Anlagestrategie & Investment Tauziehen am Euro-Rentenmarkt AllianzGI QE Monitor Das Eurosystem ist ein wichtiger Käufer an den Staatsanleihenmärkten des Euroraums – seit die Europäische Zentralbank (EZB) im März 2015 den Startschuss für das quantitative Lockerungsprogramm (QE) gab.1 Worauf Anleger achten sollten. Verstehen Ann-Katrin Petersen Investment Strategist, Global Capital Markets & Thematic Research, Allianz Global Investors Das Eurosystem umfasst die EZB und die nationalen Zentralbanken der 19 Euroraum-Mitgliedsstaaten. „Quantitative Easing“ bzw. „Extended Asset Purchase Programme“: Erweitertes Ankaufprogramm für Vermögenswerte, bestehend aus den Programmen für den Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen (CBPP3), Asset Backed Securities (ABSPP) und Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP). 1 Bislang haben die EZB und die nationalen Zentralbanken des Euroraums verzinsliche Wertpapiere – gedeckte Schuldverschreibungen, Asset Backed Securities und Wertpapiere des öffentlichen Sektors – im Umfang von insgesamt 694,3 Mrd. Euro angekauft (per 22. Januar 2016). Dem Volumen nach wurden damit etwa 46 % des im Dezember 2015 um sechs Monate verlängerten QE-Programms abgewickelt. Im Hinblick auf Wertpapiere des öffentlichen Sektors (PSPP) haben die Notenbanker etwa 42 % (529,6 Mrd. Euro) des anvisierten Volumens bzw. etwa 7,4 % des ausstehenden Marktvolumens erworben. „Anleger sollten fundamentale Renditetreiber, wie allmählich anziehende Inflationsraten im Jahresverlauf 2016 und den US-Leitzinserhöhungszyklus, im Blickfeld behalten.“ Aus Anlegerperspektive setzt sich das „Tauziehen“ an den Anleihenmärkten des Euroraums fort: Die kontinuierliche Nachfrage der EZB und die nach wie vor gedämpften Inflationserwartungen dürften auch weiterhin einen Abwärtsdruck auf die Renditen ausüben. Unbestritten tragen die immensen Anleihenkäufe zu einer Verzerrung der Preise am gesamten Euro-Rentenmarkt bei. Zur Erinnerung: Die Renditen auf Staatsanleihen hoher Bonität bewegen sich am kurzen Ende weiterhin in Negativterrain, im Falle Deutschlands, der Niederlande, Österreichs und Finnlands bis zu einer Restlaufzeit von sechs Jahren.2 Mehr als ein Drittel des gesamten Staatsanleihenuniversums des Euroraums ist aktuell mit einer negativen nominalen Rendite behaftet (siehe Schaubild 1). Anleger sollten jedoch fundamentale Renditetreiber, wie allmählich anziehende Inflationsraten im Jahresverlauf 2016 und den US-Leitzinserhöhungszyklus, im Blickfeld behalten. Wie verhalten sich diese Einflussfaktoren mit Blick nach vorne? Dazu lohnt sich eine Betrachtung von Anleihenangebot und -nachfrage einerseits und den Wirkkanälen der geldpolitischen Sondermaßnahmen andererseits. Fokus: Tauziehen am Euro-Rentenmarkt Schaubild 1: Euroraum – mehr als ein Drittel des gesamten Staatsanleihenuniversums mit negativer Rendite behaftet Marktvolumen der gesamten ausstehenden Staatsschulden* mit negativer Rendite bzw. Rendite unterhalb des Einlagensatzes (in Mrd. Euro) < 0 % < –0,3 % DE 62,1 % 45,9 % 2000 FR 51,3 % 30,0 % 1800 IT 20,2 % 1,4 % 1600 ES 16,3 % 0,0 % 1400 NL 53,4 % 35,1 % 1200 BE 36,5 % 22,5 % 1000 AT 49,4 % 22,4 % 800 PT 1,8 % 1,8 % FI 53,4 % 25,0 % IE 36,7 % 4,6 % SK 45,1 % 8,3 % 600 400 200 0 IT FR DE ES BE NL AT IE PT FI GR** SK SL LU MT LI CY LT Marktvolumen von Staatsanleihen mit Rendite < –0,3% mit negativer Rendite gesamtes Marktvolumen *) exkl. T-Bills, inkl. Inflation-linked Bonds **) inkl. von EZB und EIB gehaltener Bestände griechischer Staatsanleihen. Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft. Quellen: Bloomberg, AllianzGI Global Capital Markets & Thematic Research. Stand: 25. Januar 2016. Liquiditätsrisiken nicht unterschätzen Zu den befürchteten Engpässen beim Ankauf von Staatsanleihen, insbesondere im Hinblick auf die festgelegte Mindestrendite der Papiere oberhalb des Einlagensatzes, kam es im Jahr 2015 nicht.3 Die selbst gesteckte Zielgröße eines monatlichen Ankaufvolumens von insgesamt 60 Mrd. Euro hat die EZB in den ersten zehn Monaten des QE-Programms (März – Dezember 2015) mühelos erreicht. SL 5,5 % 5,5 % GR 0,0 % 0,0 % LI 8,6 % 0,0 % LT 11,2 % 0,0 % LU 49,1 % 0,0 % CY 0,0 % 0,0 % MT 7,0 % 0,0 % 38,4 % 19,7 % Eurozone Bis Ende März 2017 wird die EZB nun zusätzlich Euro-Staatspapiere in der Größenordnung von 255 bis 270 Mrd. Euro erwerben. Wie der AllianzGI QE-Monitor zeigt, liegt das für die EZB ankaufbare Staatsanleihenvolumen aktuell um etwa 290 Mrd. Euro bzw. 5½ % höher – allein durch die Senkung des Einlagensatzes um zehn Basispunkte auf –0,3 %.4 Insgesamt übersteigt das Angebot von Staatsanleihen, die für das EZB-Kaufprogramm in Frage kommen, gegenwärtig die implizite Nachfrage bis Programmende. Schaubild 2: Das Eurosystem ist seit März 2015 ein wichtiger Käufer an den Staatsanleihenmärkten des Euroraums Signifikanter Nachfrageeffekt: Kaufvolumen dürfte 2016 Netto-Neuemissionsvolumen bei Staatspapieren übersteigen 1000 900 „Quantitative Easing“: Für 2016 zu erwartende EZB-Wertpapierkäufe (geschätzte Aufteilung) Staatsanleihenemissionen Eurozone (2016, geschätzt) 800 700 600 500 400 300 200 100 0 Gesamt Staatsanleihen* Agencies ABS/Covered Brutto Stand: 25. Januar 2016. Datenquelle: Bloomberg. 2 Die EZB agiert innerhalb selbst auferlegter Beschränkungen. 1. Laufzeitenspektrum: Die Restlaufzeit der Anleihen muss mehr als zwei Jahre betragen und unter 31 Jahren liegen. 2. Einlagensatz als Untergrenze: Es werden nur Staatsanleihen gekauft, deren Rendite oberhalb des Zinses für Zentralbankguthaben bei der EZB von aktuell –0,30 % p. a. liegt. 3. Emittenten-/Emissionslimit: Maximal 33 % der ausstehenden Schuldtitel eines Emittenten/einer einzelnen Emission dürfen erworben werden; Begrenzung auf nicht mehr als 25 % einer einzelnen Emission, sofern die Anwendung von Umschuldungsklauseln blockiert würde. 3 Netto PSPP *) inkl. Schuldtitel, die von regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften im Euro-Währungsgebiet begeben wurden. Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft. Quellen: Bloomberg, Datastream, AllianzGI Global Capital Markets & Thematic Research. 2 Fokus: Tauziehen am Euro-Rentenmarkt Allerdings sind auch in diesem Jahr verkaufswillige Investoren erforderlich, um die Zentralbanknachfrage nach Staatsanleihen zu decken. Denn das für 2016 zu erwartende Kaufvolumen des Eurosystems dürfte das Netto-Neuemissionsvolumen bei EuroStaatspapieren um etwa 300 Mrd. Euro übersteigen (siehe Schaubild 2). Insbesondere in einem Umfeld sinkender staatlicher Neuverschuldung und entsprechend rückläufigen Neuemissionen könnte das Anleihenkaufprogramm zur Verdrängung („Crowding Out”) anderer Käufer und zu Engpässen bei der Handelbarkeit von Staatsanleihen führen. Bis Ende 2016 dürfte sich der vom Eurosystem gehaltene Bestand an Wertpapieren des öffentlichen Sektors des Eurosystems5 auf etwa 12 % der Bruttostaatsverschuldung des Euroraums belaufen. Erste Erfolge der unkonventionellen Geldpolitik Nach Aussage der Währungshüter werden die Wertpapierkäufe mindestens so lange weitergeführt, bis der EZB-Rat eine nachhaltige Verbesserung der Inflationsentwicklung erkennt. Ziel ist es, mittelfristig Inflationsraten von unter, aber nahe 2 % zu erreichen. Nicht zuletzt bedingt durch den erneuten Rohölpreisverfall liegt die Inflationsrate des Euroraums mit einer Jahresveränderungsrate von 0,2 % (Dezember) nach wie vor deutlich unterhalb dieser Preisstabilitätsmarke. Die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsverlusts, der mit einem nachhaltigen Unterschießen der Inflation einherginge, hat für die EZB an Bedeutung gewonnen. Ein Blick auf die realwirtschaftlichen Wirkkanäle der quantitativen Lockerung – Normalisierung der Inflationserwartungen, schwächerer Euro-Wechselkurs und Ankurbelung der Kreditvergabe von Banken – lässt jedoch auch erste Erfolge der unkonventionellen Geldpolitik erkennen: • Während die im Rahmen des „Survey of Professional Forecasters“ der EZB ermittelten kurzfristigen Inflationserwartungen vor allem die Ölpreisentwicklung widerspiegeln, lagen die längerfristigen umfragebasierten Erwartungen in den vergangenen Quartalen weitgehend stabil bei knapp unter 2 %6. Die an den Finanzmärkten beobachtbare Inflationsprämie hat in den letzten Wochen zumindest weniger nachgegeben als im Zuge des Ölpreisrückgangs Ende 2014. Eine feste Verankerung der Inflationserwartungen ist entscheidend. Denn sie stellt sicher, dass vorübergehende Bewegungen der Inflationsraten nicht in Zweitrundeneffekten auf die Löhne und Preise durchschlagen und sich damit verstetigen. „Störungen im Transmissionsprozess der Geldpolitik scheinen allmählich an Bedeutung zu verlieren.“ • Gegenüber seinen wichtigsten Handelswährungen hatte der Euro-Wechselkurs im Umfeld der Ankündigung von QE im Januar 2015 stark abgewertet und erreichte seinen Tiefpunkt Mitte April 2015.7 Diese nominale Abwertung des effektiven Euro ging dabei zu einem maßgeblichen Teil auf die Entwicklung des bilateralen Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar zurück (transatlanti- Diese Berechnung zielt ausschließlich auf den Effekt der Senkung des Einlagenzinssatzes ab und umfasst daher nicht die Erweiterung des Universums um Anleihen regionaler und lokaler Gebiets körperschaften. Stand: 13. Januar 2016. Datenquelle: Bloomberg. 4 Umfasst Wertpapiere, die unter den Ankaufprogrammen PSPP und Securities Markets Programme (SMP) erworben wurden, sowie nicht marktfähige Forderungen in Euro an öffentliche Haushalte, stammend aus den Jahren vor 1994. Seit dem Jahr 1994 ist den nationalen Zentral banken sowohl die Bereitstellung von Kreditfazilitäten an Staaten als auch der direkte Primärankauf von Staatsanleihen untersagt. 5 Die Prognose für den längerfristigen Inflationsausblick bis zum Jahr 2020 wurde in der jüngsten Umfrage für das erste Quartal 2016 leicht nach unten revidiert, auf 1,8 % von zuvor 1,9 %. 6 Gemessen am nominalen effektiven Wechselkurs (NEER). Der NEER wird auf Basis gewichteter Durchschnitte der relativen Veränderungen bilateraler Wechselkurse des Euro gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner des Euro-Währungs gebiets berechnet. 7 Schaubild 3: Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte kommt allmählich in Gang Kreditvergabestandards (+ Verschärfung) Bank Lending Survey* signalisiert großzügigere Kreditbedingungen Buchkredite an den privaten Sektor legten zuletzt kräftig zu 80 15% 60 10% 40 5% 20 0% 0 –20 –5% 2004 2006 2008 2010 Wohnungsbaukredite Konsumentenkredite Unternehmenskredite 2012 2014 2016 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 Euroraum: Unternehmenskredite (% j/j) Euroraum: Kredite an private Haushalte (% j/j) Euroraum: Geldmenge M3 (% j/j) *) Vierteljährliche Umfrage der EZB zum Kreditgeschäft der Banken. Ein negativer Wert bedeutet, dass die Summe des Prozentsatzes der expansiven Antworten die Summe des Prozentsatzes der restriktiven Antworten übersteigt. Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft. Quellen: Datastream, AllianzGI Global Capital Markets & Thematic Research. 3 Fokus: Tauziehen am Euro-Rentenmarkt sche Divergenz der Geldpolitik). Trotz der seither zu beobachtenden Aufwertungstendenz – jüngst im Zuge positiver konjunktureller Stimmungsindikatoren und der Marktenttäuschung über den Umfang der im Dezember 2015 beschlossenen EZB-Stimuli rentiert der handelsgewichtete EuroWechselkurs noch immer etwa 4 % schwächer als im Jahresdurchschnitt 2014. • Darüber hinaus kommt die Kreditvergabe der Banken an den Privatsektor allmählich in Gang (siehe Schaubild 3). In den Monaten Oktober und November legten die Buchkredite kräftig zu, und die entsprechende Jahresrate erhöhte sich auf 1,3 %. Die neueste EZB-Umfrage zum Kreditgeschäft für das erste Quartal 2016 lässt auf großzügigere Kreditbedingungen und eine weitere Zunahme der Unternehmenskreditnachfrage hoffen. Kurzum: Störungen bei der Übertragung geldpolitischer Impulse auf die Wirtschaft scheinen allmählich an Bedeutung zu verlieren. Im Jahresverlauf dürften aufwärtsgerichtete Basis effekte und die erwartete moderate Ölpreiserholung zu geringeren negativen Beiträgen der Energie komponente im Verbraucherpreisindex führen. Darüber hinaus wird sich die graduelle Besserung am Arbeitsmarkt nach und nach in moderaten Lohnsteigerungen niederschlagen. Geduld ist gefragt. Geldpolitischer Handlungsspielraum: Luft wird dünner Gleichzeitig könnte sich die EZB angesichts der wirtschaftlichen Schwäche in einer Reihe von Schwellenländern, der niedrigen Rohstoffpreise und der Unruhe an den globalen Finanzmärkten veranlasst sehen, ihre zur März-Sitzung erscheinenden überarbeiteten Projektionen für Konjunktur und Inflation, die erstmals bis zum Jahr 2018 reichen werden, nach unten zu korrigieren. Bereits die Antizipation einer Abwärtsrevision dürfte am Markt die Spekulationen in Richtung einer weiteren Lockerung der Geldpolitik – etwa in Form einer Aufstockung der monatlichen QE-Ankaufvolumina von derzeit 60 Mrd. Euro oder einer Verlängerung des Kaufprogramms über März 2017 hinaus – aufrechterhalten. Die höhere Zentralbanknachfrage würde voraussichtlich flankiert durch eine weitere Vertiefung und Verbreiterung des Universums ankaufbarer Anleihen, z. B. um Unternehmensanleihen, oder eine nochmalige Senkung des Einlagensatzes. Fazit: Noch hat die EZB ihren Handlungsspielraum nicht ausgereizt. Die Luft wird jedoch dünner. Nicht zuletzt dürften weitere unkonventionelle Maßnahmen mit einer abneh- menden ökonomischen Wirkung und steigenden Risiken für die Finanzstabilität einhergehen. Handeln Der Markt für Euro-Staatsanleihen erscheint angesichts des Tauziehens verschiedener Kräfte weiterhin rückschlaggefährdet bzw. schwankungsanfällig. Dennoch dürfte der Effekt der finanziellen Repression eine Wiederannäherung der Anleihenrenditen an die nominalen Wachstumsraten – und damit „neutrale“ Niveaus – noch für längere Zeit verhindern. Die Renditesuche geht weiter. Auch in volatilen Zeiten sind langfristig orientierte Anleger daher gut beraten, auf der Risikoleiter einige Stufen nach oben zu klettern. Auf Dividendenausschüttungen zu setzen, ist dabei eine bewährte Strategie, um die Schwankungsanfälligkeit zu senken. Der AllianzGI QE Monitor Im Rahmen des QE Monitor von Allianz GIobal Investors wird regelmäßig der Fortschritt des Anleihenkaufprogramms der EZB mit Blick auf die Gesamtwirtschaft und das Marktumfeld analysiert. → Link: QE Monitor Impressum Allianz Global Investors GmbH Bockenheimer Landstr. 42 – 44 60323 Frankfurt am Main Global Capital Markets & Thematic Research Hans-Jörg Naumer (hjn), Ann-Katrin Petersen (akp), Stefan Scheurer (st) Weitere Informationen rund um die Kapitalanlage erhalten Sie direkt unter: www.allianzgi.de Allianz Global Investors www.twitter.com/AllianzGI_DE Januar 2016 4 Weitere Analysen von Global Capital Markets & Thematic Research Aktives Management →→ „It‘s the economy, stupid!” Anlagestrategie und Investment →→ Aktie – die neue Sicherheit im Depot? →→ Die veränderte Natur der Aktienmärkte und die Anforderungen für ein noch aktiveres Management →→ Dividenden statt Niedrigzinsen →→ Vereinnahmung von Risikoprämien bei der Aktienanlage →→ Aktives Management Alternatives →→ Gründe für alternative Investments →→ „QE“ – Startsignal für Anlagen im Euroraum? 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