3 Berliner Zeitung · Nummer 225 · 26./27. September 2015 ·· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·· Seite 3 S IDE. Der Hartmut wankt. Und entscheidet für sich, dass es wohl besser ist, sich fallenzulassen und auf allen Vieren weiterzurobben. Vorbei an Sonja, die sich ebenfalls in Hundehaltung übers Deck bewegt und ziemlich blass im Gesicht geworden ist. Die zwei lächeln sich an, als sich ihre Blicke treffen. Das bisschen Übelkeit – was soll’s. Pur-Fan Sonja und Hartmut Engler, der Sänger der Band, werden schließlich halb liegend zusammen fotografiert. In drei Anläufen, weil es auch den Handy-Fotografen auf der schwankenden „Sultan“ immer wieder umhaut. Ein Treffen auf Augenhöhe war zwar geplant, aber doch nicht unbedingt so, dass man sich gleich schwindelig ineinander verhaken muss. Es ist Tag vier der einwöchigen „Pur-Fan-Reise“ im Ort Side an der Südküste der Türkei, es geht mit einem rot leuchtenden Piratenschiff-Nachbau hinaus aufs offene Meer. „Ich wusste bis heute nicht, dass ich seekrank werden kann“, sagt Hartmut Engler, als er Hand in Hand mit seiner standfesteren Freundin Katrin nach ein paar Stunden von Bord geht. Sonja und rund hundert weitere EnglerAnhänger, die die Tour mitgemacht haben, sind um einige Erfahrungen reicher. Sie wissen nun, wie ihr Lieblingssänger in Badehose aussieht. Dass er von seinem „Schatz“ manchmal sanft ermahnt wird („Bist du eingecremt?“). Und wie doppelbödig er das mit der Song „Die Welle“ meint, der sich auf dem gerade erschienenen Pur-Album „Achtung“ befindet und das Thema Selbstrespekt behandelt. „Spür die Welle, den Atem, den Herzschlag, tauch ein, mein Freund, tauch ein …“ Als er einen Tag später den Refrain singt, hat Hartmut Engler schon wieder Holz unter den Füßen. Diesmal auf festem Grund. Es ist 22 Uhr, Showtime im Ferienclub Aldiana. Statt dass wieder die MusikComedy-Revue „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ in Pool-Nähe läuft, wurde eigens eine Konzertbühne auf dem nahen Fußballplatz errichtet. Um Mitternacht herrschen noch 28 Grad unterm Sternenhimmel, und Pur haben bis dahin fast alle Songs des neuen Albums und viele ihrer Hits dargeboten. Die 700 Fans vor der Bühne wirken selig. Viele haben glühende Wangen, von der Sonne und vom Mitfiebern. Entlang der Absperrzäune stehen türkische Bedienstete des Clubs und staunen über diese deutsche Touristengruppe. Tagsüber Sonnendöser ohne Verhaltensauffälligkeiten, wirkt das Ganze nun wie ein aufgedrehter Chor beim Betriebsausflug. Der bei Klassikern wie „Lena“ oder „Funkelperlenaugen“ auch den Sänger auf der Bühne immer wieder überstimmt. CARSTEN KLICK (2) Und jetzt alle mal Hände hoch: Die Stimmung ist so blendend wie das Lächeln des Pur-Sängers Hartmut Engler (M., mit Basecap). Spür die Welle Die Band Pur macht in der Türkei Cluburlaub mit 700 Fans. Und die sind selig, ihre Idole nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Badehose zu erleben Selbstgehäkeltes für die Musiker VON UWE KILLING Autogramme fürs Poesiealbum Pur spielen normalerweise in großen Hallen und Open-Air-Arenen. Da bilden 700 Leute am Mittelmeerstrand einen geradezu intimen Rahmen. Um dabei zu sein, hat jeder Teilnehmer für die All-Inclusive-Clubwoche mehr als tausend Euro bezahlt. Dafür dürfen sie mit den sieben Bandmitgliedern aber auch tagelang schwimmen und planschen, segeln oder ein Rafting-Boot besteigen. Gemeinsam Cocktails trinken, am Strand tanzen und – natürlich auch das – sich Autogramme auf die T-Shirt-Brust oder ins Poesie-Buch schreiben lassen, ohne dass wie sonst von den Ordnern zur Eile gemahnt wird. „Das ist wirklich speziell, jetzt hier vor euch aufzutreten, nachdem wir schon ein paar Tage Urlaub gemeinsam verbracht haben“, sagt Hartmut Engler zu Beginn des Konzerts. Engler, schon mit MallorcaBräune angereist (wo er ein Haus besitzt), wirkt entspannter als mancher Profi-Animateur hier. Und er lacht kurz in sich hinein, als er im Publikum offenbar auch Sonja sichtet. Genau, die Frau vom Boot, die später ihren Lieben daheim ganz stolz dieses Foto von sich und dem torkelnden Hartmut zeigen wird. Das Bild wirkt nach. Könnte man sich Herbert Grönemeyer in solch einer Situation vorstellen? In Bermuda-Shorts, Arm in Arm mit aufgeregten Fans? Wohl kaum. Und das muss ja auch nicht sein. Popstars haben wie jeder Mensch ein Recht auf Privatsphäre, und wenn es sie in die Öffentlichkeit zieht, treffen sie sich dazu in der Regel mit ausgewählten Journalisten an einem exklusiven Ort. Als die Plattenbranche noch in Saus und Braus lebte, war es keine Besonderheit, dass beispielsweise Marius-Müller Westernhagen für ein paar Tage nach Venedig einlud, um zwischen Gondel-Fahrten und feinen Häppchen sein neues Liedgut zu präsentieren. Tag eins endet mit einer kleinen Gesangsdarbietung. „Happy birthday, happy birthday …“ geben die Bandmitglieder den Stevie-Wonder-Chor. Dann überreichen sie eine Geburtstagstorte an Irene. Die bringt vor Rührung keinen Ton heraus. 60 Jahre ist Typ im dunklen Heavy-Metal-Outfit. „Der Ralf“ ist der offizielle Fan-Beauftragte. Er wohnt im schwäbischen Asperg und kennt die Jungs, die alle aus dem Nachbarort Bietigheim-Bissingen stammen, seit den Anfangstagen. 1975 ging es los, da tingelten sie unter dem Namen Crusade durch die Jugendheime rund um Stuttgart. „Live hat Pur schon immer gerockt, viel mehr als auf den Platten“, sagt Ralf Pullmann, der im bürgerlichen Leben Justizvollzugsbeamter ist und zu Hause gerne den Sound von Motörhead sehr laut aufdreht. Vor 30 Jahren habe er eigentlich einen Lindenberg-Fanclub aufbauen wollen, doch Udo habe das leider nicht gefördert: „Der meinte, ich solle mich lieber bei Greenpeace engagieren.“ So hat er seine Dienste den Lokalmatadoren angeboten – und ihren Höhenflug begleitet. Plötzlich spielten Pur vor 100 000 im Vorprogramm von Tina Turner, und die Kumpels aus Schülertagen konnten sich Einfamilienhäuser in Bietigheim-Bissingen bauen. Der Song „Abenteuerland“ brachte 1995 den endgültigen Durchbruch für ihren Deutschpoprock mit Wohlfühlextrakt. Die eingängigen Texte des Ex-Lehramtsstudenten (Deutsch und Englisch) waren weit genug vom Schlager entfernt, griffen auch Themen wie Umweltzerstörung oder Gewalt gegen Frauen auf und spiegelten in den Folgejahren vor allem Hartmut Englers Seelenzustände wieder: Vatergefühle, Beziehungen und Trennungen, Himmel-auf-Erden-Momente, aber auch eine schwere Lebenskrise mit Depressionen. Das Gefühlige, diese ganze Pur-Versöhnlichkeit ist vielen Popkritikern immer ein Graus gewesen, aber genau das wird von den Fans geschätzt. Das vermeintlich Uncoole, aus Schwaben zu kommen, und nicht wie die Toten Hosen aus Düsseldorf oder Die Ärzte aus Berlin, bietet vielen eine Identifikation. „Streich mir etwas Sonne auf frischgebackenes Brot, ich wusste gar nicht mehr, wie gut das schmeckt“, heißt es in einem Song des neuen Albums. Das ist Pur pur. Man bekennt sich zur Provinz und erhebt sich nicht über sein Publikum. Und das zeigt sich darin, dass Pur entgegen dem Trend kontinuierlich gut CDs verkaufen, bis heute mehr als zwölf Millionen Stück, was weder die Hosen noch die Ärzte geschafft haben. Treffen auf Augenhöhe: der Engler im Gespräch an Bord. sie geworden. Kurze Haare, große Brille, warmes, schüchternes Lächeln, gewöhnlich nicht der Typ Frau, der Tätowierer aufsucht. Doch „PUR“, die verzierten Buchstaben auf ihrem linken Oberarm, sind ihr wichtig. „In einer schwierigen Phase meines Lebens hat mir ein bestimmtes Lied von Pur sehr geholfen“, sagt Irene, die aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Bremerhaven kommt. „Da werde ich von manchen auch schief angeschaut, aber ich lasse mir meine Liebe zu Pur von niemanden nehmen.“ Sie sitzt an einem Tisch von zehn Gleichgesinnten aus ganz Deutschland, die über eine Pur-Facebook-Gruppe täglich miteinander kommunizieren und sich nun wie bei einer großen Familienfeier fühlen. Als der Kuchen angeschnitten wird, sagt Thomas aus Gera: „Hoffentlich schafft es Ingo noch.“ Ingo Reidl, das ist der Tastenmann von Pur, der auch überwiegend die Stücke komponiert. Er hat Flugangst und werkelt am OW HR IN TELT BOTE ..15 | 12-18 U TANGE 09 RABAT 8 UHR & 27.0 5 | 9-1 26.09.1 K PENIC R T IN KÖ 5 | 12-18 UH ERFES 9.1 OKTOB UHR & 27.0 8 -1 5|9 26.09.1 ! i König e b f u a erk chlussvt Anzahlung! ault TWINGO s r e m r Ren Som einen Cen ² 5-Türe e 70 eco ique SC Dynam Ohne 7 9€ * s ngrate asi iche Le monatl zahlung n A ohne „Pur-Lieder sind wie Balsam für mich. Weil ich den Eindruck habe, dass sie von meinem Leben handeln und gleichzeitig tröstlich sind.“ Elke aus dem Fanclub „Streich mir etwas Sonne auf frischgebackenes Brot, ich wusste gar nicht mehr, wie gut das schmeckt.“ Ein Song vom neuen Pur-Album liebsten im Heimstudio vor sich hin. Solche Dinge wissen hier alle. Und jetzt hat sich der arme Ingo auch noch eine Erkältung eingefangen. Er soll nachkommen. Am zweiten Abend spielt vor der Bar die Band Tonsport, vier Jungs mit trendigen Bärten und eng sitzenden T-Shirts. Neben ihren eigenen Stücken haben sie viele Soulund Rockklassiker drauf. Das hebt die Stimmung, auch Hartmut Engler tanzt ausgiebig, bis er auf einmal das Mikro übernimmt. „Little Pepper“ heißt die hippieselige, rhythmisch sehr eingängige Nummer aus den Siebzigern. Engler bearbeitet dazu eine Gitarre, wie er das jüngst auch bei der VoxShow „Sing meinen Song“ an der Seite von Tauschgesangs-Partnern wie Xavier Naidoo (der nun als Duettpartner auf dem neuen Pur-Album vertreten ist) getan hat. Der unbekümmerte, für Minuten von der Leine gelassene Rocker steht Engler, 53, gut. Vor der Tanzfläche steht ein grauhaariger Die treuesten Fans sind Frauen, und die geben auch bei der ausgelassenen Abenteuerland-Stimmung im Aldiana-Club den Ton an. Sie sind mit Freundinnen angereist, aber viele auch im Paar. Fan-Oldie Ralf betreibt da seine eigene Feldstudie: „Viele Typen gehen aus Gefälligkeit mit. Sie wirken erst etwas verloren, doch dann wundern sie sich, dass sie von der Musik gepackt werden.“ Elke, Single, Ende 40, aus der Nähe von Kassel, gehört zur hyperaktiven FacebookGruppe. Die passionierte Marathon-Läuferin steht auch hier bereits um sechs Uhr auf, um ihre Trainingskilometer zu absolvieren. Im Kopfhörer: Pur, was sonst. Sie arbeitet in der Jugendpsychiatrie: „Das ist ein sehr harter Job. Pur-Lieder sind dann wie Balsam für mich. Weil ich den Eindruck habe, dass sie von meinem Leben handeln und gleichzeitig tröstlich sind.“ Am Abend vor dem Konzert trifft Ingo ein. Großes Aufatmen. Auch beim Uli, dem Manager von Pur. Der Zwei-Meter-Mann Ulrich Roth gehörte einmal zu Deutschlands besten Handballern (Silber bei den Olympischen Spielen 1984) und wirkt hier wie ein Fels in der Brandung. Auch auf die zwanzigste Frage „Wie geht es Ingo?“ und jede Bitte reagiert er gleichbleibend freundlich. Er weiß, wie wichtig die Fan-Basis für den Erfolg ist, und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Nähe nicht überstrapaziert wird. „Wir sind alle sehr unterschiedlich, kennen nach so vielen Jahren unsere Schwächen “, bestätigt Hartmut Engler, „Ingo sind beispielsweise viele meiner Texte zu kitschig, aber als Freunde funktionieren wir. Und das ist entscheidend.“ Elke und Ingo begrüßen sich sehr herzlich. Die zwei kennen sich aus vielen Begegnungen, und Ingo, noch immer etwas verschnupft, wirkt wie der zerstreute Professor, der die innige Umarmung in dem Moment sehr genießt. Vor einigen Monaten hat ihm Elke eine selbstgehäkelte Mütze geschickt, und es gibt ein Foto das zeigt, dass er diese auch aufgesetzt hat. Daran hatte auch Ute ihren Anteil, Hartmuts ältere Schwester und die Garderobenfrau von Pur. Eigentlich eine ziemlich normale Familie, diese Pur-Fan-Gemeinschaft, denkt man bei der Abreise. Und auch Ralf hatte recht: Der Mann, der mit Frau und Tochter angereist war und am ersten Tagen etwas blass und missmutig wirkte, ist bestens gelaunt. Und er setzt sich tatsächlich mit dem neuen türkisfarbenen Fan-Shirt in den Flieger nach Berlin. 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