Newsletter Dezember 2014

Stark für
die Pflege
Deutscher Berufsverband
für Pflegeberufe
DBfK Südwest e.V.
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JuraNews Südwest
Ausgabe 4 Mai 2015
Juristischer Infoservice für Mitglieder im Regionalverband
1. Mindestlohn – Was gilt seit 01.01.2015 innerhalb und außerhalb der Pflege?
Seit 01.01.2015 gilt bekanntlich in fast allen Branchen der gesetzliche Mindestlohn des
Mindestlohngesetzes (MiLoG). Der Mindestlohn gilt für Arbeitnehmer, nicht aber für Personen ohne
Berufsausbildung unter 18 Jahren. Für Auszubildende, Ehrenamtliche, Langzeitarbeitslose sowie für
bestimmte Praktika gibt es Bereichsausnahmen in § 22 MiLoG.
Für Beschäftigte in der Pflege gilt: Hier gab es bereits vorher einen Mindestlohn über die entsprechende
Rechtsverordnung. Nun ist die Zweite Verordnung über Arbeitsbedingungen in der Pflege in Kraft („2.
PflegeArbbV“). Der „Pflege-Mindestlohn“ liegt demzufolge seit 01.01.2015 bei 9,40 EUR im Westen und
8,65 EUR im Osten (wie im „Newsletter Dezember 2014“ bereits angekündigt). Achtung: in
Krankenhäusern gilt die Verordnung nicht.
Weiterführende Informationen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finden Sie hier:
https://www.der-mindestlohn-gilt.de/ml/DE/Service/Meldungen/2014/mindestlohnverordnung-in-derpflegebranche.html
2. Unzulässige Videoüberwachung während der Arbeitsunfähigkeit
Bundesarbeitsgericht (BAG) v. 19.02.2015 – gerichtl. Aktenz. 8 AZR 1007/13
Mitarbeiterin S ist Sekretärin der Geschäftsleitung des Arbeitgebers. Sie meldet sich über einen Zeitraum
von insgesamt ca. drei Monaten wegen unterschiedlicher Krankheitsursachen arbeitsunfähig krank. Dazu
legt sie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von verschiedenen Ärzten vor. Der Arbeitgeber beauftragt
kurz vor Ablauf der drei Monate einen Detektiv mit der Überwachung der Arbeitnehmerin, weil er an der
zuletzt von der S behaupteten Bandscheiben-Erkrankung der S zweifelt. Der Detektiv observiert das
Privathaus der S, wobei er sie mit ihrem Mann und dem Hund vor dem Haus beobachtet. Zudem
beobachtet der Detektiv, wie S einen Waschsalon aufsucht. Dabei erstellt der Detektiv auch
Videoaufnahmen. Daraus erstellt er einen „Observationsbericht“ mit elf Bildern, von denen neun
Standbilder aus Videoaufnahmen enthalten.
S erfährt davon, sie hält die Überwachung für rechtswidrig und fordert vom Arbeitgeber ein
Schmerzensgeld von 10.500 EUR.
Das Bundesarbeitsgericht spricht der S ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 EUR zu.
Der Arbeitgeber habe rechtswidrig gehandelt. Im vorliegenden Fall habe es keinen konkreten Anlass für
die Überwachung gegeben, ein konkreter Verdacht für das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit habe
nicht bestanden. Der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht schon
deswegen erschüttert, weil diese von verschiedenen Ärzten stammten oder weil unterschiedliche
Krankheitsursachen behauptet wurden. Die Höhe des Schmerzensgeldes habe das Landesarbeitsgericht zu
Recht mit 1.000 EUR als angemessen erachtet.
Auswirkungen auf die Praxis:
Big Brother lässt grüßen! Es ist gar nicht so selten, dass Arbeitgeber bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit
Detektivbüros einschalten. Diese sollen herausfinden, ob der Mitarbeiter wirklich krank ist oder in
erheblichem Umfang Freizeitaktivitäten entfaltet, die gegen eine Erkrankung sprechen. Das
Bundesarbeitsgericht hat die Überwachung aber nicht stets für unwirksam gehalten, sondern nur dann,
wenn überhaupt kein konkreter Verdacht bestand, aus dem sich Anhaltspunkte für ein Vortäuschen der
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Arbeitsunfähigkeit ergeben würden. Unter welchen Voraussetzungen das Gericht eine Videoüberwachung
für zulässig halten würde, hat es ausdrücklich offen gelassen.
Bei der Videoüberwachung dürfte es sich um eine Erhebung personenbezogener Daten im Rahmen des
Arbeitsverhältnisses im Rahmen von § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes. Dieser stellt hohe
Anforderungen an die Zulässigkeit. Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein, das heißt, alle anderen
Erkenntnismöglichkeiten müssen ausgeschöpft worden sein. Inwieweit dem Arbeitgeber zum Beispiel
zugemutet werden kann, Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit erst einmal durch Rückfragen beim
Arbeitnehmer abzuklären, muss vom Bundesarbeitsgericht erst noch geklärt werden.
3. Keine Urlaubskürzung bei Wechsel von Vollzeit in Teilzeit
BAG v. 10.02.2015 – 9 AZR 53/14
Der Mitarbeiter M arbeitet beim Arbeitgeber A im Anwendungsbereich des TVöD. Nach § 26 Absatz 1 Satz
2 TVöD erhalten Vollzeitbeschäftigte auf der Basis einer Fünf-Tage-Woche 30 Urlaubstage pro
Kalenderjahr. Nach § 26 Absatz 1 Satz 3 TVöD erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch bei einer
anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche.
M war bis 14.07.2010 in Vollzeit an fünf Tagen die Woche beschäftigt und wechselte zum 15.07.2010 in
Teilzeit im Umfang von vier Wochenarbeitstagen. Urlaub hatte er bis dahin noch nicht genommen. Für das
Jahr 2010 erhielt der Kläger 24 Urlaubstage.
A ist der Ansicht, dass M nur Anspruch auf 4/5 des Urlaubsanspruchs für Vollzeitbeschäftigte habe.
M macht gerichtlich einen Jahresurlaubsanspruch von 27 Urlaubstagen geltend, also 15 Urlaubstage für
die erste Jahreshälfte sowie eine entsprechend der Teilzeitbeschäftigung reduzierte Anzahl von 12
Urlaubstagen für die zweite Jahreshälfte. Das Landesarbeitsgericht war der Meinung, dass A den Urlaub
zutreffend berechnet hat.
Das Bundesarbeitsgericht hat es anders gesehen:
Der Urlaub sei zu Unrecht gekürzt worden. Dies ergebe sich aus der Entscheidung „Brandes“ des
Europäischen Gerichtshofs, in der dieser klargestellt habe, dass der Urlaubsanspruch bei einem Wechsel in
eine Teilzeittätigkeit nicht verhältnismäßig für das Gesamtjahr zu teilen sei. Teilzeitmitarbeiter dürften
nicht benachteiligt werden. Der bereits vorher, also bis zum Wechsel in Teilzeit erworbene
Urlaubsanspruch müsse daher unverändert bestehen bleiben. Deshalb sei § 26 Absatz 1 Satz 3 TVöD
unwirksam, soweit er dazu führe, dass die Zahl der während einer Vollzeittätigkeit erworbenen
Urlaubstage gemindert werde.
Auswirkungen auf die Praxis:
Der Arbeitgeber im Bereich des öffentlichen Dienstes muss noch mehr als bisher darauf achten, dass er
keine Urlaubskürzung bezogen auf das Gesamtjahr vornimmt. Damit schmälert er nämlich bereits
erworbene Urlaubsansprüche. Der in Teilzeit wechselnde Mitarbeiter erhält also für die Zeiten des
Urlaubsjahres, in denen er Vollzeit geleistet hat, einen vollen Jahresurlaubsanspruch. Nur für die Zeit, in
der er in Teilzeit tätig ist, ist der Urlaubsanspruch verhältnismäßig geringer.
4. „Nachtdienst-Check“ in Krankenhäusern
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat in 225 Krankenhäusern eine Mitarbeiterbefragung
durchgeführt und dabei festgestellt, dass bei den betroffenen Krankenhäusern zum Teil eine
Unterbesetzung im Nachtdienst besteht, die von ver.di als bedenklich eingestuft wird. Ver.di fordert in
diesem Zusammenhang eine Einschaltung durch die Politik, eine bessere finanzielle Ausstattung der
Krankenhäuser und entsprechenden Mitteleinsatz zur Behebung der Defizite.
https://gesundheit-soziales.verdi.de/ueber-uns/nachrichten/++co++9d903f90-c3ee-11e4-bc9552540059119e
Die Ergebnisse der Befragung wurden kontrovers diskutiert. Allerdings wurde die Repräsentativität der
Ergebnisse von der Arbeitgeberseite in Frage gestellt, die Art der Befragung wurde kritisiert.
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Auswirkungen auf die Praxis:
Wer als Pflegemitarbeiter mit Mängeln im Nachtdienst konfrontiert ist, befindet sich in einer schwierigen
Situation, denn er muss an Ort und Stelle Entscheidungen treffen. Er ist unverändert zur sorgfältigen
Verrichtung seines Dienstes verpflichtet. Wichtig ist aber, dass Mitarbeiter auf eventuelle Missstände
hinweisen, und zwar nicht nur in allgemeiner Form, sondern auch konkret gegenüber den zuständigen
Stellen (siehe näher z. B. Weber, Überlastungsanzeige in Pflegeeinrichtungen, S. 64 ff.).
5. Kann der Arbeitgeber die Beschäftigte anweisen, die Station zu wechseln?
Landesarbeitsgericht Mainz vom 03.07.2014 - 5 Sa 120/14 (rechtskräftig)
Der Fall:
Die im Krankenhaus K beschäftigte Krankenschwester S war zunächst 1979 als Krankenschwester
eingestellt und ab 1992 als Gruppenschwester, später ab 2001 als Stationsschwester eingesetzt. Zuletzt
war sie auf den Stationen A, B, und C als Stationsleitung eingesetzt. Nachdem S längere Zeit arbeitsunfähig
erkrankt war erhält sie - kurz vor ihrer Rückkehr - von K eine Email-Nachricht, in der ihr mitgeteilt wird,
dass Sie nunmehr auf der Station 1 als Krankenschwester arbeite. S ist enttäuscht. Sie verlangt von K,
unverändert als Stationsleitung auf den Stationen A, B und C eingesetzt zu werden. Ohne Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht stellt in seiner Entscheidung fest, das vertragliche Weisungsrecht des
Krankenhauses umfasse die Befugnis, der S nach Maßgabe von § 106 der Gewerbeordnung. eine andere
Krankenhausstation als die bisherige zuzuweisen. Der schriftliche Arbeitsvertrag enthalte keine
Festlegung, dass die S nur auf bestimmten Stationen beschäftigt werden dürfe. Bestimmte Stationen des
Krankenhauses seien an keiner Stelle benannt. Die Arbeitspflicht der S habe sich nicht dadurch auf die
Stationen A, B und C konkretisiert, dass sie seit 2001 nur dort tätig gewesen sei. Es sei nicht grundsätzlich
ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich, ohne dass darüber ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht
werden, nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Die Nichtausübung des
Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schaffe aber regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand
dahingehend, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht in
Zukunft keinen Gebrauch mehr machen will. Nur bei Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer
der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, könne es
durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts
kommen. Derartige besondere Umstände lägen nicht vor. K habe auch die Grenzen billigen Ermessens im
Sinne von § 106 GewO gewahrt. Es entspreche billigem Ermessen, dass die K die S auf Station 1 einsetze.
Auswirkungen auf die Praxis:
Der Fall zeigt, dass es keinen Automatismus gibt – auch nicht nach Jahren -, nur dort eingesetzt zu werden,
wo man gerade seine Arbeit verrichtet. Maßgeblich ist jedoch der konkrete Arbeitsvertrag. In der Regel
will sich der Arbeitgeber jedoch nicht auf eine bestimmte Station festlegen, er benötigt insoweit
Flexibilität. Im Bereich des Tarifrechts des öffentlichen Dienstes bestehen weitreichende Befugnisse des
Arbeitgebers zur Abordnung und Versetzung.
6. Tragen eines islamischen Kopftuchs
Zum Thema Kopftuch gibt es bereits mehrere bekannte Entscheidungen. Das Bundesarbeitsgericht hatte
bereits in einem länger zurückliegenden Fall entschieden, dass einer Kaufhausmitarbeiterin nicht deshalb
gekündigt werden darf, weil sie entgegen den Anweisungen des Arbeitgebers ein Kopftuch am
Arbeitsplatz trug. Dies ist allerdings kein eherner Grundsatz: Das Gericht weist auf den hohen Stellenwert
der Religionsfreiheit hin, die auch im Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des arbeitgeberseitigen
Weisungsrechts berücksichtigt werden muss. Die Religionsfreiheit überwog im genannten Fall. Der
Arbeitnehmer muss aber nachvollziehbar darlegen, dass die von ihm getragene Kleidung gerade aus
religiösen Gründen getragen wird. Insoweit gibt es wohl im Koran tatsächlich nach einer Glaubenslehre
eine strenge religiöse Pflicht, das Haupthaar zu bedecken, mit anderen Worten also handelt es sich
tatsächlich um „Religionsausübung“. Der Arbeitgeber kann demgegenüber im Einzelfall aber durchaus ein
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höheres Interesse daran haben, dass das Kopftuch oder andere religiöse Kleidungsstück nicht getragen
wird. Er muss dazu aber vorweisen, zu welchen konkreten wirtschaftlichen Beeinträchtigungen bzw.
betrieblichen Störungen es sonst kommen würde. Das Gericht spricht von "realen Gefährdungen", die
"konkret" darzustellen sind.
Bundesarbeitsgericht v. 10.10.2002 - 2 AZR 472/01
Im Bereich eines Krankenhausbetreibers, der institutionell der evangelischen Kirche zugewiesen ist, kann
Krankenschwestern das Tragen eines islamischen Kopftuchs untersagt werden, sagt das
Bundesarbeitsgericht jetzt in einer neueren Entscheidung. Das Tragen eines Kopftuchs verstoße gegen das
Neutralitätsgebot.
Bundesarbeitsgericht v. 24.09.2014 – 5 AZR 611/12
Das Bundesverfassungsgericht hat vor Kurzem allerdings ein generelles Verbot von Kopftüchern im
staatlichen Schuldienst für verfassungswidrig erklärt.
Bundesverfassungsgericht vom 27.01.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10
Es hat Arbeitsgerichtsentscheidungen aufgehoben, die dem Arbeitgeber erlaubten, eine Lehrerin wegen
des Tragens eines Kopftuchs im Schulunterricht zuerst abzumahnen und dann auch zu kündigen. Der
Arbeitgeber müsse darlegen, dass der „Schulfrieden“ konkret gestört sei. Diese Entscheidung lässt Raum
für Interpretation, sie zeigt aber, dass Kopftücher außerhalb des Bereichs von Einrichtungen, die der
Kirche zugeordnet sind, nicht stets verboten sind. Vielmehr kommt es auf den Einzelfall an.
Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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