Stark für die Pflege Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe DBfK Südwest e.V. Logo tauschen in Graustufen JuraNews Südwest Ausgabe 6 März 2016 Juristischer Infoservice für Mitglieder im Regionalverband 1. Mindestlohn – neue Entscheidung Im Newsletter November 2015 haben wir bereits einige erste Entscheidungen zum gesetzlichen Mindestlohn vorgestellt. Inzwischen liegt dazu ein weiteres interessantes Urteil vor, über das wir im Folgenden berichten wollen. a.) Kein Verstoß der Bereitschaftszeitenvergütung von Rettungsassistenten nach § 9 TVöD-V gegen den gesetzlichen Mindestlohn Landesarbeitsgericht Köln v. 15.10.2015 – 8 Sa 540/15 Der Kläger ist Rettungsassistent bei dem beklagten Rettungsdienst eines Landkreises. Anwendung findet der TVöD-V. Er erhält eine Vergütung, die sich aus den faktorisierten Bereitschaftszeiten nach § 9 TVöD-V und der Vollarbeitszeit errechnet. Der Kläger verlangt nun Vergütung für weitere neun Stunden Bereitschaftszeiten. Er ist der Auffassung, dass er aufgrund der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nunmehr für Bereitschaftszeiten statt nur der faktorisierten Zeiten die volle Vergütung verlangen könne, weil die entsprechenden tariflichen Regelungen unwirksam geworden seien. Das Landesarbeitsgericht Köln sieht keinen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz. Die Erbringung von Bereitschaftszeiten sei grundsätzlich mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeitsleistung im Sinne von § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Arbeit in diesem Sinne sei nämlich auch die „vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit“, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein müsse und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen könne, die also weder Pause noch Freizeit sei. Dieser Vergütungspflicht sei die Beklagte durch Zahlung der vertraglichen Vergütung aber nachgekommen. Bei der Frage, welche Arbeitsleistung der Kläger für die vertraglich vereinbarte Vergütung schulde, sei zwischen der tarifvertraglichen regelmäßigen (Voll-) Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 TVöD und der Bereitschaftszeit nach § 9 TVöD bzw. dem Anhang B hierzu zu unterscheiden. Die Personengruppe des Rettungsdienstes habe insgesamt eine tarifliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden, bestehend aus Bereitschafts- und Vollarbeitszeiten. Der Arbeitnehmer müsse daher „insgesamt keine höhere“ Arbeitsleistung erbringen als ein Arbeitnehmer mit 39 Wochenstunden ohne Bereitschaftszeiten, er müsse dem Arbeitgeber aber für das vereinbarte monatliche Entgelt „mehr Arbeits- und Anwesenheitszeiten“ für die Zeiten zur Verfügung stellen, in denen ein „geringerer Arbeitsanfall“ vorliege. Fazit: Bislang ist das Vergütungssystem für Bereitschaftszeiten im Bereich des Rettungsdienstes also für „mindestlohnfest“ befunden worden. b.) Mindestlohn in der Pflege – Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst Man beachte jedoch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Mindestlohn in der Pflege (BAG v. 19.11.2014 – 5 AZR 200/10): Arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst in der Pflegebranche ein geringeres als das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV vorsehen, sind nach § 134 BGB unwirksam. 1 2. Fahrzeiten als Dienstzeiten Europäischer Gerichtshof (EuGH), v. 10.09.2015 – Aktenzeichen: C-266/14 Der Europäische Gerichtshof stellt in dieser Entscheidung klar, dass Arbeitnehmer, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort haben, durch das Zurücklegen der Fahrstrecke von ihrem Wohnort zum Einsatzort „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie aufwenden. Fallbeispiel: Man nehme also beispielsweise den Mitarbeiter eines bundesweiten Pflegeanbieters, welcher ein bestimmtes Gebiet bereist, in dem er Patienten mit Pflegeleistungen versorgt. Arbeitszeit für diesen Mitarbeiter ist also nach der EuGH-Entscheidung (auch schon) die Wegstrecke zum ersten Patienten und vom letzten Patienten wieder nach Hause. Dies hat zunächst einmal Auswirkungen auf die gesetzlich zulässige Arbeitszeit nach § 2 des Arbeitszeitgesetzes. Wie diese Zeit im Einzelnen zu vergüten ist, war allerdings nicht Gegenstand der Entscheidung. Gleichwohl erklärt der EuGH, dass der Arbeitgeber die Vergütung für die Fahrzeit vom Wohnort zur Einsatzstätte frei vereinbaren könne. Sie Vergütung für die Wegezeit kann demnach auch anders als die tatsächliche Arbeit vergütet werden. Diese Vereinbarungen müssen natürlich mit dem Recht des Mitgliedsstaates vereinbar sein. Das heißt, dass natürlich insbesondere das Mindestlohngesetz eingehalten werden muss! Das Bundesarbeitsgericht hat zur Vergütung von Wegezeiten festgestellt: - Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an. Dazu zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber … verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise von deren Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Zu den i. S. von § 611 BGB „versprochenen Diensten“ gehört auch das vom Arbeitgeber angeordnete Fahren vom Betrieb zu einer auswärtigen Arbeitsstelle. Derartige Fahrten sind eine primär fremdnützige, den betrieblichen Belangen des Arbeitgebers dienende Tätigkeit und damit „Arbeit“. Durch das Anordnen der Fahrten macht der Arbeitgeber diese zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung. Mit der Einordnung der Fahrzeiten als Teil der i. S. von § 611 BGB versprochenen Dienste“ ist aber noch nicht geklärt, wie sie zu vergüten sind (BAG v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12). - Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrzeiten vom Betrieb zur auswärtigen Arbeitsstelle getroffen werden (vgl. BAG NZA-RR 2013, 63). Anmerkung: Im Bereich des TVöD gelten Fahrten zu wechselnden Einsatzorten nicht als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Ob diese oder ähnliche tarifliche bzw. kollektivrechtliche Ausschlüsse von Wegezeit als erbrachter Arbeitszeit im Lichte des Mindestlohngesetzes noch haltbar sind, bleibt mithin abzuwarten. 3. Keine Geriatriezulage für ambulante Pflege nach dem Tarifwerk des Bayerischen Roten Kreuzes Bundesarbeitsgericht v. 17.12.2015 - 6 AZR 768/14 Die Parteien streiten über die Gewährung einer Pflegezulage. Die Klägerin ist als Pflegefachkraft im Bereich des ambulanten Pflegedienstes tätig, und zwar erbringt sie überwiegend Grund- und Behandlungspflege an Patienten mit geriatrischer Erkrankungssymptomatik. Es gilt der Entgeltrahmentarifvertrag des Bayerischen Roten Kreuzes. Das Bundesarbeitsgericht hält die Klage in letzter Instanz – wie auch die Vorinstanzen - für unbegründet. 2 Hintergrund des Rechtsstreits ist, dass die Regelung im Entgeltrahmentarifvertrag, nämlich § 16 ERTV, Zulagen für die Grund- und Behandlungspflege von Patienten mit bestimmter Symptomatik gewährt. Die Pflege wird dabei aber stationär geleistet. Die Klägerin, die hingegen ambulante Pflegeleistungen erbringt meint, diese Unterscheidung sei gleichheitswidrig, so dass ihr die Zulage ebenfalls zu zahlen sei. Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass § 16 ERTV keinen Anspruch auf die Pflegezulage für die ambulante Grund- und Behandlungspflege an Patienten mit geriatrischer Erkrankungssymptomatik gewähre. Die Tarifvertragsparteien hätte insoweit an die Protokollerklärung Nr. 1 des Abschn. A und B der Vergütungsordnung des BAT für Angestellte im Pflegedienst angeknüpft, die in Abs. 1 Buchst. c die Zulage lediglich für die Pflege von Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen vorsah. Die Differenzierung zwischen der Pflege von Kranken in geriatrischen Abteilungen und Stationen auf der einen Seite und der ambulanten geriatrischen Pflege auf der anderen Seite überschreite nicht den Gestaltungsspielraum, der den Tarifvertragsparteien bei der typisierenden Bestimmung zukomme, welche Erschwernisse sie in welcher Weise ausgleichen wollen. 4. Kein Jubiläumsurlaub kraft „betrieblicher Übung“ Bundesarbeitsgericht v. 17.11.2015 – 9 AZR 547/14 Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin zusätzlich zu ihrem Anspruch auf Jubiläumsurlaub aus der Neufassung des § 22 BAT-KF anlässlich ihres 25-jährigen Dienstjubiläums weitere vier Tage Sonderurlaub zustehen. Die Mitarbeiterin arbeitet bei einer Evangelischen Krankenhausgemeinschaft als Krankenschwester. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, dass „die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen jeweils geltenden Fassung (BAT-KF)" sowie die sonstigen kirchenarbeitsrechtlichen Bestimmungen gelten. Seit 1985 gewährte der Arbeitgeber bei 25 Jahren Dienstjubiläum vier Tage Sonderurlaub. Dies war nicht tariflich geregelt. Erst ab dem 01.07.2007 galt die neueste Fassung des § 22 BAT-KF, der zusätzlich einen Sonderurlaub von fünf Tagen vorsieht. Aufgrund eines Schlichtungsstellenvergleichs gelten bei der Arbeitgeberin seit 2008 als Jubiläumsleistungen fünf Tage Sonderurlaub und eine Zuwendung von 75 EUR bei 25-jährigen Dienstjubiläen. Die Arbeitgeberin zahlte der Mitarbeiterin zwar nach 25 Dienstjahren die genannte Zuwendung aus und gewährte fünf Tage Sonderurlaub, gewährte aber keinen weiteren Sonderurlaub. Die Mitarbeiterin klagte daraufhin auf Gewährung eines weiteren Urlaubs von vier Tagen. Sie meint, ihr stünden wegen der schon früher bestehenden betrieblichen Handhabung zusätzlich zu dem seit 2007 geltenden tariflichen Sonderurlaub von fünf Tagen weitere vier Tage zu. Die Klage blieb erfolglos. Eine betriebliche Übung verneint das Bundesarbeitsgericht. Unter einer betrieblichen Übung sei die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Für einen derartigen Bindungswillen fehlten dem Bundesarbeitsgericht Anhaltspunkte. Solche hätten vorgelegen, wenn die Arbeitgeberin unverändert an der Gewährung des Sonderurlaubs festgehalten hätte. Auf den Vergleich vor der Schlichtungsstelle könne die Klägerin ihren Anspruch auf vier Tage Sonderurlaub nicht stützen. Dieser Vergleich sehe nur die Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs von fünf Tagen entsprechend § 22 BAT-KF vor. 3 5. Unwirksame fristlose Kündigung eines Pflegedienstleiters wegen Unklarheiten in einer Versicherung an Eides statt Landesarbeitsgericht Hamm v. 29.05.2015 – 18 Sa 1663/14 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung. Die Beklagte betreibt mehrere Krankenhäuser. Der Mitarbeiter ist dort seit 1984 tätig, zuletzt als leitende Pflegekraft und Pflegedienstleiter. Die Beklagte beschäftigt in ihren Krankenhäusern auch Pflegemitarbeiter einer Leiharbeitsfirma. Im Zuge einer Restrukturierung richtete die Beklagte für alle vier Krankenhäuser gemeinsam eine Stelle als Pflegedienstleiter ein. Die Stelle war ab Oktober 2012 neu zu besetzen, der Kläger erhielt diese Stelle probeweise für 1,5 Jahre mit einer Funktionszulage. Die Beklagte teilte dann dem Kläger mit, dass er die Position des Pflegedienstleiters nicht dauerhaft übertragen bekomme, ab dem 01.04.2014 falle auch die Zulage weg. Zugleich erklärte sie eine Änderungskündigung mit dem Ziel der Herabgruppierung zum Krankenpfleger. Gegen die Änderungskündigung wehrte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage. In einem Eilverfahren versuchte der Kläger, - ohne Erfolg - die Weiterbeschäftigung als Pflegedienstleiter durchzusetzen. In dem gerichtlichen Verfahren hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung mit folgendem Inhalt vorgelegt: „Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma.“ Die Beklagte hörte daraufhin die Mitarbeitervertretung zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Die Beklagte teilte mit, die Kündigung erfolge vor dem Hintergrund, dass der Kläger in der eidesstattlichen Versicherung der Wahrheit zuwider behauptete, er habe keinen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer des Drittunternehmens. Die Beklagte kündigte nach Abschluss des Beteiligungsverfahrens das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger hat hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, die hiergegen gerichtete Berufung des Arbeitgebers vor dem Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht sieht in den Angaben in der eidesstattlichen Versicherung keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung. Dabei weist das Gericht darauf hin, dass die Angabe, der Kläger habe auf die Zahl der Servicekräfte keinen Einfluss, tatsächlich falsch wäre, weil der Kläger als Pflegedienstleiter den Bedarf an Servicekräften des Drittunternehmens selbst ermittelt und dann an den Verwaltungsleiter zwecks Anforderung der benötigten Kräfte weitergegeben habe. Dies habe der Kläger aber gar nicht erklärt. Denn der Kläger habe die Auffassung vertreten, dass es sich nicht um Leiharbeitnehmer, sondern um Werkvertragsmitarbeiter handle. Diese Rechtsauffassung habe er auch im gerichtlichen Verfahren vertreten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger meinte, die Äußerung zum fehlenden Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma sei erforderlich gewesen, um seine Weiterbeschäftigung im Eilverfahren zu erreichen. Der Kläger habe das Weiterbeschäftigungsbegehren im Wesentlichen auf andere Argumente gestützt. Das Landesarbeitsgericht meint, selbst wenn der Kläger fahrlässig missverständliche Angaben gemacht hätte, würde dies nur eine Abmahnung, nicht aber eine fristlose Kündigung rechtfertigen. 4 6. Beendigung des Anstellungsverhältnisses bei voller Erwerbsminderung gemäß § 33 II TVöD – keine Benachteiligung wegen Behinderung Bundesarbeitsgericht v. 18.12.2014 – 7 AZR 1002/12 Die auflösende Bedingung in § 33 Absatz 2 TVöD bewirkt für den Fall der Gewährung einer Rente auf unbestimmte Dauer wegen voller Erwerbsminderung keine Benachteiligung wegen einer Behinderung des Arbeitnehmers im Sinne von § 7 AGG. Tarifvorschriften, die eine Beendigung aufgrund einer Erwerbsminderungsrente vorsehen, seien – so das Bundesarbeitsgericht - nur gerechtfertigt, wenn es sich um eine dauerhaft gewährte Rente handle. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der sozialrechtlichen Dispositionsbefugnis des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Der Beschäftigte entscheide nämlich selbst, ob er einen Antrag auf dauerhafte Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle und auf diese Weise den Auflösungstatbestand herbeiführe. Die Beendigungswirkung könne nur eintreten, wenn die Behebung der Erwerbsminderung unwahrscheinlich sei. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer wiedereinzustellen, würde ihn dazu zwingen, die Stelle jahrelang freizuhalten, obwohl eine Rückkehr nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht komme. Anmerkung: Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, die Betonung der Dispositionsbefugnis des Arbeitnehmers ist aber zumindest im Hinblick auf die Regelung in § 33 Abs. 4 TVöD problematisch. Denn das Beschäftigungsverhältnis endet auch dann, wenn ein Amtsarzt eine dauernde Erwerbsunfähigkeit feststellt, wenn der Beschäftigte schuldhaft keinen Rentenantrag gestellt hat. 7. Fachkrankenpflegerin eines Krankenhauses – keine freie Mitarbeit Bayerisches Landessozialgericht v. 06.10.2015 – L7R240/13 Das Landessozialgericht Bayern stellt in dieser Entscheidung fest, dass die Ausübung der Tätigkeit der Klägerin als Fachkrankenpflegerin als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anzusehen sei. Die Klägerin ist gelernte Krankenschwester. Sie schloss mit einem Krankenhausbetreiber im Jahr 2009 einen "Vertrag über freie Mitarbeit" für die Aufgabe eines freiberuflichen Mitarbeiters als Fachkrankenpfleger im OP-Bereich. Nach dieser Vereinbarung sollte sie keinen Weisungen unterliegen und sei in der Gestaltung ihrer Tätigkeit (Zeit, Dauer, Art und Ort der Arbeitsausübung) vollkommen frei, sie sei berechtigt, Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen, sie sei verpflichtet, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Die Tätigkeit müsse in den Räumen des Auftraggebers ausgeübt werden, dieser stelle die zur Dienstleistung erforderlichen Hilfsmittelmaterialien, insbesondere EinmalSchutzhandschuhe aus Gummi/Latex unentgeltlich zur Verfügung. Die Auftragnehmerin könne für andere Auftraggeber auch im Branchenbereich des hiesigen Auftraggebers tätig sein (z.B. Krankenhäuser usw.) Das Honorar erhalte sie für geleistete Stunden, die durch einen Stundennachweis belegt werden. Im Krankheitsfall bestehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei Krankheit müsse die Auftragnehmerin den Auftraggeber umgehend schriftlich informieren. Die Auftragnehmerin habe sich bei der zuständigen Berufsgenossenschaft zu versichern. Der Vertrag sei beiderseitig jederzeit ohne Einhaltung von Fristen kündbar. Die Mitarbeiterin war im Jahr 2009 zu einem Stundensatz von 38,00 EUR bis 40,00 EUR für das Krankenhaus tätig. Das Landessozialgericht hält diese Gestaltung nicht für geeignet, eine selbstständige Tätigkeit als Fachkrankenpflegerin gegenüber dem Krankenhaus zu begründen. Es handle sich um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. Nach § 7 Abs. 1 SGB IV sei Beschäftigung „die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.“ Bei einer Tätigkeit in einem fremden Betrieb sei dies der 5 Fall, wenn der Tätige in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht unterliege. Dies richte sich nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Vorliegend sei schon zweifelhaft, ob der rechtliche Rahmen für die Ausübung einer solchen Tätigkeit im deutschen Gesundheitssystem und die tatsächlichen Verhältnisse bei Ausübung der Tätigkeit überhaupt eine selbständige Tätigkeit zuließen. Dies könne aber dahinstehen, denn nach einer Gesamtabwägung liege letztlich eine abhängige Beschäftigung vor. - - Die Mitarbeiterin sei bei ihrer Tätigkeit als OP-Krankenschwester bei der Auftragsdurchführung in die Betriebsorganisation und in die Betriebsabläufe des Betreibers eingegliedert gewesen. Die sachliche und personelle Klinikstruktur und -organisation bestimme zwingend, welche Patienten zu welchem Zeitpunkt in welcher Reihenfolge welcher Operation unterzogen würden. Die Mitarbeiterin habe deshalb festgelegte Arbeitszeiten und eine klar definierte Aufgabe gehabt. Die Tätigkeit als OP-Krankenschwester sei nur im abgestimmten Teameinsatz unter ärztlicher Operationsleitung möglich. Dies sei eine fremdgeleitete Tätigkeit. Der Betreiber habe das Operationsteam bestimmt und die Räumlichkeiten gestellt, die anzuwendenden Instrumente und Gerätschaften sowie voll funktionsfähige Operationssäle. Ein eigenständiges und abgrenzbares Haftungsrisiko habe die Mitarbeiterin nicht getragen, weil ihr nach den Operationen regelmäßig kein nachprüfbarer Leistungsbereich zuordenbar war, aus dem hätte entnommen werden können, welche Arbeitsschritte die Klägerin selbstverantwortlich erbracht hatte. Die ausgeübte Tätigkeit als OP-Krankenschwester entspreche daher in der Gesamtschau der Merkmale einer abhängig beschäftigten OP-Pflegerin/Krankenschwester. Dr. Bert Howald Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht mail: [email protected] web: http://www.gassmann-seidel.de © Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel 2016 : facebook.com/GassmannSeidel : @GassmannSeidel 6
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