Inhalt 1 Zeitschrift für Medizinethnologie Journal of Medical Anthropology hrsg. von/ed. by Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin (AGEM) Inhalt / Contents Vol. 31 (2008) 2+3 Doppelheft / Double Issue Die fremden Sprachen, die fremden Kranken: Dolmetschen im medizinischen Kontext Foreign Languages, Foreign Patients: Interpreting in a Medical Context Herausgeber / Guest-editors: Alexander Bischoff & Bernd Meyer Die Autoren dieses Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Editorial Alexander Bischoff & Bernd Meyer: Die fremden Sprachen, die fremden Kranken: Dolmetschen im medizinischen Kontext / Foreign Languages, Foreign Patients: Interpreting in a Medical Context . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Artikel Franz Pöchhacker: Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin . . 000 Martina Kamm & Bülent Kaya: Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von Migranten/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Margareth Lin & Karl Mutter: Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth & Sylvie Schuster: Der Dialog zu Dritt: PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute in der Universitäts-Frauenklinik Basel . . . . . . . . . . . 000 Şebnem Bahadır: Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer & Jürgen M. Pelikan: Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus: Europäische Implementierungs- und Evaluationserfahrungen . . . 000 Claudio Baraldi & Laura Gavioli: Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems in Interpreter-mediated Interactions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 curare 31(2008)2+3 Inhalt 2 Joseph Kaufert & Patricia Kaufert: The Story of a “Trouble Case”: Language, Culture and the Problems of Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Yvan Leanza: Community Interpreter’s Power. The Hazards of a Disturbing Attribute . . . . . . . . . 000 Christine Anthonissen & Bernd Meyer: Ärzte fragen, Patienten antworten (nicht immer): Kommunikation in einem südafrikanischen Gesundheitsposten für Antiretrovirale Therapie . . . . . 000 Dokumentationen Reprint nach 30 Jahren: Ute Luig: Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda. . . . . . . . . . . 000 Reprint nach 20 Jahren: Antonio Morten: Transkulturelle Psychiatrie und Migrationspsychiatrie – Berührungsängste in einer Klassenpsychiatrie? Ein Versuch, durch interkulturellen und interdisziplinären Austausch psychosoziale Handlungskompetenz zu erlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Berichte / Reports . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Buchbeprechungen / Book Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentations . . . . . 000 Zeitschrift Ethnologia Americana (Düsseldorf), Titel medizinethnologischer Artikel . . . . . . . . 000 Zeitschrift Shaman (Budapest), Artikeltitel ausgewählter Hefte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Kurskatalog medicine & health (Wien), Artikel 2002-2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 MAGEM 31/2008 (Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin) . . . . . . . . . . . . . 000 Dokumentationen 30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten III (Documentation selected Titles): „Der Heilkundige und sein Patient / The Healer and his Patient“ [Dan Acierto – ein philippinischer Geistheiler; Reprint Curare 5(1982)2] // Schulmediziner in Mitteleuropa, z.B. im Heilstollen von Bad Gastein/Salzburger Land [Reprint Curare 6(1983)4] // Valentine Bao, Heilerin in Tolanaro/ Madagaskar [Reprint Curare 7(1984)2] // Heiler aus Tonga [Reprint Curare 11(1988)3] . . . . . 000 30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten IV (Documentation selected Titles): „Ethnojatrie: Heilerpersönlichkeiten / Ethnoiatrics: Healing Personalities“ Ein nepalesischer Jhakri (Zauberarzt) trommelt sich in Trance. Wacholderrausch als Kultmittel bei Zeremonien [Reprint Curare 4(1981)4] die vier Titel] // Der mythologische Häuptling von Ailicandi mit Zeremonialstab [Reprint Curare 7(1984)1] // Frau Konin Murahashi, Acarya des MikkyoBuddhismus [Reprint Curare 10(1987)3] // Der Heilkundige Koae Rabau aus Arabure [Reprint Curare 3(1980)3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 Résumés des articles de curare 31 (2008) 2+3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000 VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Inhalt 3 Zum Titelbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U2 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U2 Hinweise für Autoren / Instructions for Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U3 Collage : 30 Jahre Curare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U4 Endredaktion: Ekkehard Schröder Redaktionsschluss: 30.06.2008 Die Artikel in diesem Heft wurden einem Reviewprozess unterzogen / The articles of this issue are peer-reviewed curare 31(2008)2+3 4 Die Autorinnen und Autoren in curare 31(2008)1 Alex Gabi, Dr. phil., Ethnologin. Südasien Institut, Abteilung für Ethnologie, Im Neuenheimer Feld 330, 69120 Heidelberg e-mail: [email protected] pp. xy Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes Okamoto Ikumi, School of Nursing and Midwifery, University of Southampton, Highfield Southampton SO17 1BJ e-mail: [email protected] pp. xy Alnæs Anne Hambro, Section for Medical Ethics, Institute of General and Community Medicine, Medical Faculty, Oslo University, e-mail: [email protected], or [email protected] pp. xy Alvarez Santiago, ca311 Alvarez, Santiago e-mail: [email protected] pp. xy Bloom Maureen, Royal anthropological Institute, London e-mail: [email protected] pp. xy Edgar Jain, Department of Anthropology, University of Durham, 43, Old Elvet, Durham DH1 3HN, UK [email protected] pp. xy Halbmayer Ernst, Department for Cultural and Social Anthropology, University of Vienna Universitätsstrasse 7/IV, A - 1010 Vienna, Austria e-mail: [email protected] pp. xy Heald Suzanne, Crisis States Research Centre, London School of Economics, Houghton Street, London WC2A 2AE e-mail: [email protected] pp. xy Klaits Frederick, University Writing Program, Duke University, Box 90025, Durham, NC 27708, U.S.A. e-mail: [email protected] pp. xy VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Introduction 5 Editorial: Die fremden Sprachen, die fremden Kranken: Dolmetschen im medizinischen Kontext Alexander Bischoff & Bernd Meyer Mit den Ärzten in der Muttersprache reden. Angst und Fremdsprache, das passt nicht zusammen. (Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon) Die Hauptperson aus Merciers Roman Nachtzug nach Lissabon, der Lehrer und Altphilologe Gregorius, ist in Lissabon krank geworden. Deshalb telefoniert er mit seinem Hausarzt in Bern. Dieser, ein gebürtiger Grieche, rät ihm, nach Hause zu kommen. Nicht weil portugiesische Ärzte nicht auch die nötigen Abklärungen vornehmen könnten, sondern eben weil „Angst und Fremdsprache“ nicht zusammen passen würden. Gregorius hat die Möglichkeit nach Hause zu gehen, und in seiner Muttersprache zu sprechen, in seiner eigenen, vertrauten, und unfremden Sprache. Diese Möglichkeiten haben fremdsprachige Patienten in aller Regel nicht, jedenfalls nicht die, die aus ihrem Vaterland und ihrer Muttersprache geflohen sind und in einem fremden Land gelandet sind. Viele erfahren dort schmerzlich am eigenen Leib, wie Angst und Fremdsprache nicht zusammen passen. Dolmetschen ist dann eines der Mittel, den Graben zwischen diesen zwei nicht zusammenpassenden Realitäten zu überbrücken. Es ist nicht das einzige Mittel, aber sicherlich das am nächsten liegende. Die hier erwähnten Arbeiten sind natürlich nur eine Auswahl; wichtige Vorarbeiten wurden von diskursanalytisch geprägten Autoren geleistet. In diesen Arbeiten wird gezeigt, dass die Beteiligung von Dolmetschern einen Einfluss auf die Inhalte und den Verlauf von Arzt-PatientenGesprächen haben kann, vgl. etwa Prince, Rehbein 1985, 1986, oder Wadensjö 1998, um nur einige zu nennen. Über das Dolmetschen im Krankenhaus ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Die Grundlagen sind inzwischen erarbeitet. Sprachbarrieren werden im klinischen Alltag zwar vermehrt wahrgenommen, doch Belege, dass sie auch direkte klinische Auswirkungen haben können, liegen erst seit kürzerer Zeit vor. Ein paar Studien seien hier erwähnt; die wissenschaftlichen Arbeiten illustrieren auf ihre Weise, was die Literatur poetisch formuliert: Sprachbarrieren stellen ein bedeutencurare 31(2008)2+3: 5-7 des Risiko für die Patientensicherheit dar, wie eine minutiöse Untersuchung von Zwischenfällen („adverse events“) in sechs großen US Krankenhäusern ergeben hat (Divi et al. 2007). Fremdsprachige Patienten erhalten weniger schnell Termine für Nachsorgeuntersuchungen (Sarver & Baker 2000), erscheinen weniger zu Nachsorgeterminen (Pitkin & Baker 2000) und halten sich weniger an die Medikamentenverordnung (David & Rhee 1998, Manson 1988). Die Wahrscheinlichkeit, dieselbe Klinik bei erneuter Krankheit wieder aufzusuchen, ist bei fremdsprachigen Patienten deutlich geringer, weshalb die Kontinuität in der Behandlung gefährdet ist (Andrulis, Goodman & Pryor 2002, Carrasquillo et al. 1999). Viele Kliniken werden nur im wirklichen Notfall von fremdsprachigen Patienten aufgesucht (Gerrish et al. 2004). Fremdsprachige Patienten nutzen präventive Angebote, z. B. Brustuntersuchungen, seltener (Jacobs et al. 2005, Woloshin et al. 1997). In einer Untersuchung über die Kommunikation mit Asylsuchenden war zu beobachten, dass bei Abwesenheit einer dolmetschenden Person deutlich weniger psychische Krankheitssymptome benannt werden, als in Dolmetschervermittelten Sprechstunden (Bischoff et al. 2003). Eine beträchtliche Anzahl von Studien hat sich schliesslich mit der Problematik der Adherence und der Patientenzufriedenheit bei vorhandenen Sprachbarrieren beschäftigt. Die Übereinstimmung der gefundenen Resultate ist in diesem Punkt besonders augenfällig: praktisch durchgehend sind fremdsprachige Patienten mit dem Klinikpersonal und der Institution weniger zufrieden als die Referenzgruppen, d. h. die englischsprechende Patienten (Baker, Hayes & Fortier 1998, Morales et al. 2006). Dass Verständigungsschwierigkeiten zu einer geringeren Therapietreue und zu einer tiefen Patientenzufriedenheit führen, zeigen auch Rivadeneyra et al. (Rivadeneyra et al. 2000). Viele dieser Probleme können durch den Beizug von Dolmetscherinnen und Dolmetschern angegangen werden. Qualifizierte Dolmetschende tragen zur besseren Versorgungs- und Pflegequalität bei. Soviel steht ei- 6 nigermaßen fest. Es gibt zwar nicht viele, aber doch einige dem quantitativen und biomedizinischen Ansatz verpflichtete Studien, die die verbesserte Quality of Care dokumentieren. Was aber unseres Erachtens fehlt, sind Tiefenblicke. Was geschieht in einem medizinischen Kontext, wenn Dolmetscherdienste eingeführt werden? Wer soll dolmetschen? Wie soll man mit den Dolmetschenden zusammenarbeiten? Was geschieht in der triadischen Kommunikation zwischen Gesundheitsfachleuten, Patientinnen und Dolmetschenden? Dieses Curare-Heft vereinigt einige solche Tiefenblicke. Es sind Artikel vor allem qualitativer Art, oft in Form von Fallstudien und Kasuistiken. Wir freuen uns über die Vielfalt von Kontexten, die in den Beiträgen beschrieben werden. Ebenso groß ist die Vielfalt der Autorinnen und Autoren, die wir für einen Artikel gewinnen konnten. Die Zeitschrift Curare ist ja eigentlich der Diversität, der Vielfalt, verpflichtet, und eignet sich darum ganz besonders für ein Thema dieser Art. Der Editor-in-chief ist ein Nervenarzt, die guest-editors sind Gesundheits- und Pflegeforscher und Linguist, die Autorinnen und Autoren sind allesamt ausgewiesen Forscherinnen und Forscher aus folgenden alphabetisch und nicht als Rangliste geordneten Fachgebieten: Anthropologie, Dolmetschen, Geschichte, Linguistik, Medizinethnologie, Politologie, Psychologie, Soziologie, und Translationswissenschaft. Im Folgenden sind Beiträge aus deutschsprachigen Ländern, sowie aus Italien, aus Kanada und aus Südafrika zu finden. Sie sollen hier ganz kurz vorgestellt und eingeführt werden: In seinem Artikel mit dem Titel „Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin“ stellt der Wiener Dolmetschwissenschaftler Franz Pöchhacker den Fall eines Gesprächs mit einer Migrantenfamilie in einer logopädischen Praxis dar, in dem es um die Sprachentwicklung eines der Kinder der Familie geht. Als Kommunikationshilfe fungiert eine Nichte der Mutter, die als Wiener Teenagerin über gute Deutschkenntnisse verfügt. Pöchhacker zeigt, wie aufgrund der unklaren Rollenverteilung eine Reihe von Missverständnissen entstehen, die den Beteiligten allerdings gar nicht auffallen – während das Gespräch im Rückblick und aus der analytischen Perspektive kaum als erfolgreich bezeichnet werden kann, erschien es für die direkt Betroffenen, die Logopädin und die Familie normal und unproblematisch. Alexander Bischoff & Bernd Meyer Martina Kamm und Bülent Kaya vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von Migranten/innen“ mit den informellen Kompetenzen von Pflegekräften mit Migrationshintergrund. Am Beispiel einer Rehabilitationsklinik zeigen die Autoren, dass diese Klinikangestellten aufgrund ihrer informellen sprachlichen Ressourcen einen „substanziellen Beitrag zum Heilungserfolg“ leisten können. Margareth Lin und Karl Mutter (Frühberatung und Heilpädagogischer Dienst der Stadt Basel) diskutieren den „Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung.“ Sie heben hervor, dass interkulturelle Vermittlung in der Beratungsarbeit fundamentale Bedeutung hat, da die Klienten meist nicht über das nötige Wissen verfügen, um Beratungsangebote zu verstehen und gezielt zu nutzen. Auch die divergierenden „Alltagspsychologien“ der Klienten erfordern nach ihrer Auffassung eine intensive Vermittlung, um zu einer Verständigung im Rahmen der institutionellen Kommunikation zu kommen, aber auch um überhaupt das Gespräch mit den Klienten im notwendigen Umfang zu ermöglichen. Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth und Sylvie Schuster (Universität und Universitätsspital Basel) fragen in ihrem Beitrag „Der Dialog zu Dritt: Patientinnen, Dolmetscherinnen und Gesundheitsfachleute in der Universitäts-Frauenklinik Basel“ danach, wie Ärzte und Dolmetscher im Gespräch zusammenarbeiten. Auf der Basis von Interviews mit Ärzten und anderen Gesundheitsfachleuten zeigen sie auf, dass die an der Klinik tätigen professionellen Dolmetscher über die sprachliche Vermittlung hinaus häufig auch zwischen den verschiedenen Wissensbeständen und Erfahrungen der Ärzte und Patienten vermitteln müssen. Şebnem Bahadır von der Universität Mainz stellt in ihrem Beitrag „Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern“ Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Dolmetscher vor, die auf „Kommunikationskompetenz und Empathiebildung“ abzielen. Im Mittelpunkt steht das Forum-Theater nach Augusto Boal als eine Methode, mit der die verschiedenen Kulturen der an einem gedolmetschten Gespräch Beteiligten inszeniert und wahrgenommen werden können. Dabei stellt Bahadır die Leiblichkeit der VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Editorial Dolmetscher in den Vordergrund, die eben nicht unsichtbare und unbeteiligte Dritte sind, sondern als Personen, die eine eigene Biografie verkörpern, in die Interaktion eintreten. Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer und Jürgen M. Pelikan vom Wiener Ludwig Boltzmann-Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie beschreiben in ihrem Artikel „Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus: Europäische Implementierungs- und Evaluationserfahrungen“ wie Dolmetschtätigkeiten besser in die Arbeitsabläufe in Krankenhäusern integriert werden können. Ihre Studie wurde im Rahmen des europäischen Projektes “Migrant Friendly Hospitals” durchgeführt und setzte mit Interventionen in bestehenden Angeboten an, die in der Folge evaluiert und verbessert wurden. In dem sie eine organisationssoziologische Perspektive einnehmen, betonen die Autoren die Bedeutung der organisatorischen Rahmenbedingungen, sowie der internen Kommunikationsprozesse für die Verbesserung der Kommunikation mit Patienten mit Migrationshintergund. Der Soziologe Claudio Baraldi und die Sprachwissenschaftlerin Laura Gavioli von der Universitá di Modena e Reggio Emilia thematisieren in ihrem Beitrag “Cultural presuppositions and recontextualization of medical systems in interpretermediated interactions“. Ihre Kernthese lautet, dass in den von ihnen beobachteten Dolmetschinteraktionen verschiedene kulturelle Systeme zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Dolmetscher als Vermittler würden je nach ihrer eigenen kulturellen Orientierung diese Systeme abschwächen oder verstärken. Die in der Studie präsentierten Daten sprächen dafür, dass Dolmetscher die Normen und Erwartungen der „medical culture“ eher verstärkten und die der Patienten zurückdrängten. Dies indem sie auf beiden Seite der Sprachbarriere jeweils dyadisch handelten. Letztlich behindere dies die Verständigung, weil dadurch patientenorientiertes Arbeiten erschwert werde. Die Soziologen Joseph und Patricia Kaufert von der University of Manitoba präsentieren in “The Story of a ‘Trouble Case’: Language, Culture and the Problems of Translation” das Scheitern einer staatlichen Familienplanungsinitiative unter den kanadischen Inuit in Baffin Island in den siebziger Jahren. Sie betonen dabei, dass das Scheitern der Initiative nicht allein schlecht arbeitenden Dolmetschdiensten zuzuschreiben sei. Vielmehr müsse curare 31(2008)2+3 7 die komplette Ignoranz der staatlichen Verantwortlichen gegenüber der Situation einer von politischen und kulturellen Umbrüchen gebeutelten Gruppe hervorgehoben werden. Diese aber sei trotz zahlreicher Verbesserungen in den letzten Jahren nicht prinzipiell überwunden. Yvan Leanza, Psychologe von der Université de Laval in Québec, diskutiert in “Community interpreter’s power. The hazards of a disturbing attribute” die Macht von Dolmetschern im Gesundheitswesen als wichtiger Mittelspersonen. Leanza nimmt dabei verschiedene Perspektiven ein und zeigt, dass diese Macht sehr verschieden und widersprüchlich wahrgenommen wird: so etwa als potentielle Bedrohung institutioneller Interessen und zugleich auch als im Widerspruch zu den Interessen der Patienten stehend. Anstatt die Macht der Dolmetscher zu fürchten und ihr aus den jeweils verschiedenen Richtungen Grenzen zu setzen, sollte es nach Auffassung des Autors vielmehr darum gehen, die “representations of what an interpreter is and his place in interventions” zu verändern und so Veränderungen der kommunikativen Praxis im Gesundheitssystem insgesamt zu fördern. Die Sprachwissenschaftler Christine Anthonissen (Stellenbosch University) und Bernd Meyer (Universität Hamburg) untersuchen in ihrem Beitrag „Ärzte fragen, Patienten antworten (nicht immer): Kommunikation in einem südafrikanischen Gesundheitsposten für Antiretrovirale Therapie (ART)“ die Rolle bilingualer Angestellter, die als sprachliche und kulturelle Mittler tätig werden. Das südafrikanische Gesundheitssystem versucht seit einigen Jahren, allen HIV-Infizierten antiretrovirale Therapien zugänglich zu machen. Dies stößt jedoch auf erhebliche Kommunikationsprobleme, da Ärzte, Gesundheitsfachleute und Patienten meist nicht denselben Sprachgruppen angehören und auch nicht immer über eine gemeinsame Lingua Franca verfügen. Die Beteiligung von Mittlern sei daher unabdingbar; ihre besondere Bedeutung für die Administration der ART schlage sich jedoch nicht in ihrem institutionellen Status nieder. Die verschiedenen Beiträge haben mindestens eines gemeinsam: Sie beschreiben Kontexte, in denen mit Übersetzung gearbeitet wird. Die recht unterschiedlichen Vorgehensweisen beim Einsatz von Dolmetschdiensten zeigen aber, dass sich weder Traditionen guter Praxis noch allgemeingültige Standards herausgebildet haben). Mehr noch: Die Alexander Bischoff & Bernd Meyer 8 Unsicherheit – oder sollen wir sagen: Scheu? – im Umgang mit Dolmetschenden ist nach wie vor gross. Dolmetschen ist noch nicht Mainstream. Dolmetschen ist etwas Ungewöhnliches. Auch Gregorius und sein griechischer Arzt möchten sich nicht auf eine Dolmetschperson verlassen. Woher rührt das? Es mag an der Hermeneutik, oder – besser gesagt – an deren Entwicklung oder Fehlentwicklung liegen. Die Hermeneutik ist die Kunst, eine gemeinsame Sprache zu finden. Die Hermeneutik ist die Kunst des Verstehens, von dem Gadamer sagt, es sei ein „Abenteuer und wie jedes Abenteuer gefährlich“. Der spanische Philosoph und Theologe Raúl Fornet-Betancourt formuliert in Hermeneutik und Politik des Fremden, ein philosophischer Beitrag zur Herausforderung des Zusammenlebens in multikulturellen Gesellschaften: „Ausgangspunkt einer Hermeneutik der Fremden sollte die Grundeinsicht sein, dass Übersetzen Bedingung für das Verstehen von Fremden ist. … In der Tat: wir müssen die Arbeit von Hermes auf uns nehmen“ (Fornet-Betancourt 2003). „Die Arbeit von Hermes auf uns nehmen“ – das geht nicht nebenbei und das ist keine Lappalie. Nicht jeder kann es diesem griechischen Gott ohne weiteres nachtun und die Vermittlung herstellen. Dazu braucht es vielmehr Voraussetzungen, wie beispielsweise Sprachenkenntnisse, einen sicheren Stand und Sensibilität. Oft sind die, die sich fremd gegenüber stehen, zu dieser hermeneutischen Leistung gerade nicht in der Lage. Sie benötigen deshalb eine dritte Person, die als Hermes dolmetschend und vermittelnd auftritt. In der griechischen Mythologie ist Hermes der Götterbote und Wortführer, der die Aufgabe hat, die Botschaften aus der fremden Welt der Götter in die Welt der Menschen zu übertragen, sie zu übersetzen, und den Menschen verständlich zu machen. Hermes wird oft für Dienstleistungen der Götter eingesetzt; er ist ein Schlitzohr (darum auch der Gott der Händler und der Wirtschaft); er ist ein Sohn des Zeus, Komplize in vielen seiner amourösen Projekte; er muss, ohne Aufsehen zu erregen, zwischen Himmel und Erde verkehren, und würde heute Kommunikationsberater, Ombudsman, oder Go-Between genannt. Ihn bezeichnet Plato als Vater aller Dolmetscher. Später wird Hermeneutes das griechische Wort für Dolmetscher, einer der handelt wie Hermes. Die Hermeneutik als Kunst des Verstehens scheint sich im Verlaufe der Zeit von Hermes getrennt zu haben. Es ist, wie wenn Hermes selbst in seiner Funktion als Dritter ignoriert und ausgeschlossen würde. Vielleicht, weil das Ambivalente des Dolmetscher-Hermes verunsichert und befremdet? Möchte man sich im medizinischen Kontext, wo man zuweilen – als Patient oder als medizinische Fachperson – schon so verunsichert, befremdet oder gar verängstigt ist, vielleicht nicht auch noch auf eine zusätzliche, dritte Person, den Dolmetscher, einlassen? Die vorliegende Sammlung mit Artikeln über die fremden Sprachen und die fremden Kranken mögen dazu beitragen, dem Dolmetschen das Verunsichernde zu nehmen und dem Hermes in der Kunst des verstehenden Vermittelns, der Hermeneutik, seinen ihm angemessenen und würdigen Platz zuzugestehen. Foreign Languages, Foreign Patients: Interpreting in a Medical Context Talking with doctors in their mother tongue. Fear and foreign language do not make a good match. (Pascal Mercier: A Night Train to Lisbon) The protagonist of the novel, the teacher and ancient philologist Gregorius, has fallen ill in Lisbon. He rings up his family physician in Berne. His family doctor, a native of Greece, advises him to come home; not because Portuguese doctors could not undertake the necessary clarifications, but because “fear and foreign language” simply do not make a good match. Gregorius has the option of going home and speaking in his mother tongue—his own, familiar, and un-foreign language. Foreign-language patients, on the other hand, usually do not have that option; at least not those, who have fled from their home country and their mother tongue and have ended up in a foreign country. Many of them expeVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Editorial rience at first hand and often painfully that fear and foreign language do not make a good match. Interpreting is a means of bridging the gap between those two realities that do not go together. It is not the only means, but the obvious one. Important spadework has been done in discourse analytical studies on interpreter-mediated doctor-patient-communication, such as Prince 1986, Rehbein 1985, 1986, or Wadensjö 1998. Much has been written about interpreting in hospitals in the past years and foundations have been laid. Language barriers have indeed been observed in everyday clinical life; evidence for the fact that those barriers can have instant clinical effects, however, has only recently become available. A few studies will be mentioned below. The articles illustrate what literature verbalises rather poetically: Language barriers constitute a significant risk for the patients’ safety. This was shown by a meticulous examination of adverse events in six big US hospitals (Divi et al. 2007). Foreign-language patients do not obtain appointments for follow-up examinations as promptly (Pitkin & Baker 2008) and do not as strictly abide by the prescription for their medications (David & Rhee 1998, Manson 1988). Foreignlanguage patients are not as likely to visit the same hospital twice (Andrulis, Goodman & Prvor 2002, Carrasquillo et al. 1999), which jeopardises continuity of treatment. Many hospitals are visited by foreign-language patients only in true emergencies (Gerrish et al. 2004). Moreover, foreign-language patients rarely make use of preventative measures, e.g. breast exams (Jacobs et al. 2005, Woloshin et al. 1997). In a study about the communication with asylum seekers it was observed that in case of absence of an interpreter significantly fewer symptoms of disease are being specified than during a consultation when an interpreter is present (Bischoff et al. 2003). A considerable number of studies have been dealing with the problem of adherence and the patients’ satisfaction in cases of existing language barriers. The results show a great deal of conformity: continuously, foreign-language patients are less satisfied with the hospital personnel and the institution than the peer group, i.e. English-speaking patients (Baker, Hayes & Fortier 1998, Morales et al. 2006). Rivadeneyra et al. also show that communication problems lead to little adherence and to a deep dissatisfaction of the patients (Rivadeneyra curare 31(2008)2+3 9 et al. 2000). Many of those problems can be tackled with the help of interpreters. One thing is certain: qualified interpreters help improve the quality of health care. There are a few studies taking a quantitative and biomedical approach attesting to the improved quality of care. However, in our opinion keen insights are missing. What happens in a medical context when interpreters are being introduced? Who is supposed to interpret? How is one supposed to collaborate with interpreters? What happens in triangular communication between health experts, patients and interpreters? This issue of Curare brings together such keen insights. It includes qualitative articles in terms of case studies and case histories. We are delighted about the diversity of contexts, which are being elaborated on in the contributions. Equally great is the variety of authors, who we could win for this project. The journal Curare is very suited for a topic like this, because it commits itself to diversity. The editor-in-chief is a neurologist, the guest-editors are a nursing scientist and a linguist, and all authors are scientists coming from the following fields: anthropology, history, linguistics, medical ethnology, political science, psychology, sociology, and translation studies. Hereafter, you will find contributions from German-speaking countries as well as Italy, Canada, and South Africa, which will be introduced briefly: In his article “Illness, culture, children, communication: The niece of an interpreter”, Franz Pöchhacker from Vienna presents the case of a conversation with a migrant family in a speech therapy practice, elaborating on the speech development of one of the family’s children. The mother’s niece, possessing good knowledge of the German language as a teenager from Vienna, functions as the interpreter. Pöchacker shows that a range of misunderstandings are caused due to the ambiguous distribution of roles. However, the parties concerned do not notice those misunderstandings and find the conversation normal and unproblematic, although in retrospect from an analytical perspective the conversation cannot be identified as successful. In their contribution “Internal lay interpreters— a gain for the rehabilitation of migrants”, Martina Kamm and Bülent Kaya of the Swiss Forum for Migration and Population Studies concern themselves with the informal competences of nurses with a migration background. Using the example of a reha- 10 bilitation clinic, the authors show that clinic staff is able to make a “substantial contribution to the patients’ healing progress”. Margareth Lin and Karl Mutter (Heilpädagogischer Dienst für den Vorschul-und Schulbereich der Stadt Basel) discuss the “Contribution of Intercultural Mediation in the Context of Therapeutic Counselling”. The authors stress that intercultural mediation has fundamental importance in counselling, because the clients usually do not possess the knowledge needed to understand and make targeted use of consultation services. The divergent “everyday psychologies” of the clients require full-scale mediation, as well, in order to reach an understanding within the scope of institutional communication on the one hand and to even enable communication with the clients to a necessary extent on the other. In their exposition “Dialogue for three: Patients, interpreters and health experts in the University Women’s Hospital Basel”, Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth and Sylvie Schuster (University and University Hospital of Basel) ask the question how interpreters collaborate in conversation. Based on interviews with doctors and other health experts they show that on top of linguistic mediation professional interpreters often have to mediate between the different inventories of knowledge and experiences of doctors and patients, as well. In her article “The theatre of interpretation: observing, participating, rehearsing, acting, changing”, Şebnem Bahadır of the University of Mainz presents options for education and training for interpreters, who aim at “communication competence and creating empathy”. The focus is Augusto Boal’s Forum Theatre method, with which different cultures of the participants involved in an interpreted conversation can be directed and perceived. Bahadır places emphasis on the interpreters’ corporeity and stresses that they are not invisible and non-involved, but enter the interaction as individuals with their own biographies. In their article “Ensuring quality of interpretation in hospitals: European implementation and evaluation experiences”, Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer and Jürgen M. Pelikan of the Ludwig Boltzmann Institute for the Sociology of Health and Medicine describe how interpreting could be better assimilated into the hospitals’ workflow. The study was conducted within in the frame of the project “Migrant Friendly Hospital”. The Alexander Bischoff & Bernd Meyer interventions apply to consisting services, which were evaluated and improved. With their organisation sociological approach, the authors stress the importance of the organisational parameters and the internal communication processes for the improvement of communication with patients with a migration background. The sociologist Claudio Baraldi and the linguist Laura Gavioli of the Universitá di Modena e Reggio Emilia make “Cultural presuppositions and re-contextualization of medical systems in interpreter-mediated interactions” a subject of discussion in their exposition. Their proposition is that in the interpreted interactions they monitored cultural systems are correlated. The interpreters functioning as mediators have the power to either weaken or intensifying those systems due to their cultural orientation. The data attest to the fact that interpreters intensify the norms and expectations of the medical culture and repress those of the patients by acting dyadically on both sides of the language barrier respectively. In the end, communication is hindered, for patientoriented functioning is being complicated. The sociologists Joseph and Patricia Kaufert of the University of Manitoba present the failure of a nationalised family planning initiative among the Canadian Inuit in Baffin in the 1970s in their article “The Story of a ‘Trouble Case’: Language, Culture and the Problems of Translation”. They underline that the initiative’s failure was not just the fault of bad-working interpreting services. Instead, the ignorance of the government toward the situation of a group stricken by political and cultural upheavals should be emphasised. Despite numerous improvements during the past years this ignorance is not in principle overcome. In “Community interpreter’s power—The hazards of a disturbing attribute”, Yvan Leanza, psychologist at the Université de Laval in Québec, discusses the power of interpreters as important mediators in health care. In doing so, Leanza takes different perspectives and shows that this power is being perceived very diversely: for instance as a potential threat to institutional interests, but also standing in opposition to the patients’ interests. However, instead of fearing and limiting the interpreters’ power from different sides, the goal should be to change the “representations of what an interpreter is and his place in interventions” and thereby VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Editorial promoting changes of the communicative practice in the health care system as such. In their contribution “Doctors ask, patients (not always) answer: Communication in a South African health office for Anti-Retroviral Therapy (ART)”, the linguists Christine Anthonissen (Stellenbosch University) and Bernd Meyer (University of Hamburg) examine the role of bilingual employees functioning as linguistic and cultural mediators. For a while, the South African health care system has been trying to make Anti-Retroviral Therapy available to all patients who are HIV-positive. This, however, runs across massive communication problems, because doctors, health experts, and patients often do not belong to the same speech communities and sometimes even do not share a lingua franca. The participation of interpreters is therefore inevitable; their special importance for the administration of the ART, however, is not reflected in their institutional status. The different articles have at least one thing in common: They describe translation contexts. The rather diverse approaches to the introduction of interpretation services, however, show that as yet no traditions (and therefore no common standards) exist. What is even more problematic is that the insecurity or should we say reserve in dealing with interpreters is big: Interpreting is not yet the mainstream, it is something extraordinary. Gregorius and his Greek doctor do not want to depend on an interpreter, either. Why is that? It might be down to the hermeneutics or rather its development or underdevelopment. Hermeneutics is the art of finding a common language. Hermeneutics is the art of understanding, of which Gad amer says: “Understanding is an adventure and is, like every adventure, dangerous.” The Spanish philosopher and theologist Raúl Fornet-Betancourt says in his “Hermeneutics and politics of the foreign, a philosophical contribution to the challenge of living together in multicultural societies”: “The basis of hermeneutics of foreign people should be the base insight that translation is a requirement for understanding foreign people…Indeed: we have to take on the work of Hermes” (Fornet-Betancourt 2003). “Taking on the work of Hermes”—that is not something that is done in passing, it is no bagatelle. Not everybody can emulate the deeds of this god and create communication. Certain qualifications curare 31(2008)2+3 11 are needed, for instance language skills, but also a firm stand and sensitivity. Often are those who are strangers to themselves not capable of this hermeneutic service. They need a third party to act as Hermes, as an interpreter and mediator. In Greek mythology, Hermes is the messenger of the gods and the spokesman, whose job it is to transfer messages from the alien world of the gods to the world of humans, to translate them, and to make them comprehensible to humans. Hermes is often employed for the gods’ services; he is a shark (and therefore god of merchants and economy); he is the son of Zeus and his accomplice in many amorous projects; he has to commute between Heaven and Earth without causing a stir. Today he would be called communications advisor, ombudsman, or gobetween. Plato named him father of all interpreters. Later, ‘Hermeneutes’ becomes the Greek word for interpreter, somebody who acts like Hermes. In the course of time, however, hermeneutics, the art of understanding, seems to have parted with Hermes. It is as though Hermes is being ignored and barred. That might be the case because the ambivalent interpreter Hermes is outlandish and discomfits people. In a medical context, where one is discomfited and even scared as it is (as a patient or a medical expert), one had rather not get involved with an interpreter, a third party. The current collection with its articles on foreign languages and foreign patients will hopefully contribute to the challenge of delivering interpreters from whatever it is that makes other people insecure in their presence and makes them want to avoid interpreters. It will hopefully contribute to giving Hermes back the place that he is worthy of in hermeneutics, the art of understanding. References Andrulis D., Goodman N., Pryor C. 2002. What a difference an interpreter can make. Health care experiences of uninsured with limited English proficiency. Boston: The Access Project. Baker D.W., Hayes R., Fortier J.F. 1998. 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Is language a barrier to the use of preventive services? J Gen Intern Med 12: 472-477. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin 13 Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin Franz Pöchhacker Zusammenfassung Im Rahmen eines Fallbeispiels behandelt der Beitrag aus dolmetschwissenschaftlicher Perspektive die Problematik des Laiendolmetschens im Gesundheitswesen. Gegenstand ist eine auf Video aufgezeichnete logopädische Begutachtung eines türkischen Kindes in der Ambulanz eines Wiener Krankenhauses unter Mitwirkung einer zweisprachigen jugendlichen Begleitperson. Die Analyse bringt teils gravierende Missverständnisse und Kommunikationsstörungen zutage, die im unklaren Rollenbewusstsein der dolmetschenden Person und ihrer Positionierung in der Familienstruktur begründet liegen. Dass sich die Therapeutin der dysfunktionalen Kommunikation nicht bewusst war, unterstreicht die Bedeutung von diskursbasierten Analysen zur Qualitätssicherung in interkulturellen Kommunikationsprozessen. Disease, Culture, Children, Communication: The Niece as Interpreter Abstract This paper in the form of a case study investigates the practice of ad hoc interpreting in healthcare from the perspective of interpreting studies. It analyzes a videotaped interview conducted by a speech therapist in a large Vienna hospital to assess language development in a young Turkish child with the help of a bilingual teenage relative. The analysis reveals some serious instances of misunderstanding and miscommunication which can be attributed mainly to the interpreter’s uncertainty about her role and to her position within the family. The fact that the therapist remained unaware of this dysfunctional communication highlights the importance of discourse-based studies to ensure quality in intercultural communicative encounters. Keywords (Schlagwörter) interpretation of laymen (Laiendolmetscher) – logopedics (Logopädie) – dysfunctional communication (dysfunktionale Kommunikation) – intercultural communicative encounter (interkultureller Kommunikationsprozess) – Community Interpreting (Kommunaldolmetschen) – Vienna (Wien) Einleitung Die vier Begriffe im Titel dieses Beitrags spannen ein breites und vielfältiges Themenfeld auf: „Krankheit“ und „Kultur“ verweisen auf den Kontext der transkulturellen Medizin, in dem nicht nur, aber vor allem auch das Thema „Kommunikation“ eine zentrale Rolle spielt. In diesem weiten Feld stellt das Dolmetschen als vermittelte zweisprachige Kommunikation eine von verschiedenen Möglichkeiten dar, Sprach- und Kulturbarrieren zu überwinden. Entsprechend den unterschiedlichen begrifflichen Bezügen erlaubt die gegenständliche Thematik eine Reihe von disziplinären Zugängen (siehe Pöchhacker 2006) – wie dies aus den anderen Beiträgen zu diesem Heft deutlich hervorgeht. Der vorliegende Beitrag nähert sich dem Thema „Dolmetschen im medizinischen Kontext“ aus der Perspektive der Dolmetschwissenschaft, der für das Phänomen Dolmetschen augenscheinlich zuständigen wissenschaftlichen Disziplin. Allerdings hat die Dolmetschforschung erst Mitte der 1990er Jahre curare 31(2008)2+3: 13- begonnen, dem Dolmetschen jenseits von interna tionalen Konferenzen und Organisationen Beachtung zu schenken. Als akademische Disziplin, die ihre Existenz ursprünglich dem professionellen Dolmetschen bei internationalen Konferenzen verdankt, schloss die Dolmetschwissenschaft die weniger und gar nicht professionalisierten Erscheinungsformen des Dolmetschens im innergesellschaftlichen Kontext sogar aus ihrem Gegenstandsbereich aus. Doch auch nach erfolgter Eingemeindung des Kommunaldolmetschens (Community Interpreting) in den Objektbereich der Dolmetschforschung (siehe Pöchhacker 2000a) ging die Orientierung am professionellen Status von Dolmetschenden nicht verloren. Im Gegenteil: Maßgebliche Publikationen, wie etwa die im Gefolge der Konferenzreihe The Critical Link erschienenen Bände (z.B. Wadensjö et al. 2007), stehen ganz im Zeichen der Professionalisierung dieser Sparte des Dolmetschens. Vor diesem (dolmetschwissenschaftlichen) Hintergrund kann eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Kinder als Dolmetscher“ kaum wertfrei er- 14 folgen, steht dieses Phänomen doch dem Bestreben nach Professionalisierung von Dolmetschleistungen im kommunalen Bereich geradewegs entgegen. Dennoch sollte es möglich sein, das sogenannte „natürliche Dolmetschen“ (natural translation), das Brian Harris schon Ende der 1970er Jahre als Untersuchungsgegenstand eingemahnt hatte, auf translationswissenschaftlicher Grundlage und mit primär deskriptiver Ausrichtung zu behandeln, fehlt es doch weitgehend an empirischen Studien über das tatsächliche translatorische Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Im vorliegenden Beitrag wird diesem Forschungsbedarf durch eine Fallstudie aus einem Wiener Krankenhaus Rechnung getragen, in der vor allem die Aspekte Dolmetschkompetenz und Rollenauffassung im Mittelpunkt stehen. Zuvor aber sei kurz der einschlägige Forschungsstand skizziert, der – wie oben angedeutet – weitgehend durch Beiträge aus anderen Disziplinen geprägt ist. Kinder als Dolmetscher – zum Forschungsstand Von grundlegender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der von Brian Harris eingeführte Begriff “natural translation”, definiert als “the translating done in everyday circumstances by people who have had no special training for it” (Harris & Sherwood 1978: 155). Ausgehend von Erkenntnissen aus der Sprachentwicklungs- und Zweisprachigkeitsforschung wurde vor allem das „natürliche Dolmetschen“ durch Kinder beschrieben und zuletzt besonders im schulisch-pädagogischen Zusammenhang, etwa unter dem Titel “language brokering”, gewürdigt (z.B. Valdés 2003, Hall 2004). Neben der angewandt-linguistischen Perspektive wurde das Phänomen der dolmetschenden Kinder vor allem aus soziologischer Sicht untersucht, wobei immer wieder auf Probleme im Zusammenhang mit der für die Kinder problematischen Rollenkonstellation hingewiesen wird. Im Zuge ihrer Dolmetschtätigkeit für Familienangehörige finden sich Kinder oft in einer Situation, die ihrem sozialen Alter und Erfahrungsstand nicht entspricht und sie kognitiv nicht selten überfordert und die aufgrund der sprachlich-kommunikativen Machtposition der Mittelsperson eine Rollenumkehr im familiären Umfeld impliziert (z.B. Kohn 1996). Eines der am häufigsten untersuchten Einsatzfelder von Kindern in der Dolmetscherrolle ist das Franz Pöchhacker Gesundheitswesen. Schon 1988 untersuchte ein britisches Ärzteteam Gespräche mit Personen indischer Abstammung, in denen die Verständigung von Kindern bzw. Enkelkindern der ausschließlich Gujarati sprechenden PatientInnen ermöglicht wurde. Ebden et al. (1988) fanden, dass von rund 150 untersuchten Fragen des Arztes je nach DolmetscherIn 23-44% unrichtig oder überhaupt nicht wiedergegeben worden waren. Bei der Analyse der verwendeten medizinischen Ausdrücke fanden sie in ihrem Material mehr als 80 Wörter oder Wendungen, die von mindestens einem der dolmetschenden Kinder falsch übersetzt, ausgelassen oder missverstanden worden waren. Als Beispiele nennen sie anatomische Ausdrücke wie „Bein“ anstelle von „Knöchel“ oder „Backenzähne“ anstelle von „Kiefer“ oder auch symptombezogene Ausdrücke wie „Abführmittel“ anstelle von „Durchfall“ und „wässriger Stuhl“ anstelle von „Wasser lassen“. Laut Ebden et al. (1988) war es den dolmetschenden Kindern insgesamt unangenehm, Fragen über Körperfunktionen für ihre Eltern zu übersetzen. Ähnliche Berichte existieren auch für die Psychiatrie. Vasquez & Javier (1991) beschreiben unter anderem den Fall einer aus Lateinamerika in die USA eingewanderten Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter an Depressionen und Halluzinationen litt und sich deswegen auch schon in Behandlung begeben hatte. Als sie wegen einer Medikamentenüberdosis in die Notfallambulanz eingeliefert wurde, fungierte ihr 15jähriger Neffe im Gespräch mit einem Psychiater als Dolmetscher. Nachdem die Frau laut der beschönigenden Verdolmetschung durch den Neffen nur von einer Verwechslung und von Einschlafstörungen sprach, wurde sie entlassen. Noch vor einem vereinbarten Kontrolltermin unternahm die Frau einen (weiteren) Selbstmordversuch. Gravierend ist auch der von Jacobs et al. (1995) beschriebene Fall einer Zehnjährigen, die im Zusammenhang mit ihrer Dolmetschtätigkeit in der klinischen Betreuung ihres mit schweren Missbildungen geborenen und mit dreizehn Monaten verstorbenen kleinen Bruders eine schwere posttraumatische Störung erlitt. Dennoch wurde in letzter Zeit auch versucht, das Positive an den Erfahrungen junger Menschen als Dolmetscher im medizinischen Kontext hervorzuheben. So etwa stellen Green et al. (2005) – unter Verweis auf die Erhebung von Cohen et al. (1999) – die „normative Ideologie“ in Frage, wonach KinVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin der grundsätzlich nicht als Dolmetscher für die klinische Verständigung herangezogen werden sollten. In einer Interviewstudie (mit u.a. 54 Zehn- bis Fünfzehnjährigen) arbeiteten sie heraus, dass viele der Befragten trotz der nicht zu leugnenden Belastung ihrer Dolmetschtätigkeit auch Erfolgserlebnisse und ein gesteigertes Selbstwertgefühl verdankten und dass sie oft stolz waren, den als normal empfundenen Erwartungen ihrer Familienangehörigen in Sachen kommunikativer Unterstützung entsprechen zu können. Ungeachtet der jeweiligen Einschätzung von Nutzen und Risiko steht außer Zweifel, dass der Einsatz von (Migranten-)Kindern als Dolmetscher im medizinischen Kontext weit verbreitet ist. Für das österreichische Gesundheitswesen wurde dies in einer Befragung von mehr als 500 MitarbeiterInnen Wiener Krankenhäuser erhoben. In der Kategorie „Begleitpersonen“, die neben „fremdsprachigem Krankenhauspersonal“ (einschließlich Reinigungskräften) für den Großteil der vermittelten Kommunikation mit nicht (ausreichend) Deutsch sprechenden PatientInnen verantwortlich zeichnen, wurde von 73 Prozent der befragten ÄrztInnen, Pflegekräften und TherapeutInnen spezifiziert, es handle sich „häufig“ oder „fast immer“ um Kinder (siehe Pöchhacker 2000a, 2000b). Aus eben diesem, in der Wiener Community Interpreting-Studie untersuchten medizinischen Kontext stammt das Fallbeispiel eines Erstgesprächs zwischen einer Therapeutin und einer türkischsprachigen Familie, deren Nichte als Dolmetscherin fungiert. Material und Methode Von der HNO-Abteilung eines in die oben erwähnte Umfrage einbezogenen Wiener Krankenhauses wurde die Videoaufnahme eines authentischen Patientengesprächs für wissenschaftliche Analyse- 15 Abb. 1:Räumliche Konstellation der Gesprächsbeteiligten zwecke zur Verfügung gestellt. Zur diskursanalytischen Untersuchung wurde das etwa 22 Minuten lange Gespräch zwischen einer diplomierten Logopädin und einer türkischen Familie zur Gänze nach orthographischen Konventionen1 transkribiert.2 An der Interaktion beteiligt sind eine diplomierte Logopädin mit etwa sieben Jahren Berufserfahrung (genannt „Tanja“), „Sefanur“, ein knapp zweieinhalbjähriges Kind mit Verdacht auf Sprachentwick lungsverzögerung, die türkischsprachigen Eltern von „Sefanur“ („Vater“, „Mutter“) und die etwa fünfzehn- bis sechzehnjährige Nichte der „Mutter“, die als Dolmetscherin fungiert („Dolm.“). Die räumliche Konstellation ist in Abbildung 1 dargestellt. Der Interaktionsverlauf lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die ersten dreieinhalb Minuten sind einer allgemeinen Anamnese und die folgenden drei einer Sprachanamnese gewidmet. Im Weiteren dominieren spielerische Sprachverständnis- und Nachsprechübungen, in denen vor allem die Mutter eine anleitende Rolle übernimmt. Im letzten Drittel der Interaktion stehen weitere Übungen zur Erhebung des sprachlichen Entwicklungsstandes sowie Ratschläge der Therapeutin zur Förderung der Sprach entwicklung im Vordergrund. 1. Neben der Wiedergabe mündlicher Originaläußerungen in Kapitälchen und Übersetzungen in Kursivschrift wurden folgende Transkriptionskonventionen verwendet: .. . Pause (ab 1,5 Sek.; ‚.‘ = 0,5 Sekunden) / Abbruch [xxx] unverständliche Äußerung = = gleichzeitige Äußerung (Beginn Ende) ( ) Hinweise auf den Situationskontext und paraverbale Phänomene 2. Für die Transkription und Übersetzung der türkischen Gesprächsanteile danke ich Frau Banu Wimmer, für die Durchsicht der Übersetzung Herrn Dipl.Übers. Latif Durlanik. curare 31(2008)2+3 Franz Pöchhacker 16 Anhand der für diesen Beitrag ausgewählten Transkriptionsausschnitte werden vor allem die Kompetenz der jungen Dolmetscherin und ihre Rollenauffassung erörtert. Eine weiter gehende Darstellung der Fallstudie findet sich in Pöchhacker (2000a, Kap. 5). Anamnese-Fehler Der erste Gesprächsausschnitt entspricht dem Beginn der Interaktion und enthält bezeichnende Belege für die dem Gespräch zugrunde liegende Kommunikationskonstellation (Ex. 1). Ex. 1 (00.04 – 00.42) 1) Tanja: Nehmen sie da Platz, Bitte? Äh, der Kleine soll sich da hinsetzen. Nehmen sie da Platz Bitte. .. .. .. So, .. . Gut. Nehmen/ Die Mutter soll sich da / So. Da is so ein Spiel, .. .. .. .. schaun sie mal, wo er die Formen da passend hineinstecken soll. Können sie ihm das einmal erklären, wie er das machen soll? Kennt er das? 2) Mutter: Sefanur! At şunu, yap bakayim kizim. Al, at şurdan içeri bakayim. Sefanur! Wirf das mal, mach es mein Töchterlein. Nimm, wirf’s mal dort hinein. 3) Tanja: Kennt er so ein Spiel? 4) Mutter: (zu Sefanur) Hah, hangisine olur? =Bak, bak hangisine olur?= Ha, wohin passt es? Schau, schau, wohin passt es? 5) Tanja: =Kennt er so ein Spiel?= 6) Dolm.: Taniyor mu öyle şeyleri? Kennt [er/sie] solche Sachen? 7) Mutter: (nickt) Mhm. 8) Vater: Ja, schon kennen. 9) Tanja: Kennt er, hm. Die Therapeutin stellt ohne weitere Einleitung einen Einsteckspielkasten auf den Tisch, mit dem „der Kleine“ während der Anamnese beschäftigt werden soll. Die Mutter gibt die Spielanweisung an ihre kleine Tochter (!) weiter (2) und richtet ihre Aufmerksamkeit in den folgenden Minuten des Gesprächs immer auch auf diesen Nebenschauplatz der Interaktion. Dass die Mutter nicht auf Tanjas Frage, ob Sefanur ein derartiges Spiel kenne (1), reagiert, zeugt allerdings nicht von mangelnder Aufmerksamkeit, sondern von mangelndem Verständnis des Deutschen. Auch als Tanja die Frage ein zweites Mal stellt (3), erfolgt keine Reaktion. Erst nach der zweiten Wiederholung (5) gibt Dolm. die Frage auf Türkisch an die Mutter weiter. Da das Personalpro- nomen für die dritte Person Singular im Türkischen nicht geschlechtsspezifisch markiert ist, erscheint es in der Verdolmetschung jedenfalls in der korrekten Form. Da auch die verbale Antwort des Vaters im „gastarbeiterdeutschen“ Infinitiv gehalten ist (8), bleibt die Geschlechtsverwechslung der Therapeutin verborgen (9). Dass die Mutter, die in der Interaktion zwischen Therapeutin und Kind nicht nur räumlich gesehen eine zentrale Position einnimmt, selbst bei einfachen Fragen auf die Verdolmetschung durch ihre Nichte angewiesen ist, zeigt sich überaus deutlich im zweiten, rund einminütigen Gesprächsausschnitt (Ex. 2), der mit der ersten Frage auf Tanjas Anamnesebogen einsetzt. Ex. 2 (01.07 – 02.03) 1) Tanja: (zur Mutter) Wie war denn die Schwangerschaft? 2) Dolm.: .. .. Yengeee, doğumun nasildi? Tanteee, wie war deine Geburt? 3) Mutter: (achselzuckend)He, iyi, normal. Ja, gut, normal. 4) Tanja: Normal. Mhm. Und die Geburt? 5) Mutter: (blickt fragend zu Dolm.) VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin 17 6) Dolm.: (leise) Doğumun. (lauter) Doğumun. Deine Geburt. Deine Geburt. 7) Mutter: Nasil doğumum? Wie, meine Geburt? 8) Tanja: Mit Zange, Saugglocke, Kaiserschnitt? 9) Dolm.: Doğumun. Deine Geburt. 10) Sefanur: Annee, bana. Mamaa, mir. 11) Mutter: Normaldi doğumum, Normal war meine Geburt, 12) Dolm.: Doğumun nasiydi? Wie war deine Geburt? 13) Mutter: Normaldi doğumum. Normal war meine Geburt. 14) Vater: Kendi doğumun ya. Also, deine eigene Geburt. 15) Dolm.: Yaa, doğum. Also, die Geburt. 16) Mutter: Ben kendim doğduğum zaman mi? Als ich selbst geboren wurde? 17) Dolm.: Yoo, bunu doğurduğun zaman. Naa, als du ihn/sie da geboren hast. 18) Mutter: Normal! Dikişle oldu. Ne bileyim ben, normal oldu işte. Normal! Mit Naht war sie. Was weiß ich, sie war doch normal. 19) Sefanur: Anne. Mama. 20) Mutter: Ya, şimdi söyledim, Zuhal! Tamam! Doğum normal oldu. Dikişle oldu. Tamam bitti işte! Also, ich habe es doch gerade gesagt, Zuhal! Schluss! Die Geburt war normal. Jetzt aber aus! 21) Tanja: Also ich mein jetzt ob es / wie/ Weiss sie nicht, was ich meine, oder was / 22) Sefanur: Anne. Mama. 23) Vater: Nein, sie, auch normale sagen, wenn / 24) Tanja: Die Geburt selbst, 25) Vater: Mhm. 26) Tanja: Also ohne Komplikationen? 27) Vater: (Bestätigend) Na, Na, Na. Nachdem die Mutter auch nach zwei Sekunden nicht auf die direkt an sie gerichtete Frage der Therapeutin reagiert, wird sie von Dolm. zuerst durch die gedehnte Anrede „Tanteee“ in ungeduldigem Ton zur Aufmerksamkeit gemahnt, bevor ihr die Frage nach ihrer Schwangerschaft mit Sefanur als Frage nach ihrer Geburt verdolmetscht wird (2). Nach der für sie transparent erscheinenden Antwort „normal“ stellt Tanja ihre zweite (Standard-)Frage (4). Diese wird der Mutter von Dolm. (nach einem hilfesucurare 31(2008)2+3 chenden Blick) zuerst gleichsam souffliert und dann in lauterem Ton wiederum als Frage nach der Geburt wiedergegeben (6). Die zu Recht verständnislose Rückfrage der Mutter bildet den Auftakt zu einer Gesprächssequenz in türkischer Sprache, in der Dolm. immer wieder auf eine Antwort dringt (7-20), ohne sich offenbar über die durch ihre Verwechslung von „Schwangerschaft“ und „Geburt“ gestiftete Verwirrung im klaren zu sein. Tanjas Zusatzfrage nach potentiell relevanten Komplikationen (8) Franz Pöchhacker 18 geht im Ringen der Familie um eine Klärung der Fragestellung unter. Paradoxerweise ist es die noch direkter in die Irre führende Frageformulierung des Vaters (14), die letztendlich zu einer Klärung des Missverständnisses durch Dolm. führt (17). Angesichts des für sie unverständlichen Gesprächs, das anstelle einer Antwort auf die gestellte Frage nur eine konsternierte Reaktion der Mutter zeitigt, versucht Tanja, sich klärend einzuschalten (21). Auf ihr Nachfragen hin übernimmt der Vater die Beant wortung der Frage (23). Nach zweifacher Rückbestätigung (25, 27) gibt sich Tanja mit der Antwort zufrieden. Aus der Sicht der türkischen Familie liegt jedenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt, knapp zwei Minuten nach Beginn des Gesprächs, eine Kommunikationsstörung vor, deren Grund – die Fehlübersetzung von Dolm. – unaufgeklärt bleibt. Unaufgeklärt bleibt eine knappe Viertelstunde lang auch die Fehlannahme der Therapeutin, es handle sich bei dem Kind um einen Jungen. Dies erweist sich vor allem im Rahmen der Sprachanamnese als fatal, da Tanja für ihre Nachsprechübungen Gegenstände anbietet (z.B. Ball, Auto), die sie als Lieblingsspielsachen eines kleinen Jungen annimmt. Der Anamnesebefund, dass Sefanur eine verzögerte Sprachentwicklung aufweise, wird durch diese, in komplexer Weise kulturbedingte und von der Dolmetscherin nicht aufgeklärte Fehleinschätzung grundsätzlich in Frage gestellt. Kommunikationsstörung durch Nichtwiedergabe Inwieweit es Aufgabe der dolmetschenden Person ist, im Fall eines offensichtlichen Missverständnisses klärend einzugreifen, ist eine Frage, die unmittelbar in die komplexe Diskussion über die Dolmetscherrolle führt. Dieser liegen wiederum die gegensätzlichen Standpunkte zugrunde, wonach ein Dolmetscher einerseits ein „neutrales Sprachrohr“ oder aber ein aktiv handelnder Gesprächsbeteiligter sei. Die bisher diskutierten Gesprächsausschnitte könnten vermuten lassen, dass die junge Dolmetscherin ihre Rolle eben im ersteren, „passiven“ Sinn versteht. Wie jedoch aus dem folgenden Exzerpt (Ex. 3) hervorgeht, liegt ihrer Rollenauffassung auch nicht die Verpflichtung zur „bloßen“ Wiedergabe des Gesagten zugrunde. Im Gegenteil: Durch die Nichtwiedergabe von an die Mutter gerichteten Fragen und Erläuterungen der Therapeutin schließt Dolm. gerade jene Person aus der Interaktion aus, zu deren kommunikativer Unterstützung sie an dem Gespräch teilnimmt. Ex. 3 (06.33 – 06.41) 1) Tanja: Und es / (zu Dolm.) Fragen sie die Mutter, entwickelt is, nur sprechen tut er nicht. sie würde sagen, dass er sonst völlig normal 2) Dolm.: Ja. 3) Vater: Mhm. 4) Tanja: Hmhm. Tanja spricht noch einmal zusammenfassend die Entwicklung des Kindes an, wobei sie ihre Frage – indirekt via Dolm. – ausdrücklich an die Mutter gerichtet wissen will (1). Dolm. unterlässt es jedoch, die Frage für die Mutter auf Türkisch wiederzugeben. Vielmehr geben sowohl sie als auch der Vater eine bestätigende Antwort (2-3), die von Tanja auch als solche zur Kenntnis genommen wird. Die junge Dolmetscherin kontrolliert somit hier, mit wem worüber gesprochen wird oder nicht. Sie nimmt damit – paradoxerweise gerade durch ihr Nichtagieren – entscheidenden Einfluss auf den Kommunikationsverlauf. Dieses aktive Eingreifen durch Nichtwiedergabe findet seinen Höhepunkt in der Endphase der Interaktion, in der einerseits Tanja auf ihre Geschlechtsverwechslung aufmerksam wird und andererseits das Betreiben der Mutter, den eigentlichen Grund ihres Ambulanzbesuchs anzusprechen, durch ihre Angehörigen blockiert wird. Dem im folgenden Exzerpt (Ex. 4) wiedergegebenen Gesprächsausschnitt geht eine Sequenz voraus, in der die Therapeutin Ratschläge zur Förderung der kindlichen Sprachentwicklung erteilt. Die Familie reagiert jedoch mit resignativer Skepsis, sieht sie doch darin keine Lösung für das eigentliche Problem, das sie zu diesem Ambulanzbesuch veranlasst hat. Dieser Grund – der Verdacht, dass ein verwachsenes Zungenbändchen Sefanurs VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin 19 Ex. 4 (14.07 – 16.43) 1) Tanja: (zu Sefanur) Brrrrmmm. Brrrrrm. Brrrrm. Brrrrrm. Brrrrrrrrr. =Kannst du das auch?= 2) Vater: =Aber aber /= Aber normal is, sprechen schon auch (greift sich an den Hals), dass net pas siern dann später / 3) Mutter: (zu Dolm.) Yaa, şu çocuğun dilinde/ Ja, aber bei der Zunge von dem Kind/ 4) Tanja: Was meinen Sie? 5) Vater: Na, wenn wenn später is/ 6) Dolm.: Kann sie später vielleicht reden? 7) Tanja: Schaun Sie, er is / Is das eine sie? 8) Dolm.: Ja. (lacht) 9) Tanja: Hhh! ‘tschuldigung! Ich dachte immer, ’s is ein er. Oh, peinlich. Also sie, ja. Ähm, sie ist verzögert in der Sprachentwicklung, sie ist sicher hintennach. Und man kann nicht sagen, es kann sein, dass sie einen Teil von selber noch entwickelt, Sprache, aber es kann auch sein, dass sie einmal Unterstützung braucht, ja, viele/ also Kinder lernen es manchmal von alleine, und manchmal brauchen sie aber Hilfe von aussen, das kann man jetzt noch nicht sagen. Sie ist sicher hintennach. Es ist nicht normal, wie sie jetzt spricht. Sonst scheint sie zu verstehen. Sie versteht: Leg den Ball zum Fenster und Gib den Ball dem Papa. Das ist gut, ja, aber es wäre/ also es ist auffällig, dass sie nicht nachspricht. Viele Kinder in dem Alter schaun auf den Mund, und wenn die Mama sagt Auto, sagn sie auch Auto, Auto, sie versuchen das, und das tut sie nicht. Das ist nicht gut. Das muss man fördern. Das muss man unterstützen. (zu Dolm.) Wichtig ist, dass sie das der Mutter erklär’n, weil sie ist ja die Hauptbezugsperson, ja. 10) Dolm.: (nickt) Ja. 11) Tanja: (zu Sefanur) Brrrmmmmmmm. 12) Vater: Ne diyo? Was sagt’s? 13) Dolm.: Uğrasacak mişin onlari şapmaya. İlerde konuşabilirmiş. Du sollst dich bemühen, diese Dings zu machen. In Zukunft, sagt sie, kann sie reden. 14) Mutter: Ama bu çocuğun ağzinda et var. Söyleyin ya! Onu anlamiyor bunlar! Biz bundan şüpheleniyoruz de! Aber im Mund von dem Kind ist etwas verwachsen. Sagt es doch! Das verstehen die nicht! Sagt, wir haben da einen Verdacht. 15) Vater: Ya birak allahini seviyorsan! Ja, lass doch, um Gottes willen! 16) Mutter: Ne icindin getirdik buraya? Bu yolu! Weshalb haben wir sie hierher gebracht? Diesen Weg! 17) Dolm.: Anlamiyor bunlar! Die verstehen das nicht! 18) Vater: Anlamiyor, anlamiyor, ha! Sie versteht es nicht! Sie versteht es nicht, ha! 19) Tanja: (zu Sefanur) Brrrrmmmmmm. der Bär schiesst mit dem Auto. (zu Dolm.) Wichtig is auch, dass sie alles, was sie mit ihr machen, ja, mit mit Worten unterstützen, ja, dass sie nicht ohne sprechen essen oder ohne Sprechen sie anziehen. Dass sie sagen: So, wir ziehn jetzt die Hose an, das ist die Hose. Immer wieder viel Sprache anbieten. 20) Dolm.: Mhm. 21) Tanja: Ja? Alles, alles mit Sprache machen. Schau, das ist deine Hose. Und das ist das Leiberl. Schau, jetzt ziehn wir das Leiberl an. Ja? Oder: Was möchtest du essen? Möchtest du eine Semmel? Ja, schau, eine Semmel. Da ist die Semmel. Nicht gleich geben, ja, sondern zuerst: curare 31(2008)2+3 20 Franz Pöchhacker Semmel, dass das Kind sieht, aha, Semmel, und hört, ja? Also alles, ah, unterstützen, mit Sprache. Ja? Versteh’n sie das? 22) Vater: Ja, ja, schon, kann eh verstehn, ja. 23) Dolm.: Ja, ja. Sprachentwicklung verhinden könnte – war vom Vater am Ende der fünften Gesprächsminute angesprochen worden („Ja nur, nur ich hab .. .. Angst, ja, vielleicht später net sprechen oder so, es /“); seine Initiative blieb jedoch seitens der mit dem Anamnesebogen beschäftigten Therapeutin gänzlich unbeachtet. Nunmehr unternimmt der Vater – und in der Folge auch die Mutter – einen weiteren bzw. letzten Versuch, das Anliegen der Familie anzusprechen. Dass sich die Familie nicht primär um Sefanurs kognitive Sprachentwicklung sorgt, sondern vielmehr befürchtet, es liege bei dem Kind eine organische Fehlbildung vor, die kein normales Sprechen ermöglicht, ist aus der Äußerung des Vaters (2) kaum zu erkennen. Erst die Mutter spricht, dem Vorstoß ihres Mannes folgend, die gemeinsame Sorge, d.h. die Konsequenzen eines verwachsenen Zungenbändchens, direkt an (3). Da sie dies nur auf Türkisch tut, kann die Therapeutin vom Schlüssel wort „Zunge“ keine Notiz nehmen und unterbricht sogar mit ihrer an den Vater adressierten Rückfrage (4) die Äußerung der Mutter. Da der Vater offenbar wieder Mühe hat, sich zu artikulieren (5), kommt ihm Dolm. zu Hilfe bzw. fällt ihm mit einer wiederum sehr allgemein gehaltenen Frage nach dem „Reden-Können“ ins Wort (6). Erst an dieser Stelle, mehr als vierzehn Minuten nach dem Beginn des Gesprächs über und mit Sefanur, wird Tanja aufgrund des weiblichen Personalpronomens in der Frage von Dolm. der Geschlechtsverwechslung gewahr (7, 9). Als Tanja nach einer besonders ausführlichen Erklärung, die sich allerdings im Einklang mit der Frage wiederum auf Sefanurs Sprachentwicklung und nicht auf ihre Sprechorgane bezieht, auf eine Verdolmetschung für die Mutter dringt, tut Dolm. nichts dergleichen (10) und reagiert erst auf die Frage des Vaters, der Tanjas längeren Ausführungen offenbar nicht folgen konnte (12-13). Die Mutter gibt sich mit der – knappen – Antwort von Dolm. nicht zufrieden und bringt schlussendlich genau das eigentliche Anliegen zum Ausdruck (14). Der Vater hat jedoch an diesem Punkt die Hoffnung auf eine Verständigung über das Problem bereits aufgegeben (15). Im Gegensatz zu seiner Frau (16) ist er bereit, ihr ganzes Bemühen, in der HNO-Abteilung Rat und Hilfe zu finden, als gescheitert zu betrachten. Dass Dolm. sich dabei mit den Worten „Die verstehen das nicht!“ ganz auf die Seite des Vaters stellt, macht es der Mutter de facto unmöglich, sich bei der Therapeutin noch Gehör zu verschaffen. Ohne jeglichen Einblick in diese kritische Situation auf seiten der Familie fährt Tanja mit weiteren Ratschlägen zur Förderung der Sprachentwicklung fort (19, 21), die von Dolm. und vom Vater jeweils kurz bestätigend zur Kenntnis genommen werden (20, 22-23). Der Anschein der Verständigung bleibt damit gewahrt; das eigentliche Anliegen der Familie dagegen trotz – oder vielleicht sogar wegen – der mitgebrachten Dolmetscherin unverstanden. Diskussion und Schlussfolgerung Die Kommunikation zwischen der Logopädin und der türkischen Migrantenfamilie erweist sich als eine Mischung aus „ein bisschen Verstehen“ der deutschen Aussagen der Therapeutin und „ein bisschen Übersetzen“ durch die als Verständigungshilfe mitgebrachte Nichte der Eltern. Da auch der einigermaßen Deutsch sprechende Vater Probleme hat, sich zu artikulieren, bildet die jugendliche Dolmetscherin die einzige wirkliche Verständigungsbrücke, so dass es für die Interaktion von kritischer Bedeutung ist, wie sie die ihr zufallende Dolmetschaufgabe wahrnimmt. Wie aus den Gesprächsausschnitten hervorging, verfügt die „natürliche Dolmetscherin“ nicht über eine Rollenauffassung, die ihr ein konsequentes Wiedergeben aller Äußerungen der primären Gesprächspartner (Therapeutin und Mutter) für die jeweils andere Seite nahelegen würde. Das passive Verhalten des Mädchens erweckt vielmehr den Eindruck einer Back-up-Funktion für den Fall, dass die direkte Verständigung auf Schwierigkeiten stößt. Anders wäre es kaum zu erklären, dass sie zu Beginn des Gesprächs Tanjas Frage nach dem Bekanntsein des Einsteckspiels erst wiedergibt, nachdem sie zum dritten Mal gestellt worden ist (Ex. 1: VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin 1-6). Ebenso scheint das Mädchen fast ärgerlich, als die Mutter nicht auf die erste Anamnesefrage reagiert (Ex. 2: 2). Nachdem die Frage nach der Geburt (Ex. 2: 4) infolge der fälschlichen Wiedergabe von „Schwangerschaft“ als „Geburt“ (Ex. 2: 1-2) zu einem nur mit großer Mühe reparierten Missver ständnis geführt hat (Ex. 2: 7-20), wird die Mutter in weiterer Folge durch direkte Reaktionen ihrer Angehörigen als Gesprächspartnerin zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Obwohl die Therapeutin die Nichte nicht in der Rolle einer eigenständigen Gesprächsteilnehmerin akzeptiert und sich bemüht, die als Hauptbezugsperson des Kindes angenommene Mutter zu erreichen, bleibt ihr kommunikatives Bestreben letztlich erfolglos, da die Dolmetscherin ihrer Wiedergabefunktion nicht nachkommt. Sofern sie doch eine Wiedergabe bietet, führt ihre mangelnde translatorische Kompetenz zu erheblichen Störungen in der Kommunikation. Die als besonders gravierendes Beispiel angeführte fälschliche Wiedergabe von „Schwangerschaft“ als „Geburt“ (Ex. 2: 1-2) hat, abgesehen von der familiären Auseinandersetzung bei der nachfolgenden Bearbeitung des Missverständnisses, de facto zur Folge, dass die erste Anamnesefrage völlig unbehandelt bleibt, so als hätte die Therapeutin sie nicht gestellt. Inwieweit das von der Therapeutin als „auffällig“ befundete Nachsprechverhalten im konkreten Fall tatsächlich mit einer Sprachentwicklungsver zögerung zu tun hatte, ist für die gegenständliche Analyse nicht von primärem Interesse. Das Risiko sprachlich-kulturell bedingter und trotz der Anwesenheit mehr oder weniger zweisprachiger Personen verdeckter Missverständnisse und deren mögliche Konsequenzen sind aus dem vorliegenden Fall beispiel deutlich zu ersehen. Von grundlegender Bedeutung ist jedenfalls, dass die gesamte Interaktion von der Therapeutin eben nicht als „auffällig“ wahrgenommen wurde. Wenngleich beide Seiten mit ihrem kommunikativen Anliegen gänzlich scheiterten und die Klienten dies auch explizit konstatierten („Die verstehen das nicht!“), behielt die Kommunikation aus der Sicht der medizinischen Fachkraft den Anschein der Normalität. Zwanzig Jahre nach der Studie von Ebden et al. (1988) gelangt man somit durch dieses authentische Fallbeispiel zu gleichlautenden Schlussfolgerungen: Die erste bezieht sich auf das Risiko von unerkannten sprachlich-inhaltlichen Mängeln infolge einer ungenügenden Dolmetschkompetenz der translatocurare 31(2008)2+3 21 risch ungeschulten Minderjährigen. Dass derartige Defizite – wie die übergangene Anamnesefrage und ähnliche Auslassungen – klinisch relevant sein können, ging auch aus der Analyse von Ebden et al. (1988) hervor: “In each case, the quality of information given in the history would have made it difficult to form a correct initial diagnosis.” Noch gravierender weil mit weit reichenden systemischen Konsequenzen verbunden ist jedoch der zweite Analysebefund – der Eindruck der scheinbar funktionierenden Kommunikation, der die weit verbreitete Praxis des nichtprofessionellen Sprachmittelns zu legitimieren scheint und keinen Handlungsbedarf zur Professionalisierung von Dolmetschleistungen im medizinischen Kontext erkennen lässt. Auch die in der Studie von Ebden et al. (1988) untersuchten Arzt-Patient-Gespräche waren den teilnehmenden Ärzten durchwegs als „reasonably normal“ erschienen – bis eine Analyse der aufgezeichneten Gespräche erfolgte. Auch der hier untersuchte Fall von nichtprofessionell vermittelter Kommunikation mit nicht deutschsprachigen KlientInnen eines Wiener Krankenhauses war im ursprünglichen institutionellen Kontext als völlig unauffälliger Routinefall erschienen und bedenkenlos für Analysezwecke zur Verfügung gestellt worden. Erst die detaillierte Betrachtung der türkischen und deutschen Gesprächsdaten weist die Interaktion als solche und das Agieren der translatorisch ungeschulten Minderjährigen, die als Dolmetscherin fungieren sollte, als ausgesprochenen Problemfall aus. Seine dolmetschwissenschaftliche Aufarbeitung sollte – neben einer Stärkung des Problembewusstseins in Kreisen der medizinischen Fachkräfte – jedenfalls das Bestreben rechtfertigen, durch weitere Analysen dieser Art zu einer empirisch fundierten Einschätzung der Rolle von Kindern als Dolmetschern zu gelangen. Literaturhinweise Cohen S., Moran-Ellis J., Smaje C. 1999. 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Universitätsprofessor für Dolmetschwissenschaft am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien; Ausbildung als Konferenzdolmetscher in Wien und Monterey; freiberufliche Tätigkeit als Konferenz- und Mediendolmetscher seit 1988; Promotion im Bereich Konferenzdolmetschen (Simultandolmetschen als komplexes Handeln, Tübingen: Narr 1994); Habilitation über wissenschaftsdisziplinäre Fragen und Kommunaldolmetschen im Gesundheitswesen (Dolmetschen: Konzeptuelle Grundlagen und deskriptive Untersuchungen, Tübingen: Stauffenburg 2000); zuletzt Arbeiten über Dolmetschen im Asylverfahren; Autor von über 60 Aufsätzen und mehrerer Monographien; u.a. Introducing Interpreting Studies (London: Routledge 2004); Mitherausgeber der Zeitschrift Interpreting: International Journal of Research and Practice in Interpreting. Zentrum für Translationswissenschaft, Universität Wien Gymnasiumstr. 50, 1190 Wien, Austria e-mail: [email protected] VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen 23 Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von Migranten/innen Martina Kamm & Bülent Kaya Zusammenfassung Martina Kamm (Soziologin) und Bülent Kaya (Politologe) vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von Migranten/innen“ mit den informellen Kompetenzen von Pflegekräften mit Migrationshintergrund. Am Beispiel einer Rehabilitationsklinik in der Deutschschweiz zeigen die Autoren, dass diese Klinikangestellten aufgrund ihrer informellen sprachlichen Ressourcen gerade bei einem längeren Aufenthalt einen „substanziellen Beitrag zum Heilungserfolg“ der stationären Patienten leisten können. Title Abstarct Martina Kamm (sociologist) and Bülent Kaya (political scientist) are researchers at the Swiss Forum for Migration and Population Studies at the University of Neuchâtel (SFM). They show in their contribution that the use of internal non professional interpreters can be gainful for the rehabilitation process of migrants. As an example, they have chosen a rehabilitation clinic in the German part of Switzerland. The authors argue that especially for long term patients, the internal use of informal language resources that employed migrants bring along can substantially contribute to a successful treatment. Keywords fehlen noch Lead Ein Blick auf die Rehabilitation von Migranten an der Klinik Valens im Kanton St.Gallen (Schweiz) zeigt, dass interne Laiendolmetscher viel zum Gelingen der Rehabilitation beitragen können. Ein längerer Klinikaufenthalt, wie im Falle der Rehabilitation erforderlich, setzt eine möglichst vertrauensvolle und kontinuierliche Kommunikation zwischen Behandelnden und Patienten voraus. Interne Laiendolmetscher, die selbst einen Migrationshintergrund mitbringen, leisten hierzu einen wertvollen Beitrag. Heute ist die Wichtigkeit von Dolmetscherdiensten im Spitalkontext zwecks optimaler Verständigung mit dem fremdsprachigen Patienten weitgehend unbestritten. Allerdings stellt sich immer öfter die Frage, wann es sinnvoll ist, auf externe, professionelle Dolmetscher zurückzugreifen, wann hingegen auf interne Übersetzungshilfen. Der folgende Beitrag illustriert, dass der Rückgriff auf interne Übersetzungshilfen auch im Kontext der Ressourcennutzung von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund durchaus Sinn macht. Veranschaulicht wird dies am Beispiel der Rehabilitation von Migranten. Der Beitrag erhebt keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Er beruht vielmehr auf einer Aktionsforschung, curare 31(2008)2+3: 23- die das Schweizerische Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM im Jahre 2005 für das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG) an sieben Spitälern und Kliniken der deutschen und französischen Schweiz durchgeführt hat.1 1. Einleitung „Es geht um den Auftrag der Gesellschaft, Migranten zu pflegen. Da stellt sich uns einfach die Frage, wie kann ich den Auftrag am besten erfüllen. Dafür brauche ich die bestmöglichen Instrumente, Wissen und Hilfsmittel! Es geht doch darum, den Drehtür-Effekt zu vermeiden. Dafür braucht es Personal. Das Personal hat man und seine Ressourcen auch.“ (Leiterin für Pflegequalität an einem grossen Schweizer Spital) Migranten, die im Gesundheitswesen arbeiten, bringen nebst ihren formell anerkannten Qualifikationen oftmals weitere, wertvolle Ressourcen mit. Dazu gehören beispielsweise Mehrsprachigkeit, Migrationserfahrungen oder die Vertrautheit mit Kulturen anderer Herkunftsländer. Diese informellen Ressourcen2 entstehen im Verlaufe des So- 24 zialisationsprozesses und werden nicht durch ein Diplom oder Zertifikat erworben. Informelle Ressourcen von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund sind für das Gesundheitswesen der Schweiz insofern bedeutsam, als in der Schweiz allein im Jahre 2005 25% aller Beschäftigten im Gesundheitswesen Ausländer waren (28.000 von 109.000). Gerade im Pflegesektor arbeiten viele überqualifizierte ausländische Arbeitskräfte. Hier existiert ein Potenzial an informellen Ressourcen, welches bisher nicht annähernd ausgeschöpft wurde.3 Andererseits verfügen gerade Migranten der zweiten Einwanderergeneration (so genannte „Secondos“), die beispielsweise im Pflegesektor arbeiten, über Ressourcen, die für die Kommunikation zwischen fremdsprachigen Patienten und Behandelnden sehr gefragt sind. Sie verfügen in der Regel über gute Sprachkenntnisse nicht nur des Herkunfts-, sondern auch des Aufnahmelandes und sind mit mehreren Kulturen eng vertraut. Die ehemalige Leiterin eines im Rahmen der Aktionsforschung befragten Sozialdienstes wählte hierfür den gelungenen Begriff der idealen „Sprachkultur“, welche gerade Migranten der zweiten Generation für eine Vermittlertätigkeit mitbringen. Auf Seite der Patienten sehen sich Spitäler und Kliniken im Zuge der gesellschaftlichen Pluralisierung zunehmend mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Klientel aus Personen unterschiedlicher Herkunft besteht. Einerseits handelt es sich um die ansässige Migrationsbevölkerung, die, um es etwas salopp zu formulieren, pflegebedürftig, krank oder alt wird. Andererseits reisen Patienten für Behandlungen immer öfter auch ins Ausland, was entsprechende Sprachkenntnisse der Behandelnden vor Ort voraussetzt.4 Ein beachtlicher Teil der in der Schweiz wohnhaften Migrationsbevölkerung weist gesundheitliche Defizite auf (Gabadinho, Wanner & Dahinden 2007). So besteht zum Beispiel ein Teil der an der Klinik Valens behandelten Patienten aus Migranten, die auf dem Bau gearbeitet haben und in immer jüngeren Jahren mit Rücken- oder Gelenkproblemen zur Rehabilitation in die Klinik eingewiesen wurden. In der Rehabilitation spricht man in diesem Kontext vom so genannten „Migrationskreuzschmerz“, bei dem sich körperliche Abnutzungserscheinungen mit Entwurzelungsproblemen oder einer unsicheren Aufenthaltssituation verbinden. Nebst diesen gesundheitlichen Problemen gibt es Hinweise darauf, dass der Zugang von Martina Kamm & Bülent Kaya Migranten zum sanitären System erschwert ist. Zu nennen sind hier etwa Hürden bei der Kommunikation zwischen Patienten und medizinischem Personal oder beidseitige Informationsdefizite. Sowohl gesundheitliche Defizite als auch ein erschwerter Zugang zu sanitären Leistungen beeinträchtigen die Versorgungsqualität für Migranten. Es besteht heute in Forschung und Praxis weitgehend Einigkeit darüber, dass die Kommunikation zwischen Patienten und Gesundheitspersonal entscheidend zum Verlauf einer Krankheit respektive Genesung beiträgt. Eine gelungene Kommunikation wirkt sich letztlich positiv auf die Patientenzufriedenheit und Compliance aus (Bischoff 2006, Stotzer, Efionayi & Wanner 2006). Umgekehrt steigt in Situationen, in denen die Interaktion erschwert ist, weil Patient und Betreuungsperson keine gemeinsame Sprache sprechen, das Risiko einer Fehldiagnose oder falschen Behandlung (Bischoff, Steinauer & Kurth 2006). Die Tatsache, dass an allen sieben Spitälern und Kliniken, die wir im Rahmen unserer Aktionsforschung untersucht haben, Dolmetscher respektive Übersetzungshilfen für die Kommunikation mit fremdsprachigen Patienten eingesetzt werden, zeigt, dass diese Problematik in der Praxis heute weitgehend erkannt wurde. Indem Spitäler und Kliniken bei Verständigungsschwierigkeiten heute die sprachlichen Ressourcen ihrer Mitarbeiter mobilisieren, verfolgen sie eine doppelte Zielsetzung: Einerseits wird damit Zugang zur Pflege sowie deren Qualität für Migranten verbessert. Andererseits werden Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund auch institutionell integriert. Dieser Prozess der „Transkulturalisierung“, oder institutionellen Öffnung für die Migrationsbevölkerung, betrifft immer eine Institution als Ganzes. Ein transkultureller Wandel erfordert strukturelle Anpassungen und umfasst Maßnahmen gegenüber den Mitarbeitenden, ihren Kernaufgaben und den Zielgruppen, die sie erreichen wollen. Der zunehmenden Heterogenität der Migrationsbevölkerung wird mit einem gegenseitigen Anpassungsprozess Rechnung getragen, indem individuelle Bemühungen zur Integration mit strukturellen Anpassungen verknüpft werden (Domenig 2001). Unsere Aktionsforschung an sieben Kliniken respektive Spitälern der deutschen und französischen Schweiz belegt, dass es heute bedeutende Unterschiede im Grad der strukturellen Anpassungen an die Migrationsbevölkerung gibt. Die BandVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen breite reicht, um beim Beispiel des Dolmetschens zu bleiben, von unkoordinierten ad hoc Einsätzen bis hin zu einer proaktiven Vorgehensweise, bei der eine Arbeitsgruppe „Migration“ mit Unterstützung der Geschäftsleitung die Dolmetschereinsätze ihrer Mitarbeitenden koordiniert und begleitet. Im Folgenden zeigen wir exemplarisch am Beispiel der Klinik Valens, wie ein transkultureller Wandel im Hinblick auf eine bessere Verständigung zwischen Gesundheitspersonal und Patienten im Migrationskontext aussehen könnte. 2. Das Beispiel des Rehabilitationszentrums Klinik Valens „In der Rehabilitation ist die wirksame Zusammenarbeit zwischen Personal, Patienten und Angehörigen essentiell für die Genesung. Wo diese Zusammenarbeit aus kulturellen bzw. sprachlichen Gründen gestört wird, fehlt die Chancengleichheit.“ (Aus dem Projektbeschrieb „Reha-Brücke“ der Klinik Valens, Januar 2005) Das Rehabilitationszentrum Klinik Valens liegt auf einer grünen Sonnenterrasse, umgeben von einer idyllischen Berglandschaft auf 915 Metern über dem Meer. Die ruhige Lage ist ein ebenso wesentliches Merkmal der Höhenklinik, wie die gute Luft und die relative Abgeschiedenheit.5 Die geografische Lage bringt jedoch auch Nachteile mit sich. So ist die Personalrekrutierung kompliziert, ebenso die Rekrutierung ambulanter Patienten. Auch professionelle Dolmetscher können selten extern angefordert werden, da sie zu kostspielig sind oder ihr Transportweg für kurzfristige Einsätze zu lange ist.6 Umso wichtiger sind möglichst ausgebildete, interne Übersetzungshilfen. Dies gilt umso mehr, als ein beachtlicher Teil der Patienten Verständigungsschwierigkeiten aufweist (Herkunftsländer sind vor allem Länder des ehemaligen Jugoslawiens, Südeuropas und der Türkei). Wie im Zitat einleitend erwähnt, ist eine gute Verständigung ausschlaggebend für erfolgreiche Therapien und eine gelungene Rehabilitation. Das beginnt beim Eintrittsgespräch, geht über Therapien (z.B. Physio- oder Ergotherapie) und Behandlungen bis hin zum Austrittsgespräch und einer Absprache über weitere Schritte der Wiedereingliederung nach dem Klinik-Aufenthalt. Damit wird eine konstante Verständigung zu einem wichtigen Faktor für die curare 31(2008)2+3 25 Rehabilitation, deren Absicht unter anderem darin besteht, den Patienten während des Aufenthalts zu Gunsten eines besseren Heilungsresultats zu beeinflussen. „Kontinuität ist in der Rehabilitation enorm wichtig. Sprachliche Ressourcen werden am meisten gebraucht beim Eintrittsgespräch, da hier das Vertrauen aufgebaut wird. Vermittlungs- und Übersetzungsressourcen sind anschliessend für die Therapien wichtiger als für die Pflege, da zum Beispiel die Physiotherapie Forderungen stellt, die schwer vermittelbar sind.“ (ehemalige Leiterin des Sozialdienstes, Klinik Valens). Im Migrationskontext ist oftmals das Verständnis von Gesundheit und Krankheit zwischen Patienten und Gesundheitspersonal nicht deckungsgleich und muss individuell ausgehandelt werden. Laut Klinikpersonal verstehen die in Valens behandelten Migranten oftmals nicht, dass sie ihre Muskeln aufbauen und die Kraft trainieren müssen, um künftig Krankheiten zu vermeiden. Vielmehr wird Schmerz als Gefahr interpretiert, so dass die Patienten sich hinterher in der Beweglichkeit selbst limitieren. Auch wird der Körper immer wieder als Instrument wahrgenommen, anstatt ihn als Gegenstand von Sorgfalt und Pflege zu betrachten. Hier kann eine Übersetzungsarbeit notwendig werden, die über das rein Sprachliche hinausgeht. Ins Spiel kommen andere kulturelle Gepflogenheiten und Migrationserfahrungen, die eine individuelle und kulturelle Vermittlungsarbeit erforderlich machen. Eine Ergotherapeutin der Klinik Valens, die selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt, äußerte sich hierzu wie folgt: „Es ist ein sehr grosser Vorteil, wenn man auch die Kultur versteht. Die Leute sind nicht gewohnt, mit ihrer Gesundheit so umzugehen, wie man das hier macht. Nicht nur sprachlich, sondern kognitiv und kulturell spielt es eine wichtige Rolle, welchen Zugang man zu den Leuten hat. Immer haben die Leute Angst, dass sie nicht richtig verstanden und ernst genommen werden. Heute ist es so, dass die Leute bei der Therapie viel besser mitmachen, wenn man ihnen die Sachen gut erklärt.“ Ein Frustrationspotenzial besteht bei Verständigungsschwierigkeiten nicht nur auf Seiten der Patienten, sondern auch der Behandelnden selbst. In Valens führten die Verständigungsdefizite vor ein paar Jahren zur Gründung der Arbeitsgruppe „Migration“, denn: „Es war im Prinzip eine grosse Frustration darüber da, dass wir gemerkt haben, dass wir den Leuten nicht helfen können. Und wenn Hel- Martina Kamm & Bülent Kaya 26 ferInnen hilflos sind, dann werden sie frustriert und fangen an, den Fehler beim Patienten zu suchen. Das begann mich zu stören.“ (ehemalige Leiterin der Arbeitsgruppe Migration). Die Arbeitsgruppe lancierte im Jahr 2005 das Pilotprojekt „RehaBrücke“, dessen Ziel im Abbau der kulturellen und sprachlichen Hindernisse sowie in einer Verbesserung der Betreuung und des Patientenprozesses bestand.7 Zu diesem Zweck wurde ein Video produziert, welches das Konzept der Rehabilitation sowie die Rollen und Aufgaben des Personals und der Patienten im Migrationskontext illustrieren sollte (als DVD erhältlich auf Deutsch, Albanisch und Türkisch).8 Das Video richtet sich an Patienten mit Verständigungsschwierigkeiten, denen es zu Beginn ihres Aufenthalts gezeigt wird. Die Dolmetscher sind bei der Video-Präsentation mit dabei, damit sie allfällige Fragen der Patienten direkt beantworten können. Ebenfalls wurde eine Therapiebegleitung eingeführt, die komplementär zum Video das Vertrauen und die Kooperation zwischen Patienten und Personal im Migrationskontext fördern sollte. Heute erhalten alle internen Laiendolmetscher eine mehrtägige Einführung, zu der die Videopräsentation gehört, und begleiten ein- und denselben Patienten möglichst von Anfang bis Ende des Aufenthalts. Sie erhalten fachliche Unterstützung und werden betreut, falls sie dies wünschen. Die Arbeitsgruppe „Migration“ trifft sich im Sinne einer Plattform zweimal im Jahr. Leider wurde die versuchsweise eingeführte Therapiesprechstunde, bei der türkische und albanische Patienten Gelegenheit gehabt hätten, zu festen „Sprechstunden“ während ihres Aufenthalts Verständigungsfragen vorzubringen, mangels Nachfrage wieder abgeschafft.9 Nach der Startphase des Projekts zeigt die erste Erfahrung aus Sicht von Fachpersonen heute, dass sich das Verständnis für die Rehabilitation bei fremdsprachigen Patienten verbessert hat. Der Patient versteht von Anfang an, was während des drei- bis fünfwöchigen Aufenthalts mit ihm geplant ist, welches die Therapieziele sind und wie sie erreicht werden sollen. Ebenso positiv wirkt sich die kontinuierliche Verfügbarkeit von Laiendolmetschern aus: Die Patienten werden von Anfang an über verfügbare Laiendolmetscher informiert (mit Foto). Nebst formellen Terminen werden auch informelle Kontakte mit den Laiendolmetschern bei längerem Aufenthalt wichtig: ein Treffen im Gang oder Speisesaal mit jemandem, der die eigene Spra- che versteht, ist emotional von Bedeutung, verleiht Vertrauen und Sicherheit. Ein Laiendolmetscher beschreibt dies aus Sicht des Patienten mit folgenden Worten: „Und da kommt plötzlich jemand, der meine Sprache versteht, das ist für mich einfach wie ein Engel! Dann habe ich jemanden, der mich unterstützt und ich habe keine Angst mehr, dass mich jemand im Stich lässt.“ Video und Therapiebegleitung sind auch im Hinblick auf eine spätere Eingliederung in den Alltag sehr sinnvoll.10 Rehabilitation bedeutet letztlich Wiedereingliederung, und je besser die Wiedereingliederung vorbereitet werden kann, umso mehr hilft sie im Endeffekt den Patienten. Video und Therapie-Begleitung verfolgen somit auch das Ziel einer Hilfe zur Selbsthilfe. Diese Möglichkeit, den Patienten über den Klinikalltag hinaus zu helfen, wird auch von den Laiendolmetschern selbst sehr geschätzt: „Beruflich habe ich zwar das Gefühl, dass ich genug Leuten helfe. Beim Dolmetschen kann ich aber weiter unterstützen, als nur in der Pflege. Zum Beispiel dadurch, dass die Leute, wenn sie von zuhause weggehen, wissen, wo sie hingehen können und sich Hilfe holen können. Wenn die Leute nach Hause gehen und wissen, wo sie nachher Hilfe holen können, dann habe ich das Gefühl: doch, dann unterstütze ich auch im Privaten.“ Die Kehrseite einer kontinuierlichen und persönlichen Betreuung durch interne Dolmetscher besteht darin, dass die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem schwierig zu ziehen sind. Abgrenzung spielt daher eine sehr wichtige Rolle und die Laiendolmetscher weisen immer wieder auf die Wichtigkeit hin, sich über ihre Dolmetschereinsätze mit Fachpersonen und Kollegen austauschen zu können. Nachdem wir nun anhand eines Einzelbeispiels illustriert haben, wie interne Ressourcen von Migranten sinnvoll eingesetzt werden können, möchten wir im Folgenden einen kurzen Einblick in die Theorie und Praxis des Ressourcen-Konzepts im Gesundheitswesen geben. 3. Welche Rolle spielen informelle Ressourcen für das Gesundheitswesen? In der wissenschaftlichen Literatur wird seit einiger Zeit untersucht, wie gewinnbringend die informellen Ressourcen von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund für das Gesundheitswesen sein können. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen Die Aktualität des Themas ist auf dem Hintergrund einer zunehmenden Pluralisierung der Gesellschaft zu sehen, die auch von Institutionen im Gesundheitswesen verlangt, dass diese ihre Leistungen diversifizieren und auf die Bedürfnisse der Migrationsbevölkerung abstimmen. Die Nutzung von Ressourcen im Migrationskontext kann dazu einen substanziellen Beitrag leisten. Die wissenschaft liche Diskussion stützt sich im Wesentlichen auf vier Argumentationslinien: Der kommunikative Ansatz stellt die Verständigung zwischen dem Patienten und dem medizinischen Personal in den Vordergrund der Überlegung. Im Migrationskontext übernimmt der Dolmetscher eine Schlüsselrolle bei Verständigungs- und Kommunikationsproblemen. Der Gesprächsinhalt kann nebst rein medizinischen Fragen auch die Vermittlung bei unterschiedlichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit, anderen Therapiegewohnheiten oder verschiedenen kulturellen Gepflogenheiten umfassen. Dies gilt mit dem Vorbehalt, dass sich Angehörige von Patienten aufgrund fehlender Neutralität, möglicher Befangenheit und fehlenden Kenntnissen über die Klinikstrukturen und die medizinischen Fachausdrücke als Dolmetscher kaum eignen. Auch ungeschulte ad hoc Dolmetscher erbringen oftmals nur unbefriedigende Leistungen. Damit stellt sich die Frage, in welchen Situationen es sinnvoller sein mag, interkulturelle Übersetzer von außerhalb bei zu ziehen, wann hingegen interne Übersetzungshilfen zu rufen. In ihrer neusten Untersuchung zum Thema empfehlen Bischoff, Steinauer & Kurth (2006: 5) bei Gesprächen, die planbar sind und deren Inhalt komplex, emotional oder von kulturellen Aspekten geprägt ist, eher den Einsatz von externen Dolmetschern. Bei einmaligen und dringlichen Gesprächen hingegen, mit einfachem und konkretem Inhalt und kürzerer Dauer geht die Tendenz in Richtung interner Übersetzungshilfen.11 Dahinden & Chimienti (2002) machen den Dolmetscher-Einsatz einerseits von den Anforderungen an die Sprachkompetenz, andererseits vom Komplexitätsgrad der Kommunikation abhängig. Die moderne Medizinanthropologie misst der individuellen Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit wesentliche Bedeutung bei (Kleinman 1980). Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Interaktion zwischen Patienten und Pflegenden respektive Ärzten, wenn es darum geht, unterschiedliche Wahrnehmungen von Krankheit, Diagnose curare 31(2008)2+3 27 oder Therapie zu vermitteln. Im Migrationskontext gewinnt diese Interaktion an Bedeutung, da es aufgrund der individuellen Migrationsgeschichten eine Vielzahl von Deutungsmustern gibt. Diese können die Aushandlung eines Sinns konfliktuell und problematisch gestalten. Das gilt ganz besonders, wenn es sich bei den Patienten um Asylsuchende oder Flüchtlinge mit psychosozialen Problemen handelt. Empfehlungen zur Verbesserung der ärztlichen Praxis zielen dann zum Beispiel auf ein verstärkt patientenzentriertes Vorgehen einschließlich migrationsspezifischer Anamnese, auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Berufsgruppen auch außßserhalb des Medizinsystems und unter Einbezug von Migranten, sowie auf Interventionen in der medizinischen Ausbildung und im migrationspolitischen Bereich (Salis Gross 1997).12 Der Management-Ansatz betont im Migrationskontext die Diversität am Arbeitsplatz. Die soziokulturelle Diversität, die sich aus der vielfältigen Herkunft der Mitarbeitenden ergibt, kann laut wissenschaftlichen Untersuchungen einen konstruktiven Beitrag zu Prozessen der Erneuerung und Kreativität am Arbeitsplatz leisten (Cady & Valentine 1999). Ein weiterer positiver Effekt der Diversität am Arbeitsplatz liegt in einem breiteren Spektrum von Problemlösungsstrategien, die sich aus einer heterogenen Belegschaft ergeben. Schliesslich wird Diversität in der ökonomischen Literatur auch als Quelle für eine gute Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet (Delaunay 2000). Forschungen belegen, dass der betriebsinterne Einsatz der Herkunftssprache von MigrantInnen durchaus gewinnbringend sein kann (Dahinden et al. 2004). Als Akteur spielt für eine breite Erfassung und Performanz informeller Ressourcen wie Mehrsprachigkeit, Lebenserfahrungen oder kultureller Hintergrund der Bereich der Human Resources eine gewichtige Rolle. Der rechtstheoretische Ansatz postuliert im Migrationskontext einen egalitären Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle sowie das Recht darauf, verstanden zu werden. Das Gleichheitsprinzip geht davon aus, dass das Recht auf angemessene Behandlung erst dann effektiv wird, wenn es dem Patienten gelingt, Zugang zu den Behandlungsmöglichkeiten zu erhalten. Tatsächlich belegen diverse Studien das Problem der mangelnden Einforderung der eigenen Rechte durch fremdsprachige Patienten, denen es an den notwendigen Sprachkenntnissen des Aufnahmelandes fehlt. Das Recht darauf, verstanden zu wer- Martina Kamm & Bülent Kaya 28 den, geht wiederum von der Prämisse aus, dass der Patient erst dann zu seinem Recht gelangt, wenn es ihm gelingt, sein Einverständnis zur medizinischen Behandlung zu geben. Das Recht wird so zu einem Instrument, welches es fremdsprachigen Patienten erlauben sollte, ihre Sprachbarrieren abzubauen. Wie der kommunikative Ansatz, so legt auch der rechtstheoretische Ansatz in erster Linie den Rückgriff auf interne oder externe Dolmetscherdienste nahe (Ayer & Gilbert 2004). Obwohl sich alle vier Argumentationslinien direkt oder indirekt für die Verwendung informeller Ressourcen von Migranten aussprechen, werfen sie einige offene Fragen auf: Beim Management-Ansatz beispielsweise wird stillschweigend von Ressourcen ausgegangen, welche primär gut bis sehr gut qualifizierte Arbeitskräfte besitzen (Kreativität und Produktivität). Weiter stellt sich die Frage, inwiefern nicht auch die ansässige Bevölkerung ihre Ressourcen zur Verfügung stellen kann, damit die oben genannten Ziele erreicht werden. Und schließlich bleibt unklar, inwiefern der Einsatz von transkulturellen Kompetenzen sich auf die Zielgruppe der Migranten beschränken soll, oder ob er nicht von viel allgemeinerem Nutzen für Team und Patienten sein kann. Wie die informellen Ressourcen von Migranten in der Praxis tatsächlich verwendet werden, darüber geben unsere Nachforschungen an sieben Spitälern und Kliniken der deutschen und französischen Schweiz Aufschluss. 4. Die Verwendung von informellen Ressourcen im Spital- und Klinikalltag Die theoretischen Reflexionen zur RessourcenNutzung finden ihre Entsprechung teilweise in der Praxis. So wird der erfolgreichen Verständigung zwischen Patienten und Gesundheitspersonal sowie den unterschiedlichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit im Migrationskontext vielerorts Rechnung getragen. Dem Recht darauf, verstanden zu werden, wird zwar Genüge getan, es ist aber nur in Ausnahmefällen als solches auch institutionell verankert (zum Beispiel in den Statuten). Kaum vorhanden ist hingegen der Gedanke an eine Diversität am Arbeitsplatz, in deren Zentrum weniger die Defizite, als die Ressourcen der eigenen Mitarbeiter und Teams für die Arbeitsplatzgestaltung stehen. Indem die von uns untersuchten Institutionen primär die Sprach-Ressourcen ihrer Mitarbeiter nutzen, leisten sie zwar einen Beitrag zur Transkulturalisierung des Gesundheitswesens. Der Beitrag ist jedoch bescheiden und sollte laut Expertenmeinung vor allem im Hinblick auf den Ausbau von transkulturellen Kompetenzen weiter ausgebaut werden. In den Einzelund Gruppengesprächen kam immer wieder zum Ausdruck, dass sich insbesondere Secondos für die transkulturelle Pflege oder als Vermittler mit transkulturellen Kompetenzen im Austausch zwischen Patienten und Gesundheitspersonal – aber auch für die Teamentwicklung – gut eignen würden.13 Es sind vor allem Dienste, die in regelmäßigem oder engem Kontakt mit den Patienten stehen, welche auf informelle Ressourcen der Mitarbeitenden zurückgreifen. Sie weisen einen zusätzlichen Bedarf bei Kommunikationsproblemen auf. Oft spielen gesundheitliche Risiken, die mit der Behandlung der Patienten einhergehen, dafür eine wesentliche Rolle. Zu den Diensten, welche Ressourcen in Anspruch nehmen, zählen Pflege respektive Beauftragte für Pflegequalität und -entwicklung, Operationssaal, Notfall oder Sozialdienst; oder aber Kliniken, wie Frauen-, Kinder- und Rehabilitations-Kliniken. Weniger sensibilisiert für die Ressourcen-Nutzung sind Dienste, die zwar anderen Akteuren gelegentlich Ressourcen ihrer Mitarbeitenden anbieten, selbst jedoch keinen unmittelbaren Bedarf daran haben. Dazu gehören der Hoteldienst, die Reinigung, der technische Dienst oder der Personaldienst. Diese Akteure stehen kaum in direktem Kontakt zum Patienten, sind weniger für dessen Bedürfnisse sensibilisiert und tragen weit weniger direkte Verantwortung für das gesundheitliche Risiko. Sie kommen daher kaum in Berührung mit Problemsituationen, die oftmals Ausgangspunkt für die Ressourcen-Nutzung sind. Diese Akteure stehen der RessourcenNutzung grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber, tun sich jedoch schwer damit, eigene Mitarbeitende für Einsätze in anderen Diensten freizustellen. In der Praxis erfolgt die Nutzung der Ressourcen heute aus einer bottom-up Perspektive heraus. Es sind Arbeitsgruppen oder Einzelinitiativen, die dann zum Zug kommen, wenn Probleme bei der Kommunikation mit Patienten anderer Herkunft auftreten. Die Einsätze erfolgen ad hoc und aus einer Dringlichkeit heraus. Sie werden sowohl seitens der Patienten und involvierten Dienste als auch seitens der Migranten, die ihre Ressourcen anbieten, VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen honoriert. Migranten empfinden ihre Tätigkeit als eine persönliche und professionelle Bereicherung und betonen, wie wichtig es im Sinne der Compliance für die Patienten ist, verstanden zu werden. Die Spitalleitung unterstützt zwar Einzelinitiativen wie die Einrichtung von Übersetzerdiensten, die Erstellung von Übersetzerlisten oder DolmetscherWeiterbildungen. Eine institutionalisierte und durchdachte Politik der Ressourcen-Nutzung ist jedoch die Ausnahme. Das zeigt sich auch an der Personalrekrutierung. Informelle Ressourcen, wie Mehrsprachigkeit oder Migrationserfahrungen, welche Migranten allenfalls für eine Stelle mitbringen, können zwar im Bewerbungsgespräch ein Vorteil sein. In erster Linie wird jedoch auf die rein fachliche Qualifikation geachtet. Das bedeutet, dass der Ressourcen-Einsatz wesentlich besser systematisiert und professionalisiert werden müsste. Damit könnten Engpässe bei den Einsätzen (wie zum Beispiel fehlendes oder zu wenig gut ausgebildetes Personal, ungeklärte Besoldung oder unklare Arbeitszeiten) einfacher behoben werden. Was fehlt, ist ein Gesamtkonzept der Ressourcen-Nutzung mit Zielvorgaben sowie Planungs-, Entwicklungs- und Evaluationskriterien. Das setzt eine aktivere Unterstützung seitens der Spital-Leitung und des Human Resources Bereichs voraus. Ebenfalls zu wenig ausgeprägt ist bei der Betriebsleitung ein positives Bewusstsein für die Diversität am Arbeitsplatz. Die Überlegung, dass informelle Ressourcen für die Arbeitsplatzgestaltung oder Teamarbeit ein Gewinn sein können, ist kaum vorhanden. Stattdessen kämpfen Kadermitarbeiter immer wieder gegen negative Vorurteile, mit welchen ihre Mitarbeiter den Migranten begegnen – seien das nun Arbeitskräfte oder Patienten. Oft werden Probleme mit kultureller Vielfalt sowie Defizite seitens der Migranten betont, statt die Chancen zu sehen, die sich aus einer kulturellen Vielfalt für die Gestaltung des Arbeitsplatzes ergeben. Was in den Gruppengesprächen viel Raum einnahm, war denn auch die Sensibilisierungsarbeit, die im Vorfeld der Ressourcen-Nutzung geleistet werden müsste. Diese betrifft in erster Linie Maßnahmen gegen Diskriminierungen und Vorurteile gegenüber Migranten am Arbeitsplatz. Unsere Ergebnisse decken sich mit den Resultaten anderer Forschungen, die das Gelingen einer optimalen Ressourcen-Nutzung in erster Linie von der jeweiligen Betriebskultur abhängig machen. curare 31(2008)2+3 29 So kann der sporadische und unstrukturierte Einsatz von internen Ressourcen für die Teams und Patienten negative Folgen zeitigen, wenn er nicht kompetent erfolgt und professionell begleitet wird. Umgekehrt war es interessant zu beobachten, dass der lokale Einsatz interner Ressourcen auch einen positiven Sensibilisierungseffekt für die Transkulturalisierung der Institution als Ganzes zur Folge haben kann. 5. Schlussfolgerung Die Frage nach dem Nutzen informeller Ressourcen für das Gesundheitswesen lässt im Migrationskontext folgende Schlüsse zu: Im Rahmen eines längeren und stationären Aufenthalts, wie ihn die Rehabilitation darstellt, ist der Rückgriff auf die eigenen Mitarbeiter dann besonders sinnvoll, wenn sich erstens keine externe und professionelle Alternative für Dolmetschereinsätze anbietet. Das gilt insbesondere für Kliniken, die geografisch abgelegen uns schwierig zu erreichen sind. Zweitens spricht für den Rückgriff auf eigene Mitarbeiter deren Präsenz und Verfügbarkeit, ebenso wie ihre Vertrautheit mit dem medizinisch-therapeutischen Vokabular. Dies geht über rein sprachliche Verständigungsschwierigkeiten hinaus, und umfasst ebenfalls eine individuelle Vermittlungsarbeit bei unterschiedlichen Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Therapie. Interne Dolmetscher können hier mit ihrer kontinuierlichen Anwesenheit einen substanziellen Beitrag zum Heilungserfolg in der Therapie leisten. Das bedingt allerdings, dass sie über genügend Sprachkenntnisse verfügen und entsprechend ausgebildet sind. Fehlende Sprachkenntnisse in der Sprache des Aufnahme- wie auch des Herkunftslandes bilden unseren Kenntnissen zufolge eines der größten Hindernisse für die interne Ressourcennutzung. Hier könnten interne Schulungen weiter helfen. Eine weitere Bedingung für eine gelungene Kommunikation wäre, dass interne Dolmetscher für ihre Tätigkeit, zum Beispiel als Therapiebegleiter, möglichst ausgebildet und regelmäßig darin begleitet würden, wie dies in Valens ansatzweise der Fall ist. Ein Hindernis hierfür besteht in der Personalfluktuation jener Mitarbeiter, die sich beruflich neu orientieren wollen. Ein Anreizsystem könnte hier Abhilfe schaffen, indem zum Beispiel Laiendolmetscher eine Multiplikatoren-Rolle in der Zusammen- Martina Kamm & Bülent Kaya 30 arbeit mit dem Patienten übernehmen, die über den Klinikaufenthalt hinausgeht. In Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und Netzwerken könnten sie bei der Wiedereingliederung des Reha-Patienten in den Alltag helfen. Damit würde ihnen eine Verantwortung übertragen, die über das formelle Pflichtenheft hinausgeht. Weiter müssten die Laiendolmetscher gezielt und on the job in transkulturellen Kompetenzen geschult werden, zumal diese gerade im Kontext eines längeren Aufenthalts wichtig werden. Ihre Arbeit könnte mittels eines Qualitätslabels aufgewertet werden. Hierdurch könnte die Konkurrenzsituation zwischen den Anbieter- und Nutzerdiensten gedämpft werden, indem auch der Anbieterdienst von einer Aufwertung seiner Mitarbeiter profitiert. Auch könnten allfällige Hierarchie- und Statusprobleme insofern abgebaut werden, als die Multiplikatoren eine Rolle übernähmen, welche sie dazu legitimiert, über ihren formellen Aufgabenbereich hinaus ein Mitspracherecht auszuüben.14 Angesichts der äußerst bescheidenen Datenlage, die zur Nutzung interner Ressourcen in der Praxis existiert, sind weitere Forschungen notwendig: So könnte eine Bedarfsanalyse bei Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen eines stationären Aufenthalts auch in der Geriatrie und Psychiatrie Aufschluss darüber geben, wie Heilungserfolge von Migranten verbessert werden können, und welche Rolle dabei die internen Ressourcen der Mitarbeiter zu spielen vermögen. Über die Frage eines längeren Aufenthalts hinaus stellt sich auch bei Akutspitälern die Frage, ob nicht der Einsatz von transkulturellen Kompetenzen einen Gewinn darstellt, der über den Migrationskontext hinausweist. Dies, indem zum Beispiel eine breitere Perspektivenvielfalt und das Switchen zwischen kulturellen Codes, über welches gerade Angehörige der zweiten Einwanderergeneration des Öfteren verfügen, auch für die ansässige Bevölkerung eine Hilfe sein können – sei dies im Kontakt mit Patienten oder am Arbeitsplatz. Das würde allerdings bedingen, dass der Messung von Patientenzufriedenheit und der Zufriedenheit am Arbeitsplatz eine Bedeutung beigemessen wird, die in dieser Form bis heute kaum existiert. 6. Ausblick Eine fundierte Diskussion an Spitälern und Kliniken, wie die informellen Ressourcen von Mi granten am Arbeitsplatz gewinnbringend genutzt werden könnten, leistet einen Beitrag zur Chancengleichheit von Patienten und Angestellten, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Glaubens- oder Lebensform. Die Beschäftigung mit der Thematik weist damit über die eigentliche Zielgruppe der Migranten hinaus. Bei der Frage nach der Qualität von Gesundheitsleistungen geht es um eine patientenfreundliche und optimale Versorgung aller Patienten, die den unterschiedlichsten Bedürfnissen gerecht wird. Bei der Diversität am Arbeitsplatz wiederum handelt es sich um positive Schritte zur Integration der Mitarbeiter, welche dem Betrieb als Ganzes zu Gute kommen. Um einer Chancengleichheit zum Durchbruch zu verhelfen, müssten formelle und informelle Ressourcen, welche nicht nur Migranten, sondern Arbeitskräfte im Gesundheitswesen überhaupt mitbringen, bewusster zur Kenntnis genommen und entwickelt werden. So könnte die vermehrte Nutzung von Ressourcen auf lange Sicht gerade on the job dazu beitragen, anderen Lebens- und Ausdrucksformen mehr Verständnis entgegenzubringen. Dadurch würde nicht nur die Qualität der Gesundheitsleistungen längerfristig für Patienten verbessert, sondern zugleich ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung am Arbeitsplatz gesetzt. Ammerkungen 1. . Kaya B., Kamm M., Gabadinho A.: «Ressources du personnel migrant: quelle importance dans le domaine de la santé?». Neuchâtel, Etudes du SFM 50. Die Aktionsforschung wurde im Rahmen der gesamtschweizerischen Bundesstrategie «Migration und Gesundheit 2002-2007» durchgeführt. Die Studie kann elektronisch bestellt werden unter: www.migration-popu lation.ch. 2. Informelle Ressourcen sind ein Teil dessen, was Pierre Bordieu als „kulturelles Kapital“ bezeichnet hat (Bordieu 1979). In der Terminologie Bordieus handelt es sich dabei um einen „kulturellen Habitus“, der sich aus Sozialisierungsprozessen zusammensetzt und die Ressourcen eines Individuums umfasst, welche nicht durch ein Diplom oder Zertifikat erworben wurden. Dazu gehören zum Beispiel Lebenserfahrungen, praktisches Alltagswissen sowie unterschiedliche Werte- und Glaubenshaltungen. Im Falle von Migranten handelt es sich um Ressourcen, wie: Sprachkenntnisse, kulturelle Werte und Überlieferungen, Migrationserfahrungen sowie transkulturelle Kompetenzen. Unter „transkulturellen Kompetenzen“ wird die Fähigkeit verstanden, „individuelle Lebenswelten in der besonderen Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu verstehen und entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten.“ (Domenig 2001: 200). 3. Der Ausländeranteil an den gut qualifizierten Arbeitskräften in Spitälern resp. Kliniken beträgt 20%, derjenige an den nicht qualifizierten Arbeitskräften 50%. Mehrheitlich entspricht der Ausbildungsgrad auch dem Tätigkeitsprofil, mit Ausnahme VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen des intermediären Sektors, in dem im Vergleich zu Schweizern mehr überqualifizierte ausländische Arbeitskräfte arbeiten. Siehe dazu Kaya, Kamm et al. (2007). Der neuste OECDBericht „International Migration Outlook“ (2007: 164) betont den hohen Anteil an im Ausland geborenen Krankenschwestern und Krankenpflegern mit gutem Ausbildungsprofil, über den die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern verfügt. 4. Siehe OECD-Bericht « International Migration Outlook“ (2007: 185). Auch im Rehabilitationszentrum der Klinik Valens besteht ein Teil der Klientel, die sich ambulant behandeln lässt, aus Italienern aus dem grenznahen Raum. 5. Die Klinik Valens ist eine Rehabilitationsklinik für Rheumatologie- und Neurologie-Patienten. Sie beschäftigt ca. 350 Mitarbeiter und ist Teil des Spitalnetzwerks für die Migrationsbevölkerung H+. Weitere Infos zur Klinik unter: www.klinik-valens. ch; 6. Professionelle, externe Dolmetscher werden praktisch nur für die Erstellung von (Versicherungs-)Gutachten bei gezogen und werden extern finanziert. Während des stationären Aufenthalts hingegen wird auf interne Übersetzungshilfen zurückgegriffen, die, obwohl sie Laien sind, qualitativ gute Arbeit leisten müssen. Das Kosten-Nutzen Dilemma wird von einer ehemaligen Mitarbeiterin wie folgt beschrieben: „Das ist das grösste Problem, das wir haben: wir brauchen intern so gute (Dolmetscher, A.d.V.), dass sie die Aufgaben auch übernehmen können, oder wir haben externe, bei denen die Finanzierung klinikintern nicht geklärt ist!“ 7. Weitere Kliniken, die am Pilot-Projekt „Reha-Brücke“ im Sinne einer regionalen Kooperation beteiligt werden sollten, sind die Reha-Klinik Bellikon (AG), die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Suchtbehandlung St. Pirminsberg (SG), die Zürcher Höhenklinik Davos (GR) und die Rehaklinik Rheinfelden (SG). 8. „Der Weg zur erfolgreichen Rehabilitation. Stationäre Behandlung bei langanhaltenden Schmerzen.“ DVD-R, Dauer: 12 Minuten. Erhältlich im Rehabilitationszentrum der Klinik Valens. 9. Als Erklärung hierfür wurde uns gesagt, dass türkische und albanische Patienten nicht „irgendwo hingehen, um ihre Probleme zu besprechen.“ Da die Sprechstunde erst im Rahmen einer Testphase angeboten wurde, ist es durchaus möglich, dass die Patienten hierfür noch zu wenig sensibilisiert waren. Um die Bedürfnisse der Patienten besser zu kennen, braucht es Instrumente zur Messung der Patientenzufriedenheit, die heute nach wie kaum vorhanden sind (siehe Stotzer, Efionayi-Mäder & Wanner 2006). 10. Die Klinik Valens verfügt über einen Sozialdienst, der mit dem Patienten und Laiendolmetscher darüber berät, wie der Alltag nach dem Aufenthalt aussehen sollte. Der Sozialdienst hilft bei Kontakten mit Sozialbehörden, Arbeitsämtern oder dem Arbeitgeber. Er bespricht zusammen mit dem Laiendolmetscher und Patienten, wo weitere Therapiemöglichkeiten bestehen und allenfalls Umschulungsmöglichkeiten vorhanden sind. 11. So weisen die Autoren darauf hin, dass Patientengespräche mit professionellen Dolmetschern (im Falle der Schweiz: eidgenössisch zertifizierte „interkulturelle Übersetzer“) die besten Ergebnisse der Übersetzung und Kaya B., Kamm M., Gabadinho A.: «Ressources du personnel migrant: quelle importance dans le domaine de la santé?». Neuchâtel, Etudes du SFM 50. Die Aktionsforschung wurde im Rahmen der gesamtschweizerischen Bundesstrategie «Migration und Gesundheit 20022007» durchgeführt. Die Studie kann elektronisch bestellt werden unter: www.migration-population.ch. 12 Die anthropologische Sichtweise dient mittlerweile als Referenzgrösse für die Einführung weiterer Konzepte, wie: interkulturelle Mediation, Konfliktmediation, culture bokarage oder ethnic care consultant. Deren Anwendung bedingt oftmals den Einsatz von Migranten und deren Ressourcen. curare 31(2008)2+3 31 13. So gehen Migranten der 2. Generation oft anders an Problemsituationen in Zusammenhang mit soziozentriertem oder individuellem Verhalten von Patienten heran. Sie kennen mehrere Verhaltenscodes, was über die Zielgruppe der Migranten hinaus allen Patienten und Teams zugute kommen kann. 14. Hierarchie- und Statushürden verhindern laut Fachpersonen, dass informelle Ressourcen zum Beispiel auch in Zusammenarbeit mit höher gestellten Mitarbeitern sinnvoll eingesetzt werden können. Literaturhinweise Ayer A., Gilbert M. 2004. Droits du patient migrant: quelles sont les bases légales de la constitution médicale en présence d‘un interprète? Résumé de la recherche CFE 03-806. Genève, Lausanne. Bibeau G., Chan-Yip A. 1992. La santé mentale et ses visages. Boucherville: Gaëtan Morin. Bischoff A. 2006. Caring for migrant and minority patients in European hospitals. A review of effective interventions. Neuchâtel, Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM, Studie 43. Bischoff A., Steinauer R., Kurth E. 2006. Dolmetschen im Spital: Mitarbeitende mit Sprachkompetenzen erfassen, schulen und gezielt einsetzen. Basel: Verlag? Bischoff A. et al. 2003. Improving communication between physicians and patients who speak a foreign language. British Journal of General Practice, July: 541-546. Bollini P., Siem H. 1995. No real progress towards equity: health of migrants and ethnic minorities on the eve of the year 2000. Social science and medicine 41,6: 819-828. Bordieu P. 1979. La distinction, critique sociale du jugement. Paris: Minuit. Cady S., Valentine J. 1999. Team Innovation and perceptions of consideration: What difference does diversity make? Small Group Research 30,6: 730-750. Cooper H., Smaje C., Arber S. 1998. Use of health services by children and young people according to ethnicity and social class: Secondary analysis of a national survey. BMJ 317: 1047-51. Dahinden J., Chantal D., Grisenti W. 2005. Nationale Machbarkeitsstudie. 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Gegenwärtig realisiert sie eine Publikation zum literarischen Schaffen von Autoren fremder Herkunft und eine Fotoausstellung über Kriegs- und Folteropfer in der Schweiz Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM. 2, Rue St.Honoré, 2000 Neuchâtel, Schweiz. e-mail: [email protected] Bülent Kaya is a political scientist. He is a researcher at Swiss Forum for Migration and Population Studies of the University of Neuchâtel. He has worked extensively on incorporation policies for migrants and refugees, discrimination on the labour market, migration and health, on cultural and linguistic diversity, and migrant education. Swiss Forum for Migration and Population Studies (SFM) Rue St.Honoré, 2, 2000 Neuchâtel, Switzerland. e-mail: [email protected] VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung 33 Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung Margith Lin & Karl Mutter Zusammensassung Margrith Lin und Karl Mutter (Heilpädagogischer Dienst für den Vorschul-und Schulbereich der Stadt Basel) diskutieren den Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung. Die Autoren heben hervor, dass interkulturelle Vermittlung notwendig ist, um den Klienten unsere Vorstellungen vom Nutzen von Beratungs- und Förderangeboten nahe zu bringen. Interkulturelle Vermittlung ermöglicht es, divergierende „Alltagspsychologien“ der Klienten, ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen im Rahmen der Migration mit institutionellen Erwartungen und Routinen zu konfrontieren und so zu einer besseren gegenseitigen Verständigung zu gelangen. Durch den Einsatz interkultureller Vermittlung gelingt es vielfach erst, die Bedeutung der individuellen Geschichten der Klienten im Kontext ihrer Migrationserfahrungen besser zu verstehen und diese Erfahrungen als Beitrag für die Förderung ihrer Kinder in den Beratungsprozess einzubringen. Title Abstact Margrith Lin and Karl Mutter (Heilpädagogischer Dienst für den Vorschul-und Schulbereich der Stadt Basel) discuss the contribution of intercultural translation in the context of counselling migrant families with children who are proposed to have a special support. The authors emphasize the role of intercultural translation leading to a better understanding of the professional intentions and the special forms of support supposed to sustain the further development of the child. Intercultural translation is helpful to understand the different explications clients use to explain their and their childrens situation in the context of their personal history of migration. It may lead to a better understanding of personal and cultural perspectives and offers a quite comfortable form in the complex process of negotiation of meaning. Keywords 1. Zur Entwicklung der Tätigkeit des interkulturellen Übersetzens und Vermittelns Die Arbeitsform des Dolmetschens im Rahmen von Beratungsgesprächen wird im Heilpädagogischen Dienst Basel-Stadt schon seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts praktiziert. Meistens wurde diese Tätigkeit von engagierten nichtprofessionellen Landsleuten der Klienten übernommen. Erst seit Mitte der 90er Jahre begann sich in der Schweiz ein fachlicher Diskurs zu etablieren, der die Praktiken des Dolmetschens in verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern thematisierte und propagierte (vgl. dazu den Grundlagenbericht zur Übersetzung und kulturellen Mediation im Gesundheitsbereich von Weiss & Stuker 1998). Dies führte in der Folge zu verstärkten Professionalisierungsbestrebungen hinsichtlich der Tätigkeit des Dolmetschens und einer klareren Umschreibung der damit verbundenen curare 31(2008)2+3: 33- Rollen und Aufgaben.1 Die Bezeichnung „Dolmetscher“ wurde zunehmend durch die Bezeichnung „interkultureller Übersetzer“, bzw. „interkultureller Vermittler“ ersetzt. Interkulturelle ÜbersetzerInnen und VermittlerInnen sind in direkten Interaktionen zwischen Fachpersonen und Klienten – also zwischen Sprechern verschiedener Sprachen mit jeweils unterschiedlichem kulturellen Hintergrund – im Einsatz. Diese interkulturellen VermittlerInnen erweisen sich als „Schlüsselpersonen“, da sie erst durch ihre Mittlertätigkeit den Zugang zu andern Kulturen und Denkweisen erschließen. Die Zusammenarbeit mit interkulturellen ÜbersetzerInnen und VermittlerInnen im Bereich der Heilpädagogik ermöglicht Chancen und Zugänge in der Beratung von Migrantenfamilien, die sich ohne diese vermittelnde Unterstützung wohl kaum eröffnen würden. Die sich daraus auf Seiten der Klienten und der Institutionen ergebenden Möglichkeiten werden unseres Erach- 34 tens zwar zunehmend mehr, aber immer noch sehr zaghaft ausgeschöpft. Wir möchten in den folgenden Ausführungen über unsere langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer berichten und dabei insbesondere die Bedeutung der Narration im Beratungskontext reflektieren. (Weitere Ausführungen zur interkulturelle Beratungsarbeit mit Dolmetschern finden sich in den Publikationen von Lin & Mutter 1998, 1999, 2001, 2002, 2003, 2006). 2. Interkulturelle Übersetzung zur Klärung von unterschiedlichen Erwartungshaltungen Wir sind der Auffassung, dass wir erst durch die Zusammenarbeit mit interkulturellen ÜbersetzerInnen eine Form des Gespräches schaffen können, über die wir zu tragfähigen Vereinbarungen im Rahmen der heilpädagogischen Arbeit gelangen. Meist geht es bei den ersten Kontakten mit Eltern darum, gegenseitige Erwartungshaltungen zu klären. Bei fremdsprachigen Eltern mit Klein- und Vorschulkindern besteht aufgrund der meist erst kurzen Anwesenheit im Aufnahmeland ein erhöhter Informationsbedarf im Zusammenhang mit Fragen der Behinderung des Kindes und im Hinblick auf lokale Förder- und Unterstützungsangebote im Bereich der Heilpädagogik. Fremdsprachige Eltern haben oft noch wenig Erfahrung mit solchen institutionellen Angeboten (Heilpädagogische Förderung, Betreuungsmöglichkeiten, Vorschulische Einrichtungen, Schulsystem) und den damit verbundenen Förderkonzepten – vor allem wenn sie aus so genannt bildungsfernen Verhältnissen stammen (siehe Lanfranchi 2004). Handelt es sich um erstgeborene Kinder mit einer nicht erwartungsgemäß verlaufenden Entwicklung, kann dies zu einer beträchtlichen Verunsicherung und Desorientierung der Eltern führen, wenn sie mit für sie unverständlichen institutionellen Erwartungshaltungen konfrontiert werden. Die institutionellen Vorstellungen, was für die Entwicklung des Kindes gut ist, sind für die betroffenen Eltern nicht immer ohne weiteres nachvollziehbar und bedürfen gerade für Fremdsprachige, die mit den regionalen Verhältnissen nicht vertraut sind, entsprechende Klärung. Wie wichtig diesbezüglich die Zusammenarbeit mit einer interkulturellen Übersetzerin ist, soll folgende Begebenheit aufzeigen: Margareth Lin & Karl Mutter Aus dem Sozialdienst des Kinderspitals kam die Meldung, dass eine kurdische Mutter mit einem schwer behinderten kleinen Jungen dringend heilpädagogischer Unterstützung bedürfe. Da die Familie mit dem krankheitsanfälligen Kind nicht mobil war, wurde uns vorgeschlagen, die Familie zu Hause aufzusuchen. Die Sozialarbeiterin des Sozialdienstes vereinbarte mit der Mutter einen Abendtermin, weil es uns wichtig ist, dass auch die Väter bei den Gesprächen anwesend sind. Als ich in Begleitung der interkulturellen Vermittlerin an der uns angegebenen Adresse in einem Hinterhof an der Wohnungstüre klingelte und sich die Türe öffnete, erwarteten uns dort sieben Männer und etliche Frauen, welche uns alle neugierig anstarrten. Nach einer kurzen Diskussion wurden wir in die Wohnung eingelassen, wo mich die Kulturvermittlerin zielstrebig zu den in der Mitte des Raums bereit gestellten Sitzplätze führte. Vorne stand der älteste der Männer, welcher nun das Gespräch führte, während eine Frau neben ihm auf einem Stuhl saß. Auf der rechten Seite saßen aufgereiht die übrigen Männer, welche zwischendurch klärende oder kritische Nachfragen stellten. Die Frauen schenkten uns Kaffee ein und beschäftigten sich mit einem kleinen Mädchen, ein Junge war nirgends zu erblicken. Ich stellte in diesem Gespräch mit Hilfe der interkulturellen Vermittlerin unsere Angebote vor und wir trafen die Abmachung, dass eine Heilpädagogin wöchentlich vorbeikomme um – gemeinsam mit der Mutter – den kleinen Ahmet in seiner Entwicklung zu unterstützen. Des weitern wurden weiter Gespräche mit den Eltern vereinbart. Die Heilpädagogin besuchte nun wöchentlich Mutter und Sohn, außer der kleine Ahmet war gerade wegen immer wieder auftretenden Ernährungsproblemen im Spital. Die in zeitlichen Abständen durchgeführten Standortgespräche mit den Eltern fanden in einer sehr herzlichen Atmosphäre statt und wir mussten dazu immer ganz erlesene Leckerbissen aus der Heimat kosten. Die andern beim ersten Besuch anwesenden Männer und Frauen haben wir nie mehr gesehen. Dank der kulturellen Vermittlerin, konnten die unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Verunsicherungen beidseitig geklärt werden: Die Sozialarbeiterin im Spital hatte ohne Übersetzerin mit der Mutter den Termin abgemacht und wusste deshalb nicht, dass der Vater jeweils abends arbeitet. Da der Vater nicht zuhause war und unklar war, was wir als staatliche Angestellte bei der Familie wollten, wurVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung de die Verwandtschaft zur Unterstützung der Mutter aufgeboten. Der älteste Bruder der Mutter führte das Gespräch, während die jüngeren Brüder kritisch die Situation überblickten. Was wir auch nicht wissen konnten: Der kleine Ahmet, deswegen wir eigentlich gekommen waren, befand sich zu dieser Zeit zur medizinischen Abklärung im Spital. So wusste die Familie nicht, was sie von uns erwarten sollte, noch was wir von ihnen erwarteten. Wohl war für uns Fachpersonen klar, was wir von der Familie erwarteten, aber wir konnten nicht wissen, was die Familie von uns erwartete und welche alltagspsychologischen Erklärungen sie für unser Verhalten hatte. (Lin 2007). 3. Interkulturelle Übersetzung von unterschiedlichen Alltagspsychologien In der Arbeit mit Migrantenfamilien begegnen wir oft alltagspsychologischen Vorstellungen, die sich von unseren herkömmlichen Vorstellungen unterscheiden. Der Kognitions- und Entwicklungspsychologe Jerome Bruner hat bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts mit großer Beharrlichkeit die kulturellen Unterschiede, welche Wachstum und Entwicklung formen, ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt. Bruner erinnert uns daran, dass jede Kultur über ihre eigene Art und Weise verfügt, wie sie psychologische Vorgänge zum Zweck der Begründung, Erklärung und Voraussage von Verhaltensweisen konzipiert. Dem Begriff der „Alltagspsychologie“ kommt in den Überlegungen Bruners ein wichtiger Stellenwert zu (Bruner 1987, 1998, 2002). „Alltagspsychologien“ sind nach Bruner Erklärungssysteme, die es den Menschen erlauben, ihre Erfahrungen und Transaktionen in ihrer sozialen Welt sowie ihr Wissen über diese zu organisieren. Alltagspsychologien stellen normative Beschreibungen bereit, um zu erklären: –– wie Menschen funktionieren (Menschenbild) –– wie unser Geist und der unserer Mitmenschen beschaffen ist (Modell des Geistes oder der Psyche) –– welche Handlungs- und Lebensweisen möglich und erwartbar sind (Erwartungen und Erwartungserwartungen) Alltagspsychologien sind sozusagen Alltagstheorien, die dazu dienen, Erfahrungen durch Rahmenbildung oder Schematisierung zu organisieren. curare 31(2008)2+3 35 Aufgrund unserer kulturell geprägten Alltagspsychologien gehen wir davon aus, dass wir die Bedeutung der von uns verwendeten Begriffe weitgehend mit denen unserer Kommunikationspartner teilen und dass diese – geradezu als selbstverständlich vorausgesetzten Begriffe – daher keiner „Übersetzung“ bedürfen. Als Angehörige der gleichen Kultur verstehen wir, was unser Kommunikationspartner damit meint. Alltagspsychologien erklären nicht nur, wie die Dinge sind, sondern auch, wie sie sein sollten. Sie ermöglichen es, Unerwartetes und Ungewöhnliches in eine verständliche Form zu bringen2. In Gesprächen mit Eltern aus andern Lebenswelten können wir jedoch auf kulturell ganz unterschiedliche Vorstellungen treffen, wie ein optimaler Umgang mit Kindern beschaffen sein müsste, damit sie sich gut entwickeln. Der Kurde Yusuf Yesilöz berichtet, wie seine Mutter – welche selbst nie eine Schule besucht hatte – aufgrund solcher Alltagspsychologien ihn und seinen Bruder in ihren Schulleistungen zu unterstützen versuchte. Er selbst hatte Ende Schuljahr von der Lehrerin eine gelbe Kordel erhalten, was „nicht bestanden“ hieß. “Mein Bruder, der damals in die fünfte Klasse, ging hatte eine rote bekommen, worauf meine Mutter überaus stolz war. Die Mutter holte Salz bei den Nachbarn und streute es über den Bruder, um ihn von den bösen Blicken zu schützen, was sie nach seinem Erfolg für angebracht hielt. Auf mich war sie weniger stolz und wollte mich für eine Nacht in das heilige Haus der Nachbarin Zevke schicken, damit ich das nächste Semester besser sei“ (Yesilöz 2000: 22-23). 4. Institutionell unterschiedliche Kommunikationssysteme und ihre Leitdifferenzen Luhmann beschreibt Kultur als eine Form des Gedächtnisses, welches ermöglicht, „Vergangenheit normativ zur Bestimmung individueller und kollektiver Zukunftsperspektiven in Anspruch zu nehmen“ (Luhmann 1997: 588). Leistungen des Gedächtnisses sind deshalb nie nur individuell; es bedarf dazu immer aktueller Interaktionen, um Vergangenes wieder aufleben zu lassen und Gegenwärtiges mit Sinn auszustatten. Dabei erscheint das Vergangene nie so, wie es sich wirklich zugetragen hat, da es immer die Spuren der Gegenwart trägt – ebenso 36 wie Gegenwärtiges nur im Lichte des Vergangenen seine Bedeutung erhält. Der institutionelle Kontext beeinflusst die Form der Gespräche, die im Rahmen der jeweiligen Institution geführt werden. Jede Institution „generiert“ sozusagen ihre eigenen Kommunikationssysteme und somit auch ihre dazu passenden Erzählungen. Nach Niklas Luhmann (1997) besteht die Gesellschaft aus vielen solcher spezifischer „institutioneller Erzählungen“. Jedes System organisiert seine eigenen Weisen des Erzählens um seine spezifischen „Leitdifferenzen“ herum. In einem Gerichtsverfahren steht z.B. die Leitdifferenz „recht/unrecht“ im Zentrum der Verfahrensroutinen, in einem ärztlichen Gespräch die Leitdifferenz „gesund/krank“. Welches ist nun aber die Leitdifferenz der heilpädagogischen Arbeit? Wahrscheinlich würde man die Diskussion verkürzen, ginge man einfach davon aus, dass es sich um die Leitdifferenz „behindert/nicht behindert“ handelt.3 Gemäß solcher polarer Gegensatzpaare ist jeweils auch die Fragerichtung angelegt, entlang derer Fachpersonen ihre Beschreibungen organisieren; die jeweilige Leitdifferenz legt fest, was für die Bearbeitung des Fallgeschehens wichtig bzw. unwichtig ist. So bestimmt die Logik der Befragung, was als relevant angesehen werden soll oder was nebensächlich ist und weggelassen werden kann. Von den interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer wird erwartet, dass sie sich an diesen institutionell unterschiedlichen Leitdifferenzen orientieren, und nur das in der Übersetzung gewichten, was für diese Disziplin als relevant erachtet wird. Dabei können wertvolle Informationen, welche zum besseren Verständnis einer Situation oder einer Handlung beitragen würden, verloren gehen. „Der Mann unterbrach mich über die Dolmetscherin. Er wollte ja nur Zahlen, nicht so einen langen Text. Auch für den Geburtsort brauche er nur ein Wort, sieben oder zehn Buchstaben müssten genügen. … Der Mann unterbrach mich. Die Dolmetscherin übersetzte mir, er wolle nur eine Zeitangabe, diese dürfte aus etwa vier Buchstaben bestehen, was ich hier erzähle, sei hingegen ein ganzer Roman. Ich war überhaupt nicht an Daten gewöhnt, sah also keine Möglichkeit, als meinen ‚Roman“ weiter zu erzählen“ (Yesilöz 2002: 28-33). Mit diesen Worten beschreibt der Kurde Yesilöz in seinem Buch „Der Gast aus dem Ofenrohr“ eindrücklich sein Bemühen und Scheitern, bei der Asylbefragung den Margareth Lin & Karl Mutter Behörden die ihm wichtig erscheinenden Antworten zu geben. 5. Narration im heilpädagogischen Beratungskontext Vielleicht gibt es auch in der Heilpädagogik so etwas wie disziplineigene Arten des Geschichtenerzählens, eigene „Narrateme“ – ein vom Sprachtheoretiker Roland Barthes geschaffener Ausdruck, um damit standardisierte, regelmäßig wiederkehrende Muster von Diskursen zu bezeichnen (Barthes 2005).4 Dazu gehört das Standardrepertoire erwartbarer, durch den jeweiligen Gesprächskontext formatierter Geschichten. Es handelt sich um kanonisierte, kulturell geprägte Formen des Erzählens über die Themen „Entwicklung“, „Behinderung“ etc. Als wiederkehrende Geschichten über individuelle Schuld, familiäres Versagen oder vom Schicksal vorgesehene Fügungen lassen sie oft wenig Spielraum für andere Sichtweisen und verbauen damit die Sicht auf neue Möglichkeiten, mit dem „Unabänderlichen“ umzugehen. Zu oft begrenzen wir uns als Fachpersonen auf die „Fakten“, die sogenannt „wirklichen“ Sachverhalte und übersehen dabei die „Geschichten hinter den Geschichten“ (Kron-Klees 1998: 72). Der Familienberater Friedhelm Kron-Klees meint damit eben diese Aspekte, die bei den verordneten Routinegesprächen am runden Tisch oft „unter den Tisch“ zu fallen drohen:„Grundsätzlich ist mir wichtig zu betonen, dass es nicht die Ereignisse selbst sind, die die Bilder von der Welt und die Bilder von sich selbst bestimmen, sondern die sehr komplizierten, in ihren Einzelheiten gar nicht vollständig nachzeichenbaren familiären Verarbeitungsprozesse dieser Ereignisse“ (Kron-Klees 1998: 72). Aus Erfahrung wissen wir auch, dass uns die wörtliche Übersetzung von „Fakten“ nicht weiter bringt. Wenn mir z.B. die türkische Mutter in einem Anamnesegespräch bei der Frage nach der Schwangerschaft antwortet, dass sie am liebsten ihren Kopf auf einen kalten Stein gelegt hätte, so kann ich damit nicht viel anfangen. Wenn mir jedoch die interkulturelle Übersetzerin erklärt, dass das in ihrer Sprache bedeutet, dass sie am liebsten gestorben wäre, habe ich Anhaltspunkte, mich weiter mit dieser Thematik und der besonderen Situation der Schwangerschaft VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung in der Migration zu befassen und nach Anhaltspunkten für diese depressive Verstimmung zu suchen (Lin 2007). 6. Narration als Verarbeitungsprozess Bruner vermittelt wichtige Einsichten in die konstruktive Funktion des Geschichtenerzählens, ihre Bedeutung für die Identitätsbildung und -stabilisierung (Bruner 1998). Seine Überlegungen sind auch für die Arbeit mit Migrantenfamilien entscheidend, gelingt es uns in der Beratung doch meist erst über die interkulturelle Übersetzung Zugang zu diesen Geschichten zu erhalten und deren Bedeutung besser zu verstehen. Geschichten haben eine Tendenz sich zu verfestigen, bzw. es ist Geschichten eigen, genau diesen Anfang, diesen Verlauf und diesen Schluss zu haben. Geschichten unterliegen somit einem inneren Zwang, ihrem vorgeschriebenen Verlauf zu folgen. Daraus mag sich auch die eigentümliche Persistenz eigener Geschichten erklären, die wir dazu benutzen, Missgeschicke, Schicksalsschläge, unvorhergesehene Ereignisse in eine für uns selbst rationale Form zu bringen. Die Zusammenarbeit mit interkulturellen Übersetzerinnen, Übersetzer sowie Vermittlerinnen und Vermittler kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, diese „Geschichten hinter den Geschichten“ über das gemeinsame Gespräch entstehen zu lassen. In den Erstbegegnungen wie auch bei Standortbestimmungen oder Gesprächen über Förderziele sollten wir daher aufgrund unserer Erfahrungen dem Geschichtenerzählen mehr Zeit und Raum lassen. Nur so bekommen wir als Berater – je nach Gesprächsanlass und Problemlage – unterschiedliche Geschichten aufgrund von unterschiedlichen familiären Verarbeitungsprozessen zu hören: Bei Erstbegegnungen: Geschichten über Ursachen einer Behinderung, einer Entwicklungsverzögerung, eines Fehlverhaltens: –– Geschichten über die Nachbarin mit dem „bösen Blick“ –– Erzählungen von einem schrecklichen Erlebnis während der Schwangerschaft; nicht fachgerechter Behandlung durch den Arzt bei der Geburt; Mangelernährung durch falsche Anleitung des Pflegepersonals curare 31(2008)2+3 37 In solche Erzählungen eingeschlossen sind Familiengeschichten, Geschichten über Eigenheiten der Sippen und Volksgruppen: –– Geschichten über die Unfähigkeit der Exfrau; das Einnässen des Kindes immer nach dem Wochenendbesuch beim Vater; Verwöhnung oder mangelnde Betreuung durch die Großeltern –– Erzählungen über das sonderbare Verhalten eines Onkel väterlicherseits oder, dass alle Mitglieder der Sippe dieses Verhalten zeigten –– Angaben darüber, dass alle Kinder ihrer Volksgruppe in bestimmten Entwicklungsbereichen voran oder zurück seien im Vergleich zu den hier ansässigen Kindern Bei Standortgesprächen: Geschichten darüber, was das Kind Erstaunliches geleistet hat, was es zu Hause, in den Ferien, im Herkunftsland alles konnte, wenn es auch jetzt im aktuellen Kontext wieder ganz anders aussieht: –– In der Muttersprache habe das Mädchen keine Probleme; zuhause könne es stundenlang für sich allein spielen und schwierige Puzzles lösen, was im Kindergarten nicht möglich ist. –– In den Ferien im Heimatdorf ist ein „hyperaktives“ Kind nicht mehr auffällig. –– Das Stottern sei aufgetaucht, weil das Kind von einem Hund erschreckt wurde und ist nach dem Besuch bei einem „Heiler“ plötzlich verschwunden. Bei Zielformulierungen: Geschichten über Vorstellungen, was das Kind wann können sollte und mit welchen Mitteln und Anstrengungen diese Ziele zu erreichen wären: –– Das Kind hätte noch genügend Zeit und bis zum Schuleintritt würde es sicher Deutsch sprechen können. Bei der älteren Schwester war das genau so. –– Die Tochter würde das alles schon können, sie sei eben nur faul. Die Eltern werden privat einen Nachhilfelehrer anstellen. –– Bei Problemen würde man den Jungen einfach zur Familie ins Herkunftsdorf zurückschicken. 38 7. Lösungsorientierte Beratungsarbeit mit Hilfe von interkulturellen Vermittlerinnen und Vermittlern Betrachten wir die heilpädagogische Arbeit unter einem lösungsorientierten Aspekt, so kann die Zusammenarbeit mit interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer oft dazu verhelfen, solche „festgefahrenen“ Geschichten zu restrukturieren und ihnen eine andere Bedeutung zu geben. Restrukturierung heißt aus der Sicht der Familientherapeuten Anderssohn & Goolishian „nichts anderes als durch Dialog und Gespräch herbeigeführte Veränderung von Bedeutung“. Das Aushandeln von Bedeutungen ist „eine Frage von Gespräch und kommunikativer Übereinstimmung“ zwischen allen Beteiligten, wobei Übereinstimmung nicht notwendigerweise Konsens bedeuten muss. „Konsens über das Wesen eines Problems ist kaum je zu erreichen“ (Anderssohn & Goolishian 1990: 227). Dank der Hilfe von interkulturellen Vermittlerinnen und Vermittler bieten sich für uns bei Familien mit Migrationshintergrund Gelegenheiten, Bezug auf die Herkunftskultur, auf die Migrationsgeschichte, auf eigene Gepflogenheiten und Gebräuche im Umgang mit „Behinderung“ zu nehmen über Fragen wie: –– Welche Lösungen würden sich bei Ihnen, in ihrer Familie, in Ihrem sozialen Umfeld anbieten? –– Welche Bedeutung hat das, was Sie uns berichten, in Ihrer Familie, in Ihrer Verwandtschaft, in Ihrem Umfeld (Dorf, Quartier, Schule), in Ihrer Herkunftskultur? –– Wie würden Sie damit umgehen, wenn Sie zuhause mit diesem Ereignis konfrontiert wären (z.B. die Geburt eines behinderten Kindes; körperliche Behinderung, schulische Schwierigkeiten, Stottern, psychische Erkrankung) –– Wie könnte man damit unter den jetzigen Verhältnissen umgehen? –– Wer könnte dazu einen wesentlichen Beitrag leisten? –– In welcher Weise könnte er/sie dies tun? –– Wie könnte das, was jetzt so erscheint, auch anders beschaffen sein? 8. Institutionelle Rahmenbedingungen und interkulturelle Vermittlung Sichtweisen über Normalität und Behinderung sind kulturell und institutionell geprägt und bedürfen Margareth Lin & Karl Mutter angemessener Rahmungen, um Bedeutungen gegenseitig aushandeln zu können. Eine wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches gegenseitiges Aushandeln bildet die Möglichkeit, bei Bedarf interkulturelle Vermittlerinnen und Vermittler für Gespräche mit Migrantenfamilien beiziehen zu können. Es braucht häufig mehrerer Gespräche, um zu tragfähigen Vereinbarungen zu gelangen. Zum Aushandeln von Bedeutungen bei Familien aus andern Herkunftskulturen benötigen wir Zeit. Der Grund dafür ist, dass wir hier - wie bereits erwähnt - auf andere Vorstellungen und Erwartungen treffen, als wir sie bei Eltern voraussetzen können, die mit unseren Vorstellungen von Förderung und unseren regionalen Bildungsangeboten vertraut sind. Der Beitrag einer qualifizierten interkulturellen Übersetzung erlaubt es, unsere Anliegen für fremdsprachige Eltern nachvollziehbar zu machen, da sie aufgrund ihrer Sozialisation oft einen ganz anderen pädagogischen und medizinischen Erfahrungshintergrund haben. Eine Lehrerin aus dem Sprachheilkindergarten rief mich an. Sie hätte den Eltern von Dragan gesagt, dass ihr Sohn in die Sprachheilschule eingeschult werden sollte, da er noch große Sprachprobleme habe. Leider seien aber diese serbischen Eltern so uneinsichtig und wollten den armen Jungen in die Regelschule im Quartier schicken. Ein „schulisches Drama“ sei somit vorprogrammiert. Da ich die Eltern in unseren gemeinsamen Gesprächen immer sehr überlegt und verständig erlebt hatte, konnte ich mir die ihr zugeschriebene Sturheit nicht vorstellen. Ich lud sie deshalb über unseren interkulturellen Übersetzer zu einem Gespräch ein, fragte nach ihren Vorstellungen, Erwartungen und Lösungsvorschlägen, falls sich die von den Fachleuten befürchteten Probleme in der Regelschule einstellen würden. Die Eltern entschieden sich aufgrund unseres Gesprächs, den Jungen für die Sprachheilschule anzumelden (Lin 2007). Wenn interkulturelle Übersetzerinnen und Übersetzer vorwiegend dazu eingesetzt werden, um Informationen unidirektional an die MigrantInnen zu übermitteln, verbunden mit der Erwartung, dass die Klienten ihr Verhalten entsprechend ändern und sich an die lokalen Gegebenheiten anpassen, wird der Gedanke des interkulturellen Vermittelns beträchtlich verkürzt: die Rolle des Dolmetschers wird dadurch zur reinen „Postbotenrolle“, die sich darauf beschränkt, dem Klienten mitzuteilen, welches VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung die „richtige“ Expertenmeinung ist (Lin & Mutter 2003). Durch die fortschreitende Bürokratisierung und die damit verbundene Überhandnahme von Formularen findet sich der interkulturelle Vermittler zunehmend in einer Rolle wieder, die ihn darauf festlegt, den Klienten den Inhalt umfangreicher Dokumente zu übersetzen, damit sie die Richtigkeit der von den Fachpersonen gemachten Angaben bestätigen können. Dadurch werden die interkulturelle Übersetzerin und der interkulturelle Übersetzer sozusagen als „Telefonleitung“ (Schlippe, El Hachimi & Jürgens 2003: 80) benutzt – ihr Beitrag reduziert sich dann weitgehend darauf, dass der Arbeit der Institution im juristischen Sinne „Recht“ getragen wird. Alexander Bischoff weist darauf hin, dass der andere Aspekt des „Recht- machen-Wollens“, nämlich „den KlientInnen und den sich verändernden Gegebenheiten (Heterogenität, Diversität, Kommunikationsprobleme) gerecht zu werden versuchen“, dabei zunehmend aus dem Blick gerät (Bischoff 2005: 22). 9. Interkulturelle-interdisziplinäre Übersetzung und Vermittlung Der Wunsch nach allseitig anwendbaren, effizienten Verfahren zur Erfassung und Dokumentation spezifischer Lebenswelten, um daraus möglichst „objektiv“ Bedarfslagen abzuleiten, scheint in der gegenwärtigen heilpädagogischen Diskussion im Vordergrund zu stehen. Große Erwartungen werden derzeit in der Schweiz von verschiedenen Berufsgruppen in das ICF-Verfahren gesetzt (International Classification of Functioning). „International sind Politik, Gesundheitswesen, Bildungssysteme und das Versicherungswesen daran, dieses Instrument in ihre Arbeit einzubeziehen“ (Diezi-Duplain & Hollenweger 2007: 31). Dahinter steht die Hoffnung, dass es mit diesen immer präziseren Beschreibungsinstrumenten gelingen werde, eine gemeinsame Sprache zu finden und damit Missverständnisse zu vermeiden. Die Erfahrung im Bereich der interdisziplinären Zusammenarbeit zeigt, dass wir uns – auch wenn wir uns in der gleichen Sprache verständigen können – nicht notwendigerweise zu verstehen brauchen. Vor allem wenn Berufsgruppen miteinander arbeiten, die sich im beruflichen Feld sehr nahe stehen, scheinen Missverständnisse mitunter häufiger aufzutreten, als dies aufgrund des curare 31(2008)2+3 39 gemeinsam geteilten Arbeitsbereiches zu erwarten wäre (Graf & Mutter 2007). Der syrisch-deutsche Schriftsteller und Naturwissenschaftler Rafik Schami schlägt für solche Situationen eine bestimmte Form der Mediation oder der „Gesprächsübersetzung“ vor: „Auch sprachen die Eingeborenen sehr umständlich. Sie konnten nicht einmal über Krankheit oder Liebe direkt sprechen. Auch die einfachsten Dinge des Lebens und des Alltags wurden kompliziert ausgedrückt. Das wurde so weit gepflegt, dass es in dieser Stadt den Beruf des Gesprächsübersetzers gab, der manchmal von Familien, Nachbarn oder Firmen herbeigerufen wurde, wenn beide Seiten zwar dieselbe Sprache benutzten, aber einander nicht verstehen konnten“ (Schami 1996: 453). Wir denken, dass wir darin eine treffliche Beschreibung dessen finden, was interkulturelle Übersetzerinnen und Übersetzer tun, wenn sie übersetzen - auch wenn die beteiligten Gesprächspartner nicht „dieselbe Sprache“ sprechen. Interkulturelle Übersetzer- oder VermittlerInnen müssen verschiedene Sinnhorizonte, d.h. unterschiedliche Interpretationsmuster miteinander in Verbindung bringen. Deshalb ist hier – wie im interdisziplinären Zusammenarbeiten – das Problem, wie Sinn entsteht, eine prioritäre Grundfrage (vgl. Wülser 1998). 10.Erfahrungen mit dem interkulturellen Beratungskonzept Im Zuge der Objektivierung und Disziplinierung heilpädagogischen Wissens gerät ein unseren Erachtens für die heilpädagogische Arbeit wichtiger Aspekt – die Tätigkeit des Erzählens, bzw. das Thema der Narration – zunehmend in Vergessenheit. Mit der fortwährenden Perfektionierung unserer Erfassungs- und Dokumentationssysteme und mit der damit einhergehenden Fokussierung auf festlegbare „Fakten“, kommt unseres Erachtens in der heilpädagogischen Beratungsarbeit die Zeit zum Gedankenaustausch und zum Entstehen lassen von Geschichten abhanden. Diese Geschichten sind jedoch für das Verständnis von unterschiedlichen Lebensentwürfen und Problemlösungsstrategien von entscheidender Bedeutung. Schapp (1985: 136) weist darauf hin, dass wir als Angehörige einer bestimmten Kultur immer „in Geschichten verstrickt“ sind und dass wir nur über die Geschichten, in die Margareth Lin & Karl Mutter 40 die andern Menschen verstrickt sind, den Zugang zu ihnen finden können. Dank des Einsatzes von interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer mag es uns ein Stück weit gelingen Zugang zu den MigrantInnen zu finden, indem wir ihren Geschichten mehr Raum geben. Diese Geschichten erlauben uns, wesentliche Informationen über das Behinderungs- und Förderverständnis sowie über die Art des Umgangs mit dem Phänomen Behinderung in der jeweiligen Herkunftskultur unserer Klienten zu erhalten. In unserer Beratungsarbeit versuchen wir an den Erfahrungen der Eltern anzuknüpfen und an dem, was sie beim Lösen von Problemen bereits geleistet haben. Der Miteinbezug der Eltern als Experten relativiert die von den Klienten oft erwartete Expertenrolle der Fachleute und unterstützt zudem aktive Beiträge seitens der Migrantenfamilien. Somit werden Voraussetzungen geschaffen für Veränderungen im Sinne einer ressourcen- und lösungsorientierten Arbeitsweise. Dies können wir selbstverständlich nur dank dem engagierten Einsatz interkultureller Übersetzerinnen und Übersetzer leisten. Wir dürfen jedoch als Fachleute nicht erwarten, dass die Familie dann auch das tut, was uns aus institutioneller Sicht als wünschenswert erscheint. Es kann auch sein, dass Familien evtl. auf Lösungen zurückgreifen, die im Sinne ihrer Herkunftskultur durchaus üblich sind, die aber im Rahmen unserer Vorstellungen nicht unbedingt zu den nächstliegenden gehören. Durch den Austausch mit den interkulturellen VermittlerInnen über solche „kulturellen“ - für uns ungewohnten – Problemlösungsstrategien erkennen wir, dass es sehr verschiedene Lösungsmöglichkeiten gibt, mit einer Problemsituation umzugehen. Wir erfahren dadurch eine Erweiterung unseres kulturell geprägten Horizonts und gelangen so zu einer neuen „Welt- und Einsicht“. Aus der Tatsache, dass sich immer wieder Eltern melden, welche durch Landsleute auf dieses Beratungsangebot aufmerksam gemacht wurden, schließen wir, dass diese ehemaligen Klienten das Angebot der interkulturellen Übersetzung und Vermittlung geschätzt haben. Anmerkungen 1. Die Entwicklung des interkulturellen Übersetzens und Vermittelns zeigt beispielhaft, dass auch erfolgreich praktizierte Arbeitsweisen wie z.B. das „Dolmetschen“ ohne eine entsprechende institutionelle Unterstützung von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Im Jahre 1999 wurde die Schweizerische Interessengemeinschaft zur Förderung von Übersetzung und kultureller Mediation im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich gegründet. Seit November 2000 trägt der Verein den Namen „Interpret - Interessengemeinschaft für interkulturelles Übersetzen und Vermitteln.“ Interpret vermittelt auch den Zugang zu einem eidgenössischen Fachausweis für interkulturelle ÜbersetzerInnen. (siehe dazu auch: www. inter-pret.ch). 2. Jerome Bruner spricht vom ontologischen, normativen, explikativen Aspekt unserer Alltagspsychologien (Bruner 1998: 64). 3. So verlangt z.B. der Geldgeber eine klare Feststellung einer geistigen Behinderung, damit bestimmte Schulungsformen zum Tragen kommen. 4. „Narratem: narrative Einheit, konstitutives Element der Narrativität“ (Barthes 2005: 64.) Literaturhinweise Andersson L., Goolishian H.A. 1990. Menschliche Systeme als sprachliche Systeme. Familiendynamik, Interdisziplinäre Zeitschrift für systemorientiertePraxis und Forschung 15,3: 212-243. Bischoff A. 2005. Der Mediator als Dolmetscher – der Dolmetscher als Mediator. In: Sinner v. A., Zirkler M. (Hg), Hinter den Kulissen der Mediation. Kontexte, Perspektiven und Praxis der Konfliktbearbeitung. Bern: Haupt. Barthes R. 2005. Das Neutrum. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Bruner J. 1987. Wie das Kind sprechen lernt. Bern: Huber. Bruner J. 1998. Sinn, Kultur, Ich-Identität. Heidelberg: Auer. Bruner J. 2002. Pourquoi nous racontons-nous des histoires? Ort?: Editions Retz. Diezi-Duplain P., Hollenweger J. 2007. Endlich eine gemeinsame Sprache. Psychologie und Erziehung, Zeitschrift der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie SKJP 1,33: 31-37. Graf E.O., Mutter K. 2007. Denken-Handeln-Denken. Vier Perspektiven für das Denken berufspraktischer Kommunikationsfragen. In Choluj B., Joerden J.C. (Hg), Von der wissenschaftlichen Tatsache zur Wissensproduktion. Ludwik Fleck und seine Bedeutung für die Wissenschaft und Praxis. Studien zur Ethik in Ostmitteleuropa (Bd.11). Frankfurt/Main, Berlin, Bern: Verlag Peter Lang: 285-304. Kron-Klees F. 1998. Familien begleiten. Freiburg im Br.: Lambertus. Lanfranchi A. 2004 Migration und Integration – Gestaltung von Übergängen. In Radice von Wogau J., Eimmermacher H., Lanfranchi A. (Hg), Therapie und Beratung von Migranten. Systemisch-interkulturell denken und handeln. Weinheim, Basel: Beltz: 13-30. Lin-Huber M. A. 1998. Kulturspezifischer Spracherwerb. Sprachliche Sozialisation und Kommunikationsverhalten im Kulturvergleich. Bern: Huber. Lin M., Mutter K. 1998. Interkulturelle Beratungsarbeit mit DolmetscherInnen. Psychologie und Erziehung. Zeitschrift der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie 2,24: 33-44. Lin M., Mutter K. 1999. Vom Recht, verstanden zu werden. Elterngespräche mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern. 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Studien an den Universitäten Fribourg und Bern (Heilpädagogik, Logopädie und Psychologie), Dissertation zum Thema „Kulturspezifischer Spracherwerb“, langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Dolmetschern im Kontext Heilpädagogischer Beratung, verschiedene Publikationen zur Thematik der interkulturellen Kommunikation und Übersetzung, Lehrtätigkeit in der Aus- und Weiterbildung von Kulturmittlern und Fachpersonen in (heil-)pädagogischen Handlungsfeldern. Pädagogische Hochschule Zentralschweiz – Hochschule Luzern Weiterbildung und Zusatzausbildung Sentimatt 1, CH 6004 Luzern, Schweiz e-mail: [email protected] Karl Mutter (*1951), lic.phil., 1976 Abschluss in Klinischer Psychologie an der Universität Zürich, seit 1984 als Kinder- und Jugendpsychologe beim Heilpädagogischen Dienst Basel-Stadt tätig. Arbeitsgebiete: Zusammenarbeit mit Migrantenfamilien in der Früherziehung; Beratung von fremdsprachigen Klienten mit Hilfe von DolmetscherInnen; Erfahrungsaustausch mit interkulturellen ÜbersetzerInnen. Gempenstrasse 69, 4053 Basel, Schweiz e-mail: [email protected] curare 31(2008)2+3 PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute 43 Der Dialog zu Dritt: PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute in der Universitäts-Frauenklinik Basel Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth & Sylvie Schuster Zusammenfassung In diesem Beitrag fragen wir danach, wie ÄrztInnen und DolmetscherInnen im Gespräch zusammenarbeiten. Auf der Basis von Interviews mit Ärztinnen, Pflegenden und anderen Gesundheitsfachleuten zeigen wir, dass die an der Universitätsfrauenklinik Basel tätigen DolmetscherInnen über die sprachliche Vermittlung hinaus häufig auch zwischen den verschiedenen Wissensbeständen und Erfahrungen von Gesundheitsfachleuten und Patientinnen vermitteln müssen. The Dialogus with three Actors: Patients, Interpreters and Health Professionals at the University Women’s Hospital in Basel Abstract In this paper we seek to understand how health professionals and interpreters work together in clinical communication. Based on interviews with doctors, nurses, and other health staff of the University Women’s Hospital in Basel, we show that on top of linguistic mediation professional interpreters often have to mediate between the different inventories of knowledge and experiences of doctors and patients, as well. Keywords (Schlagwörter) clinical communication (klinische Kommunikationsstruktur) – linguistic mediation (sprachliche Vermittlung) – interview – Switzerland (Schweiz) Einleitung Umberto Eco schreibt nicht nur Romane, sondern auch Essays über die Sprache. Kürzlich ist von ihm ein ganzer Band „Über das Übersetzen“ herausgekommen, Titel: „Quasi dasselbe mit anderen Worten“. Quasi dasselbe mit anderen Worten sagen ist das, was in übersetzten Gesprächen geschieht. Übersetzung ist erst in den letzten Jahren zu einem Thema geworden, dem sich Autorinnen und Autoren vermehrt widmen, und zwar der Übersetzung sowohl in der Literatur wie auch im gesellschaftlichen Alltag. Eco gibt selber schon Gründe für die Zunahme des übersetzungswissenschaftlichen Interesses an, unter anderem „die Phänomene der Globalisierung, die immer mehr Gruppen und Individuen verschiedener Sprachen in Kontakt miteinander bringen“ (Eco 2006:19). Erst diese Phänomene der Globalisierung und die vermehrten Kontakte zwischen Personen verschiedener Sprachen und Kulturen bewirken, dass Bedarf und Praxis der Übersetzung nicht mehr zu ignorieren sind. Durch Globalisierung, Mobilität und Migration ist die Kommunikation zwischen Menschen, die die Sprache des fremden Anderen nicht verstehen, eine häufige Herausforderung geworden, sowohl im privaten wie im institutionellen Bereich. Institutionen, curare 31(2008)2+3: 43- darunter Spitäler, begegnen dieser Herausforderung vermehrt mit der Einrichtung von Dolmetscherdiensten. Wir halten uns in diesem Beitrag an die Definition von Saladin et al: „Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind Fachpersonen mit perfekter Kenntnis der eigenen Muttersprache sowie einer oder mehrerer Fremdsprachen. Sie beherrschen die notwendigen Dolmetschertechniken, um eine gesprochene Botschaft mündlich von der Ausgangssprache in die Zielsprache zu übertragen“ (Saladin et al. 2006: 92). Ein dolmetschervermitteltes Gespräch ist ein Dialog zu Dritt oder – wie wir es nennen wollen – ein Trialog, d.h. es sind mindestens drei Personen daran beteiligt, die mit einander kommunizieren: Patient (Patientin), Arzt (Ärztin) und Dolmetscher (Dolmetscherin). Während Forschungsarbeiten aufgezeigt haben, wie groß der Bedarf an Dolmetschleistungen ist (Bischoff & Loutan 2004, Ginsberg et al. 1995, Poechhacker 2000), wie Dolmetscherdienste eingerichtet werden (Novak-Zezula et al. 2005), wer dolmetscht (Bischoff et al. 1999, Lee et al. 2006), was das Profil einer qualifizierten Dolmetscherin ausmacht (Métraux & Alvir 1995), wie Patientinnen die Anwesenheit einer Dolmetscherin empfinden (Abbe et al. 2006, Green et al. 2005), gibt es unseres Wissens noch wenig Untersuchun- A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster 44 gen darüber, wie der Trialog im klinischen Alltag von medizinischen Fachpersonen erlebt wird (Gerrish et al. 2004). In diesem Beitrag soll auf den Trialog aus der Perspektive des medizinischen Fachpersonals das Augenmerk gerichtet werden, und zwar am Beispiel von Interviews mit medizinischen Fachpersonen an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel. Zuerst werden wir die dolmetscher-vermittelte Kommunikationsform – „Trialog“ als Schlagwort – im Kontext der Entwicklung einer Einwanderungsgesellschaft wie derjenigen der Schweiz situieren. Dabei kommen wir auf das Nationale Forschungsprogramm 51 „Integration und Ausschluss“1 zu sprechen, innerhalb dessen die vorliegende Untersuchung vorgenommen wurde. Danach stellen wir ausführlich die Institution – die Universitäts-Frauenklinik Basel (UFK) – vor, in der sich die trialogische Kommunikation abspielt. Hauptteil bilden die Aussagen der medizinischen Fachpersonen zum Trialog. Dabei wird schnell deutlich werden, dass im Trialog nicht nur „einfach übersetzt“ und schon gar nicht „einfach wörtlich übersetzt“ wird, sondern die Dolmetscherinnen Rollen übernehmen (oder zugeteilt bekommen), die denen des Vermittelns und Verhandelns verwandt sind. Die abschließende Diskussion nimmt diesen letzten Punkt vom Dolmetschen als Vermitteln und Verhandeln auf und stellt ihn in den Zusammenhang von Diversität, die im Alltagsbetrieb von öffentlichen Institutionen vielfältige Herausforderungen schafft. Seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist die Schweiz ein Einwanderungsland. Der Zuzug von Menschen verschiedenster Herkunft bringt eine Vielfalt von Lebensformen, Sprachen, Wertsystemen und damit auch ein erweitertes Konfliktpotenzial mit sich (Dahinden & Bischoff 2005). Für die Gesellschaft und damit auch die öffentlichen Institutionen stellt sich hiermit die Frage: wie kann der Zusammenhalt einer pluralen Gesellschaft gewährleistet und, spezifischer, wie die Integration der zugewanderten Bevölkerungsgruppen unterstützt werden? Ein wichtiges Instrument zur Eingliederung der MigrantInnen in unsere Gesellschaft ist die interkulturelle Mediation, die von der Übersetzung über die Vermittlung bis zur Konfliktmediation gehen kann (Bischoff et al. 2004) . Wir können – als Folge der Globalisierung – eine Zunahme interkultureller Kontakte ausmachen, die wiederum das vermehrte Interesse und die zunehmende Nachfrage nach Dolmetschen und interkultureller Vermittlung erklärt (Busch 2005). Wie das konkret auf praktischer Ebene aussieht, im Alltag einer städtischen Institution des Gesundheitsbereichs – nämlich einer universitären Frauenklinik –, das soll nun in der vorliegenden Fallstudie aufgezeigt werden. Methoden Die im Folgenden dargestellten Daten sind Teil einer größeren Nationalfondsstudie des NFP 51 („Nationales Forschungsprogramm 51 – Integration und Ausschluss“) (Bischoff et al. 2004). Das Forschungsprojekt mit dem Titel „Trägt die interkulturelle Mediation zur Inklusion bei? Strategie und Praxis im Vergleich zwischen den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Soziales und Justiz“ untersuchte die Themen Dolmetschen, interkulturelles Vermitteln und Konfliktmediation in öffentlichen Institutionen und gliederte sich in zwei Teile. Im ersten Teil der Untersuchung ging es darum, mittels eines Fragebogens einen möglichst umfassenden Überblick über die gegenwärtigen Praktiken, Erfahrungen und Probleme im Bereich des Dolmetschens, der interkulturellen Vermittlung und Konfliktmediation im Schul-, Gesundheits-, Sozialbereich und bei der Justiz/Polizei in zwei ausgewählten städtischen Agglomerationen zu erfassen. Basel und Genf wurden als vergleichbare Städte gewählt, weil beide einen hohen Anteil an Migranten/innen aufweisen und als Grenzstädte von jeher von transnationalen Kontakten geprägt sind. Der zweite Teil der Untersuchung hatte zum Ziel, Praktiken des Dolmetschens, der interkulturellen Vermittlung und der Konfliktmediation im konkreten Alltag genauer zu betrachten. In Fallstudien wurden die Elternarbeit in den Schulen in Genf und Basel untersucht, das Community Policing in Basel, das Strafverfahren in Basel, die CASS (Centres d’action sociale et de santé) in Genf, die Gefängnismedizin in Genf, sowie – und um diese soll es in unserem Beitrag gehen – die Universitäts-Frauenklinik in Basel. Forschungssetting und -methode Im Gesundheitsbereich wählten wir als Forschungssetting die Universitäts-Frauenklinik Basel, da sie als eine der wenigen Kliniken in der Schweiz einen VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute spitalinternen Dolmetscherdienst institutionalisiert hat. Die Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen hat hier bereits eine langjährige Tradition und ist vor allem im Bereich der ambulanten Betreuung fester Bestandteil der täglichen Praxis. Die mit der Betreuung von Migrantinnen betrauten Medizinalpersonen (ÄrztInnen und Pflegefachfrauen) nutzen dieses Angebot regelmäßig und werden im Rahmen von internen Fortbildungen auf im Kontext der Migrationsmedizin zu beachtende Aspekte hingewiesen (z.B. transkulturelle Kompetenz, Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen). Wir interviewten die fünf internen Dolmetscherinnen und 17 ausgewählte Fachpersonen aus den Bereichen Leitung, Administration, Pflege/Hebammen und ÄrztInnen (Tab. 1). Die Interviews dauerten 40-120 Minuten, wurden verbatim transkribiert, und in Anlehnung ans Coding Paradigma der Grounded Theory analysiert (Strauss & Corbin 1998). In der Forschungsgruppe wurden die Ergebnisse der Analyse diskutiert und mit den Resultaten der parallel laufenden Untersuchungen in den Institutionen der Bildung, des Sozialwesens und des Strafgerichtes verglichen. Die Daten aus den semi-strukturierten Interviews erheben nicht den Anspruch, die Häufigkeit eines Phänomens repräsentativ zu erfassen. Vielmehr interessieren die Rahmenbedingungen und Prozesse, in denen ein gewisses Phänomen auftaucht. Die Analyse der Interviews leistet einen wichtigen Beitrag, um die Perspektive des medizinischen Fachpersonals im Trialog näher zu beleuchten. Tabelle 1: Zusammenstellung der InterviewteilnehmerInnen Weiblich Männlich Leitung 3 1 Dolmetscherinnen 5 - Administration 1 - Pflegende 3 - Hebammen 2 - ÄrztInnen 5 3 Die Frauenklinik des Universitätsspitals Basel Das Universitätsspital Basel gehört zu den führenden medizinischen Institutionen der Schweiz und zeichnet sich aus als überregionales wissenschaftcurare 31(2008)2+3 45 liches Zentrum mit medizinischer Kompetenz für alle Patientinnen und Patienten mit den unterschiedlichsten Diagnosen. Das Management der kulturellen Vielfalt ist im Universitätsspital Basel aufgrund der Bevölkerungsstruktur der Region Basel und dem hohen Anteil an Migrantinnen von hoher Bedeutung. Bereits seit den neunziger Jahren ist ein Dolmetscherdienst in der Poliklinik für die Sprachen tamilisch, türkisch und albanisch etabliert. Dolmetscherinnen für weitere Sprachen können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden. Da insbesondere in der Frauenklinik ein großer Anteil an Migrantinnen behandelt wird, sind hier zahlreiche weitere Maßnahmen umgesetzt, zum Beispiel stehen Formulare und Operationsaufklärungen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung. Daneben laufen verschiedene Projekte mit dem Ziel der Optimierung der Gesundheitsversorgung von Migrantinnen. Hierzu gehören Geburtsvorbereitungskurse2 sowie Informationsveranstaltungen zum Thema Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett für Migrantinnen3. Diese Angebote bestehen in englischer, türkischer und tamilischer Sprache und werden inhaltlich auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe abgestimmt. Die Ausarbeitung findet mit Hilfe von interdisziplinären Arbeitsgruppen statt, die sich aus internen und externen Fachkräften mit überwiegend Migrationshintergrund zusammensetzen. Diese Maßnahmen bilden wesentliche Beiträge auf der Ebene der Patientinnenorientierung und Chancengleichheit für Migrantinnen in der Gesundheitsversorgung. Neben erwähnten Dienstleistungsangeboten werden interne Fortbildungsveranstaltungen für medizinisches Personal zu dieser Thematik (z.B. Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen, „transkulturelle Kompetenz“) und wissenschaftliche Arbeiten durchgeführt. Das Angebot der Universitäts-Frauenklinik umfasst die Behandlung, Betreuung, Beratung und Begleitung von ambulanten, teilstationären und stationären Patientinnen mit den medizinischen Schwerpunkten Gynäkologie und gynäkologische Onkologie, Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin, gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin sowie gynäkologische Psychosomatik und Sozialmedizin. Auf der MutterKind-Station und Schwangerenabteilung stehen insgesamt 55 Betten und auf der gynäkologischen Abteilung 24 stationäre und 6 tagesklinische Betten zur Verfügung. Im Jahr 2006 befanden sich insgesamt 3497 Patientinnen in stationärer Behandlung, und es A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster 46 fanden insgesamt 2052 Geburten statt. Neben dem stationären Bereich gibt es in der Universitäts-Frauenklinik ein breit gefächertes ambulantes Betreuungsangebot mit der allgemeinen Poliklinik, welche die Schwangerenvorsorge und gynäkologische Kontrolle z.B. Jahreskontrolle umfasst, ebenso, wie die schon erwähnten Spezialsprechstunden, sowie den gynäkologischen Notfall über 24 Stunden. Insgesamt finden in der Universitäts-Frauenpoliklinik jährlich rund 39 000 Konsultationen statt. Der überwiegende Teil dieser Patientinnen kommt zu einem regulär vereinbarten Termin in die Klinik. Während in der Universitäts-Frauenklinik der Patientinnenanteil mit Migrationshintergrund im Allgemeinen bei ca. 40% liegt, ist er insbesondere in der ambulanten Versorgung teilweise deutlich höher. In der Schwangeren-Poliklinik wird der Anteil von Migrantinnen auf ca. 70% geschätzt. Hier übersteigt der Anteil von Patientinnen mit Migrationshintergrund den Anteil von MigrantInnen an der Wohnbevölkerung in Basel-Stadt (Statistisches Amt Basel-Stadt, www.statistik-bs.ch, April 2005) beträchtlich. In der vorliegenden Fallstudie konzentrieren wir uns deshalb auf die Praxis von Vermittlungstätigkeiten in diesem Bereich. Die Interviews wurden mit VertreterInnen der verschiedenen Berufsgruppen geführt, die in diesem Bereich tätig sind. Die Patientinnen werden von einem interdisziplinären Team betreut, das sich aus ÄrztInnen, PsychologInnen, Pflegefachkräften/Hebammen und SozialarbeiterInnen zusammensetzt. Der Erstkontakt mit Patientinnen findet jedoch in der Regel mit Mitarbeiterinnen der Administration4 statt, zum Beispiel bei der Terminvereinbarung oder beim Erledigen von Anmeldeformalitäten. Danach werden die Patientinnen von Pflegefachkräften/Hebammen in der jeweiligen Sprechstunde aufgenommen, erste Informationen abgegeben, Untersuchungen durchgeführt (z.B. Blutdruck messen, Urinuntersuchung) und die Unterlagen der Patientin vorbereitet. Im Anschluss findet die ärztliche Konsultation statt. Erwähnenswert in diesem Kontext ist, dass die meisten Mitarbeiterinnen im Bereich der Administration Secondas mit italienischem oder spanischem Hintergrund sind. Zudem sind in der Administration und Pflege ausschliesslich Frauen beschäftigt, im ärztlichen Team überwiegt ebenfalls der Frauenanteil und die Dolmetscherinnen sind ausschliesslich weiblich. Dolmetscherinnen für die Sprachen Tamilisch, Türkisch und Albanisch stehen regelmässig während festgelegten Sprechzeiten zur Verfügung. Zusätzlich zu diesen Sprechzeiten von 17.5 Stunden wöchentlich, in denen eine Dolmetscherin regelmässig verfügbar ist, können bei Bedarf Dolmetscherinnen für weitere Sprachen hinzugezogen werden – zumal auch dann, wenn es nicht gelingt, Termine mit Dolmetscherinnen in oben genannten Sprachen in das entsprechende Zeitfenster zu legen. Die Dolmetscherinnen sind alle Mitarbeiterinnen des „HEKSDolmetscherdienstes beider Basel“. Sie sind dort im Stundenlohn angestellt, erhalten gewisse Sozialleistungen und können an Weiterbildungskursen und Intervisionen teilnehmen. Da Dolmetscherleistungen nicht krankenkassenpflichtig sind, werden die Kosten für die Dolmetscher vollumfänglich durch das Spital getragen. Der Dolmetscherdienst wird von der Pflegeleitung der Universitäts-Frauenpoliklinik koordiniert. Laut eigener Schätzung erhält sie durchschnittlich einmal pro Tag eine Anfrage für den Beizug einer Dolmetscherin zusätzlich zum bestehenden Angebot. Von den äußeren Rahmenbedingungen her ist der Einsatz von Dolmetscherinnen vor allem dadurch eingeschränkt, dass sie nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass die meisten Notfall- und Erstkonsultationen ohne Dolmetscherin stattfinden. Für eine Folgekonsultation steht auf dem Formular, das die Ärztinnen nach jeder Konsultation auszufüllen haben, eine spezielle Rubrik für das Hinzuziehen von Dolmetscherinnen zur Verfügung. Handelt es sich um eine der Sprachen des etablierten Dolmetscherdienstes, ist es die Aufgabe der administrativen Mitarbeiterinnen am Empfang, den Termin mit dem Einsatzplan der entsprechenden Dolmetscherin zu koordinieren. Wenn es notwendig ist, eine „externe“ Dolmetscherin hinzuziehen, wird dies an die Pflegeleitung der Frauenpoliklinik weitergeleitet. Ergebnisse Der Schwerpunkt in diesem Teil liegt auf der Zusammenarbeit einer Vielzahl von Fachpersonen mit den Dolmetscherinnen und wird von der Frage geleitet: wie gestaltet sich der Trialog? Ausgeblendet in diesem Beitrag sind zwei wichtige Aspekte: erstens die „anderen“ Möglichkeiten, von denen die VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute Interviewpartnerinnen berichten, wenn es darum geht, mit fremdsprachigen Klientinnen zu kommunizieren, also Angehörige und andere Begleitpersonen als Ad-hoc-Dolmetscherinnen beizuziehen, Spitalmitarbeiterinnen mit Fremdsprachenkenntnissen einzusetzen, auf non-verbale Kommunikation zu setzen („sich mit Händen und Füssen verständigen“), oder die eigene, sprich die Mehrsprachigkeit der Fachperson zu nutzen. Zweitens sind auch die Gender-aspekte ausgeblendet. Sie haben in den Gesprächen einen prominenten Platz eingenommen, ohne dass speziell danach gefragt worden wäre5. Wir gliedern die Ergebnisse in folgende Teile: 1. Beiziehen einer Dolmetscherin, 2. Art des Dolmetschens (wortgetreu oder interkulturell), 3. Vermitteln zwischen der Stimme der Lebenswelt und der Medizin. Besonders interessieren uns hier die Rollenkonzepte von Dolmetscherinnen, die – bewusst oder unbewusst – von medizinischen Fachpersonen bei der Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen angenommen werden. Beiziehen einer Dolmetscherin Grundsätzlich hat jede Fachperson in der Universitäts-Frauenklinik die Möglichkeit, bei Bedarf eine Dolmetscherin beizuziehen. Eine interviewte Person mit Leitungsfunktion formuliert das folgendermassen: „Es muss niemand fragen, darf man einen Dolmetscher bestellen. Wenn man merkt, wir brauchen das, haben die Kliniker beziehungsweise die Abteilung die Kompetenz, das anzufordern. Ärzte genauso wie Pflegende. Auch Physiotherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen.“ (Interview 1) In den Interviews kommt zum Ausdruck, dass sich Ärztinnen im Laufe ihrer Tätigkeit eigene Kriterien zurechtlegen, wann sie den Beizug einer Dolmetscherin als notwendig erachten. « Wenn ich zu arbeiten beginne, und ich habe den Eindruck, ich kann mich nicht verständlich machen, was ich sagen will. Weder mit Händen, noch Füssen, noch mit Brocken. Dann höre ich auf. Was soll ich dann machen? Das ist für mich das Kriterium. Da rufe ich eine Dolmetscherin“. (Interview 13) Andere ÄrztInnen greifen auf DolmetscherInnen zurück, wenn es um wichtige oder speziell schwierige Themen geht: „Wenn es eine Jahreskontrolle ist und es der Patientin gut geht, dann kann man das curare 31(2008)2+3 47 mit den Händen besprechen. Aber wenn man Sachen erklären muss, die schwieriger sind, wie Verhütung, Schwangerschafts[konfliktberatung] oder Operationsaufklärung und solche Sachen, da muss man jemand dabei haben, der übersetzt. Sonst geht das nicht. Manchmal bringen die Frauen jemand mit, der übersetzt. Manchmal z.B. Kinder, die gut Deutsch können, weil sie hier aufgewachsen sind. Dann geht das ziemlich gut. Aber wenn niemand da ist, dann holen wir einen Dolmetscher dazu“. (Interview 12) Die Entscheidung, wann Fachpersonen eine Dolmetscherin beiziehen, wird, wie die Interviewausschnitte zeigen, von unterschiedlichen Überlegungen beeinflusst. Eine interviewte Person mit leitender Funktion bemerkt, dass der Einsatz von Dolmetscherinnen zudem mit der persönlichen Einstellung zur Ausländerpolitik zusammenhängt: „Von der Pflege und den Ärzten her kommen Bemerkungen, was für einen Aufwand wir [für den Dolmetscherdienst] betreiben. Da kommen sehr emotionale Sachen und auch politische Hintergründe rein. Aber die Mehrheit ist, glaube ich, schon der Meinung, dass es Dolmetscher braucht, und dass das wichtig ist. Ich unterstütze das auch voll, und ich denke auch der grösste Teil der Ärzte. Im Team sind 90% homogen sehr sozial eingestellt, Pflege und Ärzte. (Interview 5) Auch Patientinnen und ihre Begleitpersonen nehmen auf den Beizug einer Dolmetscherin zum Teil aktiven Einfluss. Pflegende schildern solche Situationen: „Bei uns fordern sie [die Patientinnen] Dolmetscher: ‚Ich kann nicht Deutsch, bring mir den Dolmetscher!´“ (Interview 9) Verschiedentlich wird auch berichtet, dass Patientinnen oder ihre Begleiter es vorziehen, eben gerade keine Dolmetscherin beizuziehen, besonders bei heiklen Themen, die das Aufdecken der Privatsphäre nötig machen. Das kann beispielsweise in Gesprächen über sexuelle Probleme oder über Paarkonflikte der Fall sein, wenn die Patientinnen befürchten, dass die Dolmetscherin Inhalte des Gespräches innerhalb der Community weitererzählen könnte (Interview 2). Schließlich stellt sich immer wieder die Frage, wie mit Situationen umzugehen ist, in denen Familienangehörige dolmetschen (wollen). Einige finden, mit Kindern gehe das „ziemlich gut“. Andere Fachpersonen sind zurückhaltend, wenn es darum geht, ein Kind für seine Mutter übersetzen zu lassen. 48 Kinder als Dolmetscher nicht zu überfordern, ist denn auch ein weiterer Grund, eine Dolmetscherin beizuziehen: „Wenn ein Kind ein Thema übersetzen sollte, das es zwar verbal verstand, aber das emotional für ein Kind total unpassend war, habe ich das Gespräch jeweils abgebrochen und der Frau einen neuen Termin gegeben, um dieses Thema mit einer Dolmetscherin zu besprechen“. (Interview 6) Ähnlich gehen verschiedene Fachleute vor, wenn der Ehemann dolmetscht: zuerst (versuchsweise) mit dem dolmetschenden Angehörigen, später mit einer professionellen Dolmetscherin. „Bei Problemen arbeite ich lieber mit Dolmetscherinnen, als mit Angehörigen, wie zum Beispiel dem Ehemann. Da kommt es vor, dass man fünf Sätze gesagt hat, und er übersetzt zwei Worte. Dann kann man nicht nachvollziehen, ob das, was man gesagt hat, übersetzt wurde. Das erschwert uns die Kommunikation mit der Frau sehr. Deshalb ziehe ich es vor, jemanden Externes beizuziehen für Problemfälle. Der Mann kann gerne dabei sein, aber die Kommunikation läuft über Dolmetscher“. (Interview 3) Wortgetreu oder interkulturell vermitteln? Über die Rolle oder Rollen und die Aufgaben einer Dolmetscherin scheinen innerhalb des Fachpersonals der Frauenpoliklinik unterschiedliche Vorstellungen zu bestehen und spiegeln hierbei den wissenschaftlichen Diskurs zur Rolle von Dolmetscherinnen wider. Was Fachpersonen von Dolmetscherinnen erwarten, variiert zum Teil sogar innerhalb des gleichen Interviews und zeugt von einem pragmatischen Ansatz. Einerseits wünschen sich Fachpersonen, dass die Dolmetscherin Informationen möglichst genau an die Patientin weitergibt: „Dank dem Dolmetscher hat man die Gelegenheit der Patientin sehr viele Informationen zu geben, Ratschläge zu geben.“ (Interview 12). „In meinem Denken ist hauptsächlich die Informationsübertragung [Aufgabe der Dolmetscherin]“ (Interview 13). Hier geht es darum, dass die Informationen als solche korrekt wiedergegeben werden. Je nach dem zu klärenden Sachverhalt und den verwendeten Termini kann es für den Arzt respektive die Dolmetscherin eine spezielle Herausforderung bedeuten, die Informationen dem Bildungsstand der Patientin entsprechend zu formulieren. Andererseits bemerken die gleichen ÄrztInnen, dass es für den Verlauf A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster des Gesprächs nützlicher ist, wenn eine Dolmetscherin mehr macht als Informationen weiterzugeben: „Vielleicht empfinde ich das, wenn sie [die Dolmetscherin] nicht reine Informationsübermittlung macht, viel gewinnbringender. Wenn sie eben nicht eins zu eins übersetzt, sondern ein Gespräch führt. Dann ist es mir lieber. ... ich habe dann den Eindruck, ich komme weiter, es geht besser. Und wahrscheinlich ist das auch der gewinnbringendere Mechanismus als das Eins zu Eins übersetzen“. (Interview 13). Die gleiche Person schildert auch eine Erfahrung mit wortgetreuem Übersetzen: „Dort wurde sehr punktuell übersetzt: Das, und dann das, und dann das. Es kam kein Gespräch auf. Das ist für mich das eindrückliche Bild vom wirklichen „Satz für Satz übersetzen“. In der Regel fragt man doch was nach, wenn man etwas nicht versteht; das erlebe ich als Gespräch. Und wenn das in einem Dolmetschergespräch nicht geschieht, ist es ist für mich ein logischer Schluss, dass dann das Gespräch nicht stattfindet. Es ist eine Übersetzung in eine Richtung, es kommt nichts zurück“. (Interview 13) Ähnliche Erfahrungen wurden von einem weiteren Teilnehmer gemacht: „Von den Dolmetscherinnen, die hier fest angestellt sind, gibt es eine, die einfach direkt Satz um Satz übersetzt. Man merkt, sie ist ganz textgetreu. Da finde ich persönlich, dass es nicht so gut klappt. Ich habe den Eindruck, dass es besser funktioniert, wenn jemand interkulturell vermittelt, als wenn er einfach wortgetreu übersetzt. Ich finde, dass man das Ziel besser erreicht.“ (Interview 12) In diesen zwei Interviewausschnitten wird beschrieben, dass eine wortgetreue Übersetzung eine aktive Gesprächsteilnahme der Patientin eher verhindert. Ob diese Wirkung tatsächlich auf die Art des Dolmetschens zurückgeführt werden kann, lässt sich nicht abschliessend beantworten, da einerseits unsere Interviewdaten nur wenige Beispiele von wortgetreuem Übersetzen enthalten, und andererseits auch die jeweilige Dolmetsch-Qualität eine Rolle bei der Bewertung der Art des Übersetzens spielen kann. Eine etwas andere Beurteilung unterschiedlicher Übersetzungsstile kommt in folgendem Interviewausschnitt zum Ausdruck: „Man sieht einen Unterschied zwischen jemandem, der es [das Dolmetschen] professionell macht, und jemandem, der da rein gewachsen ist. Die Professionelle übersetzt VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute einfach das, was ich sage. Der andere Dolmetscher interpretiert mehr, habe ich den Eindruck. [...] Was besser ist, weiss ich auch nicht. Manchmal ist das Interpretieren vielleicht notwendig. Ich kenne die Kultur ja nicht. Vielleicht würde es falsch verstanden, wenn man nur übersetzt“ (Interview 4). Die hier zitierte Ärztin hält eine textgetreue Übersetzung für ein Merkmal von professionellem Übersetzen. Andererseits vermutet sie, dass nicht texttreues Übersetzen Missverständnisse verhindern kann. An einer anderen Stelle desselben Interviews verlässt sie sich darauf, dass beim Dolmetschen auch die „kulturellen Verschiedenheiten“ zur Sprache kommen: „Mit dem Dolmetscher geht es einfacher. Ich kann meinen Fachausdruck brauchen, und er erklärt ihn, und schliesst auch die kulturellen Verschiedenheiten mit ein. Er kennt unsere Vorstellungen, und er kennt auch die Vorstellungen in seinem Land. Das macht es einfacher“. (Interview 4). Insgesamt findet sich in den durchgeführten Interviews keine Fachperson, die wortgetreues Übersetzen durchwegs positiv bewertet. Eine Mehrheit spricht sich eher für ein interkulturelles Vermitteln aus. Die meisten Dolmetscherinnen beziehen denn auch eine kulturell vermittelnde Komponente in ihre Arbeit mit ein. Ein Interviewpartner sieht im interkulturellen Vermitteln folgende Vorteile: „Das interkulturelle Vermitteln ist personenadaptierter. Es gibt bei den Patienten verschiedene IQs. Sie [Dolmetscherinnen, die interkulturell vermitteln] gehen mehr auf das Niveau der Patientin ein. Auch wenn ich eine Information gebe. Gut, ich versuche sie natürlich immer so zu geben, dass die Patientin sie versteht. Ich finde, es ist am besten, wenn man auf die Patientin eingeht“. (Interview 12) Was eine gute Dolmetscherin für seine Arbeit bedeutet, beschreibt ein anderer Arzt folgendermassen: „Unsere Türkisch Dolmetscherinnen sind hervorragend, meiner Meinung nach. Sie sind ein sehr gutes Bindeglied […]. Sie verstehen die türkische Denkweise, sind aber schweizerisch genug, um auch zu verstehen, wenn es zu Spannungen kommt, bzw. zu Unverständnis von beiden Seiten. Es braucht auch die Fähigkeit, sich die beiden unterschiedlichen kulturellen Gesichtspunkte bewusst zu machen. […] Und es gibt Frauen, die machen das extrem gut. Sie sind Türkinnen, durch und durch, hat man den Eindruck, sind aber trotzdem auch curare 31(2008)2+3 49 Schweizerinnen. Das Konfliktpotenzial, das das normalerweise in sich hat, lösen sie perfekt auf. Sie verstehen beide Seiten. Sie bringt mir die Sicht einer türkischen Patientin so nahe, dass ich sagen kann: Ah ja, deswegen. … Sie macht [übersetzt] das so gut, dass es auch für diese türkischen Patientinnen akzeptabel wird.“ (Interview 11) Der kulturelle Aspekt nimmt hier einen herausragenden Platz ein. Die Dolmetscherin wird geradezu als Expertin ihrer Kultur gehandelt. Auch im nächsten Zitat werden die Aufgaben zwischen ExpertInnen aufgeteilt: die Ärztin ist für die Medizin zuständig, die Dolmetscherin für die Kultur: „In der Begegnung mit Migrantinnen bin ich kompetent, was das Medizinische, Psychologische und Psychosoziale angeht, und sie [die Dolmetscherin] ist Expertin darin, wie gewisse Dinge erlebt werden, mit ihrem Hintergrund. Ich finde es wichtig, dass sie mir das mitteilt, wie es für sie ist, und wie sie was gewichtet. Diese Informationen sind wichtig in dem Rahmen [der Sprechstunde]“. (Interview 7) Diese Art von Vermittlung und Erklärung enthält ein Nutzungspotential nicht nur für die Migrations-, sondern auch für die autochthone Bevölkerung. Das gilt in jedem Fall für den folgenden Abschnitt über Übersetzung und Verbindung mit der Lebenswelt. Zwischen der Stimme der Medizin und der Stimme der Lebenswelt Charakteristisch für viele Sprechstunden ist der Dualismus: hier die medizinische Welt und ihre Sprache, dort die Welt, wie sie von der Patientin erlebt wird. Die Dolmetscherin steht zwischen diesen Welten. Fachpersonen spüren die Spannung, die sich in der Begegnung dieser Welten ergibt, so wie die folgende: „Es ist generell schwierig, wenn man aus zwei verschiedenen Welten kommt. Und unsere Ansprüche, Ansätze und Vorstellungen, wie etwas ablaufen soll, sich in keiner Weise decken mit dem Ansatz, den die Migrantin im Einzelnen hat.“ (Interview 13) Diese Fachperson ist sich dessen bewusst, dass sie ihre Agenda aus der Welt der Medizin hat („wie etwas ablaufen soll“), und dass die Migrantin ihrerseits einen – wie sie sagt – „Ansatz“ aus ihrer Lebenswelt mitbringt. Die zwei Welten erinnern an die Arbeiten Mishlers (Mishler 1984). In einer Studie über medizinische Sprechstunden hat der Forscher 50 Folgendes beobachtet: Patienten tendieren dazu, in der Stimme der Lebenswelt (“voice of lifeworld”) zu sprechen; sie sprechen auf einer subjektiven Ebene und aus der Alltagswelt heraus.. Dagegen benützen Ärzte, entsprechend ihrem Rollenverständnis, die Stimme der Medizin (“voice of medicine”), und verleihen ihrem Sprechen Objektivität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit. Nicht selten erhalten Dolmetscherinnen eine Rolle, in der sie nicht nur zwischen zwei Sprachen, sondern auch zwischen zwei „Stimmen“ vermittelnd übersetzen. Im nächsten Ausschnitt wird eine komplexe Situation geschildert. Einer fremdsprachigen Frau muss begreiflich gemacht werden, dass für das Kind eine Gefahr besteht, und bestimmte Maßnahmen notwendig sind; die zwei Stimmen prallen hier aufeinander. „Das ist für die Frau im ersten Moment natürlich eine völlige Überforderung. Morgen früh kommt sie dann wieder und bringt den Mann mit. So dass man noch ein zweites Gespräch hat, wo man die Befunde besprechen kann und ihr erklären kann, womit sie rechnen muss. Was das für das Kind bedeutet und so weiter. Bei Fremdsprachigen muss man oft mehr erklären, weil das laienmedizinische Vorwissen nicht da ist. Das ist bei ausländischen Patienten schwieriger, sie auf eine Ebene zu bringen, wo sie das realisieren, rational anschauen und dann auch entscheiden können, was das für sie bedeutet“. (Interview 3) Im folgenden Zitat wird gar von dreifacher Übersetzung gesprochen: „Weil man drei Dinge übersetzt: Man übersetzt die Sprache in die andere Sprache, unsere Medizin vom Spezialisten zum Laien, und vom Laien nochmals zum Laien“ (Interview 13). In Gesprächssituationen zwischen Gleichsprachigen schätzt jeder unmittelbar das Hintergrundwissen seines Gegenübers ein und passt entsprechend an, wie er mit ihm kommuniziert. Bei einem fremdsprachigen Gegenüber ist es viel schwieriger, den Hintergrund dieser Person zu erfassen. Entsprechend mehr Übersetzungsarbeit ist nötig. Um beim Bild der Lebenswelt zu bleiben: Lebenswelt ist nicht gleich Lebenswelt, sondern kann im Migrationskontext je anders aussehen; sie muss dementsprechend mit besonderer Sorgfalt ausgehandelt werden (gerade wenn, wie im erwähnten Interview 3, eine heikle Situation besteht). Zwar wird die Mishlersche Unterscheidung nicht erwähnt, aber folgendes Beispiel zeigt das Übersetzen zwischen der Stimme der Lebenswelt A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster und der Medizin: „Früher hatten wir eine Dolmetscherin, die war außerordentlich kompetent, und hat sich zusätzliche Kenntnisse angeeignet.“ So konnte ich sagen: „Erkläre ihr [der Patientin] doch mal, wie sie die Pille nehmen muss. Es kann hilfreich sein, wenn man sich gut kennt, und sich sicher ist über die Kompetenz jener Person. Man ist froh, dass man so unkomplizierte Sachen delegieren kann, wenn es mehr darum geht, einfach zu informieren. […] Die erfahrene Dolmetscherin weiß anhand eines Stichwortes, was sie in zwei, drei Sätzen erklären soll“. (Interview 7). Die Ärztin ist froh, dass sie Übersetzungsarbeit delegieren kann. Die Dolmetscherin ist fähig, Informationen zur Pilleneinnahme selbstständig zu übermitteln, da sie die Inhalte kennt und kompetent ist, diese eigenständig zu erklären, ohne dass die Ärztin es selbst vorher nochmals ausführt. Eine erfahrene Dolmetscherin übernimmt hier nicht nur die Aufgabe, Informationen von einer Sprache in eine andere zu übersetzen. Sie überträgt gleichzeitig medizinische Fachsprache in eine Sprache, die für Laien verständlich ist (siehe oben). Je kompetenter die Ärztin die Dolmetscherin dabei einschätzt, desto selbständiger ist auch die Rolle, die die Ärztin ihr zuteilt. Ähnlich geht ein Arzt im folgenden Beispiel vor: „Das ist ja das Schönste, wenn sich ein Gespräch zwischen Übersetzer und Patient entwickelt. Dann sprechen sie miteinander. Dann läuft die Kommunikation, zwischen der Dolmetscherin und der Patientin. Wenn dort geredet wird, dann geschieht etwas. Dann tauschen sie Informationen aus, die ich initiiert habe in dem Gespräch. Dann bin ich immer froh [… wenn] sie mir beim Rausgehen sagt: ,Wir haben noch diese und diese Punkte angesprochen. Und das und das habe ich ihr dazu gesagt‘. Dann merke ich, dass es ein aktives Hin und Her war. Das ist das, was für mich in eine Mediation hineingeht.“ (Interview 13) In diesem Zitat wird die Mediation erwähnt. Dass Dolmetscherinnen in der Klinik auch Mediation ausüben, mag überraschen. Man kann das aber durchaus so stehen lassen, denn ihre Tätigkeit entspricht durchaus derjenigen einer Mediation, so, wie sie in „Homo Mediator, Geschichte und Menschenbild der Mediation“ (Duss-von Werdt 2005) beschrieben wird. Wenn die Dolmetscherin in ihrer Vermittlung zuviel Eigenaktivität entwickelt, kann das jedoch auch als problematisch empfunden werden, wie das folgende Zitat belegt. Die InterviewpartneVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute rin schlägt auch gleich eine mögliche Lösung des Problems vor: „Es ist weniger hilfreich, wenn zu viel Initiative von der Dolmetscherin kommt, z.B. wenn man merkt, dass schon viel im Wartezimmer besprochen wurde. Wenn man das fertig serviert bekommt, ist das schwierig. In diesem Fall habe ich keine Möglichkeit, das Gespräch zu gestalten und zu leiten […] Wenn die Rollen klar sind, soll man die Grenzen soweit wie möglich gestalten. Die Dolmetscherin darf sich gerne einbringen, dann kann ich davon profitieren, aber es muss abgesprochen sein“. (Interview 7). Diese Ärztin zeichnet das Bild einer Zusammenarbeit, in der die Dolmetscherin als kompetente Partnerin in der Betreuung von fremdsprachigen Patientinnen anerkannt wird. Diskussion „Quasi dasselbe mit anderen Worten“ sagen: das ereignet sich nicht nur beim Übersetzen von schriftlichen Texten nach Eco, sondern auch in Kommunikationssituationen zwischen Fremdsprachigen, in denen eine dritte Person dolmetschend interveniert. Weiter gefasst, bildet dies eine Realität bei Interaktionen in öffentlichen Institutionen, die von großer Diversität ihrer Klientel geprägt sind. Wie kann man aber quasi dasselbe sagen? Dolmetscherinnen üben verschiedene Rollen aus, um ihre Arbeit für ihre Klientinnen (Gesundheitsfachleute einerseits, Patientinnen andererseits) auf befriedigende Art und Weise zu leisten. Sie sagen „dasselbe“ weniger wörtlich, sondern eher vermittelnd, und zwar vermittelnd auf mindestens dreifache Art und Weise: interkulturell vermittelnd, zwischen den „Stimmen“ vermittelnd (Greenhalgh, Robb & Scambler 2006) und in konfliktgeladenen Situationen vermittelnd. Die Rollenkonzepte von Dolmetscherinnen wurden vor allem in der sozialen, der ethnologischen und auch der Gesundheitsforschung ausführlich beleuchtet, jedoch sind Dolmetscherinnen nur teilweise (z. B. im Rahmen von Weiterbildungskursen) und die meisten medizinischen Fachpersonen nur rudimentär oder überhaupt nicht mit diesen Rollenkonzepten vertraut. Im Alltag wird Gesundheitsfachpersonal häufig mit Dolmetscherinnen konfrontiert ohne eine entsprechende Vorbereitung auf diese Zusammenarbeit zu erhalten. Das Wissen um die Kriterien einer „guten Dolmetscherin“, oder eines „idealen Trialogs“ kann nicht einfach als gegecurare 31(2008)2+3 51 ben angenommen, sondern sollte in Weiterbildungsveranstaltungen für das medizinische Fachpersonal behandelt werden. Fachpersonen könnten bei dieser Gelegenheit auch dafür sensibilisiert werden, wann der Beizug von interkulturellen Vermittlerinnen indiziert ist, auch unabhängig von Sprachproblemen6. Darüber hinaus vollzieht sich die Zusammenarbeit zwischen Dolmetscherinnen und Gesundheitsfachleuten in einem Spannungsfeld, welches seit Jahrhunderten unter Übersetzern und Dolmetschern herrscht, nämlich zwischen „wortgetreuer“ und „freier“ Übersetzung. Schon Cicero zeigt die Dichotomie auf: entweder einfach übersetzen als „Interpres“ oder aber – und dem gibt er den Vorzug – übersetzen wie ein Redner, ein „Orator“, der seine Hörer überzeugen will. Schleiermacher, deutscher Theologe und Philosoph des 19. Jahrhunderts, hat unsere Auffassungen vom Übersetzen stärker beeinflusst als Cicero. Für Schleiermacher ist der Ursprungstext (also gewissermaßen der Sender) wichtiger, als der Hörer (der Adressat). Entsprechend wird die wortgetreue Übersetzung immer noch als die wahre und eigentliche angesehen, auch wenn sie beim Empfänger an Verständlichkeit einbüsst (Berger & Nord 1999). Eco wehrt sich gegen falsch verstandene Treue im Sinne wörtlichen Übersetzens: „Aber der Treuebegriff hat mit der Überzeugung zu tun, dass Übersetzen eine Form des Interpretierens ist und stets darauf abzielen muss, auch wenn es von der Sensibilität und Kultur des Lesers ausgeht, möglichst treffend, ich sage nicht: die Intention des Autors, aber die Intention des Textes wiederzugeben, also das was der Text sagt oder suggeriert in Bezug auf die Sprache, in der er sich ausgedrückt, und den kulturellen Kontext, in dem er entstanden ist.“ (Eco 2006: 17). Und weiter: „Somit erweist sich eine scheinbare Untreue (man hat nicht wörtlich übersetzt) im Endeffekt als ein Ausdruck von Treue. Ähnlich sagte bereits Hieronymus, der Schutzpatron der Übersetzer, dass es beim Übersetzen nicht darum gehe, verbum e verbo sed sensum exprimere de sensu – also nicht ‚das Wort durch das Wort, sondern den Sinn durch den Sinn auszudrücken‘“ (Eco 2006: 18). Ecos Postulat lässt sich auf das Dolmetschen übertragen: im Trialog wird im Idealfall nicht treu im Sinn von wörtlich, sondern getreu der Absicht der adressierten Botschaft übersetzt. Doch in der alltäglichen Praxis ist nicht immer klar, was das Ideal eigentlich ist. Die Zusammenarbeit mit Dol- 52 metscherinnen und deren Rollenkonzepten werden meist eher intuitiv gehandhabt als auf der Basis theoretischer Reflexionen. Der pragmatische und konzeptionell noch wenig ausgebildete Ansatz ist hierbei bezeichnend, und lässt sich in zahlreichen Forschungsberichten über das Dolmetschen im Gesundheitsbereich feststellen, so zum Beispiel bei der INTERPRET, der schweizerischen Interessengemeinschaft für interkulturelles Übersetzen und Vermitteln7, im Grundlagenbericht über Übersetzung in der Schweiz (Weiss & Stuker 1998), einigen Forschungsarbeiten in der Schweiz (Leanza 2005, Singy & Weber 2001), aber auch in anderen Ländern (Chia 2002, Hsieh 2006, Sauvêtre 1998). Häufig bestimmt die Praxis wie der Dialog zu dritt gestaltet wird und wie in den Zitaten dargestellt, werden von den Gesundheitsfachleuten teilweise sogar sich widersprechende Rollen und Arten des Dolmetschens gewünscht. Eine Möglichkeit, an diesem Thema weiterzuarbeiten, wäre die Einführung von Weiterbildungsangeboten für Dolmetschende und medizinische Fachpersonen gemeinsam. Obwohl die Idee eigentlich naheliegend ist, sind uns keine solchen Projekte bekannt. Das gemeinsame Besprechen von Dolmetscherrollen könnte ein Ausweg aus den polarisierenden Diskussionen (etwa „nur übersetzen“ contra „mehr als übersetzen“) bieten und zudem ermöglichen schwierige Gesprächssituation anzusprechen, in denen beispielsweise die betreffende Dolmetscherin der Situation nicht gewachsen war, und nicht adäquat übersetzen konnte. Damit wären gemeinsame Weiterbildungen nicht zuletzt auch eine Strategie der Qualitätssicherung für einen Dialog zu Dritt. Darüber hinaus können Daten wie die des vorliegenden Forschungsprojektes zu einer differenzierten Betrachtung verhelfen und die Diskussionsgrundlage für das Konzeptualisieren des Dolmetschens bilden. Unsere Daten eignen sich auch deshalb für Weiterbildungen, weil sie zeigen, dass das Hinzuziehen einer Dolmetscherin dem persönlichen Ermessen überlassen bleibt. Das Bewusstsein für Situationen, in denen Dolmetscher sinnvollerweise hinzugerufen werden sollten, kann anhand der vorliegenden „Alltagsbeschreibungen“ geschärft werden. Außerdem geben sie Raum, um über die Grenzen und Risiken beim Hinzuziehen von nicht qualifizierten Dolmetschenden – Familienangehörigen, Spitalpersonal usw. – zu reflektieren und einen kritischen Umgang damit zu ermöglichen. Andere A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster Daten, die für Weiterbildungen für den Dialog zu Dritt hilfreich sind, sind Transkriptionen von reell geführten Gesprächen im Trialog. Wir verweisen hier auf die Arbeiten von Meyer: in eigens dafür geschaffenen Weiterbildungsmodulen werden anhand der Transkriptionen von dolmetschervermittelten Gesprächen in unterschiedlichen Settings für die Trialogpraxis wichtige Punkte gemeinsam erarbeitet (Meyer 2000, Meyer 2003). Einen wichtigen Bestandteil solcher Weiterbildungsveranstaltungen sollte auch ein reflexiver Umgang mit dem Begriff Kultur beinhalten. Der Begriff Kultur wird von medizinischen Fachpersonen, aber auch DometscherInnen, oft allzu bedenkenlos gebraucht und kann als „Schublade“ missverstanden werden, in die man „spezifische“ Merkmale und Verhaltensweisen „verstauen“ kann. Kaufert prägte dazu das Stichwort “boxification” (Kaufert & Putsch 1997). Eine Gefahr hierbei ist die Kulturalisierung, d.h. die Festlegung von Personen auf ihren kulturellen Hintergrund. Diese Thematik sollte einen integralen Bestandteil der empfohlenen Weiterbildungen für Dolmetscher und für Gesundheitspersonal bilden. Zur Definition von Kultur verweisen wir auf Wicker: „Kultur beinhaltet die im Lebensprozess von Individuen erworbenen Dispositionen, die zu intersubjektiver Bedeutungsbildung und zu sinnhaftem Handeln befähigen. Kultur ist demnach ein offener Prozess, der analysiert werden muss, es gibt kein ,Kultur sein‘“ (Wicker 1996). Wenn wir Kultur so verstehen, dann gilt es, das Prozesshafte im Umgang mit Kultur ernst zu nehmen, und nicht in einem statischen Kulturbegriff zu verharren, der Menschen dort unveränderlich belässt, wo sie eingeteilt sind (Saladin et al. 2006). Die Auseinandersetzung mit Kultur führt uns zur interkulturellen Vermittlung, die oft als Gegensatz zum Übersetzen gesehen wird. Zum Übersetzen bzw. interkulturellen Vermitteln bestehen meist eher diffuse Vorstellungen unter den interviewten Fachpersonen. Dies kommt indirekt in mehreren Gesprächen zum Ausdruck. Zum Beispiel hält eine Interviewpartnerin im gleichen Interview fest, dass wörtliches Übersetzen das Richtige ist, und gleichzeitig erwähnt, sie verlasse sich bei erfahrenen Dolmetscherinnen darauf, dass sie kulturelle Vorstellungen in ihre Übersetzung einbeziehen. Wir können darin beispielhaft das Oszillieren zwischen der Verneinung des kulturellen Aspektes, aber auch der Betonung desselben sehen. Saladin et al. (2006: VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute 93) definieren interkulturelles Vermitteln wie folgt: „Interkulturelle Vermittlerinnen und Vermittler informieren adressatengerecht Migrantinnen und Migranten sowie Fachpersonen öffentlicher Dienstleistungen über kulturelle Besonderheiten, über unterschiedliche Regeln des politischen oder des Sozialsystems sowie über unterschiedliche Umgangsformen. Damit bauen sie Brücken zwischen Migrantinnen und Migranten sowie Bildungs- oder Beratungseinrichtungen und sorgen dafür, dass Unklarheiten zwischen Ärztin und Arzt – Patientin und Patient, Anwältin und Anwalt – Mandantin und Mandant, Lehrerin und Lehrer – Eltern keinen Raum haben“. Obige Überlegungen zum Umgang mit der Kultur, insbesondere diejenige, dass Kultur nicht statisch, sondern dynamisch verstanden werden sollte, führt uns zum Grundgedanken von Eco’s Essay über das Übersetzen, nämlich dass Übersetzen Verhandeln ist. Eco (2006:20): „So bin ich auf die Idee gekommen, dass Übersetzen auf einer Reihe von Verhandlungsprozessen beruht – ist doch Verhandlung genau ein Prozess, bei dem man, um etwas zu erreichen, auf etwas anderes verzichtet, und aus dem die Parteien am Ende mit einem Gefühl von vernünftiger wechselseitiger Befriedigung herauskommen sollen, geleitet vom goldenen Prinzip, dass man nicht alles haben kann“. Dass Dolmetscher in einen Verhandlungsprozess zwischen zwei Partien eingreifen, ihn sogar maßgeblich beeinflussen, das scheint uns erhellend für den Umgang im Trialog. Also: Dolmetscherinnen übersetzen nicht nur, sie vermitteln und sie helfen verhandeln und aushandeln, einmal zwischen Sprachen, aber auch zwischen kulturellen Ausdrucksformen, und sie verhandeln auch zwischen der Stimme der Lebenswelt und der Stimme der Medizin. Greenhalgh, Robb, & Scambler (2006) haben in einer kürzlich publizierten Studie die Begriffe Mishlers durch die Gegenüberstellungen von Habermas ergänzt, und auf einen Aspekt hingewiesen, der bisher nicht oder nur verdeckt zur Sprache kam, dem der Macht. Aus der Theorie des kommunikativen Handelns werden zwei Unterscheidungen beigezogen: die der Lebenswelt und des Systems, sowie des kommunikativen und strategischen Handelns. Greenhalgh und Kollegen zeigten, dass die Stimme der Medizin (des Systems, des strategischen Handelns) häufig dominanter („lauter“) ist, als die Stimme der Lebenswelt. Dolmetscherinnen stehen hier dazwischen, und ihre curare 31(2008)2+3 53 Verhandlungsaufgabe ist entsprechend komplex und anspruchsvoll, und umso komplexer und anspruchsvoller, je weniger zur Kenntnis genommen wird, dass Dolmetscherinnen solche Rollen implizit innehaben, und je ausgeprägter die Assymetrien zwischen Arzt und Patienten sind. Abschließend möchten wir unterstreichen, dass der Trialog zum Alltag der UFK gehört. Die UFK ist in ihrer Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen ein Beispiel dessen geworden, was Umgang mit Diversität in einer öffentlichen Institution bedeuten könnte. Im Handbuch „Diversität und Chancengleichheit – Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen“ wird Diversität folgendermaßen definiert: „Unter Diversität werden hier die persönlichen und gesellschaftlichen Differenzen verstanden, die unter anderem aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Sprache, Fähigkeiten, Alter, Lebensformen und sozialem Status entstehen und bestehen und sich auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirken. Das Management der Diversität strebt einen positiven Umgang mit diesen Differenzen an, um daraus erfolgreiches Handeln für ein Unternehmen, seine Kundinnen und Kunden sowie seine Mitarbeitenden zu gestalten“ (Saladin et al. 2006: 91). Unsere Studie bietet Anschauungsmaterial, wie sich Strategien im Sinne eines Diversity Mainstreaming in die Praxis umsetzen lassen. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich beim Trialog nicht lediglich um eine spezialisierte Dienstleistung handelt, sondern um einen Teil der Regelversorgung, die allen Personen ungeachtet ihrer Herkunft zugute kommen und der zukünftig mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Anmerkungen 1. www.nfp51.ch 2. Das Bundesamt für Gesundheit hat 2002 im Rahmen der strategischen Ausrichtung des Bundes „Migration und Gesundheit 2002-2007“ IAMANEH Schweiz mit einem Mandat für eine Koordinationsstelle zu deren Umsetzung im Bereich reproduktiver Gesundheit beauftragt. Das Projekt „Geburtsvorbereitungskurse für Migrantinnen“ ist ein Teil dieser Umsetzung, finanziell unterstützt von der Eidgenössischen Ausländerkommission. Basel ist eine von sechs Regionen, in denen solche Kurse angeboten werden. 3. Das Projekt „Chancengleichheit für Migrantinnen – Optimierung der peripartalen Gesundheitsversorgung“ wird via H+ ‑Spitäler der Schweiz vom Bundesamt für Gesundheit, der Spitalleitung des Universitätsspitals Basel und der UniversitätsFrauenklinik finanziert. 4. Die administrativen Mitarbeiterinnen haben unterschiedliche Ausbildungshintergründe (z.B. Pflegeassistentin, Pharmaassistentin, kaufmännische Ausbildung). 54 5. Siehe mehr dazu in einem Buchbeitrag, der in den nächsten Monaten erscheinen wird: „Dolmetscherinnen im Spannungsfeld unterschiedlicher Geschlechtervorstellungen“, von Elisabeth Kurth, Sibil Tschudin und Elisabeth Zemp Stutz, in:„Dolmetschen, Vermitteln, Schlichten – Integration der Diversität?“, herausgegeben von Janine Dahinden und Alexander Bischoff. 6. Wir können hier nicht auf andere wichtige Aspekte von Weiterbildungen eingehen, wie das Hinzuziehen von SpitalmitarbeiterInnen als Dolmetschende, oder auch die Indikationen, wann der Beizug einer qualifizierten Dolmetscherin angezeigt ist, sondern verweisen auf die entsprechende Literatur: Bischoff A., Steinauer R. Pflegende Dolmetschende? Dolmetschende Pflegende? Literaturanalyse. Pflege Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe. 2007; 20(6): 343-51. Bischoff A., Steinauer R., Kurth E. Dolmetschen im Spital: Mitarbeitende mit Sprachkompetenzen erfassen, schulen und gezielt einsetzen. In: Saladin P., Diversität und Chancengleichheit - Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen. Bern: Bundesamt für Gesundheit BAG in Zusammenarbeit mit H+ Die Spitäler der Schweiz 2006: 65-7. 7. http://www.inter-pret.ch/ Literatur Abbe M., Simon C., Angiolillo A., Ruccione K. & Kodish E.D. 2006. A survey of language barriers from the perspective of pediatric oncologists, interpreters, and parents. Pediatr Blood Cancer. Berger K., & Nord C. 1999. Zur übersetzungstheoretischen Grundlage. In dies. (Hg). Das neue Testament und frühchristliche Schriften. Frankfurt am Main: Insel-Verlag. Bischoff A., Dahinden J., Delli C., Rothenbühler I., Conca A. & Kurth E. 2004. Trägt die interkulturelle Mediation zur Inklusion bei? Strategie und Praxis im Vergleich zwischen den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Soziales und Justiz. Integration und Ausschluss – Porträt des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 51. Bern: SNF. Bischoff A. & Loutan L. 2004. Interpreting in Swiss hospitals. Interpreting 6: 183-206. Bischoff A., Tonnerre C., Eytan A, Bernstein M. & Loutan L. 1999. Addressing language barriers to health care, a survey of medical services in Switzerland. Soz Praventivmed 44: 248-56. Busch D. 2005. Interkulturelle Mediation – Eine theoretische Grundlegung triadischer Konfliktbearbeitung in interkulturell bedingten Kontexten. (Studien zur Interkulturellen Mediation Vol. 1. Frankfurt am Main: Peter Lang – Europäischer Verlag der Wissenschaften. CHIA 2002. California standards for healthcare interpreters: ethical principles, protocols and guidance on roles & intervention. CHIA Standards & Certification Committee. Sacramento: California Healthcare Interpreters Association. Dahinden J & Bischoff A. 2005. Interkulturelle Mediation: welche Form der Integration? Bulletin NFP 51. Duss-von Werdt J. 2005. Homo Mediator - Geschichte und Menschenbild der Mediation. Stuttgart: Klett-Cotta. Eco U. 2006. Quasi dasselbe mit anderen Worten – Über das Übersetzen. München: Hanser. Gerrish K., R. Chau, Sobowale A., & Birks E. 2004. Bridging the language barrier: the use of interpreters in primary care nursing. Health Soc Care Community 12: 407-13. Ginsberg C., Martin V., Andrulis D., Shaw-Taylor Y., & McGregor C. 1995. Interpretation and Translation Services in Health Care: a survey of US public and private teaching A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster hospitals. New York: National Public Health and Hospital Institute. Green A. R., Ngo-Metzger Q., Legedza A. T., Massagli M.P., Phillips R.S. & Iezzoni L. I. 2005. Interpreter services, language concordance, and health care quality. Experiences of Asian Americans with limited english proficiency. J Gen Intern Med 20: 1050-6. Greenhalgh T., Robb N. & Scambler G. 2006. Communicative and strategic action in interpreted consultations in primary health care: A Habermasian perspective. Soc Sci Med 63: 1170-87. Hsieh E. 2006. Conflicts in how interpreters manage their roles in provider-patient interactions. Soc Sci Med 62: 721-30. Kaufert J. M., & Putsch R. W. 1997. 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Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion (www.ge spraechsforschung-ozs.de): 1-25. Mishler E. 1984. The discourse of medicine: dialectics of medical interviews. Norwood: Ablex Publishing Corp. Novak-Zezula S., Schulze B., Karl-Trummer U., Krajic K. & Pelikan J. 2005. Improving interpreting in clinical communication: models of feasible practice from the European project “Migrant-friendly Hospitals”‘. Diversity in Health and Social Care 2: 223-232. Pöchhacker F. 2000. The community interpreter‘s task: self-perception and provider views. The Critical Link 2: Interpreters in the community, vol. 31. Edited by Roberts R., Carr S.E., Abraham D. & Dufour A. Philadelphia: John Benjamin‘s Publishing Company. Saladin P., Bühlmann R., Dahinden D., Gall Azmat R., Ebner G. & Wohnhas J. 2006. Diversität und Chancengleichheit Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen. Bern: BAG. Sauvêtre M. 1998. De l‘interprétariat au dialogue à trois: pratiques européennes de l‘interprétariat en milieu social. Vancouver: The Critical Link 2: Interpreters in the Community. Singy P. & Weber O. 2001. L‘interprète dans la relation médecinpatient migrant: une présence discutée. Médecine & Hygiène 312-315. Strauss A. & Corbin J. 1998. Basis of qualitative research. Techniques and Procedures for Developing Grounded Theory. Thousand Oaks: Sage. Weiss R. & Stuker R. 1998. Uebersetzung und kulturelle Mediation im Gesundheitssystem. Schweizerisches Forum für Migrationsstudien. Forschungsbericht Nr.11. Wicker H.-R. 1996. Von der komplexen Kultur zur kulturellen Komplexität. In ders. et al. (Hg). Das Fremde in der Gesellschaft : Migration, Ethnizität und Staat. Zürich: Seismo: 373-392. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute 55 Alexander Bischoff, Dr. phil. (PhD, MPH, RN) ist als Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, und als Public Health Spezialist und Pflegeexperte in „Service de Médecine Internationale et Humanitaires“ der Genfer Universitätsspitäler tätig. Montmirail 2075 Thielle, Schweiz e-mail: [email protected] Elisabeth Kurth, Text fehlt noch !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Sylvie Schuster, Dr. med., Studium der Medizin und Ethnologie, aktuell in der Facharztausbildung Gynäkologie und Geburtshilfe. Forschungsarbeit zum Schwangerschaftsabbruch in Kamerun 1996/1997, gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. Research Fellow am Department of Social Medicine, Harvard Medical School, 2002. Leitung verschiedener Projekte im Bereich Migration und Gesundheit. University Women´s Hospital Spitalstrasse 21, 4031 Basel, Schweiz e-mail: [email protected] curare 31(2008)2+3 Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern 57 Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern Şebnem Bahadir Der Mensch „macht” nicht nur Theater, er „ist” auch gleichzeitig Theater. (Boal & Holtei 1999: 24) Zusammenfassung Wenn Dolmetscher als interkulturelle Mittler zwischen Vertretern medizinischer Institutionen und Migranten agieren, übernehmen sie eine hohe Verantwortung: Sie sollen in Situationen Kommunikation ermöglichen, die von einem großen Machtungleichgewicht gekennzeichnet sind. In diesem hierarchisch geprägten Beziehungsgefüge arbeiten Dolmetscher nicht als unsichtbare und unbeteiligte Akteure. Sie sind mitten drin im Geschehen - als Professionelle, die mit ihren kulturellen, sozialen und personellen Identitäten eine dritte Seite darstellen. In diesem Beitrag wird der Rahmen für eine Aus- und Weiterbildung von Dolmetschern skizziert, die auf einer handlungsorientierten translationswissenschaftlichen Grundlage aufbaut und theaterpädagogische, anthropologische und soziologische Ansätze verknüpft. Ausgangspunkt ist die Auffassung von Dolmetschen als ‚ganzkörperliche’ Aktion in einer Situation, die als Inszenierung gelehrt und gelernt werden kann. Ziel ist eine professionelle Dolmetscheridentität, die für nonverbale, verbale und situationale Kommunikationsdynamiken und kulturelle, soziale und politische Machtgefälle in den medizinischen Einsatzbereichen sensibilisiert und dazu befähigt, aus der Position des Dritten heraus ethisch, d.h. empathisch und verantwortungsvoll zu handeln. The Theatre of Interpreting: Observing, participating, rehearsing, enacting, changing Abstract When interpreters act as intercultural mediators between representatives of medical institutions and migrants, they take high responsibility: They have to enable communication in situations characterized by great imbalance power. Within this hierarchical structure of relationships interpreters are not invisible and uninvolved agents. They are right in the middle of the event – as professionals who represent a third party with their own cultural, social and personal identities. This paper sketches the framing of a methodology for training interpreters which is based on an action-oriented perspective from translation studies and connects with approaches from theatre pedagogy, anthropology and sociology. The point of departure is the concept of interpreting as action involving the whole body in a situation, which can be taught and learnt by way of enactments. The aim is to develop a professional identity, sensitizing interpreters for the nonverbal, verbal and situational dynamics in communication and the cultural, social and political imbalance of power in medical settings, and at the same time empowering interpreters to act ethically, i.e. with empathy and responsibility as a third party. Keywords (Schlagwörter) action-oriented perspective of education (handlungsorientierte Orientierung der Ausbildung) – sensitized interpreter (sensibilisierter Dolmetscher) – empathy (Empathie) – translation studies (Translationswissenschaft) – professional identity (professionelle Identität) Der Dolmetscher im medizinischen Kontext – vom Souffleur zur Hauptrolle Das Dolmetschen außerhalb von internationalen Konferenzen ist inzwischen auch in den nicht-klassischen Zuwanderungsländern zu einem Thema in der öffentlichen Diskussion geworden.1 Nach einer Phase der semi-institutionalisierten Laiendolmetscher, die sich meist aus Kindern und Familienangecurare 31(2008)2+3: 57- hörigen der fremden Patienten rekrutieren, machen sich Praktiker, Ausbilder und Dienstleistungsanbieter nun auf die Suche nach einem professionellen Berufsprofil für Dolmetscher in medizinischen, sozialen und juristischen, meist intranationalen Kontexten.2 Die Dolmetschsituationen in diesen meist ‚migrantischen Settings‘ sind oft nicht auf einfache sprachliche Übertragungsleistungen reduzierbar, zwischenmenschlich komplex und emotional belas- 58 tend. Dolmetscher durchleben Entscheidungsprozesse, die sie über ihre in dem Moment ausgeübte Tätigkeit heraus als „ganze Person“ fordern – als Mensch mit einer bestimmten Lebensgeschichte, als (ehemaliger) Asylbewerber oder als (eigentlich über)integrierte und distanzierte Migrantin der dritten Generation oder als (inzwischen anerkannter) politischer Flüchtling. Der Ausgangspunkt für ein neues und funktionierendes Berufsprofil muss die Einsicht sein, dass das Dolmetschen in medizinischen (sozialen und juristischen) Kontexten eine ethisch höchst komplexe Tätigkeit mit soziopolitischen Implikationen ist. Dolmetscher müssen bewusst erleben und darüber reflektieren, was das Dolmetschen zwischen Vertretern verschiedener Kulturen bedeutet, zwischen denen ein großes Machtungleichgewicht besteht; welche Risiken sie damit auf sich nehmen und wieviel sowie welche Art von Verantwortung sie überhaupt tragen müssen/können/wollen. Diese (Beurteilungs-)Fähigkeit muss manchmal in einem mühsamen und schmerzvollen Prozess entwickelt werden, wenn Dolmetscher aus ihrer Praxis heraus ein gewisses Bewusstsein erlangen. Es gibt ohne Zweifel erfahrene, kompetente, inzwischen professionell arbeitende „Autodidakt-Dolmetscher“. Aber als Dolmetschforscherin und -ausbilderin möchte ich mich nicht mit einer Bewusstseinsbildung zufrieden geben, die nach dem Prinizip der natürlichen Selektion arbeitet (vgl. auch Bahadir 1998, 2000). Die professionellere Art und Weise des Umgangs mit einer solchen Bedarfssituation ist der Weg einer praxisorientierten kritischen Aus- und Weiterbildung, die sich nicht nur auf die Förderung der rationalen Fähigkeiten konzentriert, sondern die Sensibilisierung von Körper und Emotionalität, also die nonverbale wie verbale Kommunikationskompetenz und die Empathiebildung mit einbezieht. Dolmetschen bedeutet wie jegliches Verstehen und Mitteilen, also Kommunizieren, dass die andere Kultur zunächst in „meine Welt“ einverleibt wird. Dolmetscher müssen (dazu befähigt werden zu) erkennen, dass die Anerkennung der Fremdheit der anderen Kultur nur idealiter (und auf ideologischer Ebene) eine Assimilierung verhindert. Auch die Strategie der Verfremdung assimiliert, obwohl sie gleichzeitig eine Art „Selbstaufgabe“ im Dienst einer „Rettungsideologie“ propagiert, die durch Kulturrelativismus die andere Kultur vor ethnozentrischen Übergriffen bewahren soll. Eine Ausdrucksform, einen Text, Şebnem Bahadır eine Kultur „fremd“ zu lassen, ist demnach, wenn wir diesen Gedankengang im Sinne des Ethnologen Leiris bis zum Ende weiterverfolgen, ein „Mir-zueigen-Machen“ der Anderen als Andere (vgl. 1985a, b). Wenn ich der, die, das Andere als fremd und verschieden von mir „lasse“, tue ich das immer nur aus meiner individuellen kulturen- und kontextgebundenen Sicht heraus. Dieses Paradox führt uns vor Augen, dass keine Form der Verdolmetschung auf einer Ebene der völligen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung erfolgt (vgl. Bahadir 2004). Der Arzt, die Krankenschwester, der Pfleger, der fremde Kranke … weitere Rollen im Theater des Dolmetschens Die „Verkomplizierung“ der Dolmetschtätigkeit weitet sich noch mehr aus, wenn diese doppelte Bewegung zwischen fremd lassen und zu eigen machen nicht in Form von alternativen, je nach Situation auswählbaren Strategien auftritt, sondern als eine spezifische Dynamik, die ständig im Dolmetschen stattfindet, in einer dialogischen Form, sich immer wieder unterschiedlich stark und intensiv überlappend. Dolmetschen impliziert immer Machtungleichgewicht und Bedeutungsvielfalt. Die doppelte Bewegung ist eng mit der Praxis, der Arbeit draußen auf dem „Feld“ verbunden, wie wir es in Leiris’ ethnographischen Texten sehen, die ein Grenzphänomen darstellen, weil in ihnen sowohl Originalals auch Zielkulturen auf der Grundlage von real beobachteten Daten in einer neuen poetischen Form zusammengesetzt und dargestellt, also ‚inszeniert‘ werden (vgl. Albers 1999: 220). Dolmetschen als eine professionelle interkulturelle Kommunikationsleistung kann ebenfalls als eine ‚Inszenierung‘ von mindestens drei Kulturen betrachtet werden. Von der Laienperspektive aus betrachtet mag eine verdolmetschte Arzt-Patient-Interaktion weiterhin wie ein intimes Zweiergespräch aussehen – bzw. was noch richtiger wäre: Dieser Mythos der Zweisamkeit wird auch nach dem sichtbaren und hörbaren „Auftritt“ des Dolmetschers gern weiter gepflegt. Im Rahmen eines traditionellen Verständnisses von der Beziehung zwischen „Heiler“ und „Heilung-Suchendem“ stört die Akzeptanz einer eigenständigen Rolle/Kultur für den Dolmetscher die Intimität des Arzt-Patient-Gespräches. Die TheaterMetapher für eine verdolmetschte Interaktion, d.h. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern die Betrachtung der Situation als eine Inszenierung, ähnlich wie alle anderen Inszenierungen in unserem Alltag (vgl. Goffman [1959] 2000), ermöglicht es uns, die Rolle/Kultur des medizinischen Fachpersonals, die des Dolmetschers und die des „fremden Kranken“ und deren Beziehungen im tatsächlichen Interaktionskontext zueinander zu erkennen und zu analysieren. Dolmetscher üben, ähnlich wie Ethnographen, eine Tätigkeit „an den Grenzen“ verschiedener anderer Tätigkeiten aus, produzieren andere Kulturen auf dem Hintergrund ihrer so genannten eigenen Kulturen und erschaffen sich somit einen neuen Raum, eine dritte durchmischte Kultur, “something like culture’s ‘in-between’”, um mit Bhabha (1996: 54) zu sprechen. Eine Auseinandersetzung mit der Suche kritischer Ethnographen nach neuen Ausdrucksformen, politischen Verortungen und ethischen Haltungen ist für die Diskussion über die professionelle Rolle der Dolmetscherin überaus fruchtbar. Erlebte Situationen können uns Wege aus den scheinbar unendlichen, mehr oder weniger theoretischen Diskussionen zeigen. Wie die feldforschenden Ethnographen im Rahmen einer Revision der interpretierenden Anthropologie in einer Phase selbstreflexiver und experimenteller Ansätze anfingen, ihre Reflexionen über den ethnographischen Forschungsprozess, über ihre Gefühle und Vorstellungen beim Beobachten, Miterleben und Aufschreiben ihrer Arbeitskulturen festzuhalten (vgl. Marcus & Fischer 1986: 42-44), sollten Kommentaren und Bewertungen von Seiten der DolmetscherInnen einerseits und der Dolmetsch-forscherInnen andererseits mehr Beachtung geschenkt werden (vgl. Bahadir 2007, 2004, 2001). Ein solcher experimenteller Ansatz würde es uns bei der Betrachtung der Dolmetschtätigkeit ermöglichen, ethische Implikationen und Restriktionen beim Dolmetschen neu zu bewerten. In diesem Sinne möchten wir eine neue Methodik in der Dolmetscherausbildung vorschlagen, die auch zur Sensibilisierung von medizinischem Fachpersonal für eine effektivere Zusammenarbeit mit Dolmetschern eingesetzt werden kann: Sie basiert dezidiert auf einer translationswissenschaftlichen Grundlage und ist ein Amalgam aus theaterpädagogischen und anthropologischen Arbeiten von Boal, Barba, Schechner und Victor Turner, kombiniert mit soziologischen und sozialpsychologischen Betrachtungen von Goffman und einigen Gedanken curare 31(2008)2+3 59 aus dem Bereich interkultureller Kommunika tionsforschung.3 Ausgangspunkt für diese ganzheitlich sensibilisierende und „ganzkörperliche“ Dolmetschausbildung ist der Grundgedanke, dass Dolmetschen als Aktion, also als Bewegung in Situation, somit als Inszenierung gelehrt und gelernt werden kann bzw. sollte. Empirische Studien (z.B. Wadensjö 1998a, b) zeigen und Kommunikationswissenschaftler, Psychologen, Psychotherapeuten (z.B. Watzlawick, Beavin & Jackson 2003, Nathan 2001, Loenhoff 2001, Knoll & Röder 1988) betonen dies immer wieder: Wir kommunizieren als ganze Person, als Körper, nicht nur mit unseren mentalen/geistigen/kognitiven Fähigkeiten und nicht nur mit einem Teil unseres Körpers. Die Ausführungen einiger moderner Translationswissenschaftler heben die Bedeutung dieser „Körperlichkeit“ des Translators (d.h. des Übersetzers und Dolmetschers) bereits hervor und gehen den folgenden methodischen Überlegungen voran. Deswegen möchte ich als erste Grundlage meiner Methode kurz auf relevante Ansätze bei Göhring und Vermeer eingehen. Schauspieler, Regisseur, Dirigent … Dolmetscher Göhring ist ein Pionier der Translatorenausbildung, die sich weg vom Schreibtisch hin zum Einsatz des ganzen Körpers in einem Ausbildungsraum bewegt, der nicht auf das konventionelle Seminarzimmer begrenzt ist. Das Erlernen von Sprache und Kultur findet in einer Kombination zwischen theoretischer Reflexion und praktischen Interaktionstrainings in multikulturellen Studierendengruppen statt (Göhring 2002, 1976, 1977, 1978, 1980). Er versucht, die reduktionistische Seite der interkulturellen Trainings, die mit groben Kulturparametern arbeiten und den Eindruck erwecken, für jeden interkulturellen Konflikt eine Rezeptlösung bieten zu können, mit der Konzeption einer „feldforschenden“ Translatorenausbildung zu kompensieren. Mit diesem Lernen außerhalb des Ausbildungsraumes kombiniert Göhring „gruppendynamische Veranstaltungen” mit Teilnehmenden aus verschiedenen Kulturen. Eine solche Herangehensweise soll eine Balance zwischen Theorie und Praxis, außerdem zwischen „emotionalem” und „begrifflichem” Lernen ermöglichen (2002: 78-80). Diese Dynamik stellt sich natürlich nicht von selbst ein bzw. die 60 Situation kann für einen Gruppenleiter, der nicht „kulturanthropologisch geschult ist“ (wie Göhring es verlangt) in einer Katastrophe enden. Die Verbindung von „kognitivem und emotionalem Lernen“ ermöglicht nicht nur eine ganz andere Art von „Motivation und Eigeninitiative“, wie Göhring betont. Persönliche Erlebnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen sollen nicht nur auf dem Papier am Rande von Fallstudien behandelt und nicht nur verbal andiskutiert, sondern gespielt, d.h. mit dem ganzen Körper in der Situation selbst dargestellt werden. Bei Vermeer ist der Translator ebenfalls „ganzkörperlich“ und „gesamtsituationell“ zu positionieren. Vermeer vertritt in seinem handlungstheoretischen Ansatz eine holistische Herangehensweise (1996: 112): Von Translatoren verlangt er Kenntnisse über idio-, dia- und parakulturellen Ebenen ihrer Arbeitskulturen und kontextualisiert die Translatorentätigkeit im Rahmen des menschlichen Gesamtverhaltens (1996: 27). Translatorisches Handeln geht für ihn über sprachliches Handeln hinaus, daher plädiert er für eine „holistische Betrachtung eines Sichverhaltens“ (1996: 146), spricht vom Dolmetscher, der mit seiner ganzen Person dolmetscht und fügt in Klammern hinzu: „[…] auch mit seiner Stimme, unter Umständen auch der Farbe seiner Krawatte“ (1985: 476). Diese Aussage gilt es aus der Klammer herauszuholen und ganz nach vorn zu stellen. Seine Forderung, nach Einbezug des „ganzen Menschen in seiner Situation“ (1997: 282) lässt sich mit dem theaterpädagogischen Ansatz von Boal kombinieren. Es geht also auch und besonders um „nonverbales soziales Sichverhalten“, das unbewusst ist, somit „tiefer sitzt“ und daher „schwerwiegender“ zu sein scheint (1997: 289). Die Krawatte oder das Muster des Pullovers kann aus-schlaggebend sein, und in extremen Dolmetschsituationen wie bei einem Einsatz in der Psychiatrie kann die Augenfarbe der Dolmetscherin dazu führen, dass eine Vertrauensbasis aufgebaut wird. Es muss nicht primär die Dolmetschkompetenz sein, die Vertrauen erweckt. Der Einsatz der Dolmetscherin beginnt mit ihrer physischen Präsenz, unter Umständen eben ihrer Augenfarbe. Diese ‚Kleinigkeiten‘ können eine größere Rolle spielen als korrekte Entsprechungen für schwierige medizinische Termini oder eine bemerkenswerte Geschwindigkeit beim Flüsterdolmetschen (vgl. Bahadir 2007: 214-216). Şebnem Bahadır Ich möchte hier einige Gedanken Vermeers zum Literaturübersetzer auf den Dolmetscher ausweitend und adaptierend mit den Boalschen Vorstellungen des Schauspielers in Verbindung bringen. Vermeers spricht das zentrale Problem der theatralischen Darstellung bzw. der Repräsentation des Einen durch den Anderen an, in dem er seinem Unbehagen über die Forderung, in die Haut des Autoren „schlüpfen“ zu müssen, wolle man ein guter Literaturübersetzer sein, Ausdruck verleiht. Die Unmöglichkeit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, der reibungs-losen, verlustfreien Übertragung und Repräsentation verdeutlicht Vermeer durch einen provokativ-alltäglichen Unwillen, in die Haut des „ungewaschenen Herrn von Goethe“ zu schlüpfen oder gar in die von Shakespeare, mit der Aussicht, dass er dann dem „entsetzlichen Gestank in den Straßen shakespeareanischen London[s]“ ausgesetzt wäre (1986: 145). Die translatorische Handlung im Namen des Anderen, ob als Literaturübersetzer im Namen des Autors oder als Dolmetscher im Namen der beteiligten Gesprächspartner, geschieht nach Vermeer immer aus der eigenen Perspektive heraus. Diese Relativierung bezieht sich selbst auf die eigene, scheinbar so bekannte Welt – da man nicht einmal die eigene Welt verstehen, d.h. begreifen und erfassen könne, sondern sie sich „zurechtmache“, könne man nicht annehmen, man könne die Welt der Anderen so wahrnehmen und verstehen wie sie selbst. Dieser Gedanke ist von der Translationsethik her, besonders in Bezug auf das Dolmetschen in/von Interaktionen mit einem ausgesprochenen Machtgefälle (z.B. Dolmetschen für psychisch Kranke, Kinder, Asylsuchende, Folteropfer etc), ein spannender Ansatzpunkt, weil er die Welt der Anderen „als fremde Welten, andere Welten“ belässt (oder dies sich wenigstens vornimmt), die jedoch zwangsweise vom eigenen Standpunkt aus betrachtet und erschlossen werden müssen, damit man überhaupt dolmetschen kann: Vielleicht ist es das, was den guten Übersetzer ausmacht: Das Staunen angesichts der Fremdheit einer anderen Welt. Nicht sich diese Welt zu eigen machen wollen, sondern vor ihr stehen, sie bestaunen und bewundern und deshalb ganz behutsam mit ihr umgehen, immer wissend, daß man nicht zu ihr gehört, immer bereit, sie wieder aufzugeben. (Vermeer 1986b: 146) VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern Genau dieses Staunen, im Sinne von Wahrnehmen, Bewundern, Respektieren und Belassen, ist von besonderer Bedeutung für eine Bewusstseinsbildung bei medizinischen Fachkräften, die der Mehrheitskultur angehören und mit Patienten aus verschiedenen Kulturen umgehen und kommunizieren lernen müssen. In der Behandlungssituation ist der fremde Patient mit seiner Sprache und Kultur oft „ohnmächtig“. Ein derartiges Machtungleichgewicht kann zum Einverleiben des Patienten führen, zur Assimilierung seiner im migrantischen Kontext als nicht „funktionsfähig“ erachteten Fremdheit. So muss auch der Vertreter der „mächtigen“ Kulturen unbedingt die Achtsamkeit und Behutsamkeit entwickeln, die Vermeer vom Literaturübersetzer fordert. Nicht nur die für diese ungleichgewichtige Interaktionsdynamik sensibilisierte Fachkraft, mehr noch gleicht der „in der Mitte stehende“ Dolmetscher dem Schauspieler in der Vorstellung des Theaterpädagogen und Aktivisten Boal, der zwischen Nähe und Distanz zu seiner Rolle, zwischen darstellen, da-sein, drinnen-sein und analysieren, beobachten oszilliert. Der Dolmetscher ist ganz im Sinne Boals Schauspieler und Zuschauer zugleich (BOAL 1999: 20). Nach Boal, kondensiert und ermöglicht das Theatralische am/im Menschen die Synchronizität von multiplen Zeiten und Räumen (Boal 1999: 30, 31, 34). Das bedeutet aber nicht, dass dieses „Mehrwerden“ durch die schauspielerische Handlung eine völlige Verschmelzung herbeiführt. Immer sind es die eigenen Erfahrungen und Hintergründe, die mit eingebracht werden und das „Gespielte“ formen. Boal glaubt genauso wenig wie Vermeer an das „Schlüpfen in die Haut eines Anderen“. Auch bei Boal schlüpft man nicht, aber man sucht in den Tiefen des eigenen Potentials, was gefährlicher und schwieriger sein kann. So wie Boals Schauspieler „kitzeln“ auch Translatoren und unter ihnen besonders Dolmetscher in medizinischen und sozialen Einsatzbereichen „den Löwen mit einem Grashalm“, d.h. fordern das „Schicksal“ heraus (Boal 1999: 45). Vermeer stellt sich einen literarischen Übersetzer – und ich mir parallel dazu einen Dolmetscher – vor, der zugleich als souveräner und kreativer, als selbstbewusster und verantwortungsvoller Regisseur und Schauspieler agiert (Vermeer 1986: 147). „Dirigent“ ist eine andere Metapher, die Vermeer heranzieht, um die eigenständige und doch gebundene Arbeit des Translators zu verdeutlichen: „Er interpretiert sein curare 31(2008)2+3 61 Werk, indem er sich peinlich genau an die Partitur hält, aber nicht sklavisch“ (ibid.). Als Resultat dieses Hin und Her zwischen Annäherung und Distanzierung „erklingt das Werk in seiner (des Dirigenten) Gestaltung“ (ibid.). Das Original und sein Interpret sind in einer ewigen Abhängigkeit vereint, in einer Beziehung, „die bestimmt ist durch Anziehung und Abstoßung, Verschmelzung und Trennung“ (Boal 1989: 33). Der Dolmetscher dolmetscht also „mit seiner ganzen Person und Persönlichkeit“ (Ammann & Vermeer 1990: 32, Vermeer 1985: 476). Es geht dabei nicht nur um sprachliche Kommunikation. Für eine andere Dolmetschpädagogik und -ethik ist die einfache Antwort Boals auf die Frage „Aber was ist der Mensch?“ von größter Bedeutung: „[…] an erster Stelle und am meisten ein Körper“ (Boal 1999: 40). Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern Bei der konkreten Suche nach einer neuen Form der Bewusstseinsbildung für die verschiedenen Interaktionspartner/Spieler auf der Bühne des Dolmetschens erweist sich also die Auseinandersetzung besonders mit dem „Forumtheater“ innerhalb der Techniken und Übungen für das Theater der Unterdrückten (1989) von Boal als besonders fruchtbar. Es ist eine Theaterform, die nicht finalisiert ist, immer aus Übungen und Experimenten besteht, „von denen man zwar weiß, wie sie beginnen, aber nicht, wie sie enden“ (Boal 1989: 58). Spielen, d.h. auf der Bühne etwas oder jemanden darstellen ist für Boal möglich und unmöglich zugleich. Boal glaubt nicht daran, dass durch schauspielerische Darstellung auf der Bühne die oder eine Realität, Wahrheit, das oder ein Ereignis, die oder eine andere Person repräsentiert im Sinne von ‚richtig abgebildet’ werden kann. Deswegen müssen auch die Zuschauer mitspielen, weil eigentlich niemand einen anderen darstellen kann. Niemand kann die Stimme eines Anderen sein, vertreten, also dolmetschen oder übersetzen: Wenn die Zuschauer selbst auf die Bühne kommen und zeigen, was ihnen durch den Kopf geht, machen sie das auf ihre eigene, ganz persönliche Weise, die nur von ihnen selbst so dargestellt werden kann. Kein Künstler kann das für sie übernehmen. Auf der Bühne ist der Schauspieler ein Dolmetscher, der im Akt des Übersetzens falsch spielt. 62 Es ist ihm unmöglich, nicht falsch zu spielen. (Boal 1999: 20) Boal erarbeitet seine Übungen und Spiele für Schauspieler und Nichtschauspieler auf der Grundlage einer triadischen Kompetenz des Menschen: „Das beobachtende Ich, das Ich-in-situ, und das Nicht-Ich, das heißt der Andere“ (Boal 1999: 24). Er spricht von Theatralik, wenn er sagt, dass es die „menschliche Fähigkeit“ sei, „sich selbst im Handeln zu betrachten“ (ibid.). Nee beschreibt Boals Menschenbild als „systemisch“ und „dialogisch“, wobei „systemisch“ für sie auf die Überzeugung Boals verweist, jeder Mensch würde durch seine eigenen Wahrnehmungen seine eigene Realität aufbauen (vgl. auch Vermeer z.B. 1996: 10, 87-89). „Das beinhaltet sogleich, daß seine Wahrheit nur eine von vielen sei“, sagt Nee (2005). „Dialogisch“ bezeichne die Methode des Lehrens-Lernens als wechselseitigen Prozess, an die Boal glaubt und die er in Anlehnung an die Arbeiten seines Freundes Paulo Freire weiterentwickelt hat. Die Vorgehensweise des Forumtheaters kann für eine innovative Sensibilisierung für den Dolmetschprozess adaptiert werden. Es geht nicht darum, eine Dolmetschsituation, einen Gesprächsabschnitt einmal, aber dann in einer perfekten Konstellation und mit perfektem Resultat zu üben. In diesen ‚Dolmetschtrainings‘, die vergleichbar mit Theaterproben sind, steht nicht das Inszenieren einer idealen Interaktion mit den besten Kommunikationsstrategien und Konfliktlösungen im Mittelpunkt. Es geht auch nicht darum, die Übung so zu gestalten, dass man nach mehreren Versuchen zu einer perfekten Verdolmetschung gelangt. Vielmehr ist das Ziel, die oben erwähnten Alternativen wahrzunehmen und durchzuprobieren – idealerweise unter Einbezug aller Darsteller in das Training: Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Dolmetscher... Aus diesem Grund wird bei Boal eine Szene, eine bestimmte Thematik, ein soziales, politisches, persönliches Problem nicht nur durch die Vorschläge und Kritik der Zuschauer, sondern durch deren aktive Übernahme von bestimmten Rollen immer wieder durchgespielt. Unterschiedliche Konfliktlösungen und Interaktionsmöglichkeiten werden ge- bzw. erprobt (vgl. Boal 1989: 56-58, 82-85). Şebnem Bahadır Rituale im „Alltagstheater“ – Dolmetscher, Ärzte, Krankenschwestern, fremde Patienten … spielen immer und überall Für eine sozialwissenschaftliche Untermauerung einer neuen aktivierend-aktivistischen Aus- und/oder Weiterbildung aller Beteiligten verdolmetschter Interaktionen können Victor Turners Arbeiten zum ethnographischen Erlebnis, komplementär zu Goffmans Theorie über das Alltagstheater (vgl. Schechner 1990: 9) herangezogen werden, die besagt, dass alle Menschen immer und überall Theater spielen (Goffman [1959] 2000). Goffman zeigt in seinen zahlreichen Beispielen für verschiedene Dimensionen und Ebenen von sozialen Rollen, die Menschen im Laufe ihrer Sozialisation übernehmen (müssen/ wollen/ dürfen), dass Menschen sich selbst je nach Bedingungen, Anforderungen, Erwartungen und im Rahmen bestimmter Beziehungen immer wieder von Neuem inszenieren. Diese Darstellung basiert immer auf dem Spannungsverhältnis zwischen Eigenbildern und verinnerlichten Fremdbildern (Goffma n [1959] 2000: 6-8). Während Goffman seine analytischen Werkzeuge der Theaterwissenschaft entlehnt, verweist Turner auf hermeneutische Techniken. Mit Erlebnis meint er „das, was durchlebt worden ist“ (Turner 1995: 16): Gerade durch den Prozeß der Darstellung wird das, was normalerweise hermetisch in den Tiefen des soziokulturellen Lebens verschlossen, der Alltagsbeobachtung und dem Verstand nicht zugänglich ist, ans Licht befördert – Dilthey verwendet hier das Wort ausdrücken, im Sinne von „herauspressen“. Aus einem Ereignis, das entweder ein Dramatiker oder Dichter selbst erlebt hat oder das durchdringendes, imaginatives Verstehen erfordert, wird gleichsam „Bedeutung“ herausgepresst. Ein Erlebnis ist gerade ein Prozeß, der nach abschließendem „Ausdruck“ verlangt. (Turner 1995: 17-18) In seinen Feldstudien versucht Turner zu zeigen, dass menschliche Erlebnisse nicht abgeschlossen sein können, bevor sie nicht „ausgedrückt“, d.h. im sozialen Kontext an andere vermittelt werden. So werden Emotionen, Beziehungen, Wünsche, Gedanken von Menschen in ihrem sozialen Leben immer wieder inszeniert und gespielt, um als Erlebnisse wahrgenommen zu werden. Turners Überzeugung, dass die theatralische Umsetzung „ein wichtiges Mittel der interkulturellen Überlieferung schmerzlich gewonnener Erfahrungen“ (Turner 1995: 26) VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern ist, folgt aus seinen Studien über diese von Menschen meist unbewusst gespielten Inszenierungen von „Erlebnissen“ – wobei diese Erlebnisse immer wieder aufs Neue, unter veränderten Vorgaben und Bedingungen gespielt bzw. inszeniert werden. Theatralität macht also die menschliche Erfahrung erst möglich und bestimmt, wie wir es weiter oben auch bei Boal gesehen haben, den Menschen grundlegend. In dieser Theatralität des Alltags spielt der Vorbereitungsprozess bis zur Aufführung eine noch größere Rolle als die Aufführung selbst. Proben sind eigentlich schon (Teil der) Aufführungen. Boal glaubt daran, dass durch die Techniken des Theatermachens unterschwellige und unterdrückte Gefühle, Gedanken, Wünsche, Vorstellungen an die Oberfläche des Bewusstseins geholt werden können. Besonders in seinen neueren Übungen zum therapeutischen Theater hebt er, ähnlich wie Turner, die Bedeutung der wiederholten Darstellung eines Gefühls, einer Situation, die man zuvor erlebt hatte, hervor. Durch die erneute Inszenierung „belebt oder erlebt der Schauspieler die Szene mit einer Art Re-Emotion“, sagt Boal und fährt fort: „Die erste Aktion ist eine einsame Entdeckung, die zweite eine Aufdeckung, ein Dialog“ (Boal 1999: 34-35). Boals Vorstellung von einer Schauspielerei, in der „Karten neu gemischt werden“ und „Potentiale“, die tief in einer Person schlummern, „im Scheinwerferlicht zu konkreten Handlungen werden“ (ibid. 46), bedeutet, dass wir als Zuschauer und Schauspieler zugleich nicht Andere imitierend, sondern letztere in uns findend darstellen – in der deutschen Übersetzung wird hierfür die Bezeichnung „Zuschauspieler“ verwendet. Im „Theater der Unterdrückten“ weicht, so Boal, die Empathie der Sympathie, was bedeutet, dass der Unterdrückte, der Passive, die Person ohne Stimme und Erscheinung mit auf der Bühne sichtbar wird, indem sie selbstverantwortlich handelt und mitmacht – nicht indem sie versucht, Emotionen und Gedanken anderer anzunehmen und zu verinnerlichen, sondern die eigenen in dieser spezifischen Interaktion und Beziehungskonstellation zu entwickeln (ibid. 49, 72). Somit ist der wichtigste Pfeiler meiner Methode für Aus- und Weiterbildungen in Form von „Dolmetschproben“ die Überzeugung, dass erneutes Darstellen, also das Inszenieren von verdolmetschten Interaktionen als Szenen von Alltagsdramen zu Dialog und Austausch (mit sich selbst und den Ancurare 31(2008)2+3 63 deren) führt und die Aufdeckung verborgener Potenziale wie auch unterdrückter Mechanismen mit sich bringt. Die Probe und die Aufführung: Dolmetschen als Performance Übungen sind integraler Teil dieser „Dolmetschproben“. Schechner beschreibt das Schauspieltraining, auch in Anlehnung an Grotowski und Brecht, als „unvollständige und ständig sich problematisierende Transformationen“ (Schechner 1990: 16). Hierbei muss der gesamte Prozess bis zu einer Aufführung gleichermaßen intensiv durchlebt werden. Schechner spricht von einem siebenteiligen Prozess aus Trainings, Workshops, regulären Proben, warm-up, Vorstellung, Ausklingen und Nachbereitung (Schechner 1990: 26, vgl. auch Schechner 2003: 193-213). Die gleichberechtigte Stellung dieser Phasen in der Theaterpädagogik geht zurück auf Grotowski und Barba (vgl. Grotowski & Heibert 1999 und Barba 1985). Während bei Barba die Übungen in Trainings auch die Befreiung, die Loslösung des Schauspielers durch Improvisation einschließt und er von drei Phasen im Gruppentheater ausgeht (Training, Proben und Aufführungen, Barba 1985: 74-73), gibt es für Schechner zwischen dem Training und den Proben noch eine Zwischenstufe, den Workshop, in dem ein Abbau, eine Dekonstruktion aller Selbstverständlichkeiten stattfinden soll (Schechner 1985: 99). Der Übergang vom loslösenden Training zu strukturierten Proben ist ein wichtiger Schritt in der Vorbereitung der Auszubildenden auf den Dolmetscheinsatz. Der Schauspieler durchlebt dabei einen Wandlungsprozess von „Ich“ über das „Nicht-Ich“ zum „NichtNicht-Ich“ (Turner 1995: 147). Dieser Weg lässt sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen: Eigentlich spielt der Darsteller nicht die geplante, vorgegebene Rolle. Er spielt das, was er aus dieser Figur macht. Er ver- bzw. übermittelt seine Interpretation der Interpretation der I… – um in Anlehnung an Vermeers Anmerkungen zum Literaturübersetzer zu sprechen (1986b: 146). In diesem Probenprozess beschäftigt sich der Spieler eingehend mit der darzustellenden Figur, dem Nicht-Ich. Turner nennt diesen Übergangsritus auch „eine merkwürdige Fusion oder Synthese von Ich und Nicht-Ich“ (Turner 1995: 193). 64 Wieder haben wir es demnach mit der Überzeugung zu tun, dass der Darsteller nicht so werden kann wie die Figur selbst, sondern eher in eine wie auch immer geartete Interaktion mit dieser Figur tritt und dabei sich selbst, von sich selbst aus-gehend, verändert. Turner betont, dass für Schechner das „Machen“, nicht das „Vortäuschen“ einer Rolle im Vordergrund steht. Die Art und Weise wie bei Schechners Probenprozessen die Rolle mit dem Schauspieler „wächst“, also erst einmal „geschaffen“ wird und auch „zuweilen schmerzhafte Augenblicke der Selbstenthüllung mit sich bringt“ (ibid. 147), ist wegweisend für ähnliche Prozesse in „Dolmetschproben“. Im Theaterworkshop ist es nicht „das geschriebene Wort“, das alles andere bestimmt – und in Dolmetschworkshops nicht das (Aus)Gesprochene der verdolmetschten Interaktionen. Die Gesamtheit des „Aufführungstextes“ muss beachtet werden, es sind viele verschiedene Textstränge mit einzubeziehen, die eng miteinander verknüpft sind und einander beeinflussen (Schechner: 31). Schechners Grundsatz der Einheit und Unzertrennbarkeit von Übungen, also Training, Proben, Workshops, Vor- und Nachbereitung auf der einen Seite und öffentlicher Aufführung auf der anderen Seite ist ebenfalls für eine neue Auffassung von Dolmetschausbildung zu nutzen. So sollte auch während des Dolmetschtrainings jede auf den so genannten realen Dolmetscheinsatz selbst wie auch die Dolmetschprobe vorbereitende oder im Nachhinein durchgeführte Übung, also Gedächtnistraining, Aufwärmübung, Stimmübung etc in gleichem Maße bedeutsam sein wie die Aufführung, also der „eigentliche“ Dolmetscheinsatz selbst (Schechner 1990: 203). Das Dolmetschen als Performance ist eine Stufe, eine Phase neben vielen anderen, die vorher und nachher und auch dazwischen geschaltet sind. Im Zusammenhang mit Turners Vorstellung einer aufgeführten Ethnographie rückt Schechner neben den kognitiven und experimentellen Aspekten auch den kinästhetischen in den Mittelpunkt: Der Fragenkomplex „Wie wird der Körper be-nutzt, gehalten, begrenzt, freigelassen?“ wird, so Schechner, den Darsteller „mit einer lebendigen Ahnung erfüllen, was es heißen kann, sich zu bewegen ‚als ob‘ man der andere sei“ (Schechner 1990: 43). Für Schechner steht, wie für Vermeer die Translation, die Aufführung als Handlung im Vordergrund. Interessanterweise erteilen der Theaterwissenschaft- Şebnem Bahadır ler Schechner und der Translationswissenschaftler Vermeer hier beide eine Absage an die Linguistik und verweisen auf die Naturwissenschaft als Erklärungsbasis für sich ständig verändernde Dynamiken in Interaktionen (Schechner 1990: 35)4. Bei Barba spielt der Einbezug so genannter „Methoden und Ergebnisse der Naturwissenschaften“ (Barba 1985: 132) für eine Theateranthropologie ebenfalls eine wichtige Rolle, in der es darum geht, „eine neue pädagogische Praxis anzuwenden“ (ibid 134). Der Begründer dieser naturwissenschaftlichen Orientierung im Training von Schauspielern ist Grotowski. Durch die enge Zusammenarbeit mit Spezialisten aus Disziplinen wie der Psychologie, Linguistik, Kulturanthropologie etc untersucht Grotowski „die Natur des Schauspielens, seine Erscheinungsformen, seine Bedeutung, Wesen und Wissenschaft seiner geistig-körperlich-emotionalen Vorgänge“ (Vorwort von Peter Brook in Grotowski & HEIBERT 1999: 9). Grotowski legt großen Wert auf die Kontinuität dieses Trainings, d.h. kein Schauspieler ist irgendwann „fertig“, sondern muss lernen, wann immer er z.B. seine Stimme wieder entdecken, d.h. schulen und trainieren muss, weil physischpsychische Bedingungen zu Stagnation und Krisen führen (vgl. besonders Grotowski & Heibert 1999: 188). Der Körper ist für ihn der Weg, über den der Schauspieler sich bloßlegen, enthüllen und das, was auch gedanklich und emotional in ihm steckt, herausholen kann. Grotowski spricht von einem „totalen Akt“, von Selbstdurchdringung und Bloßlegung beim Schauspielen. Dafür „bedarf es der Mobilisierung aller physischen und psychischen Kräfte des Schauspielers, der sich im Zustand leerer Bereitschaft und passiver Verfügbarkeit befindet; erst das ermöglicht den aktiven schauspielerischen Vorgang“, betont Grotowski (Grotowski & Heibert 1999: 39). Wenn er für ein „Armes Theater“ plädiert, in dem „ein neuer Raum für Schauspieler und Zuschauer entworfen“ wird, meint er damit, dass Schauspieler nur auf ihre eigenen Potenziale, ihren Körper, ihre Emotionen, Gedanken und Erfahrungen zurückgreifen sollen, nicht auf Schminke, Kostüme und Bühnenbild (ibid. 18-19). Auch die Schauspielstrategien, das „Wie“ der Rollendarstellung soll nicht beigebracht werden. Das Prinzip, das grundlegend für die Ausbildung seiner Schauspieler ist, wäre eine geeignete Richtung für eine neue Dolmetschdidaktik: VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern Wir wollen dem Schauspieler nicht einen vorher aufgestellten Katalog von Fertigkeiten beibringen, ihm keine „Wundertüte“ voll Tricks geben. Unsere Methode ist […] keine Ansammlung von Fertigkeiten. Hier ist alles auf das „Reifen“ des Schauspielers konzentriert, das sich durch eine Spannung hin bis zum Äußersten, durch eine vollständige Selbstenthüllung, durch eine Bloßlegung seiner eigenen Intimität ausdrückt[.] (Grotowski & Heibert 1999: 14) Worum geht es aber in diesen verschiedenen Phasen bis zur Aufführung, was soll nun denn dem angehenden Dolmetscher als Performer „beigebracht“ werden, was ist dieses „performative Wissen“, und wie funktioniert der Übermittlungsprozess? Schechner prägt in diesem Zusammenhang den Begriff und die Methode des „rekodierten Verhaltens“. Mit seiner Methode möchte er zeigen, dass der Mensch nicht nur „sapiens“ und „Fabrikant“ ist, d.h. denkt und handelt, sondern auch „ludens“ ist, also spielt und aufführt (Schechner 1990: 45). Rekodiertes Verhalten ist „ein lebendiges Verhalten, das wie ein Streifen Film behandelt wird. Solchermaßen behandeltes Verhalten kann beliebig umarrangiert und rekonstruiert werden“ (ibid. 159). Schechner ist der Ansicht, dass rekodiertes Verhalten unabhängig von der Person als Mechanismus, als „Ding, Gegenstand, Material“ existiert (ibid. 160), deswegen erforscht und als Methode für Proben und Trainings fruchtbar gemacht werden kann. Durch diese Technik kann eine Person als eine andere handeln, verschiedene Rollen, also Personen aus sich herausholen (vgl. nochmals Boal 1999: 4246). Eine Aufführung passiert „nie zum ersten Mal. Es heißt: vom zweiten bis zum x-ten Mal, heißt Verdoppelung von Verhalten“ (Schechner 1990: 160). So führt rekodiertes Verhalten zum Mehrwerden einer Person – wobei Schechner betont, dass dieser Andere auch ich selbst sein kann, „in einem anderen Bewußtseins- oder Gefühlszustand, gerade so, als wäre ich viele“ (Schechner 1990: 161). Für die didaktische Umsetzung von Schechners Gedanken in Dolmetschtrainings und -proben spielt die Möglichkeit der Reproduzierbarkeit, der Bearbeitbarkeit von dargestelltem und beobachtetem Verhalten eine große Rolle Schechner 1990: 161). Bei allen Proben- und Trainingstechniken geht es also darum, diesen Prozess aufzuschlüsseln und zu übermitteln. Angewandt in der interkulturellen Sensibilisierung des medizinischen Fachpersonals und der Ausbildung von Dolmetschern curare 31(2008)2+3 65 bedeutet das die Verabschiedung des Glaubens an die Möglichkeit der reinen Vermittlung von faktischem Wissen. Auszubildende treten durch das Hin und Her zwischen ihrem Selbst und den darzustellenden Personen während der Interaktion in einen Prozess ein, der sie zum Dolmetscher macht, in jeder Interaktion, also „Dolmetsch-Aufführung“ ein bisschen mehr bzw. ein bisschen anders, zu einem Dolmetscher unter vielen – wie ein Schauspieler zu Hamlet wird, zu einem Hamlet unter vielen, zu einem Oliver-Hamlet oder einem Hasan-Hamlet, so eben auch zu einer Susanne-Dolmetscherin oder einer Elif-Dolmetscherin. Auch die interkulturelle Sensibilisierung von medizinischem Fachpersonal soll nicht zur Aufhebung ihrer bisherigen Rolle(n) führen. Es geht um die Wahrnehmung der anderen Rollen, nicht nur äußerlich, um sich herum, sondern auch in sich drin: Denn so wie jeder Dolmetscher ein bisschen Arzt,5 Krankenschwester und fremder Patient und doch wieder ein eigenständiger Akteur ist, tragen auch Vertreter der mehrheitskulturellen medizinischen Institutionen ein bisschen etwas vom Dolmetscher und vom fremden Patienten in sich – diese verborgenen Potentiale müssen aufgespürt, wahrgenommen, herausgegraben, bearbeitet und ‚behutsam‘ eingesetzt werden. Anmerkungen 1. In Deutschland wird für diese Dolmetschsorte oft die angloamerikanischen Bezeichnung “community interpreting” verwendet (vgl. MDÜ 5/07, Ausgabe zum Community Interpreting in Deutschland); im österreichisch-deutschen Kontext hat sich die von Pöchhacker vorgeschlagene Bezeichnung „Kommunaldolmetschen“ durchgesetzt (vgl. Pöchhacker 2000). Für alternative Überlegungen vgl. auch Bahadir (2000) über den Vorschlag von Dizdar & Bahadir, in Anlehnung an „Fachübersetzen“ für das Dolmetschen in medizinischen, sozialen und juristischen Einsatzbereichen die Bezeichnung „Fachdolmetschen“ zu verwenden und jeweils die Spezialisierungsbereiche als „med“., „soz.“ und/oder „jur“ anzugeben. 2. Welche Folgen der Einsatz einer Familienangehörigen als „natürliche Dolmetscherin“ haben kann, zeigt der Beitrag von Pöchhacker in diesem Band. Die Studie von Pöchhacker, die eine deskriptive Herangehensweise an dieses Phänomen beabsichtigt, kann als Bekräftigung der Auffassung gelesen werden, dass der Einsatz weder von Familienangehörigen noch von anderen sogenannten natürlichen Bikulturellen den Bedarf an professionellen Dolmetschdienstleistungen in medizinischen und sozialen Einrichtungen decken kann (vgl. Bahadir demn.) 3. Für eine ausführliche Darstellung und für konkrete, schon erprobte Anwendungen, vgl. Bahadir (2007), besonders Bahadir (2007: 249-300). 4. Vgl. Vermeers Anwendung bestimmter Ansätze aus Neurobiologie und Neurophysiologie für sein Interaktionsmodell Şebnem Bahadır 66 (z.B. 1996: 53ff, 61ff) und seine Rezeption der Hirnforschung, Quantenphysik etc, vgl. Vermeer (2006d). Literaturhinweise Albers I. 1999. Das phantomatische Herz Afrikas. Michel Leiris: Schreiben an den Grenzen der Ethnographie. KEA Zeitschrift für Kulturwissenschaften 12: 193-224. Ammann M., Vermeer H.J. 1990. Entwurf eines Curriculums für einen Studiengang Translatologie und Translatorik. Heidelberg: Universitätsdruckerei. Bachmann-Medick D. 2006. Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Bahadır, Ş. 2007. Verknüpfungen und Verschiebungen. Dolmetscherin, Dolmetschforscherin, Dolmetschausbilderin. Berlin: Frank und Timme. ––––– 1998. Der Translator als Migrant – der Migrant als Translator? TEXTconTEXT 12=NF 2: 263-275. ––––– 2000. Von natürlichen Kommunikationskrücken zu professionellen Kommunikationsbrücken (Reflexionen zum Berufsprofil und zur Ausbildung professioneller Dolmetscher im medizinischen, sozialen und juristischen Bereich. TEXTconTEXT 14,2 NF=4 (2): 211-229. ––––– 2001. The Empowerment of the Community Interpreter: The Right to Speak with a Voice of One‘s Own. Vortrag auf der Critical Link 3 Conference: Interpreters in the Community 22-26 Mai 2001, Montreal; http://www.criticallink.org/journals/1.pdf (01.12.2006) ––––– 2003. „Multiple Identitäten“ – Wer oder was ist eine Türkin? Möglichkeiten und Grenzen des Kulturmittelns. In Pöllabauer S., Prunč E. (Hg), Brücken bauen statt Barrieren. Sprach- und Kulturmittlung im sozialen, medizinischen und therapeutischen Bereich. Graz: Selbstverlag Institut für Translationswissenschaft, Karl-Franzens-Universität: 59-80. ––––– 2004. Moving In-Between: The Interpreter as Ethnographer and the Interpreting-Researcher as Anthropologist. 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Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern etc: Verlag Hans Huber. Şebnem Bahadır, Dr. phil, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft, Universität Mainz; Dozentin, Department for Translation and Interpreting Studies der Boğaziçi Universität Istanbul; seit 1994 Übersetzerin, Dolmetscherin, Trainerin in Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur, in medizinischen, sozialen und juristischen Bereichen; Publikationen zu Ethik, Identität, Professionalität, Pädagogik des Dolmetschens. Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft, Institut für Interkulturelle Kommunikation/Arbeitsbereich Germanistik An der Hochschule 2, D-76711 Germersheim e-mail: [email protected] curare 31(2008)2+3 Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus 69 Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus: Good Practice braucht organisationale Verankerung Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer & Jürgen M. Pelikan1 Zusammenfassung Sprachbarrieren stellen eine massive Erschwernis für erfolgreiche Kommunikation von PatientInnen mit KrankenhausmitarbeiterInnen dar. Neun europäische Krankenhäuser, ein wissenschaftliches Institut und internationale ExpertInnen kooperierten im Rahmen des “Migrant Friendly Hospital” Projekts, zur Implementierung und Evaluierung professioneller Dolmetschangebote. Es werden ein Good Practice Beispiel und Evaluationsergebnisse aus einer Mitarbeiterbefragung vor und nach der Intervention dargestellt. Insgesamt zeigt sich, dass die Effektivität der implementierten Maßnahmen positiv bewertet wird. Insbesondere am Good Practice Beispiel wird deutlich, dass ein qualitätsgesichertes Dolmetschservice eine klare organisationale Verankerung braucht. Der Artikel schließt mit Empfehlungen zu einem systematischen Vorgehen im Rahmen des Qualitätsmanagements im Krankenhaus. Abstract Title? Abstract Language barriers are a major difficulty and empede successfull comunication between patients and hospital staff. Nine European hospitals, a scientific institute, and international experts cooperated in the “Migrant Friendly Hospital”, a project to implement and evaluate professional interpreting services. The paper illustrates an example of good practice and evaluation results from a staff survey conducted before and after intervention. Especially the good practice model shows that quality assured interpreting services need a concrete organisational link-up. The article closes with recommendations for a concerted action within the hospital quality management. Keywords (Schlagwörter) fehlen noch!!!!!!!!!!!!!!!!! Einleitung Sprachbarrieren zwischen PatientInnen und Profis haben negative Auswirkungen auf den Zugang zu Leistungen im Gesundheitswesen, die Qualität von Diagnose und Therapie, Behandlungsergebnisse sowie Patientenzufriedenheiten und Patientensicherheit (Brown et al. 1999, Cleeland et al. 1997, Bischoff 2003, Murphy 2004). Aufgrund der steigenden Migrationsbewegungen in Europa stehen Krankenhäuser vor der Herausforderung, erfolgreiche Kommunikation mit PatientInnen, die eine andere Muttersprache haben und die lokale Sprache nur begrenzt bis gar nicht verstehen bzw. sprechen, zu sichern. (Hampers & McNulty 2002, Yeo 2004). Sprachbarrieren überwinden In der Vergangenheit wurde in Krankenhäusern meist ad hoc auf Probleme, die aus Sprachbarriecurare 31(2008)2+3: 69- ren resultieren, reagiert, z.B. durch das Hinzuziehen von bilingualen Angestellten oder durch Einbeziehung von Freunden oder Verwandten der PatientInnen – beides Strategien, die das Risiko inadäquater Informationsweitergabe bergen. Um die Qualität der Gesundheitsversorgung für alle PatientInnen zu sichern, wurde in den letzten Jahren der Notwendigkeit für professionelle Maßnahmen vermehrt Rechnung getragen. Den sozial nachhaltigsten, effektivsten und auch effizientesten Ansatz stellt dabei die Etablierung professioneller medizinischer Dolmetscher dar, die neben ihren Sprachkenntnissen über das entsprechende medizinische Vokabular, Kommunikationstechniken und ein Verständnis für die ethischen Aspekte ihrer Tätigkeit mitbringen. (Bischoff et al. 2003, Jacobs et al. 2004) Es gibt mittlerweile internationale Standards für qualitativ gutes Dolmetschen und eine Reihe gut dokumentierter Modelle, wie Dolmetschdienste abhängig von der demographischen Zusammensetzung der PatientInnengruppen (z.B. Anzahl der 70 PatientInnen, Anzahl der erforderlichen Sprachen) und der Art der angebotenen bzw. zu erbringenden Leistungen (z.B. Notaufnahme, Operationen) organisiert werden können. Offen ist die erfolgreiche Implementierung solcher Modelle. Dolmetschangebote implementieren Im Rahmen des Subprojekts “Improving interpreting in clinical communication” des “Migrant Friendly Hospital” Projekts2 arbeiteten neun Krankenhäuser in Dänemark, Finnland, Griechenland, Spanien, Irland, Italien, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien zusammen, um die Kommunikation zwischen den Krankenhaus-MitarbeiterInnen und PatientInnen mit Migrationshintergrund und/oder aus ethnischen Minderheiten zu verbessern3. 37.9% der MitarbeiterInnen in diesen Krankenhäusern – ÄrztInnen, Pflegepersonen, therapeutisches Personal, SozialarbeiterInnen sowie KrankenhausseelsorgerInnen – berichteten zu Projektbeginn, dass sie täglichen Kontakt mit PatientInnen aus dieser Gruppe haben. Weitere 28.5% trafen zwei bis drei Mal pro Woche auf PatientInnen, mit denen sie nicht in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren konnten (Novak-Zezula et al. 2005). Die Ziele des Teilprojekts waren –– professionelle Dolmetschangebote, wann immer es notwendig ist, zur Verfügung zu stellen, um effektive Kommunikation zwischen PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen Sprache und KrankenhausmitarbeiterInnen sicherzustellen –– die Information der PatientInnen über die angebotenen Dolmetschdienste und ihre Zugangsmöglichkeiten dazu –– die Befähigung der KrankenhausmitarbeiterInnen, kompetent mit den DolmetscherInnen zusammen zu arbeiten, um Sprachbarrieren zu überwinden und bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen –– das Zur-Verfügung-Stellen von Informationsmaterial für PatientInnen in deren Muttersprachen Interventionen Um die Qualität der klinischen Kommunikation zwischen KrankenhausmitarbeiterInnen und PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen Sprache zu verbessern, erprobten die Projektkrankenhäuser S. Novak-Zezulam U. Karl-Trummer & J. Pelikan verschiedene Maßnahmen zur Entwicklung neuer und/oder Weiterentwicklung existierender Dolmetschangebote. Die Maßnahmen wurden unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und strukturellen und arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen jedes Hauses geplant. In einigen Krankenhäusern existierten vor Projektbeginn keinerlei Dolmetschangebote;. hier wurde ein umfassender Plan zur Leistungsentwicklung und -implementierung erarbeitet. Meist konzentrierte sich die Maßnahmenentwicklung auf den qualitativen und quantitativen Ausbau bereits bestehender Angebote mit dem Ziel, deren Effektivität und Effizienz zu verbessern. Abgestimmt auf die spezifischen Strukturen und Prozesse in den Häusern wurden unterschiedliche Arten von Dolmetschangeboten implementiert: Telefon-Dolmetschdienste, persönliche Dolmetschdienste, Interkulturelle Mediation und/oder schriftliches Informationsmaterial als unterstützende Maßnahme. Im Folgenden wird ein Modell guter Praxis dargestellt, das im Rahmen des Projekts entwickelt und umgesetzt wurde. Dieses gut implementierte und dokumentierte Projekt entspricht dem internationalen State of the Art und wurde erfolgreich in den Routinebetrieb übernommen. Es unterscheidet sich damit von anderen Maßnahmen, wo solches nicht gelungen ist. Telefondolmetsch-Angebote im Dänischen Partnerkrankenhaus (Anne Mette Rasmussen, Clinical expert, and Jette Ammentorp, PhD Student; Department of Paediatrics, Kolding Hospital, Denmark)4 Wie in den meisten europäischen Ländern wurde auch in Dänemark die Gesellschaft ethnisch divers. Die PatientInnen des dänischen Kolding Hospital sprechen viele unterschiedliche Sprachen. Ein kurzer Check zeigte, dass im Zeitraum 2002/2003 Dolmetscher für 16 unterschiedliche Sprachen zugezogen wurden. Im Rahmen des Needs Assessments im MFH Projekt führten sowohl PatientInnen als auch MitarbeiterInnen Kommunikation als das Hauptproblem in der Versorgung von PatientInnen mit Migrationshintergrund an. Bisher wurden im Krankenhaus persönlich anwesende DolmetscherInnen eingesetzt. Diese Lösung hatte sich in der Abteilung für Pädiatrie nicht bewährt, da viele akut erkrankte Kinder behandelt werden und DolmetscherInnen sehr oft sehr kurzfristig benötigt wurden, was im bestehenden Organisationssystem nicht gewährleistet werden VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus konnte. Darüber hinaus nahmen die Kosten für Fahrten und Fahrzeiten der DolmetscherInnen, die das Krankenhaus übernehmen musste, einen großen Anteil der Dolmetschkosten ein und belasteten das Budget stark. Im Rahmen des Projekts wurde im Rahmen einer technischen Lösung eine Soundstation installiert, um die Kommunikation zwischen MitarbeiterInnen und PatientInnen durch professionelles Telefon-Dolmetschen zu verbessern. Die Soundstation ist ein Freihand-Telefon mit drei Lautsprechern und hat folgende Vorteile: –– Die Dolmetschleistungen können in sehr kurzer Zeit organisiert und angeboten werden –– Es fallen keine Fahrkosten und Fahrtzeiten für DolmetscherInnen an –– Die Tonqualität erweist sich als besser als die eines gewöhnlichen Telefons –– Der Kontakt zwischen MitarbeiterIn und PatientIn ist direkter, weil keine dritte Person im Raum ist –– Die PatientInnen schätzen den Schutz der Privatsphäre in der Behandlung durch MitarbeiterInnen, der in Anwesenheit eines Dolmetschers/einer Dolmetscherin nicht erlebt wird Die schriftlichen Befragung der MitarbeiterInnen vor und sechs Monate nach Installation der Soundstation zeigte folgende Ergebnisse –– Der Anteil der Fälle, in denen professionelle DolmetscherInnen eingesetzt wurde, stieg um 20%. Gleichzeitig gab es einen deutlichen Rückgang von Übersetzungen durch Freunde oder Verwandte der PatientInnen. –– 30% der MitarbeiterInnen sagten, dass sich ihre Arbeitssituation durch die Installation der Soundstation verbessert hat –– mehr als 80% der MitarbeiterInnen bewerteten die Qualität der Dolmetschleistungen gut oder sehr gut. Mittlerweile wird die Soundstation in noch größerem Ausmaß genutzt und auch die Einsatzbereiche haben sich erweitert. Das System wird nicht mehr nur für Notaufnahmen in der Pädiatrie sondern auch für stationäre PatientInnen und im Prozess der Entlassung aus dem Krankenhaus genutzt. Durch die aktive Informationspolitik der lokalen Projektverantwortlichen ist das Interesse am System sowohl in den anderen Abteilungen des Kolding Hospital als auch in anderen Krankenhäusern geweckt worden. Was macht aus dem Modell eine gute Praxis? Das Service entspricht dem internationalen State of the Art: inhaltlich, weil ausgebildete ÜbersetzerInnen eingesetzt sind, sozial, weil die Beziehung Patient-Profi durch den Facilitator nicht aufgebrochen wird, und operativ, weil der Zugang zur Leistung schnell und ressourcenschonend erfolgt. Zusätzlich dazu erscheinen folgende Ebenen bedeutsam, die curare 31(2008)2+3 71 nicht das Service direkt, sondern die organisationale Verankerung betreffen: Auf Strukturebene wurde die technische Raumausstattung geleistet, Prozesse wurden neu definiert bzw. reorganisiert, auf Kulturebene wurde mit der aktiven Informationspolitik Aufmerksamkeit, Interesse, und Akzeptanz erzeugt. In vielen Fällen fehlt eine solche Verankerung. Hier ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachhaltigkeit einer Serviceverbesserung nach der Implementierung im Projektrahmen gesichert ist, als niedrig einzuschätzen. Evaluationsdesign Zur Evaluierung der Interventionen wurden schriftliche MitarbeiterInnenbefragungen vor und nach Implementierung der Maßnahmen durchgeführt (Februar 2004: n = 479 in 7 Krankenhäusern, Juni 2004: n = 282 in 6 Krankenhäusern5). Die hier dargestellten Ergebnisse sind Gesamtergebnisse über alle teilnehmenden Krankenhäuser.6 Medizinisches und pflegerisches Personal wurde in einem standardisierten schriftlichen Fragebogen zu ihren Erfahrungen in der professionellen Kommunikation mit PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen Sprache und über ihre Einschätzung der Qualität der verfügbaren Dolmetschangebote befragt. Sie wurden auch gebeten, Verbesserungspotentiale und -vorschläge zu nennen. Die zweite Befragung inkludierte eine zusätzliche Frage danach, wie sich die individuelle Arbeitssituation durch die im Projekt gesetzten Maßnahmen verändert hat. Zur Evaluierung der Maßnahmenimplementierung wurde ein Kurzfragebogen eingesetzt, in dem die Projektverantwortlichen in den Krankenhäusern folgende Fragen beantworteten: wie weit konnten die Maßnahmen umgesetzt werden, welche fördernden und hemmenden Faktoren gab es, wie nachhaltig ist die Maßnahme? Ergebnisse Die Auswertung der Mitarbeiterbefragungen auf Gesamtebene zeigt, dass die Interventionen – persönliches Dolmetschen, Telefondolmetschen mit Hilfe der Soundstation, interkulturelle Mediation und die Bereitstellung schriftlicher Informationsmaterialien – effektiv waren. Der Vergleich von 72 S. Novak-Zezulam U. Karl-Trummer & J. Pelikan Evaluation der Maßnahmenimplementierung Abb. 1:genutzte Ressourcen, um die Kommunikation mit PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen Sprache zu gewährleisten; vor und nach Maßnahmenimplementierung erster und zweiter Erhebung ergibt, dass der Einsatz professionellen Dolmetschens um rund 20% gestiegen ist, und zwar bei gleichzeitiger Reduktion von Übersetzungsleistungen, die durch erwachsene Freunde und Verwandte des Patienten/der Patientin um fast 10% (vgl. Abb. 1). Dennoch konnte kein Rückgang des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren beobachtet werden. Das muss als Warnsignal interpretiert werden. Die Qualität der Dolmetschleistungen wurde nach Implementierung der Maßnahmen positiver beurteilt: Die KrankenhausmitarbeiterInnen gaben in der zweiten Erhebung häufiger an, dass Dolmetscher zeitgerecht und regelmäßig einsetzbar waren (+17.5%). Darüber hinaus wurden Verbesserungen auf Ebene aller definierter Qualitätsindikatoren, wie Vorstellung und Erläuterung der Aufgaben durch den/die DolmetscherIn (+10.8%), genaue Vermittlung von Information (+6.8%), Nachfragen durch den/die DolmetscherIn (+7.7%), Klärung kultureller Einstellungen und Bräuche (+10.5%) und die Identifikation zusätzlicher Bedürfnisse durch den/ die DolmetscherIn (+7.3%), festgestellt. Gleichzeitig zeichnete sich eine Verbesserung der Gesamtbewertung der Dolmetschangebote ab: Der Anteil der MitarbeiterInnen, die die Angebote mit exzellent oder sehr gut bewerteten, stieg um 21.3%. 54.9% der Mitarbeiterinnen gaben an, dass sich ihre Arbeitssituation durch die Interventionen im Rahmen des Projekts verbesserte. Die Umsetzung der Maßnahmen erwies sich als große Herausforderung. Vier Interventionen konnten vollständig, acht weitgehend und zwei nicht implementiert werden. Die Projektverantwortlichen gaben an, dass zwei Drittel der Interventionen durch den Mangel an Akzeptanz und Nutzung der Angebote, Zeitmangel und aus organisatorischen Gründen schwierig umzusetzen waren. Sie berichteten des weiteren, dass sie gefordert waren, Strategien zu entwickeln und flexibel anzupassen, Kompromisse zu machen und nicht auf fixen Standpunkten zu beharren. Dennoch gaben alle lokalen Projektverantwortlichen an, dass die erzielten Ergebnisse die Arbeit und die Anstrengungen wert waren; sie beurteilten die Kosten-Nutzen-Relation positiv. Diskussion und Zusammenfassung der Ergebnisse Die Evaluation bestätigte bestehendes internationales Wissen und Erfahrungen über die Verbesserung der Qualität von Dolmetschangeboten im Krankenhaus. Die wesentlichen Herausforderungen für Krankenhäuser liegen weniger in der Entwicklung eines professionellen Modells, sondern viel eher in der Implementierung und damit organisationalen Verankerung von Services. Zentrale Faktoren dafür sind: 1. klare Unterstützung durch die Krankenhausleitung und das Krankenhaus-Management 2. die Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle für Dolmetschdienste, die auch für das budgetäre Controlling, die Bedarfs- und Nutzungsanalyse und die Qualitätssicherung verantwortlich ist; 3. die Auswahl des zur Gesamtorganisation passenden Dolmetschmodells; 4. Training für MitarbeiterInnen; 5. Marketing für die Angebote, um Sichtbarkeit und Wahrnehmung zu erhöhen. Anmerkungen 1. Danksagung: Wir danken den vielen Projektpartnern in den beteiligten Krankenhäusern, die die Maßnahmen implementiert und die Evaluation sehr unterstützt haben. Stellvertretend für ihre Teams möchten die AutorInnen insbesondere den lokalen Subprojekt-Koordinatoren Antonio Chiarenza, Ulises Penayo, VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus 2. 3. 4. 5. 6. Fiona McDaid, Adrian Manning, Jette Ammentorp, Anne-Mette Rasmussen, Minna Pohjola, Marja-Leena Pilkkinen, Ines Garcia-Sanchez, Carmen Fernandet Guerra und Georgia Vasilopolous danken. Spezieller Dank gebührt auch Lourdes Sanchez, unserer Fachexpertin aus Boston, USA. und Beate Schulze, die das Subprojekt bis Februar 2004 wissenschaftlich begleitet hat, sowie dem Gesamtprojektkoordinator Karl Krajic. Das MFH-Projekt (2002-2005) wurde finanziell unterstützt von der Europäischen Kommission, DG Health and Consumer Protection (SANCO) und ko-finanziert durch das Österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Detaillierte Informationen zum Projekt, insbesondere zu Instrumenten und Ergebnissen siehe: Final report on the MFH project, Krajic et al., 2005: http://www.mfh-eu.net/public/ home.htm Die Subprojekt-Gruppe bestand aus den folgenden neun Krankenhäusern: Kolding Hospital, Velje-Kolding, Denmark / Turku University Hospital, Turku, Finland / Hospital „Spiliopoulio Agia Eleni“, Athens, Greece / Hospital Punta de Europa, Algeciras-Cádiz, Spain / James Connolly Hospital, Blanchardstown, Ireland / Presidio Ospedaliero della Provincia di Reggio Emilia, Reggio Emilia, Italy / Academic Medical Center of the University of Amsterdam (AMC-UvA), The Netherlands / Uppsala University Hospital, Psychiatric Centre, Uppsala, Sweden / Bradford Hospitals NHS Trust, Bradford, United Kingdom. Die Krankenhausgruppe wurde wissenschaftlich koordiniert und unterstützt von Beate Schulze (Oktober 2002 - Februar 2004) and Sonja Novak-Zezula (Februar 2004 - März 2005), Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie; Lourdes Sanchez, Manager der Interpreter Services at the Massachusetts General Hospital, USA, fungierte als externe Fachberaterin vgl. Novak-Zezula et al., 2005 Ein Krankenhaus beteiligte sich nicht an der 2. Befragung, weil die Umsetzung der Maßnahme zu Projektende noch nicht abgeschlossen war. Dies entspricht den Vertraulichkeitsregeln der Projektgruppe. Diese legen fest, dass krankenhausspezifische Daten nur von den Krankenhäusern selbst veröffentlicht werden. 73 Literaturhinweise Bischoff A. 2003. Caring for migrant and minority patients in European hospitals. A review of effective interventions. 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Pelikan 74 Ursula Karl-Trummer, Mag. Dr., born 02.07.1967 in Austria, Studies of Sociology and Political Science. Masters in Socioeconomic Sciences, PhD with a Thesis on „New Paradigms and Traditional Role-Models“ Enabling Factors and Obstacles for/to a Patient Oriented Health Care“, i.e.f. MSc for Organisational Development and Counselling 1998-2008 Senior Scientist at the Ludwig Boltzmann Institute for Sociology of Health and Medicine (LBISHM), (www.univie.ac.at/lbimgs), General Manager of “InVivio – Transdisciplinary Research and Development” (SME), Lecturer at various Universities.Main fields of research in Migration and Health, Sustainable Development of Healthy Settings Organisational Development, and Transdisciplinary Research. Rudolf Bärenhart Gasse 3/7 A-1170 Wien, Austria e-mail: [email protected] Professor Jürgen M. Pelikan, Dr. phil. text fehlt hier noch!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!11 Ludwig Boltzmann-Institute for Health Promotion Research Rooseveltplatz 2, A-1090 Vienna, Austria e-mail: [email protected] VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems 75 Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems in Interpreter-mediated Interactions Claudio Baraldi & Laura Gavioli Abstract It can be assumed that interpreter-mediated interaction in institutional settings is, at least partly, influenced by the institutional culture of the context in which it takes place (medical, juridical or otherwise). Institutional interactions do not simply reproduce cultural presuppositions, they produce a joint construction of cultural meanings. In particular, the reproduction of mainstream cultural meanings may highly depend on the contributions (and the acceptance of the contributions) of institutional roles and interactive negotiations can produce new cultural presuppositions. In this paper we analyse interpreter-mediated interactions as a particular type of institutional communication. The question we pose is whether and to what extent medical culture influences communication mediated by an interpreter. In Western medical culture, doctors have two main types of tasks; on the one hand they acquire information, give instructions, offer advices and therapies, asking for patients’ adaptation (“voice of medicine”). On the other, a widespread introduction of a patient-oriented approach inside medical organisations may create opportunities for patients’ self-expression. The first type of tasks creates expectations of a cognitive nature, the second of an affective nature. Such expectations may take different forms in mediated interaction. In our data, we noted that the relevance that is given to the voice of medicine seems to influence interpreters’ translation choices. Our conclusion is that either in the case of cognitive and affective projected expectations, medical culture affects the interpreters’ translating choices in order to privilege the interaction between the institutional roles, including the interpreter, and the relevance of translation in giving voice to the patients was not sufficiently considered, also inside a patientoriented, affective-based cultural approach. These results invite to explore the relevance of managing translation effectively to improve communication in interpreter-mediated institutional contexts. Titel und Text auf Deutsch fehlt hier Platzhalter Abstract It can be assumed that interpreter-mediated interaction in institutional settings is, at least partly, influenced by the institutional culture of the context in which it takes place (medical, juridical or otherwise). Institutional interactions do not simply reproduce cultural presuppositions, they produce a joint construction of cultural meanings. In particular, the reproduction of mainstream cultural meanings may highly depend on the contributions (and the acceptance of the contributions) of institutional roles and interactive negotiations can produce new cultural presuppositions. In this paper we analyse interpreter-mediated interactions as a particular type of institutional communication. The question we pose is whether and to what extent medical culture influences communication mediated by an interpreter. In Western medical culture, doctors have two main types of tasks; on the one hand they acquire information, give instructions, offer advices and therapies, asking for patients’ adaptation (“voice of medicine”). On the other, a widespread introduction of a patient-oriented approach inside medical organisations may create opportunities for patients’ self-expression. The first type of tasks creates expectations of a cognitive nature, the second of an affective nature. Such expectations may take different forms in mediated interaction. In our data, we noted that the relevance that is given to the voice of medicine seems to influence interpreters’ translation choices. Our conclusion is that either in the case of cognitive and affective projected expectations, medical culture affects the interpreters’ translating choices in order to privilege the interaction between the institutional roles, including the interpreter, and the relevance of translation in giving voice to the patients was not sufficiently considered, also inside a patient-oriented, affective-based cultural approach. These results invite to explore the relevance of managing translation effectively to improve communication in interpreter-mediated institutional contexts Keywords fehlen curare 31(2008)2+3: 75- 76 Introduction Recent studies on interpreter-mediated interaction (IMI) have highlighted the mediating role of the interpreter and they have underlined that interpreters participate as “active” interlocutors in interactions (Angelleli 2004, Baker 2006, Mason 2006). Wadensjö (1998) in particular has suggested that in IMI, interpreters’ activity may be observed as primarily oriented to the interaction and to the joint construction of meaning, and activities other than translation are often functional to both the provision of translation and the achievement of understanding. Interpreters in the interaction act as coordinators distributing turns to talk, clarifying meanings, making the goals of the interaction explicit and making the interaction between the participants possible and successful. Studies which have focused more closely on mediation have highlighted the “facilitating” function it achieves and the role it takes in modifying the interlocutors’ relationship and in empowering them (Bowling & Hoffmann 2000, Bush & Folger 1994, Sahah-Kazemi 2000, Zeldin 1998). Mediators actively intervene in communication as distributors of opportunities to talk, reinforcing participant roles and identities, making agreement and understanding likely outcomes, creating alternative stories (Brigg 2003, Picard & Melchin 2007; Winslade 2006; Winslade & Monk 2000). In multicultural contexts, mediation may be observed as an effective form of communication, producing conditions of cross-cultural adaptation (Kim 2001). While the role of interpreters as interactional coordinators helps explaining the potential of “what else” needs to be done by translators besides translating, we believe that understanding the ways in which interpreters coordinate cultural relations and mediate between them, requires not only an analysis of the interaction, but also an analysis of the ways in which interactions are included in larger social contexts and are culturally oriented. Such cultural orientation may affect IMI and the task of the interpreter-mediator. In this paper we explore the meaning of such cultural orientation and the ways in which IMI is affected by and affects the context in which it takes place. Interpreter-mediated doctor-patient interactions are influenced by the culture of the medical system in which they take place, but they do not Claudio Baraldi & Laura Gavioli simply reproduce this culture, they also produce a joint construction of cultural meanings. Both mainstream and new cultural meanings are constructed in the interaction through the participants’ contributions. We analyse tape-recorded and transcribed interpreter-mediated interactions with a look at: a) the ways in which medical culture affects interpretermediated interactions; b) the achievements of such interactions and the types of changes or reinforcement they may cause in medical culture, c) what this suggests in terms of improving mediation service in healthcare institutions. Contextualisation and re-contextualization in interpreter-mediated interaction Baker (2006: 322) notes that research on the relationship between interpreting and its context needs some improvement. She observes that “no scholarly publication within linguistics or translation studies has yet attempted to explore the issues of context as it impacts on translational behaviour in any depth” and suggests that looking at translation in a broader social framework may help explain IMI. She (2006: 325) describes translation as a process where “readers expect multiple cultural environments and voices to be invoked and […] translators” own “assumptions” about such patterns of expectations may guide their decision-making process’. The process of translation as described by Baker can thus be viewed as a communication process based on what, following Luhmann (1984), can be called reflexive expectations, that is to say expectations about interlocutors’ expectations. According to this view, context is a non objective reality and translators respond to the context according to what they “perceive as other participants’ intentions as well as assumptions about the world” (Baker 2006: 325). What Baker observes here is a dynamic contextualization, rather than a series of static components of an “objective” context, and she draws her attention to the context construction through the agency of participants in their interactional negotiation. She considers participants’ role performances embodying reflexive expectations, as fundamental in the social construction of context: “we perform our gender, we step in and out of professional and other roles numerous times during the course of a single conversation, and therefore whether a participant VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems behaves and responds as a woman, as a gay person, as a doctor, or as a professional interpreter at any moment depends on a variety of factors and can change during the course of a single interaction” (Baker 2006: 326). Baker’s observation makes it clear that context is jointly constructed in the interaction as a process of contextualization depending on participants’ expectations. This process can be observed through contextualization cues that are defined by Gumperz as verbal and non-verbal signs used by interlocutors “to relate what is said at any one time and in any one place to knowledge acquired through past experience” (1992: 230-232). Contextualization cues then “highlight, foreground or make salient” (Gumperz 1992: 232) the cultural presuppositions of the interaction. However, while the production of contextualization cues in the interaction gives meaning to the context, the cultural meaning of the context can hardly be considered only as a product of single interactions. Contextual cultural meanings need also to be related to a differentiation of functions implemented in society, e.g. the juridical, political, educational, medical function (Luhmann 1997). Each of these functions has its specific cultural presuppositions. In this respect, IMI can be analysed as a part of a complex net of communications based on particular guiding values (e.g. right, power, health, education), particular forms of participation, and particular reflexive expectations. These values, forms of participation and expectations constitute the cultural presuppositions which contextualize the projection of actions in interaction, through other actions which are relevant inside specific functional systems, e.g. judgemental requirements, political decisions, medical treatments, teaching. In its turn, IMI produces a re-interpretation of particular cultural presuppositions, promoting participants’ understanding and responsibility towards their own actions. IMI may have relevant effects on the communication processes insofar as it introduces changes in the interactions. According to Baker (2006: 322), we may “recognise context as a resource, something that we selectively and strategically construct as we engage in any act of communication, including the act of translation”. So on the one hand cultural presuppositions shape interaction, on the other interaction may re-new cultural presup- curare 31(2008)2+3 77 positions precisely re-interpreting them in the local context. To sum up: 1) IMI is contextualized by a set of cultural presuppositions (guiding values, forms of participation and forms of expectations); 2) such contextualization derives from embedding social systems relevant in society (medical, juridical, and so on); 3) IMI can possibly change these cultural presuppositions, that is it can re-contextualize the embedding system; 4) contextualization and re-contextualization are made evident through particular cues in the interactions. Medical contextualization Interactions inside medical systems are characterised by a specific set of cultural presuppositions. One such cultural presupposition is grounded in the distinction between illness and health (Luhmann 1983). This presupposition is associated to particular role performances which are relevant for providing care. In particular, in the interaction, healthcare providers (henceforth HPs) present themselves as experts who deserve trust for their technical competence and as providers of relevant information. On these bases expectations are primarily cognitive, that is to say, they concern patients’ adaptation to HP’s knowledge and expertise (Heritage & Lindström 1998). Patients are requested to respond to HPs’ questions and follow HPs’ recommendations and advices, in order to obtain care. According to Mishler (1984), the “voice of medicine” embodies a technical interest and expresses a scientific attitude, which create distortions in the usual meaningful accounts by patients, based on what Mishler defines “their lifeworld”. This doctor-centred (Heritage & Maynard 2006) contextualization implies asymmetric sequences of turns in specific types of interactions, as medical interviews and therapeutic prescriptions, in which HPs primarily acquire information, give instructions, offer advices and solutions, performing their standardised roles based on the primary reference to the meanings of illness. A number of recent studies showed that not all the interactions between HPs and patients are unequivocally shaped by these cultural presuppositions (e.g. Barry et al. 2001, Gillotti et al. 2002, Gravois Lee & Garvin 2003, Heritage 2005, 78 Heritage & Maynard 2005, Johanson et al. 1998, Kiesler & Auerbach 2003, Robinson 2001, Stevenson et al. 2000). For example, Barry et al. (2001) observed that, while interactions “strictly medicine” are widespread, inside the medical system there are also interactions which give space to the voice of the “lifeworld”. Mutual Lifeworld is the expression of a new patient-centred medical culture, acknowledging patients as competent contributors to communication (Arora 2003, Barry et al. 2001, Charles et al. 1999, Epstein et al. 2005, Heritage & Maynard 2005, 2006, Mead & Bower 2000, Zandbelt et al. 2005, Zandbelt et al. 2006). According to this culture, HPs should (1) encourage patients to express their perspectives and actively participate in the interaction, and (2) introduce a sense of involvement and caring in communication. This possible renewal of medical cultural presuppositions may transform the meanings of HPs’ as well as patients’ participation and contextualize their interactions differently, creating new opportunities for HPs’ and patients’ expression of personal emotions, needs and interests, enhancing affective expectations and shared responsibilities. Nowadays, medical systems include the treatment of an increasing number of immigrant patients, speaking different languages and belonging to cultures different from those which are dominant in the medical system. Because of a growing presence of foreign patients, IMI is increasingly frequent in medical systems and attracts increasing interest in research (Angelelli 2004, Baraldi 2006a, Bolden 2000, Cambridge 1999, Davidson 2000, 2001, Meyer 2002, Meyer & Bührig 2004, Pöchhacker & Kadric 1999, Tebble 1999). While the function of IMI should be that of facilitating the immigrant citizens approach to healthcare institutions, this research shows that in medical systems, IMI contextualizes the “voice of medicine” eventually impeding the construction of Mutual Lifeworld. Contextualization and re-contextualization in Italian healthcare settings. The data The data were recorded in two Italian hospitals, in two towns in the Centre-North area of Italy, an economically affluent area with a long tradition Claudio Baraldi & Laura Gavioli of efficient welfare services, including healthcare services and more specifically migrant-friendly services. The set consists of 50 interactions, involving Italian doctors and nurses, African patients speaking English and bilingual interpreters. The healthcare settings involve surgeries in or out of the main hospital building. Most surgeries deal with gynaecological diseases or prevention and pre- or post-maternity follow-ups and some deal with work medicine and accidents at work. Doctors and nurses are Italian native speakers, both men and women. The patients are immigrant people from West Africa (mainly Ghana and Nigeria), a rather large immigrant community in the district where the hospitals are situated. As most of the surgeries and wards where we collected the data deal with baby birth and gynaecological diseases, most patients are women. The three interpreters are all women in their thirties, two are Nigerian one is Ghanaian. They are part of a permanent staff of linguistic and cultural mediators hired by the medical institutions with the purpose of making communication possible and facilitating those activities which involve immigrant citizens. The interpreters are also speakers of Nigerian and Ghanaian languages and they sometimes use these languages in the data we recorded. There is an acknowledged preference of the healthcare services to work with mediators from the guest-immigrant community rather than the host-Italian community and with mediators with a medical rather than a linguistic background (one of the mediators is a former nurse). The institutions provide the mediators with training in socio-cultural and communication topics. The mediators are not hired as professional interpreters, however their main activity in triadic interactions with patients and healthcare providers is that of providing translation service; for this reason the interactions we taped can be considered “interpreter-mediated”. The data are audio and not video-recorded. This was due to both Italian legal restrictions which limit recording in general and video-recording in particular, and to a strong reluctance from the medical institution to accept the intrusion of a video-camera. Non-verbal cues (e.g. participants’ posture, look or mime) are thus not an object of this analysis and we focus exclusively on verbal cues. Transcription conventions are those commonly used in Conversation Analysis (Jefferson 1978, Psathas & Anderson 1990). All personal details that are mentioned in VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems talk have been altered in the transcription to protect participants’ anonymity. This audio-data were collected with the permission of the institutions and of the speakers involved. Contextualization through dyadic interactions Some analyses of IMI show that relevant information from HPs or patients may get lost in mediated communication (e.g. Bolden 2000; Cambridge 1999, Davidson 2000) and that mutuality is rare in interpreted consultations (Greenhalgh et al. 2006). These studies focus particularly on the type of information that is selected and rendered in interpreters’ translated contributions and they note that in choosing information to translate, interpreters reveal orientations to what they expect is relevant in medical interaction. Interpreters, then, contextualise their renditions on the basis of their expectations of what HPs or patients’, in their turn, expect. Davidson (2000, 2001), in particular, shows that interpreters’ actions are oriented to protect doctors’ rather than patients’ expectations. In their choice of information to translate, interpreters act on the basis of their expectations of doctors’ expectations and consequently work as gatekeepers of the medical system and in favour of the “voice of medicine”. Orienting to participants’ expectations through translation choices is, however, just one way in which IMI shows its orientation to context and indeed the interpreters (with their choices) are not the sole responsible for this orientation. Looking at the interactional dynamics of the data we analysed, we noted that, in our settings too, relevance is mainly given to the “voice of medicine”. This, though, is not only done through translation choices. In order to be able to translate, interpreters need to acquire information and understand it themselves. The dynamics by which such information is constructed in the interaction and acquired by the interpreter also shows an orientation to the medical culture. In the following extract, a nurse is giving instructions to the mother of a baby patient as to when and how the mother has to come to the ward and feed the baby. The extract opens with the interpreter (I) asking the nurse (N) about the functioning of a milking machine to stimulate breastfeeding and it goes on with the nurse providing information about the ward’s opening times. The interpreter is instructcurare 31(2008)2+3 79 ed and asks for instructions about the usage of the milking machine and the ward’s opening times (note the redefinition of the machine in technical terms in turns 2-3 and the interpreters’ questions in turns 5 and 7). A translation in English of the Italian turns is provided in italics. Extract 1 1. I Eh, per incominciare come usare la macchinet[ta Erm, to start with how do we use the little machi[ne 2. N [il tiralatte [the breast pump 3. I si, il tiralatte Yes the breast pump 4. N allora, gli orari (.) il bambino fa sette pasti. Poi gli orari dei sette pasti sono, se te lo vuoi segnare, allora alle otto, alle undici, alle quattordici, alle diciassette, alle venti, alle ventiquattro e alle cinque. Now, the times (.) the baby has seven meals. Then the times of the seven meals are, if you want to note it down, so eight, eleven, fourteen, seventeen, twenty, twenty-four, and five. 5. I Perciò la mamma deve venire in tutti questi orari? So mummy needs to come here at all these times? 6. N Allora, la mamma no. Il reparto è aperto dalle otto alle nove del mattino. Dalle nove alle undici 1- (.) cioè c’è la visita perciò il reparto è chiu[so. Now, mummy no. The ward opens from eigth to nine in the morning. From nine to eleven th- (.) there’s the doctors’ visit so the ward is clo[sed 7. I [dalle [otto [from [eight 8. N [e poi dalle undici alle venti e trenta il reparto è aperto. Perciò la mamma se vuole venire può venire mezz’ora prima dei pasti così c’è il cambio del pannolino in modo che può vedere anche come si cambia visto che è il primo figlio. And then from eleven to twenty thirty the ward is open. So mummy if she wants to come she can come half an hour before the meals so we have nappy change time, in this way she can also see how the baby gets changed, given that this is her first baby By negotiating what needs to be translated to the mother, the interpreter, first, interacts as the nurse’s interlocutor and gets instructed by the nurse about what is relevant medical information. In so doing, the interpreter takes the space of the patient and acts on her own behalf (turn 5). Such interactional “alignment” of the interpreter as the interlocutor is accepted by the nurse who gives instructions to the interpreter, not to the mother (turn 4). In our data, Claudio Baraldi & Laura Gavioli 80 then, HPs and interpreters orient to the construction of dyadic interactional sequences referring to the medical culture. It seems that it is this form of interaction, rather than the translation proper, that contextualises the medical culture. Dyadic sequences such as the one shown above seem to affect interlocutors’ participation and expectations in two ways: a. construction of We-identity and b. prevention of a patient-centred approach. Extract 3 Re-contextualization 1: Construction of We-identity (ride) Eh eh (.) No:: nessuno guarda questo in Africa. Quanto è alta, quanto pesi, [no nessuno mai. (laughs) Eh eh (.) No:: nobody looks at this in Africa. How tall she is, your weight, [no nobody never ever. 178 D [Eh: lo so: però (ride)ah ah. Però è importante [per vedere se è in sovrappe[so [Er: I kno:w but (laughs) ah ah. That’s important to check if she’s overweight 180 I [sì: [Sì: sì certo. Eh. [ye:s [ye:s yes right. Mh. 181 D Perché- u-un peso può essere dive- in base all’altezza può avere un significato diverso.= Because a person’s weight can be diff- depending on height it can have a different meaning 182 I Sì. A first consequence of the interpreter aligning with the HP as an interlocutor, “on behalf of the patient” is that the patient is cut out of the interaction and deprived of her/his space, even if only temporarily. By interacting with the HP, then, the interpreter, (1) negotiates what is relevant to translate with the HP only, (2) shows her/his own orientation to what maybe the patient’s expectations without giving the patients the possibility to express their expectations themselves (extract 1 turn 8). In our data, we have noted that such alignment often correlates with expressions of We-identity (Ting-Toomey 1999) which contextualize the interpreters’ positioning as either members of the institution or as members of the guest culture, missing the relevance of their “middle” translating/mediating role. The following are two examples, one of each case. In extract 2, the doctor (D) addresses the interpreter (I) as a collaborator of the institution (turn 1), in extract 3, the interpreter speaks of herself as a member of the African community (177). In the latter example it is interesting to note that the doctor‘s reply to the interpreter’s explanation about what is relevant in the African culture re-affirms the importance of the medical culture in this context and the interpreter accepts the doctor’s contribution and agrees with it. Extract 2 1 D Allora, eh:..la lettera gliela vuoi spiegare? Tanto sai già le cose! ( So, do you want to explain the letter to her? Anyway, you already know how things are! 2 I Sì! ((Yes!)) This is the letter for your baby, the discharge letter. 172 D 173 I 174 D 175 I 176 D (.) 177 I Dunque lei-[ Ah. Quindi::: So she- [Ah. Consequently::: Coi tacchi. E’ uno:: With heels. She’s one metre:: Uno e sessantotto: dai. One metre sixty-eight: come on. Sì. Yes. Ok. We-Identity is thus constructed in the interaction and affects the positioning of the interpreter who becomes a member of an in-group. Such positioning originates from the relevance given to the “voice of medicine” and the contextualization of medical culture. IMI though does not simply reproduce medical culture, it constructs we-identities that may have further consequences in the re-contextualization of the interaction. Here we look at two possible ones. First, We-identity may expand beyond medical culture, absorbing other relevant cultural presuppositions in society, and therefore expanding the cultural contextualisation of the interaction. An example of this can be observed in extract 3 where the interpreter’s statement about a “we-African” identity is responded by a we-Italian/medical identity statement and the interpreter accepts the relevance of the we-Italian/medical identity in the interaction. This acceptance may have further consequences which can be observed in extract 4, below. Here the interpreter introduces a detour from the medical interview at turn 2 and asks the patient how many VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems children she has. The interpreter guides this inquiry while the doctor is simply supporting it without expressing any opinion (turns 3, 5, 7). This leaves room to the interpreter for the expression of normative expectations concerning the patient’s behaviour and birth control (turns 8, 10, 12), which the patient accepts without any reply. Extract 4 1 D Bene, bene, bene, benissimo! Tutto bene, tutto bene. Avevamo già visto poi bene eh? Well, very well! Everything is all right, all okay. We saw before that it was all okay, didn’t we? 2 I How many girls do you have? You have two, maybe the third one? Is okay eh? 3 D Due ne ha? Has she got two? 4 I Eh! 5 D Altre due? Two more? 6 I Sì (.) no, ma è numero cinque questa! Yes (.) No, this is number five! 7 D Numero cinque? Number five? 8 I Sì! (Yes!) Is OK eh? You know this problem that you are talking to – If your husband is going to make love, go and buy condom or…(P smiles) go and, in this (.)it’s true! 9 P Yes! 10 I You cannot face the baby. You have at this point, this problem eh? Or you want to pack the children and go to Ghana? Eh? 11 P Ah! (P sighs) 12 I Ok! So if you don’t want to go and live in Ghana with these children, don’t stop ( ). Go, come to via Padova* and we’ll give you what you will be take in, so that you don’t get pregnant. If your husband, I know uses condom…I know Africans maybe don’t like condom. If he cannot use, there’s a pill that you can be taking or you come at this point. Do you understand? Don’t stay too long, eh? * “via Padova” (Padua street) is the address of the surgery where the mediator operates Such inquiry and overt expression of normative expectations can possibly be explained through an interdependence of different aspects of the cultural context, where role performances and personal choices are inextricably linked. In the medical interaction, cognitive expectations are generally subordinated to the technical-medical culture (Heritage & Lindström 1998). Through the construction of curare 31(2008)2+3 81 a We-identity, re-contextualization of the medical system may include normative expectations derived form outside. The patients’ personal choices become object of re-direction and prescription. Second, the interpreter’s action may produce an over-adaptation of the patients’ actions to the medical culture, rendering their perspectives untrustworthy. In extract 5, the interpreter and the doctor are discussing a problem with the patient’s sickness during pregnancy which prevented the patient from eating regularly. In turn 109 the doctor asks about the patient’s weight before pregnancy and in turn 110 the interpreter translates. The patient answers (113). In turn 114 the interpreter seems to orient to the doctor’s expectations of what is plausible and puts in doubt the patient’s answer. The doctor’s alignment in turns 115 and 117 constructs a We-identity where the doctor and the interpreter put the patient’s contribution in doubt and clarify that what is required is the patient’s weight before the pregnancy (116) and that what the patient is answering probably refers to her weight now. In turns 119-123 the doctor states that the weight can’t be what the patient states, and the interpreter rebates her scepticism about the patient’s answer. Finally, the interpreter autonomously concludes that the patient cannot remember (124) and the doctor decides to check her records. Extract 5 108 I Sì è stata bene però non mangiava: non mangiava bene:(.) [no yes she was alright but she didn’y ea:t she didn’t eat we:ll (.) [no109 D [Quanto pesava prima della gravidanza? [what was her weight before pregnancy? 110 I Before this pregnancy, how many of we- what was your weight? 111 D Allora dammi a me: eh[m così (.) non ti faccio perdere del tempo Now give this to me: er[m so (.) you don’t loose time 112 I [Ah ok. [Eh: 113 P [Eighty. 114 I Eighty? 115 D [Quanto? [how much? 116 I [No! Before the pre[gnancy! Before the pregnancy. 117 D [Prima, prima di diventare grass [before, before getting fat- Claudio Baraldi & Laura Gavioli 82 118 I 119 D 120 I 121 D 122 I (5) 123 D 124 I 125 D When you were not pregnant.(?) No. (?) eighty? Are you sure? No:: ottanta?! No:: troppo. No:: eighty? No:: too much. It can’t be. It can’t be eighty! No no. Beh? Quanto pesavi? So? What was your weight? You can’t remember. Forse c’è scritto sulla cartellina: nella prima visita – Maybe it’s written in the record: of her first visit – Creating expectations of untrustworthiness, IMI may introduce a lack of confidence in the interaction between the HPs and the patients, based on a presupposed lack of affordability of the latter. The association of We-identity with the interpreter’s institutional role creates important consequences for the patient’s participation. In the literature there is some evidence that ethnic minorities show scarce active participation in doctor-patient interactions (Gordon et al. 2005: Meeuwesen et al., 2006). The construction of We-identity seems to increase this kind of difference or at least it does not encourage active participation from the patients. What is interesting to note here is that the construction of We-identity is not simply the result of interpreters’ translation choices: it is produced in the interaction. Both the HPs and the patients cooperate with the interpreter in reproducing such cultural presupposition, positioning the interpreter’s actions through their own actions. In particular, through the construction of We-identities, HPs or patients may partly abdicate their roles and participation favouring their substitution by the mediator. Re-contextualization 2: Prevention of a patient-centred approach The participatory mechanism where the interpreter aligns to the HP as an interlocutor in dyadic interactions, has further consequences for medical culture. In our data, we have evidence of HPs’ actions which search a direct contact with the patients. Such actions take the form of support, involvement and reassurance of the patients, following a patient-centred culture. These supportive actions are centred on the patients’ expectations and promote affiliation in the HP-patient interaction (Heritage & Lindström 1998, Kiesler & Auerbach 2003). HPs’ supportive actions make relevant personal expressions and participation from the patients. It is interesting to observe, though, that the first recipient of such actions in the interaction is the interpreter who, again, aligns as an interlocutor to acquire information to translate. In those cases where supportive actions by the HPs are introduced in the interaction, interpreters align with those actions confirming their understanding and affiliation. In extract 6, the doctor is visiting a patient who had an accident at work and is now in trouble with his hand movement and holding. The doctor expresses his own understanding for the patient’s hard job in turn 14 and for the patient’s pain in turn 19. In both cases, the interpreter affiliates with the doctor, showing her own understanding and support to the patient. While understanding and support are expressed, making attention and care for the patient relevant in the interaction, they are shared between the doctor and the interpreter, again excluding the patient (see turns 15 and 20). Extract 6 14 D Un lavoro pesante eh? A hard job isn’t it? 15 I Sì sì sì. Y es yes yes. (8) 16 I Oka:y. (°?°). (D touches P’s hand) (.) 17 P °Ah:::° 18 I It’s painful eh? Mm. 19 D °Fai piano dice.° don’t hurt me, he says 20 I Eh sì ha detto che sente male (sorride). Eh yes he said he feels pain (smiles). This form of contextualisation, jointly constructed between the doctor and the interpreter, emphasises the effects of re-contextualization through the interpreter’s role: the interpreter supports the doctor’s expressions of understanding and does not translate the doctor’s support to the patient’s expression of pain and worry. The continuation of extract 6 is interesting too in this respect. The doctor provides his diagnosis and suggests some exercises that the patient can do to improve his possibility of hand-grabbing. While VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems giving advices he also shows his attention and worry for the patient’s problem (turn 34), provides suggestions and encouragement (in turn 36), and support (in turn 38). The interpreter aligns with the doctor’s expressions of advice and support, affiliating with him. In turn 39 she supports the patient, by showing understanding for his pain, but does not immediately render to the patient the doctor’s expression of support, interest, encouragement and advice. In turn 42, the doctor asks the patient if he felt that the care provided at the surgery was good enough for him. The patient’s response in turn 44 clearly shows that he does not believe much has been done for him and that he does not feel reassured enough. A further intervention of the doctor towards the patient in turn 45 is answered by the interpreter definitely keeping the participants aside and basically closing the encounter. Continuation of extract 6 (a) 33 I Eh infatti eh sì non può essere come prima [come: mh in fact mh yes she can’t be the same as before: [as: 34 D[Eh. Non credo che arriverà ad essere come prima. [Mh. I don’t think she will ever be the same as before 35 I [M m m. 36 D[Quindi deve munirsi di paste siliconate e stringere e aprire per riportare la forza. °Io penso che stringa un po’ di più [se vuole°. [So he must get some silicon paste and he needs to close and open to recover his strength. I think he can hold a bit tighter [if he wants 37 I [Sì sì sì. [Yes, yes, yes 38 DPerò: insomma (.) e: ha anche ragione perché sentendo male naturalmente e: ci molla eh. But: you know (.) er: one cannot blame him because as he feels pain he obviously gives up 39 I Eh sì. (.) Painful[ eh? Mh yes. 40 D [Qui e: è è venuto da da noi eh? [Here a:nd he was our patient wasn’t he? 41 I Mh. Sì. Mh. Yes. 42 DSi è trovato bene da noi a far le cure o no? Was he satisfied here with the treatment he was given or wasn’t he? 43 I He said the treatment they give you they-is it ok for you? curare 31(2008)2+3 83 44 P Erm:: maybe it’s good but I don’t- I still feel pain. Because (?) I feel 45 DMolto dolore? Much pain? 46 MSì sì. Yes yes. (.) 47 D: Mh. Vabè adesso gli scrivo due righe eh? Mh. Okay I’ll write a couple of lines for him eh? ((the doctor types up)) The interpreter eventually translates to the patient what was said by the doctor and also shows support and understanding. She does that in a dyadic sequence following the one above and involving the patient and the interpreter. While support and understanding are expressed in the dyadic sequence they are (as in turn 39 above) contextualised as the interpreter’s, not the doctor’s, support and understanding (see a further continuation of extract 6): Continuation of extract 6 (b) 62 I =This hand can never come the [normal hand any longer. 63 P [No no no. Because it broke. 64 I Yes yes. 65 P All my bones broke. 66 I I know I know. (04) 67 I Are you still taking anything for pain? 68 P Yeah. 69 I You still have it? 70 P Yeah. I’d like to go (?). They give me gave me only two little pills (?) This example shows that even when an affective orientation to the expectations of the patient is observed in the interaction, the alignment of the interpreter as the doctor’s main interlocutor creates an intensification of the dyadic interaction between the two institutional roles, which on the one hand leads to sharing attitudes towards the patient and on the other to exclude the patient from participating. Alignment of interpreter as a main interlocutor of the patient in (subsequent) dyadic interaction) leads the interpreter to substitute the doctor and speak “on behalf of” them. In this way, IMI reinforces the medical culture, particularly the role performances and the cognitive expectations, supporting them through affective expectations in dyadic interactions. Patient-centred culture is re-contextualized and fails as (1) HPs’ contributions do not reach patients or (2) patients’ contributions do not reach HPs. Claudio Baraldi & Laura Gavioli 84 Conclusions It is generally assumed that mediation facilitates a sharing of views and perspectives by the parties, and in particular intercultural mediation promotes cross-cultural adaptation. Some studies, however, put the “facilitating” role of the mediator in doubt and underline that positive outcomes of mediation can only be apparent. They observe that the social context is “outside the parameter of the mediator’s responsibility” (Schoeny & Warfield 2000: 254), with the consequence of mediators becoming “de facto agents of the status quo invested in maintaining the stability of the current social system” (Welsh & Coleman 2002: 345). The literature on IMI too has observed such risk in the medical setting, showing that interpreters work as gatekeepers of the social system (Davidson 2000, 2001). In our data, we observed that either in the case of cognitive expectations in the “voice of medicine” approach, which is still dominant in medical systems, and in the case of affective projected expectations in the patient-centred approach, the medical culture contextualizes IMI. Additionally, IMI can have two important feedbacks on the medical culture. First, the interpreter’s role creates the interactive conditions for the construction of We-identity. This construction diverts cognitive expectations relevant in medical systems towards normative expectations relevant out of medical systems, and institutional role performances towards denial of personal and cultural expressions, treating immigrant patients as stereotyped and untrustworthy people. Second, the enhancement of affective expectations as well as search of direct contact, in a patient-centred approach, does not break dyadic interactions and promotes separate cooperation either among the institutional roles or among the minority culture representatives. In both ways, the interpreter’s active participation tends to exclude patients’ personal and cultural expressions from the doctor-patient interaction, systematically re-orienting the participants’ actions to cognitive or normative expectations, sometimes supported by affective expectations in dyadic sequences. In both ways, while interpreter-mediated interaction seems to reinforce the medical culture, it seems as well to re-contextualize it: 1) constructing a We-identity and thus promoting normative expectations and patients’ over-adaptation; 2) preventing a patient-centred approach and thus promoting dyadic separate interactions. Therefore, like Davidson (2000, 2001), we can observe that interpreting prevents or avoids patients’ personal and cultural expressions. However, this is not simply a consequence of supporting the existing power relations in medical system: it is also a consequence of recontextualizing the medical system. IMI both preserves the cultural presuppositions in medical systems, and re-contextualizes them, affecting HP-patient interactions. While it is evident that IMI actively changes its cultural context, the result of its re-contextualization is a paradoxical coupling of reinforcement and deviation with respect to the prevailing culture in the medical system, a coupling which does not support an effective communication involving immigrant patients and an effective cross-cultural adaptation. This re-contextualizing strength is not sufficiently taken into account by the interlocutors and the medical system. These results may invite the practitioners to explore different ways of managing translation, in order to improve re-contextualization of medical systems. In particular, a re-contextualization inside a patient-centred medicine needs that personal expressions in interaction involve and empower all participants, through a dialogic mediation permitting the enhancement of patients’ active participation, addressing of patients’ interests and/or needs, expression of personal attitudes, checking patients’ perceptions, active listening, appreciation of patients’ actions (Baraldi 2006a, 2006b). A recontextualization which binds active participation to dyadic institutional interactions (interpreter-HP), does not create the conditions for dialogic mediation, while it may determine the failure of a patientcentred medicine. References Angelleli C.V. 2004. Medical Interpreting and Cross-cultural Communication. Cambridge: Cambridge University Press. Arora N.K. 2003. Interacting with cancer patients: the significance of physicians’ communication behaviour. Social Science & Medicine 57: 791-806. Baker M. 2006. 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Laura Gavioli is a professor of English language and English-Italian translation at the University of Modena and Reggio Emilia (Dept of Language and Cultural Studies). She has been doing research in the field of contrastive pragmatics using instruments derived from conversation analysis and corpus linguistics. She has analysed conversations in English and Italian comparing the interactional features of meaning negotiation in the two languages. She has recently started an interdisciplinary research project on interpretermediated interactions in institutional settings, joining contributions from linguistics, sociology, cultural and translation studies. She has published several papers in national and international journals and a book on language and translation learning through language corpora. Adresse fehlt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Claudio Baraldi is a professor of Sociology at the University of Modena and Reggio Emilia (Dept of Language and Cultural Studies). His research includes work on cultural presuppositions and interaction in educational systems, analyses of interactions between adults and children in institutional settings, promotion of children’s citizenship and social participation, forms of discrimination and interpersonal respect and trust, intercultural communication in institutional settings, intercultural education and conflict management in schools and other organisations, intercultural and interlinguistic mediation in institutional settings, the development of techniques for dialogue, evaluation analysis of projects, intervention processes and their results. He has published over 90 papers in national and international journals, and several books on the above topics. Adresse fehlt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Reprint nach 30 Jahren Curare 1(1978)1: 31-42 129 Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda Ute Luig* Zusammenfassung: Da gerade die Städte Afrikas auf Grund ihrer fortgeschrittenen ökonomischen Differenzierung und tribalen Heterogenität Zentren sozialer Spannungen sind, liegt es nahe, diese Annahme dort zu überprüfen. Ausgangspunkt ist eine Hypothese von Mitchell. Er vermutete wegen der relativen Anonymität des städtischen Lebens Hexereianklagen weniger im persönlichen Bereich als vielmehr in solchen Gruppen, die durch Konkurrenz und Missgunst geprägt sind. Im Beispiel Mulago, Stadtviertel von Kampala, sind zwei Arten von Beziehungen durch Hexereivorstellungen betroffen: die zwischen Arbeitskollegen und die zwischen Personen, die ein gesellschaftlich nicht sanktioniertes Liebesverhältnis haben (Ehemann-Prostituierte). Auf beide Situationen trifft Mitchells Charakterisierung zu, daß die Beziehung persönlich und konkurrentiell ist. Durch eine Feinanalyse lassen sich seine Vermutungen noch präziser bestätigen. Die Beziehung zwischen Nachbarn wie auch Verwandten sind in Mulago von Hexerei frei, obwohl sie durch die besondere Situation in Mulago sehr intensiv sind. Dieser deutliche Unterschied der Praxis der Hexereianklage im Vergleich zum Land scheint durch die als feindlich empfundene Umwelt (z.B. hohe Kriminalität) bewirkt zu werden, die zum Einen nachbarschaftliche Solidarität fördert, zum Anderen durch Einschränkungen, im Extrem durch Abbruch persönlicher Kontakte spannungsmindernd wirken kann. Wenn auch zahlenmäßig bei der Kasuistik der Hexereianklagen Liebeshändel weitgehend dominieren und auf sexuelle Motivationen hinweisen so lässt sich doch bei der deutlichen Spezifität der Hexereianklagen in dem untersuchten Stadtmilieu aussagen, daß weniger das individuell le Element und das Fehlen der sozialen Distanz ausschlaggebend für die Hexereianklagen ist, sondern primär die Konkurrenzsituation um ein „knappes Gut“: seien es die begehrten Arbeitsplätze oder sei es die lebenswichtige Unterhaltssicherung durch einen Mann. Abstract fehlt noch Platzhalter abstract Da gerade die Städte Afrikas auf Grund ihrer fortgeschrittenen ökonomischen Differenzierung und tribalen Heterogenität Zentren sozialer Spannungen sind, liegt es nahe, diese Annahme dort zu überprüfen. Ausgangspunkt ist eine Hypothese von MITCHELL. Er vermutete wegen der relativen Anonymität des städtischen Lebens Hexereianklagen weniger im persönlichen Bereich als vielmehr in solchen Gruppen, die durch Konkurrenz und Missgunst geprägt sind. Im Beispiel Mulago, Stadtviertel von Kampala, sind zwei Arten von Beziehungen durch Hexereivorstellungen betroffen: die zwischen Arbeitskollegen und die zwischen Personen, die ein gesellschaftlich nicht sanktioniertes Liebesverhältnis haben (Ehemann-Prostituierte). Auf beide Situationen trifft MITCHELLs Charakterisierung zu, daß die Beziehung persönlich und konkurrentiell ist. Durch eine Feinanalyse lassen sich seine Vermutungen noch präziser bestätigen. Die Beziehung zwischen Nachbarn wie auch Verwandten sind in Mulago von Hexerei frei, obwohl sie durch die besondere Situation in Mulago sehr intensiv sind. Dieser deutliche Unterschied der Praxis der Hexereianklage im Vergleich zum Land scheint durch die als feindlich empfundene Umwelt(z.B. hohe Kriminalität) bewirkt zu werden, die zum Einen nachbarschaftliche Solidarität fördert, zum Anderen durch Einschränkungen, im Extrem durch Abbruch persönlicher Kontakte spannungsmindernd wirken kann. Wenn auch zahlenmäßig bei der Kasuistik der Hexereianklagen Liebeshändel weitgehend dominieren und auf sexuelle Motivationen hinweisen so lässt sich doch bei der deutlichen Spezifität der Hexereianklagen in dem untersuchten Stadtmilieu aussagen, daß weniger das individuell le Element und das Fehlen der sozialen Distanz ausschlaggebend für die Hexereianklagen ist, sondern primär die Konkurrenzsituation um ein „knappes Gut“: seien es die begehrten Arbeitsplätze oder sei es die lebenswichtige Unterhaltssicherung durch einen Mann. Keywords (Schlagwörter) fehlen noch * Anmerkung der Radaktion curare 31(2008)2+3: 129- 130 After the publication of Evans-Pritchard’s classical study of Azande witchcraft and sorcery (1937), much work in the field of the sociology of witchcraft and sorcery had been done. While Evans-Pritchard emphasized the logical consistency of those beliefs, others, like Marwick (1952) and Mitchell (1956), were more interested in the structural and normative significance, whereas Turner focused on the role they play in the development of social processes, which he understands as social dramas (1957). Despite the different approaches, however, general agreement has been reached that accusations of witchcraft and sorcery are indices of social tension and expressions of social conflict. If this assumption is valid, it may be concluded that there should be an increase of accusations of witchcraft and sorcery in African towns, which, as centres of social change, are generally thought of as generating tension and conflict. Heterogeneity of the population, frequently resulting in tribal strife, economic differentiation, and as the clash of juxtaposed value Systems are mostly assumed to be the main causes of social conflict in African towns. Mitchell, however, has refined this hypothesis by arguing that, due to the low degree of ‚Integration‘ characterising social life in town, there is no need to express personal tensions through witchcraft accusations except in cooperative enterprises, where interaction is intimate, competitive and potentially hostile (Mitchell: 1960). This paper attempts to test Mitchell‘s hypothesis and to gain better understanding of the functions, accusations of witchcraft and sorcery fulfil in urban areas. This is undertaken by a structural-functional analysis of accusations of sorcery. In order to understand the situations of conflict, a description of Mulago‘s major social problems is first attempted. Mulago and its Community1 In spite of Mulago‘s geographical position inside the peri-urban belt surrounding the City, it appears more urban than peri-urban, if we consider building, land-use and population density as criteria for being “urban” (O‘Connor & Semugooma 1968: 5) . As a result of this position Mulago developed certain functions for the African labour force. Ute Luig Its nearness to the City, cheap accommodation and uncontrolled growth were of advantage in the choice of residence. 2) Mulago Hospital built in 1913 served as a major source of employment from the start. 3) The development of a retail market created opportunities for earning a livelihood through petty trade. Despite the quick development and growth Mulago‘s classification as an “urban village” (Southall & Gutkind 1957: 100) is still justified, considering the lack of sufficient urban facilities and sanitary conditions for the constantly expanding population. Gutkind‘s estimation of 2000 inhabitants might cautiously be replaced by an estimation between 5000-6000 (idem: 97). Mulago‘s dominant structural feature is its division into the business part with the highest population density inside Kampala, which contains very poor housing, referred to by its inhabitants as the “slum”, and into a fairly rural area with lower density and better housing. Like most African towns Mulago has a heterogeneous population of approximately 25 tribes, compared to Gutkind who estimated 31 tribes. They are mostly of recent origin in town; the average length extending from 5-10 years, except the Ganda, who are often born there or have spent considerable periods of their urban life in Kampala. In comparison to areas like Kisenyi or Kibuli the impact of cultural diversity is somewhat reduced, as the tribes in Mulago are predominantly from the Western Region, including Rwanda. Nevertheless the Ganda (42.1%) constitute the largest single group. Though there is a distinct economic and cultural cleavage between the Ganda and the migrant people of nonBantu origin, the latter are so few as almost to discount its sociological significance, in Mulago at least. This small enclave of people are the Speakers of Nilotic, Nilo-Hamitic (or Para-Nilotic) and Sudanic languages and include the Luo (2.9%) , Teso, Acholi, Lugbara, and Madi. In Mulago the significant division is between the Ganda and other Bantu Speakers. The differences are less cultural than economic. Land- and house owner ship, better education and easier access to better Jobs put the Ganda at a great advantage in relation to the non-Ganda for acquiring wealth and Status inside the urban social System. There are, however, slight indications that the nonGanda are successful in minimising the existing gaps. A survey of owner-ship of business enterprises still VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint) reveals the dominance of the Ganda (60 as against 40 per cent), which is especially obvious in their ownership of the larger and better stocked shops and European styled beer bars, but it also indicates the desire of the non-Ganda to become economically equal. Many of the Kiga assessed their economic opportunities quite favourably since they noticed greater equality of chances since the 1966 revolution. Ganda still own nearly three times as many houses as non-Ganda, who may be more likely to lack the capital needed for construction or simply to prefer not to settle permanently in town and to invest their capital in their places of birth. Nevertheless the migrants have become quite conscious of improving their educational and occupational Standards. Although economic inequalities between heterogeneous groups are bound to lead to considerable tensions and open conflict, the degree of open tribal strife in Mulago is relatively low. A more important reaction appears to be the displacement of aggression in the form of privately expressed tribal prejudices; the greatest social distance again being observed between Bantu and the non-Bantu minority. The Economic Situation in Mulago Economically Mulago represents one of the poorer sections of Kampala, as the majority of the population are employed in unskilled, skilled as well as lower grade clerical Jobs2. As a result of the Stagnation of Uganda‘s economy in the years between 1958 to 1963 (Uganda Enumeration of Employees 1967), Job opportunities are outstripped by demand and are heavily competed for. Because of rising aspirations and expectations of life style, a considerable decrease of “target working” has been noted. The tendency is to-wards a combination of permanent wage employment supplemented by agricultural production, performed mostly by the female members of the family and/or paid labourers in the rural areas; either on a subsistence level or if possible by cash-crop production. Although this has led to greater stability in the length of residence in town, the rising unemployment poses serious problems. Most of the jobless belong to the younger age group, who have had better education and whose aspirations for a white collar Job are easily frustrated, while the expectations of their kin in the rural area are unrealistically high. As a consequence many a migrant delays his return home out of fear of being ridiculed curare 31(2008)2+3 131 by his fellow tribesmen for his apparent failure in the light of other’s successes. It would not be surprising to find that this constant frustration and relative deprivation turn them into a Potential danger to the person and property of the more successful inhabitants in the Community. A statistical survey suggests that this may be so: it shows that Mulago has the highest crime rate inside Kampala3, though Kisenyi is generally considered to be the centre of thieves and prostitutes. The Situation of the Family in Mulago The economic problems are connected with and mainly the cause of family problems. In many cases extremely low wages prohibit the establishment and/ or maintenance of a family in town. The bulk of wages lies between 100 to 300 shs, which is hardly enough to eke out a living and support a wife and children in town4. Although more than half of the men state that they are married, many wives live either for a short temporary time with their husbands in town or entirely in the rural area, the Ganda being a frequent exception. The men who live with their wives in town for the most part have a better paid Job with more skill and show a greater tendency to spend most of their lives in town, provided they keep their Jobs. No precise figure can be given on this for the whole of Mulago, be-cause the actual composition of the family, which is very fluid, can only be properly understood by consecutive surveys over a considerable period of time. However, of the married male Kiga migrants in Mulago a survey reveals that 60.8% never have their wives with them in town, 11.1% have their wives commute between country and town and 28.1% have wives who live with their husbands in town for substantially longer periods at a time. The prolonged Separation of families causes substantial conflict since it puts a great number of men in a quasi-single Status for a long time. Apart from the practical disadvantages of having to do housework, washing, cooking etc. - the psychological consequences of lacking the warmth and comfort of a home and regular sexual satisfaction may even be greater. As compensation for their psychological as well as their material needs many migrants take a mistress during various periods in their town career. Due to the imbalanced sex ratio in most migrant ethnic groups, the mistresses tend to be drawn from different ethnic groups and are called harlots or malaya. These liaisons Ute Luig 132 last various lengths of time. The majority of the older married men tend to prefer occasional relations for a short period, while the unattached younger men often have longer lasting unions. People who retain “traditional” views on the Status of women, such as the Luo, Riga and those from northern Uganda, do not consider women in town adequate for marriage due to what are interpret-ed as their loose morals and relentless pleasure seeking, and to the fact that such unions can be broken off at any time at the convenience of the partners. The great number of matrifocal families gives ample proof that such unions are very unstable. They are especially widespread among the Ganda, the women mostly supporting one to two children on their own. Although urban sex codes may be less rigid than those in rural areas, illegitimacy is to a certain degree frowned upon, though less so among Ganda, Toro and Haya. One might be justified in comparing the attitudes most of the younger men in Mulago display towards sex, violence and alcoholism with a behavioural pattern commonly termed “machismo” in Latin Ameri can studies. In Mulago “machismo” is more based on one‘s sexual conquests and number of girlfriends. These values are expressed and reinforced by peer groups or gangs. In the absence of satisfactory family ties, such personal relation-ships are of great importance. These can be manifested in close ties with all sorts of kin, in feelings of brotherhood extended to unrelated members of the same or culturally similar tribes and in longstanding friendship and neighbourhood ties. Because mutual economic aid occurs within such relationships they are considered a main safeguard against the permanent insecurity of town, especially by the people of the lower occupational strata. They are even more important when there are no established voluntary associations to resort to in times of need, as in the special case of the Kiga in Mulago. The sphere of activities within the Kiga peer group revolves around the beer parties, which are focal points of social gatherings. They provide an alternative urban prestige System to that which rests on such formal properties as educational level and type of Job. Peer groups are predominantly ethnocentric and so have this extra basis of solidarity. They therefore alleviate the feelings of insecurity and unfamiliarity with an alien environment. These beer parties make the participants temporarily equal, bringing the less and more successful into harmony and so minimising the antagonisms caused by educational and economic inequal- ity. Here, conflict and tension concerning the Community are discussed, measures decided and the deviants brought back to adherence to Kiga norms. Hence the main function of these beer groups is to preserve one‘s personal and ethnic identity which, as we have seen, is exposed to considerable threats from outside as well as from within the Community. Thus it is not at all surprising that the security of long established friendship ties found in the neighbourhood are considered more valuable and are sought after more than the physical comfort of better houses. Although 73% of Kiga residents ranked Mulago next to the last in comparison with other areas of Kampala, only a minority was willing to move to better houses if opportunities arose and economic conditions were favourable (cf. Marris:1961). This suggests that most of the Kiga in the lower occupational strata who are likely to be found in Mulago see a greater Chance for economic and psychological security through ethnic group loyalty as compared to individual achievement. Definition of Sorcery Despite apparently multiple causes of strain and anxiety, relatively little overt conflict was observed in the community, except for occasional fighting at beer parties and cases of theft, which often result in the thief being beaten to death. However, several case studies suggest that some conflicts are dealt with by “supernatural means” where no alternative direct sanctions are available. In this paper sorcery is to be understood according to the distinction Evans-Pritchard has drawn between witchcraft and sorcery (1937). The main difference is that sorcerers use medicine (material substances) combined with a magical formula “to harm those against whom they bear ill will” (Middleton & Winter: 1963), while witchcraft is understood as a mystical and innate power. In this paper a further distinction is made between sorcery and magic, the criterion of “sorcery” as “destructive magic” or as I would prefer to say “aggressive magic”, medicines used for personal gain and for protection are enumerated under the more neutral term of “magic”. The most frequently used objects in the latter category are charms to acquire or keep a Job, and various love potions, used for securing a lover or for continuing the relationship. Of these magical measures are proved ineffective recourse is mostly taken to sorcery. The Kiga word for sorcery is oburogo, which, VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint) following Beattie, is to “injure somebody by the frequent use of harmful substances or techniques” (Beattie 1963: 29) . There are different techniques of oburogo; the one most commonly used among the Kiga as well as among the Nyoro seems to be poisoning5. The Nature of Misfortunes in Town In the course of the research, however, no clear-cut distinction was reached as to which particular types of misfortunes were attributed to sorcery, witchcraft or ancestor spirits (mizimu). Traditional beliefs continue to be held and there is a general readiness to apply “proven” methods or those with a reputation for being superior. Thus the following list of misfortunes is not distinguished according to the methods applied but only suggests frequency of occurrence, whereas the case studies referred to are limited to those which were attributed to sorcery. In order of reported fre quency, the following misfortunes were experiences by my informants: Mental Illness (27), lack of Jobs (18), body swelling (15), barren-ness (14), impotence (11), stomach trouble (11), loss of Jobs (7), failure of business (7), and death caused through traffic accidents (6). Although some Kiga informants conceded that in some cases natural causes could have been responsible, too, they insisted that mental illness, loss of Jobs or failure in business and especially death caused through traffic accidents are nearly exclusively effects of witchcraft or sorcery. This reveals a tendency to explain and treat situations or events, which are characteristic of urban circumstances, by traditionally known means and remedies. A presumption that this might only be the case until other explanations and methods have been learnt or adopted by longer urban residence appears unjustified, as many of the victims reported considerable (up to 1o years) length of residence in town. Thus the use of accusations of witchcraft and sorcery appears to be one of a number of dimensions of a cultural and social continuum between African towns and their surrounding countryside; a more obvious and better known example is the close network relationship many labour migrants have built up between their home villages and the towns. Structural Aspects of Accusations of Sorcery In Mulago accusations of sorcery mainly express two types of conflict, resulting from sexual and economic curare 31(2008)2+3 133 competition. The relationship, which is most frequently disrupted by accusations of sorcery, is the one between “harlots” and their lovers. Although in most cases the accusation is levelled by the lover against his former girlfriend, the underlying tension arises out of the competition among the women themselves, either between a husband‘s wife and his “harlot” or between several of his girlfriends. Due to the great importance Mulago’s men attach to “machismo”, most wives, especially those living temporarily in the villages, constantly fear that their husbands may take a harlot. That only two instances of accusations of sorcery were recorded is to be explained by the carefulness most men display to conceal these relationships when their wives come to town6. Although sexual jea-lousy has a part to play, the desire for securing economic support for themselves and their children appears to be dominant for most wives. Thus the Situation seems to be an “urban Variation” of the conflict between co-wives, as the economic conditions in town hinder the establishment of polygamous marriages. Yet in cases where such marriages exist accusations of sorcery are used as a means to re-solve conflict, as two examples show. Thus Mitchell’s conclusion (1960:196) that “in the face of a large majority of foreigners, the family is essentially a tightly integrated co-operative group“ and that acts of hostility and aggression are expected from outside forces of the larger society, should be treated cautiously. I would rather suggest that the anxiety to ensure education for one’s own children—in town as well as in rural areas—seems to be much more dominant than a postulated feeling of family cohesion and obligations to solidarity. In the relation to the sex ratio in Mulago, which is fairly balanced, the heavy competition among “the harlots“ is unexpected. Thus others than demographic factors have to be considered responsible. As in the case of conflicts among “co-wives“ economic motivation is again prominent, although sexual jealousy should not be underestimated. Regarding the insecure social position of the women in town, which is exposed to continuous hazards, the reason becomes at once obvious. Of the 39% unattached women only 55% have a Job; the average wage level does not exceed 5o to 100 Shs, which forces them to look for economic support elsewhere. As housing is scarce and difficult to get, notwithstanding the relatively high rent (20-30 Shs), the anxiety for securing a more or less permanent supporter becomes evident. Furthermore, the in- 134 dependence of the women in the rural areas—based on trade of surplus crops in the market—is reached only by a few of the women in town, since most of them do not have enough capital to Start trading or to make a living by brewing beer. Thus a considerable number of women, especially those of migrant tribes having severed ties with their kin in the country, have only to choose between various types of Prostitution of finding a more permanent partner in a lover relationship. Since the severance of ties with the rural areas are frequently caused by expectation of a better Standard of living, resulting frustrations and hence feelings of aggression are made manifest. In accordance with the heavy economic competition already mentioned above, relationships between co-workers are also frequently disrupted by accusations of sorcery. Envy, ambition to outdo one’s rival, as well as limited opportunities for success were found to be the main claimed motives, which induce co-workers to use sorcery against each other. In many cases long series of quarrels and false denunciations preceded the accusations, which were only made when the individual’s self-interest was fundamentally threatened. This Situation was brought about, if sexual rivalries in additions to economic competition reinforced tension. As in traditional situations of conflict the accusation of sorcery was used as the only means to achieve catharsis in the relationship, as geographical mobility due to scarcity of Jobs was made impossible. The presumption, however, that geographical mobility would occur if feasible, needs cautious consideration, as in cases involving harlots and their lovers geographical mobility took place only after the actual occurrence of a misfortune. A possible explanation may be the interwoven network of relationships of the Riga in Mulago, which accounts for their reluctance to give up local ties. Tribal prejudices play a viable part in the accusations of sorcery between workmates, since they mostly involve members of different tribes, with charges of nepotism frequently being thought of as the main motive. The greater frequency of accusations between the Riga and the Ganda reflects their greater likelihood of competition; not only do the Ganda outnumber other tribes statistically but are also to be found more often in the position of better Jobs. It would, however, be false to conclude that solidarity to one‘s own tribe prohibits the use of sorcery among its members in town, such as when many Riga beer brewers constantly complained about their beer being charmed. It is however suggested that this is a more frequent occurrence Ute Luig among the „aspiring“ who actively seek social mobility and who pay adherence to these values only by lip service. In case of the beer brewers this conclusion is not entirely unjustified, since many of them belong to the more prosperous people, who often own houses or even their own businesses. Compared to the knowledge we have about accusations of witchcraft and sorcery in rural areas, the near total absence of accusations of sorcery between relatives in Mulago is striking, although not entirely unexpected7. The importance and solidarity of kinship ties in town and their artificial creation in case of non-available kin are too complex to be satisfactorily evaluated by one type of behaviour, as with increasing economic differentiation kinship attitudes under-go modification. Thus in cases of greater economic security and in-dependence kinship ties tend to be less intimate, which can be interpreted as a preventive method to avoid undue dependency on family resources. >>>>>AMAND hier irgendwo die Tabelle (welche bitte???) Considering the very dense housing conditions prevailing in Mulago by which privacy is limited to an absolute minimum, conflict between neighbours was relatively seldom and accusations of sorcery insignificant. If conflict arose, it was either resolved by open quarrel, intervention of the muluka-chief and in very serious cases by leaving the area. In general, however, harmonious relationships seemed to be widely spread and close co-operation genuine. This was as much the case among the small nuclei of tribal clusters, being spread all over Mulago, and resulting from the informal influence tenants exercised in allotment of rooms, as among the tribally mixed neighbourhoods. Besides being based on sympathy and mutual understanding the motive for holding together often resulted from the ever present fear of thieves and robbers. Furthermore, as the main objects for competition, such as securing Jobs of promotion, are closely connected with the socio-economic structure of town and thus beyond the direct influence of kin, neighbours or friends, possible conflicts are minimised. The importance of this argument can be judged from the tension-ridden atmosphere among the harlots in Mulago, as their „objects of competition“ are close at hand and exposed to all kinds of influence. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint) Functional Aspects of Accusations of Sorcery As Middleton and Winter pointed out (1963: 13), sorcery seems to be “an inevitable weapon of the weak, the downtrodden, the poor and the envious”. In town the use of magic and sorcery is believed to become instrumental in securing either a better position and/or in defending their rights. Consequently, the victims are more liable to be found among the successful minority which has succeeded in town. Most of these socially mobile men are either clerks or in other clerical and skilled positions, with an above level of education. However, that the successful ones are envied and particularly prone to be bewitched, is common for most African societies. The Riga being a traditionally segmentary society (Edel 1957) can at least be expected to have ambiguous feelings towards any deviation from the concept of egalitarianism. This was supported by the difficulties, imagined or real ones, which many of my in-formants with advanced education encountered in their native villages. But the feeling of egalitarianism is not limited to the economic sphere alone but becomes operational on all levels of social life. Although generosity at beer parties, boasting of sexual con-quests and fashionable appearance are central values in Riga group like in Mulago, aggrandisement of any kind leads to distrust and ambiguity and can result in the use of sorcery to re-establish the Status quo inside the group. Hearing these consequences in mind the individual tends to be careful to subject himself to social norms in order not to become a target. Hence the mere possibility of sorcery, if reinforced by casual application, can be a means of social control. Especially in the absence or incompleteness of family councils in town belief in sorcery becomes instrumental in bringing deviants back to conform to socially accepted behaviour. This was amply demonstrated by the cases where harlots attacked their lover‘s wife or children, as with only one exception the harlots were forsaken by their lovers in order to restore proper family relation-ships. Furthermore, in a Situation of economic conflict, belief in and threats of sorcery can be successfully used to minimise emerging differences by constraining conspicuous consumption and eventually directing a more equitable distribution of resources. Insofar as aggression is directed against people belonging to a higher economic stratum but still to the same class (using class in the Marxist sense of a group of people having the same relation-ship to the means of curare 31(2008)2+3 135 production) , beliefs in sorcery stabilize and conserve the Status quo: They enable aggression to be projected onto „equals“; and they thereby temporarily disrupt but do not seriously threaten the overall social System. Psychologically, the belief in sorcery allows self-justification in case of failure which is important since institutionalised means for shrugging off failure are non-existent in Mulago. The harlots seem to be a case in point, as it is especially their weak social and economic position which exposes them as scapegoats. Their observable envy and revenge is thought to derive from their low position, and may be condemned by others in self-justification8. Through extra-punitive measures the individual is thus capable of projecting his failures onto others, thus preserving his sense of identity which enables him to redefine his position in the urban social System and remain competitive therein. (cf. Jahoda 1966:199-200 and Lloyd: 1966). This is an effective mechanism because only a few can successfully realize their aspirations in this Situation of limited resources. Conclusion and Summary The data presented so far confirm Mitchell’s hypothesis (1960: 201) that accusations of sorcery are closely linked to co-operative enterprises, “where interaction is intimate, competitive and tense”. It was shown that this resulted from the economic conditions in Kampala and the type of social relationships found in Mulago. As the attainment of a higher Standard of living is the primary incentive for most migrants, economic competition is automatically determined as the most important source of possible conflicts among them. Even in those relationships, which seem to be based on other than economic interests, namely sexual interests, the economic element cannot be overlooked. I would therefore argue that due to the insecurity and instability that characterises life in Kampala, the search for economic security has penetrated all spheres of life, sub-ordinating other conflicts to the basic economic one. The difference in the type of social relationships in town, com-pared to the rural areas, seems to provide an explanation for the fact that accusations of sorcery in town are apparently limited to few types of relationships. The heterogeneity of Mulago’s Ute Luig 136 population, the strangeness of its environment and the impersonal atmosphere impede intimate inter action with a greater circle of people and leads to rather superficial and uncommitted relationships. With the extension and differentiation of the individual‘s social network in town, greater selection in determining the type and intimacy of a relationship is rendered feasible. Thus by means of geographical mobility, residential distance and temporary limitations of relationships, possible conflict can be avoided. Where interactions are close and emotionally toned, as is the case with kin, friends and neighbours, they are based on mutual assistance and solidarity in the face of common difficulties and are therefore less prone to be disrupted by serious conflicts. If however conflicts and hostility occur, they are more likely to be expressed openly, which allows for retributive action, since tribal mores provide no regulation for situations of conflict between strangers, whereas in rural areas people frame their conflicts in accusations of sorcery because they are prohibited by social norms to express their hostility openly. However, the occurrence of accusations of sorcery between strangers in ethnically mixed work groups suggests that, even in the absence of clearly defined customary mores, sorcery can be used as a weapon in ‚new‘ situations provided the underlying conflicts are similar to those experienced in the rural areas. Thus the use of accusations of sorcery in town as a means to express conflict seems to be dependent on two factors: – That the object of competition is open to the influence and manipulation of the competitors, who are assumed to evaluate the object highly – That the relationships between the competitors is tense and emotionally toned and cannot be resolved by other, institutionalised as well as noninstitutionalised means. Anmerkung der Redaktion * Notes 1. Research was carried out in Mulago during an 18 months’ period between 1968-1970, being made possible by a German Government grant , and focused mainly on family and urbanization problems among the Kiga. The data concerning Mulago 2. 3. 4. 5. 6. 7. as a Community are the result of a brief survey which was designed to enable comparison with Southall & Gutkind’s data (1957), and are therefore limited in scope. When the greater part of the paper is devoted to the Situation of the Kiga, it is due to a more intimate knowledge of their problems. For simplification the classification of Jobs was reduced to three categories, thus differing from the one used by Southall and Gutkind. Skilled is here understood to apply on the Job, e.g. driver, carpenter; unskilled is used to classify those Jobs for which no special knowledge is required, e.g. watchman, sweeper; clerical may refer to typists and secretaries as well as the large number of ordinary clerks who have received no formal training but who are literate. The relativity of this statement should be borne in mind in view of the tendency of crime statistics to be understated and the approximate estimate of population figures. Oral Communication from Mr. Dan Abbot, Wisconsin. All figures refer to 1968 when not stated otherwise. Note the dose similarities between Kiga and Nyoro beliefs in sorcery corresponding to their mutually intelligible language. Furthermore, a tendency was noted to resolve this problem rather by physical violence, either between wife and harlot or between husband and wife, than by accusations of sorcery, which apparently were only used, if no satisfactory solution for either party could be reached. Similar findings were reported by La Fontaine for Leopoldville where accusations of sorcery were less frequent among relatives in town than between relatives in town and in the countryside. Furthermore, this reflects the ambiguous attitude most men display toward the harlots. Although they are indispensable in the circumstances of town, the consumption of money, which they induce distinctly conceived as a threat to the improvement of the Standard of life of one’s own family, which for many is the ultimate reason for coming to town. References Beattie J. 1963. Sorcery in Bunyoro. In Middleton J. &Winter E.H. (ed), op. cit.: xy Edel E. 1957. The Kiga. Oxford. Evans-Pritchard E. E. 1937. Witchcraft, Oracles and Magic among the Azande. Oxford. Fortes M. & Dieterlen G. (eds) 196x. African System of Thought. Oxford. Jahoda G. 1966. Social Aspirations, Magic and Witchcraft in Ghana. In Lloyd P.C. (ed), op. cit.: xy La Fontaine J.S. 1970. City Politics, a Study of Leopoldville 196263. Cambridge. Lloyd P.C. (ed.) 1966. The New Elites of Tropical Africa. Oxford. Harris P. 1961. Family and Social Change in an African City. London. Marwick M. 1952. The Social Context of Cewa Witch Beliefs. Africa XX 2, 3: xy. ––––– 1965. Sorcery in its Social Setting. New York. Middleton J. & Winter E.H. 1963. Witchcraft and Sorcery in East Africa. London. Mitchell J.C. 1956. The Yao Village. Manchester. –––––196x. The Meaning of Misfortune for Urban Africans. In M. Fortes- M & Dieterlen G. (eds), op. cit.: xy O’Connor & Semugooma 1968. The Peripheral Zones of Kampala. Occasional Paper Nr. 8. Kampala: Dept. of Geography, Makerere Univ. College. Southall A. & Gutkind M. 1957. Townsmen in the Making. Kampala. Turner V.1957. Schism and Continuity in an African Society. Manchester. VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint) Autor mit Foto / Ich mache ggf. einen kleinen, warum ich den Artikel ausgesucht habe. Ute Luig, Text fehlt hier noch curare 31(2008)2+3 137 Berichte / Reports 139 Berichte / Reports Reproduktionsmedizin bei Muslimen: Religiöse und säkulare Ethiken im Widerstreit?“ Tagung am 20. Juni 2008 in Tübingen Das Orientalisches Seminar der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen veranstaltete in Kooperation mit dem Interfakultären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität und dem Heidelberger Centrum für Euro-Asiatische Studien e. V. (HECEAS) unter der Leitung von Dr. Thomas Eich diesen Studientag. Im Einführungsreferat „Islamische Medizinethik: Geschichte, Perspektiven und Herausforderungen“ schilderte der Islamwissenschaftler Thomas Eich den Beginn der Diskussion und die Entstehung erster Studien zu diesem Themenbereich zum Ende der 80er/Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Fragen der Bioethik werden mit dem Beginn der Islamisierung (Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts) auch innerislamisch stärker thematisiert; eine Vorreiterstellung kommt hier den Islamic Fiqh Academies zu. Der Beweggrund ist der Wunsch und das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung des islamischen Rechts im Angesicht weltweiter Entwicklungen. Beispielsweise seien das Problem der Krankenversicherung in Ägypten und die Bekämpfung der Hepatitis C ein sehr starkes Thema, das allerdings nicht so sehr auf Interesse bei Publikationsmöglichkeiten in Verlagen und etablierten wissenschaftlichen Zeitschriften treffen würde. Ab Beginn der 90er Jahre kann ein stärkeres Interesse bei Medizinethnologen festgestellt werden, mit dem Fokus auf eher traditionelle Heilmethoden. Die breite multireligiöse Diskussion international in den 90er und 2000er Jahren, ausgelöst und angeführt durch die Gen-/Klon-Debatten führt zu einer systematischen Einholung von Stellungnahmen außerhalb der etablierten Kirchen. Die globalen bzw. globalisierten Fragen dieser Themenbereiche schafft als neues Problem das „Gesetzes-Shopping“. Das National Bioethics Committee der UNGSCO, gegründet 1993, beansprucht die Förderung des Bereiches der Unterrichtung muslimischer Medizinethik, trägt aber, so Thomas Eich, nicht unbedingt dazu bei, den Berufsweg derjenigen zu fördern, die sich wissenschaftlich damit befassen: „“Interdisziplinarität curare 30(2007)2+3: 235- ist in Deutschland offenbar ein Karrierekiller“, so seine Aussage. Die Ethnologin Constanze Weigl, M.A., vom Süd-Asien-Institut der Universität Heidelberg befasste sich in ihrem Beitrag mit der Fragestellung: „Welche Faktoren beeinflussen indische Musliminnen bei Entscheidungen über Geburtenkontrolle und Abtreibung?“. Sie führte ein damit, dass indo-nationalistische Kritiker gerne gegen die muslimische Polygamie polemisieren würden. Ihre Feldforschung führte sie in dem kleinen alten Dorf Nizamuddin Basti durch. Die Bevölkerung dort setzte sich zusammen aus einer mehrheitlich sunnitischen, recht heterogenen Gemeinschaft aus ruralen Migranten. Sie hat „unstrukturierte Interviews“ mit 40 Frauen durchgeführt. Diese Frauen kamen aus Uttar Pradesh und Bengalen, waren großenteils Analphabeten, ihr Durchschnittsalter betrug 34 Jahre, es gab einige Verheiratete darunter. Die Benutzung von kontrazeptiven Methoden und die Durchführung von Abtreibungen hängen von folgenden Faktoren ab: – dem Gesundheitszustand der Frauen – den Familienplanungsprogrammen der indischen Regierung – der liberalen Gesetzgebung in Bezug auf Abtreibung. Breit bekannt seien Kondome, Pille, IUD (Intra-Uterin-Spirale), die Anwendung jedoch schwierig wegen der islamischen Vorschriften. Bevorzugte Anwendung finden pflanzliche Methoden, die Temperaturmethode und die Abtreibungspille (insbesondere nach einer Vergewaltigung); letztere stelle kein allzu großes „moralisches“ Problem dar. Soziokulturelle Praktiken, die die Geburtenkontrolle erschweren, sind die Tatsache, dass das Ansehen der Frau von ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau abhängig sei und Söhne insgesamt bevorzugt würden. Weigl merkte an, dass alle der von ihr befragten Frauen mehr Kinder haben, als sie eigentlich wollten. Die Meinungsvielfalt innerhalb der indischen ulema (Rechtsgelehrte) bezüglich der Zulässigkeit von Empfängnisverhütung und Abtreibung sei do- 140 miniert von konservativ-religiösen Stellungnahmen in Bezug auf reproduktive Gesundheit. Abtreibung wird in ihren Augen als Sünde betrachtet, aber dennoch aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt und versucht, religiös zu legitimieren. Die Kinderzahl liegt heute durchschnittlich bei etwa zwei bis drei Kindern. Die Informationen über Verhütungsmethoden erhalte frau durch die Informationen von Nichtregierungsorganisationen in der Stadt, die teilweise eine sehr aggressive Informationspolitik betreiben würden. Unter den untersuchten Frauen gab es ein sehr starkes Schamgefühl, man spricht nicht darüber, die Thematik gelte als „illegal“; hier macht sich offenbar ein starker Einfluss der HinduTradition bemerkbar, die ausgesprochen restriktiv und prüde in der Thematisierung sexueller Themen sei. Die Sterilisation wird insbesondere von Männern nicht akzeptiert. Die indischen Medien würden für Empfängnisverhütung werben, zwischen en Filmen, und sehr deutlich und freizügig. Im Bereich der Empfängnis-Verhütung steht auch bei den untersuchten Musliminnen die Rezeption des ayurvedischen „Heiß-Kalt“-Konzeptes im Vordergrund, vor welchem die Pille sehr abgelehnt würde, weil es heißt, sie löse bei Frauen „Hitze“ aus. Der Islamwissenschaftler Björn Bentlage von der Universität Bochum befasste sich mit dem Thema „Abtreibung in Ägypten zwischen säkularem und islamischem Recht“. Der § 262 würde die Abtreibung verbieten, bei Strafe für die schwangere Frau und den durchführenden Arzt. Allerdings würde der § 62 (Notwehr; Abwehr von Gefahr im Verzug) die medizinische Indikation erlauben. Der hohe Wert des Lebensschutzes komme aus der islamischen Beseelungslehre; dennoch wird Abtreibung nie als „Mord“ gewertet, weil der Embryo nach islamischer Auffassung nie als vollwertiges, vollbeseeltes Menschenwesen gilt. Zugleich bewege sich der Abtreibungsdiskurs zwischen folgenden Polen: Die Abtreibung unterlaufe die öffentliche Moral, es käme zu einer „Zerstörung des Islam durch den Westen“ und eine allgemeine Zerstörung der Sexualmoral. Seit 1997 gäbe es Tendenzen im islamischen Recht, die Abtreibung differenzierter und liberaler zu diskutieren; zugleich entdeckten islamische Aktivisten dieses Thema für sich und nutzen es gezielt für politische Propaganda. Die weibliche Genitalverstümmelung habe ebenfalls einen hohen Streitwert; islamische Aktivisten bezeichnen die Forderung nach ihrer Abschaffung bzw. ihrem Berichte / Reports Verbot als „Angriff auf islamische Werte“. Der “National Council of Women and Children” (NCWC), dem hochrangige Minister sowie die Frau des ägyptischen Präsidenten angehöre, wird von ihnen als „Rat der Ladies“ beschimpft. Der NCWC arbeitet mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Eine Kampagne habe der Tod eines Mädchens ausgelöst, welches durch eine zu hohe Betäubungsdosis bei der Beschneidung starb. – Die Verfassung von 1981 hat die Scharia (islamisches Religionsrecht) als maßgebliche erste Rechtsquelle gesetzt, der alles unterzuordnen ist. Prozesse und Diskussionen hierüber lösten eine Fatwa-Flut aus. Die Ärztekammer hat in Ägypten eine „Mittlerfunktion“ zwischen säkularen und religiösen Institutionen. Den Medien kam in den letzten Jahre eine immer stärkere eigenständige Rolle zu, insbesondere bei Kampagnen gegen die weibliche Genitalverstümmelung und die Abtreibung. Insbesondere ägyptische Produktionen widmen sich diesen Themen in TV und Film, um ein breites Publikum zu erreichen und erlangen auch eine sehr starke Resonanz in der Bevölkerung. Zu nennen seien die Verfilmung der Schnulze „Das Haus Ja’kūbiān“ des Schriftstellers al-Aswānĭ aus Chicago, „’an al-’išq wa-l-hawā“ (Über Liebe und Leidenschaft) und „`ulya qadĭyat ra’y ’āmm“ (Google-Video, „Das höchste Urteil zur öffent lichen Meinung“). Es gibt eine lebhafte Diskussion in Ägypten darüber, ob die Abtreibungspille zugelassen werden soll oder nicht. Die Ethnologin Viola Hörbst von der Universität München berichtete über „Männliche Unfruchtbarkeit in Mali zwischen Mufti, Heiler und Mediziner“, wo sie in einer Privatklinik in Bamako ihre Forschungen durchgeführt hat. Kinder haben sei in Mali bis heute sozio-kulturell sehr wichtig, der Brautpreis müsse sich schließlich rentieren. Typische Anspielung der Mütter bzw. Schwiegermütter gegenüber den nicht schwangeren bzw. kinderlos bleibenden Frauen ihrer Söhne seien: „Mein Sohn schläft mit einem Mann“. Die Spermienuntersuchung des Mannes wird abgelehnt. Männliche Unfruchtbarkeit kann „geheilt“ werden dadurch, dass der jüngere Bruder des Ehemannes die Frau möglichst diskret schwängert. Damit bleiben die Verwandschaftsgrade erhalten, man schweigt sich aus Respekt darüber untereinander aus. Die Klinik von Dr. M. in Bamako führt homologe Inseminationen durch. Assistierte Reproduktionstechniken sind unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt; die kathoVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Berichte / Reports lische Organisation „Donum Vitae“ hat in Bamako eine Vergleichsstudie dazu durchgeführt bzw. religiös-ethische Richtlinien verschiedener religiöser Systeme gesammelt und im Internet veröffentlicht. Dorther habe Dr. M. seine Richtlinien, das Internet ist eine wichtige Informationsquelle für ihn. Dr. M. experimentiert in seiner Klinik seit fünf Jahren mit der In-Vitro-Fertilisation. Eine Eizellen-Spende gilt als weniger problematisch als eine Spermienspende. Wichtig: Es muss das eigene (genetisch eigene!) Kind sein! Bioethische Dilemmata spiegeln Konflikte zwischen religiöser Norm und sozialer Realität wider. Viele Frauen beginnen inzwischen damit zu argumentieren, dass auch Kinderlosigkeit Gottes Wille sei. Der wachsende Einfluss islamischer Akteure auf Gesetzesentwürfe in Mali mache sich deutlich bemerkbar. Der Anteil der Entwicklungshilfe durch Nichtregierungsorganisationen beträgt in Mali derzeit etwa 25-29%. Der Politologe Prof. Thomas Banchoff von der Georgetown University in Washington, D.C., bezeichnete in seinem Beitrag “Medical Ethics in religious and secular debates—a comparative approach” die geführte Diskussion als einen politischen Streit über die Stammzelldebatte, die seiner Meinung nach vor allem die Frage nach der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers aufwerfe. Die technischen Möglichkeiten der Reproduktionsforschung gäbe es vor allem in den atlantischen Staaten und der BRD. Als Leiter eines Centers für „Religion und Weltpolitik“ in Washington, D.C., forscht er insbesondere darüber, inwieweit sich Gottes Wille in allen Lebensbereichen niederschlägt und eine Rolle spielt und konzentriert sich dabei auf die sogenannten „abrahamischen Religionen“ (Judentum, Christentum, Islam). Die Neuzeit habe die Trennung von Kirche und Staat vorangetrieben. Der Anspruch auf den „Schutz menschlichen Lebens“ stehe im Konflikt mit demjenigen der „Verminderung menschlichen Leidens“. Säkulare Institutionen seien legitimier- und attackierbar ohne religiösen Rückbezug und Rahmen. Der Biologe und Philosoph Dr. Thomas Potthast vom Interdisziplinären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Tübingen, hatte das Schlusswort dieser Tagung. Er ist Verfasser einer neuen Schrift zur „Beseelungslehre“ im Vergleich. Hierbei spielt der Begriff des Widerstreits nach Francois Lyotard eine zentrale Rolle (Nicht-Kommunizierbarkeit und Inkommensurabilität, sprich: Unverträglichkeit). curare 31(2008)2+3 141 Potthast betonte die Notwendigkeit von Mikrostudien zu diesen Fragestellungen. Das Problem sei, man sagt „Kultur“, meint aber „Religion“, und umgekehrt. Zentrale Fragen und Anliegen sind seiner Meinung nach: Wie kann man den Blick schärfen für die Grundlagen der Diskussion um Religion und Säkularität? Welche Auswirkungen hat der faktische religiöse Pluralismus auf die Normsetzung? Dies sei ein moralisches Dilemma und erfordere mehr vergleichende Studien zu bioethischen und moralischen Fragen. Ein zentraler Fokus auf Empirie sei absolut notwendig. Potthast problematisierte den hohen moralischen Anspruch der Ethiker in ihren Debatten, deren Zielsetzung aber nicht immer klar sei, und drängte zum Hinterfragen der theoretischen Voraussetzungen. Assia Maria Harwazinski, Tübingen Weitere Berichte vorgesehen DTG Berlin 2007 AG Medanth Berlin 2007 AMADES Aix 2007 142 Berichte / Reports VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Buchbesprechungen / Book Reviews 143 Buchbesprechungen / Book Reviews Wohlfart Ernestine & Zaumseil Manfred (Hg) 2006. Transkulturelle Psychiatrie – Interkulturelle Psychotherapie.Interdisziplinäre Theorie und Praxis. Heidelberg: Springer Medizin Vlg., 434 S., gebunden. ISBN 978-3-540-32775-2 Von diesem umfangreichen, 14 Bände umfassenden Werk verspricht die Anzeige des Verlages, welcher es im September 2006 ausgeliefert hat, dass „Autoren aus Ethnologie, Anthropologie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften“ mit seiner Hilfe „der transkulturellen Psychiatrie und Psychologie ein Gesicht“ verliehen. Dazu paraphrasiert das Vorwort, das Buch werde – nach einem unbelegten Zitat von Erich Wulff – die vorgenannten beiden Forschungsund Arbeitsrichtlinien „aus einem wissenschaft lichen Niemandsland und Grenzbereich herausholen“ (V, 1). Achtzehn der Autoren, die sich hierin unterfangen, sind Deutsche, komplettiert durch drei Franzosen und je einen Autor aus Österreich, der Türkei, den USA, Kanada und dem Senegal. Die Herausgeberin ist promovierte Ärztin, tätig am „Zentrum für interkulturelle Psychiatrie, Psychotherapie und Supervision“ (ZIPP) der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin, der Herausgeber Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der FU Berlin und lehrt dort Klinische Psychologie und Gesundheitsförderung. Die – römisch paginierte – Einführung vergleicht die Lektüre des Buches mit einer Reise, von der man „angeregt und interessiert zurückkehren“ möge, nachdem man Einsicht in die – anders als bisher – „gegenwärtig in den kulturwissenschaftlichen Disziplinen entwickelte Konzeption von Transkulturalität“ (XV, letzter Abs.) gewonnen und deren „interdisziplinäre Sprache“ und „eigene Idiomatik“ (XVI) verstanden habe. Zuletzt wird dort auf eine Internetadresse verwiesen (XVII), hinter welcher sich ein offenbar erst in Anfängen befindliches „work in progress“ zu einem Lexikon der Psychoanalytischen Ethnologie, Ethnopsychoanalyse und interkulturellen psychoanalytischen Therapie verbirgt. Es gilt nun aus den vier dezimal in 25 Beiträge weiter untergliederten Hauptteilen zu beschreiben curare 30(2007)2+3 und zum Teil nur herauszugreifen, was dem Rezensenten bedeutsam erschien. Kap. 1 des ersten dieser Hauptteile sieht die kulturvergleichende (cross-cultural) Psychologie – in Anlehnung an Jahoda – in der Tradition des Positivismus und Empirismus stehen, die „Kulturpsychologie“ hingegen als Erbe von Wilhelm Wundts Völkerpsychologie, beide voneinander getrennt durch eine nicht zu überbrückende theoretische Kluft. Auch Kraepelins Ansatz einer kulturvergleichenden Psychiatrie wird in diesem Kontext interpretiert (S. 10). Während Kraepelin von einer „transkulturellen Universalität psychopathologischer Kategorien“ ausgegangen sei, hätten ein knappes Jahrhundert später Kleinmann und Littlewood „die kulturell spezifischen Ausdrucksweisen für erfahrene Belastungen“ empirisch belegen wollen. Im Spannungsfeld dieser Antinomie habe sich „in den letzten Jahren die Bewegung der indigenen Psychologien entwickelt“ (S. 10). Kap. I/1.5.3 listet „kulturelle Missverständnisse“ auf. Das Kapitel klingt mit einer Diskussion von „Stress-Copingmodellen“ (1.6.2), Formen der Krankheitsbewältigung und gemeindepsychologischen Anmerkungen (1.6.3) aus. Drucktechnisch finden sich kurze Passagen herausgehoben, mitunter mit Ausrufezeichen versehen, so als gälte es, diese Teile gleich Lehrbuchmaximen zu memorieren. In Kap. I/2 werden „Kultur, Universalität und Diversität“ vertiefter betrachtet. Judith Schlehe, Ethnologin in Freiburg, warnt jedoch vor unkritischer Umsetzung, wenn sie sagt: „Aussagekräftig und analytisch wirksam sowie praktisch brauchbar werden die genannten Konzepte und Ansätze erst dann, wenn man sie sehr detailgenau und differenziert anwendet“ (S. 55). Kap. I/3 beleuchtet kurz aus der Feder eines in Berlin tätigen griechischsprachigen Diplompsycho- 144 logen die „Bildung nationaler Identitäten in der Migration als Bewältigung von Ambivalenzen“. Kap. I/4 gilt „Transkulturellen Spannungsfeldern in der Migration und ihrer Erforschung“. Eine mit der Ethnopsychoanalyse vertraute „europäische Ethnologin“ reflektiert Probleme transkultureller Forschung auf dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels in den Kulturwissenschaften (4.2) und benennt Beispiele ethnopsychiatrischer Therapie aus Paris und Zürich. Die Kap. I/5 und I/6 befassen sich mit „Kindheit und Adoleszenz zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen“, in einem Falle gestützt auf eigene Interviews und Ergebnisse einer an dem oben erwähnten „ZIPP“ tätigen Diplompsychologin. Das zweite Hauptkapitel hat interkulturelle Praxis, nämlich solche transkultureller Psychiatrie, Ethnopsychiatrie, Ethnopsychoanalyse und transkultureller Psychoanalyse, zum Gegenstand. Tobie Nathan, Schüler und gewissermaßen Sachwalter des Œuvres von Georges Devereux, heute als Professor für Klinische Psychologie und Psychopathologie an einem unter dessen Namen firmierenden Zentrum in Saint-Denis tätig, äußert sich vergleichsweise arbiträr; seinen Lehrer zitiert er nicht, obgleich es sich im vorliegenden Zusammenhang empfohlen hätte, wenigstens dessen “Mohave ethnopsychiatry”1 zu erwähnen. Dafür erfahren wir über die „Arbeitsweise am Centre Georges Devereux“, gestützt auf Fallstudien, mehr aus dem folgenden Kap. 8. Omar Ndoyé, der einzige afrikanische Kontribuent, analysiert an einem einprägsamen Beispiel „klinische Fehldiagnosen in einer metakulturellen Situation“ (Kap. 9). Unserer klinischen Realität näher stehen die Falldarstellungen, mit denen das von der Herausgeberin mitverfassten Kap. 10 endet. Unter den weiteren Kapiteln des zweiten Hauptteils ist auf die Reflexionen eines in Berlin tätigen türkischsprachigen Diplompsychologen über den „Schameffekt in der türkischen Kultur“ (Kap. 16) hinzuweisen. Ähnliche Beobachtungen hat der Rezensent schon seit vielen Jahren gemacht, freilich gerade auch schon Türkinnen exploriert, welche diesen Affekt gleich einem Befreiungsschlag überwanden. Das dritte Hauptkapitel ist mit „Traditionelle Heilformen, Spiritualität, Bewältigungsstrategien“ überschrieben und sieht sich im Schnittpunkt von „Religionswissenschaften, Anthropologie, Ethnologie, transkulturelle(r) Psychiatrie (und) kulturelle(r) Buchbesprechungen / Book Reviews Psychologie“. In Kap. 18 stellt der Präsident des Institutes „Ethno PSY“ am Universitätsklinikum in Dakar das von den Lebu gegen „Besessenheit“ angewandte Heilungsritual „Ndoep“ dar und nähert sich seinem Gegenstand vor allem psychoanalytisch. Er zitiert u. a. Collomb, nicht jedoch Carother oder Lambo. Das Konzept der „Besessenheit“ wendet, nach Feldforschungen in der türkischen Provinz Trabzon, auch die Wiener Sozial- und Kulturanthropologin Sabine Strasser, dabei den Besessenheitsbegriff feministisch ausweitend, auf türkische Frauen an (der römisch-katholische Ritus der „Aussegnung“ der Frauen post partum ist inzwischen offenbar auch in ihrer Heimatstadt aus der Mode gekommen). An Hand einer drei Fälle umfassenden Kurzkasuistik wird in Kap. 20 über die Stigmatisation reflektiert. Therese Neumann, die seit 1926 Stigmatisierte aus dem Markt Konnersreuth, deren Auftreten, auch als Visionärin, damals kontrovers diskutiert wurde2, findet sich nicht erwähnt. Die im Zusammenhang mit dem Fall 2 erwähnte „Teresita del Niño Jesus“ heißt in unserer Sprache übrigens „Hl. Theresia vom Kinde Jesu und vom heiligsten Antlitz“. Interessanter ist die „anthropologische Analyse“ einer Amerikanerin über „Spiritismus und Psychiatrie in Brasilien“, einem Land, in welchem nach Kenntnis des Rezensenten der Psychiater, um sich ein Zubrot zu verschaffen, eine Kultgemeinschaft von der Art des Condomblé gründen kann (vgl. dazu die seinerzeit vom Rezensenten angeregte Besprechung durch Boroffka3 in dieser Zs.). Im Kap. 22 beschreibt der Mitherausgeber diese Buches den „,alltäglichen Umgang‘ mit Schizophrenie in Zentraljava“ an Hand von 89 Interviews und acht eingehenden Fallstudien (die Stichprobe findet sich in Tab. 22.1 beschrieben), gewonnen im Jahre 1991/92 sowie auf einer kurzen Nachuntersuchung im Jahre 2003 basierend. Wolfgang M. Pfeiffer wird mit einem Beitrag aus dem Jahre 1967 zitiert, nicht jedoch dessen „Transkulturelle Psychiatrie“, in welcher sich auf S. 23-44 zu diesem Thema vielerlei Wissenswertes ausgeführt findet. Der vierte und letzte Teil des besprochenen Bandes hat einige „Konzepte (und) Phänomene in kulturellen Kontexten“ zum Gegenstand, beginnend mit dem der „Somatisierung“ (Kap. 23), gefolgt von der „Konzeption des ,Selbst‘“ (Kap. 24) und der Verarbeitung des „Traumas“ vom 11. Sept. 2001 in den USA. Zum „Selbst“ hätte sich AndreVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Buchbesprechungen / Book Reviews as Heinz zuvor besser in Schönpflugs 22-spaltigem Beitrag im Hist. Wb. Philos.5 eingehender belesen, und Michael Kraus, der Verfasser des Kapitels über „Somatisierung“ konnte die seinem Thema zugehörige Arbeit von Freudenmann et al.6 vielleicht gerade noch nicht berücksichtigen. Dem Beitrag dieses Kollegen, tätig in der „Abteilung für kulturell integrative Psychotherapie“ des „Zentrums für Soziale Psychiatrie Mittlere Lahn“ in Marburg, dem ehemaligen psychiatrischen Landeskrankenhaus dortselbst, merkt man bei aller Berücksichtigung älterer Literatur übrigens an, dass sein Verfasser solide ärztlich-therapeutisch zu arbeiten gelernt hat. Der Trauma-Aufsatz von Young (Kap. 25) aus dem Department of Social Studies of Medicine der McGill-Universität in Montreal, jener Hochschule also, deren “Division of Social & Transcultural Psychiatry” ihrer psychiatrischen Abteilung wir in besonderer Weise mit der „Transkulturellen Psychiatrie“ verbinden7 , liefert eine Metaanalyse von 18 Studien zur Posttraumatischen Belastungsstörung. Von den Kriterien der DSM-IV ausgehend, sind seine Überlegungen zu einer derartigen Störung der virtuellen Art (25.3.2), einer „Lebensform“, die – „stufenweise revidiert und ausgearbeitet“ – Ende des 19. Jhds. ihren Anfang genommen habe, äußerst bemerkenswert. Von Interesse ist schließlich die in diesem Beitrag gelieferte Diskussion zur „Resilienz“8 , der Fähigkeit nämlich, „zum Status quo ante zurückzukehren“, demnach zu einer „restitutio ad integrum“, und sei es unter Psychopharmakotherapie, die in diesem Zusammenhang neu zu überdenken vorgeschlagen wird. Abschließend findet man das Namen- in das Sachverzeichnis integriert. Mit fallender Häufigkeit werden die folgenden Autoren zitiert: Freud (23), Devereux (19), E. Wulff (9), Pfeiffer (8), H. B. M. Murphy (2), Boroffka (0). Auf DSM-III und ‑IV wird dreimal, auf die ICD-10 zweimal Bezug genommen. Insgesamt lässt dieses Gemeinschaftswerk den Rezensenten nicht ohne ein Gefühl des Zwiespalts zurück. Um dessen Ursache näher zu kommen, müsste man – wie eine große Tageszeitung in ihrer Leitglosse9 gerade sagt, – „die Gemeinsamkeit in jeweils persönlich zurechenbare Absichten aufdröseln“, was hier nur andeutungsweise geschehen kann. Die Hoffnung auf Beförderung akademischer Karrieren oder auch nur die Rechtfertigung einer Facette des auf diesem Weg Erreichten wirkt ohne Zweifel konstelcurare 30(2007)2+3 145 lierend. Hierfür steht heute die Rede von der „Interdisziplinarität“10, deren sich, als sie aufkam, alsbald die deutsche Sozialmedizin bediente.11 Der Versuch, transkulturelle Psychiatrie mit ebensolcher Psychologie gleich einem Teig zu verrühren und zu verkneten, auf dass sich der Leser des Produkts je nach Gusto bediene, verleiht der klinischen Psychologie, welche einer der Herausgeber vertritt, und die heute von 70% der Psychologiestudenten angestrebt wird, ein seltsames Übergewicht, welche in der Praxis, die sich nach den Regeln des Psychotherapeutengesetzes seit dem 1.1.1999 eingespielt hat, keine Entsprechung findet. Dies gilt gerade auch für die in diesem Buch überzufällig häufig zu Wort gekommene analytische Psychotherapie, die selbst dann, wenn man sie nur im „analytisch orientierten“ Sinne Migranten zugute kommen lassen wollte, Muttersprachlichkeit des Therapeuten voraussetzt. An einer Klientel, deren Bedürfnisse transkulturell-psychiatrische Kenntnisse erheischt, mangelt es freilich nicht, nur fehlt es – um für den Berufsstand des Rezensenten zu sprechen – dem niedergelassenen Arzt und Facharzt ebenso wie dem Kliniker schlicht an Zeit, um Kenntnisse, wie sie ihm dieses Buch vermittelt, umzusetzen. Allenfalls der psychiatrische Gutachter für die gesetzliche Rentenversicherung, aber auch im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht, ja selbst noch in Strafsachen, sollte – sich stets eines geeigneten sowie öffentlich bestellten und beeidigten Dolmetschers bedienend – vermehrt transkulturell-psychiatrische und ‑psychologische Gesichtspunkte beachten. Dies allein zur „engen Verzahnung zwischen Theorie und Praxis“, welche die für den Buchhändler gedachte Antwort auf Suchanfragen als „wesentlich für den Leser“ dieses Buches betrachtet! Zwar bleiben Theorie und Praxis nun einmal aufeinander verwiesen12 , doch hätte sich der Rezensent, nachdem Pfeiffers „Transkulturelle Psychiatrie“ beim Verlag „restlos vergriffen“ ist13 , zunächst doch einmal eine vornehmlich die Situation in Deutschland ins Auge fassende Darstellung einer quasi speziellen transkulturellen Psychiatrie gewünscht, die nicht ohne Hinweise zu Fragen der Therapie psychisch Gestörter hätte bleiben können. Schließlich umfasst allein der Anteil von „Personen mit Migrationshintergrund“ an der Gesamtbevölkerung der Hauptstadt Baden-Württembergs, in welcher sich der Rezensent im Jahre 1970 als junger Oberarzt erstmals mit 146 „Gastarbeitern“ konfrontiert sah, denen er fortan eine Reihe von Studien widmete, inzwischen 38% und ist, unter vielfältigen Umschichtungen, seitdem um 24% gewachsen.14 Selbst sieht er heute gar noch Donauschwaben, Wolgadeutsche und Deutsche aus Polen, deren Repatriierung die der jetzigen vorangegangene Bundesregierung erleichtert hatte. Allein “offshoots” i. S. von H. B. M. Murphy kann man aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht dingfest machen, was den Weg zu größeren epidemiologischen Studien aus offiziellen Quellen versperrt. Eine auf Deutschland zugeschnittene “Comparative Psychiatry” i. S. jener von Murphy15 wird es deshalb nicht geben. Ein Sammelwerk wie das vorliegende zu erstehen wird schon angesichts seines Preises (69,95 Euro) überwiegend Bibliotheken vorbehalten bleiben, wonach der Verlag die Auflage wird bemessen haben. Auch dieser Umstand wird der Wirkung dieses Buches, sosehr dessen Edition bei aller geäußerten Kritik als „Wagnis“ doch wieder Bewunderung verdient, Grenzen setzen. Dieter H. Friessem Anmerkungen 1. Devereux, G. 21969. Mohave ethnopsychiatry and suicide. Washington: ?????. 2. Seidl, O. 2008. Zur Stigmatisation und Nahrungslosigkeit der Therese Neumann (1898-1962). Nervenarzt 79: 836-844. 3. Boroffka, A. 1983. Rezension von Hubert Fichte 1980. Psyche – Anmerkungen zur Psychiatrie in Senegal. Frankfurt am Main: Qumram Verlag, in Curare 6,1: 10.12. 4. Pfeiffer, Wolfgang M. 2 1994. Transkulturelle Psychiatrie. Stuttgart/N.Y.: Thieme. 5. Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1995. Bd. 9. Basel: Schwabe. 6. Freudenmann, R. W., Schönfeldt-Lecuona, C. 2005. Das Syndrom der genitalen Retraktion aus der Sicht der transkulturellen Psychiatrie. Nervenarzt 76: 569-580. 7. Die mit Vol. 1 im Jahre 1964 nach Vorgängern seit dem Jahre 1962 neu begründete Zeitschrift Transcultural Psychiatry wird derzeit im 45. Jg. bei Sage/London verlegt; Editor-in-Chief: Laurence J. Kirmayer, McGill Universität, Montreal. 8. Vgl. dazu Anm. 6 zum Aufsatz von Helmut Jäger in Curare 30, 2+3(2007)205. 9. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4.9.2008. 10. Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1976. a.a.O., Bd. 4: 476-478. 11. Ferber Chr. von et al. 1975. Interdisziplinarität, ein Kernproblem der Sozialmedizin – der Beitrag der Medizinsoziologie und der Sozialpsychiatrie. In Blohmke M. et al. (Hg.). Hb. d. Sozialmedizin in drei Bänden. Stuttgart: Bd.1:26 ff. 12. So auch kurz Stachowiak, H. 1987. Was ist eigentlich Praxis. Dt. Ärztebl. 84, C-1447/48. 13. Tel. Ausk. d. Vlgs. v. 4.9.2008. 14. Tel. Ausk. d. „Bürgerservice Statistik“ d. Stat. Amts d. Stadtverwaltung Stuttgart v. 5.9.2008. 15. Murphy, H. B. M. 1982. Comparative Psychiatry. Berlin: Springer, vgl. dazu die Rez. d. Verf. in Curare 5,4: 258f . Buchbesprechungen / Book Reviews Petersen Helga & Krikellis Alexander (Hg) 2006. Religion und Heilkunst der Toba-Batak auf Sumatra. Überliefert von Johannes Winkler (1874-1958). (Reihe: Archiv- und Museumsstiftung Wuppertal, InterCultura. Missions- und Kulturgeschichtliche Forschungen. Bd. 6/7). Köln: Rüdiger Köppe Verlag. 453 Seiten; 3 Karten, 67 s/w-Fotos, 42 Zeichnungen, 6 Faksimile-Reproduktionen, 1 gefaltete Faksimile-Reproduktion eines Batak-Kalenders als Beilage, Sachregister. Geleitwort von Wilfried Wagner auf Deutsch und in indonesischer Übersetzung, sowie eine Vorwort von Achim Sibeth. Fadenheftung, Hardcover. ISBN 978-3-89645-445-4. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte und arbeitete der Missionsarzt Johannes Winkler vierundzwanzig Jahre im Gebiet der Toba-Batak auf Sumatra. Dorthin war er von der Rheinischen Mission gesandt worden, um die europäischen Bewohner der Missionsstation Pearadja und die christlichen Glaubensnovizen, medizinisch zu versorgen. Winkler verstand seine Aufgabe insbesondere darin, „[…] dem Werk der Barmherzigkeit zum Bau des Gottesreiches unter den Heiden“ (S. 431) zu Anerkennung zu verhelfen. Kaum auf Sumatra angekommen, begann er, Alltags- und Ritualgegenstände zu sammeln. Damit handelte er gegen die gängige Praxis protestantischer Missionare. Sie forderten von der lokalen Bevölkerung, beim Übertritt zur neuen Religion ererbte Ritualgegenstände öffentlich zu vernichten. Winkler erhielt nun von befreundeten Missionaren die Erlaubnis, Objekte der lokalen materiellen Kultur vor der Zerstörung zu bewahren. In der Folge entstand einen Sammlung, die er dem Hamburger Völkerkundemuseums zur Verfügung stellte. Leider ist der größte Teil dieser Ethnographica, die Winkler noch vor den protestantischen Missionaren retten konnte, im 2. Weltkrieg in Deutschland durch Bombenangriffe zerstört worden. Nur Bestandslisten im Museum und in Winklers Nachlass können noch einen Eindruck von der nun unwiederbringlich verlorenen Sammlung geben. Ebenfalls bei Bombenangriffen wurden die meisten Exemplare von Winklers Buch, das er über „Die Toba-Batak auf Sumatra – in gesunden und kranken Tagen; ein Beitrag zur Kenntnis des animistischen Heidentums“ (1925) geschrieben hatte, zerstört. Jetzt, viele Jahrzehnte VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Buchbesprechungen / Book Reviews später, wurde es, in erweiterter Form und durch eine Biographie Winklers ergänzt, neu aufgelegt. Winklers Schriften sind eine wissenschaftliche Rarität. Schon allein die Tatsache, dass er über die Toba-Batak schrieb, ist aus heutiger Sicht etwas Besonderes, denn er war zu einer Zeit auf Sumatra, als die lokalen Ethnien starkem Veränderungsdruck ausgesetzt waren. Kontakt mit europäischen Missionaren zwang sie zu kulturellem Wandel, dessen Ausprägungen heute beobachtet werden können. Deshalb bietet Winklers Datensammlung einzigartiges Material für Vergleichsuntersuchungen. Besonders wertvoll sind seine Daten, weil er sie weitgehend vorurteilsfrei präsentiert. Dies gelingt ihm, indem er zur Erläuterung lokalsprachlicher Termini eine ethnographische Perspektive einnimmt. Die Bedeutung der Termini erläutert er ausführlich, anstatt sie eins-zu-eins zu übersetzen. Auch seine Kulturbeschreibungen sind weitgehend ethnographisch neutral, (fast) ohne persönliche Wertung. Winkler macht die emische Perspektive zu seiner eigenen. Der Perspektivenwechsel ergab sich aus seiner Forschungssituation, denn es gelang ihm, sich mit einem datu, einem Spezialisten der lokalen Medizin, anzufreunden. Die beiden führten interkulturelle Expertengespräche über Medizin, was Winkler in die Position eines Lernenden versetzte. Diese Perspektive behielt er in seinen Schilderungen der Batak-Kultur bei. Winklers Vorgehen ist bis heute unter Medizinern selten, und war zu seiner Zeit selbst unter Ethnologen nicht weit verbreitet. Nur drei Jahre vor Erscheinen der „Toba-Batak“ galten Malinowskis Forderungen, die bei der Erforschung fremder Ethnien eingehalten werden sollten, als revolutionär. In seiner Dissertation: „Argonauts of the Western Pacific“ (1922) hatte Malinowski gefordert, was Winkler vermutlich ohne dessen Schriften zu kennen, und ohne es als Methode zu formulieren, einfach machte. Zur Erforschung einer Ethnie sollte man mindestens ein Jahr in der Region leben, die Lokalsprache sprechen und am Leben der lokalen Bevölkerung beobachtend teilnehmen. Winkler lebte zwar mit seiner deutschen Frau und den gemeinsamen Kindern auf einer Missionsstation und folglich etwas distanziert zu den Batak, nahm aber durch seine Tätigkeiten als „Hausarzt“ am Leben der Batak aktiv Anteil. Nach einiger Zeit beherrschte er auch die Sprache der Batak in Wort und Schrift. Die Schrift lernte er von dem bereits erwähnten datu. Durch das Erlernen curare 30(2007)2+3 147 der Batak-Schrift erfüllte Winkler die Grundvoraussetzung, Spezialist der lokalen Medizin zu werden. Sobald diese Voraussetzung erfüllt war, führten die beiden Spezialisten Expertengespräche. Die Inhalte dieser Fachgespräche interkultureller Wissenschaftskommunikation veröffentlichte Winkler in seinem Buch über die Toba-Batak. Besonders eindrucksvoll schildert Winkler die einzelnen Schritte, die zum Erlernen der BatakSchrift notwendig sind. In dieser auf das Pali Südindiens zurückgehenden Schrift werden die medizinischen Fachbücher, die sogenannten BatakZauberbücher geschrieben. Den umfangreichsten Teil Winklers Beschreibungen nimmt das Kapitel zum „Heilen und Schützen von Leben“ ein. Mit dem daran anschließenden Kapitel über die „Vernichtung von Leben“ folgt er der lokalen dualistischen Weltvorstellung: etwas Positives existiert immer gleichzeitig mit seinem Gegenteil. Dieses „negative“ Kapitel fällt allerdings wesentlich kürzer aus, als das über „Heilen und Schützen“. Das in diesen beiden Kapiteln niedergeschriebene Wissen eines datu reicht noch nicht aus, um ihn handlungsfähig zu machen. In der Praxis konnte er nur aktiv werden, wenn er einen „immerwährenden“ Kalender besaß, den er nach eigenen Beobachtungen der Himmelskörper anlegen und mit seinen Kenntnisse zur Orakelbefragung in Einklang bringen musste. Auch dieses Wissen gibt Winkler so detailliert wieder, als schriebe er ein Lehrbuch für einen datu. Die besondere Leistung der jetzigen Herausgeber von Winklers Schriften besteht darin, dass sie Winklers Nachlass und seine Familiengeschichte recherchierten. Dadurch war es ihnen möglich die jetzige Veröffentlichung der „Toba-Batak“ von Winkler um einige wesentliche Teile zu ergänzen. Sie fanden und veröffentlichen nun das aus Kostengründen um ca. 50 Seiten gekürzte Originalmanuskript von Winklers Buch, fügten noch einige Manuskripte Winklers bei, die entweder noch nie veröffentlicht wurden oder in ihrer gedruckten Fassung nur noch schwer zugänglich sind. Die umfangreichsten Texte in dieser Sammlung handeln vom Hebammenwesen der Batak, vom Musikleben und der Batak-Schrift. Den Abschluss des vorliegenden Bandes bilden die bibliographischen Angaben seiner Veröffentlichungen und Manuskripte. Der Band wird durch eine Biographie Winklers eingeleitet. Damit wird eine moderne Forderung an eine Ethnographie erfüllt. Dem Leser wird die Mög- 148 lichkeit gegeben, Winklers Beschreibungen in ihrer lebensgeschichtlichen Gebundenheit einzuordnen. Diese Einordnung gelingt auch durch die Privatphotos und das mit handschriftlichen Notizen Winklers versehene Faksimile eines „immerwährenden“ Batak-Kalenders. Insgesamt ist die Veröffentlichung ein gut recherchiertes Zeitdokument, das Historikern, Regional- und Religionswissenschaftlern, wie auch Sozial-, Kultur- und Medizinethnologen wertvolles Datenmaterial zum Vergleich mit heute Beobachtbarem – nicht nur bei den Batak – bietet. Plurale Wissenssysteme, nicht nur im medizinischen Kontext, und religiöse Heterogenität prägen das heutige Indonesien. Die Vielfalt erfordert von denjenigen, die Hilfe bedürfen, eine Entscheidung. Die Entscheidungsfindung ist wesentlich durch die Erfahrungen beeinflusst, die auf eine Zeit zurückgehen, in der westliche Medizin neu war, und Missionare und Ärzte ausschließlich als Team auftraten. Heute lässt man sich nach Möglichkeit von jemandem helfen, der den gleichen Glauben wie der Kranke hat. Wählt man einen anderen Arzt, dann fürchten viele, dass von ihnen der Übertritt zur Religion des Arztes als Gegenleistung erwartet wird. Diese Befürchtung fügt sich auch in die Prinzipien einer in ganz Indonesien anzutreffenden Tauschgesellschaft, wie sie von Marcel Mauss beschrieben wird. Jede Gabe muss mit einer Gegengabe erwidert werden. Susanne Rodemeier, Universität Passau, Lehrstuhl für Insulares Südostasien Buchbesprechungen / Book Reviews Bereich ihre Anerkennung und Anwendung finden. Nun mag zwar der aufgeklärte Mensch grundsätz liche und auch berechtigte Zweifel an der Heilsamkeit von verschiedenen überlieferten Praktiken hegen, Tatsache ist, dass die Verwendung von natürlichen Ressourcen eine wesentliche Lebensgrundlage für jede Kultur bedeutet hat und immer noch bedeutet. Wir neigen heute gerne dazu, fremden, exotischen Traditionen gläubig zu folgen – in der Hoffnung, Erkenntnisse über die verschiedensten körperlichseelischen Zusammenhänge zu erlangen. Heimische Mittel – speziell wenn sie in Verbindung mit Ritualen angewendet werden – fallen dagegen häufig unter Aberglauben und werden mangels wissenschaftlicher Beschäftigung als Kurpfuscherei und Scharlatanerie abgetan. Die Verbindung von bereits dokumentiertem Wissen mit Ergebnissen aus der Feldforschung kann für weiterführende Forschungen eine Basis bieten, dieses alte Wissen zu evaluieren und kritisch zu durchleuchten. In jedem Fall ist damit ein sensibles und schwer zugängliches Thema unserer Heiltradition vor dem Vergessen bewahrt. (Aus dem Vorwort von Maria Walcher, Österreichische UNESCO-Kommission/Nationalagentur für das immaterielle Kulturerbe). Siehe auch Eichelter I. 1986. „Kinder – Einräuchern“ – eine Säuglingsberuhigung in der Steiermark. Curare 9,3:283-288 // Ekkehard Schröder Pohl-Sennhauser, Ida 2007. Rattenschwanz und Schneckenschleim. Wien: Böhlau, 272 Seiten, ISBN 978-3-205-77702-1 www.boehlau.at Angesichts dieser Sammlung von Rezepturen und Anwendungsmöglichkeiten aus dem Tierreich sind die erwartbaren Reaktionen ungläubiges Staunen über Schmunzeln und Neugier bis zum tiefsten Ekel. Schnell fühlt man sich in mittelalterliches Gedankengut zurückversetzt, in die sprichwörtliche Hexenküche, und nur die damalige Unwissenheit der Menschen konnte derartige Heilmethoden überhaupt zulassen. Aberglaube oder vergessene Volksmedizin? Wenn wir heute im Bereich der Heilmittel über lokales Wissen nachdenken, so fallen uns zunächst sicher Heilkräuter und damit in Verbindung stehende alte Hausrezepte ein, die nach wie vor im privaten VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentationen / Review and Documentation Migration Islam Psychoanalyse. (Themenheft) Psyche Nr. 11/2007 (Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen). Stuttgart: KlettCotta: 61,11(2007) 1093-1185. www.psyche.de Drei Spezialisten auf dem Gebiet der Psychotherapie und Psychoanalyse setzen sich in diesem Heft mit dem Thema „Islam“ bzw. Muslime in der psychiatrischen Behandlung auseinander: Aydan Özdaglar, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg im Breisgau, Makrokh Charlier, Psychoanalytikerin, Gruppenanalytikerin und Supervisorin in Frankfurt am Main, und Jad Jiko, Psychoanalytiker in Berlin. Irgendwie anders – deutsch-türkischen Psychoanalysen In ihrem Aufsatz „Irgendwie anders“ – Über Schwierigkeiten in deutsch-türkischen Psychoanalysen“ weist Ayan Özdaglar gleich zu Beginn darauf hin, dass das Interesse für psychoanalytische Therapie in den letzten Jahren zwar allgemein abnahm, dafür die Anzahl von Migranten in psychoanalytischen Praxen deutlich zugenommen habe. Den Hauptanteil der Patienten bilden türkisch-muslimische Frauen, insbesondere junge, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind. Sie kommen in der Regel mit dem Verhältnis Arzt-Patient/in nicht gut klar, wenn der Arzt ein Deutscher ist. Özdaglar führt die Schwierigkeiten auf Kommunikationsprobleme zurück, die im beidseitigen Fehlen des Verständnisses der „Sprache“ bzw. „Bilder“ oder „Muster“ der jeweils anderen Kultur begründet sind und führt die grundsätzlichen Probleme darauf zurück, dass die Herausbildung der psychoanalytischen Theorie in der jüdisch-christlichen Tradition wurzelt, nicht in der islamischen. Die Schwierigkeiten einer effektiven Behandlung zwischen deutschem Arzt und türkisch-muslimischem Patient, besonders Patientin, liegt folglich in einer Art „Übersetzungsproblem“: Es fehlt das richtige Instrumentarium an Sprach- und Bilder- bzw. Ausdruckswelt, es mangelt am Vorhandensein der erforderlichen semiotischen „Technologie“ bei den beiden in der Behandlung Beteiligten. Die Situation der weltweiten Migration curare 31(2008)2+3 149 und die allgemeine Globalisierung macht das Hintergrundwissen über fremde Kulturen zunehmend wichtiger. Mit modernen literarischen Beispielen (Orhan Pamuk), drastischen Beispielen von familiären und ehelichen Gewalterfahrungen aus Studien und eigener Praxisarbeit sowie einem Exkurs über die jüngere Geschichte der Türkei (Osmanisches Reich und Atatürksche Zwangs-Säkularisierung mit den Auswirkungen auf und für das Geschlechterverhältnis) beschreibt sie Schwierigkeiten ihrer in der Regel weiblichen Patienten, die aus einem gespaltenen Land nach Deutschland kamen und hier neue Formen der Spaltung individuell und kollektiv erleben, an denen sie zu zerbrechen drohen und krank werden. Die Diagnose und Behandlung muss die Herkunftsgeschichte und evtl. die zur Gesundung notwendige innerliche „Trennung“ von der Heimat mit berücksichtigen. Macht und Ohnmacht Makrokh Charlier setzt sich mit der „Macht und Ohnmacht“ in der religiösen Tradition und der Sozialisation der muslimischen Männer auseinander. Zu Beginn verweist sie auf den absolutistischen Anspruch islamischer Theologie, die Idealisierung der Vergangenheit und Tradition und die starre autoritär-patriarchalische Erziehung, die – im Gegensatz zur auf Individualität ausgerichteten westlichen Erziehung – auf Gruppenidentität ausgerichtet ist und wenig Spielraum für Ambivalenz und eigenständige Individualentwicklung lässt. Zugespitzt ausgedrückt wird dies in einem Zitat des (für die islamistische Szene sehr wichtigen; Anm. der Autorin) hanbalitischen Theologen und Juristen Ibn Taimiya: „Tausend Jahre Tyrannei sind besser als ein Tag Anarchie“, das Charlier an den Beginn ihres Aufsatzes gesetzt hat. Ähnlich wie Özdaglar sieht Charlier das Problem zunächst als eines unterschiedlicher Kommunikationsmuster und betont die ausdrücklich religiöse Kodierung der islamischen Welt, die deutlich stärker sei als diejenige der westlichen, christlichmosaischen Tradition. Nach einer kritischen und offenbar unerlässlichen Erörterung der Thematik von Säkularisierung und Aufklärung, die – zitiert nach Dan Diner – alle Lebensbereiche umfasse, nicht nur den religiösen, wird nach einen kurzen Blick auf koranische Dämonologie (der dschinn als Keim der Veränderung, als Ausdruck von Ambivalenz und Herausforderung, am Beispiel der Versuchung Adams als Prototyp des Menschen schlechthin; S. 1119) 150 Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation über „Das Ideal und der Glaube an den Ursprung“ zur Frage der „religiösen Autorität“ übergeleitet, die zugleich die väterliche Autorität herausfordert. Das zentrale Beispiel hierfür bildet die Geschichte von Abraham, Isaak (Bibel, Altes Testament) und Ismael (Koran): Während die biblische Version die Opferung des Sohnes (Isaak) durch den Vater (Abraham) dem Sohn verschweigt, spricht Koransure 37, 102 deutlich davon, dass der Sohn von der väterlichen Traumvision von diesem selbst erfährt: „Ich sah im Traum, dass ich dich schlachten werde …“, worauf der Sohn antwortet: „Vater! Tu, was dir befohlen wird! Du wirst, so Gott will, finden, dass ich (einer) von denen bin, die (viel) aushalten können“. Im Gegensatz zur jüdisch-christlichen biblischen Tradition, in der das Menschenopfer des kleinen, vertrauenswürdigen und den Vater liebenden Sohnes Isaak in letzter Minute durch die Autorität Gottes selbst verhindert wird, indem er Abraham eine Ziege als Tieropfer schickt, bleibt im islamischen Kontext das Sohn-Opfer erhalten, worauf sich der gesamte gesellschaftliche Komplex männlicher Autoritätsstrukturen aufzubauen scheint. Charlier liefert eine scharfe kritische Darstellung der traditionellen islamischen Erziehung und Trennung der Welten nach Geschlechtern, die für sie die Ursache für die typisch islamische Intoleranz gegenüber jeglicher Ambivalenz ist, die sie aus ihrer klinischen Erfahrung kennt. Sie beschreibt, dass es selten kritische Äußerungen in bezug auf die Väter gäbe, die in der Regel inhaltsleer idealisiert und unantastbar verbrämt werden (S. 1126). Das Verhältnis gipfelt in Hass, der von Gehad Mazaweh in dem von ihr zitierten Aufsatz „Sterben und Lebenwollen“ wie folgt zitiert wird: „Der Hass auf den Vater und die Todes- und Mordwünsche werden aus Angst- und Schuldgefühlen verdrängt. Die Ängste der Knaben in vielen arabischen Familien werden bestätigt durch die Gewalttätigkeit der Väter, die Angst bleibt nicht nur im Bereich der Phantasie, sondern ist eine Realität, von der das Kind physisch und psychisch vergewaltigt wird. (…) Die Furcht vor dem Vater zwingt die Söhne, ihre Hassgefühle zu verdrängen, den Hass nicht bewusst werden zu lassen. Kaum ein arabischer Sohn würde mit einem bewussten Hass gegen den Vater leben können. Der Sohn zieht sich zurück.“ (S. 1125). Der Sohn unterwirft sich der väterlichen Autorität genauso wie derjenigen Gottes; beides scheint sich gegenseitig zu bedingen und der zentrale Strang der traditionellen islamischen Erziehung zu sein. Symbolisch wird dies im islamischen Kontext im Ritual der Knabenbeschneidung zwischen dem 5. und 10. Lebensjahr, die zugleich die absolute, unwiderrufliche Trennung von der Mutter und der Welt der Frauen nach sich zieht und den kleinen Jungen drastisch und rigoros in die Welt der Männer einführt, aus der es kein „zurück“ mehr gibt. Die festliche Inszenierung der Knabenbeschneidung im Islam, die mit männlichen „Kastrations“-Drohungen gegenüber den betroffenen kleinen Jungen einhergehen, veranschaulicht dies nachvollziehbar (S. 1127f). Für Charlier liegt genau hier die Quelle und Ursache der notwendigen Behandlung von Muslimen, sei sie nun individuell oder kollektiv. Die Erschütterung des männlichen Autoritätsverlustes durch die globalen Entwicklungen und nicht aufzuhaltende Frauenemanzipation bringt sowohl die individuelle männliche Autorität ins Wanken als auch das gesamte religiös-patriarchalische System des Islam, was zumindest einen wichtigen – vielleicht den wichtigsten – Aspekt der Erklärung für Hass und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Ungläubigen, gegenüber Abweichlern und „dem Westen“ darstellt. Idealisierung des sexuellen Triebes im Islam Jad Jiko beginnt seinen Aufsatz „Die Idealisierung des sexuellen Triebes im Islam“ mit einer Darstellung der Sexualitätskonzeption im Islam in Verbindung mit der Sakralitätsauffassung. Die Sexualität zwischen Mann und Frau bildet im Islam die Essenz der von Gott geschaffenen kosmischen Ordnung, ist hier also ein Abbild der universellen Ordnung. Unter Berufung auf muslimische Soziologen und Denker (Bouhdiba, Abu Hamid al-Ghazali, Benslama u.a.) stellt Jiko die islamische Sexualethik dar, in der die sexuelle Funktion als sakrale gewertet wird und weist in dem für die islamische Welt zentralen Text Ghazalis, die „Wiederbelebung der Religionswissenschaft“, zugleich auf das, für den Islam typische, deckungsgleiche Verständnis von Geschlechtsverkehr und Heirat hin (S. 1133). Sex wird verstanden als göttliche Leihgabe einer besonders lustvollen Fähigkeit und zugleich als Auftrag, der ausgeführt werden muss, als Gabe von Gott an den Menschen. Jiko stellt eindrucksvoll die Lücke im kulturell definierten Sprachgebrauch im Arabischen dar, die der tunesische Psychoanalytiker Benslama in Theorie und Praxis nachgewiesen hat: Es gibt keinen eigenen Begriff für Sex im Arabischen, was dazu führt, dass männliche Patienten in VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation der Therapie Schwierigkeiten haben, über sexuelle Beziehungen zu sprechen (S. 1134ff.). Sie benutzen in der Regel andere Worte, wie „ğins“ (was eigentlich Geschlecht, Klasse oder Rasse bedeutet und ein Wort aus der Botanik und Zoologie ist). Das im Deutschen in der Regel mit „Scham, Keuschheit, Sittsamkeit“ usw. übersetzte koranische Wort „farğ“ bedeutet wortwörtlich: Schlitz, Spalt, Vulva, Scheide. Es wird durch diese schamhafte Übersetzung folglich um seine naturhafte Bedeutung gebracht, die den ursprünglichen kulturellen Kontext verschiebt (man könnte auch sagen: „christianisiert“). Jiko macht den Zusammenhang zwischen Sexualität und Recht im Islam deutlich (Konzept der Sexualität zwischen Nutzungs- und Eigentumsrecht), die die Situation in einer auf stammesrechtlicher Ordnung basierenden Gesellschaft wiederspiegelt und benutzt hierzu u.a. religionswissenschaftliche Grundlagenwerke ( z.B. Mauss, Godelier). Der Sex nach dem Gesetz im Islam umfasst ethische und rituelle Reinheit, zit. nach Bouhdiba: „Der Koitus ist kein Eindringen in die Welt des Teufels, sondern in die Welt der sakralen hohen Macht“ (S. 1138). Somit ist „nikah“ (Geschlechtsverkehr) gleichbedeutend mit „Ehe, Heirat“, im Unterschied zu „zina“ (Unzucht, d.h.: Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe). Unter Anführung der koranischen Schöpfungsmythen über die Irdisch-Werdung Adams, der sich mit Eva in Mekka paarte (Tabari, Annales; S. 1139) und mit der Josef-Geschichte (Koran Sure 12; Bibel/Genesis 39), wo die Verstrickung des Erotischen mit dem Heiligen und dem Verbotenen sehr deutlich wird: Der junge Josef will sich nicht von der Frau seines Herrn verführen lassen, weil er damit „zina“ begehen würde, denn sie ist verheiratet und der „Besitz“ (haram = verboten für alle Anderen) seines Herrn (S. 1140ff.). Das Fehlen der Idee der Erbsünde und der Praxis der Beichte im Islam mag ein Faktor für das Fehlen der Subjektwerdung im Kontext der Sexualität sein; ob dies alleine ausreicht für die Erklärung von Aggression und Gewalt sei dahingestellt. Die Schlussfolgerung Jikos lautet, dass die im Islam inhärente Dynamik der sexuellen Teilhabe an der göttlichen Schöpfung eine, vermutlich unbewusste, Idealisierung des sexuellen Triebes und des sexuellen Aktes zur Folge hat. Ob man soweit gehen muss, die sexuellen Paradiesesvorstellungen von den wunderschönen Jungfrauen im Koran nun gleich als „Abbild des göttlichen Sex“ zu verstehen, die die „Lücke in der (reifen) Identifikation mit dem realen curare 31(2008)2+3 151 Penis des Vaters“ füllt (vgl. S. 1146), erscheint mir persönlich etwas überzogen. Diese Paradiesesvorstellung ist aber, genauso wie die rigide soziale Geschlechtertrennung, der „Kult der Mütter“ und der hohe Wert der Jungfräulichkeit offenbar symptomatisch und zentral für das Verständnis der Geschlechterbeziehungen und der Sexualitätskonzeption in der islamischen Welt, die unter den Auswirkungen derselben zunehmend leidet, da sie in der Moderne so traditionell nicht mehr aufrechtzuerhalten sind. Die muslimische Frau erhält ihre soziale Macht vor allem in ihrer Rolle als Mutter; dies wird aber immer stärker in Frage gestellt. Jiko sieht die Sprengkraft der Bilder in Theo van Goghs Film „Submission“ von 2004 vor allem darin, dass dort eine nur mit einem transparenten schwarzen Schleier verhüllte, verführerische Frau auf dem Gebetsteppich erscheint, die Gott für ihre sexuelle Unterdrückung durch den Ehemann anklagt. Sie entspricht nicht dem traditionellen Bild der muslimischen Frau, die ihre „Scham“ gefälligst zu verhüllen und dem Manne untertan zu sein, ihm als „Gefäß“ zur Verfügung zu stehen hat. Dass Theo van Gogh hier (vielleicht unbewusst, vielleicht aber auch bewusst) auf eine tatsächliche Episode aus dem Leben des Propheten Muhammad anspielt (das Bild der schönen Zainab bint Ğahš, die dem Propheten Muhammad in Abwesenheit ihres Gatten einmal nur leicht bekleidet die Tür öffnet und daraufhin sowohl Scheidung von demselben als auch Verheiratung mit dem Propheten auslöst), ist Jiko offenbar nicht bekannt. Die Sprengkraft dieser Episode bestand von Beginn an in der Literatur, ist Bestandteil der islamischen Überlieferung und Propheten-Geschichte. Jiko kommt zu dem Schluss, dass der Kern der Sexualitätskonzeption im Islam ein religionsgeschichtlich spezifisches Verständnis des sexuellen Triebes bildet; man könnte auch formulieren: Das Verständnis der Geschlechterbeziehungen und der Sexualität wird durch die religiöse Konzeption der Gesellschaft im Islam determiniert. Frömmigkeit und Teilnahme an der Schöpfung werden traditionell islamisch durch die Erfüllung der vertraglich-vorgegebenen Religionsregeln im Islam bewiesen. Die Idealisierung des männlichen sexuellen Triebes wird auf den göttlichen Phallus projiziert, so Jiko, und dadurch werde die Möglichkeit der Subjektwerdung des Mannes verhindert. Die Lücke in der sexuellen Identität, die er konstatiert, wird auf Seiten der Frau durch eine übergewichtige und machtvolle Mütterlichkeit gefüllt, die enorme 152 Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation Konsequenzen für die psycho-sexuelle Entwicklung der Kinder hat. Er betont aber auch die Einseitigkeit und damit Unzulässigkeit seiner Antwort in diesem Aufsatz für Grundsatzfragen hinsichtlich des Sexualitätsverständnisses im Islam und betont die Notwendigkeit von weiterführenden Untersuchungen und religionsvergleichenden Studien, da er keine allgemeingültige „Diagnose“ stellen will. Resümee Das Bedeutsame dieser drei Aufsätze zum Problem von Psychotherapie, Psychoanalyse und der Behandlung von sexuellen Störungen muslimischer Patienten liegt darin, dass sie versuchen, die Erfahrungen aus Klinik und Praxis mit einem ersten Ansatz zu kombinieren, das Schrifttum zum spezifisch-religiösen und kulturellen Hintergrund der Sozialisation der Betroffenen hinzuzunehmen, um damit der Ursachenerforschung näher zu kommen. Mindestens zwei der Autoren (Özdaglar, Charlier) scheinen aus demselben religiös-kulturellen Kontext wie der Hauptteil ihrer Patienten zu stammen, was nicht zwangsläufig für mehr Qualität spricht, aber die Notwendigkeit und Bereitschaft erhöht, den spezifisch islamischen Zusammenhang der die Patienten prägenden Kultur mit einzubeziehen und zu hinterfragen, da sie ihnen möglicherweise vertrauter ist. Die Heranziehung des islamgeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Hintergrundschrifttums ist noch recht neu und ungewöhnlich in der Arbeit von Ärzten und Psychologen, aber in einem bestimmten Maße unerlässlich für den Umgang mit kulturell „anders“ geprägten Menschen in medizinischer Behandlung. Die Autoren setzen damit eine Tradition fort, die etwa mit der bedeutsamen Studie von Tahar Ben Jellouns „Die Tiefste aller Einsamkeiten“ und Werner Schiffauers „Die Gewalt der Ehre“ begann, mit Ahmet Topraks Arbeiten und Necla Keleks „Die verkauften Bräute“ jüngst fortgeführt wird und weiter entwickelt werden sollte. Die Autoren dieses Themenheftes liefern sehr anregende Beiträge für die Frage nach den Ursachen für die Gewalt in den Geschlechterbeziehungen von muslimischen Patienten – und vielleicht nicht nur hier – und ihrer Erforschung und zeigen, dass man um Interdisziplinarität nicht herumkommt, da die Muster der Kommunikation sonst häufig nicht oder falsch verstanden bzw. interpretiert werden. Assia M. Harwazinski, Tübingen Kurskatalog >medicine & health<. Herausgegeben von Gerhard Polak, Going International Dokumentation 2002-2009 Es werden in 7 Kapiteln Kurse, Lehrgänge und Tagungen aus dem gesamten Bereich der Medizin inklusive Randgebiete (Komplementärmedizin, Medizinethnologie) gelistet. Umfangreiche Adressenlisten von entsprechenden Institutionen und Verbänden ergänzen den Jahreskatalog mit je knapp 300 Seiten, der Veranstaltungen aus den letzten Monaten des jeweiligen Vorjahres und des folgenden Jahres umfasst (Katalog 2009 mit Daten von Oktober 2008 bis Juli 2010). Neben diesem Katalog besteht das GI-Mail, das derzeit über 18.000 Einzelpersonen, sowie 9.100 Spitäler, Universitäten und internationale Organisationen weltweit erreicht. Die Leser sind Ärztinnen und Ärzte, Entscheidungsträger im Gesundheitswesen, Fachpersonal im medizinischen Bereich, Universitäten, Institutionen für höhere Bildung, öffentliche Einrichtungen und internationale Organisationen. Ursprung war eine Initiative der Ärztekammer Wien, die in den 1990er-Jahren einen internationalen Überblick zu den Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten schaffen wollte. Der „große Sprung“ vollzog sich 2000. Die Einrichtung wurde der Österreichischen Ärztekammer zu teuer. Daher wurde ab 2001 GOING INTERNATIONAL gegründet. Seither werden Autoren zu vertiefenden Übersichtsartikeln in Deutsch oder Englisch eingeladen, um die Kapitel in den Kurskatalogen zu ergänzen. Diese zumeist sehr informativen aktuellen Übersichtsbeiträge sollen in dieser Dokumentation aufgelistet werden. Das Unternehmen wird im Wesentlichen in Eigenregie und Eigenverantwortung, jedoch mit infrastruktureller Unterstützung der ÄK, unter der Leitung von Dr. med. Gerhard Polak geführt (vgl. „Bericht zum 78. Treffen des AKME in Wien 30.31.März 2007“ in Curare 30,2+3, 2007: 236). Bezug: GOING INTERNATIONAL Information Services, G. Polak KEG; Fasangasse 28/27, A-1030 Wien, www.goinginternational.org, ISBN 978-3-902359-15-5 VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation Auflistung der Artikel aus Vol. 2002-2009 medicine & health 2002/03 Geleitwort / Prefactory Word Hans Jochen Diesfeld: Entwicklungszusammenarbeit 2002 / Development Cooperation 2002 6 Vorwort / Preface Gerhard Polak: Kurskatalog 2002/03 / Course Catalogue 2002/03 8 Jennifer Leaning: Humanitäre Hilfe und Katastrophenmanagement, Einleitung / Humanitarian Assistance and Disaster Management, Introduction 11 Stephane Vandam: Die erste Auslandsmission / The First Mission Abroad 13 Thomas Dackweiler: Praxisorientiertes Training Humanitäre Hilfe / Practice Oriented Training in Humanitarian Aid 15 Patricia R. Hastings: Kombiniertes Training für Humanitäre Hilfe und Intervention (CHART-Courses) / Combined Humanitarian Assistance Response Training (CHART-Courses) 25 Sabine Kampmüller: Humanitäre Hilfe – Kurse für Fachpflege / Humanitarian Aid—Courses for Nursing Staff 27 Eric K. Noji: Komplexe Humanitäre Katastrophen / Complex Humanitarian Disasters 36 Gunnar Kroesen: Notfallmedizin in Österreich / Emergency Medicine in Austria 47 Peter Sefrin: Notfallmedizin in Deutschland / Emergency Medicine in Germany 51 Domenic Scharplatz: Notfallmedizin in der Schweiz / Emergency Medicine in Switzerland 55 Heribert Steinbauer: Balkonsitze in einer globalisierten Welt / Balcony Seats in a Globalised World 59 Christoph Benn: Entwicklungszusammenarbeit – Expertenkurs / International Development Cooperation—Courses for Experts 64 Christian Horak: Management für Non-Profit- und Nicht-Regierungs-Organisationen Einleitung /Management for Non-Profit an Non-Governmental Organisations Introduction 79 Gerhard Polak: Kurse zu medizinischen Fachdisziplinen, Einleitung / Courses for Medical Specialists, Introduction 87 Emil C. Reisinger: Tropenmedizin und Infektionskrankheiten / Tropical Medicine and Infectious Diseases 88 Axel Hoffmann: tropEd – Ein Europäisches Netzwerk zur Ausbildung in „Internationaler Gesundheit“ / tropEd—An European Network for Education in International Health 91 Martin Haditsch: Reisemedizin / Travel Medicine 102 Rudolf Szyszkowitz: Die Kurse der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen / Courses of the Association for the Study of International Fixation 111 R. Horst Noack: Öffentliche Gesundheit durch Bildung und Ausbildung stärken / Strengthening Public Health through Education and Training 134 Ynve Falck-Ytter, Nikolaus Trautmann, Gerd Antes: Wissenschaftlich fundierte Medizin, Einleitung / Evidence Based Medicine, Introduction 171 Sandor Kerpel-Fronius: Klinische Forschung, Einleitung / Clinical Research, Introduction 179 / International Conferences and Meetings, Introduction 179 Katrin Kreisel: Medium Internet / The Means of the World Wide Web 208 medicine & health 2003/2004 Robert Fischer: Lehrgänge für Management und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen an der Donau-Universität Krems curare 31(2008)2+3 153 / Courses for Management and Quality Assurance in Health Care at the Danube University Krems 18 Stephane Vandam: Der Weg von gezielter humanitärer Hilfe zu breiter, nachhaltiger Zusammenarbeit / How to Bridge the Gap: From a Focused Humanitarian Action to a Broad and Sustainable Cooperation 24 Klaus Peter Schmitz: Das Sphere Project – Sphere Kurse: Ein neuer, standardisierter Weg zur Fortbildung und Vorbereitung humanitärer Helfer / The Sphere Project—Sphere Courses: A New Standardized Way of Training and Preparation for Humanitarian Aid Workers 27 Pierre Perrin: Die HELP-Kurse – 18 Jahre erfolgreiche Ausbildung und Vernetzung / The HELP-Courses—18 Years of Successful Training and Networking 31 Dennis Dijkzeul: Das NOHA-Programm – Karrierevorteile durch die Teilnahme an dem europäischen Studiengang „Humanitäre Hilfe“ / NOHA-Course—Career Advantages in Participating in an Interuniversity Graduate Course on Humanitarian Assistance 33 Christoph Benn: Investition in die Gesundheit als Voraussetzung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung / Investment in Health as a Prerequisite for Economic and Social Development 42 Alastair Ager: Ausbildung in „Projekt Design und Management“ als Instrument zur Gesundheitsentwicklung / Training in Project Design and Management as a Tool for Health Development 51 Véronique Schoeffel: Rückkehr nach einem Auslandsaufenthalt. Herausforderungen für Mitarbeiter internationaler Organisationen nach ihrer Heimkehr / Re-entry after a Sojourn Abroad. Challenges Awaiting Professionals from International Cooperations “Returning Home” 54 Gerald Mader: Friedenszentrum Burg Schlaining / Peace Center—Castle of Schlaining 56 Wolfgang Routil: Qualitätsgesicherte medizinische Weiterbildung / Quality Assurance for Continuing Medical Education 62 Tareg Bey: Internationale Notfallmedizin – Welches sind die großen Streitpunkte und Herausforderungen? / Emergency Medicine International—What Are the Big Issues and Challenges? 64 Barrie Margetts: Wie werde ich ein Public Health Ernährungsexperte? / How to Become a Skilful Public Health Nutritionist? 66 Wolfgang Ummenhofer: Notfallmedizin Schweiz 2003 / Emergency Medicine in Switzerland 2003 82 Mamadou Dicko: Präsentation von CEFA / Presentation of CAFS 93 Philippe Mayaud: Public Health – Relevanz von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) im Zusammenhang mit HIV/AIDS / Public Health—The Importance of STI in the Context of HIV/AIDS 95 Michael J. A. Parr: Anästhesie, Trauma und Intensiv-Versorgung / Anaesthesia, Trauma and Critical Care 98 Rainer Kotz: Orthopädie – Neueste Entwicklungen und Trends, mit besonderer Berücksichtigung der Problematik in ärmeren, nicht industrialisierten Ländern / Orthopaedics—Latest Developments and Trends, Emphasising on the Special Problems of Poor, Non-Industrialized Countries 99 Charles Mock: Bessere notfallmedizinische Versorgung traumatisierter Patienten weltweit: “The Essential Trauma Care Project” / Strengthening the Care of the Injured Globally: “The Essential Trauma Care Project” 101 Thomas Rüedi: AO-Lehrgänge im internationalen Kontext / AO Courses in the International Context 115 Desmond O‘Byrne: Erreichen von Gesundheitszielen durch die Stärkung der Gesundheitsförderung / Enforcement of Health Promotion to Reach Health Targets 126 154 Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation Nicola Nante: Harmonisierung von Public Health Kultur und Praxis / Harmonizing Public Health Culture and Practices 128 Axel Hoffmann: TropEd – Ein europäisches Netzwerk zur Ausbildung in Internationaler Gesundheit / TropEd—A European Network for International Health Training 154 Amy Tsui: Demographische Veränderungen: Konsequenzen für die Zukunftsplanung / The Consequences of Demographic Changes. The Importance of Future Planning 165 medicine & health 2005 Einleitung / Introduction 7 Bernhard J. Güntert, Dieter Ahrens: Gesundheitsökonomie – Notwendigkeit und Grenzen / Health Economics—Needs and Limits 12 Gabriela Hartig: Hilfsorganisationen als Zielscheiben / Humanitarian Organisations as a targent for violence 6 Gerd Venghaus: Erste Hilfe und Sicherheit im Feld / First Aid, Safety and Security in the Field 28/29 Klaus Peter Schmitz: Das Sphere-Projekt – Sphere Kurse: Ein standardisierter Weg zur Fortbildung und Vorbereitung Humanitärer Helfer / The Sphere Project and Sphere Courses: A standardised way to train and prepare humanitarian workers 31/32 Dennis Dijkzeul: Das NOHA-Programm – Karrierevorteile durch die Teilnahme am europäischen Studiengang „Humanitäre Hilfe“ / NOHA-Course—Career Advantages in Participating in an Interuniversity Graduate Course on Humanitarian Assistance 35/36 Gerd Venghaus: Emergency Response Unit: Wasseraufbereitungsanlagen und sanitäre Einrichtungen / Emergency Response Unit: Mass Water and Sanitation 40/41 Pierre Perrin: The HELP-Courses—19 Years of Successful Training and Networking / Die HELP-Kurse – 19 Jahre erfolgreiche Ausbildung und Vernetzung 42/43 Christoph Benn: Der Globale Fond zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria / The Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria 46 Veronique Schoeffel: Gute Gründe für eine Teilnahme an Workshops für Rückkehrende / Good reasons for attending re-entry workshops 60/61 Axel Hoffmann: tropEd—a Network für Capacity Building in International Health / tropEd – ein Netzwerk zur Kompetenzvermittlung in Internationaler Gesundheit 64/65 Michael Krawinkel: Pädiatrie und die Probleme ernährungsbedingter Mangelerscheinungen / Pediatric care and the problems of nutritional deficiencies 68 Thomas Löschen: Relevante Inhalte für eine effiziente reisemedizinische Ausbildung / Relevant Contents for Efficient Education in Travel Medicine 71 Huib Cornielje: Enablement-Managementkurse „Soziale Rehabilitation“ / Enablement-Courses in Disability and Rehabilitation Management 96/97 Susanne Binder: Innovationen und neue Techniken in der operativen Augenheilkunde / Innovations and New Techniques of Surgical Ophthalmology 108 Ute Schwarz: Kurse in klinischer Tropenmedizin, „Weltweites Lernen“ / Courses in Clinical Tropical Medicine, “Worldwide Learning” 137/138 Gunnar Tellnes: Public Health – Herausforderungen für das 21. Jahrhundert / Public Health Challenges in the 21st Century 146 Johanne Pundt: Public Health: Berufsfelder und Chancen / Public Health: Professions and Possibilities 154/155 Alexander Krämer: 7. Internationale Sommerschule „Infektionsepidemiologie” / Seventh International Summer School “Infectious Disease Epidemiology” 160/161 Young Moon Chae: International “Cyber University” für Gesundheit (ICUH) / International Cyber University for Health (ICUH) 166/167 Dorothea Kahr-Gottlieb: Universitätslehrgang Public Health an der Medizinischen Universität Graz / Public Health Master´s Programme at the Medical University of Graz 178/179 Armin H. Fidler: Das “Young Professionals” Programm / The Young Professionals Program 185/186 Dieter Falkenhagen: Forschung als Wegweiser für Therapie und Diagnostik / Research paving the way for therapy and diagnostics 196 medicine & health 2006 Ladislas Bizimana: Improving Humanitarian Action—NOHA contribution 26 Richard Brennan/Kristina Gutschow: Complex Humanitarian Emergencies 28 Pierre Perrin: The HELP-Courses—20 Years of Successful Training and Networking 37 Georg Sticker: There is no Shortcut to Development: Projektmanagement – Theorie und Praxis: Erfahrungen in Ostafrika 42 Christa Kitz: Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitswesen 45 Franziska Matthies: The tropEd European Campus in International Health 60 David Henry/Jason Mastoris: Risks and Indications of Blood Transfusions / Pros and Cons in the International Context 64 Jürgen Holle: Current Developments in Plastic Surgery—An Overview 112 Christian Nischler: Courses, Programmes and Fellowship in Ophthalmology 120 Michael Stark: The New European Surgical Academy (NESA) 124 Anton H. Schwabegger: Further Education and Training for Plastic Surgeons 142 R. Horst Noack: Modern Public Health 153 Susan P. Mercado: A Billion Voices: Listening and Responding to Vulnerable Populations in Urban Settings 157 Franziska Matthies: Masters in International Health at the University of Copenhagen 166 Sally Guttmacher: Public Health in a Society in Transition: South Africa 180 Dorjsuren Bayarsaikhan: Training Opportunities in Health Care Financing 199 Dorjsuren Bayarsaikhan: Health Care Financing 201 Sabine E. Herlitschka: Training and Mobility of Researchers at a European Level 212 medicine & health 2007 Rosa Giuseppa Frazzica: Excellence in training health and social personnel in Silicy: CEFPAS´ role 18 Renee Bakker: Joint European Master`s in International Action (NOHA) course—A multidisciplinary inter-university course 38 Pierre Perrin: The HELP-Courses – 20 Years of Successful Training and Networking 42 Wolfgang Bichmann: Regionale Entwicklungszusammenarbeit für Reproduktive Gesundheit und HIV/AIDS-Bekämpfung 48 George McGuire: Logistics—the indispensable service 54 Prisca Zwanikken: tropEd European Campus in International Health 62 Robert Schäfer: Akkreditierte Weiterbildung für Medizinerinnen 68 VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation Henning Mikkelsen: Getting ahead—progress and challenges in responding to AIDS in Eastern Europe and Central Asia 71 Petra Kreinecker: Ernährungssicherheit im Kontext von Entwicklung und Kooperation 79 Michael Krawinkel: „International Nutrition“ as part of a BScand MSc-programme of Nutritional Sciences in Giessen, Germany 80 Daniel Lahner/Michael Zimpfer: Neue Entwicklungen in der Anästhesiologie 120 John-Paul Vader: Politics: is it healthy for you and me? 164 Bernhard J. Güntert: Public Private Partnership im Gesundheitswesen – ein Ausweg aus der Finanzierungskrise? 166 Mark Thompson: Europhamili—managing transnational public health issues in Europe 169 Tom Kuiper: Accreditation of Educational Programmes in the European Region 175 Christa Them: Gesundheits- und Krankenpflege: Ein neues Studium sowohl für bereits diplomierte Pflegekräfte als auch für Maturantinnen 193 Christoph Male/Markus Müller: The need for training in clinical research 218 Gerald Gartlehner: Evidence-Based Medicine 225 medicine & health 2008 Mohga Kamal-Yanni: Access to medicines: Why high prices of new medicines are detrimental for poor people and public health in developing countries 34 Ekkehard Schröder: Ethnomedizin – Braucht man kulturelle Dimensionen in der Gesundheitssystemforschung? 50-51 Sabine Ludwig: 44 Jahre Deutscher Entwicklungsdienst (DED) 52 Florian Neuhann: The link between Going International and the Department of Tropical Hygiene and Public Health at the University Clinic of Heidelberg 54 Ekkehard Schröder: “medicine & culture”—recommended websites and journals 63 Bernadette Peterhans: What has the tropEd network achieved since the establishment in 1996? 68 Maria Freire: New Drugs for an Ancient Disease: Objectives and Successes of the Global Alliance for TB Drug Development 74 Eugen Faist, Siegfried Zedler: Innovatives Immunmonitoring zur Früherkennung der Sepsis 94 Peter Dieckmann, Marcus Rall, Doris Østergaard: Simulation for education, training, and research 134 Dineke Zeegers Paget: EUPHA as a key player in public health in Europe 186 Katrin Engelhardt: Master of Science in Epidemiology, MSE 198 Kevin McCarthy: European Public Health Research in action: Optimising the Delivery of Health Care to European Citizens 232 medicine & health 2009 Theresa Philippi: The Electronic Health Record (ELGA) in Austria 20 Josef Hradsky, Nikolaus Koller: Krankenhausmanagement – Aktuelle Entwicklungen 22 Cindy Hörmansdörfer: Is it feasible to finance Social Health Protection for the poor? ??? The GTZ approach to overcome the “illness poverty trap” 52 Pascal Millet: The tropEd network: training international health under European standards 67 Rolf Heusser: Akkreditierung und Qualitätssicherung von Bildungsprogrammen im Medizinalbereich 72 curare 31(2008)2+3 155 Hans Walter Krannich: Palliativmedizin – Ist-Status sowie Aus-, Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten in Deutschland 75 Birgit Jaspers: Empfohlene Websites und Journals – Palliativmedizin 117 Remco Coppen, Roland D. Friele: The effectiveness of organ donor policies in 10 European countries: a widening gap? 140 Danielle Breissler, Maria Preschern-Hauptmann: Organisation der Organspende in Österreich 143 Michel Loyoddin: Education and Training for Neurosurgeons 177 Heike Benditte-Klepetko: Aus- und Weiterbildung in der Plastischen Chirurgie 185 Uwe Siebert: Public Health—Definition, Scope and Assessment 92 Manfred Wildner: Epidemiologie: Methode, Beruf, Berufung? 195 Manfred Wildner: Wie kann man Epidemiologie lernen? 207 156 Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation Ethnologia Americana 1964-1991 Dokumentation der ethnomedizinischen Artikel Die Zeitschrift Ethnologia Americana entstammt dem 1964 gegründeten „Informationsblatt“ des In stitutes und Vereins und wurde ab Nr. 24, März-April 1968 auf den hier genannten Namen umbenannt, die als Organ des Deutschen Institutes für Amerikanische Völkerkunde (DIAV e.V.) in Düsseldorf dient (vgl. den Bericht zum 75jährigen Jubiläum des DIAV in curare 28,2+3[2005] 348-351). Neben wissenschaftlichen Artikel, Berichten und Mitteilungen aus dem iberoamerikanischen Bereich findet sich in dieser vor 25 Jahren eingestellten Zeitschrift eine bemerkenswerte Zahl von Texten mit ethnomedizinischen Informationen und Themen, die an dieser Stelle dokumentiert werden sollen. Die Zeitschrift ist Bestandteil der LAGEM, Literatursammlung der AGEM. Im Folgenden sind alle ethnomedizinische Artikel aus den Heften 5(4)/1968 bis 27(2)/1991 aufgeführt, wie sie dem Inhaltsverzeichnis der Indizes entnommen sind. Andritzky Walter: Peru: Das Koka-Orakel. 24/2, Nr. 113, 1988: 1206-1211. Andritzky Walter: Historische Aspekte zur Volksmedizin der Schwarzen in Peru. 25/2, Nr. 115, 1989: 12471251. Barthel Christina: Baden im Temazcal – ein Badeerlebnis in Mexiko. 25/1, Nr. 114, 1989: 1230-1231. Belonoschkin Boris: Mayamedizin. 8/5, 1972: 374-381. Bruder Claus J.: Die Phallusdarstellung bei den Maya: ein Fruchtbarkeitssymbol. 14/5, 1978: 809-815. Fischer Ernst J.: Das „Antlitz des Schmerzes“ in der Keramik der Mochica (Nord-Peru). 27/1.2, Nr.118/119,1991: 1306-1311. Gantzer Joachim: Zahnplantation im prähispanischen Amerika? 6/6, 1970: 246-248. Gantzer Joachim: Der Cocagebrauch bei den Andenindianern in Peru. 12/5, 1976: 673-676; 12/6, 1976: 680688. Hudson Travis: Die Astronomie der Chumash-Indianer (Kalifornien). 15/2, 1978: 846-851. Hudson Travis: Die Astronomie der Indianer Kaliforniens. 16/4, 1980: 944-948. Junquera Carlos: Botanik und Schamanismus bei den Harakmbet- Indianern im südwestlichen Amazonasgebiet von Peru. Vol. 25/1, Nr. 114, 1989: 1232-1238. Knoche Bernhard: Hoffnungsstrahl für die Bekämpfung der Chagas-Seuche in Lateinamerika. Vol. 7/3, 1970: 280-282. Krumbach Helmut: Heilzentren im kulturellen Raum Mexikos und Guatemalas? Forschungen im Jahre 1973 und 1974. Vol. 12/1, 1975: 614-624; 12/4, 1975: 660-661. Krumbach Helmut: Die Dokumentationsstelle für „ungebundene“ Literatur unseres Instituts. Vol. 14/2, 1977: 772. Krumbach Helmut & Krüger Reinhold: Schwitz- und Dampfbäder im Westen Nordamerikas – Grundsätzliches sowie verschiedene Schutzmaßnahmen. Vol. 27/1-2 ; Nr. 118/119, 1991 :1312-1316. Krumbach Helmut: Kakao aus Mexiko. Vol. 25/2, Nr. 115, 1989: 1254-1259. Mayer Karl Herbert: Die heiligen Pilze Mexikos. Vol. 11/5, 1975: 594-596; Vol. 1/6, 1975: 603-608. Mayer Karl Herbert: Salvia Divinorum – Ein Halluzinogen der Mazateken von Oaxaca, Mexiko. Vol. 14/2, 1977: 776-779. Mayer Karl Herbert: Ein Maya-Inschriftenfragment am Schwitzbad von Etzná, Campeche, Mexiko. Vol. 24/1, Nr. 112, 1988: 1185-1187. Pfeiffer Karlheinz: Pensées zur nachfolgenden Arbeit von (Ingrid Berlik: Die magische Geisteshaltung der Aymará). Vol. 9/1, 1972: 399. Schadewaldt Hans: Stellungnahme des Verfassers (zu seinem Buch „Der Medizinmann bei den Naturvölkern“). Vol. 7/1, 1970: 254. Schuhmacher Walter W.: „Frauen- und Männersprache“ als Übertragungssystem. 12/3, 1975: 649-651. Stubbe Hannes: Zum Trauerverhalten der südamerikanischen Indianer. Vol. 17/3, 1981: 977-981. Tyrakowski Konrad & Lydia: Temazcalli – Gegenwärtige Konstruktionsvarianten des altmexikanischen Badehauses und ihre räumliche Verbreitung im Becken von Puebla-Tlaxcala. Vol. 13/5, 1977: 740-744; Vol. 13/6, 1977: 750-756. Tyrakowski Konrad: Magie und Markt. Anmerkungen zur Kommerzialisierung von „Brujería“ aus San Pablito / Puebla; Mexiko. Vol. 17/2,1980: 965-968. Wassen Henry S. & Krumbach Helmut: Indianische Kontrazeption. Vol. 18/2, 1981: 1013-1016. Wellmann Klaus F.: Schamanistische Bezüge in nordamerikanischen indianischen Felsbildern. Vol. 15/1, 1978: 833-839. Zerries Otto: Besessenheit und Geisterbesuch. Parapsychologische Erscheinungen unter den Mahekodo-tedi, einer Yanoama-Gruppe am oberen Orinoco. Vol. 9/5, 1973: 449-452 VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation 157 Shaman. Journal of the International Society for Shamanistic Research Volume 1 Number 1 & 2 Spring/Autumn 1993 Second Edition, Revised and Expanded 2007 Articles Åke Hultkrantz Introductory Remarks on the Study of Shamanism 5-16 Roberte N. Hamayon Are “Trance”, “Ecstasy” and Similar Concepts Appropriate in the Study of Shamanism? 17-40 András Höfer Some Hyperpragmatic Patterns in Tamang Shamanic Recitations, Nepal 41-52 Åke Hultkrantz The Shaman in Myths and Tales 53-70 Tatiana A. Pang The Kun-ning-gung Palace in Peking: the Manchu Dynasty´s Shaman Centre in the “Forbidden City” 71-86 Giovanni Stary “Praying in the Darkness”: New Texts for a LittleKnown Manchu Shamanic Rite 87-104 Mari Yoshinaga and Yuji Sasaki Kamidari as a Key Concept of Okinawan Shamanism 105-120 Review Articles Marjorie Mandelstam Balzer Shamanism and the Politics of Culture: An Anthropological View of the 1992 International Conference on Shamanism, Yakutsk, the Sakha Republic 121-147 Kun Shi Shamanistic Studies in China: A Preliminary Survey of the Last Decade 149-162 News and Notes Mihály Hoppál Report on the First Conference of the International Society of Shamanistic Research, Held 22-28 July, 1991, Seoul, Korea 170-173 Mihály Hoppál Report on the “Shamanism as a Religion: Origin, Reconstruction and Traditions”, Conference, Held August 1522, 1992, Yakutsk, Russia 174-176 Volume 10 Numbers 1 & 2 Spring/Autumn 2002 Articles in this volume are dedicated to Mihály Hoppál, the President of the International Society for Shamanistic Research on the occasion of his sixtieth birthday. Articles Åke Hultkrantz: Mihály Hoppál. Is Sixty 5-6 Marjorie Mandelstam Balzer Shamans Across Space, Time and Language Barriers 7-20 Bill Brunton Kootenai. Divination 21-32 Ruth-Inge Heinze. Symbols and Signs, Myths and Archetypes: A Cross-cultural Survey of the Serpent 33-58 Keith Howard Shaman Music, Drumming, and Into the “New Age” 59-81 Wolfgang G. Jilek and Louise Jilek-Aall Shamanic Beliefs, Practices, and Messianic Movements Among the Hmong People of Southeast Asia 83-112 Laurel Kendall An Old Shaman in a Tile-Roofed House 113-124 Daniel Kister The Shaman´s Gift 125-142 Peter Knecht Mountains Are Not Just Mountains 143-159 Diana Riboli Trances of Initiation, Incorporation and Movement: Three Different Typologies of the Shamanic Trance 161-180 Giovanni Stary A Bibliographical Review on the 40th “Birthday” of Nishanology 181-193 News and Notes Mihály Hoppál and Kira van Deusen Conference on Musical Ethnography of the Manchu-Tunguz Peoples, Yakutsk, August 17-23, 2000 194-198 Eva Jane Neumann Fridman Minutes of the General Assembly of the ISSR, Held at Viljandi Cultural College, Viljandi, Estonia, August 16, 2001 198-200 Volume 15 Numbers 1 & 2 Spring/Autumn 2007 Articles Márta Csepregi: An Eastern Khanty Shaman Song 5-26 Zoltán Nagy: On a Shamanic Drum of the Vasiugan River Khanty 27-46 Dávid Somfai Kara, Mihály Hoppál and János Sipos: The Sacred Valley of Jay Ata and a Kirghiz Shaman from Xinjiang, China 47-68 Ágnes Birtalan: The Shaman(ess) - the Performer. Examples of the Activities and Life Stories of Darkhad Mongolian Shamanesses 69-86 Mátyás Balogh: Shamanic Traditions, Rites and Songs Among the Mongolian Buriads: Meeting a Shamaness and her Assistant 87-116 Gábor Kósa: The Jurchen Shamaness. An Analysis of the First Written Reference to the Word “Shaman” 117-128 Catherine Uray-Kóhalmi: The Shaman and the Spirit World 129134 Ede Frecska and Luis Eduardo Luna: The Shamanic Healer: Master of Nonlocal Information? 135-165 Field Reports Richard Noll and Kun Shi A Solon Ewenki Shaman and her Abagaldai Shaman Mask 167-174 Shaman. Journal of the International Society for Shamanistic Research (ISSN 1216-7827) is an interntional periodical for shamanistic studies and as such publihses original articles on shamanism and neighbouring fields. Shaman is published once a year (twon numbers bound in one) by Molnar & Kelemen Orienteal Publishers, Budapest. Editors: Mihály Hoppál ([email protected]) & Ádám Molnár ([email protected]). Editorial correspondence should be sent to the publishers: Budapest, Marczibányi tér 9. Hungary, H-1022. cover illustration of vol. 1(1993, 2nd ed. 2007)1+2: After drawings on Altai Tirkic drums. curare 31(2008)2+3 Dokumentation 158 30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten III: „Der Heilkundige und sein Patient / The Healer and his Patient“ schen Inseln bei vielen verschiedenen Heilern sehr unterschiedliche Techniken, Kenntnisse und Anschauungen erworben und auch in außerphilippinischen Traditionen Anleihen gemacht, um heute mit einem sehr vielseitigen Rüstzeug seine therapeutischen Aktionen durchzuführen. Unter anderem beherrscht er auch die bei uns so bekannt gewordenen „operativen Eingriffe ohne Messer und Narkose“. Seine Hauptdomäne sind jedoch mehr magnetische Heilungen und exorzistische Heilbehandlungen. Auf dem Bild versetzt er gerade einen sehr pessimistischen krebskranken Patienten in einen halbstündigen Tiefschlaf. Dan Acierto möchte durch seine Anwendungen einen heilenden Schock bewirken, wie er selber sagt. [ES, Redaktion Curare] Anmerkung: 1) Vgl. Prinz A. 1982: Das Phänomen spiritueller Operationen auf den Philippinen. Curare 5, 2: 81-84 // Zuschriften in Curare 5,4:199-202 von H. Figge (Gedanken zu pia Fraus), G. Bretzler (Fauler Zauber), E. Gruber (Erstaunt, zu A. Prinz) // Licauco J.T. 1982. Glaubensheilen in den Philippinen, Irrtum und Wahrheit. Ein Buchauszug (ausgewählte Übersetzungen und Anmerkungen von E. Schröder). Curare 5,4: 207-212 // Landolt W.1983. Therapeuten und Therapien auf den Philippinen. Gedanken zu traditionellen und modernen Heilmethoden. Curare 6,4: 246-248. Dan Acierto – ein philippinischer Geistheiler [Reprint Curare 5 (1982) 2] Die oft überraschenden Erfolge philippinischer „Geistheiler“, weswegen manche irreführend von Wunderheilern sprechen, sind oft auch mit ein Ergebnis einer sehr persönlichen und spontanen, durch die große räumliche und auch kulturelle Distanz unbeschwerten Begegnung eines Heilsuchenden mit einem Heiler. Dass die philippinischen Exorzisten, spirituellen Operateure oder Logurgen, Gebetsheiler, Glaubensheiler, Magnetopathen oder wie immer sie sich selbst bzw. durch ihre Beschreiber bezeichnet bzw. dargestellt werden, aus ihrem kulturellen Kontext heraus sehr wohl besser verstehbar werden, soll in den nächsten Heften der curare durch Beiträge vertieft werden1. Dan Acierto, ein in Quezon City arbeitender, sehr zurückhaltender und umsichtiger Mann, hat in langen Wanderjahren auf verschiedenen philippinicurare 31(2008)2+3: 158-116 Titelfoto von Theo Ott, Seeshaupt, aufgenommen im September 1981 in Manila. Hinweis: Am 16. August 1982 wird im 3. Programm des Bayrischen Fernsehens um 21 Uhr erstmalig Theo Otts Film „Der heilende Schock“ über die philippinischen Heiler gesendet. Der Titel stammt dem den Film einrahmenden Interview mit Dan Acierto und zeigt die Behandlung an einem schwerkranken Krebspatienten aus der Schweiz. Schulmediziner in Mitteleuropa, z.B. im Heilstollen von Bad Gastein/Salzburger Land [Reprint Curare 6(1983)4] Nach gründlicher Indikationsstellung und umsichtiger Selektion unter der schulmedizinischen – und damit als wissenschaftlich garantierten – Ägide fahren die Patienten unter der monopolisierten ärztlichen Aufsicht mit einer umgebauten Grubenbahn in eine ehemalige Goldmine, den Gasteiner Heil stollen, gelegen oberhalb Böckstein-Bad Gastein im Gasteinertal in einer Höhe von 1280 m. Seine Heilwirkung wurde schon Anfang des Jahrhunderts erstmalig vermutet, nachdem man beobachtete, dass in ihm gehaltene Gefangene die Notzeit trotz Dokumentation schlechter Ernährung besser überstanden als die Eingeborenen. „Der Stollen ist mit seiner Temperatur von 37 bis 41 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 80-97 % ein in der Welt einzig dastehendes Heißluftemanatorium (Radium-Ausstrahlung in 20 000 m3 Rauminhalt), das nach langjährigen wissenschaftlichen Aufzeichnungen für viele Krankheiten und Beschwerden unter ärztlicher Anweisung beinahe an Wunder grenzende Erfolge brachte.“ (Nach einer rezenten Postkarte vor Ort) [ES, Redaktion Curare] Valentine Bao, Heilerin in Tolanaro/Madagaskar1 [Reprint Curare 7 (1984) 2] Der erste Kontakt zu Valentine Bao wurde am 25. März 1982 durch Monseigneur Zévaco, dem Bischof der Diözese Fort Dauphin (heute Tolanaro) an der Südspitze in Madagaskar vermittelt. V. B. spielte einmal eine bedeutende Rolle als Katechetin, jedoch machte sie vor vier Jahren eine bedeutsame persönliche Umorientierung durch. Sie berichtet, dass der „Geist ihrer Ahnenreihe“ sie gerufen hätte, den sie zuvor gar nicht gekannt habe. Am Beginn ihrer Wandlung sei eine Erkrankung gestanden, curare 31(2008)2+3 159 während der der Geist ihr Handlungsanweisungen gegeben und sie vier Tage lang nichts gegessen und getrunken habe. Als ihre Familie sie wieder auf den Pfad der Kirche zurück und später sogar ins Hospital bringen wollte, fühlte sie sich zutiefst erschöpft. Zwei Monate versuchte sie, sich an den Weg ihrer Jugend zu readaptieren, schlief dabei schlecht, sah häufig nichts und fiel in Ohnmachten. Der Geist habe aber unüberhörbar sie gefordert. Wegen ihrer Verweigerung des bisherigen Weges suchten die Eltern auch Hilfe bei den ombiasy, den lokalen Medizinmännern, und bedachten die Kirche mit einer großen Spende. Noch acht Monate versuchte Valentine Bao, das Leben einer Christin zu leben, wurde dabei abergläubisch und legte sogar die Bibel unter ihr Bett, völlig verängstigt, bis der Ruf des Geistes stärker wurde gegenüber den schließlich versiegenden Hilfsangeboten der Priester und des sich sehr genierenden Ehemannes. Während der wiederholten Rufe des Geistes wurde sie einmal von den Klängen der Valiha, der madegassischen Zither, die jemand 14 Tage lang ununterbrochen im Busch spielte, innerlich tief bewegt. Daraufhin habe eine „Tromba-Kranke“2 junge Frau zu ihr mit dem Begehr nach Heilung Kontakt aufgenommen. Dokumentation 160 Seither hat V. B. in bis zu sechsmonatigen Heilbehandlungen etliche, vor allem weibliche Klienten in individuellen Sitzungen behandelt. Sie fühlt sich für Geisteskrankheiten, Blutspucken, „Diabetes“ und für Magen-Darm-Leiden zuständig. In ihrer Diagnostik spielt eine lokale Variante der Astrologie eine Rolle neben der animistischen Tradition. Eine anamnestische Exploration wird von ihr nicht durchgeführt. Heilung geschieht durch den Geist, der mittels einer Heilkraft durch V. B. zur Wirkung kommt. Der Geist wird in den Heilseancen durch die Klänge des Akkordeons herbeigeholt, welches die Valiha in Mad. häufig ersetzt hat. In der beobachteten Sitzung behandelte V. B. in einer kleinen einräumigen Hütte zwei, wie sie sagt, depressive junge Frauen, deren eine bereits eine längere Behandlung im Hospital hinter sich hat. Diese fielen bei den Klängen des Akkordeons und zweier Rasseln in heftige Trance, die durch die Ruhe und Wärme ausstrahlende Valentine Bao gesteuert wird. Dabei hält sie während der Bittgesänge und auch später wiederholte Male ihre Klientinnen mit ihren Händen an deren kleinen Fingern. Die Requisiten sind sparsam: weiße Erde, ein Goldring, heiliges Wasser, das mit sechs echten Silbermünzen angesetzt wird, ein Spiegel, ein Messer und rote Tücher. Die beobachtete Sitzung dauerte eine knappe halbe Stunde, während derer in Gesang, Gebet und mit Ratschlag und einigen rituellen Handlungen unter Leitung der Trance der Klientinnen eine Art Ich-Stärkung durchgeführt wurde. Ein Priester der Gemeinde durfte für mich als Dolmetscher ins Französische dabei sein. Die eindrucksvolle Behandlung ließ natürlich viele Fragen offen. V. B. wirkte auch später so entspannt und heiter wie vor und während der Behandlung. Für Bischof Zévaco galt die Erlaubnis meiner Teilnahme als ein gutes Zeichen nach vier Jahren, als ein erster Kontakt. Für ihn besteht die Hoffnung, dass V. B. vielleicht für die Gemeinde in seinem Sinne noch nicht ganz verloren ist. (nach Feldnotizen vom 25. und 26.3.1982) Ekkehard Schröder Anmerkungen: 1) Titelfoto von Theo Ott (Seeshaupt), März 1983 während der Dreharbeiten zu dem Dokumentationsfilm „Schamanen im Dornenland“ (vgl. erste Aussendungen SW3 am 21.1.84 u. WDR3 am 17.2.84) // 2) Mit „Tromba“ wird die Kultgemeinde und der gleichnamige Besessenheitskult in Madagaskar bezeichnet, vgl. dazu besonders: Estrade JeanMarie 1977. Un culte de possession á Madagascar – le Tromba. Paris: Ed. anthropos. Heiler aus Tonga [Reprint Curare 11 (1988) 3] Heiler aus Tonga, Entspannungsmassage im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung. Das Foto stammt von W. Jilek1, der in diesem Heft in einem ausführlichen Beitrag die ethnomedizinischen und ethnopsychiatrischen Aspekte des traditionellen Lebens in Tonga referiert [Mental Health, Ethnopsychiatry and Traditional Medicine in the Kingdom of Tonga. Curare 11,3(1988)161176]. Ebenfalls aus der methodischen Perspektive der Psychiatrie heraus diskutiert Alexander Boroffka eine ausführliche Falldarstellung eines wahnkranken Kameruner Patienten. Mit diesen Hauptartikeln und weiteren psychotherapeutischen Beiträgen setzt dieses curare-Heft die Reihe von Arbeiten zur transkulturellen Psychiatrie fort, die zur Aufgabenstellung der Zeitschrift gehört. Neben etlichen Einzelarbeiten, vor allem von Jilek in diesem Organ, haben sich speziell folgende Hefte der Thematik gewidmet2: 4/80 – 1/81 – 2/81 – 3/84 – 2/87 – 3+4/89 – 3/90 – 4/90 – 1/93 – 2/93 – 3+4/93 – 1/94 – 2/95 – 2/96. Anmerkungen: 1) Wolfgang Jilek ist 2002 auf der 15. Fachkonferenz Ethnomedizin in Münster zum Ehrenmitglied der AGEM VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Dokumentation ernannt worden. Eine ausführliche Würdigung inklusive der Dokumentation seiner Arbeiten finden sich in Krahl Wolfgang 2003. Laudatio auf Professor Wolfgang Jilek zur Ernennung als Ehrenmitglied der AGEM. Curare 26(2003)1+2: 168-171. // 2) Eine Dokumentation aller Beiträge zum Thema „30 Jahren Transkulturelle Psychiatrie in der Zeitschrift Curare erscheint in Curare 32(2009)1. Geringfügige redaktionelle Übarbeitung dieser Zusammenstellung: Ekkehard Schröder curare 31(2008)2+3 161 Dokumentation 162 30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten IV: „Ethnojatrie: Heilerpersönlichkeiten / Ethnoiatrics: Healing Personalities“ Ein nepalesischer Jhakri (Zauberarzt) trommelt sich in Trance. Wacholderrausch als Kultmittel bei Zeremonien [Reprint Curare 4 (1981) 4] Auf meiner Ein-Frau-Forschungsreise durch Nepal waren die bodenständige Heilkunde, Ayurveda und magische Heilungspraktiken Teil meiner Forschungsziele. Da ich aus den Arbeiten von Karl Jettmar aus Heidelberg wusste, dass der Wacholder bei den Darden Nordwestpakistans als heiliger Baum verehrt wird und bei den Schamanen von Bedeutung ist, suchte ich in Erfahrung zu bringen, ob er eine ähnliche Rolle in Nepal spielt. Im Himalayagebiet wachsen verschiedene Wacholderarten. Juniperus recurva mit großen, etwas gebogenen Nadeln gilt als heilig und heilend (bei den Naturvölkern stets diese Doppelbedeutung) und wird bei der Totenverbrennung zur Purifikation bei magischen Zeremonien benutzt. In der buddhistischen Medicurare 31(2008)2+3: 162-116 zin werden Wacholderauszüge zur Vorbeugung und Heilung von Krebs benutzt. Der Legende nach soll der Schöpfergott Brahma auf dem „Thron der Götter“ einem Team von Weisen die Heilkunde offenbart haben. Zu den heilkräftigsten, heiligen Pflanzen gehört Juniperus recurva wegen seines Standortes in der Nähe der Gipfelregion (bis 5000 m Höhe), die besonders heilig ist. Sie gilt als „Thron der Götter“, weil dem Himmel nahe, also der Götterwelt. Daher wird zu den schamanischen und lamaistischen Zeremonien aus diesem Gebiet Wacholder geholt, um aus glühenden Nadeln und dem Harz Weihrauch (dhupi) zu gewinnen. Bei meinem Besuch in einem buddhistischen Gurung-Dorf, zwei Tagesreisen nördlich von Phokara, hatte ich Gelegenheit, einen Schamanen (Jhakri) bei seiner Freiluftbehandlung eines Patienten (durch Anhauchen eines mit Mantren eingravierten Holzplättchens aus Wacholderholz, das auf die schmerzende Stelle gedrückt wurde), in nächtlicher Trommel-Trance-Zeremonie zu erleben, die aus vorbuddhistischer Zeit stammt. Es war auffallend, dass der Zauberarzt sich über eine Räucherschale mit glühenden Wacholdernadeln (dhupi) beugte (vgl. auch Neureuther), bevor er sich mit der großen Lamatrommel in Trance trommelte. Zur Klärung der Frage, ob die Inhalierung des Rauches trancefördernd sei, ließ ich einige mitgebrachte Nadeln von der wissenschaftlichen Forschungsstelle des Verbandes der Zigarettenindustrie in Hamburg untersuchen. Man fand eine Fülle von Inhaltsstoffen, die z.T. noch nicht identifiziert sind, aber keine Halluzinogene. Wahrscheinlich dient dhupi nur zur Einstimmung einer heiligen Weihestimmung für das Kultgeschehen. Buddha hat alle berauschenden Mittel untersagt, Trance sollte alleine durch meditative Praktiken erzielt werden. Ich erlebte als erster westlicher Fremdling in dem Dorf Imu diese Trommelséance, bei der der in Ekstase geübte Schamane, der Jhakri, sich in Trance trommelte und dabei konvulsive Bewegungen machte. Ich konnte die Trommelrhythmen, das Geklingel des über der Brust gekreuzten Glöckchenbandes und die Hyperventilation des Trommlers im Verlauf der Zeremonie auf Tonband nehmen und einige Fotos machen, die den Ablauf des Zeremo- Dokumentation nie zeigen. Der Jhakri in Trance ruft Schutzgeister an, um z.B. bei Exorzismen die Krankheitsdämonen auszutreiben. (Modifikation des Programmtextes zum Referat zur 5. Fachkonferenz Ethnomedizin, Ethnobotanik und Ethnopharmakologie, in Freiburg vom 1.-3.12.80, Verhandlungsband als CurareSonderband 3/1985: Ethnobotanik / Ethnobotany von Ekkehard Schröder herausgegeben und 1985 erschienen, derzeit vergriffen). Dr. Sigrid Lechner-Knecht, Freiburg Literatur zum Thema: Jettmar, K.: “The Cultural History of Northwest Pakistan”. Year Book of the American Philosophical Society, p. 497, 1960 // Knecht, Sigrid (= Lechner-Knecht): Mit Geistern und Dämonen auf Du – Psychologisch-soziologisches Mosaik aus dem Königreich Nepal. Die Waage, 3, 1969 // Knecht, S.: Magische Therapie in Nepal, Ethnomedizin, II, 1/2, 69-90 (1972) // Lechner-Knecht, S.: Magische Heilmethoden in Nepal. Ther. d. Gegenwart, H. 3, 458-498 (1976) // Lechner-Knecht, S.: Reise ins Zwischenreich, Herdertaschenbuch Nr. 681 (1978) // MacDonald, D. A. W.: Le Monde du Sorcier au Népal, Sources Orientales 7, 1966 // Neureuther, G.: Als Arzt im Karakorum, Med. Monatsspiegel (Merck) Darmstadt, 34, 1639-1644 (1961) // Schüttler, G.: Das mystisch-ekstatische Erlebnis. Diss. Bonn 1968 // Schüttler, G.: Die letzten tibetischen Orakelpriester, Wiesbaden 1971 163 Der mythologische Häuptling von Ailicandi mit Zeremonialstab [Reprint Curare 7 (1984) 1] Zeremonialstäbe werden für verschiedenste Funktionen bei den Cuna-Indianern in Panama verwendet, so für den Ortspolizisten, für den Hohen Priester, aber auch für den Arzt-Priester (siehe Bild) und zur Teufelsaustreibung. Im Beitrag „Traditionelle Priesterärzte und moderne Medizin. Das öffentliche Gesundheitswesen der Cuna-Indianer auf dem San Blas-Archipel von Panama“ von Roland Werner wird mit umfangreichem Bildmaterial ein Überblick über das derzeitige Gesundheitswesen bei den Cuna gegeben und dabei insbesondere die Bedeutung und die Funktion des Uchus, anthropomorpher Holz- und Tongebilde im Rahmen der Volksmedizin erläutert, siehe Beitrag S. 3-32. red. Frau Konin Murahashi, Acarya des MikkyoBuddhismus [Reprint Curare 10 (1987) 3] Konin Murahashi, geboren 1953, weilte im April und Mai dieses Jahres mit ihrem Ehemann Koei curare 31(2008)2+3 164 M. in Deutschland. Das Mönchsehepaar stammt aus Kumamoto bei Nagasaki und stellte bei seinem Besuch hier den esoterischen Mikkyo-Buddhismus vor, insbesondere auch die Heilprozedur Kaji. Nach ihrem Völkerrechtsstudium an der AoyamagakuinUniversität in Tokio verfolgte K. M. Studien in buddhistischer Theologie und trat 1981 in die Askese-Schule an der Mikkyo-Zentrale in Koyassan, Süd-Hondo, ein, wo sie Ende 81 den hohen Rang einer Acarya erwarb (jap. tugendhafte Priesterin). An ihrer Wirkungsstätte zelebriert sie seit 1984 als stellvertretende Oberpriesterin des Shingonji-Tempels in Kumamoto mit ihrem Manne Rituale, betet und ist gleichzeitig Lebensberaterin für viele Hilfesuchende. Hier zelebriert Konin Murahashi in Oberberchtesgaden ein sogenanntes Goma-Ritual für den Frieden. U.a. weilte sie auch bei der Tagung „Heilen“ in Köln (vgl. Curare 1/87, S. 42) und bot hier Ratsuchenden Hilfe an. Das Foto wurde am 5.5.87 von Hideki Nakajima aufgenommen und zeigt die Acarya bei der vorbereitenden Meditation für das Goma-Ritual. (Feueropferzeremonie) im Kölner Museum für ostasiatische Kunst. Der dortige Leiter und Mikkyo-Kenner, Prof. Roger Goepper, lieferte bei der Veranstaltung weitere Erläuterungen. Die Mikkyo-Buddhisten sind davon überzeugt, dass der Mensch nicht erst nach vielen Seelenwanderungen, sondern schon in diesem jetzigen, „letzten“ Leben die Buddhaschaft erlangen kann. (Redaktionell zusammengefasst aus einem vorliegenden Beitrag von Bernhard Kirfel, Köln.) Anm. der Schriftleitung: In einem themenzentrierten Heft in Vol. 1988 sollen verschiedene Heilformen dargestellt werden, die u.a. im Rahmen alternativer Gesundheitsbewegungen auf Interesse gestoßen sind und hier in Europa Gemeinden bilden.1 Anmerkung: 1) Diese Themen wurden nicht in einem Themenheft verwirklicht, sondern erschienen verstreut. Der genannte Beitrag wurde nicht veröffentlicht. Der Heilkundige Koae Rabau aus Arabure [Reprint Curare 3 (1980) 3] Das Titelfoto wurde entnommen aus: Ethnomedizin – Beiträge zu einem Dialog zwischen Heilkunst und Völkerkunde. Hrsg. von Gerhard Rudnitzki, Wulf Schiefenhövel, Ekkehard Schröder, Ethnologische Abhandlungen Nr. 1, Vlg. D. Kurth, Barmstedt Dokumentation 1977. Inhalt siehe www.agem-ethnomedizin >>> Aktuelles >>>Verschiedenes / Others / Divers: „Archäologie“ der AGEM – Wer sind wir? – early representations. Hier der Klappentext dieses Bandes: Der Heilkundige Koae Rabau, etwa 70jährig, weit über die Grenzen seines Heimatdorfes hinaus berühmt, ein beeindruckender Mann voll ungebrochener körperlicher und geistiger Kraft und von erstaunlicher Spannweite seines Wissens - vom Priesterhaft-Aerztlichen bis zum Faunisch-Dämonischen. Wegen Ausübung von Zauberei war er von der australischen Administration mit einer Gefängnisstrafe belegt worden. Das Photo entstand im Februar 1971 in Koaes Dorf Arabure, Central District, Papua New Guinea. (Foto: Wulf Schiefenhövel1, siehe auch Titelbilder Curare 3/80 und 3/82 und Curare-Sonderband 5/1986 mit Koae). Der ausführliche Text im Curare-Heft: Koae Rabau aus dem Dorf Arabure in der Central Province von Papua New Guinea, einer der bekanntesten Heilkundigen des Roro-Sprachgebietes, war 1971 etwa 70 Jahre alt, ein herkulischer Mann mit straffer Haut über den massigen Armen und Beinen. Der herausfordernde Blick unter den buVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung Dokumentation 165 schigen weißen Brauen, der unglaubliche Appetit, das eruptive Lachen, auch das, was man von seiner sexuellen Aktivität berichtete, zeugten von ungebrochener Vitalität. Er hatte mich eingeladen, einige Tage in seinem Haus zu verbringen und bei seinen Heilhandlungen zugegen zu sein. Seinen Patienten wendet er sich lange und intensiv zu; er behandelte sie mit einer Mischung aus chiropraktischen Maßnahmen (wie Massage und Knackenlassen der Fingergelenke), Heilpflanzenanwendung und „magischen“ Formeln. Einige Kranke behandelte er wiederholt. Wie anderen mea mea taudia (Motu für Heilkundige) schrieb man auch ihm die Fähigkeit zu, vada (Motu für Schadenszauber) ausüben zu können. Wegen einer solcher Anschuldigung hatte er kurze Zeit im Gefängnis verbracht. Er sagte jedoch, dass er selbst nie vada ausgeführt habe. Seine besondere Stellung unter den Heilkundigen und Zauberern der Region wurde dadurch gefestigt, dass er nach allgemeiner Auffassung in der Lage war, die Geister der Verstorbenen zu rufen und sie zu diagnostischen und divinatorischen Aussagen zu bewegen. Bei einer solchen nächtlichen Geistersitzung konnte ich zugegen sein. Koae Rabau wendete dazu eine Mischung aus ventriloquistischer Technik und einer geflöteten Stimme an. Als eine der vorgeblichen Geisterstimmen in der Lingua Franca Motu zu mir redeten, wurden die sprachlichen Eigenheiten Koaes, der das Motu nur unvollkommen beherrschte, offenbar. Dieses aus Sicht des Europäers verräterische Zeichen blieb von meinem schulausgebildeten Begleiter Aitsi Paupua, der in der Seance eine Weissagung zur Ursache der Sterilität seiner Frau erhalten hatte, unbeachtet. Er war überzeugt, dass der Totengeist seiner Mutter zu ihm und einen anderen Geist gesprochen hat. Wulf Schiefenhövel, Seewiesen Geringfügige redaktionelle Übarbeitung dieser Zusammenstellung: Ekkehard Schröder Anmerkung: 1) Der Autor dieses Textes und Fotos, Wulf Schiefenhövel, war vor fast 40 Jahren erstmals in Papua und schloss sich als Doktorand der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin an. Von 1975-1986 war er (nach J. Sterly, 1970-1974) erster Vorsitzender der AGEM und gab ihr wesentliche Impulse. Er ist heute noch nicht ganz so alt wie Koae Rabau damals und feierte am 2. Oktober dieses Jahres seinen 65. Geburtstag am Max-Planck-Institut in Seewiesen, seinem langjährigen Wirkort als Humanethologe und Doktorvater einer beachtlichen Kohorte begeisterter Studenten. Möge er bei gleicher Gesundheit und Vitalität wie sein damaliger Gastgeber auf dessen Alter zusteuern und ihn mit weiteren kreativen Jahren überrunden. Das wünscht sein damaliger AGEM-Weggefährte Ekkehard Schröder, auch im Namen des Vereins. curare 31(2008)2+3
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