
emotionale Ebenen bei den Nichtkunden angesprochen. Vorrangig sollten drei Punkte
vermittelt werden:
> Der Kontakt mit der Sparkasse Oberösterreich ist wertvoll.
> Das Geschenk (und damit der Kontakt) führt zu Wohlbefinden und Fitness.
> Das Institut legt Wert auf regionale Verbundenheit.
Für die Akquisitionsstrategie wurde ein eigener Imagefolder kreiert, in dem im Text
der Bezug der Sparkasse Oberösterreich zum „weißen Gold“ hergestellt wird. Die zentrale Botschaft lautet: Wir haben die richtigen News für Sie und bringen Ihnen ein Kilogramm weißes Gold“. Um den Folder individueller zu machen, war im Innenteil ein großes Foto des Firmenkundenbetreuers eingedruckt. Die Vorgangsweise folgt dabei dem
klassischen Akquisitionsablaufkonzept:
> Schritt 1: Zusendung des personalisierten Folders an die ausgewählten Wunschkunden.
> Schritt 2: Telefonische Kontaktaufnahme durch den Firmenkundenbetreuer selbst, weil
der Wunschkunde durch das Foto bereits ein Bild vom Betreuer im Kopf hat.
> Schritt 3: Besuch im Betrieb und Übergabe des „weißen Golds“ (ein Kilogramm Salz).
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Durch das Motto „weißes Gold“ hat der Firmenkundenbetreuer sowohl beim telefonischen Erstkontakt als auch beim Gesprächstermin einen Anknüpfungspunkt bzw. ein
Gesprächsthema. Das Feedback der kontaktierten Nichtkunden auf diesen Aufhänger
war überwiegend positiv und auch die Terminquote lag signifikant über dem Durchschnitt früherer Akquisitionsaktionen.
Akquisebriefe mit Überraschungseffekten
Eine wichtige Phase im Akquisitionsprozess ist der Erstkontakt – dieser muss gut
überlegt werden, denn der erste Eindruck entscheidet. Dabei kann die erste Kontaktaufnahme mit einem Wunschkunden entweder durch ein Telefonat oder mit einem
Schreiben erfolgen. Falls für die Erstansprache ein Akquisitionsbrief eingesetzt wird,
sollte dieser eine überzeugende „Story“ im Sinne eines aufmerksamkeitsstarken Aufhängers haben.
Eine in der Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold erfolgreich umgesetzte Variante dieser Ansprache ist ein Kurzbrief mit einem Retrowecker der Marke „Vespa“ in der Anlage.
Unter der ungewöhnlichen Überschrift „Zur richtigen Zeit“ kündigt der Betreuer darin
seinen Anruf an. Der Wecker als hochwertiges und sympathisches Geschenk sorgt
dabei für den Aha-Effekt und eine entsprechend hohe Aufmerksamkeit (s. Abb. 3).
(BBL)
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Ein weiteres Beispiel kommt aus der Taunus-Sparkasse, die früher bei der Firmenkundenakquisition spezielle Akquisitionsschreiben verwendet. Dieses Schreiben soll beim
Empfänger so stark in Erinnerung bleiben, dass beim darauf folgenden Anruf des Firmenkundenbetreuers schon Interesse für ein persönliches Gespräch geweckt wird.
So erfolgt die Erstansprache der ausgewählten Kunden über ein „Siegellack-Mailing“.
Dabei handelt es sich um einen Akquisitionsbrief, der unter dem Motto „Auf unsere
Beratung geben wir Ihnen Brief und Siegel“ dem potentiellen Kunden die TaunusSparkasse als vertrauensvollen Partner vorstellt. Gleichzeitig wird in diesem Schreiben
die Kontaktaufnahme des Betreuers in den nächsten Tagen angekündigt (s. Abb. 4).
(BBL)
Fazit
Die Neukundenakquisition im Firmenkundengeschäft wird in manchen Sparkassen
nicht aktiv und konsequent genug betrieben. Dabei gibt es am Markt genügend Möglichkeiten, die eigene Kundenbasis zielgerichtet zu verbreitern. Eine derartige Chance
ist etwa immer dann gegeben, wenn der unmittelbare Wettbewerber mit sich selbst
beschäftigt ist (z. B. neue Organisation, veränderte Strukturen), oder wenn eine Fusion
große Energien erfordert. Oder der Wettbewerber hat eine große Fluktuation bei den
Beratern etc.
Die Vertriebsmitarbeiter müssen für diese herausfordernde Aufgabe fit gemacht und
motiviert werden. Das erfordert ein entsprechendes Investment in die Mitarbeiter zur
Schulung von Fach-, Methoden-, Sozial- und Verkaufskompetenz. Das daraus erwachsende Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein führt wiederum zu einer entsprechenden Einstellung und Spaß an der Neukundengewinnung.
Und Freude an dieser Tätigkeit ist wichtig. Denn erfolgreiche Akquisition erfordert
neben einer systematischen Vorgehensweise vor allem Mut zum Experiment und Kreativität. Die genannten Beispiele zeigen aber auch, worauf es bei der Neukundengewinnung letztlich ankommt: Auf Konsequenz und langem Atem.
Autor
Prof. Dr. Anton Schmoll ist Berater der Erste Bank, Dozent an der FH für Bank- und
Finanzwirtschaft sowie Bankentrainer und Fachbuchautor in Wien.
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