Contents Vol. 31 (2008) - Center for Health and Migration

Inhalt
1
Zeitschrift für Medizinethnologie
Journal of Medical Anthropology
hrsg. von/ed. by Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin (AGEM)
Inhalt / Contents
Vol. 31 (2008) 2+3
Doppelheft / Double Issue
Die fremden Sprachen, die fremden Kranken:
Dolmetschen im medizinischen Kontext
Foreign Languages, Foreign Patients:
Interpreting in a Medical Context
Herausgeber / Guest-editors:
Alexander Bischoff & Bernd Meyer
Die Autoren dieses Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Editorial
Alexander Bischoff & Bernd Meyer: Die fremden Sprachen, die fremden Kranken:
Dolmetschen im medizinischen Kontext / Foreign Languages, Foreign Patients: Interpreting
in a Medical Context . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Artikel
Franz Pöchhacker: Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin . . 000
Martina Kamm & Bülent Kaya: Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation
von Migranten/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Margareth Lin & Karl Mutter: Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext
heilpädagogischer Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth & Sylvie Schuster: Der Dialog zu Dritt: PatientInnen,
DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute in der Universitäts-Frauenklinik Basel . . . . . . . . . . . 000
Şebnem Bahadır: Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben,
darstellen, verändern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer & Jürgen M. Pelikan: Qualitätsgesichert
Dolmetschen im Krankenhaus: Europäische Implementierungs- und Evaluationserfahrungen . . . 000
Claudio Baraldi & Laura Gavioli: Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical
Systems in Interpreter-mediated Interactions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
curare 31(2008)2+3
Inhalt
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Joseph Kaufert & Patricia Kaufert: The Story of a “Trouble Case”: Language, Culture and
the Problems of Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Yvan Leanza: Community Interpreter’s Power. The Hazards of a Disturbing Attribute . . . . . . . . . 000
Christine Anthonissen & Bernd Meyer: Ärzte fragen, Patienten antworten (nicht immer):
Kommunikation in einem südafrikanischen Gesundheitsposten für Antiretrovirale Therapie . . . . . 000
Dokumentationen
Reprint nach 30 Jahren:
Ute Luig: Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda. . . . . . . . . . . 000
Reprint nach 20 Jahren:
Antonio Morten: Transkulturelle Psychiatrie und Migrationspsychiatrie – Berührungsängste in
einer Klassenpsychiatrie? Ein Versuch, durch interkulturellen und interdisziplinären Austausch
psychosoziale Handlungskompetenz zu erlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Berichte / Reports . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Buchbeprechungen / Book Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentations . . . . . 000
Zeitschrift Ethnologia Americana (Düsseldorf), Titel medizinethnologischer Artikel . . . . . . . . 000
Zeitschrift Shaman (Budapest), Artikeltitel ausgewählter Hefte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Kurskatalog medicine & health (Wien), Artikel 2002-2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
MAGEM 31/2008 (Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin) . . . . . . . . . . . . . 000
Dokumentationen
30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten III (Documentation selected Titles):
„Der Heilkundige und sein Patient / The Healer and his Patient“ [Dan Acierto – ein philippinischer
Geistheiler; Reprint Curare 5(1982)2] // Schulmediziner in Mitteleuropa, z.B. im Heilstollen von
Bad Gastein/Salzburger Land [Reprint Curare 6(1983)4] // Valentine Bao, Heilerin in Tolanaro/
Madagaskar [Reprint Curare 7(1984)2] // Heiler aus Tonga [Reprint Curare 11(1988)3] . . . . . 000
30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten IV (Documentation selected Titles):
„Ethnojatrie: Heilerpersönlichkeiten / Ethnoiatrics: Healing Personalities“ Ein nepalesischer
Jhakri (Zauberarzt) trommelt sich in Trance. Wacholderrausch als Kultmittel bei Zeremonien
[Reprint Curare 4(1981)4] die vier Titel] // Der mythologische Häuptling von Ailicandi mit
Zeremonialstab [Reprint Curare 7(1984)1] // Frau Konin Murahashi, Acarya des MikkyoBuddhismus [Reprint Curare 10(1987)3] // Der Heilkundige Koae Rabau aus Arabure
[Reprint Curare 3(1980)3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
Résumés des articles de curare 31 (2008) 2+3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 000
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Inhalt
3
Zum Titelbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U2
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U2
Hinweise für Autoren / Instructions for Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U3
Collage : 30 Jahre Curare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U4
Endredaktion: Ekkehard Schröder
Redaktionsschluss: 30.06.2008
Die Artikel in diesem Heft wurden einem Reviewprozess unterzogen / The articles of this issue are peer-reviewed
curare 31(2008)2+3
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Die Autorinnen und Autoren in
curare 31(2008)1
Alex Gabi, Dr. phil., Ethnologin.
Südasien Institut, Abteilung für Ethnologie,
Im Neuenheimer Feld 330, 69120 Heidelberg
e-mail: [email protected]
pp. xy
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes
Okamoto Ikumi,
School of Nursing and Midwifery, University of
Southampton,
Highfield Southampton SO17 1BJ
e-mail: [email protected]
pp. xy
Alnæs Anne Hambro,
Section for Medical Ethics,
Institute of General and Community Medicine,
Medical Faculty, Oslo University,
e-mail: [email protected], or [email protected]
pp. xy
Alvarez Santiago,
ca311 Alvarez, Santiago
e-mail: [email protected]
pp. xy
Bloom Maureen,
Royal anthropological Institute, London
e-mail: [email protected]
pp. xy
Edgar Jain,
Department of Anthropology, University of Durham,
43, Old Elvet, Durham DH1 3HN, UK
[email protected]
pp. xy
Halbmayer Ernst,
Department for Cultural and Social Anthropology,
University of Vienna
Universitätsstrasse 7/IV, A - 1010 Vienna, Austria
e-mail: [email protected]
pp. xy
Heald Suzanne,
Crisis States Research Centre,
London School of Economics, Houghton Street,
London WC2A 2AE
e-mail: [email protected]
pp. xy
Klaits Frederick,
University Writing Program, Duke University,
Box 90025,
Durham, NC 27708, U.S.A.
e-mail: [email protected]
pp. xy
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Introduction
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Editorial: Die fremden Sprachen, die fremden Kranken:
Dolmetschen im medizinischen Kontext
Alexander Bischoff & Bernd Meyer
Mit den Ärzten in der Muttersprache reden. Angst
und Fremdsprache, das passt nicht zusammen.
(Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon)
Die Hauptperson aus Merciers Roman Nachtzug
nach Lissabon, der Lehrer und Altphilologe Gregorius, ist in Lissabon krank geworden. Deshalb telefoniert er mit seinem Hausarzt in Bern. Dieser, ein
gebürtiger Grieche, rät ihm, nach Hause zu kommen. Nicht weil portugiesische Ärzte nicht auch die
nötigen Abklärungen vornehmen könnten, sondern
eben weil „Angst und Fremdsprache“ nicht zusammen passen würden. Gregorius hat die Möglichkeit
nach Hause zu gehen, und in seiner Muttersprache
zu sprechen, in seiner eigenen, vertrauten, und
unfremden Sprache. Diese Möglichkeiten haben
fremdsprachige Patienten in aller Regel nicht, jedenfalls nicht die, die aus ihrem Vaterland und ihrer
Muttersprache geflohen sind und in einem fremden
Land gelandet sind. Viele erfahren dort schmerzlich am eigenen Leib, wie Angst und Fremdsprache
nicht zusammen passen. Dolmetschen ist dann eines
der Mittel, den Graben zwischen diesen zwei nicht
zusammenpassenden Realitäten zu überbrücken.
Es ist nicht das einzige Mittel, aber sicherlich das
am nächsten liegende. Die hier erwähnten Arbeiten
sind natürlich nur eine Auswahl; wichtige Vorarbeiten wurden von diskursanalytisch geprägten Autoren geleistet. In diesen Arbeiten wird gezeigt, dass
die Beteiligung von Dolmetschern einen Einfluss
auf die Inhalte und den Verlauf von Arzt-PatientenGesprächen haben kann, vgl. etwa Prince, Rehbein
1985, 1986, oder Wadensjö 1998, um nur einige zu
nennen.
Über das Dolmetschen im Krankenhaus ist in
den letzten Jahren viel geschrieben worden. Die
Grundlagen sind inzwischen erarbeitet. Sprachbarrieren werden im klinischen Alltag zwar vermehrt
wahrgenommen, doch Belege, dass sie auch direkte klinische Auswirkungen haben können, liegen
erst seit kürzerer Zeit vor. Ein paar Studien seien
hier erwähnt; die wissenschaftlichen Arbeiten illustrieren auf ihre Weise, was die Literatur poetisch
formuliert: Sprachbarrieren stellen ein bedeutencurare 31(2008)2+3: 5-7
des Risiko für die Patientensicherheit dar, wie eine
minutiöse Untersuchung von Zwischenfällen („adverse events“) in sechs großen US Krankenhäusern ergeben hat (Divi et al. 2007). Fremdsprachige Patienten erhalten weniger schnell Termine für
Nachsorgeuntersuchungen (Sarver & Baker 2000),
erscheinen weniger zu Nachsorgeterminen (Pitkin
& Baker 2000) und halten sich weniger an die Medikamentenverordnung (David & Rhee 1998, Manson 1988). Die Wahrscheinlichkeit, dieselbe Klinik
bei erneuter Krankheit wieder aufzusuchen, ist bei
fremdsprachigen Patienten deutlich geringer, weshalb die Kontinuität in der Behandlung gefährdet
ist (Andrulis, Goodman & Pryor 2002, Carrasquillo et al. 1999). Viele Kliniken werden nur im
wirklichen Notfall von fremdsprachigen Patienten
aufgesucht (Gerrish et al. 2004). Fremdsprachige
Patienten nutzen präventive Angebote, z. B. Brustuntersuchungen, seltener (Jacobs et al. 2005, Woloshin et al. 1997). In einer Untersuchung über die
Kommunikation mit Asylsuchenden war zu beobachten, dass bei Abwesenheit einer dolmetschenden
Person deutlich weniger psychische Krankheitssymptome benannt werden, als in Dolmetschervermittelten Sprechstunden (Bischoff et al. 2003).
Eine beträchtliche Anzahl von Studien hat sich
schliesslich mit der Problematik der Adherence und
der Patientenzufriedenheit bei vorhandenen Sprachbarrieren beschäftigt. Die Übereinstimmung der gefundenen Resultate ist in diesem Punkt besonders
augenfällig: praktisch durchgehend sind fremdsprachige Patienten mit dem Klinikpersonal und der
Institution weniger zufrieden als die Referenzgruppen, d. h. die englischsprechende Patienten (Baker,
Hayes & Fortier 1998, Morales et al. 2006). Dass
Verständigungsschwierigkeiten zu einer geringeren Therapietreue und zu einer tiefen Patientenzufriedenheit führen, zeigen auch Rivadeneyra et al.
(Rivadeneyra et al. 2000).
Viele dieser Probleme können durch den Beizug
von Dolmetscherinnen und Dolmetschern angegangen werden.
Qualifizierte Dolmetschende tragen zur besseren
Versorgungs- und Pflegequalität bei. Soviel steht ei-
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nigermaßen fest. Es gibt zwar nicht viele, aber doch
einige dem quantitativen und biomedizinischen Ansatz verpflichtete Studien, die die verbesserte Quality of Care dokumentieren. Was aber unseres Erachtens fehlt, sind Tiefenblicke. Was geschieht in einem
medizinischen Kontext, wenn Dolmetscherdienste
eingeführt werden? Wer soll dolmetschen? Wie soll
man mit den Dolmetschenden zusammenarbeiten?
Was geschieht in der triadischen Kommunikation
zwischen Gesundheitsfachleuten, Patientinnen und
Dolmetschenden?
Dieses Curare-Heft vereinigt einige solche Tiefenblicke. Es sind Artikel vor allem qualitativer Art,
oft in Form von Fallstudien und Kasuistiken. Wir
freuen uns über die Vielfalt von Kontexten, die in
den Beiträgen beschrieben werden. Ebenso groß
ist die Vielfalt der Autorinnen und Autoren, die wir
für einen Artikel gewinnen konnten. Die Zeitschrift
Curare ist ja eigentlich der Diversität, der Vielfalt,
verpflichtet, und eignet sich darum ganz besonders
für ein Thema dieser Art. Der Editor-in-chief ist ein
Nervenarzt, die guest-editors sind Gesundheits- und
Pflegeforscher und Linguist, die Autorinnen und
Autoren sind allesamt ausgewiesen Forscherinnen
und Forscher aus folgenden alphabetisch und nicht
als Rangliste geordneten Fachgebieten: Anthropologie, Dolmetschen, Geschichte, Linguistik, Medizinethnologie, Politologie, Psychologie, Soziologie,
und Translationswissenschaft.
Im Folgenden sind Beiträge aus deutschsprachigen Ländern, sowie aus Italien, aus Kanada und aus
Südafrika zu finden. Sie sollen hier ganz kurz vorgestellt und eingeführt werden:
In seinem Artikel mit dem Titel „Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin“ stellt der Wiener Dolmetschwissenschaftler
Franz Pöchhacker den Fall eines Gesprächs mit einer Migrantenfamilie in einer logopädischen Praxis
dar, in dem es um die Sprachentwicklung eines der
Kinder der Familie geht. Als Kommunikationshilfe fungiert eine Nichte der Mutter, die als Wiener
Teenagerin über gute Deutschkenntnisse verfügt.
Pöchhacker zeigt, wie aufgrund der unklaren Rollenverteilung eine Reihe von Missverständnissen
entstehen, die den Beteiligten allerdings gar nicht
auffallen – während das Gespräch im Rückblick
und aus der analytischen Perspektive kaum als erfolgreich bezeichnet werden kann, erschien es für
die direkt Betroffenen, die Logopädin und die Familie normal und unproblematisch.
Alexander Bischoff & Bernd Meyer
Martina Kamm und Bülent Kaya vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Interne
Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von Migranten/innen“ mit den informellen
Kompetenzen von Pflegekräften mit Migrationshintergrund. Am Beispiel einer Rehabilitationsklinik
zeigen die Autoren, dass diese Klinikangestellten
aufgrund ihrer informellen sprachlichen Ressourcen
einen „substanziellen Beitrag zum Heilungserfolg“
leisten können.
Margareth Lin und Karl Mutter (Frühberatung
und Heilpädagogischer Dienst der Stadt Basel) diskutieren den „Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung.“ Sie
heben hervor, dass interkulturelle Vermittlung in
der Beratungsarbeit fundamentale Bedeutung hat,
da die Klienten meist nicht über das nötige Wissen
verfügen, um Beratungsangebote zu verstehen und
gezielt zu nutzen. Auch die divergierenden „Alltagspsychologien“ der Klienten erfordern nach ihrer Auffassung eine intensive Vermittlung, um zu
einer Verständigung im Rahmen der institutionellen
Kommunikation zu kommen, aber auch um überhaupt das Gespräch mit den Klienten im notwendigen Umfang zu ermöglichen.
Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth und Sylvie
Schuster (Universität und Universitätsspital Basel)
fragen in ihrem Beitrag „Der Dialog zu Dritt: Patientinnen, Dolmetscherinnen und Gesundheitsfachleute
in der Universitäts-Frauenklinik Basel“ danach, wie
Ärzte und Dolmetscher im Gespräch zusammenarbeiten. Auf der Basis von Interviews mit Ärzten
und anderen Gesundheitsfachleuten zeigen sie auf,
dass die an der Klinik tätigen professionellen Dolmetscher über die sprachliche Vermittlung hinaus
häufig auch zwischen den verschiedenen Wissensbeständen und Erfahrungen der Ärzte und Patienten
vermitteln müssen.
Şebnem Bahadır von der Universität Mainz
stellt in ihrem Beitrag „Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen,
verändern“ Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten
für Dolmetscher vor, die auf „Kommunikationskompetenz und Empathiebildung“ abzielen. Im
Mittelpunkt steht das Forum-Theater nach Augusto
Boal als eine Methode, mit der die verschiedenen
Kulturen der an einem gedolmetschten Gespräch
Beteiligten inszeniert und wahrgenommen werden
können. Dabei stellt Bahadır die Leiblichkeit der
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Editorial
Dolmetscher in den Vordergrund, die eben nicht unsichtbare und unbeteiligte Dritte sind, sondern als
Personen, die eine eigene Biografie verkörpern, in
die Interaktion eintreten.
Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer
und Jürgen M. Pelikan vom Wiener Ludwig Boltzmann-Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie beschreiben in ihrem Artikel „Qualitätsgesichert
Dolmetschen im Krankenhaus: Europäische Implementierungs- und Evaluationserfahrungen“ wie
Dolmetschtätigkeiten besser in die Arbeitsabläufe
in Krankenhäusern integriert werden können. Ihre
Studie wurde im Rahmen des europäischen Projektes “Migrant Friendly Hospitals” durchgeführt und
setzte mit Interventionen in bestehenden Angeboten
an, die in der Folge evaluiert und verbessert wurden.
In dem sie eine organisationssoziologische Perspektive einnehmen, betonen die Autoren die Bedeutung
der organisatorischen Rahmenbedingungen, sowie
der internen Kommunikationsprozesse für die Verbesserung der Kommunikation mit Patienten mit
Migrationshintergund.
Der Soziologe Claudio Baraldi und die Sprachwissenschaftlerin Laura Gavioli von der Universitá di Modena e Reggio Emilia thematisieren in
ihrem Beitrag “Cultural presuppositions and recontextualization of medical systems in interpretermediated interactions“. Ihre Kernthese lautet, dass
in den von ihnen beobachteten Dolmetschinteraktionen verschiedene kulturelle Systeme zueinander
in Beziehung gesetzt werden. Die Dolmetscher als
Vermittler würden je nach ihrer eigenen kulturellen Orientierung diese Systeme abschwächen oder
verstärken. Die in der Studie präsentierten Daten
sprächen dafür, dass Dolmetscher die Normen und
Erwartungen der „medical culture“ eher verstärkten
und die der Patienten zurückdrängten. Dies indem
sie auf beiden Seite der Sprachbarriere jeweils dyadisch handelten. Letztlich behindere dies die Verständigung, weil dadurch patientenorientiertes Arbeiten erschwert werde.
Die Soziologen Joseph und Patricia Kaufert von
der University of Manitoba präsentieren in “The
Story of a ‘Trouble Case’: Language, Culture and
the Problems of Translation” das Scheitern einer
staatlichen Familienplanungsinitiative unter den
kanadischen Inuit in Baffin Island in den siebziger
Jahren. Sie betonen dabei, dass das Scheitern der
Initiative nicht allein schlecht arbeitenden Dolmetschdiensten zuzuschreiben sei. Vielmehr müsse
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die komplette Ignoranz der staatlichen Verantwortlichen gegenüber der Situation einer von politischen
und kulturellen Umbrüchen gebeutelten Gruppe
hervorgehoben werden. Diese aber sei trotz zahlreicher Verbesserungen in den letzten Jahren nicht
prinzipiell überwunden.
Yvan Leanza, Psychologe von der Université de Laval in Québec, diskutiert in “Community
interpreter’s power. The hazards of a disturbing attribute” die Macht von Dolmetschern im Gesundheitswesen als wichtiger Mittelspersonen. Leanza
nimmt dabei verschiedene Perspektiven ein und
zeigt, dass diese Macht sehr verschieden und widersprüchlich wahrgenommen wird: so etwa als potentielle Bedrohung institutioneller Interessen und
zugleich auch als im Widerspruch zu den Interessen
der Patienten stehend. Anstatt die Macht der Dolmetscher zu fürchten und ihr aus den jeweils verschiedenen Richtungen Grenzen zu setzen, sollte es
nach Auffassung des Autors vielmehr darum gehen,
die “representations of what an interpreter is and his
place in interventions” zu verändern und so Veränderungen der kommunikativen Praxis im Gesundheitssystem insgesamt zu fördern.
Die Sprachwissenschaftler Christine Anthonissen (Stellenbosch University) und Bernd Meyer
(Universität Hamburg) untersuchen in ihrem Beitrag „Ärzte fragen, Patienten antworten (nicht immer): Kommunikation in einem südafrikanischen
Gesundheitsposten für Antiretrovirale Therapie
(ART)“ die Rolle bilingualer Angestellter, die als
sprachliche und kulturelle Mittler tätig werden. Das
südafrikanische Gesundheitssystem versucht seit
einigen Jahren, allen HIV-Infizierten antiretrovirale Therapien zugänglich zu machen. Dies stößt
jedoch auf erhebliche Kommunikationsprobleme,
da Ärzte, Gesundheitsfachleute und Patienten meist
nicht denselben Sprachgruppen angehören und auch
nicht immer über eine gemeinsame Lingua Franca
verfügen. Die Beteiligung von Mittlern sei daher
unabdingbar; ihre besondere Bedeutung für die Administration der ART schlage sich jedoch nicht in
ihrem institutionellen Status nieder.
Die verschiedenen Beiträge haben mindestens
eines gemeinsam: Sie beschreiben Kontexte, in
denen mit Übersetzung gearbeitet wird. Die recht
unterschiedlichen Vorgehensweisen beim Einsatz
von Dolmetschdiensten zeigen aber, dass sich weder Traditionen guter Praxis noch allgemeingültige
Standards herausgebildet haben). Mehr noch: Die
Alexander Bischoff & Bernd Meyer
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Unsicherheit – oder sollen wir sagen: Scheu? –
im Umgang mit Dolmetschenden ist nach wie vor
gross. Dolmetschen ist noch nicht Mainstream. Dolmetschen ist etwas Ungewöhnliches. Auch Gregorius und sein griechischer Arzt möchten sich nicht auf
eine Dolmetschperson verlassen. Woher rührt das?
Es mag an der Hermeneutik, oder – besser gesagt – an deren Entwicklung oder Fehlentwicklung
liegen. Die Hermeneutik ist die Kunst, eine gemeinsame Sprache zu finden. Die Hermeneutik ist die
Kunst des Verstehens, von dem Gadamer sagt, es
sei ein „Abenteuer und wie jedes Abenteuer gefährlich“. Der spanische Philosoph und Theologe Raúl
Fornet-Betancourt formuliert in Hermeneutik und
Politik des Fremden, ein philosophischer Beitrag
zur Herausforderung des Zusammenlebens in multikulturellen Gesellschaften: „Ausgangspunkt einer
Hermeneutik der Fremden sollte die Grundeinsicht
sein, dass Übersetzen Bedingung für das Verstehen
von Fremden ist. … In der Tat: wir müssen die Arbeit von Hermes auf uns nehmen“ (Fornet-Betancourt 2003).
„Die Arbeit von Hermes auf uns nehmen“ – das
geht nicht nebenbei und das ist keine Lappalie.
Nicht jeder kann es diesem griechischen Gott ohne
weiteres nachtun und die Vermittlung herstellen.
Dazu braucht es vielmehr Voraussetzungen, wie
beispielsweise Sprachenkenntnisse, einen sicheren
Stand und Sensibilität. Oft sind die, die sich fremd
gegenüber stehen, zu dieser hermeneutischen Leistung gerade nicht in der Lage. Sie benötigen deshalb
eine dritte Person, die als Hermes dolmetschend und
vermittelnd auftritt.
In der griechischen Mythologie ist Hermes der
Götterbote und Wortführer, der die Aufgabe hat,
die Botschaften aus der fremden Welt der Götter in die Welt der Menschen zu übertragen, sie
zu übersetzen, und den Menschen verständlich zu
machen. Hermes wird oft für Dienstleistungen der
Götter eingesetzt; er ist ein Schlitzohr (darum auch
der Gott der Händler und der Wirtschaft); er ist ein
Sohn des Zeus, Komplize in vielen seiner amourösen Projekte; er muss, ohne Aufsehen zu erregen,
zwischen Himmel und Erde verkehren, und würde
heute Kommunikationsberater, Ombudsman, oder
Go-Between genannt. Ihn bezeichnet Plato als Vater aller Dolmetscher. Später wird Hermeneutes das
griechische Wort für Dolmetscher, einer der handelt
wie Hermes.
Die Hermeneutik als Kunst des Verstehens
scheint sich im Verlaufe der Zeit von Hermes getrennt zu haben. Es ist, wie wenn Hermes selbst
in seiner Funktion als Dritter ignoriert und ausgeschlossen würde. Vielleicht, weil das Ambivalente
des Dolmetscher-Hermes verunsichert und befremdet? Möchte man sich im medizinischen Kontext,
wo man zuweilen – als Patient oder als medizinische Fachperson – schon so verunsichert, befremdet
oder gar verängstigt ist, vielleicht nicht auch noch
auf eine zusätzliche, dritte Person, den Dolmetscher, einlassen?
Die vorliegende Sammlung mit Artikeln über die
fremden Sprachen und die fremden Kranken mögen
dazu beitragen, dem Dolmetschen das Verunsichernde zu nehmen und dem Hermes in der Kunst
des verstehenden Vermittelns, der Hermeneutik,
seinen ihm angemessenen und würdigen Platz zuzugestehen.
Foreign Languages, Foreign Patients:
Interpreting in a Medical Context
Talking with doctors in their mother tongue. Fear
and foreign language do not make a good match.
(Pascal Mercier: A Night Train to Lisbon)
The protagonist of the novel, the teacher and ancient
philologist Gregorius, has fallen ill in Lisbon. He
rings up his family physician in Berne. His family doctor, a native of Greece, advises him to come
home; not because Portuguese doctors could not
undertake the necessary clarifications, but because
“fear and foreign language” simply do not make a
good match. Gregorius has the option of going home
and speaking in his mother tongue—his own, familiar, and un-foreign language. Foreign-language patients, on the other hand, usually do not have that
option; at least not those, who have fled from their
home country and their mother tongue and have
ended up in a foreign country. Many of them expeVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Editorial
rience at first hand and often painfully that fear and
foreign language do not make a good match. Interpreting is a means of bridging the gap between those
two realities that do not go together. It is not the
only means, but the obvious one. Important spadework has been done in discourse analytical studies
on interpreter-mediated doctor-patient-communication, such as Prince 1986, Rehbein 1985, 1986, or
Wadensjö 1998.
Much has been written about interpreting in hospitals in the past years and foundations have been
laid. Language barriers have indeed been observed
in everyday clinical life; evidence for the fact that
those barriers can have instant clinical effects, however, has only recently become available. A few
studies will be mentioned below. The articles illustrate what literature verbalises rather poetically:
Language barriers constitute a significant risk for
the patients’ safety. This was shown by a meticulous
examination of adverse events in six big US hospitals (Divi et al. 2007). Foreign-language patients do
not obtain appointments for follow-up examinations
as promptly (Pitkin & Baker 2008) and do not as
strictly abide by the prescription for their medications (David & Rhee 1998, Manson 1988). Foreignlanguage patients are not as likely to visit the same
hospital twice (Andrulis, Goodman & Prvor 2002,
Carrasquillo et al. 1999), which jeopardises continuity of treatment. Many hospitals are visited by
foreign-language patients only in true emergencies
(Gerrish et al. 2004). Moreover, foreign-language
patients rarely make use of preventative measures,
e.g. breast exams (Jacobs et al. 2005, Woloshin et
al. 1997). In a study about the communication with
asylum seekers it was observed that in case of absence of an interpreter significantly fewer symptoms
of disease are being specified than during a consultation when an interpreter is present (Bischoff et
al. 2003). A considerable number of studies have
been dealing with the problem of adherence and the
patients’ satisfaction in cases of existing language
barriers. The results show a great deal of conformity: continuously, foreign-language patients are
less satisfied with the hospital personnel and the institution than the peer group, i.e. English-speaking
patients (Baker, Hayes & Fortier 1998, Morales
et al. 2006). Rivadeneyra et al. also show that communication problems lead to little adherence and to
a deep dissatisfaction of the patients (Rivadeneyra
curare 31(2008)2+3
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et al. 2000). Many of those problems can be tackled
with the help of interpreters.
One thing is certain: qualified interpreters help
improve the quality of health care. There are a few
studies taking a quantitative and biomedical approach attesting to the improved quality of care.
However, in our opinion keen insights are missing.
What happens in a medical context when interpreters are being introduced? Who is supposed to interpret? How is one supposed to collaborate with interpreters? What happens in triangular communication
between health experts, patients and interpreters?
This issue of Curare brings together such keen
insights. It includes qualitative articles in terms of
case studies and case histories. We are delighted
about the diversity of contexts, which are being
elaborated on in the contributions. Equally great is
the variety of authors, who we could win for this
project. The journal Curare is very suited for a topic
like this, because it commits itself to diversity. The
editor-in-chief is a neurologist, the guest-editors are
a nursing scientist and a linguist, and all authors
are scientists coming from the following fields: anthropology, history, linguistics, medical ethnology,
political science, psychology, sociology, and translation studies.
Hereafter, you will find contributions from German-speaking countries as well as Italy, Canada,
and South Africa, which will be introduced briefly:
In his article “Illness, culture, children, communication: The niece of an interpreter”, Franz Pöchhacker from Vienna presents the case of a conversation with a migrant family in a speech therapy
practice, elaborating on the speech development of
one of the family’s children. The mother’s niece,
possessing good knowledge of the German language as a teenager from Vienna, functions as the
interpreter. Pöchacker shows that a range of misunderstandings are caused due to the ambiguous distribution of roles. However, the parties concerned
do not notice those misunderstandings and find the
conversation normal and unproblematic, although
in retrospect from an analytical perspective the conversation cannot be identified as successful.
In their contribution “Internal lay interpreters—
a gain for the rehabilitation of migrants”, Martina
Kamm and Bülent Kaya of the Swiss Forum for Migration and Population Studies concern themselves
with the informal competences of nurses with a migration background. Using the example of a reha-
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bilitation clinic, the authors show that clinic staff
is able to make a “substantial contribution to the
patients’ healing progress”.
Margareth Lin and Karl Mutter (Heilpädagogischer Dienst für den Vorschul-und Schulbereich
der Stadt Basel) discuss the “Contribution of Intercultural Mediation in the Context of Therapeutic
Counselling”. The authors stress that intercultural
mediation has fundamental importance in counselling, because the clients usually do not possess the
knowledge needed to understand and make targeted
use of consultation services. The divergent “everyday psychologies” of the clients require full-scale
mediation, as well, in order to reach an understanding within the scope of institutional communication
on the one hand and to even enable communication
with the clients to a necessary extent on the other.
In their exposition “Dialogue for three: Patients,
interpreters and health experts in the University
Women’s Hospital Basel”, Alexander Bischoff,
Elisabeth Kurth and Sylvie Schuster (University
and University Hospital of Basel) ask the question
how interpreters collaborate in conversation. Based
on interviews with doctors and other health experts
they show that on top of linguistic mediation professional interpreters often have to mediate between
the different inventories of knowledge and experiences of doctors and patients, as well.
In her article “The theatre of interpretation: observing, participating, rehearsing, acting, changing”, Şebnem Bahadır of the University of Mainz
presents options for education and training for interpreters, who aim at “communication competence
and creating empathy”. The focus is Augusto Boal’s
Forum Theatre method, with which different cultures of the participants involved in an interpreted
conversation can be directed and perceived. Bahadır
places emphasis on the interpreters’ corporeity and
stresses that they are not invisible and non-involved,
but enter the interaction as individuals with their
own biographies.
In their article “Ensuring quality of interpretation in hospitals: European implementation and
evaluation experiences”, Sonja Novak-Zezula,
Ursula Karl-Trummer and Jürgen M. Pelikan of
the Ludwig Boltzmann Institute for the Sociology
of Health and Medicine describe how interpreting
could be better assimilated into the hospitals’ workflow. The study was conducted within in the frame
of the project “Migrant Friendly Hospital”. The
Alexander Bischoff & Bernd Meyer
interventions apply to consisting services, which
were evaluated and improved. With their organisation sociological approach, the authors stress the
importance of the organisational parameters and the
internal communication processes for the improvement of communication with patients with a migration background.
The sociologist Claudio Baraldi and the linguist
Laura Gavioli of the Universitá di Modena e Reggio
Emilia make “Cultural presuppositions and re-contextualization of medical systems in interpreter-mediated interactions” a subject of discussion in their
exposition. Their proposition is that in the interpreted interactions they monitored cultural systems are
correlated. The interpreters functioning as mediators have the power to either weaken or intensifying
those systems due to their cultural orientation. The
data attest to the fact that interpreters intensify the
norms and expectations of the medical culture and
repress those of the patients by acting dyadically
on both sides of the language barrier respectively.
In the end, communication is hindered, for patientoriented functioning is being complicated.
The sociologists Joseph and Patricia Kaufert of
the University of Manitoba present the failure of a
nationalised family planning initiative among the
Canadian Inuit in Baffin in the 1970s in their article
“The Story of a ‘Trouble Case’: Language, Culture
and the Problems of Translation”. They underline
that the initiative’s failure was not just the fault of
bad-working interpreting services. Instead, the ignorance of the government toward the situation of
a group stricken by political and cultural upheavals
should be emphasised. Despite numerous improvements during the past years this ignorance is not in
principle overcome.
In “Community interpreter’s power—The hazards of a disturbing attribute”, Yvan Leanza, psychologist at the Université de Laval in Québec,
discusses the power of interpreters as important
mediators in health care. In doing so, Leanza takes
different perspectives and shows that this power
is being perceived very diversely: for instance as
a potential threat to institutional interests, but also
standing in opposition to the patients’ interests.
However, instead of fearing and limiting the interpreters’ power from different sides, the goal should
be to change the “representations of what an interpreter is and his place in interventions” and thereby
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Editorial
promoting changes of the communicative practice
in the health care system as such.
In their contribution “Doctors ask, patients (not
always) answer: Communication in a South African
health office for Anti-Retroviral Therapy (ART)”,
the linguists Christine Anthonissen (Stellen­bosch
University) and Bernd Meyer (University of Hamburg) examine the role of bilingual employees functioning as linguistic and cultural mediators. For a
while, the South African health care system has
been trying to make Anti-Retroviral Therapy available to all patients who are HIV-positive. This, however, runs across massive communication problems,
because doctors, health experts, and patients often
do not belong to the same speech communities and
sometimes even do not share a lingua franca. The
participation of interpreters is therefore inevitable;
their special importance for the administration of
the ART, however, is not reflected in their institutional status.
The different articles have at least one thing in
common: They describe translation contexts. The
rather diverse approaches to the introduction of
interpretation services, however, show that as yet
no traditions (and therefore no common standards)
exist. What is even more problematic is that the insecurity or should we say reserve in dealing with
interpreters is big: Interpreting is not yet the mainstream, it is something extraordinary. Gregorius and
his Greek doctor do not want to depend on an interpreter, either. Why is that?
It might be down to the hermeneutics or rather its
development or underdevelopment. Hermeneutics
is the art of finding a common language. Hermeneutics is the art of understanding, of which Gad
­ amer
says: “Understanding is an adventure and is, like
every adventure, dangerous.” The Spanish philosopher and theologist Raúl Fornet-Betancourt says
in his “Hermeneutics and politics of the foreign, a
philosophical contribution to the challenge of living together in multicultural societies”: “The basis
of hermeneutics of foreign people should be the
base insight that translation is a requirement for
understanding foreign people…Indeed: we have to
take on the work of Hermes” (Fornet-Betancourt
2003).
“Taking on the work of Hermes”—that is not
something that is done in passing, it is no bagatelle.
Not everybody can emulate the deeds of this god
and create communication. Certain qualifications
curare 31(2008)2+3
11
are needed, for instance language skills, but also a
firm stand and sensitivity. Often are those who are
strangers to themselves not capable of this hermeneutic service. They need a third party to act as
Hermes, as an interpreter and mediator.
In Greek mythology, Hermes is the messenger
of the gods and the spokesman, whose job it is to
transfer messages from the alien world of the gods
to the world of humans, to translate them, and to
make them comprehensible to humans. Hermes is
often employed for the gods’ services; he is a shark
(and therefore god of merchants and economy); he
is the son of Zeus and his accomplice in many amorous projects; he has to commute between Heaven
and Earth without causing a stir. Today he would be
called communications advisor, ombudsman, or gobetween. Plato named him father of all interpreters.
Later, ‘Hermeneutes’ becomes the Greek word for
interpreter, somebody who acts like Hermes.
In the course of time, however, hermeneutics,
the art of understanding, seems to have parted with
Hermes. It is as though Hermes is being ignored and
barred. That might be the case because the ambivalent interpreter Hermes is outlandish and discomfits
people. In a medical context, where one is discomfited and even scared as it is (as a patient or a medical expert), one had rather not get involved with an
interpreter, a third party.
The current collection with its articles on foreign languages and foreign patients will hopefully
contribute to the challenge of delivering interpreters from whatever it is that makes other people
insecure in their presence and makes them want to
avoid interpreters. It will hopefully contribute to
giving Hermes back the place that he is worthy of in
hermeneutics, the art of understanding.
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VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin
13
Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin
Franz Pöchhacker
Zusammenfassung Im Rahmen eines Fallbeispiels behandelt der Beitrag aus dolmetschwissenschaftlicher Perspektive die Problematik des Laiendolmetschens im Gesundheitswesen. Gegenstand ist eine auf Video aufgezeichnete logopädische Begutachtung eines türkischen Kindes in der Ambulanz eines Wiener Krankenhauses unter Mitwirkung einer zweisprachigen jugendlichen Begleitperson. Die Analyse bringt teils gravierende Missverständnisse
und Kommunikationsstörungen zutage, die im unklaren Rollenbewusstsein der dolmetschenden Person und ihrer
Positionierung in der Familienstruktur begründet liegen. Dass sich die Therapeutin der dysfunktionalen Kommunikation nicht bewusst war, unterstreicht die Bedeutung von diskursbasierten Analysen zur Qualitätssicherung in
interkulturellen Kommunikationsprozessen.
Disease, Culture, Children, Communication: The Niece as Interpreter
Abstract This paper in the form of a case study investigates the practice of ad hoc interpreting in healthcare from
the perspective of interpreting studies. It analyzes a videotaped interview conducted by a speech therapist in a
large Vienna hospital to assess language development in a young Turkish child with the help of a bilingual teenage
relative. The analysis reveals some serious instances of misunderstanding and miscommunication which can be
attributed mainly to the interpreter’s uncertainty about her role and to her position within the family. The fact that
the therapist remained unaware of this dysfunctional communication highlights the importance of discourse-based
studies to ensure quality in intercultural communicative encounters.
Keywords (Schlagwörter) interpretation of laymen (Laiendolmetscher) – logopedics (Logopädie) – dysfunctional communication (dysfunktionale Kommunikation) – intercultural communicative encounter (interkultureller
Kommunikationsprozess) – Community Interpreting (Kommunaldolmetschen) – Vienna (Wien)
Einleitung
Die vier Begriffe im Titel dieses Beitrags spannen
ein breites und vielfältiges Themenfeld auf: „Krankheit“ und „Kultur“ verweisen auf den Kontext der
transkulturellen Medizin, in dem nicht nur, aber vor
allem auch das Thema „Kommunikation“ eine zentrale Rolle spielt. In diesem weiten Feld stellt das
Dolmetschen als vermittelte zweisprachige Kommunikation eine von verschiedenen Möglichkeiten
dar, Sprach- und Kulturbarrieren zu überwinden.
Entsprechend den unterschiedlichen begrifflichen
Bezügen erlaubt die gegenständliche Thematik eine
Reihe von disziplinären Zugängen (siehe Pöchhacker 2006) – wie dies aus den anderen Beiträgen zu
diesem Heft deutlich hervorgeht.
Der vorliegende Beitrag nähert sich dem Thema
„Dolmetschen im medizinischen Kontext“ aus der
Perspektive der Dolmetschwissenschaft, der für das
Phänomen Dolmetschen augenscheinlich zuständigen wissenschaftlichen Disziplin. Allerdings hat
die Dolmetschforschung erst Mitte der 1990er Jahre
curare 31(2008)2+3: 13-
begonnen, dem Dolmetschen jenseits von interna­
tionalen Konferenzen und Organisationen Beachtung zu schenken. Als akademische Disziplin, die
ihre Existenz ursprünglich dem professionellen Dolmetschen bei internationalen Konferenzen verdankt,
schloss die Dolmetschwissenschaft die weniger und
gar nicht professionalisierten Erscheinungsformen des Dolmetschens im innergesellschaftlichen
Kontext sogar aus ihrem Gegenstandsbereich aus.
Doch auch nach erfolgter Eingemeindung des Kommunaldolmetschens (Community Interpreting) in
den Objektbereich der Dolmetschforschung (siehe
Pöchhacker 2000a) ging die Orientierung am professionellen Status von Dolmetschenden nicht verloren. Im Gegenteil: Maßgebliche Publikationen,
wie etwa die im Gefolge der Konferenzreihe The
Critical Link erschienenen Bände (z.B. Wadensjö
et al. 2007), stehen ganz im Zeichen der Professionalisierung dieser Sparte des Dolmetschens.
Vor diesem (dolmetschwissenschaftlichen) Hintergrund kann eine Auseinandersetzung mit dem
Thema „Kinder als Dolmetscher“ kaum wertfrei er-
14
folgen, steht dieses Phänomen doch dem Bestreben
nach Professionalisierung von Dolmetschleistungen im kommunalen Bereich geradewegs entgegen.
Dennoch sollte es möglich sein, das sogenannte
„natürliche Dolmetschen“ (natural translation), das
Brian Harris schon Ende der 1970er Jahre als Untersuchungsgegenstand eingemahnt hatte, auf translationswissenschaftlicher Grundlage und mit primär
deskriptiver Ausrichtung zu behandeln, fehlt es
doch weitgehend an empirischen Studien über das
tatsächliche translatorische Verhalten von Kindern
und Jugendlichen. Im vorliegenden Beitrag wird
diesem Forschungsbedarf durch eine Fallstudie aus
einem Wiener Krankenhaus Rechnung getragen, in
der vor allem die Aspekte Dolmetschkompetenz
und Rollenauffassung im Mittelpunkt stehen. Zuvor aber sei kurz der einschlägige Forschungsstand
skizziert, der – wie oben angedeutet – weitgehend
durch Beiträge aus anderen Disziplinen geprägt ist.
Kinder als Dolmetscher – zum Forschungsstand
Von grundlegender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der von Brian Harris eingeführte Begriff
“natural translation”, definiert als “the translating
done in everyday circumstances by people who
have had no special training for it” (Harris & Sherwood 1978: 155). Ausgehend von Erkenntnissen
aus der Sprachentwicklungs- und Zweisprachigkeitsforschung wurde vor allem das „natürliche
Dolmetschen“ durch Kinder beschrieben und zuletzt
besonders im schulisch-pädagogischen Zusammenhang, etwa unter dem Titel “language brokering”,
gewürdigt (z.B. Valdés 2003, Hall 2004).
Neben der angewandt-linguistischen Perspektive wurde das Phänomen der dolmetschenden Kinder vor allem aus soziologischer Sicht untersucht,
wobei immer wieder auf Probleme im Zusammenhang mit der für die Kinder problematischen Rollenkonstellation hingewiesen wird. Im Zuge ihrer
Dolmetschtätigkeit für Familienangehörige finden
sich Kinder oft in einer Situation, die ihrem sozialen
Alter und Erfahrungsstand nicht entspricht und sie
kognitiv nicht selten überfordert und die aufgrund
der sprachlich-kommunikativen Machtposition der
Mittelsperson eine Rollenumkehr im familiären
Umfeld impliziert (z.B. Kohn 1996).
Eines der am häufigsten untersuchten Einsatzfelder von Kindern in der Dolmetscherrolle ist das
Franz Pöchhacker
Gesundheitswesen. Schon 1988 untersuchte ein
britisches Ärzteteam Gespräche mit Personen indischer Abstammung, in denen die Verständigung von
Kindern bzw. Enkelkindern der ausschließlich Gujarati sprechenden PatientInnen ermöglicht wurde.
Ebden et al. (1988) fanden, dass von rund 150 untersuchten Fragen des Arztes je nach Dol­metscherIn
23-44% unrichtig oder überhaupt nicht wiedergegeben worden waren. Bei der Analyse der verwendeten medizinischen Ausdrücke fanden sie in ihrem
Material mehr als 80 Wörter oder Wendungen, die
von mindestens einem der dolmetschenden Kinder
falsch übersetzt, ausgelassen oder missverstanden
worden waren. Als Beispiele nennen sie anatomische Ausdrücke wie „Bein“ anstelle von „Knöchel“
oder „Backenzähne“ anstelle von „Kiefer“ oder
auch symptombezogene Ausdrücke wie „Abführmittel“ anstelle von „Durchfall“ und „wässriger
Stuhl“ anstelle von „Wasser lassen“. Laut Ebden
et al. (1988) war es den dolmetschenden Kindern
insgesamt unangenehm, Fragen über Körperfunktionen für ihre Eltern zu übersetzen.
Ähnliche Berichte existieren auch für die Psychiatrie. Vasquez & Javier (1991) beschreiben unter
anderem den Fall einer aus Lateinamerika in die
USA eingewanderten Frau, die nach dem Tod ihrer
Mutter an Depressionen und Halluzinationen litt und
sich deswegen auch schon in Behandlung begeben
hatte. Als sie wegen einer Medika­menten­überdosis
in die Notfallambulanz eingeliefert wurde, fungierte ihr 15jähriger Neffe im Gespräch mit einem
Psychiater als Dolmetscher. Nachdem die Frau laut
der beschönigenden Verdolmetschung durch den
Neffen nur von einer Verwechslung und von Einschlafstörungen sprach, wurde sie entlassen. Noch
vor einem vereinbarten Kontrolltermin unternahm
die Frau einen (weiteren) Selbstmordversuch.
Gravierend ist auch der von Jacobs et al. (1995)
beschriebene Fall einer Zehnjährigen, die im Zusammenhang mit ihrer Dolmetschtätigkeit in der
klinischen Betreuung ihres mit schweren Missbildungen geborenen und mit dreizehn Monaten verstorbenen kleinen Bruders eine schwere posttraumatische Störung erlitt.
Dennoch wurde in letzter Zeit auch versucht, das
Positive an den Erfahrungen junger Menschen als
Dolmetscher im medizinischen Kontext hervorzuheben. So etwa stellen Green et al. (2005) – unter
Verweis auf die Erhebung von Cohen et al. (1999)
– die „normative Ideologie“ in Frage, wonach KinVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin
der grundsätzlich nicht als Dolmetscher für die klinische Verständigung herangezogen werden sollten.
In einer Interviewstudie (mit u.a. 54 Zehn- bis Fünfzehnjährigen) arbeiteten sie heraus, dass viele der
Befragten trotz der nicht zu leugnenden Belastung
ihrer Dolmetschtätigkeit auch Erfolgserlebnisse
und ein gesteigertes Selbstwertgefühl verdankten
und dass sie oft stolz waren, den als normal empfundenen Erwartungen ihrer Familienangehörigen
in Sachen kommunikativer Unterstützung entsprechen zu können.
Ungeachtet der jeweiligen Einschätzung von
Nutzen und Risiko steht außer Zweifel, dass der
Einsatz von (Migranten-)Kindern als Dolmetscher
im medizinischen Kontext weit verbreitet ist. Für
das österreichische Gesundheitswesen wurde dies
in einer Befragung von mehr als 500 MitarbeiterInnen Wiener Krankenhäuser erhoben. In der Kategorie „Begleitpersonen“, die neben „fremdsprachigem
Krankenhauspersonal“ (einschließlich Reinigungskräften) für den Großteil der vermittelten Kommunikation mit nicht (ausreichend) Deutsch sprechenden PatientInnen verantwortlich zeichnen, wurde
von 73 Prozent der befragten ÄrztInnen, Pflegekräften und TherapeutInnen spezifiziert, es handle
sich „häufig“ oder „fast immer“ um Kinder (siehe
Pöchhacker 2000a, 2000b).
Aus eben diesem, in der Wiener Community Interpreting-Studie untersuchten medizinischen Kontext stammt das Fallbeispiel eines Erstgesprächs
zwischen einer Therapeutin und einer türkischsprachigen Familie, deren Nichte als Dolmetscherin
fungiert.
Material und Methode
Von der HNO-Abteilung eines in die oben erwähnte Umfrage einbezogenen Wiener Krankenhauses
wurde die Videoaufnahme eines authentischen
Patien­tengesprächs für wissenschaftliche Analyse-
15
Abb. 1:Räumliche Konstellation der Gesprächsbeteiligten
zwecke zur Verfügung gestellt. Zur diskursanalytischen Untersuchung wurde das etwa 22 Minuten
lange Gespräch zwischen einer diplomierten Logopädin und einer türkischen Familie zur Gänze nach
orthographischen Konventionen1 transkribiert.2
An der Interaktion beteiligt sind eine diplomierte
Logopädin mit etwa sieben Jahren Berufserfahrung
(genannt „Tanja“), „Sefanur“, ein knapp zweieinhalbjähriges Kind mit Verdacht auf Sprachentwick­
lungsverzögerung, die türkischsprachigen Eltern
von „Sefanur“ („Vater“, „Mutter“) und die etwa
fünfzehn- bis sechzehnjährige Nichte der „Mutter“,
die als Dolmetscherin fungiert („Dolm.“). Die räumliche Konstellation ist in Abbildung 1 dargestellt.
Der Interaktionsverlauf lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die ersten dreieinhalb Minuten sind
einer allgemeinen Anamnese und die folgenden drei
einer Sprach­anam­nese gewidmet. Im Weiteren dominieren spielerische Sprach­verständnis- und Nachsprechübungen, in denen vor allem die Mutter eine
anleitende Rolle übernimmt. Im letzten Drittel der
Interaktion stehen weitere Übungen zur Erhebung
des sprachlichen Entwicklungsstandes sowie Ratschläge der Therapeutin zur Förderung der Sprach­
entwicklung im Vordergrund.
1. Neben der Wiedergabe mündlicher Originaläußerungen in Kapitälchen und Übersetzungen in Kursivschrift wurden fol­gende Transkriptionskonventionen ver­wendet:
.. .
Pause (ab 1,5 Sek.; ‚.‘ = 0,5 Sekunden)
/
Abbruch
[xxx] unverständliche Äußerung
= = gleichzeitige Äußerung (Beginn Ende)
( ) Hinweise auf den Situationskontext und paraverbale Phänomene
2. Für die Transkription und Übersetzung der türkischen Gesprächsanteile danke ich Frau Banu Wimmer, für die Durchsicht der Übersetzung Herrn Dipl.Übers. Latif Durlanik.
curare 31(2008)2+3
Franz Pöchhacker
16
Anhand der für diesen Beitrag ausgewählten
Transkriptionsausschnitte werden vor allem die
Kompetenz der jungen Dolmetscherin und ihre Rollenauffassung erörtert. Eine weiter gehende Darstellung der Fallstudie findet sich in Pöchhacker
(2000a, Kap. 5).
Anamnese-Fehler
Der erste Gesprächsausschnitt entspricht dem Beginn der Interaktion und enthält bezeichnende Belege für die dem Gespräch zugrunde liegende Kommunikationskonstellation (Ex. 1).
Ex. 1 (00.04 – 00.42)
1) Tanja:
Nehmen sie da Platz, Bitte? Äh, der Kleine soll sich da hinsetzen. Nehmen sie da Platz Bitte. .. .. .. So, .. . Gut. Nehmen/ Die Mutter soll sich da / So. Da is so ein Spiel, .. .. .. .. schaun
sie mal, wo er die Formen da passend hineinstecken soll. Können sie ihm das einmal erklären,
wie er das machen soll? Kennt er das?
2) Mutter: Sefanur! At şunu, yap bakayim kizim. Al, at şurdan içeri bakayim.
Sefanur! Wirf das mal, mach es mein Töchterlein. Nimm, wirf’s mal dort hinein.
3) Tanja:
Kennt er so ein Spiel?
4) Mutter: (zu Sefanur) Hah, hangisine olur? =Bak, bak hangisine olur?=
Ha, wohin passt es? Schau, schau, wohin passt es?
5) Tanja:
=Kennt er so ein Spiel?=
6) Dolm.: Taniyor mu öyle şeyleri?
Kennt [er/sie] solche Sachen?
7) Mutter: (nickt) Mhm.
8) Vater:
Ja, schon kennen.
9) Tanja:
Kennt er, hm.
Die Therapeutin stellt ohne weitere Einleitung
einen Einsteckspielkasten auf den Tisch, mit dem
„der Kleine“ während der Anamnese beschäftigt
werden soll. Die Mutter gibt die Spielanweisung
an ihre kleine Tochter (!) weiter (2) und richtet ihre
Aufmerksamkeit in den folgenden Minuten des Gesprächs immer auch auf diesen Nebenschauplatz der
Interaktion. Dass die Mutter nicht auf Tanjas Frage,
ob Sefanur ein derartiges Spiel kenne (1), reagiert,
zeugt allerdings nicht von mangelnder Aufmerksamkeit, sondern von mangelndem Verständnis des
Deutschen. Auch als Tanja die Frage ein zweites
Mal stellt (3), erfolgt keine Reaktion. Erst nach der
zweiten Wiederholung (5) gibt Dolm. die Frage auf
Türkisch an die Mutter weiter. Da das Personalpro-
nomen für die dritte Person Singular im Türkischen
nicht geschlechtsspezifisch markiert ist, erscheint es
in der Verdolmetschung jeden­falls in der korrekten
Form. Da auch die verbale Antwort des Vaters im
„gastarbeiterdeutschen“ Infinitiv gehalten ist (8),
bleibt die Ge­schlechts­verwechslung der Therapeutin verborgen (9).
Dass die Mutter, die in der Interaktion zwischen
Therapeutin und Kind nicht nur räumlich gesehen
eine zentrale Position einnimmt, selbst bei einfachen Fragen auf die Verdolmetschung durch ihre
Nichte angewiesen ist, zeigt sich überaus deutlich
im zweiten, rund einminütigen Gesprächsausschnitt
(Ex. 2), der mit der ersten Frage auf Tanjas Anamnesebogen einsetzt.
Ex. 2 (01.07 – 02.03)
1) Tanja:
(zur Mutter) Wie war denn die Schwangerschaft?
2) Dolm.: .. .. Yengeee, doğumun nasildi?
Tanteee, wie war deine Geburt?
3) Mutter: (achselzuckend)He, iyi, normal.
Ja, gut, normal.
4) Tanja:
Normal. Mhm. Und die Geburt?
5) Mutter: (blickt fragend zu Dolm.)
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin
17
6) Dolm.: (leise) Doğumun. (lauter) Doğumun.
Deine Geburt.
Deine Geburt.
7) Mutter: Nasil doğumum?
Wie, meine Geburt?
8) Tanja:
Mit Zange, Saugglocke, Kaiserschnitt?
9) Dolm.: Doğumun.
Deine Geburt.
10) Sefanur: Annee, bana.
Mamaa, mir.
11) Mutter: Normaldi doğumum,
Normal war meine Geburt,
12) Dolm.: Doğumun nasiydi?
Wie war deine Geburt?
13) Mutter: Normaldi doğumum.
Normal war meine Geburt.
14) Vater: Kendi doğumun ya.
Also, deine eigene Geburt.
15) Dolm.: Yaa, doğum.
Also, die Geburt.
16) Mutter: Ben kendim doğduğum zaman mi?
Als ich selbst geboren wurde?
17) Dolm.: Yoo, bunu doğurduğun zaman.
Naa, als du ihn/sie da geboren hast.
18) Mutter: Normal! Dikişle oldu. Ne bileyim ben, normal oldu işte.
Normal! Mit Naht war sie. Was weiß ich, sie war doch normal.
19) Sefanur: Anne.
Mama.
20) Mutter: Ya, şimdi söyledim, Zuhal! Tamam! Doğum normal oldu. Dikişle oldu. Tamam bitti işte!
Also, ich habe es doch gerade gesagt, Zuhal! Schluss! Die Geburt war normal. Jetzt aber
aus!
21) Tanja: Also ich mein jetzt ob es / wie/ Weiss sie nicht, was ich meine, oder was /
22) Sefanur: Anne.
Mama.
23) Vater: Nein, sie, auch normale sagen, wenn /
24) Tanja: Die Geburt selbst,
25) Vater: Mhm.
26) Tanja: Also ohne Komplikationen?
27) Vater: (Bestätigend) Na, Na, Na.
Nachdem die Mutter auch nach zwei Sekunden
nicht auf die direkt an sie gerichtete Frage der Therapeutin reagiert, wird sie von Dolm. zuerst durch die
gedehnte Anrede „Tanteee“ in ungeduldigem Ton
zur Aufmerksamkeit gemahnt, bevor ihr die Frage
nach ihrer Schwangerschaft mit Sefanur als Frage
nach ihrer Geburt verdolmetscht wird (2). Nach der
für sie transparent erscheinenden Antwort „normal“
stellt Tanja ihre zweite (Standard-)Frage (4). Diese
wird der Mutter von Dolm. (nach einem hilfesucurare 31(2008)2+3
chenden Blick) zuerst gleichsam souffliert und dann
in lauterem Ton wiederum als Frage nach der Geburt wiedergegeben (6). Die zu Recht verständnislose Rückfrage der Mutter bildet den Auftakt zu einer Gesprächssequenz in türkischer Sprache, in der
Dolm. immer wieder auf eine Antwort dringt (7-20),
ohne sich offenbar über die durch ihre Verwechslung von „Schwangerschaft“ und „Geburt“ gestiftete Verwirrung im klaren zu sein. Tanjas Zusatzfrage nach potentiell relevanten Komplikationen (8)
Franz Pöchhacker
18
geht im Ringen der Familie um eine Klärung der
Fragestellung unter. Paradoxer­weise ist es die noch
direkter in die Irre führende Frageformulierung des
Vaters (14), die letztendlich zu einer Klärung des
Missver­ständnisses durch Dolm. führt (17). Angesichts des für sie unverständ­lichen Gesprächs, das
anstelle einer Antwort auf die gestellte Frage nur
eine konsternierte Reaktion der Mutter zeitigt, versucht Tanja, sich klärend ein­zuschalten (21). Auf
ihr Nach­fragen hin übernimmt der Vater die Beant­
wortung der Frage (23). Nach zweifacher Rückbestätigung (25, 27) gibt sich Tanja mit der Antwort
zufrieden. Aus der Sicht der türkischen Familie liegt
jedenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt, knapp zwei
Minuten nach Beginn des Ge­sprächs, eine Kommunikationsstörung vor, deren Grund – die Fehlübersetzung von Dolm. – unaufgeklärt bleibt.
Unaufgeklärt bleibt eine knappe Viertelstunde
lang auch die Fehlannahme der Therapeutin, es
handle sich bei dem Kind um einen Jungen. Dies
erweist sich vor allem im Rahmen der Sprachanamnese als fatal, da Tanja für ihre Nachsprechübungen Gegenstände anbietet (z.B. Ball, Auto), die
sie als Lieblingsspielsachen eines kleinen Jungen
annimmt. Der Anamnesebefund, dass Sefanur eine
verzögerte Sprachentwicklung aufweise, wird durch
diese, in komplexer Weise kulturbedingte und von
der Dolmetscherin nicht aufgeklärte Fehleinschätzung grundsätzlich in Frage gestellt.
Kommunikationsstörung durch
Nichtwiedergabe
Inwieweit es Aufgabe der dolmetschenden Person
ist, im Fall eines offensichtlichen Missverständnisses klärend einzugreifen, ist eine Frage, die
unmittelbar in die komplexe Diskussion über die
Dolmetscherrolle führt. Dieser liegen wiederum die
gegensätzlichen Standpunkte zugrunde, wonach ein
Dolmetscher einerseits ein „neutrales Sprachrohr“
oder aber ein aktiv handelnder Gesprächsbeteiligter
sei. Die bisher diskutierten Gesprächsausschnitte
könnten vermuten lassen, dass die junge Dolmetscherin ihre Rolle eben im ersteren, „passiven“ Sinn
versteht. Wie jedoch aus dem folgenden Exzerpt
(Ex. 3) hervorgeht, liegt ihrer Rollenauffassung
auch nicht die Verpflichtung zur „bloßen“ Wiedergabe des Gesagten zugrunde. Im Gegenteil: Durch
die Nichtwiedergabe von an die Mutter gerichteten
Fragen und Erläuterungen der Therapeutin schließt
Dolm. gerade jene Person aus der Interaktion aus,
zu deren kommunikativer Unterstützung sie an dem
Gespräch teilnimmt.
Ex. 3 (06.33 – 06.41)
1) Tanja:
Und
es
/ (zu Dolm.) Fragen
sie die
Mutter,
entwickelt is, nur sprechen tut er nicht.
sie würde sagen, dass er sonst völlig normal
2) Dolm.: Ja.
3) Vater: Mhm.
4) Tanja: Hmhm.
Tanja spricht noch einmal zusammenfassend die
Entwicklung des Kindes an, wobei sie ihre Frage –
indirekt via Dolm. – ausdrücklich an die Mutter gerichtet wissen will (1). Dolm. unterlässt es jedoch,
die Frage für die Mutter auf Türkisch wiederzugeben. Vielmehr geben sowohl sie als auch der Vater
eine bestätigende Antwort (2-3), die von Tanja auch
als solche zur Kenntnis genommen wird. Die junge
Dolmetscherin kontrolliert somit hier, mit wem worüber gesprochen wird oder nicht. Sie nimmt damit
– paradoxerweise gerade durch ihr Nichtagieren –
entscheidenden Einfluss auf den Kommunikationsverlauf. Dieses aktive Eingreifen durch Nichtwiedergabe findet seinen Höhepunkt in der Endphase
der Interaktion, in der einerseits Tanja auf ihre Geschlechtsverwechslung aufmerksam wird und andererseits das Betreiben der Mutter, den eigentlichen
Grund ihres Ambulanzbesuchs anzusprechen, durch
ihre Angehörigen blockiert wird.
Dem im folgenden Exzerpt (Ex. 4) wiedergegebenen Gesprächsausschnitt geht eine Sequenz
voraus, in der die Therapeutin Ratschläge zur
Förderung der kindlichen Sprachentwicklung erteilt. Die Familie reagiert jedoch mit resignativer
Skepsis, sieht sie doch darin keine Lösung für das
eigentliche Problem, das sie zu diesem Ambulanzbesuch veranlasst hat. Dieser Grund – der Verdacht,
dass ein verwachsenes Zungenbändchen Sefanurs
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin
19
Ex. 4 (14.07 – 16.43)
 1) Tanja: (zu Sefanur) Brrrrmmm. Brrrrrm. Brrrrm. Brrrrrm. Brrrrrrrrr. =Kannst du das auch?=
 2) Vater: =Aber aber /= Aber normal is, sprechen schon auch (greift sich an den Hals), dass net pas­
siern dann später /
 3) Mutter: (zu Dolm.) Yaa, şu çocuğun dilinde/
Ja, aber bei der Zunge von dem Kind/
 4) Tanja: Was meinen Sie?
 5) Vater: Na, wenn wenn später is/
 6) Dolm.: Kann sie später vielleicht reden?
 7) Tanja: Schaun Sie, er is / Is das eine sie?
 8) Dolm.: Ja. (lacht)
 9) Tanja: Hhh! ‘tschuldigung! Ich dachte immer, ’s is ein er. Oh, peinlich. Also sie, ja. Ähm, sie ist
verzögert in der Sprachentwicklung, sie ist sicher hintennach. Und man kann nicht sagen,
es kann sein, dass sie einen Teil von selber noch entwickelt, Sprache, aber es kann auch
sein, dass sie einmal Unterstützung braucht, ja, viele/ also Kinder lernen es manchmal von
alleine, und manchmal brauchen sie aber Hilfe von aussen, das kann man jetzt noch nicht
sagen. Sie ist sicher hintennach. Es ist nicht normal, wie sie jetzt spricht. Sonst scheint sie
zu verstehen. Sie versteht: Leg den Ball zum Fenster und Gib den Ball dem Papa. Das ist
gut, ja, aber es wäre/ also es ist auffällig, dass sie nicht nachspricht. Viele Kinder in dem
Alter schaun auf den Mund, und wenn die Mama sagt Auto, sagn sie auch Auto, Auto, sie
versuchen das, und das tut sie nicht. Das ist nicht gut. Das muss man fördern. Das muss man
unterstützen. (zu Dolm.) Wichtig ist, dass sie das der Mutter erklär’n, weil sie ist ja die
Hauptbezugsperson, ja.
10) Dolm.: (nickt) Ja.
11) Tanja: (zu Sefanur) Brrrmmmmmmm.
12) Vater: Ne diyo?
Was sagt’s?
13) Dolm.: Uğrasacak mişin onlari şapmaya. İlerde konuşabilirmiş.
Du sollst dich bemühen, diese Dings zu machen. In Zukunft, sagt sie, kann sie reden.
14) Mutter: Ama bu çocuğun ağzinda et var. Söyleyin ya! Onu anlamiyor bunlar! Biz bundan şüpheleniyoruz de!
Aber im Mund von dem Kind ist etwas verwachsen. Sagt es doch! Das verstehen die nicht!
Sagt, wir haben da einen Verdacht.
15) Vater: Ya birak allahini seviyorsan!
Ja, lass doch, um Gottes willen!
16) Mutter: Ne icindin getirdik buraya? Bu yolu!
Weshalb haben wir sie hierher gebracht? Diesen Weg!
17) Dolm.: Anlamiyor bunlar!
Die verstehen das nicht!
18) Vater: Anlamiyor, anlamiyor, ha!
Sie versteht es nicht! Sie versteht es nicht, ha!
19) Tanja: (zu Sefanur) Brrrrmmmmmm. der Bär schiesst mit dem Auto. (zu Dolm.) Wichtig is auch,
dass sie alles, was sie mit ihr machen, ja, mit mit Worten unterstützen, ja, dass sie nicht ohne
sprechen essen oder ohne Sprechen sie anziehen. Dass sie sagen: So, wir ziehn jetzt die Hose
an, das ist die Hose. Immer wieder viel Sprache anbieten.
20) Dolm.: Mhm.
21) Tanja: Ja? Alles, alles mit Sprache machen. Schau, das ist deine Hose. Und das ist das Leiberl.
Schau, jetzt ziehn wir das Leiberl an. Ja? Oder: Was möchtest du essen? Möchtest du eine
Semmel? Ja, schau, eine Semmel. Da ist die Semmel. Nicht gleich geben, ja, sondern zuerst:
curare 31(2008)2+3
20
Franz Pöchhacker
Semmel, dass das Kind sieht, aha, Semmel, und hört, ja? Also alles, ah, unterstützen, mit
Sprache. Ja? Versteh’n sie das?
22) Vater: Ja, ja, schon, kann eh verstehn, ja.
23) Dolm.: Ja, ja.
Sprachentwicklung verhinden könnte – war vom
Vater am Ende der fünften Gesprächsminute angesprochen worden („Ja nur, nur ich hab .. .. Angst, ja,
vielleicht später net sprechen oder so, es /“); seine
Initiative blieb jedoch seitens der mit dem Anamnesebogen beschäftigten Therapeutin gänzlich unbeachtet. Nunmehr unternimmt der Vater – und in der
Folge auch die Mutter – einen weiteren bzw. letzten
Versuch, das Anliegen der Familie anzu­sprechen.
Dass sich die Familie nicht primär um Sefanurs
kognitive Sprach­entwicklung sorgt, sondern vielmehr befürchtet, es liege bei dem Kind eine organische Fehlbildung vor, die kein normales Sprechen
ermöglicht, ist aus der Äußerung des Vaters (2)
kaum zu erkennen. Erst die Mutter spricht, dem
Vorstoß ihres Mannes folgend, die gemeinsame
Sorge, d.h. die Konsequenzen eines verwachsenen
Zungenbänd­chens, direkt an (3). Da sie dies nur auf
Türkisch tut, kann die Therapeutin vom Schlüssel­
wort „Zunge“ keine Notiz nehmen und unterbricht
sogar mit ihrer an den Vater adressierten Rückfrage
(4) die Äußerung der Mutter. Da der Vater offenbar
wieder Mühe hat, sich zu artikulieren (5), kommt
ihm Dolm. zu Hilfe bzw. fällt ihm mit einer wiederum sehr allgemein gehaltenen Frage nach dem
„Reden-Können“ ins Wort (6). Erst an dieser Stelle,
mehr als vierzehn Minuten nach dem Beginn des Gesprächs über und mit Sefanur, wird Tanja aufgrund
des weiblichen Personalpronomens in der Frage
von Dolm. der Geschlechtsverwechslung gewahr
(7, 9). Als Tanja nach einer besonders aus­führlichen
Er­klärung, die sich allerdings im Einklang mit der
Frage wiederum auf Sefanurs Sprachent­wicklung
und nicht auf ihre Sprechorgane bezieht, auf eine
Verdolmetschung für die Mutter dringt, tut Dolm.
nichts dergleichen (10) und reagiert erst auf die Frage des Vaters, der Tanjas längeren Ausführungen
offenbar nicht folgen konnte (12-13). Die Mutter
gibt sich mit der – knappen – Antwort von Dolm.
nicht zufrieden und bringt schlussendlich genau das
eigentliche Anliegen zum Ausdruck (14). Der Vater
hat jedoch an diesem Punkt die Hoffnung auf eine
Verständigung über das Problem bereits aufge­geben
(15). Im Gegensatz zu seiner Frau (16) ist er bereit,
ihr ganzes Bemühen, in der HNO-Abteilung Rat
und Hilfe zu finden, als gescheitert zu betrachten.
Dass Dolm. sich dabei mit den Worten „Die verstehen das nicht!“ ganz auf die Seite des Vaters stellt,
macht es der Mutter de facto unmöglich, sich bei
der Therapeutin noch Gehör zu verschaffen. Ohne
jeglichen Einblick in diese kritische Situation auf
seiten der Familie fährt Tanja mit weiteren Ratschlägen zur Förderung der Sprachentwicklung fort
(19, 21), die von Dolm. und vom Vater jeweils kurz
bestätigend zur Kenntnis genommen werden (20,
22-23). Der Anschein der Verständigung bleibt damit gewahrt; das eigentliche Anliegen der Familie
dagegen trotz – oder vielleicht sogar wegen – der
mitgebrachten Dolmetscherin unverstanden.
Diskussion und Schlussfolgerung
Die Kommunikation zwischen der Logopädin und
der türkischen Migrantenfamilie erweist sich als
eine Mischung aus „ein bisschen Verstehen“ der
deutschen Aussagen der Therapeutin und „ein bisschen Über­setzen“ durch die als Verständigungshilfe
mitgebrachte Nichte der Eltern. Da auch der einigermaßen Deutsch sprechende Vater Probleme hat,
sich zu artikulieren, bildet die jugendliche Dolmetscherin die einzige wirkliche Verständigungsbrücke,
so dass es für die Interaktion von kritischer Bedeutung ist, wie sie die ihr zufallende Dolmetschaufgabe wahrnimmt.
Wie aus den Gesprächsausschnitten hervorging,
verfügt die „natürliche Dolmetscherin“ nicht über
eine Rollenauffassung, die ihr ein konsequentes
Wiedergeben aller Äußerungen der primären Gesprächspartner (Therapeutin und Mutter) für die
jeweils andere Seite nahelegen würde. Das passive Verhalten des Mädchens erweckt vielmehr den
Eindruck einer Back-up-Funktion für den Fall,
dass die direkte Verständigung auf Schwierig­keiten
stößt. Anders wäre es kaum zu erklären, dass sie zu
Beginn des Gesprächs Tanjas Frage nach dem Bekanntsein des Einsteckspiels erst wiedergibt, nachdem sie zum dritten Mal gestellt worden ist (Ex. 1:
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Krankheit, Kultur, Kinder, Kommunikation: Die Nichte als Dolmetscherin
1-6). Ebenso scheint das Mädchen fast ärgerlich,
als die Mutter nicht auf die erste Anamnesefrage
reagiert (Ex. 2: 2). Nachdem die Frage nach der Geburt (Ex. 2: 4) infolge der fälschlichen Wiedergabe
von „Schwangerschaft“ als „Geburt“ (Ex. 2: 1-2)
zu einem nur mit großer Mühe reparierten Missver­
ständnis geführt hat (Ex. 2: 7-20), wird die Mutter
in weiterer Folge durch direkte Reaktionen ihrer
Angehörigen als Gesprächspartnerin zunehmend in
den Hintergrund gedrängt. Obwohl die Therapeutin
die Nichte nicht in der Rolle einer eigenständigen
Gesprächsteilnehmerin akzeptiert und sich bemüht,
die als Hauptbezugsperson des Kindes angenommene Mutter zu erreichen, bleibt ihr kommunikatives
Bestreben letztlich erfolglos, da die Dolmetscherin
ihrer Wiedergabefunktion nicht nachkommt. Sofern
sie doch eine Wiedergabe bietet, führt ihre mangelnde translatorische Kompetenz zu erheblichen
Störungen in der Kommunikation. Die als besonders gravierendes Beispiel angeführte fälschliche
Wiedergabe von „Schwangerschaft“ als „Geburt“
(Ex. 2: 1-2) hat, ab­gesehen von der familiären Auseinandersetzung bei der nachfolgenden Bear­beitung
des Missverständnisses, de facto zur Folge, dass die
erste Anam­nese­frage völlig unbehandelt bleibt, so
als hätte die Therapeutin sie nicht gestellt.
Inwieweit das von der Therapeutin als „auffällig“ befundete Nachsprech­verhalten im konkreten
Fall tatsächlich mit einer Sprachentwicklungsver­
zögerung zu tun hatte, ist für die gegenständliche
Analyse nicht von primärem Interesse. Das Risiko
sprachlich-kulturell bedingter und trotz der Anwesenheit mehr oder weniger zwei­sprachiger Personen
verdeckter Missverständ­nisse und deren mögliche
Konsequenzen sind aus dem vorliegenden Fall­
beispiel deutlich zu ersehen. Von grundlegender Bedeutung ist jedenfalls, dass die gesamte Interaktion
von der Therapeutin eben nicht als „auffällig“ wahrgenommen wurde. Wenngleich beide Seiten mit ihrem kommunikativen Anliegen gänzlich scheiterten
und die Klienten dies auch explizit konstatierten
(„Die verstehen das nicht!“), behielt die Kommunikation aus der Sicht der medizinischen Fachkraft
den Anschein der Normalität.
Zwanzig Jahre nach der Studie von Ebden et al.
(1988) gelangt man somit durch dieses authentische
Fallbeispiel zu gleichlautenden Schlussfolgerungen:
Die erste bezieht sich auf das Risiko von unerkannten sprachlich-inhaltlichen Mängeln infolge einer
ungenügenden Dolmetschkompetenz der translatocurare 31(2008)2+3
21
risch ungeschulten Minderjährigen. Dass derartige
Defizite – wie die übergangene Anamnesefrage
und ähnliche Auslassungen – klinisch relevant sein
können, ging auch aus der Analyse von Ebden et al.
(1988) hervor: “In each case, the quality of information given in the history would have made it difficult to form a correct initial diagnosis.”
Noch gravierender weil mit weit reichenden
systemischen Konsequenzen verbunden ist jedoch der zweite Analysebefund – der Eindruck der
scheinbar funktionierenden Kommunikation, der
die weit verbreitete Praxis des nichtprofessionellen
Sprachmittelns zu legitimieren scheint und keinen
Handlungsbedarf zur Professionalisierung von Dolmetschleistungen im medizinischen Kontext erkennen lässt. Auch die in der Studie von Ebden et al.
(1988) untersuchten Arzt-Patient-Gespräche waren
den teilnehmenden Ärzten durchwegs als „reasonably normal“ erschienen – bis eine Analyse der aufgezeichneten Gespräche erfolgte.
Auch der hier untersuchte Fall von nichtprofessionell vermittelter Kommunikation mit nicht
deutschsprachigen KlientInnen eines Wiener Krankenhauses war im ursprünglichen institutionellen
Kontext als völlig unauffälliger Routinefall erschienen und bedenkenlos für Analysezwecke zur Verfügung gestellt worden. Erst die detaillierte Betrachtung der türkischen und deutschen Gesprächsdaten
weist die Interaktion als solche und das Agieren der
translatorisch ungeschulten Minderjährigen, die als
Dolmetscherin fungieren sollte, als ausgesprochenen Problemfall aus. Seine dolmetschwissenschaftliche Aufarbeitung sollte – neben einer Stärkung des
Problembewusstseins in Kreisen der medizinischen
Fachkräfte – jedenfalls das Bestreben rechtfertigen,
durch weitere Analysen dieser Art zu einer empirisch fundierten Einschätzung der Rolle von Kindern als Dolmetschern zu gelangen.
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Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von
Migranten/innen
Franz Pöchhacker, Ao. Universitätsprofessor für Dolmetschwissenschaft am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien; Ausbildung als Konferenzdolmetscher in Wien und Monterey;
freiberufliche Tätigkeit als Konferenz- und Mediendolmetscher seit 1988; Promotion im Bereich Konferenzdolmetschen (Simultandolmetschen als komplexes Handeln, Tübingen: Narr 1994); Habilitation
über wissenschaftsdisziplinäre Fragen und Kommunaldolmetschen im Gesundheitswesen (Dolmetschen:
Konzeptuelle Grundlagen und deskriptive Untersuchungen, Tübingen: Stauffenburg 2000); zuletzt Arbeiten über Dolmetschen im Asylverfahren; Autor von über 60 Aufsätzen und mehrerer Monographien; u.a.
Introducing Interpreting Studies (London: Routledge 2004); Mitherausgeber der Zeitschrift Interpreting:
International Journal of Research and Practice in Interpreting.
Zentrum für Translationswissenschaft,
Universität Wien
Gymnasiumstr. 50, 1190 Wien, Austria
e-mail: [email protected]
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen
23
Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die
Rehabilitation von Migranten/innen
Martina Kamm & Bülent Kaya
Zusammenfassung Martina Kamm (Soziologin) und Bülent Kaya (Politologe) vom Schweizerischen Forum für
Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rehabilitation von Migranten/innen“ mit den informellen Kompetenzen von
Pflegekräften mit Migrationshintergrund. Am Beispiel einer Rehabilitationsklinik in der Deutschschweiz zeigen
die Autoren, dass diese Klinikangestellten aufgrund ihrer informellen sprachlichen Ressourcen gerade bei einem
längeren Aufenthalt einen „substanziellen Beitrag zum Heilungserfolg“ der stationären Patienten leisten können.
Title
Abstarct Martina Kamm (sociologist) and Bülent Kaya (political scientist) are researchers at the Swiss Forum
for Migration and Population Studies at the University of Neuchâtel (SFM). They show in their contribution that
the use of internal non professional interpreters can be gainful for the rehabilitation process of migrants. As an
example, they have chosen a rehabilitation clinic in the German part of Switzerland. The authors argue that especially for long term patients, the internal use of informal language resources that employed migrants bring along
can substantially contribute to a successful treatment.
Keywords fehlen noch
Lead
Ein Blick auf die Rehabilitation von Migranten an
der Klinik Valens im Kanton St.Gallen (Schweiz)
zeigt, dass interne Laiendolmetscher viel zum Gelingen der Rehabilitation beitragen können. Ein
längerer Klinikaufenthalt, wie im Falle der Rehabilitation erforderlich, setzt eine möglichst vertrauensvolle und kontinuierliche Kommunikation zwischen
Behandelnden und Patienten voraus. Interne Laiendolmetscher, die selbst einen Migrationshintergrund
mitbringen, leisten hierzu einen wertvollen Beitrag.
Heute ist die Wichtigkeit von Dolmetscherdiensten
im Spitalkontext zwecks optimaler Verständigung
mit dem fremdsprachigen Patienten weitgehend unbestritten. Allerdings stellt sich immer öfter die Frage, wann es sinnvoll ist, auf externe, professionelle
Dolmetscher zurückzugreifen, wann hingegen auf
interne Übersetzungshilfen. Der folgende Beitrag
illustriert, dass der Rückgriff auf interne Übersetzungshilfen auch im Kontext der Ressourcennutzung von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund
durchaus Sinn macht. Veranschaulicht wird dies am
Beispiel der Rehabilitation von Migranten. Der Beitrag erhebt keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Er beruht vielmehr auf einer Aktionsforschung,
curare 31(2008)2+3: 23-
die das Schweizerische Forum für Migrations- und
Bevölkerungsstudien SFM im Jahre 2005 für das
Schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG)
an sieben Spitälern und Kliniken der deutschen und
französischen Schweiz durchgeführt hat.1
1. Einleitung
„Es geht um den Auftrag der Gesellschaft, Migranten zu pflegen. Da stellt sich uns einfach die
Frage, wie kann ich den Auftrag am besten erfüllen. Dafür brauche ich die bestmöglichen Instrumente, Wissen und Hilfsmittel! Es geht doch
darum, den Drehtür-Effekt zu vermeiden. Dafür
braucht es Personal. Das Personal hat man und
seine Ressourcen auch.“
(Leiterin für Pflegequalität an einem grossen
Schweizer Spital)
Migranten, die im Gesundheitswesen arbeiten,
bringen nebst ihren formell anerkannten Qualifikationen oftmals weitere, wertvolle Ressourcen mit.
Dazu gehören beispielsweise Mehrsprachigkeit,
Migrationserfahrungen oder die Vertrautheit mit
Kulturen anderer Herkunftsländer. Diese informellen Ressourcen2 entstehen im Verlaufe des So-
24
zialisationsprozesses und werden nicht durch ein
Diplom oder Zertifikat erworben. Informelle Ressourcen von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund sind für das Gesundheitswesen der Schweiz
insofern bedeutsam, als in der Schweiz allein im
Jahre 2005 25% aller Beschäftigten im Gesundheitswesen Ausländer waren (28.000 von 109.000).
Gerade im Pflegesektor arbeiten viele überqualifizierte ausländische Arbeitskräfte. Hier existiert
ein Potenzial an informellen Ressourcen, welches
bisher nicht annähernd ausgeschöpft wurde.3 Andererseits verfügen gerade Migranten der zweiten
Einwanderergeneration (so genannte „Secondos“),
die beispielsweise im Pflegesektor arbeiten, über
Ressourcen, die für die Kommunikation zwischen
fremdsprachigen Patienten und Behandelnden sehr
gefragt sind. Sie verfügen in der Regel über gute
Sprachkenntnisse nicht nur des Herkunfts-, sondern
auch des Aufnahmelandes und sind mit mehreren
Kulturen eng vertraut. Die ehemalige Leiterin eines
im Rahmen der Aktionsforschung befragten Sozialdienstes wählte hierfür den gelungenen Begriff der
idealen „Sprachkultur“, welche gerade Migranten
der zweiten Generation für eine Vermittlertätigkeit
mitbringen.
Auf Seite der Patienten sehen sich Spitäler und
Kliniken im Zuge der gesellschaftlichen Pluralisierung zunehmend mit der Tatsache konfrontiert,
dass ihre Klientel aus Personen unterschiedlicher
Herkunft besteht. Einerseits handelt es sich um die
ansässige Migrationsbevölkerung, die, um es etwas
salopp zu formulieren, pflegebedürftig, krank oder
alt wird. Andererseits reisen Patienten für Behandlungen immer öfter auch ins Ausland, was entsprechende Sprachkenntnisse der Behandelnden vor
Ort voraussetzt.4 Ein beachtlicher Teil der in der
Schweiz wohnhaften Migrationsbevölkerung weist
gesundheitliche Defizite auf (Gabadinho, Wanner
& Dahinden 2007). So besteht zum Beispiel ein
Teil der an der Klinik Valens behandelten Patienten
aus Migranten, die auf dem Bau gearbeitet haben
und in immer jüngeren Jahren mit Rücken- oder
Gelenkproblemen zur Rehabilitation in die Klinik
eingewiesen wurden. In der Rehabilitation spricht
man in diesem Kontext vom so genannten „Migrationskreuzschmerz“, bei dem sich körperliche
Abnutzungserscheinungen mit Entwurzelungsproblemen oder einer unsicheren Aufenthaltssituation
verbinden. Nebst diesen gesundheitlichen Problemen gibt es Hinweise darauf, dass der Zugang von
Martina Kamm & Bülent Kaya
Migranten zum sanitären System erschwert ist. Zu
nennen sind hier etwa Hürden bei der Kommunikation zwischen Patienten und medizinischem Personal oder beidseitige Informationsdefizite. Sowohl
gesundheitliche Defizite als auch ein erschwerter
Zugang zu sanitären Leistungen beeinträchtigen die
Versorgungsqualität für Migranten.
Es besteht heute in Forschung und Praxis weitgehend Einigkeit darüber, dass die Kommunikation
zwischen Patienten und Gesundheitspersonal entscheidend zum Verlauf einer Krankheit respektive
Genesung beiträgt. Eine gelungene Kommunikation
wirkt sich letztlich positiv auf die Patientenzufriedenheit und Compliance aus (Bischoff 2006, Stotzer, Efionayi & Wanner 2006). Umgekehrt steigt in
Situationen, in denen die Interaktion erschwert ist,
weil Patient und Betreuungsperson keine gemeinsame Sprache sprechen, das Risiko einer Fehldiagnose oder falschen Behandlung (Bischoff, Steinauer
& Kurth 2006). Die Tatsache, dass an allen sieben
Spitälern und Kliniken, die wir im Rahmen unserer
Aktionsforschung untersucht haben, Dolmetscher
respektive Übersetzungshilfen für die Kommunikation mit fremdsprachigen Patienten eingesetzt
werden, zeigt, dass diese Problematik in der Praxis
heute weitgehend erkannt wurde.
Indem Spitäler und Kliniken bei Verständigungsschwierigkeiten heute die sprachlichen Ressourcen
ihrer Mitarbeiter mobilisieren, verfolgen sie eine
doppelte Zielsetzung: Einerseits wird damit Zugang zur Pflege sowie deren Qualität für Migranten
verbessert. Andererseits werden Arbeitskräfte mit
Migrationshintergrund auch institutionell integriert.
Dieser Prozess der „Transkulturalisierung“, oder
institutionellen Öffnung für die Migrationsbevölkerung, betrifft immer eine Institution als Ganzes.
Ein transkultureller Wandel erfordert strukturelle
Anpassungen und umfasst Maßnahmen gegenüber
den Mitarbeitenden, ihren Kernaufgaben und den
Zielgruppen, die sie erreichen wollen. Der zunehmenden Heterogenität der Migrationsbevölkerung
wird mit einem gegenseitigen Anpassungsprozess
Rechnung getragen, indem individuelle Bemühungen zur Integration mit strukturellen Anpassungen
verknüpft werden (Domenig 2001).
Unsere Aktionsforschung an sieben Kliniken
respektive Spitälern der deutschen und französischen Schweiz belegt, dass es heute bedeutende
Unterschiede im Grad der strukturellen Anpassungen an die Migrationsbevölkerung gibt. Die BandVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen
breite reicht, um beim Beispiel des Dolmetschens
zu bleiben, von unkoordinierten ad hoc Einsätzen
bis hin zu einer proaktiven Vorgehensweise, bei der
eine Arbeitsgruppe „Migration“ mit Unterstützung
der Geschäftsleitung die Dolmetschereinsätze ihrer
Mitarbeitenden koordiniert und begleitet. Im Folgenden zeigen wir exemplarisch am Beispiel der
Klinik Valens, wie ein transkultureller Wandel im
Hinblick auf eine bessere Verständigung zwischen
Gesundheitspersonal und Patienten im Migrationskontext aussehen könnte.
2.
Das Beispiel des Rehabilitationszentrums
Klinik Valens
„In der Rehabilitation ist die wirksame Zusammenarbeit zwischen Personal, Patienten und Angehörigen essentiell für die Genesung. Wo diese
Zusammenarbeit aus kulturellen bzw. sprachlichen Gründen gestört wird, fehlt die Chancengleichheit.“
(Aus dem Projektbeschrieb „Reha-Brücke“ der
Klinik Valens, Januar 2005)
Das Rehabilitationszentrum Klinik Valens liegt auf
einer grünen Sonnenterrasse, umgeben von einer
idyllischen Berglandschaft auf 915 Metern über dem
Meer. Die ruhige Lage ist ein ebenso wesentliches
Merkmal der Höhenklinik, wie die gute Luft und die
relative Abgeschiedenheit.5 Die geografische Lage
bringt jedoch auch Nachteile mit sich. So ist die Personalrekrutierung kompliziert, ebenso die Rekrutierung ambulanter Patienten. Auch professionelle Dolmetscher können selten extern angefordert werden,
da sie zu kostspielig sind oder ihr Transportweg für
kurzfristige Einsätze zu lange ist.6 Umso wichtiger
sind möglichst ausgebildete, interne Übersetzungshilfen. Dies gilt umso mehr, als ein beachtlicher Teil
der Patienten Verständigungsschwierigkeiten aufweist (Herkunftsländer sind vor allem Länder des
ehemaligen Jugoslawiens, Südeuropas und der Türkei). Wie im Zitat einleitend erwähnt, ist eine gute
Verständigung ausschlaggebend für erfolgreiche
Therapien und eine gelungene Rehabilitation. Das
beginnt beim Eintrittsgespräch, geht über Therapien
(z.B. Physio- oder Ergotherapie) und Behandlungen
bis hin zum Austrittsgespräch und einer Absprache
über weitere Schritte der Wiedereingliederung nach
dem Klinik-Aufenthalt. Damit wird eine konstante
Verständigung zu einem wichtigen Faktor für die
curare 31(2008)2+3
25
Rehabilitation, deren Absicht unter anderem darin
besteht, den Patienten während des Aufenthalts zu
Gunsten eines besseren Heilungsresultats zu beeinflussen. „Kontinuität ist in der Rehabilitation
enorm wichtig. Sprachliche Ressourcen werden am
meisten gebraucht beim Eintrittsgespräch, da hier
das Vertrauen aufgebaut wird. Vermittlungs- und
Übersetzungsressourcen sind anschliessend für
die Therapien wichtiger als für die Pflege, da zum
Beispiel die Physiotherapie Forderungen stellt, die
schwer vermittelbar sind.“ (ehemalige Leiterin des
Sozialdienstes, Klinik Valens). Im Migrationskontext ist oftmals das Verständnis von Gesundheit und
Krankheit zwischen Patienten und Gesundheitspersonal nicht deckungsgleich und muss individuell
ausgehandelt werden. Laut Klinikpersonal verstehen die in Valens behandelten Migranten oftmals
nicht, dass sie ihre Muskeln aufbauen und die Kraft
trainieren müssen, um künftig Krankheiten zu vermeiden. Vielmehr wird Schmerz als Gefahr interpretiert, so dass die Patienten sich hinterher in der
Beweglichkeit selbst limitieren. Auch wird der Körper immer wieder als Instrument wahrgenommen,
anstatt ihn als Gegenstand von Sorgfalt und Pflege
zu betrachten. Hier kann eine Übersetzungsarbeit
notwendig werden, die über das rein Sprachliche
hinausgeht. Ins Spiel kommen andere kulturelle
Gepflogenheiten und Migrationserfahrungen, die
eine individuelle und kulturelle Vermittlungsarbeit
erforderlich machen. Eine Ergotherapeutin der Klinik Valens, die selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt, äußerte sich hierzu wie folgt: „Es ist
ein sehr grosser Vorteil, wenn man auch die Kultur
versteht. Die Leute sind nicht gewohnt, mit ihrer
Gesundheit so umzugehen, wie man das hier macht.
Nicht nur sprachlich, sondern kognitiv und kulturell
spielt es eine wichtige Rolle, welchen Zugang man
zu den Leuten hat. Immer haben die Leute Angst,
dass sie nicht richtig verstanden und ernst genommen werden. Heute ist es so, dass die Leute bei der
Therapie viel besser mitmachen, wenn man ihnen
die Sachen gut erklärt.“
Ein Frustrationspotenzial besteht bei Verständigungsschwierigkeiten nicht nur auf Seiten der Patienten, sondern auch der Behandelnden selbst. In
Valens führten die Verständigungsdefizite vor ein
paar Jahren zur Gründung der Arbeitsgruppe „Migration“, denn: „Es war im Prinzip eine grosse Frustration darüber da, dass wir gemerkt haben, dass
wir den Leuten nicht helfen können. Und wenn Hel-
Martina Kamm & Bülent Kaya
26
ferInnen hilflos sind, dann werden sie frustriert und
fangen an, den Fehler beim Patienten zu suchen.
Das begann mich zu stören.“ (ehemalige Leiterin
der Arbeitsgruppe Migration). Die Arbeitsgruppe
lancierte im Jahr 2005 das Pilotprojekt „RehaBrücke“, dessen Ziel im Abbau der kulturellen und
sprachlichen Hindernisse sowie in einer Verbesserung der Betreuung und des Patientenprozesses
bestand.7 Zu diesem Zweck wurde ein Video produziert, welches das Konzept der Rehabilitation
sowie die Rollen und Aufgaben des Personals und
der Patienten im Migrationskontext illustrieren sollte (als DVD erhältlich auf Deutsch, Albanisch und
Türkisch).8 Das Video richtet sich an Patienten mit
Verständigungsschwierigkeiten, denen es zu Beginn
ihres Aufenthalts gezeigt wird. Die Dolmetscher
sind bei der Video-Präsentation mit dabei, damit
sie allfällige Fragen der Patienten direkt beantworten können. Ebenfalls wurde eine Therapiebegleitung eingeführt, die komplementär zum Video das
Vertrauen und die Kooperation zwischen Patienten
und Personal im Migrationskontext fördern sollte.
Heute erhalten alle internen Laiendolmetscher eine
mehrtägige Einführung, zu der die Videopräsentation gehört, und begleiten ein- und denselben Patienten möglichst von Anfang bis Ende des Aufenthalts.
Sie erhalten fachliche Unterstützung und werden
betreut, falls sie dies wünschen. Die Arbeitsgruppe „Migration“ trifft sich im Sinne einer Plattform
zweimal im Jahr. Leider wurde die versuchsweise
eingeführte Therapiesprechstunde, bei der türkische
und albanische Patienten Gelegenheit gehabt hätten,
zu festen „Sprechstunden“ während ihres Aufenthalts Verständigungsfragen vorzubringen, mangels
Nachfrage wieder abgeschafft.9
Nach der Startphase des Projekts zeigt die erste Erfahrung aus Sicht von Fachpersonen heute,
dass sich das Verständnis für die Rehabilitation
bei fremdsprachigen Patienten verbessert hat. Der
Patient versteht von Anfang an, was während des
drei- bis fünfwöchigen Aufenthalts mit ihm geplant
ist, welches die Therapieziele sind und wie sie erreicht werden sollen. Ebenso positiv wirkt sich die
kontinuierliche Verfügbarkeit von Laiendolmetschern aus: Die Patienten werden von Anfang an
über verfügbare Laiendolmetscher informiert (mit
Foto). Nebst formellen Terminen werden auch informelle Kontakte mit den Laiendolmetschern bei
längerem Aufenthalt wichtig: ein Treffen im Gang
oder Speisesaal mit jemandem, der die eigene Spra-
che versteht, ist emotional von Bedeutung, verleiht
Vertrauen und Sicherheit. Ein Laiendolmetscher
beschreibt dies aus Sicht des Patienten mit folgenden Worten: „Und da kommt plötzlich jemand, der
meine Sprache versteht, das ist für mich einfach wie
ein Engel! Dann habe ich jemanden, der mich unterstützt und ich habe keine Angst mehr, dass mich
jemand im Stich lässt.“
Video und Therapiebegleitung sind auch im Hinblick auf eine spätere Eingliederung in den Alltag
sehr sinnvoll.10 Rehabilitation bedeutet letztlich
Wiedereingliederung, und je besser die Wiedereingliederung vorbereitet werden kann, umso mehr
hilft sie im Endeffekt den Patienten. Video und
Therapie-Begleitung verfolgen somit auch das Ziel
einer Hilfe zur Selbsthilfe. Diese Möglichkeit, den
Patienten über den Klinikalltag hinaus zu helfen,
wird auch von den Laiendolmetschern selbst sehr
geschätzt: „Beruflich habe ich zwar das Gefühl,
dass ich genug Leuten helfe. Beim Dolmetschen
kann ich aber weiter unterstützen, als nur in der
Pflege. Zum Beispiel dadurch, dass die Leute, wenn
sie von zuhause weggehen, wissen, wo sie hingehen
können und sich Hilfe holen können. Wenn die Leute
nach Hause gehen und wissen, wo sie nachher Hilfe
holen können, dann habe ich das Gefühl: doch, dann
unterstütze ich auch im Privaten.“ Die Kehrseite
einer kontinuierlichen und persönlichen Betreuung durch interne Dolmetscher besteht darin, dass
die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem
schwierig zu ziehen sind. Abgrenzung spielt daher
eine sehr wichtige Rolle und die Laiendolmetscher
weisen immer wieder auf die Wichtigkeit hin, sich
über ihre Dolmetschereinsätze mit Fachpersonen
und Kollegen austauschen zu können.
Nachdem wir nun anhand eines Einzelbeispiels
illustriert haben, wie interne Ressourcen von Migranten sinnvoll eingesetzt werden können, möchten wir im Folgenden einen kurzen Einblick in die
Theorie und Praxis des Ressourcen-Konzepts im
Gesundheitswesen geben.
3.
Welche Rolle spielen informelle Ressourcen
für das Gesundheitswesen?
In der wissenschaftlichen Literatur wird seit einiger
Zeit untersucht, wie gewinnbringend die informellen Ressourcen von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund für das Gesundheitswesen sein können.
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen
Die Aktualität des Themas ist auf dem Hintergrund
einer zunehmenden Pluralisierung der Gesellschaft
zu sehen, die auch von Institutionen im Gesundheitswesen verlangt, dass diese ihre Leistungen
diversifizieren und auf die Bedürfnisse der Migrationsbevölkerung abstimmen. Die Nutzung von
Ressourcen im Migrationskontext kann dazu einen
substanziellen Beitrag leisten. Die wissenschaft­
liche Diskussion stützt sich im Wesentlichen auf
vier Argumentationslinien:
Der kommunikative Ansatz stellt die Verständigung zwischen dem Patienten und dem medizinischen Personal in den Vordergrund der Überlegung.
Im Migrationskontext übernimmt der Dolmetscher
eine Schlüsselrolle bei Verständigungs- und Kommunikationsproblemen. Der Gesprächsinhalt kann
nebst rein medizinischen Fragen auch die Vermittlung bei unterschiedlichen Vorstellungen von
Gesundheit und Krankheit, anderen Therapiegewohnheiten oder verschiedenen kulturellen Gepflogenheiten umfassen. Dies gilt mit dem Vorbehalt,
dass sich Angehörige von Patienten aufgrund fehlender Neutralität, möglicher Befangenheit und fehlenden Kenntnissen über die Klinikstrukturen und
die medizinischen Fachausdrücke als Dolmetscher
kaum eignen. Auch ungeschulte ad hoc Dolmetscher
erbringen oftmals nur unbefriedigende Leistungen.
Damit stellt sich die Frage, in welchen Situationen
es sinnvoller sein mag, interkulturelle Übersetzer
von außerhalb bei zu ziehen, wann hingegen interne
Übersetzungshilfen zu rufen. In ihrer neusten Untersuchung zum Thema empfehlen Bischoff, Steinauer & Kurth (2006: 5) bei Gesprächen, die planbar
sind und deren Inhalt komplex, emotional oder von
kulturellen Aspekten geprägt ist, eher den Einsatz
von externen Dolmetschern. Bei einmaligen und
dringlichen Gesprächen hingegen, mit einfachem
und konkretem Inhalt und kürzerer Dauer geht die
Tendenz in Richtung interner Übersetzungshilfen.11
Dahinden & Chimienti (2002) machen den Dolmetscher-Einsatz einerseits von den Anforderungen an
die Sprachkompetenz, andererseits vom Komplexitätsgrad der Kommunikation abhängig.
Die moderne Medizinanthropologie misst der
individuellen Wahrnehmung von Gesundheit und
Krankheit wesentliche Bedeutung bei (Kleinman
1980). Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht
die Interaktion zwischen Patienten und Pflegenden
respektive Ärzten, wenn es darum geht, unterschiedliche Wahrnehmungen von Krankheit, Diagnose
curare 31(2008)2+3
27
oder Therapie zu vermitteln. Im Migrationskontext
gewinnt diese Interaktion an Bedeutung, da es aufgrund der individuellen Migrationsgeschichten eine
Vielzahl von Deutungsmustern gibt. Diese können
die Aushandlung eines Sinns konfliktuell und problematisch gestalten. Das gilt ganz besonders, wenn
es sich bei den Patienten um Asylsuchende oder
Flüchtlinge mit psychosozialen Problemen handelt.
Empfehlungen zur Verbesserung der ärztlichen Praxis zielen dann zum Beispiel auf ein verstärkt patientenzentriertes Vorgehen einschließlich migrationsspezifischer Anamnese, auf die interdisziplinäre
Zusammenarbeit mit Berufsgruppen auch außßserhalb des Medizinsystems und unter Einbezug von
Migranten, sowie auf Interventionen in der medizinischen Ausbildung und im migrationspolitischen
Bereich (Salis Gross 1997).12
Der Management-Ansatz betont im Migrationskontext die Diversität am Arbeitsplatz. Die soziokulturelle Diversität, die sich aus der vielfältigen
Herkunft der Mitarbeitenden ergibt, kann laut wissenschaftlichen Untersuchungen einen konstruktiven Beitrag zu Prozessen der Erneuerung und Kreativität am Arbeitsplatz leisten (Cady & Valentine
1999). Ein weiterer positiver Effekt der Diversität
am Arbeitsplatz liegt in einem breiteren Spektrum
von Problemlösungsstrategien, die sich aus einer
heterogenen Belegschaft ergeben. Schliesslich wird
Diversität in der ökonomischen Literatur auch als
Quelle für eine gute Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet (Delaunay 2000). Forschungen belegen, dass
der betriebsinterne Einsatz der Herkunftssprache
von MigrantInnen durchaus gewinnbringend sein
kann (Dahinden et al. 2004). Als Akteur spielt für
eine breite Erfassung und Performanz informeller
Ressourcen wie Mehrsprachigkeit, Lebenserfahrungen oder kultureller Hintergrund der Bereich der
Human Resources eine gewichtige Rolle.
Der rechtstheoretische Ansatz postuliert im Migrationskontext einen egalitären Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle sowie das Recht darauf,
verstanden zu werden. Das Gleichheitsprinzip geht
davon aus, dass das Recht auf angemessene Behandlung erst dann effektiv wird, wenn es dem Patienten
gelingt, Zugang zu den Behandlungsmöglichkeiten
zu erhalten. Tatsächlich belegen diverse Studien das
Problem der mangelnden Einforderung der eigenen
Rechte durch fremdsprachige Patienten, denen es an
den notwendigen Sprachkenntnissen des Aufnahmelandes fehlt. Das Recht darauf, verstanden zu wer-
Martina Kamm & Bülent Kaya
28
den, geht wiederum von der Prämisse aus, dass der
Patient erst dann zu seinem Recht gelangt, wenn es
ihm gelingt, sein Einverständnis zur medizinischen
Behandlung zu geben. Das Recht wird so zu einem
Instrument, welches es fremdsprachigen Patienten
erlauben sollte, ihre Sprachbarrieren abzubauen.
Wie der kommunikative Ansatz, so legt auch der
rechtstheoretische Ansatz in erster Linie den Rückgriff auf interne oder externe Dolmetscherdienste
nahe (Ayer & Gilbert 2004).
Obwohl sich alle vier Argumentationslinien direkt oder indirekt für die Verwendung informeller
Ressourcen von Migranten aussprechen, werfen sie
einige offene Fragen auf: Beim Management-Ansatz beispielsweise wird stillschweigend von Ressourcen ausgegangen, welche primär gut bis sehr
gut qualifizierte Arbeitskräfte besitzen (Kreativität
und Produktivität). Weiter stellt sich die Frage, inwiefern nicht auch die ansässige Bevölkerung ihre
Ressourcen zur Verfügung stellen kann, damit die
oben genannten Ziele erreicht werden. Und schließlich bleibt unklar, inwiefern der Einsatz von transkulturellen Kompetenzen sich auf die Zielgruppe
der Migranten beschränken soll, oder ob er nicht
von viel allgemeinerem Nutzen für Team und Patienten sein kann.
Wie die informellen Ressourcen von Migranten
in der Praxis tatsächlich verwendet werden, darüber
geben unsere Nachforschungen an sieben Spitälern und Kliniken der deutschen und französischen
Schweiz Aufschluss.
4.
Die Verwendung von informellen
Ressourcen im Spital- und Klinikalltag
Die theoretischen Reflexionen zur RessourcenNutzung finden ihre Entsprechung teilweise in der
Praxis. So wird der erfolgreichen Verständigung
zwischen Patienten und Gesundheitspersonal sowie
den unterschiedlichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit im Migrationskontext vielerorts
Rechnung getragen. Dem Recht darauf, verstanden
zu werden, wird zwar Genüge getan, es ist aber nur
in Ausnahmefällen als solches auch institutionell
verankert (zum Beispiel in den Statuten). Kaum vorhanden ist hingegen der Gedanke an eine Diversität
am Arbeitsplatz, in deren Zentrum weniger die Defizite, als die Ressourcen der eigenen Mitarbeiter und
Teams für die Arbeitsplatzgestaltung stehen. Indem
die von uns untersuchten Institutionen primär die
Sprach-Ressourcen ihrer Mitarbeiter nutzen, leisten
sie zwar einen Beitrag zur Transkulturalisierung des
Gesundheitswesens. Der Beitrag ist jedoch bescheiden und sollte laut Expertenmeinung vor allem im
Hinblick auf den Ausbau von transkulturellen Kompetenzen weiter ausgebaut werden. In den Einzelund Gruppengesprächen kam immer wieder zum
Ausdruck, dass sich insbesondere Secondos für die
transkulturelle Pflege oder als Vermittler mit transkulturellen Kompetenzen im Austausch zwischen
Patienten und Gesundheitspersonal – aber auch für
die Teamentwicklung – gut eignen würden.13
Es sind vor allem Dienste, die in regelmäßigem
oder engem Kontakt mit den Patienten stehen, welche auf informelle Ressourcen der Mitarbeitenden
zurückgreifen. Sie weisen einen zusätzlichen Bedarf
bei Kommunikationsproblemen auf. Oft spielen gesundheitliche Risiken, die mit der Behandlung der
Patienten einhergehen, dafür eine wesentliche Rolle. Zu den Diensten, welche Ressourcen in Anspruch
nehmen, zählen Pflege respektive Beauftragte für
Pflegequalität und -entwicklung, Operationssaal,
Notfall oder Sozialdienst; oder aber Kliniken, wie
Frauen-, Kinder- und Rehabilitations-Kliniken.
Weniger sensibilisiert für die Ressourcen-Nutzung sind Dienste, die zwar anderen Akteuren gelegentlich Ressourcen ihrer Mitarbeitenden anbieten,
selbst jedoch keinen unmittelbaren Bedarf daran haben. Dazu gehören der Hoteldienst, die Reinigung,
der technische Dienst oder der Personaldienst. Diese
Akteure stehen kaum in direktem Kontakt zum Patienten, sind weniger für dessen Bedürfnisse sensibilisiert und tragen weit weniger direkte Verantwortung für das gesundheitliche Risiko. Sie kommen
daher kaum in Berührung mit Problemsituationen,
die oftmals Ausgangspunkt für die Ressourcen-Nutzung sind. Diese Akteure stehen der RessourcenNutzung grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber,
tun sich jedoch schwer damit, eigene Mitarbeitende
für Einsätze in anderen Diensten freizustellen.
In der Praxis erfolgt die Nutzung der Ressourcen heute aus einer bottom-up Perspektive heraus.
Es sind Arbeitsgruppen oder Einzelinitiativen, die
dann zum Zug kommen, wenn Probleme bei der
Kommunikation mit Patienten anderer Herkunft
auftreten. Die Einsätze erfolgen ad hoc und aus einer Dringlichkeit heraus. Sie werden sowohl seitens
der Patienten und involvierten Dienste als auch seitens der Migranten, die ihre Ressourcen anbieten,
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen
honoriert. Migranten empfinden ihre Tätigkeit als
eine persönliche und professionelle Bereicherung
und betonen, wie wichtig es im Sinne der Compliance für die Patienten ist, verstanden zu werden.
Die Spitalleitung unterstützt zwar Einzelinitiativen
wie die Einrichtung von Übersetzerdiensten, die
Erstellung von Übersetzerlisten oder DolmetscherWeiterbildungen. Eine institutionalisierte und
durchdachte Politik der Ressourcen-Nutzung ist
jedoch die Ausnahme. Das zeigt sich auch an der
Personalrekrutierung. Informelle Ressourcen, wie
Mehrsprachigkeit oder Migrationserfahrungen,
welche Migranten allenfalls für eine Stelle mitbringen, können zwar im Bewerbungsgespräch ein
Vorteil sein. In erster Linie wird jedoch auf die rein
fachliche Qualifikation geachtet. Das bedeutet, dass
der Ressourcen-Einsatz wesentlich besser systematisiert und professionalisiert werden müsste. Damit könnten Engpässe bei den Einsätzen (wie zum
Beispiel fehlendes oder zu wenig gut ausgebildetes
Personal, ungeklärte Besoldung oder unklare Arbeitszeiten) einfacher behoben werden. Was fehlt,
ist ein Gesamtkonzept der Ressourcen-Nutzung mit
Zielvorgaben sowie Planungs-, Entwicklungs- und
Evaluationskriterien. Das setzt eine aktivere Unterstützung seitens der Spital-Leitung und des Human
Resources Bereichs voraus.
Ebenfalls zu wenig ausgeprägt ist bei der Betriebsleitung ein positives Bewusstsein für die Diversität am Arbeitsplatz. Die Überlegung, dass informelle Ressourcen für die Arbeitsplatzgestaltung
oder Teamarbeit ein Gewinn sein können, ist kaum
vorhanden. Stattdessen kämpfen Kadermitarbeiter
immer wieder gegen negative Vorurteile, mit welchen ihre Mitarbeiter den Migranten begegnen –
seien das nun Arbeitskräfte oder Patienten. Oft werden Probleme mit kultureller Vielfalt sowie Defizite
seitens der Migranten betont, statt die Chancen zu
sehen, die sich aus einer kulturellen Vielfalt für die
Gestaltung des Arbeitsplatzes ergeben. Was in den
Gruppengesprächen viel Raum einnahm, war denn
auch die Sensibilisierungsarbeit, die im Vorfeld der
Ressourcen-Nutzung geleistet werden müsste. Diese betrifft in erster Linie Maßnahmen gegen Diskriminierungen und Vorurteile gegenüber Migranten
am Arbeitsplatz.
Unsere Ergebnisse decken sich mit den Resultaten anderer Forschungen, die das Gelingen einer
optimalen Ressourcen-Nutzung in erster Linie von
der jeweiligen Betriebskultur abhängig machen.
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29
So kann der sporadische und unstrukturierte Einsatz von internen Ressourcen für die Teams und
Patienten negative Folgen zeitigen, wenn er nicht
kompetent erfolgt und professionell begleitet wird.
Umgekehrt war es interessant zu beobachten, dass
der lokale Einsatz interner Ressourcen auch einen
positiven Sensibilisierungseffekt für die Transkulturalisierung der Institution als Ganzes zur Folge
haben kann.
5.
Schlussfolgerung
Die Frage nach dem Nutzen informeller Ressourcen
für das Gesundheitswesen lässt im Migrationskontext folgende Schlüsse zu: Im Rahmen eines längeren und stationären Aufenthalts, wie ihn die Rehabilitation darstellt, ist der Rückgriff auf die eigenen
Mitarbeiter dann besonders sinnvoll, wenn sich
erstens keine externe und professionelle Alternative
für Dolmetschereinsätze anbietet. Das gilt insbesondere für Kliniken, die geografisch abgelegen uns
schwierig zu erreichen sind. Zweitens spricht für
den Rückgriff auf eigene Mitarbeiter deren Präsenz
und Verfügbarkeit, ebenso wie ihre Vertrautheit
mit dem medizinisch-therapeutischen Vokabular.
Dies geht über rein sprachliche Verständigungsschwierigkeiten hinaus, und umfasst ebenfalls eine
individuelle Vermittlungsarbeit bei unterschiedlichen Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit
und Therapie. Interne Dolmetscher können hier mit
ihrer kontinuierlichen Anwesenheit einen substanziellen Beitrag zum Heilungserfolg in der Therapie
leisten. Das bedingt allerdings, dass sie über genügend Sprachkenntnisse verfügen und entsprechend
ausgebildet sind. Fehlende Sprachkenntnisse in der
Sprache des Aufnahme- wie auch des Herkunftslandes bilden unseren Kenntnissen zufolge eines der
größten Hindernisse für die interne Ressourcennutzung. Hier könnten interne Schulungen weiter
helfen. Eine weitere Bedingung für eine gelungene
Kommunikation wäre, dass interne Dolmetscher für
ihre Tätigkeit, zum Beispiel als Therapiebegleiter,
möglichst ausgebildet und regelmäßig darin begleitet würden, wie dies in Valens ansatzweise der Fall
ist. Ein Hindernis hierfür besteht in der Personalfluktuation jener Mitarbeiter, die sich beruflich neu
orientieren wollen. Ein Anreizsystem könnte hier
Abhilfe schaffen, indem zum Beispiel Laiendolmetscher eine Multiplikatoren-Rolle in der Zusammen-
Martina Kamm & Bülent Kaya
30
arbeit mit dem Patienten übernehmen, die über den
Klinikaufenthalt hinausgeht. In Zusammenarbeit
mit anderen Akteuren und Netzwerken könnten sie
bei der Wiedereingliederung des Reha-Patienten in
den Alltag helfen. Damit würde ihnen eine Verantwortung übertragen, die über das formelle Pflichtenheft hinausgeht. Weiter müssten die Laiendolmetscher gezielt und on the job in transkulturellen
Kompetenzen geschult werden, zumal diese gerade
im Kontext eines längeren Aufenthalts wichtig werden. Ihre Arbeit könnte mittels eines Qualitätslabels
aufgewertet werden. Hierdurch könnte die Konkurrenzsituation zwischen den Anbieter- und Nutzerdiensten gedämpft werden, indem auch der Anbieterdienst von einer Aufwertung seiner Mitarbeiter
profitiert. Auch könnten allfällige Hierarchie- und
Statusprobleme insofern abgebaut werden, als die
Multiplikatoren eine Rolle übernähmen, welche sie
dazu legitimiert, über ihren formellen Aufgabenbereich hinaus ein Mitspracherecht auszuüben.14
Angesichts der äußerst bescheidenen Datenlage,
die zur Nutzung interner Ressourcen in der Praxis
existiert, sind weitere Forschungen notwendig: So
könnte eine Bedarfsanalyse bei Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen eines stationären Aufenthalts auch in der Geriatrie und Psychiatrie Aufschluss darüber geben, wie Heilungserfolge von
Migranten verbessert werden können, und welche
Rolle dabei die internen Ressourcen der Mitarbeiter
zu spielen vermögen. Über die Frage eines längeren
Aufenthalts hinaus stellt sich auch bei Akutspitälern
die Frage, ob nicht der Einsatz von transkulturellen
Kompetenzen einen Gewinn darstellt, der über den
Migrationskontext hinausweist. Dies, indem zum
Beispiel eine breitere Perspektivenvielfalt und das
Switchen zwischen kulturellen Codes, über welches
gerade Angehörige der zweiten Einwanderergeneration des Öfteren verfügen, auch für die ansässige
Bevölkerung eine Hilfe sein können – sei dies im
Kontakt mit Patienten oder am Arbeitsplatz. Das
würde allerdings bedingen, dass der Messung von
Patientenzufriedenheit und der Zufriedenheit am
Arbeitsplatz eine Bedeutung beigemessen wird, die
in dieser Form bis heute kaum existiert.
6.
Ausblick
Eine fundierte Diskussion an Spitälern und Kliniken, wie die informellen Ressourcen von Mi­
granten am Arbeitsplatz gewinnbringend genutzt
werden könnten, leistet einen Beitrag zur Chancengleichheit von Patienten und Angestellten, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Glaubens- oder
Lebensform. Die Beschäftigung mit der Thematik
weist damit über die eigentliche Zielgruppe der
Migranten hinaus. Bei der Frage nach der Qualität
von Gesundheitsleistungen geht es um eine patientenfreundliche und optimale Versorgung aller Patienten, die den unterschiedlichsten Bedürfnissen
gerecht wird. Bei der Diversität am Arbeitsplatz
wiederum handelt es sich um positive Schritte zur
Integration der Mitarbeiter, welche dem Betrieb
als Ganzes zu Gute kommen. Um einer Chancengleichheit zum Durchbruch zu verhelfen, müssten
formelle und informelle Ressourcen, welche nicht
nur Migranten, sondern Arbeitskräfte im Gesundheitswesen überhaupt mitbringen, bewusster zur
Kenntnis genommen und entwickelt werden. So
könnte die vermehrte Nutzung von Ressourcen auf
lange Sicht gerade on the job dazu beitragen, anderen Lebens- und Ausdrucksformen mehr Verständnis entgegenzubringen. Dadurch würde nicht nur
die Qualität der Gesundheitsleistungen längerfristig
für Patienten verbessert, sondern zugleich ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung am
Arbeitsplatz gesetzt.
Ammerkungen
1. . Kaya B., Kamm M., Gabadinho A.: «Ressources du personnel migrant: quelle importance dans le domaine de la santé?».
Neuchâtel, Etudes du SFM 50. Die Aktionsforschung wurde
im Rahmen der gesamtschweizerischen Bundesstrategie «Migration und Gesundheit 2002-2007» durchgeführt. Die Studie
kann elektronisch bestellt werden unter: www.migration-popu
lation.ch.
2. Informelle Ressourcen sind ein Teil dessen, was Pierre Bordieu als „kulturelles Kapital“ bezeichnet hat (Bordieu 1979).
In der Terminologie Bordieus handelt es sich dabei um einen
„kulturellen Habitus“, der sich aus Sozialisierungsprozessen
zusammensetzt und die Ressourcen eines Individuums umfasst, welche nicht durch ein Diplom oder Zertifikat erworben wurden. Dazu gehören zum Beispiel Lebenserfahrungen,
praktisches Alltagswissen sowie unterschiedliche Werte- und
Glaubenshaltungen. Im Falle von Migranten handelt es sich
um Ressourcen, wie: Sprachkenntnisse, kulturelle Werte und
Überlieferungen, Migrationserfahrungen sowie transkulturelle Kompetenzen. Unter „transkulturellen Kompetenzen“ wird
die Fähigkeit verstanden, „individuelle Lebenswelten in der
besonderen Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu
erfassen, zu verstehen und entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten.“ (Domenig 2001: 200).
3. Der Ausländeranteil an den gut qualifizierten Arbeitskräften in
Spitälern resp. Kliniken beträgt 20%, derjenige an den nicht
qualifizierten Arbeitskräften 50%. Mehrheitlich entspricht der
Ausbildungsgrad auch dem Tätigkeitsprofil, mit Ausnahme
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Interne Laiendolmetscher – ein Gewinn für die Rahabilitation von Migranten/innen
des intermediären Sektors, in dem im Vergleich zu Schweizern
mehr überqualifizierte ausländische Arbeitskräfte arbeiten.
Siehe dazu Kaya, Kamm et al. (2007). Der neuste OECDBericht „International Migration Outlook“ (2007: 164) betont
den hohen Anteil an im Ausland geborenen Krankenschwestern und Krankenpflegern mit gutem Ausbildungsprofil, über
den die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern verfügt.
4. Siehe OECD-Bericht « International Migration Outlook“
(2007: 185). Auch im Rehabilitationszentrum der Klinik Valens besteht ein Teil der Klientel, die sich ambulant behandeln
lässt, aus Italienern aus dem grenznahen Raum.
5. Die Klinik Valens ist eine Rehabilitationsklinik für Rheumatologie- und Neurologie-Patienten. Sie beschäftigt ca. 350 Mitarbeiter und ist Teil des Spitalnetzwerks für die Migrationsbevölkerung H+. Weitere Infos zur Klinik unter: www.klinik-valens.
ch;
6. Professionelle, externe Dolmetscher werden praktisch nur für
die Erstellung von (Versicherungs-)Gutachten bei gezogen
und werden extern finanziert. Während des stationären Aufenthalts hingegen wird auf interne Übersetzungshilfen zurückgegriffen, die, obwohl sie Laien sind, qualitativ gute Arbeit
leisten müssen. Das Kosten-Nutzen Dilemma wird von einer
ehemaligen Mitarbeiterin wie folgt beschrieben: „Das ist das
grösste Problem, das wir haben: wir brauchen intern so gute
(Dolmetscher, A.d.V.), dass sie die Aufgaben auch übernehmen
können, oder wir haben externe, bei denen die Finanzierung
klinikintern nicht geklärt ist!“
7. Weitere Kliniken, die am Pilot-Projekt „Reha-Brücke“ im
Sinne einer regionalen Kooperation beteiligt werden sollten,
sind die Reha-Klinik Bellikon (AG), die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Suchtbehandlung St. Pirminsberg
(SG), die Zürcher Höhenklinik Davos (GR) und die Rehaklinik
Rheinfelden (SG).
8. „Der Weg zur erfolgreichen Rehabilitation. Stationäre Behandlung bei langanhaltenden Schmerzen.“ DVD-R, Dauer:
12 Minuten. Erhältlich im Rehabilitationszentrum der Klinik
Valens.
9. Als Erklärung hierfür wurde uns gesagt, dass türkische und albanische Patienten nicht „irgendwo hingehen, um ihre Probleme zu besprechen.“ Da die Sprechstunde erst im Rahmen einer
Testphase angeboten wurde, ist es durchaus möglich, dass die
Patienten hierfür noch zu wenig sensibilisiert waren. Um die
Bedürfnisse der Patienten besser zu kennen, braucht es Instrumente zur Messung der Patientenzufriedenheit, die heute nach
wie kaum vorhanden sind (siehe Stotzer, Efionayi-Mäder &
Wanner 2006).
10. Die Klinik Valens verfügt über einen Sozialdienst, der mit dem
Patienten und Laiendolmetscher darüber berät, wie der Alltag
nach dem Aufenthalt aussehen sollte. Der Sozialdienst hilft bei
Kontakten mit Sozialbehörden, Arbeitsämtern oder dem Arbeitgeber. Er bespricht zusammen mit dem Laiendolmetscher
und Patienten, wo weitere Therapiemöglichkeiten bestehen
und allenfalls Umschulungsmöglichkeiten vorhanden sind.
11. So weisen die Autoren darauf hin, dass Patientengespräche mit
professionellen Dolmetschern (im Falle der Schweiz: eidgenössisch zertifizierte „interkulturelle Übersetzer“) die besten
Ergebnisse der Übersetzung und Kaya B., Kamm M., Gabadinho A.: «Ressources du personnel migrant: quelle importance
dans le domaine de la santé?». Neuchâtel, Etudes du SFM 50.
Die Aktionsforschung wurde im Rahmen der gesamtschweizerischen Bundesstrategie «Migration und Gesundheit 20022007» durchgeführt. Die Studie kann elektronisch bestellt
werden unter: www.migration-population.ch.
12 Die anthropologische Sichtweise dient mittlerweile als Referenzgrösse für die Einführung weiterer Konzepte, wie: interkulturelle Mediation, Konfliktmediation, culture bokarage oder
ethnic care consultant. Deren Anwendung bedingt oftmals den
Einsatz von Migranten und deren Ressourcen.
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31
13. So gehen Migranten der 2. Generation oft anders an Problemsituationen in Zusammenhang mit soziozentriertem oder individuellem Verhalten von Patienten heran. Sie kennen mehrere
Verhaltenscodes, was über die Zielgruppe der Migranten hinaus allen Patienten und Teams zugute kommen kann.
14. Hierarchie- und Statushürden verhindern laut Fachpersonen,
dass informelle Ressourcen zum Beispiel auch in Zusammenarbeit mit höher gestellten Mitarbeitern sinnvoll eingesetzt
werden können.
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Martina Kamm ist Geistes- und Sozialwissenschafterin. Sie forscht am Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel SFM. Ihre Schwerpunkte umfassen: Irreguläre
Migration, Ressourcen von Migranten im Gesundheitswesen sowie interkulturelle Projekte. Gegenwärtig
realisiert sie eine Publikation zum literarischen Schaffen von Autoren fremder Herkunft und eine Fotoausstellung über Kriegs- und Folteropfer in der Schweiz
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM. 2,
Rue St.Honoré, 2000 Neuchâtel, Schweiz.
e-mail: [email protected]
Bülent Kaya is a political scientist. He is a researcher at Swiss Forum for Migration and Population Studies of the University of Neuchâtel. He has worked extensively on incorporation policies for migrants and
refugees, discrimination on the labour market, migration and health, on cultural and linguistic diversity,
and migrant education.
Swiss Forum for Migration and Population Studies (SFM)
Rue St.Honoré, 2, 2000 Neuchâtel, Switzerland.
e-mail: [email protected]
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung
33
Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext
heilpädagogischer Beratung
Margith Lin & Karl Mutter
Zusammensassung Margrith Lin und Karl Mutter (Heilpädagogischer Dienst für den Vorschul-und Schulbereich
der Stadt Basel) diskutieren den Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung.
Die Autoren heben hervor, dass interkulturelle Vermittlung notwendig ist, um den Klienten unsere Vorstellungen
vom Nutzen von Beratungs- und Förderangeboten nahe zu bringen. Interkulturelle Vermittlung ermöglicht es, divergierende „Alltagspsychologien“ der Klienten, ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen im Rahmen der
Migration mit institutionellen Erwartungen und Routinen zu konfrontieren und so zu einer besseren gegenseitigen
Verständigung zu gelangen. Durch den Einsatz interkultureller Vermittlung gelingt es vielfach erst, die Bedeutung
der individuellen Geschichten der Klienten im Kontext ihrer Migrationserfahrungen besser zu verstehen und diese
Erfahrungen als Beitrag für die Förderung ihrer Kinder in den Beratungsprozess einzubringen.
Title
Abstact Margrith Lin and Karl Mutter (Heilpädagogischer Dienst für den Vorschul-und Schulbereich der Stadt
Basel) discuss the contribution of intercultural translation in the context of counselling migrant families with children who are proposed to have a special support. The authors emphasize the role of intercultural translation leading
to a better understanding of the professional intentions and the special forms of support supposed to sustain the
further development of the child. Intercultural translation is helpful to understand the different explications clients
use to explain their and their childrens situation in the context of their personal history of migration. It may lead
to a better understanding of personal and cultural perspectives and offers a quite comfortable form in the complex
process of negotiation of meaning.
Keywords
1. Zur Entwicklung der Tätigkeit des
interkulturellen Übersetzens und
Vermittelns
Die Arbeitsform des Dolmetschens im Rahmen von
Beratungsgesprächen wird im Heilpädagogischen
Dienst Basel-Stadt schon seit den 80er Jahren des
vorigen Jahrhunderts praktiziert. Meistens wurde
diese Tätigkeit von engagierten nichtprofessionellen Landsleuten der Klienten übernommen. Erst seit
Mitte der 90er Jahre begann sich in der Schweiz ein
fachlicher Diskurs zu etablieren, der die Praktiken
des Dolmetschens in verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern thematisierte und propagierte
(vgl. dazu den Grundlagenbericht zur Übersetzung
und kulturellen Mediation im Gesundheitsbereich
von Weiss & Stuker 1998). Dies führte in der Folge
zu verstärkten Professionalisierungsbestrebungen
hinsichtlich der Tätigkeit des Dolmetschens und einer klareren Umschreibung der damit verbundenen
curare 31(2008)2+3: 33-
Rollen und Aufgaben.1 Die Bezeichnung „Dolmetscher“ wurde zunehmend durch die Bezeichnung
„interkultureller Übersetzer“, bzw. „interkultureller
Vermittler“ ersetzt.
Interkulturelle ÜbersetzerInnen und VermittlerInnen sind in direkten Interaktionen zwischen
Fachpersonen und Klienten – also zwischen Sprechern verschiedener Sprachen mit jeweils unterschiedlichem kulturellen Hintergrund – im Einsatz.
Diese interkulturellen VermittlerInnen erweisen
sich als „Schlüsselpersonen“, da sie erst durch ihre
Mittlertätigkeit den Zugang zu andern Kulturen und
Denkweisen erschließen. Die Zusammenarbeit mit
interkulturellen ÜbersetzerInnen und VermittlerInnen im Bereich der Heilpädagogik ermöglicht
Chancen und Zugänge in der Beratung von Migrantenfamilien, die sich ohne diese vermittelnde Unterstützung wohl kaum eröffnen würden. Die sich
daraus auf Seiten der Klienten und der Institutionen
ergebenden Möglichkeiten werden unseres Erach-
34
tens zwar zunehmend mehr, aber immer noch sehr
zaghaft ausgeschöpft.
Wir möchten in den folgenden Ausführungen
über unsere langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit interkulturellen Übersetzerinnen
und Übersetzer berichten und dabei insbesondere
die Bedeutung der Narration im Beratungskontext
reflektieren. (Weitere Ausführungen zur interkulturelle Beratungsarbeit mit Dolmetschern finden sich
in den Publikationen von Lin & Mutter 1998, 1999,
2001, 2002, 2003, 2006).
2. Interkulturelle Übersetzung zur Klärung
von unterschiedlichen Erwartungshaltungen
Wir sind der Auffassung, dass wir erst durch die Zusammenarbeit mit interkulturellen ÜbersetzerInnen
eine Form des Gespräches schaffen können, über
die wir zu tragfähigen Vereinbarungen im Rahmen
der heilpädagogischen Arbeit gelangen.
Meist geht es bei den ersten Kontakten mit Eltern darum, gegenseitige Erwartungshaltungen zu
klären. Bei fremdsprachigen Eltern mit Klein- und
Vorschulkindern besteht aufgrund der meist erst
kurzen Anwesenheit im Aufnahmeland ein erhöhter
Informationsbedarf im Zusammenhang mit Fragen
der Behinderung des Kindes und im Hinblick auf
lokale Förder- und Unterstützungsangebote im Bereich der Heilpädagogik. Fremdsprachige Eltern haben oft noch wenig Erfahrung mit solchen institutionellen Angeboten (Heilpädagogische Förderung,
Betreuungsmöglichkeiten, Vorschulische Einrichtungen, Schulsystem) und den damit verbundenen
Förderkonzepten – vor allem wenn sie aus so genannt bildungsfernen Verhältnissen stammen (siehe
Lanfranchi 2004). Handelt es sich um erstgeborene
Kinder mit einer nicht erwartungsgemäß verlaufenden Entwicklung, kann dies zu einer beträchtlichen
Verunsicherung und Desorientierung der Eltern führen, wenn sie mit für sie unverständlichen institutionellen Erwartungshaltungen konfrontiert werden.
Die institutionellen Vorstellungen, was für die Entwicklung des Kindes gut ist, sind für die betroffenen
Eltern nicht immer ohne weiteres nachvollziehbar
und bedürfen gerade für Fremdsprachige, die mit
den regionalen Verhältnissen nicht vertraut sind,
entsprechende Klärung. Wie wichtig diesbezüglich
die Zusammenarbeit mit einer interkulturellen Übersetzerin ist, soll folgende Begebenheit aufzeigen:
Margareth Lin & Karl Mutter
Aus dem Sozialdienst des Kinderspitals kam
die Meldung, dass eine kurdische Mutter mit einem schwer behinderten kleinen Jungen dringend
heilpädagogischer Unterstützung bedürfe. Da die
Familie mit dem krankheitsanfälligen Kind nicht
mobil war, wurde uns vorgeschlagen, die Familie
zu Hause aufzusuchen. Die Sozialarbeiterin des
Sozialdienstes vereinbarte mit der Mutter einen
Abendtermin, weil es uns wichtig ist, dass auch die
Väter bei den Gesprächen anwesend sind. Als ich
in Begleitung der interkulturellen Vermittlerin an
der uns angegebenen Adresse in einem Hinterhof an
der Wohnungstüre klingelte und sich die Türe öffnete, erwarteten uns dort sieben Männer und etliche
Frauen, welche uns alle neugierig anstarrten. Nach
einer kurzen Diskussion wurden wir in die Wohnung eingelassen, wo mich die Kulturvermittlerin
zielstrebig zu den in der Mitte des Raums bereit
gestellten Sitzplätze führte. Vorne stand der älteste der Männer, welcher nun das Gespräch führte,
während eine Frau neben ihm auf einem Stuhl saß.
Auf der rechten Seite saßen aufgereiht die übrigen
Männer, welche zwischendurch klärende oder kritische Nachfragen stellten. Die Frauen schenkten uns
Kaffee ein und beschäftigten sich mit einem kleinen
Mädchen, ein Junge war nirgends zu erblicken. Ich
stellte in diesem Gespräch mit Hilfe der interkulturellen Vermittlerin unsere Angebote vor und wir
trafen die Abmachung, dass eine Heilpädagogin
wöchentlich vorbeikomme um – gemeinsam mit der
Mutter – den kleinen Ahmet in seiner Entwicklung
zu unterstützen. Des weitern wurden weiter Gespräche mit den Eltern vereinbart. Die Heilpädagogin
besuchte nun wöchentlich Mutter und Sohn, außer
der kleine Ahmet war gerade wegen immer wieder
auftretenden Ernährungsproblemen im Spital. Die
in zeitlichen Abständen durchgeführten Standortgespräche mit den Eltern fanden in einer sehr herzlichen Atmosphäre statt und wir mussten dazu immer
ganz erlesene Leckerbissen aus der Heimat kosten.
Die andern beim ersten Besuch anwesenden Männer und Frauen haben wir nie mehr gesehen.
Dank der kulturellen Vermittlerin, konnten die
unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Verunsicherungen beidseitig geklärt werden: Die Sozialarbeiterin im Spital hatte ohne Übersetzerin mit der
Mutter den Termin abgemacht und wusste deshalb
nicht, dass der Vater jeweils abends arbeitet. Da der
Vater nicht zuhause war und unklar war, was wir als
staatliche Angestellte bei der Familie wollten, wurVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung
de die Verwandtschaft zur Unterstützung der Mutter
aufgeboten. Der älteste Bruder der Mutter führte das
Gespräch, während die jüngeren Brüder kritisch die
Situation überblickten. Was wir auch nicht wissen
konnten: Der kleine Ahmet, deswegen wir eigentlich gekommen waren, befand sich zu dieser Zeit
zur medizinischen Abklärung im Spital. So wusste
die Familie nicht, was sie von uns erwarten sollte,
noch was wir von ihnen erwarteten. Wohl war für
uns Fachpersonen klar, was wir von der Familie
erwarteten, aber wir konnten nicht wissen, was die
Familie von uns erwartete und welche alltagspsychologischen Erklärungen sie für unser Verhalten
hatte. (Lin 2007).
3. Interkulturelle Übersetzung von
unterschiedlichen Alltagspsychologien
In der Arbeit mit Migrantenfamilien begegnen wir
oft alltagspsychologischen Vorstellungen, die sich
von unseren herkömmlichen Vorstellungen unterscheiden. Der Kognitions- und Entwicklungspsychologe Jerome Bruner hat bereits in den 50er
Jahren des letzten Jahrhunderts mit großer Beharrlichkeit die kulturellen Unterschiede, welche
Wachstum und Entwicklung formen, ins Zentrum
seiner Überlegungen gestellt. Bruner erinnert uns
daran, dass jede Kultur über ihre eigene Art und
Weise verfügt, wie sie psychologische Vorgänge
zum Zweck der Begründung, Erklärung und Voraussage von Verhaltensweisen konzipiert. Dem
Begriff der „Alltagspsychologie“ kommt in den
Überlegungen Bruners ein wichtiger Stellenwert zu
(Bruner 1987, 1998, 2002). „Alltagspsychologien“
sind nach Bruner Erklärungssysteme, die es den
Menschen erlauben, ihre Erfahrungen und Transaktionen in ihrer sozialen Welt sowie ihr Wissen über
diese zu organisieren. Alltagspsychologien stellen
normative Beschreibungen bereit, um zu erklären:
–– wie Menschen funktionieren (Menschenbild)
–– wie unser Geist und der unserer Mitmenschen
beschaffen ist (Modell des Geistes oder der Psyche)
–– welche Handlungs- und Lebensweisen möglich
und erwartbar sind (Erwartungen und Erwartungserwartungen)
Alltagspsychologien sind sozusagen Alltagstheorien, die dazu dienen, Erfahrungen durch Rahmenbildung oder Schematisierung zu organisieren.
curare 31(2008)2+3
35
Aufgrund unserer kulturell geprägten Alltagspsychologien gehen wir davon aus, dass wir die Bedeutung der von uns verwendeten Begriffe weitgehend
mit denen unserer Kommunikationspartner teilen
und dass diese – geradezu als selbstverständlich
vorausgesetzten Begriffe – daher keiner „Übersetzung“ bedürfen. Als Angehörige der gleichen
Kultur verstehen wir, was unser Kommunikationspartner damit meint. Alltagspsychologien erklären
nicht nur, wie die Dinge sind, sondern auch, wie
sie sein sollten. Sie ermöglichen es, Unerwartetes
und Ungewöhnliches in eine verständliche Form
zu bringen2. In Gesprächen mit Eltern aus andern
Lebenswelten können wir jedoch auf kulturell ganz
unterschiedliche Vorstellungen treffen, wie ein optimaler Umgang mit Kindern beschaffen sein müsste,
damit sie sich gut entwickeln.
Der Kurde Yusuf Yesilöz berichtet, wie seine Mutter – welche selbst nie eine Schule besucht
hatte – aufgrund solcher Alltagspsychologien ihn
und seinen Bruder in ihren Schulleistungen zu unterstützen versuchte. Er selbst hatte Ende Schuljahr
von der Lehrerin eine gelbe Kordel erhalten, was
„nicht bestanden“ hieß. “Mein Bruder, der damals
in die fünfte Klasse, ging hatte eine rote bekommen,
worauf meine Mutter überaus stolz war. Die Mutter
holte Salz bei den Nachbarn und streute es über den
Bruder, um ihn von den bösen Blicken zu schützen,
was sie nach seinem Erfolg für angebracht hielt.
Auf mich war sie weniger stolz und wollte mich für
eine Nacht in das heilige Haus der Nachbarin Zevke schicken, damit ich das nächste Semester besser
sei“ (Yesilöz 2000: 22-23).
4. Institutionell unterschiedliche
Kommunikationssysteme und ihre
Leitdifferenzen
Luhmann beschreibt Kultur als eine Form des Gedächtnisses, welches ermöglicht, „Vergangenheit
normativ zur Bestimmung individueller und kollektiver Zukunftsperspektiven in Anspruch zu nehmen“
(Luhmann 1997: 588). Leistungen des Gedächtnisses sind deshalb nie nur individuell; es bedarf dazu
immer aktueller Interaktionen, um Vergangenes
wieder aufleben zu lassen und Gegenwärtiges mit
Sinn auszustatten. Dabei erscheint das Vergangene
nie so, wie es sich wirklich zugetragen hat, da es
immer die Spuren der Gegenwart trägt – ebenso
36
wie Gegenwärtiges nur im Lichte des Vergangenen
seine Bedeutung erhält. Der institutionelle Kontext
beeinflusst die Form der Gespräche, die im Rahmen
der jeweiligen Institution geführt werden. Jede Institution „generiert“ sozusagen ihre eigenen Kommunikationssysteme und somit auch ihre dazu passenden Erzählungen. Nach Niklas Luhmann (1997)
besteht die Gesellschaft aus vielen solcher spezifischer „institutioneller Erzählungen“. Jedes System
organisiert seine eigenen Weisen des Erzählens um
seine spezifischen „Leitdifferenzen“ herum. In einem Gerichtsverfahren steht z.B. die Leitdifferenz
„recht/unrecht“ im Zentrum der Verfahrensroutinen, in einem ärztlichen Gespräch die Leitdifferenz
„gesund/krank“. Welches ist nun aber die Leitdifferenz der heilpädagogischen Arbeit? Wahrscheinlich
würde man die Diskussion verkürzen, ginge man
einfach davon aus, dass es sich um die Leitdifferenz
„behindert/nicht behindert“ handelt.3
Gemäß solcher polarer Gegensatzpaare ist jeweils auch die Fragerichtung angelegt, entlang derer Fachpersonen ihre Beschreibungen organisieren;
die jeweilige Leitdifferenz legt fest, was für die Bearbeitung des Fallgeschehens wichtig bzw. unwichtig ist. So bestimmt die Logik der Befragung, was
als relevant angesehen werden soll oder was nebensächlich ist und weggelassen werden kann. Von den
interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer
wird erwartet, dass sie sich an diesen institutionell
unterschiedlichen Leitdifferenzen orientieren, und
nur das in der Übersetzung gewichten, was für diese
Disziplin als relevant erachtet wird. Dabei können
wertvolle Informationen, welche zum besseren Verständnis einer Situation oder einer Handlung beitragen würden, verloren gehen.
„Der Mann unterbrach mich über die Dolmetscherin. Er wollte ja nur Zahlen, nicht so einen langen Text. Auch für den Geburtsort brauche er nur
ein Wort, sieben oder zehn Buchstaben müssten genügen. … Der Mann unterbrach mich. Die Dolmetscherin übersetzte mir, er wolle nur eine Zeitangabe,
diese dürfte aus etwa vier Buchstaben bestehen, was
ich hier erzähle, sei hingegen ein ganzer Roman.
Ich war überhaupt nicht an Daten gewöhnt, sah also
keine Möglichkeit, als meinen ‚Roman“ weiter zu
erzählen“ (Yesilöz 2002: 28-33). Mit diesen Worten beschreibt der Kurde Yesilöz in seinem Buch
„Der Gast aus dem Ofenrohr“ eindrücklich sein
Bemühen und Scheitern, bei der Asylbefragung den
Margareth Lin & Karl Mutter
Behörden die ihm wichtig erscheinenden Antworten
zu geben.
5. Narration im heilpädagogischen
Beratungskontext
Vielleicht gibt es auch in der Heilpädagogik so etwas wie disziplineigene Arten des Geschichtenerzählens, eigene „Narrateme“ – ein vom Sprachtheoretiker Roland Barthes geschaffener Ausdruck, um
damit standardisierte, regelmäßig wiederkehrende
Muster von Diskursen zu bezeichnen (Barthes
2005).4 Dazu gehört das Standardrepertoire erwartbarer, durch den jeweiligen Gesprächskontext formatierter Geschichten. Es handelt sich um kanonisierte, kulturell geprägte Formen des Erzählens über
die Themen „Entwicklung“, „Behinderung“ etc.
Als wiederkehrende Geschichten über individuelle
Schuld, familiäres Versagen oder vom Schicksal
vorgesehene Fügungen lassen sie oft wenig Spielraum für andere Sichtweisen und verbauen damit
die Sicht auf neue Möglichkeiten, mit dem „Unabänderlichen“ umzugehen.
Zu oft begrenzen wir uns als Fachpersonen auf
die „Fakten“, die sogenannt „wirklichen“ Sachverhalte und übersehen dabei die „Geschichten hinter
den Geschichten“ (Kron-Klees 1998: 72). Der Familienberater Friedhelm Kron-Klees meint damit
eben diese Aspekte, die bei den verordneten Routinegesprächen am runden Tisch oft „unter den Tisch“
zu fallen drohen:„Grundsätzlich ist mir wichtig zu
betonen, dass es nicht die Ereignisse selbst sind,
die die Bilder von der Welt und die Bilder von sich
selbst bestimmen, sondern die sehr komplizierten,
in ihren Einzelheiten gar nicht vollständig nachzeichenbaren familiären Verarbeitungsprozesse dieser
Ereignisse“ (Kron-Klees 1998: 72).
Aus Erfahrung wissen wir auch, dass uns die
wörtliche Übersetzung von „Fakten“ nicht weiter
bringt.
Wenn mir z.B. die türkische Mutter in einem
Anamnesegespräch bei der Frage nach der Schwangerschaft antwortet, dass sie am liebsten ihren Kopf
auf einen kalten Stein gelegt hätte, so kann ich damit
nicht viel anfangen. Wenn mir jedoch die interkulturelle Übersetzerin erklärt, dass das in ihrer Sprache
bedeutet, dass sie am liebsten gestorben wäre, habe
ich Anhaltspunkte, mich weiter mit dieser Thematik
und der besonderen Situation der Schwangerschaft
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung
in der Migration zu befassen und nach Anhaltspunkten für diese depressive Verstimmung zu suchen
(Lin 2007).
6. Narration als Verarbeitungsprozess
Bruner vermittelt wichtige Einsichten in die konstruktive Funktion des Geschichtenerzählens, ihre Bedeutung für die Identitätsbildung und -stabilisierung
(Bruner 1998). Seine Überlegungen sind auch für
die Arbeit mit Migrantenfamilien entscheidend, gelingt es uns in der Beratung doch meist erst über die
interkulturelle Übersetzung Zugang zu diesen Geschichten zu erhalten und deren Bedeutung besser
zu verstehen. Geschichten haben eine Tendenz sich
zu verfestigen, bzw. es ist Geschichten eigen, genau
diesen Anfang, diesen Verlauf und diesen Schluss
zu haben. Geschichten unterliegen somit einem inneren Zwang, ihrem vorgeschriebenen Verlauf zu
folgen. Daraus mag sich auch die eigentümliche
Persistenz eigener Geschichten erklären, die wir
dazu benutzen, Missgeschicke, Schicksalsschläge,
unvorhergesehene Ereignisse in eine für uns selbst
rationale Form zu bringen.
Die Zusammenarbeit mit interkulturellen Übersetzerinnen, Übersetzer sowie Vermittlerinnen und
Vermittler kann einen wesentlichen Beitrag dazu
leisten, diese „Geschichten hinter den Geschichten“
über das gemeinsame Gespräch entstehen zu lassen.
In den Erstbegegnungen wie auch bei Standortbestimmungen oder Gesprächen über Förderziele sollten wir daher aufgrund unserer Erfahrungen dem
Geschichtenerzählen mehr Zeit und Raum lassen.
Nur so bekommen wir als Berater – je nach Gesprächsanlass und Problemlage – unterschiedliche
Geschichten aufgrund von unterschiedlichen familiären Verarbeitungsprozessen zu hören:
Bei Erstbegegnungen:
Geschichten über Ursachen einer Behinderung,
einer Entwicklungsverzögerung, eines Fehlverhaltens:
–– Geschichten über die Nachbarin mit dem „bösen
Blick“
–– Erzählungen von einem schrecklichen Erlebnis
während der Schwangerschaft; nicht fachgerechter Behandlung durch den Arzt bei der Geburt;
Mangelernährung durch falsche Anleitung des
Pflegepersonals
curare 31(2008)2+3
37
In solche Erzählungen eingeschlossen sind Familiengeschichten, Geschichten über Eigenheiten
der Sippen und Volksgruppen:
–– Geschichten über die Unfähigkeit der Exfrau;
das Einnässen des Kindes immer nach dem Wochenendbesuch beim Vater; Verwöhnung oder
mangelnde Betreuung durch die Großeltern
–– Erzählungen über das sonderbare Verhalten eines
Onkel väterlicherseits oder, dass alle Mitglieder
der Sippe dieses Verhalten zeigten
–– Angaben darüber, dass alle Kinder ihrer Volksgruppe in bestimmten Entwicklungsbereichen
voran oder zurück seien im Vergleich zu den hier
ansässigen Kindern
Bei Standortgesprächen:
Geschichten darüber, was das Kind Erstaunliches geleistet hat, was es zu Hause, in den Ferien,
im Herkunftsland alles konnte, wenn es auch jetzt
im aktuellen Kontext wieder ganz anders aussieht:
–– In der Muttersprache habe das Mädchen keine
Probleme; zuhause könne es stundenlang für
sich allein spielen und schwierige Puzzles lösen,
was im Kindergarten nicht möglich ist.
–– In den Ferien im Heimatdorf ist ein „hyperaktives“ Kind nicht mehr auffällig.
–– Das Stottern sei aufgetaucht, weil das Kind von
einem Hund erschreckt wurde und ist nach dem
Besuch bei einem „Heiler“ plötzlich verschwunden.
Bei Zielformulierungen:
Geschichten über Vorstellungen, was das Kind
wann können sollte und mit welchen Mitteln und
Anstrengungen diese Ziele zu erreichen wären:
–– Das Kind hätte noch genügend Zeit und bis zum
Schuleintritt würde es sicher Deutsch sprechen
können. Bei der älteren Schwester war das genau so.
–– Die Tochter würde das alles schon können, sie
sei eben nur faul. Die Eltern werden privat einen
Nachhilfelehrer anstellen.
–– Bei Problemen würde man den Jungen einfach
zur Familie ins Herkunftsdorf zurückschicken.
38
7. Lösungsorientierte Beratungsarbeit mit
Hilfe von interkulturellen Vermittlerinnen
und Vermittlern
Betrachten wir die heilpädagogische Arbeit unter
einem lösungsorientierten Aspekt, so kann die Zusammenarbeit mit interkulturellen Übersetzerinnen
und Übersetzer oft dazu verhelfen, solche „festgefahrenen“ Geschichten zu restrukturieren und ihnen
eine andere Bedeutung zu geben. Restrukturierung
heißt aus der Sicht der Familientherapeuten Anderssohn & Goolishian „nichts anderes als durch
Dialog und Gespräch herbeigeführte Veränderung
von Bedeutung“. Das Aushandeln von Bedeutungen
ist „eine Frage von Gespräch und kommunikativer
Übereinstimmung“ zwischen allen Beteiligten, wobei Übereinstimmung nicht notwendigerweise Konsens bedeuten muss. „Konsens über das Wesen eines
Problems ist kaum je zu erreichen“ (Anderssohn &
Goolishian 1990: 227). Dank der Hilfe von interkulturellen Vermittlerinnen und Vermittler bieten
sich für uns bei Familien mit Migrationshintergrund
Gelegenheiten, Bezug auf die Herkunftskultur, auf
die Migrationsgeschichte, auf eigene Gepflogenheiten und Gebräuche im Umgang mit „Behinderung“
zu nehmen über Fragen wie:
–– Welche Lösungen würden sich bei Ihnen, in ihrer
Familie, in Ihrem sozialen Umfeld anbieten?
–– Welche Bedeutung hat das, was Sie uns berichten, in Ihrer Familie, in Ihrer Verwandtschaft, in
Ihrem Umfeld (Dorf, Quartier, Schule), in Ihrer
Herkunftskultur?
–– Wie würden Sie damit umgehen, wenn Sie zuhause mit diesem Ereignis konfrontiert wären
(z.B. die Geburt eines behinderten Kindes; körperliche Behinderung, schulische Schwierigkeiten, Stottern, psychische Erkrankung)
–– Wie könnte man damit unter den jetzigen Verhältnissen umgehen?
–– Wer könnte dazu einen wesentlichen Beitrag
leisten?
–– In welcher Weise könnte er/sie dies tun?
–– Wie könnte das, was jetzt so erscheint, auch anders beschaffen sein?
8. Institutionelle Rahmenbedingungen und
interkulturelle Vermittlung
Sichtweisen über Normalität und Behinderung sind
kulturell und institutionell geprägt und bedürfen
Margareth Lin & Karl Mutter
angemessener Rahmungen, um Bedeutungen gegenseitig aushandeln zu können. Eine wesentliche
Voraussetzung für ein erfolgreiches gegenseitiges
Aushandeln bildet die Möglichkeit, bei Bedarf interkulturelle Vermittlerinnen und Vermittler für
Gespräche mit Migrantenfamilien beiziehen zu
können. Es braucht häufig mehrerer Gespräche, um
zu tragfähigen Vereinbarungen zu gelangen. Zum
Aushandeln von Bedeutungen bei Familien aus
andern Herkunftskulturen benötigen wir Zeit. Der
Grund dafür ist, dass wir hier - wie bereits erwähnt
- auf andere Vorstellungen und Erwartungen treffen,
als wir sie bei Eltern voraussetzen können, die mit
unseren Vorstellungen von Förderung und unseren
regionalen Bildungsangeboten vertraut sind. Der
Beitrag einer qualifizierten interkulturellen Übersetzung erlaubt es, unsere Anliegen für fremdsprachige
Eltern nachvollziehbar zu machen, da sie aufgrund
ihrer Sozialisation oft einen ganz anderen pädagogischen und medizinischen Erfahrungshintergrund
haben.
Eine Lehrerin aus dem Sprachheilkindergarten
rief mich an. Sie hätte den Eltern von Dragan gesagt, dass ihr Sohn in die Sprachheilschule eingeschult werden sollte, da er noch große Sprachprobleme habe. Leider seien aber diese serbischen Eltern
so uneinsichtig und wollten den armen Jungen in
die Regelschule im Quartier schicken. Ein „schulisches Drama“ sei somit vorprogrammiert.
Da ich die Eltern in unseren gemeinsamen Gesprächen immer sehr überlegt und verständig erlebt
hatte, konnte ich mir die ihr zugeschriebene Sturheit
nicht vorstellen. Ich lud sie deshalb über unseren interkulturellen Übersetzer zu einem Gespräch ein,
fragte nach ihren Vorstellungen, Erwartungen und
Lösungsvorschlägen, falls sich die von den Fachleuten befürchteten Probleme in der Regelschule einstellen würden. Die Eltern entschieden sich
aufgrund unseres Gesprächs, den Jungen für die
Sprachheilschule anzumelden (Lin 2007).
Wenn interkulturelle Übersetzerinnen und Übersetzer vorwiegend dazu eingesetzt werden, um Informationen unidirektional an die MigrantInnen
zu übermitteln, verbunden mit der Erwartung, dass
die Klienten ihr Verhalten entsprechend ändern und
sich an die lokalen Gegebenheiten anpassen, wird
der Gedanke des interkulturellen Vermittelns beträchtlich verkürzt: die Rolle des Dolmetschers wird
dadurch zur reinen „Postbotenrolle“, die sich darauf beschränkt, dem Klienten mitzuteilen, welches
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Der Beitrag des interkulturellen Vermittelns im Kontext heilpädagogischer Beratung
die „richtige“ Expertenmeinung ist (Lin & Mutter
2003). Durch die fortschreitende Bürokratisierung
und die damit verbundene Überhandnahme von
Formularen findet sich der interkulturelle Vermittler zunehmend in einer Rolle wieder, die ihn darauf festlegt, den Klienten den Inhalt umfangreicher
Dokumente zu übersetzen, damit sie die Richtigkeit
der von den Fachpersonen gemachten Angaben bestätigen können. Dadurch werden die interkulturelle
Übersetzerin und der interkulturelle Übersetzer sozusagen als „Telefonleitung“ (Schlippe, El Hachimi
& Jürgens 2003: 80) benutzt – ihr Beitrag reduziert
sich dann weitgehend darauf, dass der Arbeit der
Institution im juristischen Sinne „Recht“ getragen
wird. Alexander Bischoff weist darauf hin, dass der
andere Aspekt des „Recht- machen-Wollens“, nämlich „den KlientInnen und den sich verändernden
Gegebenheiten (Heterogenität, Diversität, Kommunikationsprobleme) gerecht zu werden versuchen“,
dabei zunehmend aus dem Blick gerät (Bischoff
2005: 22).
9. Interkulturelle-interdisziplinäre
Übersetzung und Vermittlung
Der Wunsch nach allseitig anwendbaren, effizienten Verfahren zur Erfassung und Dokumentation
spezifischer Lebenswelten, um daraus möglichst
„objektiv“ Bedarfslagen abzuleiten, scheint in der
gegenwärtigen heilpädagogischen Diskussion im
Vordergrund zu stehen. Große Erwartungen werden
derzeit in der Schweiz von verschiedenen Berufsgruppen in das ICF-Verfahren gesetzt (International
Classification of Functioning). „International sind
Politik, Gesundheitswesen, Bildungssysteme und
das Versicherungswesen daran, dieses Instrument in
ihre Arbeit einzubeziehen“ (Diezi-Duplain & Hollenweger 2007: 31). Dahinter steht die Hoffnung,
dass es mit diesen immer präziseren Beschreibungsinstrumenten gelingen werde, eine gemeinsame Sprache zu finden und damit Missverständnisse zu vermeiden. Die Erfahrung im Bereich der
interdisziplinären Zusammenarbeit zeigt, dass wir
uns – auch wenn wir uns in der gleichen Sprache
verständigen können – nicht notwendigerweise zu
verstehen brauchen. Vor allem wenn Berufsgruppen
miteinander arbeiten, die sich im beruflichen Feld
sehr nahe stehen, scheinen Missverständnisse mitunter häufiger aufzutreten, als dies aufgrund des
curare 31(2008)2+3
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gemeinsam geteilten Arbeitsbereiches zu erwarten
wäre (Graf & Mutter 2007).
Der syrisch-deutsche Schriftsteller und Naturwissenschaftler Rafik Schami schlägt für solche Situationen eine bestimmte Form der Mediation oder
der „Gesprächsübersetzung“ vor: „Auch sprachen
die Eingeborenen sehr umständlich. Sie konnten
nicht einmal über Krankheit oder Liebe direkt sprechen. Auch die einfachsten Dinge des Lebens und
des Alltags wurden kompliziert ausgedrückt. Das
wurde so weit gepflegt, dass es in dieser Stadt den
Beruf des Gesprächsübersetzers gab, der manchmal
von Familien, Nachbarn oder Firmen herbeigerufen wurde, wenn beide Seiten zwar dieselbe Sprache
benutzten, aber einander nicht verstehen konnten“
(Schami 1996: 453). Wir denken, dass wir darin
eine treffliche Beschreibung dessen finden, was interkulturelle Übersetzerinnen und Übersetzer tun,
wenn sie übersetzen - auch wenn die beteiligten Gesprächspartner nicht „dieselbe Sprache“ sprechen.
Interkulturelle Übersetzer- oder VermittlerInnen
müssen verschiedene Sinnhorizonte, d.h. unterschiedliche Interpretationsmuster miteinander in
Verbindung bringen. Deshalb ist hier – wie im interdisziplinären Zusammenarbeiten – das Problem,
wie Sinn entsteht, eine prioritäre Grundfrage (vgl.
Wülser 1998).
10.Erfahrungen mit dem interkulturellen
Beratungskonzept
Im Zuge der Objektivierung und Disziplinierung
heilpädagogischen Wissens gerät ein unseren Erachtens für die heilpädagogische Arbeit wichtiger
Aspekt – die Tätigkeit des Erzählens, bzw. das Thema der Narration – zunehmend in Vergessenheit.
Mit der fortwährenden Perfektionierung unserer
Erfassungs- und Dokumentationssysteme und mit
der damit einhergehenden Fokussierung auf festlegbare „Fakten“, kommt unseres Erachtens in der
heilpädagogischen Beratungsarbeit die Zeit zum
Gedankenaustausch und zum Entstehen lassen von
Geschichten abhanden. Diese Geschichten sind
jedoch für das Verständnis von unterschiedlichen
Lebensentwürfen und Problemlösungsstrategien
von entscheidender Bedeutung. Schapp (1985: 136)
weist darauf hin, dass wir als Angehörige einer bestimmten Kultur immer „in Geschichten verstrickt“
sind und dass wir nur über die Geschichten, in die
Margareth Lin & Karl Mutter
40
die andern Menschen verstrickt sind, den Zugang zu
ihnen finden können. Dank des Einsatzes von interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer mag es
uns ein Stück weit gelingen Zugang zu den MigrantInnen zu finden, indem wir ihren Geschichten mehr
Raum geben. Diese Geschichten erlauben uns, wesentliche Informationen über das Behinderungs- und
Förderverständnis sowie über die Art des Umgangs
mit dem Phänomen Behinderung in der jeweiligen
Herkunftskultur unserer Klienten zu erhalten.
In unserer Beratungsarbeit versuchen wir an den
Erfahrungen der Eltern anzuknüpfen und an dem,
was sie beim Lösen von Problemen bereits geleistet haben. Der Miteinbezug der Eltern als Experten
relativiert die von den Klienten oft erwartete Expertenrolle der Fachleute und unterstützt zudem aktive
Beiträge seitens der Migrantenfamilien. Somit werden Voraussetzungen geschaffen für Veränderungen
im Sinne einer ressourcen- und lösungsorientierten
Arbeitsweise. Dies können wir selbstverständlich
nur dank dem engagierten Einsatz interkultureller
Übersetzerinnen und Übersetzer leisten. Wir dürfen
jedoch als Fachleute nicht erwarten, dass die Familie dann auch das tut, was uns aus institutioneller
Sicht als wünschenswert erscheint. Es kann auch
sein, dass Familien evtl. auf Lösungen zurückgreifen, die im Sinne ihrer Herkunftskultur durchaus
üblich sind, die aber im Rahmen unserer Vorstellungen nicht unbedingt zu den nächstliegenden gehören. Durch den Austausch mit den interkulturellen
VermittlerInnen über solche „kulturellen“ - für uns
ungewohnten – Problemlösungsstrategien erkennen
wir, dass es sehr verschiedene Lösungsmöglichkeiten gibt, mit einer Problemsituation umzugehen.
Wir erfahren dadurch eine Erweiterung unseres kulturell geprägten Horizonts und gelangen so zu einer
neuen „Welt- und Einsicht“.
Aus der Tatsache, dass sich immer wieder Eltern melden, welche durch Landsleute auf dieses
Beratungsangebot aufmerksam gemacht wurden,
schließen wir, dass diese ehemaligen Klienten das
Angebot der interkulturellen Übersetzung und Vermittlung geschätzt haben.
Anmerkungen
1. Die Entwicklung des interkulturellen Übersetzens und Vermittelns zeigt beispielhaft, dass auch erfolgreich praktizierte
Arbeitsweisen wie z.B. das „Dolmetschen“ ohne eine entsprechende institutionelle Unterstützung von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Im Jahre 1999 wurde die
Schweizerische Interessengemeinschaft zur Förderung von
Übersetzung und kultureller Mediation im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich gegründet. Seit November 2000 trägt
der Verein den Namen „Interpret - Interessengemeinschaft für
interkulturelles Übersetzen und Vermitteln.“ Interpret vermittelt auch den Zugang zu einem eidgenössischen Fachausweis
für interkulturelle ÜbersetzerInnen. (siehe dazu auch: www.
inter-pret.ch).
2. Jerome Bruner spricht vom ontologischen, normativen, explikativen Aspekt unserer Alltagspsychologien (Bruner 1998:
64).
3. So verlangt z.B. der Geldgeber eine klare Feststellung einer
geistigen Behinderung, damit bestimmte Schulungsformen
zum Tragen kommen.
4. „Narratem: narrative Einheit, konstitutives Element der Narrativität“ (Barthes 2005: 64.)
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Margrith Lin-Huber (* 1947), Dr. phil. Studien an den Universitäten Fribourg und Bern (Heilpädagogik,
Logopädie und Psychologie), Dissertation zum Thema „Kulturspezifischer Spracherwerb“, langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Dolmetschern im Kontext Heilpädagogischer Beratung, verschiedene
Publikationen zur Thematik der interkulturellen Kommunikation und Übersetzung, Lehrtätigkeit in der
Aus- und Weiterbildung von Kulturmittlern und Fachpersonen in (heil-)pädagogischen Handlungsfeldern.
Pädagogische Hochschule Zentralschweiz – Hochschule Luzern
Weiterbildung und Zusatzausbildung
Sentimatt 1, CH 6004 Luzern, Schweiz
e-mail: [email protected]
Karl Mutter (*1951), lic.phil., 1976 Abschluss in Klinischer Psychologie an der Universität Zürich, seit
1984 als Kinder- und Jugendpsychologe beim Heilpädagogischen Dienst Basel-Stadt tätig. Arbeitsgebiete:
Zusammenarbeit mit Migrantenfamilien in der Früherziehung; Beratung von fremdsprachigen Klienten mit
Hilfe von DolmetscherInnen; Erfahrungsaustausch mit interkulturellen ÜbersetzerInnen.
Gempenstrasse 69, 4053 Basel, Schweiz
e-mail: [email protected]
curare 31(2008)2+3
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
43
Der Dialog zu Dritt: PatientInnen, DolmetscherInnen und
Gesundheitsfachleute in der Universitäts-Frauenklinik Basel
Alexander Bischoff, Elisabeth Kurth & Sylvie Schuster
Zusammenfassung In diesem Beitrag fragen wir danach, wie ÄrztInnen und DolmetscherInnen im Gespräch zusammenarbeiten. Auf der Basis von Interviews mit Ärztinnen, Pflegenden und anderen Gesundheitsfachleuten zeigen wir, dass die an der Universitätsfrauenklinik Basel tätigen DolmetscherInnen über die sprachliche Vermittlung
hinaus häufig auch zwischen den verschiedenen Wissensbeständen und Erfahrungen von Gesundheitsfachleuten
und Patientinnen vermitteln müssen.
The Dialogus with three Actors:
Patients, Interpreters and Health Professionals at the University Women’s Hospital in Basel
Abstract In this paper we seek to understand how health professionals and interpreters work together in clinical
communication. Based on interviews with doctors, nurses, and other health staff of the University Women’s Hospital in Basel, we show that on top of linguistic mediation professional interpreters often have to mediate between
the different inventories of knowledge and experiences of doctors and patients, as well.
Keywords (Schlagwörter) clinical communication (klinische Kommunikationsstruktur) – linguistic mediation
(sprachliche Vermittlung) – interview – Switzerland (Schweiz)
Einleitung
Umberto Eco schreibt nicht nur Romane, sondern
auch Essays über die Sprache. Kürzlich ist von
ihm ein ganzer Band „Über das Übersetzen“ herausgekommen, Titel: „Quasi dasselbe mit anderen
Worten“. Quasi dasselbe mit anderen Worten sagen
ist das, was in übersetzten Gesprächen geschieht.
Übersetzung ist erst in den letzten Jahren zu einem
Thema geworden, dem sich Autorinnen und Autoren vermehrt widmen, und zwar der Übersetzung
sowohl in der Literatur wie auch im gesellschaftlichen Alltag. Eco gibt selber schon Gründe für die
Zunahme des übersetzungswissenschaftlichen Interesses an, unter anderem „die Phänomene der Globalisierung, die immer mehr Gruppen und Individuen verschiedener Sprachen in Kontakt miteinander
bringen“ (Eco 2006:19). Erst diese Phänomene der
Globalisierung und die vermehrten Kontakte zwischen Personen verschiedener Sprachen und Kulturen bewirken, dass Bedarf und Praxis der Übersetzung nicht mehr zu ignorieren sind.
Durch Globalisierung, Mobilität und Migration
ist die Kommunikation zwischen Menschen, die die
Sprache des fremden Anderen nicht verstehen, eine
häufige Herausforderung geworden, sowohl im privaten wie im institutionellen Bereich. Institutionen,
curare 31(2008)2+3: 43-
darunter Spitäler, begegnen dieser Herausforderung
vermehrt mit der Einrichtung von Dolmetscherdiensten. Wir halten uns in diesem Beitrag an die
Definition von Saladin et al: „Dolmetscherinnen
und Dolmetscher sind Fachpersonen mit perfekter
Kenntnis der eigenen Muttersprache sowie einer
oder mehrerer Fremdsprachen. Sie beherrschen
die notwendigen Dolmetschertechniken, um eine
gesprochene Botschaft mündlich von der Ausgangssprache in die Zielsprache zu übertragen“ (Saladin
et al. 2006: 92).
Ein dolmetschervermitteltes Gespräch ist ein
Dialog zu Dritt oder – wie wir es nennen wollen –
ein Trialog, d.h. es sind mindestens drei Personen
daran beteiligt, die mit einander kommunizieren:
Patient (Patientin), Arzt (Ärztin) und Dolmetscher
(Dolmetscherin). Während Forschungsarbeiten aufgezeigt haben, wie groß der Bedarf an Dolmetschleistungen ist (Bischoff & Loutan 2004, Ginsberg
et al. 1995, Poechhacker 2000), wie Dolmetscherdienste eingerichtet werden (Novak-Zezula et al.
2005), wer dolmetscht (Bischoff et al. 1999, Lee
et al. 2006), was das Profil einer qualifizierten Dolmetscherin ausmacht (Métraux & Alvir 1995), wie
Patientinnen die Anwesenheit einer Dolmetscherin
empfinden (Abbe et al. 2006, Green et al. 2005),
gibt es unseres Wissens noch wenig Untersuchun-
A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster
44
gen darüber, wie der Trialog im klinischen Alltag
von medizinischen Fachpersonen erlebt wird (Gerrish et al. 2004).
In diesem Beitrag soll auf den Trialog aus der
Perspektive des medizinischen Fachpersonals das
Augenmerk gerichtet werden, und zwar am Beispiel
von Interviews mit medizinischen Fachpersonen an
der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel. Zuerst werden wir die dolmetscher-vermittelte Kommunikationsform – „Trialog“ als Schlagwort – im
Kontext der Entwicklung einer Einwanderungsgesellschaft wie derjenigen der Schweiz situieren.
Dabei kommen wir auf das Nationale Forschungsprogramm 51 „Integration und Ausschluss“1 zu
sprechen, innerhalb dessen die vorliegende Untersuchung vorgenommen wurde. Danach stellen wir
ausführlich die Institution – die Universitäts-Frauenklinik Basel (UFK) – vor, in der sich die trialogische Kommunikation abspielt. Hauptteil bilden
die Aussagen der medizinischen Fachpersonen zum
Trialog. Dabei wird schnell deutlich werden, dass
im Trialog nicht nur „einfach übersetzt“ und schon
gar nicht „einfach wörtlich übersetzt“ wird, sondern
die Dolmetscherinnen Rollen übernehmen (oder zugeteilt bekommen), die denen des Vermittelns und
Verhandelns verwandt sind. Die abschließende Diskussion nimmt diesen letzten Punkt vom Dolmetschen als Vermitteln und Verhandeln auf und stellt
ihn in den Zusammenhang von Diversität, die im
Alltagsbetrieb von öffentlichen Institutionen vielfältige Herausforderungen schafft.
Seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist die Schweiz ein Einwanderungsland.
Der Zuzug von Menschen verschiedenster Herkunft
bringt eine Vielfalt von Lebensformen, Sprachen,
Wertsystemen und damit auch ein erweitertes Konfliktpotenzial mit sich (Dahinden & Bischoff 2005).
Für die Gesellschaft und damit auch die öffentlichen
Institutionen stellt sich hiermit die Frage: wie kann
der Zusammenhalt einer pluralen Gesellschaft gewährleistet und, spezifischer, wie die Integration der
zugewanderten Bevölkerungsgruppen unterstützt
werden? Ein wichtiges Instrument zur Eingliederung der MigrantInnen in unsere Gesellschaft ist die
interkulturelle Mediation, die von der Übersetzung
über die Vermittlung bis zur Konfliktmediation gehen kann (Bischoff et al. 2004) . Wir können – als
Folge der Globalisierung – eine Zunahme interkultureller Kontakte ausmachen, die wiederum das
vermehrte Interesse und die zunehmende Nachfrage
nach Dolmetschen und interkultureller Vermittlung
erklärt (Busch 2005). Wie das konkret auf praktischer Ebene aussieht, im Alltag einer städtischen
Institution des Gesundheitsbereichs – nämlich einer
universitären Frauenklinik –, das soll nun in der
vorliegenden Fallstudie aufgezeigt werden.
Methoden
Die im Folgenden dargestellten Daten sind Teil
einer größeren Nationalfondsstudie des NFP 51
(„Nationales Forschungsprogramm 51 – Integration und Ausschluss“) (Bischoff et al. 2004). Das
Forschungsprojekt mit dem Titel „Trägt die interkulturelle Mediation zur Inklusion bei? Strategie
und Praxis im Vergleich zwischen den Bereichen
Gesundheit, Erziehung, Soziales und Justiz“ untersuchte die Themen Dolmetschen, interkulturelles
Vermitteln und Konfliktmediation in öffentlichen
Institutionen und gliederte sich in zwei Teile. Im
ersten Teil der Untersuchung ging es darum, mittels
eines Fragebogens einen möglichst umfassenden
Überblick über die gegenwärtigen Praktiken, Erfahrungen und Probleme im Bereich des Dolmetschens,
der interkulturellen Vermittlung und Konfliktmediation im Schul-, Gesundheits-, Sozialbereich und bei
der Justiz/Polizei in zwei ausgewählten städtischen
Agglomerationen zu erfassen. Basel und Genf wurden als vergleichbare Städte gewählt, weil beide
einen hohen Anteil an Migranten/innen aufweisen
und als Grenzstädte von jeher von transnationalen
Kontakten geprägt sind.
Der zweite Teil der Untersuchung hatte zum
Ziel, Praktiken des Dolmetschens, der interkulturellen Vermittlung und der Konfliktmediation im konkreten Alltag genauer zu betrachten. In Fallstudien
wurden die Elternarbeit in den Schulen in Genf und
Basel untersucht, das Community Policing in Basel, das Strafverfahren in Basel, die CASS (Centres
d’action sociale et de santé) in Genf, die Gefängnismedizin in Genf, sowie – und um diese soll es in
unserem Beitrag gehen – die Universitäts-Frauenklinik in Basel.
Forschungssetting und -methode
Im Gesundheitsbereich wählten wir als Forschungssetting die Universitäts-Frauenklinik Basel, da sie
als eine der wenigen Kliniken in der Schweiz einen
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
spitalinternen Dolmetscherdienst institutionalisiert
hat. Die Zusammenarbeit mit DolmetscherInnen
hat hier bereits eine langjährige Tradition und ist
vor allem im Bereich der ambulanten Betreuung
fester Bestandteil der täglichen Praxis. Die mit der
Betreuung von Migrantinnen betrauten Medizinalpersonen (ÄrztInnen und Pflegefachfrauen) nutzen
dieses Angebot regelmäßig und werden im Rahmen
von internen Fortbildungen auf im Kontext der Migrationsmedizin zu beachtende Aspekte hingewiesen
(z.B. transkulturelle Kompetenz, Zusammenarbeit
mit DolmetscherInnen).
Wir interviewten die fünf internen Dolmetscherinnen und 17 ausgewählte Fachpersonen aus den
Bereichen Leitung, Administration, Pflege/Hebammen und ÄrztInnen (Tab. 1).
Die Interviews dauerten 40-120 Minuten, wurden verbatim transkribiert, und in Anlehnung ans
Coding Paradigma der Grounded Theory analysiert
(Strauss & Corbin 1998). In der Forschungsgruppe
wurden die Ergebnisse der Analyse diskutiert und
mit den Resultaten der parallel laufenden Untersuchungen in den Institutionen der Bildung, des Sozialwesens und des Strafgerichtes verglichen. Die Daten aus den semi-strukturierten Interviews erheben
nicht den Anspruch, die Häufigkeit eines Phänomens repräsentativ zu erfassen. Vielmehr interessieren die Rahmenbedingungen und Prozesse, in denen
ein gewisses Phänomen auftaucht. Die Analyse der
Interviews leistet einen wichtigen Beitrag, um die
Perspektive des medizinischen Fachpersonals im
Trialog näher zu beleuchten.
Tabelle 1: Zusammenstellung der
InterviewteilnehmerInnen
Weiblich
Männlich
Leitung
3
1
Dolmetscherinnen
5
-
Administration
1
-
Pflegende
3
-
Hebammen
2
-
ÄrztInnen
5
3
Die Frauenklinik des Universitätsspitals Basel
Das Universitätsspital Basel gehört zu den führenden medizinischen Institutionen der Schweiz und
zeichnet sich aus als überregionales wissenschaftcurare 31(2008)2+3
45
liches Zentrum mit medizinischer Kompetenz für
alle Patientinnen und Patienten mit den unterschiedlichsten Diagnosen. Das Management der kulturellen Vielfalt ist im Universitätsspital Basel aufgrund
der Bevölkerungsstruktur der Region Basel und
dem hohen Anteil an Migrantinnen von hoher Bedeutung. Bereits seit den neunziger Jahren ist ein
Dolmetscherdienst in der Poliklinik für die Sprachen
tamilisch, türkisch und albanisch etabliert. Dolmetscherinnen für weitere Sprachen können auf Anfrage
zur Verfügung gestellt werden. Da insbesondere in
der Frauenklinik ein großer Anteil an Migrantinnen
behandelt wird, sind hier zahlreiche weitere Maßnahmen umgesetzt, zum Beispiel stehen Formulare
und Operationsaufklärungen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung. Daneben laufen verschiedene
Projekte mit dem Ziel der Optimierung der Gesundheitsversorgung von Migrantinnen. Hierzu gehören Geburtsvorbereitungskurse2 sowie Informationsveranstaltungen zum Thema Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett für Migrantinnen3. Diese
Angebote bestehen in englischer, türkischer und
tamilischer Sprache und werden inhaltlich auf die
Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe abgestimmt.
Die Ausarbeitung findet mit Hilfe von interdisziplinären Arbeitsgruppen statt, die sich aus internen
und externen Fachkräften mit überwiegend Migrationshintergrund zusammensetzen. Diese Maßnahmen bilden wesentliche Beiträge auf der Ebene der
Patientinnenorientierung und Chancengleichheit für
Migrantinnen in der Gesundheitsversorgung. Neben
erwähnten Dienstleistungsangeboten werden interne
Fortbildungsveranstaltungen für medizinisches Personal zu dieser Thematik (z.B. Zusammenarbeit mit
DolmetscherInnen, „transkulturelle Kompetenz“)
und wissenschaftliche Arbeiten durchgeführt.
Das Angebot der Universitäts-Frauenklinik
umfasst die Behandlung, Betreuung, Beratung
und Begleitung von ambulanten, teilstationären
und stationären Patientinnen mit den medizinischen Schwerpunkten Gynäkologie und gynäkologische Onkologie, Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin, gynäkologische Endokrinologie
und Reproduktionsmedizin sowie gynäkologische
Psychosomatik und Sozialmedizin. Auf der MutterKind-Station und Schwangerenabteilung stehen insgesamt 55 Betten und auf der gynäkologischen Abteilung 24 stationäre und 6 tagesklinische Betten zur
Verfügung. Im Jahr 2006 befanden sich insgesamt
3497 Patientinnen in stationärer Behandlung, und es
A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster
46
fanden insgesamt 2052 Geburten statt. Neben dem
stationären Bereich gibt es in der Universitäts-Frauenklinik ein breit gefächertes ambulantes Betreuungsangebot mit der allgemeinen Poliklinik, welche die Schwangerenvorsorge und gynäkologische
Kontrolle z.B. Jahreskontrolle umfasst, ebenso, wie
die schon erwähnten Spezialsprechstunden, sowie
den gynäkologischen Notfall über 24 Stunden. Insgesamt finden in der Universitäts-Frauenpoliklinik
jährlich rund 39 000 Konsultationen statt. Der überwiegende Teil dieser Patientinnen kommt zu einem
regulär vereinbarten Termin in die Klinik.
Während in der Universitäts-Frauenklinik der
Patientinnenanteil mit Migrationshintergrund im
Allgemeinen bei ca. 40% liegt, ist er insbesondere in der ambulanten Versorgung teilweise deutlich
höher. In der Schwangeren-Poliklinik wird der Anteil von Migrantinnen auf ca. 70% geschätzt. Hier
übersteigt der Anteil von Patientinnen mit Migrationshintergrund den Anteil von MigrantInnen an
der Wohnbevölkerung in Basel-Stadt (Statistisches
Amt Basel-Stadt, www.statistik-bs.ch, April 2005)
beträchtlich. In der vorliegenden Fallstudie konzentrieren wir uns deshalb auf die Praxis von Vermittlungstätigkeiten in diesem Bereich. Die Interviews wurden mit VertreterInnen der verschiedenen
Berufsgruppen geführt, die in diesem Bereich tätig
sind.
Die Patientinnen werden von einem interdisziplinären Team betreut, das sich aus ÄrztInnen,
PsychologInnen,
Pflegefachkräften/Hebammen
und SozialarbeiterInnen zusammensetzt. Der Erstkontakt mit Patientinnen findet jedoch in der Regel
mit Mitarbeiterinnen der Administration4 statt, zum
Beispiel bei der Terminvereinbarung oder beim Erledigen von Anmeldeformalitäten. Danach werden
die Patientinnen von Pflegefachkräften/Hebammen
in der jeweiligen Sprechstunde aufgenommen, erste
Informationen abgegeben, Untersuchungen durchgeführt (z.B. Blutdruck messen, Urinuntersuchung)
und die Unterlagen der Patientin vorbereitet. Im Anschluss findet die ärztliche Konsultation statt.
Erwähnenswert in diesem Kontext ist, dass die
meisten Mitarbeiterinnen im Bereich der Administration Secondas mit italienischem oder spanischem
Hintergrund sind. Zudem sind in der Administration
und Pflege ausschliesslich Frauen beschäftigt, im
ärztlichen Team überwiegt ebenfalls der Frauenanteil und die Dolmetscherinnen sind ausschliesslich
weiblich.
Dolmetscherinnen für die Sprachen Tamilisch,
Türkisch und Albanisch stehen regelmässig während
festgelegten Sprechzeiten zur Verfügung. Zusätzlich zu diesen Sprechzeiten von 17.5 Stunden wöchentlich, in denen eine Dolmetscherin regelmässig
verfügbar ist, können bei Bedarf Dolmetscherinnen
für weitere Sprachen hinzugezogen werden – zumal
auch dann, wenn es nicht gelingt, Termine mit Dolmetscherinnen in oben genannten Sprachen in das
entsprechende Zeitfenster zu legen. Die Dolmetscherinnen sind alle Mitarbeiterinnen des „HEKSDolmetscherdienstes beider Basel“. Sie sind dort im
Stundenlohn angestellt, erhalten gewisse Sozialleistungen und können an Weiterbildungskursen und
Intervisionen teilnehmen. Da Dolmetscherleistungen nicht krankenkassenpflichtig sind, werden die
Kosten für die Dolmetscher vollumfänglich durch
das Spital getragen. Der Dolmetscherdienst wird
von der Pflegeleitung der Universitäts-Frauenpoliklinik koordiniert. Laut eigener Schätzung erhält
sie durchschnittlich einmal pro Tag eine Anfrage für
den Beizug einer Dolmetscherin zusätzlich zum bestehenden Angebot.
Von den äußeren Rahmenbedingungen her ist der
Einsatz von Dolmetscherinnen vor allem dadurch
eingeschränkt, dass sie nicht rund um die Uhr zur
Verfügung stehen. Das bedeutet, dass die meisten
Notfall- und Erstkonsultationen ohne Dolmetscherin stattfinden. Für eine Folgekonsultation steht auf
dem Formular, das die Ärztinnen nach jeder Konsultation auszufüllen haben, eine spezielle Rubrik
für das Hinzuziehen von Dolmetscherinnen zur Verfügung. Handelt es sich um eine der Sprachen des
etablierten Dolmetscherdienstes, ist es die Aufgabe
der administrativen Mitarbeiterinnen am Empfang,
den Termin mit dem Einsatzplan der entsprechenden
Dolmetscherin zu koordinieren. Wenn es notwendig
ist, eine „externe“ Dolmetscherin hinzuziehen, wird
dies an die Pflegeleitung der Frauenpoliklinik weitergeleitet.
Ergebnisse
Der Schwerpunkt in diesem Teil liegt auf der Zusammenarbeit einer Vielzahl von Fachpersonen
mit den Dolmetscherinnen und wird von der Frage
geleitet: wie gestaltet sich der Trialog? Ausgeblendet in diesem Beitrag sind zwei wichtige Aspekte:
erstens die „anderen“ Möglichkeiten, von denen die
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
Interviewpartnerinnen berichten, wenn es darum
geht, mit fremdsprachigen Klientinnen zu kommunizieren, also Angehörige und andere Begleitpersonen als Ad-hoc-Dolmetscherinnen beizuziehen,
Spitalmitarbeiterinnen mit Fremdsprachenkenntnissen einzusetzen, auf non-verbale Kommunikation
zu setzen („sich mit Händen und Füssen verständigen“), oder die eigene, sprich die Mehrsprachigkeit
der Fachperson zu nutzen. Zweitens sind auch die
Gender-aspekte ausgeblendet. Sie haben in den Gesprächen einen prominenten Platz eingenommen,
ohne dass speziell danach gefragt worden wäre5.
Wir gliedern die Ergebnisse in folgende Teile:
1. Beiziehen einer Dolmetscherin,
2. Art des Dolmetschens (wortgetreu oder interkulturell),
3. Vermitteln zwischen der Stimme der Lebenswelt
und der Medizin. Besonders interessieren uns
hier die Rollenkonzepte von Dolmetscherinnen,
die – bewusst oder unbewusst – von medizinischen Fachpersonen bei der Zusammenarbeit
mit Dolmetscherinnen angenommen werden.
Beiziehen einer Dolmetscherin
Grundsätzlich hat jede Fachperson in der Universitäts-Frauenklinik die Möglichkeit, bei Bedarf eine
Dolmetscherin beizuziehen. Eine interviewte Person mit Leitungsfunktion formuliert das folgendermassen: „Es muss niemand fragen, darf man einen
Dolmetscher bestellen. Wenn man merkt, wir brauchen das, haben die Kliniker beziehungsweise die
Abteilung die Kompetenz, das anzufordern. Ärzte
genauso wie Pflegende. Auch Physiotherapeutinnen
und Sozialarbeiterinnen.“ (Interview 1)
In den Interviews kommt zum Ausdruck, dass
sich Ärztinnen im Laufe ihrer Tätigkeit eigene
Kriterien zurechtlegen, wann sie den Beizug einer
Dolmetscherin als notwendig erachten. « Wenn ich
zu arbeiten beginne, und ich habe den Eindruck,
ich kann mich nicht verständlich machen, was ich
sagen will. Weder mit Händen, noch Füssen, noch
mit Brocken. Dann höre ich auf. Was soll ich dann
machen? Das ist für mich das Kriterium. Da rufe
ich eine Dolmetscherin“. (Interview 13)
Andere ÄrztInnen greifen auf DolmetscherInnen
zurück, wenn es um wichtige oder speziell schwierige Themen geht: „Wenn es eine Jahreskontrolle ist
und es der Patientin gut geht, dann kann man das
curare 31(2008)2+3
47
mit den Händen besprechen. Aber wenn man Sachen erklären muss, die schwieriger sind, wie Verhütung, Schwangerschafts[konfliktberatung] oder
Operationsaufklärung und solche Sachen, da muss
man jemand dabei haben, der übersetzt. Sonst geht
das nicht. Manchmal bringen die Frauen jemand
mit, der übersetzt. Manchmal z.B. Kinder, die gut
Deutsch können, weil sie hier aufgewachsen sind.
Dann geht das ziemlich gut. Aber wenn niemand da
ist, dann holen wir einen Dolmetscher dazu“. (Interview 12)
Die Entscheidung, wann Fachpersonen eine
Dolmetscherin beiziehen, wird, wie die Interviewausschnitte zeigen, von unterschiedlichen Überlegungen beeinflusst. Eine interviewte Person mit
leitender Funktion bemerkt, dass der Einsatz von
Dolmetscherinnen zudem mit der persönlichen
Einstellung zur Ausländerpolitik zusammenhängt:
„Von der Pflege und den Ärzten her kommen Bemerkungen, was für einen Aufwand wir [für den
Dolmetscherdienst] betreiben. Da kommen sehr
emotionale Sachen und auch politische Hintergründe rein. Aber die Mehrheit ist, glaube ich, schon der
Meinung, dass es Dolmetscher braucht, und dass
das wichtig ist. Ich unterstütze das auch voll, und
ich denke auch der grösste Teil der Ärzte. Im Team
sind 90% homogen sehr sozial eingestellt, Pflege
und Ärzte. (Interview 5)
Auch Patientinnen und ihre Begleitpersonen
nehmen auf den Beizug einer Dolmetscherin zum
Teil aktiven Einfluss. Pflegende schildern solche Situationen: „Bei uns fordern sie [die Patientinnen]
Dolmetscher: ‚Ich kann nicht Deutsch, bring mir
den Dolmetscher!´“ (Interview 9)
Verschiedentlich wird auch berichtet, dass Patientinnen oder ihre Begleiter es vorziehen, eben
gerade keine Dolmetscherin beizuziehen, besonders
bei heiklen Themen, die das Aufdecken der Privatsphäre nötig machen. Das kann beispielsweise
in Gesprächen über sexuelle Probleme oder über
Paarkonflikte der Fall sein, wenn die Patientinnen
befürchten, dass die Dolmetscherin Inhalte des Gespräches innerhalb der Community weitererzählen
könnte (Interview 2).
Schließlich stellt sich immer wieder die Frage,
wie mit Situationen umzugehen ist, in denen Familienangehörige dolmetschen (wollen). Einige finden, mit Kindern gehe das „ziemlich gut“. Andere
Fachpersonen sind zurückhaltend, wenn es darum
geht, ein Kind für seine Mutter übersetzen zu lassen.
48
Kinder als Dolmetscher nicht zu überfordern, ist
denn auch ein weiterer Grund, eine Dolmetscherin
beizuziehen: „Wenn ein Kind ein Thema übersetzen
sollte, das es zwar verbal verstand, aber das emotional für ein Kind total unpassend war, habe ich das
Gespräch jeweils abgebrochen und der Frau einen
neuen Termin gegeben, um dieses Thema mit einer
Dolmetscherin zu besprechen“. (Interview 6)
Ähnlich gehen verschiedene Fachleute vor, wenn
der Ehemann dolmetscht: zuerst (versuchsweise)
mit dem dolmetschenden Angehörigen, später mit
einer professionellen Dolmetscherin. „Bei Problemen arbeite ich lieber mit Dolmetscherinnen, als
mit Angehörigen, wie zum Beispiel dem Ehemann.
Da kommt es vor, dass man fünf Sätze gesagt hat,
und er übersetzt zwei Worte. Dann kann man nicht
nachvollziehen, ob das, was man gesagt hat, übersetzt wurde. Das erschwert uns die Kommunikation
mit der Frau sehr. Deshalb ziehe ich es vor, jemanden Externes beizuziehen für Problemfälle. Der
Mann kann gerne dabei sein, aber die Kommunikation läuft über Dolmetscher“. (Interview 3)
Wortgetreu oder interkulturell vermitteln?
Über die Rolle oder Rollen und die Aufgaben einer Dolmetscherin scheinen innerhalb des Fachpersonals der Frauenpoliklinik unterschiedliche
Vorstellungen zu bestehen und spiegeln hierbei den
wissenschaftlichen Diskurs zur Rolle von Dolmetscherinnen wider. Was Fachpersonen von Dolmetscherinnen erwarten, variiert zum Teil sogar innerhalb des gleichen Interviews und zeugt von einem
pragmatischen Ansatz. Einerseits wünschen sich
Fachpersonen, dass die Dolmetscherin Informationen möglichst genau an die Patientin weitergibt:
„Dank dem Dolmetscher hat man die Gelegenheit
der Patientin sehr viele Informationen zu geben,
Ratschläge zu geben.“ (Interview 12). „In meinem
Denken ist hauptsächlich die Informationsübertragung [Aufgabe der Dolmetscherin]“ (Interview
13). Hier geht es darum, dass die Informationen als
solche korrekt wiedergegeben werden. Je nach dem
zu klärenden Sachverhalt und den verwendeten Termini kann es für den Arzt respektive die Dolmetscherin eine spezielle Herausforderung bedeuten,
die Informationen dem Bildungsstand der Patientin
entsprechend zu formulieren. Andererseits bemerken die gleichen ÄrztInnen, dass es für den Verlauf
A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster
des Gesprächs nützlicher ist, wenn eine Dolmetscherin mehr macht als Informationen weiterzugeben: „Vielleicht empfinde ich das, wenn sie [die
Dolmetscherin] nicht reine Informationsübermittlung macht, viel gewinnbringender. Wenn sie eben
nicht eins zu eins übersetzt, sondern ein Gespräch
führt. Dann ist es mir lieber. ... ich habe dann den
Eindruck, ich komme weiter, es geht besser. Und
wahrscheinlich ist das auch der gewinnbringendere Mechanismus als das Eins zu Eins übersetzen“.
(Interview 13).
Die gleiche Person schildert auch eine Erfahrung
mit wortgetreuem Übersetzen: „Dort wurde sehr
punktuell übersetzt: Das, und dann das, und dann
das. Es kam kein Gespräch auf. Das ist für mich das
eindrückliche Bild vom wirklichen „Satz für Satz
übersetzen“. In der Regel fragt man doch was nach,
wenn man etwas nicht versteht; das erlebe ich als
Gespräch. Und wenn das in einem Dolmetschergespräch nicht geschieht, ist es ist für mich ein logischer Schluss, dass dann das Gespräch nicht stattfindet. Es ist eine Übersetzung in eine Richtung, es
kommt nichts zurück“. (Interview 13)
Ähnliche Erfahrungen wurden von einem weiteren Teilnehmer gemacht: „Von den Dolmetscherinnen, die hier fest angestellt sind, gibt es eine, die
einfach direkt Satz um Satz übersetzt. Man merkt,
sie ist ganz textgetreu. Da finde ich persönlich, dass
es nicht so gut klappt. Ich habe den Eindruck, dass
es besser funktioniert, wenn jemand interkulturell
vermittelt, als wenn er einfach wortgetreu übersetzt.
Ich finde, dass man das Ziel besser erreicht.“ (Interview 12)
In diesen zwei Interviewausschnitten wird beschrieben, dass eine wortgetreue Übersetzung eine
aktive Gesprächsteilnahme der Patientin eher verhindert. Ob diese Wirkung tatsächlich auf die Art
des Dolmetschens zurückgeführt werden kann, lässt
sich nicht abschliessend beantworten, da einerseits
unsere Interviewdaten nur wenige Beispiele von
wortgetreuem Übersetzen enthalten, und andererseits auch die jeweilige Dolmetsch-Qualität eine
Rolle bei der Bewertung der Art des Übersetzens
spielen kann.
Eine etwas andere Beurteilung unterschiedlicher Übersetzungsstile kommt in folgendem Interviewausschnitt zum Ausdruck: „Man sieht einen
Unterschied zwischen jemandem, der es [das Dolmetschen] professionell macht, und jemandem, der
da rein gewachsen ist. Die Professionelle übersetzt
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
einfach das, was ich sage. Der andere Dolmetscher
interpretiert mehr, habe ich den Eindruck. [...] Was
besser ist, weiss ich auch nicht. Manchmal ist das
Interpretieren vielleicht notwendig. Ich kenne die
Kultur ja nicht. Vielleicht würde es falsch verstanden, wenn man nur übersetzt“ (Interview 4). Die hier
zitierte Ärztin hält eine textgetreue Übersetzung für
ein Merkmal von professionellem Übersetzen. Andererseits vermutet sie, dass nicht texttreues Übersetzen Missverständnisse verhindern kann. An einer
anderen Stelle desselben Interviews verlässt sie sich
darauf, dass beim Dolmetschen auch die „kulturellen Verschiedenheiten“ zur Sprache kommen:
„Mit dem Dolmetscher geht es einfacher. Ich
kann meinen Fachausdruck brauchen, und er erklärt ihn, und schliesst auch die kulturellen Verschiedenheiten mit ein. Er kennt unsere Vorstellungen, und er kennt auch die Vorstellungen in seinem
Land. Das macht es einfacher“. (Interview 4).
Insgesamt findet sich in den durchgeführten Interviews keine Fachperson, die wortgetreues Übersetzen durchwegs positiv bewertet. Eine Mehrheit
spricht sich eher für ein interkulturelles Vermitteln
aus. Die meisten Dolmetscherinnen beziehen denn
auch eine kulturell vermittelnde Komponente in
ihre Arbeit mit ein.
Ein Interviewpartner sieht im interkulturellen
Vermitteln folgende Vorteile: „Das interkulturelle
Vermitteln ist personenadaptierter. Es gibt bei den
Patienten verschiedene IQs. Sie [Dolmetscherinnen, die interkulturell vermitteln] gehen mehr auf
das Niveau der Patientin ein. Auch wenn ich eine
Information gebe. Gut, ich versuche sie natürlich
immer so zu geben, dass die Patientin sie versteht.
Ich finde, es ist am besten, wenn man auf die Patientin eingeht“. (Interview 12)
Was eine gute Dolmetscherin für seine Arbeit
bedeutet, beschreibt ein anderer Arzt folgendermassen:
„Unsere Türkisch Dolmetscherinnen sind hervorragend, meiner Meinung nach. Sie sind ein
sehr gutes Bindeglied […]. Sie verstehen die türkische Denkweise, sind aber schweizerisch genug,
um auch zu verstehen, wenn es zu Spannungen
kommt, bzw. zu Unverständnis von beiden Seiten. Es
braucht auch die Fähigkeit, sich die beiden unterschiedlichen kulturellen Gesichtspunkte bewusst zu
machen. […] Und es gibt Frauen, die machen das
extrem gut. Sie sind Türkinnen, durch und durch,
hat man den Eindruck, sind aber trotzdem auch
curare 31(2008)2+3
49
Schweizerinnen. Das Konfliktpotenzial, das das
normalerweise in sich hat, lösen sie perfekt auf. Sie
verstehen beide Seiten. Sie bringt mir die Sicht einer
türkischen Patientin so nahe, dass ich sagen kann:
Ah ja, deswegen. … Sie macht [übersetzt] das so
gut, dass es auch für diese türkischen Patientinnen
akzeptabel wird.“ (Interview 11)
Der kulturelle Aspekt nimmt hier einen herausragenden Platz ein. Die Dolmetscherin wird geradezu als Expertin ihrer Kultur gehandelt. Auch im
nächsten Zitat werden die Aufgaben zwischen ExpertInnen aufgeteilt: die Ärztin ist für die Medizin
zuständig, die Dolmetscherin für die Kultur: „In der
Begegnung mit Migrantinnen bin ich kompetent,
was das Medizinische, Psychologische und Psychosoziale angeht, und sie [die Dolmetscherin] ist
Expertin darin, wie gewisse Dinge erlebt werden,
mit ihrem Hintergrund. Ich finde es wichtig, dass sie
mir das mitteilt, wie es für sie ist, und wie sie was
gewichtet. Diese Informationen sind wichtig in dem
Rahmen [der Sprechstunde]“. (Interview 7)
Diese Art von Vermittlung und Erklärung enthält
ein Nutzungspotential nicht nur für die Migrations-,
sondern auch für die autochthone Bevölkerung. Das
gilt in jedem Fall für den folgenden Abschnitt über
Übersetzung und Verbindung mit der Lebenswelt.
Zwischen der Stimme der Medizin und der
Stimme der Lebenswelt
Charakteristisch für viele Sprechstunden ist der
Dualismus: hier die medizinische Welt und ihre
Sprache, dort die Welt, wie sie von der Patientin
erlebt wird. Die Dolmetscherin steht zwischen diesen Welten. Fachpersonen spüren die Spannung, die
sich in der Begegnung dieser Welten ergibt, so wie
die folgende: „Es ist generell schwierig, wenn man
aus zwei verschiedenen Welten kommt. Und unsere
Ansprüche, Ansätze und Vorstellungen, wie etwas
ablaufen soll, sich in keiner Weise decken mit dem
Ansatz, den die Migrantin im Einzelnen hat.“ (Interview 13)
Diese Fachperson ist sich dessen bewusst, dass
sie ihre Agenda aus der Welt der Medizin hat („wie
etwas ablaufen soll“), und dass die Migrantin ihrerseits einen – wie sie sagt – „Ansatz“ aus ihrer Lebenswelt mitbringt. Die zwei Welten erinnern an die
Arbeiten Mishlers (Mishler 1984). In einer Studie
über medizinische Sprechstunden hat der Forscher
50
Folgendes beobachtet: Patienten tendieren dazu, in
der Stimme der Lebenswelt (“voice of lifeworld”)
zu sprechen; sie sprechen auf einer subjektiven Ebene und aus der Alltagswelt heraus.. Dagegen benützen Ärzte, entsprechend ihrem Rollenverständnis,
die Stimme der Medizin (“voice of medicine”), und
verleihen ihrem Sprechen Objektivität, Rationalität
und Wissenschaftlichkeit. Nicht selten erhalten Dolmetscherinnen eine Rolle, in der sie nicht nur zwischen zwei Sprachen, sondern auch zwischen zwei
„Stimmen“ vermittelnd übersetzen. Im nächsten
Ausschnitt wird eine komplexe Situation geschildert. Einer fremdsprachigen Frau muss begreiflich
gemacht werden, dass für das Kind eine Gefahr besteht, und bestimmte Maßnahmen notwendig sind;
die zwei Stimmen prallen hier aufeinander.
„Das ist für die Frau im ersten Moment natürlich
eine völlige Überforderung. Morgen früh kommt sie
dann wieder und bringt den Mann mit. So dass man
noch ein zweites Gespräch hat, wo man die Befunde besprechen kann und ihr erklären kann, womit
sie rechnen muss. Was das für das Kind bedeutet
und so weiter. Bei Fremdsprachigen muss man oft
mehr erklären, weil das laienmedizinische Vorwissen nicht da ist. Das ist bei ausländischen Patienten
schwieriger, sie auf eine Ebene zu bringen, wo sie
das realisieren, rational anschauen und dann auch
entscheiden können, was das für sie bedeutet“. (Interview 3)
Im folgenden Zitat wird gar von dreifacher
Übersetzung gesprochen: „Weil man drei Dinge
übersetzt: Man übersetzt die Sprache in die andere
Sprache, unsere Medizin vom Spezialisten zum Laien, und vom Laien nochmals zum Laien“ (Interview
13). In Gesprächssituationen zwischen Gleichsprachigen schätzt jeder unmittelbar das Hintergrundwissen seines Gegenübers ein und passt entsprechend an, wie er mit ihm kommuniziert. Bei einem
fremdsprachigen Gegenüber ist es viel schwieriger,
den Hintergrund dieser Person zu erfassen. Entsprechend mehr Übersetzungsarbeit ist nötig. Um
beim Bild der Lebenswelt zu bleiben: Lebenswelt
ist nicht gleich Lebenswelt, sondern kann im Migrationskontext je anders aussehen; sie muss dementsprechend mit besonderer Sorgfalt ausgehandelt
werden (gerade wenn, wie im erwähnten Interview
3, eine heikle Situation besteht).
Zwar wird die Mishlersche Unterscheidung
nicht erwähnt, aber folgendes Beispiel zeigt das
Übersetzen zwischen der Stimme der Lebenswelt
A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster
und der Medizin: „Früher hatten wir eine Dolmetscherin, die war außerordentlich kompetent,
und hat sich zusätzliche Kenntnisse angeeignet.“
So konnte ich sagen: „Erkläre ihr [der Patientin]
doch mal, wie sie die Pille nehmen muss. Es kann
hilfreich sein, wenn man sich gut kennt, und sich
sicher ist über die Kompetenz jener Person. Man
ist froh, dass man so unkomplizierte Sachen delegieren kann, wenn es mehr darum geht, einfach
zu informieren. […] Die erfahrene Dolmetscherin
weiß anhand eines Stichwortes, was sie in zwei, drei
Sätzen erklären soll“. (Interview 7). Die Ärztin ist
froh, dass sie Übersetzungsarbeit delegieren kann.
Die Dolmetscherin ist fähig, Informationen zur Pilleneinnahme selbstständig zu übermitteln, da sie die
Inhalte kennt und kompetent ist, diese eigenständig
zu erklären, ohne dass die Ärztin es selbst vorher
nochmals ausführt. Eine erfahrene Dolmetscherin
übernimmt hier nicht nur die Aufgabe, Informationen von einer Sprache in eine andere zu übersetzen.
Sie überträgt gleichzeitig medizinische Fachsprache
in eine Sprache, die für Laien verständlich ist (siehe
oben). Je kompetenter die Ärztin die Dolmetscherin dabei einschätzt, desto selbständiger ist auch die
Rolle, die die Ärztin ihr zuteilt.
Ähnlich geht ein Arzt im folgenden Beispiel vor:
„Das ist ja das Schönste, wenn sich ein Gespräch
zwischen Übersetzer und Patient entwickelt. Dann
sprechen sie miteinander. Dann läuft die Kommunikation, zwischen der Dolmetscherin und der Patientin. Wenn dort geredet wird, dann geschieht etwas. Dann tauschen sie Informationen aus, die ich
initiiert habe in dem Gespräch. Dann bin ich immer
froh [… wenn] sie mir beim Rausgehen sagt: ,Wir
haben noch diese und diese Punkte angesprochen.
Und das und das habe ich ihr dazu gesagt‘. Dann
merke ich, dass es ein aktives Hin und Her war. Das
ist das, was für mich in eine Mediation hineingeht.“
(Interview 13) In diesem Zitat wird die Mediation
erwähnt. Dass Dolmetscherinnen in der Klinik auch
Mediation ausüben, mag überraschen. Man kann das
aber durchaus so stehen lassen, denn ihre Tätigkeit
entspricht durchaus derjenigen einer Mediation, so,
wie sie in „Homo Mediator, Geschichte und Menschenbild der Mediation“ (Duss-von Werdt 2005)
beschrieben wird.
Wenn die Dolmetscherin in ihrer Vermittlung
zuviel Eigenaktivität entwickelt, kann das jedoch
auch als problematisch empfunden werden, wie
das folgende Zitat belegt. Die InterviewpartneVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
rin schlägt auch gleich eine mögliche Lösung des
Problems vor: „Es ist weniger hilfreich, wenn zu
viel Initiative von der Dolmetscherin kommt, z.B.
wenn man merkt, dass schon viel im Wartezimmer
besprochen wurde. Wenn man das fertig serviert bekommt, ist das schwierig. In diesem Fall habe ich
keine Möglichkeit, das Gespräch zu gestalten und
zu leiten […] Wenn die Rollen klar sind, soll man
die Grenzen soweit wie möglich gestalten. Die Dolmetscherin darf sich gerne einbringen, dann kann
ich davon profitieren, aber es muss abgesprochen
sein“. (Interview 7). Diese Ärztin zeichnet das Bild
einer Zusammenarbeit, in der die Dolmetscherin als
kompetente Partnerin in der Betreuung von fremdsprachigen Patientinnen anerkannt wird.
Diskussion
„Quasi dasselbe mit anderen Worten“ sagen: das
ereignet sich nicht nur beim Übersetzen von schriftlichen Texten nach Eco, sondern auch in Kommunikationssituationen zwischen Fremdsprachigen, in
denen eine dritte Person dolmetschend interveniert.
Weiter gefasst, bildet dies eine Realität bei Interaktionen in öffentlichen Institutionen, die von großer
Diversität ihrer Klientel geprägt sind. Wie kann
man aber quasi dasselbe sagen? Dolmetscherinnen
üben verschiedene Rollen aus, um ihre Arbeit für
ihre Klientinnen (Gesundheitsfachleute einerseits,
Patientinnen andererseits) auf befriedigende Art
und Weise zu leisten. Sie sagen „dasselbe“ weniger
wörtlich, sondern eher vermittelnd, und zwar vermittelnd auf mindestens dreifache Art und Weise:
interkulturell vermittelnd, zwischen den „Stimmen“
vermittelnd (Greenhalgh, Robb & Scambler 2006)
und in konfliktgeladenen Situationen vermittelnd.
Die Rollenkonzepte von Dolmetscherinnen wurden vor allem in der sozialen, der ethnologischen
und auch der Gesundheitsforschung ausführlich
beleuchtet, jedoch sind Dolmetscherinnen nur teilweise (z. B. im Rahmen von Weiterbildungskursen)
und die meisten medizinischen Fachpersonen nur
rudimentär oder überhaupt nicht mit diesen Rollenkonzepten vertraut. Im Alltag wird Gesundheitsfachpersonal häufig mit Dolmetscherinnen konfrontiert ohne eine entsprechende Vorbereitung auf
diese Zusammenarbeit zu erhalten. Das Wissen um
die Kriterien einer „guten Dolmetscherin“, oder eines „idealen Trialogs“ kann nicht einfach als gegecurare 31(2008)2+3
51
ben angenommen, sondern sollte in Weiterbildungsveranstaltungen für das medizinische Fachpersonal
behandelt werden. Fachpersonen könnten bei dieser
Gelegenheit auch dafür sensibilisiert werden, wann
der Beizug von interkulturellen Vermittlerinnen indiziert ist, auch unabhängig von Sprachproblemen6.
Darüber hinaus vollzieht sich die Zusammenarbeit zwischen Dolmetscherinnen und Gesundheitsfachleuten in einem Spannungsfeld, welches
seit Jahrhunderten unter Übersetzern und Dolmetschern herrscht, nämlich zwischen „wortgetreuer“
und „freier“ Übersetzung. Schon Cicero zeigt die
Dichotomie auf: entweder einfach übersetzen als
„Interpres“ oder aber – und dem gibt er den Vorzug
– übersetzen wie ein Redner, ein „Orator“, der seine
Hörer überzeugen will. Schleiermacher, deutscher
Theologe und Philosoph des 19. Jahrhunderts, hat
unsere Auffassungen vom Übersetzen stärker beeinflusst als Cicero. Für Schleiermacher ist der Ursprungstext (also gewissermaßen der Sender) wichtiger, als der Hörer (der Adressat). Entsprechend
wird die wortgetreue Übersetzung immer noch als
die wahre und eigentliche angesehen, auch wenn sie
beim Empfänger an Verständlichkeit einbüsst (Berger & Nord 1999).
Eco wehrt sich gegen falsch verstandene Treue im
Sinne wörtlichen Übersetzens: „Aber der Treuebegriff hat mit der Überzeugung zu tun, dass Übersetzen eine Form des Interpretierens ist und stets darauf abzielen muss, auch wenn es von der Sensibilität
und Kultur des Lesers ausgeht, möglichst treffend,
ich sage nicht: die Intention des Autors, aber die Intention des Textes wiederzugeben, also das was der
Text sagt oder suggeriert in Bezug auf die Sprache,
in der er sich ausgedrückt, und den kulturellen Kontext, in dem er entstanden ist.“ (Eco 2006: 17). Und
weiter: „Somit erweist sich eine scheinbare Untreue
(man hat nicht wörtlich übersetzt) im Endeffekt als
ein Ausdruck von Treue. Ähnlich sagte bereits Hieronymus, der Schutzpatron der Übersetzer, dass es
beim Übersetzen nicht darum gehe, verbum e verbo
sed sensum exprimere de sensu – also nicht ‚das
Wort durch das Wort, sondern den Sinn durch den
Sinn auszudrücken‘“ (Eco 2006: 18).
Ecos Postulat lässt sich auf das Dolmetschen
übertragen: im Trialog wird im Idealfall nicht treu
im Sinn von wörtlich, sondern getreu der Absicht
der adressierten Botschaft übersetzt. Doch in der
alltäglichen Praxis ist nicht immer klar, was das
Ideal eigentlich ist. Die Zusammenarbeit mit Dol-
52
metscherinnen und deren Rollenkonzepten werden
meist eher intuitiv gehandhabt als auf der Basis
theoretischer Reflexionen. Der pragmatische und
konzeptionell noch wenig ausgebildete Ansatz ist
hierbei bezeichnend, und lässt sich in zahlreichen
Forschungsberichten über das Dolmetschen im Gesundheitsbereich feststellen, so zum Beispiel bei der
INTERPRET, der schweizerischen Interessengemeinschaft für interkulturelles Übersetzen und Vermitteln7, im Grundlagenbericht über Übersetzung in
der Schweiz (Weiss & Stuker 1998), einigen Forschungsarbeiten in der Schweiz (Leanza 2005, Singy & Weber 2001), aber auch in anderen Ländern
(Chia 2002, Hsieh 2006, Sauvêtre 1998). Häufig
bestimmt die Praxis wie der Dialog zu dritt gestaltet
wird und wie in den Zitaten dargestellt, werden von
den Gesundheitsfachleuten teilweise sogar sich widersprechende Rollen und Arten des Dolmetschens
gewünscht.
Eine Möglichkeit, an diesem Thema weiterzuarbeiten, wäre die Einführung von Weiterbildungsangeboten für Dolmetschende und medizinische Fachpersonen gemeinsam. Obwohl die Idee
eigentlich naheliegend ist, sind uns keine solchen
Projekte bekannt. Das gemeinsame Besprechen von
Dolmetscherrollen könnte ein Ausweg aus den polarisierenden Diskussionen (etwa „nur übersetzen“
contra „mehr als übersetzen“) bieten und zudem
ermöglichen schwierige Gesprächssituation anzusprechen, in denen beispielsweise die betreffende
Dolmetscherin der Situation nicht gewachsen war,
und nicht adäquat übersetzen konnte. Damit wären
gemeinsame Weiterbildungen nicht zuletzt auch
eine Strategie der Qualitätssicherung für einen Dialog zu Dritt. Darüber hinaus können Daten wie die
des vorliegenden Forschungsprojektes zu einer differenzierten Betrachtung verhelfen und die Diskussionsgrundlage für das Konzeptualisieren des Dolmetschens bilden. Unsere Daten eignen sich auch
deshalb für Weiterbildungen, weil sie zeigen, dass
das Hinzuziehen einer Dolmetscherin dem persönlichen Ermessen überlassen bleibt. Das Bewusstsein
für Situationen, in denen Dolmetscher sinnvollerweise hinzugerufen werden sollten, kann anhand der
vorliegenden „Alltagsbeschreibungen“ geschärft
werden. Außerdem geben sie Raum, um über die
Grenzen und Risiken beim Hinzuziehen von nicht
qualifizierten Dolmetschenden – Familienangehörigen, Spitalpersonal usw. – zu reflektieren und einen
kritischen Umgang damit zu ermöglichen. Andere
A. Bischoff, E. Kurth & S. Schuster
Daten, die für Weiterbildungen für den Dialog zu
Dritt hilfreich sind, sind Transkriptionen von reell
geführten Gesprächen im Trialog. Wir verweisen
hier auf die Arbeiten von Meyer: in eigens dafür geschaffenen Weiterbildungsmodulen werden anhand
der Transkriptionen von dolmetschervermittelten
Gesprächen in unterschiedlichen Settings für die
Trialogpraxis wichtige Punkte gemeinsam erarbeitet (Meyer 2000, Meyer 2003).
Einen wichtigen Bestandteil solcher Weiterbildungsveranstaltungen sollte auch ein reflexiver Umgang mit dem Begriff Kultur beinhalten. Der Begriff
Kultur wird von medizinischen Fachpersonen, aber
auch DometscherInnen, oft allzu bedenkenlos gebraucht und kann als „Schublade“ missverstanden
werden, in die man „spezifische“ Merkmale und
Verhaltensweisen „verstauen“ kann. Kaufert prägte dazu das Stichwort “boxification” (Kaufert &
Putsch 1997). Eine Gefahr hierbei ist die Kulturalisierung, d.h. die Festlegung von Personen auf ihren
kulturellen Hintergrund. Diese Thematik sollte einen integralen Bestandteil der empfohlenen Weiterbildungen für Dolmetscher und für Gesundheitspersonal bilden. Zur Definition von Kultur verweisen
wir auf Wicker: „Kultur beinhaltet die im Lebensprozess von Individuen erworbenen Dispositionen,
die zu intersubjektiver Bedeutungsbildung und zu
sinnhaftem Handeln befähigen. Kultur ist demnach
ein offener Prozess, der analysiert werden muss, es
gibt kein ,Kultur sein‘“ (Wicker 1996). Wenn wir
Kultur so verstehen, dann gilt es, das Prozesshafte
im Umgang mit Kultur ernst zu nehmen, und nicht
in einem statischen Kulturbegriff zu verharren, der
Menschen dort unveränderlich belässt, wo sie eingeteilt sind (Saladin et al. 2006).
Die Auseinandersetzung mit Kultur führt uns zur
interkulturellen Vermittlung, die oft als Gegensatz
zum Übersetzen gesehen wird. Zum Übersetzen
bzw. interkulturellen Vermitteln bestehen meist
eher diffuse Vorstellungen unter den interviewten Fachpersonen. Dies kommt indirekt in mehreren Gesprächen zum Ausdruck. Zum Beispiel hält
eine Interviewpartnerin im gleichen Interview fest,
dass wörtliches Übersetzen das Richtige ist, und
gleichzeitig erwähnt, sie verlasse sich bei erfahrenen Dolmetscherinnen darauf, dass sie kulturelle
Vorstellungen in ihre Übersetzung einbeziehen. Wir
können darin beispielhaft das Oszillieren zwischen
der Verneinung des kulturellen Aspektes, aber auch
der Betonung desselben sehen. Saladin et al. (2006:
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
93) definieren interkulturelles Vermitteln wie folgt:
„Interkulturelle Vermittlerinnen und Vermittler informieren adressatengerecht Migrantinnen und
Migranten sowie Fachpersonen öffentlicher Dienstleistungen über kulturelle Besonderheiten, über
unterschiedliche Regeln des politischen oder des
Sozialsystems sowie über unterschiedliche Umgangsformen. Damit bauen sie Brücken zwischen
Migrantinnen und Migranten sowie Bildungs- oder
Beratungseinrichtungen und sorgen dafür, dass
Unklarheiten zwischen Ärztin und Arzt – Patientin
und Patient, Anwältin und Anwalt – Mandantin
und Mandant, Lehrerin und Lehrer – Eltern keinen
Raum haben“.
Obige Überlegungen zum Umgang mit der
Kultur, insbesondere diejenige, dass Kultur nicht
statisch, sondern dynamisch verstanden werden
sollte, führt uns zum Grundgedanken von Eco’s Essay über das Übersetzen, nämlich dass Übersetzen
Verhandeln ist. Eco (2006:20): „So bin ich auf die
Idee gekommen, dass Übersetzen auf einer Reihe
von Verhandlungsprozessen beruht – ist doch Verhandlung genau ein Prozess, bei dem man, um etwas zu erreichen, auf etwas anderes verzichtet, und
aus dem die Parteien am Ende mit einem Gefühl
von vernünftiger wechselseitiger Befriedigung herauskommen sollen, geleitet vom goldenen Prinzip,
dass man nicht alles haben kann“. Dass Dolmetscher in einen Verhandlungsprozess zwischen zwei
Partien eingreifen, ihn sogar maßgeblich beeinflussen, das scheint uns erhellend für den Umgang im
Trialog. Also: Dolmetscherinnen übersetzen nicht
nur, sie vermitteln und sie helfen verhandeln und
aushandeln, einmal zwischen Sprachen, aber auch
zwischen kulturellen Ausdrucksformen, und sie
verhandeln auch zwischen der Stimme der Lebenswelt und der Stimme der Medizin. Greenhalgh,
Robb, & Scambler (2006) haben in einer kürzlich
publizierten Studie die Begriffe Mishlers durch die
Gegenüberstellungen von Habermas ergänzt, und
auf einen Aspekt hingewiesen, der bisher nicht oder
nur verdeckt zur Sprache kam, dem der Macht. Aus
der Theorie des kommunikativen Handelns werden
zwei Unterscheidungen beigezogen: die der Lebenswelt und des Systems, sowie des kommunikativen und strategischen Handelns. Greenhalgh und
Kollegen zeigten, dass die Stimme der Medizin (des
Systems, des strategischen Handelns) häufig dominanter („lauter“) ist, als die Stimme der Lebenswelt.
Dolmetscherinnen stehen hier dazwischen, und ihre
curare 31(2008)2+3
53
Verhandlungsaufgabe ist entsprechend komplex
und anspruchsvoll, und umso komplexer und anspruchsvoller, je weniger zur Kenntnis genommen
wird, dass Dolmetscherinnen solche Rollen implizit innehaben, und je ausgeprägter die Assymetrien
zwischen Arzt und Patienten sind.
Abschließend möchten wir unterstreichen, dass
der Trialog zum Alltag der UFK gehört. Die UFK
ist in ihrer Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen
ein Beispiel dessen geworden, was Umgang mit
Diversität in einer öffentlichen Institution bedeuten
könnte. Im Handbuch „Diversität und Chancengleichheit – Grundlagen für erfolgreiches Handeln
im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen“
wird Diversität folgendermaßen definiert: „Unter
Diversität werden hier die persönlichen und gesellschaftlichen Differenzen verstanden, die unter anderem aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Sprache,
Fähigkeiten, Alter, Lebensformen und sozialem Status entstehen und bestehen und sich auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirken. Das Management der Diversität strebt einen positiven Umgang
mit diesen Differenzen an, um daraus erfolgreiches
Handeln für ein Unternehmen, seine Kundinnen
und Kunden sowie seine Mitarbeitenden zu gestalten“ (Saladin et al. 2006: 91). Unsere Studie bietet
Anschauungsmaterial, wie sich Strategien im Sinne
eines Diversity Mainstreaming in die Praxis umsetzen lassen. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich
beim Trialog nicht lediglich um eine spezialisierte
Dienstleistung handelt, sondern um einen Teil der
Regelversorgung, die allen Personen ungeachtet
ihrer Herkunft zugute kommen und der zukünftig
mehr Beachtung geschenkt werden sollte.
Anmerkungen
1. www.nfp51.ch
2. Das Bundesamt für Gesundheit hat 2002 im Rahmen der strategischen Ausrichtung des Bundes „Migration und Gesundheit
2002-2007“ IAMANEH Schweiz mit einem Mandat für eine
Koordinationsstelle zu deren Umsetzung im Bereich reproduktiver Gesundheit beauftragt. Das Projekt „Geburtsvorbereitungskurse für Migrantinnen“ ist ein Teil dieser Umsetzung,
finanziell unterstützt von der Eidgenössischen Ausländerkommission. Basel ist eine von sechs Regionen, in denen solche
Kurse angeboten werden.
3. Das Projekt „Chancengleichheit für Migrantinnen – Optimierung der peripartalen Gesundheitsversorgung“ wird via H+
‑Spitäler der Schweiz vom Bundesamt für Gesundheit, der Spitalleitung des Universitätsspitals Basel und der UniversitätsFrauenklinik finanziert.
4. Die administrativen Mitarbeiterinnen haben unterschiedliche
Ausbildungshintergründe (z.B. Pflegeassistentin, Pharmaassistentin, kaufmännische Ausbildung).
54
5. Siehe mehr dazu in einem Buchbeitrag, der in den nächsten
Monaten erscheinen wird: „Dolmetscherinnen im Spannungsfeld unterschiedlicher Geschlechtervorstellungen“, von
Elisabeth Kurth, Sibil Tschudin und Elisabeth Zemp Stutz,
in:„Dolmetschen, Vermitteln, Schlichten – Integration der Diversität?“, herausgegeben von Janine Dahinden und Alexander
Bischoff.
6. Wir können hier nicht auf andere wichtige Aspekte von Weiterbildungen eingehen, wie das Hinzuziehen von SpitalmitarbeiterInnen als Dolmetschende, oder auch die Indikationen, wann
der Beizug einer qualifizierten Dolmetscherin angezeigt ist,
sondern verweisen auf die entsprechende Literatur:
Bischoff A., Steinauer R. Pflegende Dolmetschende? Dolmetschende Pflegende? Literaturanalyse. Pflege Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe. 2007; 20(6):
343-51.
Bischoff A., Steinauer R., Kurth E. Dolmetschen im Spital:
Mitarbeitende mit Sprachkompetenzen erfassen, schulen
und gezielt einsetzen. In: Saladin P., Diversität und Chancengleichheit - Grundlagen für erfolgreiches Handeln im
Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen. Bern: Bundesamt für Gesundheit BAG in Zusammenarbeit mit H+ Die
Spitäler der Schweiz 2006: 65-7.
7. http://www.inter-pret.ch/
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VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
PatientInnen, DolmetscherInnen und Gesundheitsfachleute
55
Alexander Bischoff, Dr. phil. (PhD, MPH, RN) ist als Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, und als Public Health
Spezialist und Pflegeexperte in „Service de Médecine Internationale et Humanitaires“ der Genfer Universitätsspitäler tätig.
Montmirail
2075 Thielle, Schweiz
e-mail: [email protected]
Elisabeth Kurth, Text fehlt noch !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Sylvie Schuster, Dr. med., Studium der Medizin und Ethnologie, aktuell in der Facharztausbildung Gynäkologie und Geburtshilfe. Forschungsarbeit zum Schwangerschaftsabbruch in Kamerun 1996/1997, gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. Research Fellow am Department of Social Medicine,
Harvard Medical School, 2002. Leitung verschiedener Projekte im Bereich Migration und Gesundheit.
University Women´s Hospital
Spitalstrasse 21, 4031 Basel, Schweiz
e-mail: [email protected]
curare 31(2008)2+3
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern
57
Das Theater des Dolmetschens:
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern
Şebnem Bahadir
Der Mensch „macht” nicht nur Theater,
er „ist” auch gleichzeitig Theater.
(Boal & Holtei 1999: 24)
Zusammenfassung Wenn Dolmetscher als interkulturelle Mittler zwischen Vertretern medizinischer Institutionen und Migranten agieren, übernehmen sie eine hohe Verantwortung: Sie sollen in Situationen Kommunikation
ermöglichen, die von einem großen Machtungleichgewicht gekennzeichnet sind. In diesem hierarchisch geprägten
Beziehungsgefüge arbeiten Dolmetscher nicht als unsichtbare und unbeteiligte Akteure. Sie sind mitten drin im
Geschehen - als Professionelle, die mit ihren kulturellen, sozialen und personellen Identitäten eine dritte Seite
darstellen. In diesem Beitrag wird der Rahmen für eine Aus- und Weiterbildung von Dolmetschern skizziert,
die auf einer handlungsorientierten translationswissenschaftlichen Grundlage aufbaut und theaterpädagogische,
anthropologische und soziologische Ansätze verknüpft. Ausgangspunkt ist die Auffassung von Dolmetschen als
‚ganzkörperliche’ Aktion in einer Situation, die als Inszenierung gelehrt und gelernt werden kann. Ziel ist eine
professionelle Dolmetscheridentität, die für nonverbale, verbale und situationale Kommunikationsdynamiken und
kulturelle, soziale und politische Machtgefälle in den medizinischen Einsatzbereichen sensibilisiert und dazu befähigt, aus der Position des Dritten heraus ethisch, d.h. empathisch und verantwortungsvoll zu handeln.
The Theatre of Interpreting: Observing, participating, rehearsing, enacting, changing
Abstract When interpreters act as intercultural mediators between representatives of medical institutions and
migrants, they take high responsibility: They have to enable communication in situations characterized by great
imbalance power. Within this hierarchical structure of relationships interpreters are not invisible and uninvolved
agents. They are right in the middle of the event – as professionals who represent a third party with their own
cultural, social and personal identities. This paper sketches the framing of a methodology for training interpreters
which is based on an action-oriented perspective from translation studies and connects with approaches from theatre pedagogy, anthropology and sociology. The point of departure is the concept of interpreting as action involving the whole body in a situation, which can be taught and learnt by way of enactments. The aim is to develop a
professional identity, sensitizing interpreters for the nonverbal, verbal and situational dynamics in communication
and the cultural, social and political imbalance of power in medical settings, and at the same time empowering
interpreters to act ethically, i.e. with empathy and responsibility as a third party.
Keywords (Schlagwörter) action-oriented perspective of education (handlungsorientierte Orientierung der Ausbildung) – sensitized interpreter (sensibilisierter Dolmetscher) – empathy (Empathie) – translation studies (Translationswissenschaft) – professional identity (professionelle Identität)
Der Dolmetscher im medizinischen Kontext –
vom Souffleur zur Hauptrolle
Das Dolmetschen außerhalb von internationalen
Konferenzen ist inzwischen auch in den nicht-klassischen Zuwanderungsländern zu einem Thema in
der öffentlichen Diskussion geworden.1 Nach einer
Phase der semi-institutionalisierten Laiendolmetscher, die sich meist aus Kindern und Familienangecurare 31(2008)2+3: 57-
hörigen der fremden Patienten rekrutieren, machen
sich Praktiker, Ausbilder und Dienstleistungsanbieter nun auf die Suche nach einem professionellen
Berufsprofil für Dolmetscher in medizinischen, sozialen und juristischen, meist intranationalen Kontexten.2 Die Dolmetschsituationen in diesen meist
‚migrantischen Settings‘ sind oft nicht auf einfache
sprachliche Übertragungsleistungen reduzierbar,
zwischenmenschlich komplex und emotional belas-
58
tend. Dolmetscher durchleben Entscheidungsprozesse, die sie über ihre in dem Moment ausgeübte
Tätigkeit heraus als „ganze Person“ fordern – als
Mensch mit einer bestimmten Lebensgeschichte,
als (ehemaliger) Asylbewerber oder als (eigentlich
über)integrierte und distanzierte Migrantin der dritten Generation oder als (inzwischen anerkannter)
politischer Flüchtling. Der Ausgangspunkt für ein
neues und funktionierendes Berufsprofil muss die
Einsicht sein, dass das Dolmetschen in medizinischen (sozialen und juristischen) Kontexten eine
ethisch höchst komplexe Tätigkeit mit soziopolitischen Implikationen ist. Dolmetscher müssen
bewusst erleben und darüber reflektieren, was das
Dolmetschen zwischen Vertretern verschiedener
Kulturen bedeutet, zwischen denen ein großes
Machtungleichgewicht besteht; welche Risiken sie
damit auf sich nehmen und wieviel sowie welche
Art von Verantwortung sie überhaupt tragen müssen/können/wollen. Diese (Beurteilungs-)Fähigkeit
muss manchmal in einem mühsamen und schmerzvollen Prozess entwickelt werden, wenn Dolmetscher aus ihrer Praxis heraus ein gewisses Bewusstsein erlangen. Es gibt ohne Zweifel erfahrene,
kompetente, inzwischen professionell arbeitende
„Autodidakt-Dolmetscher“. Aber als Dolmetschforscherin und -ausbilderin möchte ich mich nicht
mit einer Bewusstseinsbildung zufrieden geben,
die nach dem Prinizip der natürlichen Selektion
arbeitet (vgl. auch Bahadir 1998, 2000). Die professionellere Art und Weise des Umgangs mit einer
solchen Bedarfssituation ist der Weg einer praxisorientierten kritischen Aus- und Weiterbildung, die
sich nicht nur auf die Förderung der rationalen Fähigkeiten konzentriert, sondern die Sensibilisierung
von Körper und Emotionalität, also die nonverbale
wie verbale Kommunikationskompetenz und die
Empathiebildung mit einbezieht. Dolmetschen bedeutet wie jegliches Verstehen und Mitteilen, also
Kommunizieren, dass die andere Kultur zunächst in
„meine Welt“ einverleibt wird. Dolmetscher müssen (dazu befähigt werden zu) erkennen, dass die
Anerkennung der Fremdheit der anderen Kultur nur
idealiter (und auf ideologischer Ebene) eine Assimilierung verhindert. Auch die Strategie der Verfremdung assimiliert, obwohl sie gleichzeitig eine
Art „Selbstaufgabe“ im Dienst einer „Rettungsideologie“ propagiert, die durch Kulturrelativismus
die andere Kultur vor ethnozentrischen Übergriffen
bewahren soll. Eine Ausdrucksform, einen Text,
Şebnem Bahadır
eine Kultur „fremd“ zu lassen, ist demnach, wenn
wir diesen Gedankengang im Sinne des Ethnologen
Leiris bis zum Ende weiterverfolgen, ein „Mir-zueigen-Machen“ der Anderen als Andere (vgl. 1985a,
b). Wenn ich der, die, das Andere als fremd und verschieden von mir „lasse“, tue ich das immer nur aus
meiner individuellen kulturen- und kontextgebundenen Sicht heraus. Dieses Paradox führt uns vor
Augen, dass keine Form der Verdolmetschung auf
einer Ebene der völligen Gleichberechtigung und
Gleichbehandlung erfolgt (vgl. Bahadir 2004).
Der Arzt, die Krankenschwester, der Pfleger,
der fremde Kranke … weitere Rollen im
Theater des Dolmetschens
Die „Verkomplizierung“ der Dolmetschtätigkeit
weitet sich noch mehr aus, wenn diese doppelte Bewegung zwischen fremd lassen und zu eigen machen nicht in Form von alternativen, je nach Situation auswählbaren Strategien auftritt, sondern als eine
spezifische Dynamik, die ständig im Dolmetschen
stattfindet, in einer dialogischen Form, sich immer
wieder unterschiedlich stark und intensiv überlappend. Dolmetschen impliziert immer Machtungleichgewicht und Bedeutungsvielfalt. Die doppelte
Bewegung ist eng mit der Praxis, der Arbeit draußen auf dem „Feld“ verbunden, wie wir es in Leiris’
ethnographischen Texten sehen, die ein Grenzphänomen darstellen, weil in ihnen sowohl Originalals auch Zielkulturen auf der Grundlage von real
beobachteten Daten in einer neuen poetischen Form
zusammengesetzt und dargestellt, also ‚inszeniert‘
werden (vgl. Albers 1999: 220). Dolmetschen als
eine professionelle interkulturelle Kommunikationsleistung kann ebenfalls als eine ‚Inszenierung‘
von mindestens drei Kulturen betrachtet werden.
Von der Laienperspektive aus betrachtet mag eine
verdolmetschte Arzt-Patient-Interaktion weiterhin wie ein intimes Zweiergespräch aussehen –
bzw. was noch richtiger wäre: Dieser Mythos der
Zweisamkeit wird auch nach dem sichtbaren und
hörbaren „Auftritt“ des Dolmetschers gern weiter
gepflegt. Im Rahmen eines traditionellen Verständnisses von der Beziehung zwischen „Heiler“ und
„Heilung-Suchendem“ stört die Akzeptanz einer eigenständigen Rolle/Kultur für den Dolmetscher die
Intimität des Arzt-Patient-Gespräches. Die TheaterMetapher für eine verdolmetschte Interaktion, d.h.
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern
die Betrachtung der Situation als eine Inszenierung,
ähnlich wie alle anderen Inszenierungen in unserem
Alltag (vgl. Goffman [1959] 2000), ermöglicht es
uns, die Rolle/Kultur des medizinischen Fachpersonals, die des Dolmetschers und die des „fremden
Kranken“ und deren Beziehungen im tatsächlichen
Interaktionskontext zueinander zu erkennen und zu
analysieren.
Dolmetscher üben, ähnlich wie Ethnographen,
eine Tätigkeit „an den Grenzen“ verschiedener anderer Tätigkeiten aus, produzieren andere Kulturen
auf dem Hintergrund ihrer so genannten eigenen
Kulturen und erschaffen sich somit einen neuen
Raum, eine dritte durchmischte Kultur, “something like culture’s ‘in-between’”, um mit Bhabha
(1996: 54) zu sprechen. Eine Auseinandersetzung
mit der Suche kritischer Ethnographen nach neuen Ausdrucksformen, politischen Verortungen und
ethischen Haltungen ist für die Diskussion über die
professionelle Rolle der Dolmetscherin überaus
fruchtbar. Erlebte Situationen können uns Wege
aus den scheinbar unendlichen, mehr oder weniger
theoretischen Diskussionen zeigen. Wie die feldforschenden Ethnographen im Rahmen einer Revision
der interpretierenden Anthropologie in einer Phase
selbstreflexiver und experimenteller Ansätze anfingen, ihre Reflexionen über den ethnographischen
Forschungsprozess, über ihre Gefühle und Vorstellungen beim Beobachten, Miterleben und Aufschreiben ihrer Arbeitskulturen festzuhalten (vgl.
Marcus & Fischer 1986: 42-44), sollten Kommentaren und Bewertungen von Seiten der DolmetscherInnen einerseits und der Dolmetsch-forscherInnen
andererseits mehr Beachtung geschenkt werden
(vgl. Bahadir 2007, 2004, 2001). Ein solcher experimenteller Ansatz würde es uns bei der Betrachtung der Dolmetschtätigkeit ermöglichen, ethische
Implikationen und Restriktionen beim Dolmetschen
neu zu bewerten.
In diesem Sinne möchten wir eine neue Methodik in der Dolmetscherausbildung vorschlagen, die
auch zur Sensibilisierung von medizinischem Fachpersonal für eine effektivere Zusammenarbeit mit
Dolmetschern eingesetzt werden kann: Sie basiert
dezidiert auf einer translationswissenschaftlichen
Grundlage und ist ein Amalgam aus theaterpädagogischen und anthropologischen Arbeiten von Boal,
Barba, Schechner und Victor Turner, kombiniert
mit soziologischen und sozialpsychologischen Betrachtungen von Goffman und einigen Gedanken
curare 31(2008)2+3
59
aus dem Bereich interkultureller Kommunika­
tionsforschung.3 Ausgangspunkt für diese ganzheitlich sensibilisierende und „ganzkörperliche“
Dolmetschausbildung ist der Grundgedanke, dass
Dolmetschen als Aktion, also als Bewegung in Situation, somit als Inszenierung gelehrt und gelernt
werden kann bzw. sollte. Empirische Studien (z.B.
Wadensjö 1998a, b) zeigen und Kommunikationswissenschaftler, Psychologen, Psychotherapeuten
(z.B. Watzlawick, Beavin & Jackson 2003, Nathan
2001, Loenhoff 2001, Knoll & Röder 1988) betonen dies immer wieder: Wir kommunizieren als ganze Person, als Körper, nicht nur mit unseren mentalen/geistigen/kognitiven Fähigkeiten und nicht nur
mit einem Teil unseres Körpers. Die Ausführungen
einiger moderner Translationswissenschaftler heben
die Bedeutung dieser „Körperlichkeit“ des Translators (d.h. des Übersetzers und Dolmetschers) bereits hervor und gehen den folgenden methodischen
Überlegungen voran. Deswegen möchte ich als
erste Grundlage meiner Methode kurz auf relevante
Ansätze bei Göhring und Vermeer eingehen.
Schauspieler, Regisseur, Dirigent …
Dolmetscher
Göhring ist ein Pionier der Translatorenausbildung,
die sich weg vom Schreibtisch hin zum Einsatz
des ganzen Körpers in einem Ausbildungsraum
bewegt, der nicht auf das konventionelle Seminarzimmer begrenzt ist. Das Erlernen von Sprache und
Kultur findet in einer Kombination zwischen theoretischer Reflexion und praktischen Interaktionstrainings in multikulturellen Studierendengruppen
statt (Göhring 2002, 1976, 1977, 1978, 1980). Er
versucht, die reduktionistische Seite der interkulturellen Trainings, die mit groben Kulturparametern
arbeiten und den Eindruck erwecken, für jeden
interkulturellen Konflikt eine Rezeptlösung bieten
zu können, mit der Konzeption einer „feldforschenden“ Translatorenausbildung zu kompensieren. Mit
diesem Lernen außerhalb des Ausbildungsraumes
kombiniert Göhring „gruppendynamische Veranstaltungen” mit Teilnehmenden aus verschiedenen
Kulturen. Eine solche Herangehensweise soll eine
Balance zwischen Theorie und Praxis, außerdem
zwischen „emotionalem” und „begrifflichem” Lernen ermöglichen (2002: 78-80). Diese Dynamik
stellt sich natürlich nicht von selbst ein bzw. die
60
Situation kann für einen Gruppenleiter, der nicht
„kulturanthropologisch geschult ist“ (wie Göhring
es verlangt) in einer Katastrophe enden. Die Verbindung von „kognitivem und emotionalem Lernen“ ermöglicht nicht nur eine ganz andere Art von
„Motivation und Eigeninitiative“, wie Göhring betont. Persönliche Erlebnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen sollen nicht nur auf dem Papier
am Rande von Fallstudien behandelt und nicht nur
verbal andiskutiert, sondern gespielt, d.h. mit dem
ganzen Körper in der Situation selbst dargestellt
werden.
Bei Vermeer ist der Translator ebenfalls „ganzkörperlich“ und „gesamtsituationell“ zu positionieren. Vermeer vertritt in seinem handlungstheoretischen Ansatz eine holistische Herangehensweise
(1996: 112): Von Translatoren verlangt er Kenntnisse über idio-, dia- und parakulturellen Ebenen ihrer
Arbeitskulturen und kontextualisiert die Translatorentätigkeit im Rahmen des menschlichen Gesamtverhaltens (1996: 27). Translatorisches Handeln
geht für ihn über sprachliches Handeln hinaus,
daher plädiert er für eine „holistische Betrachtung
eines Sichverhaltens“ (1996: 146), spricht vom Dolmetscher, der mit seiner ganzen Person dolmetscht
und fügt in Klammern hinzu: „[…] auch mit seiner
Stimme, unter Umständen auch der Farbe seiner
Krawatte“ (1985: 476). Diese Aussage gilt es aus
der Klammer herauszuholen und ganz nach vorn
zu stellen. Seine Forderung, nach Einbezug des
„ganzen Menschen in seiner Situation“ (1997: 282)
lässt sich mit dem theaterpädagogischen Ansatz von
Boal kombinieren. Es geht also auch und besonders
um „nonverbales soziales Sichverhalten“, das unbewusst ist, somit „tiefer sitzt“ und daher „schwerwiegender“ zu sein scheint (1997: 289). Die Krawatte
oder das Muster des Pullovers kann aus-schlaggebend sein, und in extremen Dolmetschsituationen
wie bei einem Einsatz in der Psychiatrie kann die
Augenfarbe der Dolmetscherin dazu führen, dass
eine Vertrauensbasis aufgebaut wird. Es muss nicht
primär die Dolmetschkompetenz sein, die Vertrauen
erweckt. Der Einsatz der Dolmetscherin beginnt mit
ihrer physischen Präsenz, unter Umständen eben ihrer Augenfarbe. Diese ‚Kleinigkeiten‘ können eine
größere Rolle spielen als korrekte Entsprechungen
für schwierige medizinische Termini oder eine bemerkenswerte Geschwindigkeit beim Flüsterdolmetschen (vgl. Bahadir 2007: 214-216).
Şebnem Bahadır
Ich möchte hier einige Gedanken Vermeers zum
Literaturübersetzer auf den Dolmetscher ausweitend und adaptierend mit den Boalschen Vorstellungen des Schauspielers in Verbindung bringen.
Vermeers spricht das zentrale Problem der theatralischen Darstellung bzw. der Repräsentation des Einen durch den Anderen an, in dem er seinem Unbehagen über die Forderung, in die Haut des Autoren
„schlüpfen“ zu müssen, wolle man ein guter Literaturübersetzer sein, Ausdruck verleiht. Die Unmöglichkeit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit,
der reibungs-losen, verlustfreien Übertragung und
Repräsentation verdeutlicht Vermeer durch einen
provokativ-alltäglichen Unwillen, in die Haut des
„ungewaschenen Herrn von Goethe“ zu schlüpfen
oder gar in die von Shakespeare, mit der Aussicht,
dass er dann dem „entsetzlichen Gestank in den
Straßen shakespeareanischen London[s]“ ausgesetzt
wäre (1986: 145). Die translatorische Handlung im
Namen des Anderen, ob als Literaturübersetzer im
Namen des Autors oder als Dolmetscher im Namen
der beteiligten Gesprächspartner, geschieht nach
Vermeer immer aus der eigenen Perspektive heraus. Diese Relativierung bezieht sich selbst auf die
eigene, scheinbar so bekannte Welt – da man nicht
einmal die eigene Welt verstehen, d.h. begreifen
und erfassen könne, sondern sie sich „zurechtmache“, könne man nicht annehmen, man könne die
Welt der Anderen so wahrnehmen und verstehen
wie sie selbst.
Dieser Gedanke ist von der Translationsethik
her, besonders in Bezug auf das Dolmetschen in/von
Interaktionen mit einem ausgesprochenen Machtgefälle (z.B. Dolmetschen für psychisch Kranke,
Kinder, Asylsuchende, Folteropfer etc), ein spannender Ansatzpunkt, weil er die Welt der Anderen
„als fremde Welten, andere Welten“ belässt (oder
dies sich wenigstens vornimmt), die jedoch zwangsweise vom eigenen Standpunkt aus betrachtet und
erschlossen werden müssen, damit man überhaupt
dolmetschen kann:
Vielleicht ist es das, was den guten Übersetzer
ausmacht: Das Staunen angesichts der Fremdheit
einer anderen Welt. Nicht sich diese Welt zu eigen
machen wollen, sondern vor ihr stehen, sie bestaunen und bewundern und deshalb ganz behutsam mit
ihr umgehen, immer wissend, daß man nicht zu ihr
gehört, immer bereit, sie wieder aufzugeben. (Vermeer 1986b: 146)
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern
Genau dieses Staunen, im Sinne von Wahrnehmen, Bewundern, Respektieren und Belassen, ist
von besonderer Bedeutung für eine Bewusstseinsbildung bei medizinischen Fachkräften, die der
Mehrheitskultur angehören und mit Patienten aus
verschiedenen Kulturen umgehen und kommunizieren lernen müssen. In der Behandlungssituation ist
der fremde Patient mit seiner Sprache und Kultur
oft „ohnmächtig“. Ein derartiges Machtungleichgewicht kann zum Einverleiben des Patienten führen,
zur Assimilierung seiner im migrantischen Kontext
als nicht „funktionsfähig“ erachteten Fremdheit.
So muss auch der Vertreter der „mächtigen“ Kulturen unbedingt die Achtsamkeit und Behutsamkeit
entwickeln, die Vermeer vom Literaturübersetzer
fordert. Nicht nur die für diese ungleichgewichtige Interaktionsdynamik sensibilisierte Fachkraft,
mehr noch gleicht der „in der Mitte stehende“ Dolmetscher dem Schauspieler in der Vorstellung des
Theaterpädagogen und Aktivisten Boal, der zwischen Nähe und Distanz zu seiner Rolle, zwischen
darstellen, da-sein, drinnen-sein und analysieren,
beobachten oszilliert. Der Dolmetscher ist ganz im
Sinne Boals Schauspieler und Zuschauer zugleich
(BOAL 1999: 20). Nach Boal, kondensiert und
ermöglicht das Theatralische am/im Menschen die
Synchronizität von multiplen Zeiten und Räumen
(Boal 1999: 30, 31, 34). Das bedeutet aber nicht,
dass dieses „Mehrwerden“ durch die schauspielerische Handlung eine völlige Verschmelzung herbeiführt. Immer sind es die eigenen Erfahrungen und
Hintergründe, die mit eingebracht werden und das
„Gespielte“ formen. Boal glaubt genauso wenig
wie Vermeer an das „Schlüpfen in die Haut eines
Anderen“. Auch bei Boal schlüpft man nicht, aber
man sucht in den Tiefen des eigenen Potentials, was
gefährlicher und schwieriger sein kann.
So wie Boals Schauspieler „kitzeln“ auch Translatoren und unter ihnen besonders Dolmetscher in
medizinischen und sozialen Einsatzbereichen „den
Löwen mit einem Grashalm“, d.h. fordern das
„Schicksal“ heraus (Boal 1999: 45). Vermeer stellt
sich einen literarischen Übersetzer – und ich mir
parallel dazu einen Dolmetscher – vor, der zugleich
als souveräner und kreativer, als selbstbewusster
und verantwortungsvoller Regisseur und Schauspieler agiert (Vermeer 1986: 147). „Dirigent“ ist
eine andere Metapher, die Vermeer heranzieht, um
die eigenständige und doch gebundene Arbeit des
Translators zu verdeutlichen: „Er interpretiert sein
curare 31(2008)2+3
61
Werk, indem er sich peinlich genau an die Partitur
hält, aber nicht sklavisch“ (ibid.). Als Resultat dieses
Hin und Her zwischen Annäherung und Distanzierung „erklingt das Werk in seiner (des Dirigenten)
Gestaltung“ (ibid.). Das Original und sein Interpret
sind in einer ewigen Abhängigkeit vereint, in einer
Beziehung, „die bestimmt ist durch Anziehung und
Abstoßung, Verschmelzung und Trennung“ (Boal
1989: 33). Der Dolmetscher dolmetscht also „mit
seiner ganzen Person und Persönlichkeit“ (Ammann
& Vermeer 1990: 32, Vermeer 1985: 476). Es geht
dabei nicht nur um sprachliche Kommunikation.
Für eine andere Dolmetschpädagogik und -ethik
ist die einfache Antwort Boals auf die Frage „Aber
was ist der Mensch?“ von größter Bedeutung: „[…]
an erster Stelle und am meisten ein Körper“ (Boal
1999: 40).
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen,
verändern
Bei der konkreten Suche nach einer neuen Form der
Bewusstseinsbildung für die verschiedenen Interaktionspartner/Spieler auf der Bühne des Dolmetschens erweist sich also die Auseinandersetzung
besonders mit dem „Forumtheater“ innerhalb der
Techniken und Übungen für das Theater der Unterdrückten (1989) von Boal als besonders fruchtbar.
Es ist eine Theaterform, die nicht finalisiert ist, immer aus Übungen und Experimenten besteht, „von
denen man zwar weiß, wie sie beginnen, aber nicht,
wie sie enden“ (Boal 1989: 58). Spielen, d.h. auf der
Bühne etwas oder jemanden darstellen ist für Boal
möglich und unmöglich zugleich. Boal glaubt nicht
daran, dass durch schauspielerische Darstellung auf
der Bühne die oder eine Realität, Wahrheit, das oder
ein Ereignis, die oder eine andere Person repräsentiert im Sinne von ‚richtig abgebildet’ werden kann.
Deswegen müssen auch die Zuschauer mitspielen,
weil eigentlich niemand einen anderen darstellen
kann. Niemand kann die Stimme eines Anderen
sein, vertreten, also dolmetschen oder übersetzen:
Wenn die Zuschauer selbst auf die Bühne kommen und zeigen, was ihnen durch den Kopf geht,
machen sie das auf ihre eigene, ganz persönliche
Weise, die nur von ihnen selbst so dargestellt werden kann. Kein Künstler kann das für sie übernehmen. Auf der Bühne ist der Schauspieler ein Dolmetscher, der im Akt des Übersetzens falsch spielt.
62
Es ist ihm unmöglich, nicht falsch zu spielen. (Boal
1999: 20)
Boal erarbeitet seine Übungen und Spiele für
Schauspieler und Nichtschauspieler auf der Grundlage einer triadischen Kompetenz des Menschen:
„Das beobachtende Ich, das Ich-in-situ, und das
Nicht-Ich, das heißt der Andere“ (Boal 1999: 24).
Er spricht von Theatralik, wenn er sagt, dass es die
„menschliche Fähigkeit“ sei, „sich selbst im Handeln zu betrachten“ (ibid.). Nee beschreibt Boals
Menschenbild als „systemisch“ und „dialogisch“,
wobei „systemisch“ für sie auf die Überzeugung
Boals verweist, jeder Mensch würde durch seine
eigenen Wahrnehmungen seine eigene Realität aufbauen (vgl. auch Vermeer z.B. 1996: 10, 87-89).
„Das beinhaltet sogleich, daß seine Wahrheit nur
eine von vielen sei“, sagt Nee (2005). „Dialogisch“
bezeichne die Methode des Lehrens-Lernens als
wechselseitigen Prozess, an die Boal glaubt und
die er in Anlehnung an die Arbeiten seines Freundes
Paulo Freire weiterentwickelt hat. Die Vorgehensweise des Forumtheaters kann für eine innovative
Sensibilisierung für den Dolmetschprozess adaptiert
werden. Es geht nicht darum, eine Dolmetschsituation, einen Gesprächsabschnitt einmal, aber dann
in einer perfekten Konstellation und mit perfektem
Resultat zu üben. In diesen ‚Dolmetschtrainings‘,
die vergleichbar mit Theaterproben sind, steht nicht
das Inszenieren einer idealen Interaktion mit den
besten Kommunikationsstrategien und Konfliktlösungen im Mittelpunkt. Es geht auch nicht darum,
die Übung so zu gestalten, dass man nach mehreren Versuchen zu einer perfekten Verdolmetschung
gelangt. Vielmehr ist das Ziel, die oben erwähnten
Alternativen wahrzunehmen und durchzuprobieren – idealerweise unter Einbezug aller Darsteller
in das Training: Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger,
Dolmetscher... Aus diesem Grund wird bei Boal
eine Szene, eine bestimmte Thematik, ein soziales,
politisches, persönliches Problem nicht nur durch
die Vorschläge und Kritik der Zuschauer, sondern
durch deren aktive Übernahme von bestimmten
Rollen immer wieder durchgespielt. Unterschiedliche Konfliktlösungen und Interaktionsmöglichkeiten werden ge- bzw. erprobt (vgl. Boal 1989: 56-58,
82-85).
Şebnem Bahadır
Rituale im „Alltagstheater“ – Dolmetscher,
Ärzte, Krankenschwestern, fremde Patienten …
spielen immer und überall
Für eine sozialwissenschaftliche Untermauerung einer neuen aktivierend-aktivistischen Aus- und/oder
Weiterbildung aller Beteiligten verdolmetschter Interaktionen können Victor Turners Arbeiten zum
ethnographischen Erlebnis, komplementär zu Goffmans Theorie über das Alltagstheater (vgl. Schechner 1990: 9) herangezogen werden, die besagt, dass
alle Menschen immer und überall Theater spielen
(Goffman [1959] 2000). Goffman zeigt in seinen
zahlreichen Beispielen für verschiedene Dimensionen und Ebenen von sozialen Rollen, die Menschen
im Laufe ihrer Sozialisation übernehmen (müssen/
wollen/ dürfen), dass Menschen sich selbst je nach
Bedingungen, Anforderungen, Erwartungen und im
Rahmen bestimmter Beziehungen immer wieder
von Neuem inszenieren. Diese Darstellung basiert
immer auf dem Spannungsverhältnis zwischen
Eigenbildern und verinnerlichten Fremdbildern
(Goffma
­ n [1959] 2000: 6-8). Während Goffman
seine analytischen Werkzeuge der Theaterwissenschaft entlehnt, verweist Turner auf hermeneutische Techniken. Mit Erlebnis meint er „das, was
durchlebt worden ist“ (Turner 1995: 16):
Gerade durch den Prozeß der Darstellung wird
das, was normalerweise hermetisch in den Tiefen
des soziokulturellen Lebens verschlossen, der Alltagsbeobachtung und dem Verstand nicht zugänglich ist, ans Licht befördert – Dilthey verwendet hier
das Wort ausdrücken, im Sinne von „herauspressen“. Aus einem Ereignis, das entweder ein Dramatiker oder Dichter selbst erlebt hat oder das durchdringendes, imaginatives Verstehen erfordert, wird
gleichsam „Bedeutung“ herausgepresst. Ein Erlebnis ist gerade ein Prozeß, der nach abschließendem
„Ausdruck“ verlangt. (Turner 1995: 17-18)
In seinen Feldstudien versucht Turner zu zeigen,
dass menschliche Erlebnisse nicht abgeschlossen
sein können, bevor sie nicht „ausgedrückt“, d.h. im
sozialen Kontext an andere vermittelt werden. So
werden Emotionen, Beziehungen, Wünsche, Gedanken von Menschen in ihrem sozialen Leben immer
wieder inszeniert und gespielt, um als Erlebnisse
wahrgenommen zu werden. Turners Überzeugung,
dass die theatralische Umsetzung „ein wichtiges
Mittel der interkulturellen Überlieferung schmerzlich gewonnener Erfahrungen“ (Turner 1995: 26)
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern
ist, folgt aus seinen Studien über diese von Menschen meist unbewusst gespielten Inszenierungen
von „Erlebnissen“ – wobei diese Erlebnisse immer
wieder aufs Neue, unter veränderten Vorgaben und
Bedingungen gespielt bzw. inszeniert werden. Theatralität macht also die menschliche Erfahrung erst
möglich und bestimmt, wie wir es weiter oben auch
bei Boal gesehen haben, den Menschen grundlegend.
In dieser Theatralität des Alltags spielt der Vorbereitungsprozess bis zur Aufführung eine noch
größere Rolle als die Aufführung selbst. Proben
sind eigentlich schon (Teil der) Aufführungen.
Boal glaubt daran, dass durch die Techniken des
Theatermachens unterschwellige und unterdrückte
Gefühle, Gedanken, Wünsche, Vorstellungen an die
Oberfläche des Bewusstseins geholt werden können.
Besonders in seinen neueren Übungen zum therapeutischen Theater hebt er, ähnlich wie Turner,
die Bedeutung der wiederholten Darstellung eines
Gefühls, einer Situation, die man zuvor erlebt hatte, hervor. Durch die erneute Inszenierung „belebt
oder erlebt der Schauspieler die Szene mit einer Art
Re-Emotion“, sagt Boal und fährt fort: „Die erste
Aktion ist eine einsame Entdeckung, die zweite
eine Aufdeckung, ein Dialog“ (Boal 1999: 34-35).
Boals Vorstellung von einer Schauspielerei, in der
„Karten neu gemischt werden“ und „Potentiale“, die
tief in einer Person schlummern, „im Scheinwerferlicht zu konkreten Handlungen werden“ (ibid. 46),
bedeutet, dass wir als Zuschauer und Schauspieler
zugleich nicht Andere imitierend, sondern letztere
in uns findend darstellen – in der deutschen Übersetzung wird hierfür die Bezeichnung „Zuschauspieler“ verwendet. Im „Theater der Unterdrückten“
weicht, so Boal, die Empathie der Sympathie, was
bedeutet, dass der Unterdrückte, der Passive, die
Person ohne Stimme und Erscheinung mit auf der
Bühne sichtbar wird, indem sie selbstverantwortlich
handelt und mitmacht – nicht indem sie versucht,
Emotionen und Gedanken anderer anzunehmen und
zu verinnerlichen, sondern die eigenen in dieser
spezifischen Interaktion und Beziehungskonstellation zu entwickeln (ibid. 49, 72).
Somit ist der wichtigste Pfeiler meiner Methode
für Aus- und Weiterbildungen in Form von „Dolmetschproben“ die Überzeugung, dass erneutes
Darstellen, also das Inszenieren von verdolmetschten Interaktionen als Szenen von Alltagsdramen zu
Dialog und Austausch (mit sich selbst und den Ancurare 31(2008)2+3
63
deren) führt und die Aufdeckung verborgener Potenziale wie auch unterdrückter Mechanismen mit
sich bringt.
Die Probe und die Aufführung: Dolmetschen als
Performance
Übungen sind integraler Teil dieser „Dolmetschproben“. Schechner beschreibt das Schauspieltraining,
auch in Anlehnung an Grotowski und Brecht, als
„unvollständige und ständig sich problematisierende Transformationen“ (Schechner 1990: 16).
Hierbei muss der gesamte Prozess bis zu einer Aufführung gleichermaßen intensiv durchlebt werden.
Schechner spricht von einem siebenteiligen Prozess aus Trainings, Workshops, regulären Proben,
warm-up, Vorstellung, Ausklingen und Nachbereitung (Schechner 1990: 26, vgl. auch Schechner
2003: 193-213). Die gleichberechtigte Stellung
dieser Phasen in der Theaterpädagogik geht zurück
auf Grotowski und Barba (vgl. Grotowski & Heibert 1999 und Barba 1985). Während bei Barba
die Übungen in Trainings auch die Befreiung, die
Loslösung des Schauspielers durch Improvisation
einschließt und er von drei Phasen im Gruppentheater ausgeht (Training, Proben und Aufführungen, Barba 1985: 74-73), gibt es für Schechner
zwischen dem Training und den Proben noch eine
Zwischenstufe, den Workshop, in dem ein Abbau,
eine Dekonstruktion aller Selbstverständlichkeiten
stattfinden soll (Schechner 1985: 99). Der Übergang vom loslösenden Training zu strukturierten
Proben ist ein wichtiger Schritt in der Vorbereitung
der Auszubildenden auf den Dolmetscheinsatz. Der
Schauspieler durchlebt dabei einen Wandlungsprozess von „Ich“ über das „Nicht-Ich“ zum „NichtNicht-Ich“ (Turner 1995: 147). Dieser Weg lässt
sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen:
Eigentlich spielt der Darsteller nicht die geplante,
vorgegebene Rolle. Er spielt das, was er aus dieser
Figur macht. Er ver- bzw. übermittelt seine Interpretation der Interpretation der I… – um in Anlehnung
an Vermeers Anmerkungen zum Literaturübersetzer zu sprechen (1986b: 146). In diesem Probenprozess beschäftigt sich der Spieler eingehend mit
der darzustellenden Figur, dem Nicht-Ich. Turner
nennt diesen Übergangsritus auch „eine merkwürdige Fusion oder Synthese von Ich und Nicht-Ich“
(Turner 1995: 193).
64
Wieder haben wir es demnach mit der Überzeugung zu tun, dass der Darsteller nicht so werden
kann wie die Figur selbst, sondern eher in eine wie
auch immer geartete Interaktion mit dieser Figur
tritt und dabei sich selbst, von sich selbst aus-gehend, verändert. Turner betont, dass für Schechner das „Machen“, nicht das „Vortäuschen“ einer
Rolle im Vordergrund steht. Die Art und Weise
wie bei Schechners Probenprozessen die Rolle mit
dem Schauspieler „wächst“, also erst einmal „geschaffen“ wird und auch „zuweilen schmerzhafte
Augenblicke der Selbstenthüllung mit sich bringt“
(ibid. 147), ist wegweisend für ähnliche Prozesse
in „Dolmetschproben“. Im Theaterworkshop ist
es nicht „das geschriebene Wort“, das alles andere
bestimmt – und in Dolmetschworkshops nicht das
(Aus)Gesprochene der verdolmetschten Interaktionen. Die Gesamtheit des „Aufführungstextes“
muss beachtet werden, es sind viele verschiedene
Textstränge mit einzubeziehen, die eng miteinander
verknüpft sind und einander beeinflussen (Schechner: 31). Schechners Grundsatz der Einheit und
Unzertrennbarkeit von Übungen, also Training,
Proben, Workshops, Vor- und Nachbereitung auf
der einen Seite und öffentlicher Aufführung auf der
anderen Seite ist ebenfalls für eine neue Auffassung
von Dolmetschausbildung zu nutzen. So sollte auch
während des Dolmetschtrainings jede auf den so
genannten realen Dolmetscheinsatz selbst wie auch
die Dolmetschprobe vorbereitende oder im Nachhinein durchgeführte Übung, also Gedächtnistraining, Aufwärmübung, Stimmübung etc in gleichem
Maße bedeutsam sein wie die Aufführung, also der
„eigentliche“ Dolmetscheinsatz selbst (Schechner
1990: 203). Das Dolmetschen als Performance ist
eine Stufe, eine Phase neben vielen anderen, die
vorher und nachher und auch dazwischen geschaltet
sind.
Im Zusammenhang mit Turners Vorstellung
einer aufgeführten Ethnographie rückt Schechner
neben den kognitiven und experimentellen Aspekten auch den kinästhetischen in den Mittelpunkt:
Der Fragenkomplex „Wie wird der Körper be-nutzt,
gehalten, begrenzt, freigelassen?“ wird, so Schechner, den Darsteller „mit einer lebendigen Ahnung
erfüllen, was es heißen kann, sich zu bewegen ‚als
ob‘ man der andere sei“ (Schechner 1990: 43). Für
Schechner steht, wie für Vermeer die Translation,
die Aufführung als Handlung im Vordergrund. Interessanterweise erteilen der Theaterwissenschaft-
Şebnem Bahadır
ler Schechner und der Translationswissenschaftler
Vermeer hier beide eine Absage an die Linguistik
und verweisen auf die Naturwissenschaft als Erklärungsbasis für sich ständig verändernde Dynamiken
in Interaktionen (Schechner 1990: 35)4. Bei Barba
spielt der Einbezug so genannter „Methoden und
Ergebnisse der Naturwissenschaften“ (Barba 1985:
132) für eine Theateranthropologie ebenfalls eine
wichtige Rolle, in der es darum geht, „eine neue
pädagogische Praxis anzuwenden“ (ibid 134). Der
Begründer dieser naturwissenschaftlichen Orientierung im Training von Schauspielern ist Grotowski.
Durch die enge Zusammenarbeit mit Spezialisten
aus Disziplinen wie der Psychologie, Linguistik,
Kulturanthropologie etc untersucht Grotowski „die
Natur des Schauspielens, seine Erscheinungsformen, seine Bedeutung, Wesen und Wissenschaft
seiner geistig-körperlich-emotionalen Vorgänge“
(Vorwort von Peter Brook in Grotowski & HEIBERT 1999: 9). Grotowski legt großen Wert auf die
Kontinuität dieses Trainings, d.h. kein Schauspieler
ist irgendwann „fertig“, sondern muss lernen, wann
immer er z.B. seine Stimme wieder entdecken,
d.h. schulen und trainieren muss, weil physischpsychische Bedingungen zu Stagnation und Krisen
führen (vgl. besonders Grotowski & Heibert 1999:
188). Der Körper ist für ihn der Weg, über den der
Schauspieler sich bloßlegen, enthüllen und das,
was auch gedanklich und emotional in ihm steckt,
herausholen kann. Grotowski spricht von einem
„totalen Akt“, von Selbstdurchdringung und Bloßlegung beim Schauspielen. Dafür „bedarf es der
Mobilisierung aller physischen und psychischen
Kräfte des Schauspielers, der sich im Zustand leerer
Bereitschaft und passiver Verfügbarkeit befindet;
erst das ermöglicht den aktiven schauspielerischen
Vorgang“, betont Grotowski (Grotowski & Heibert 1999: 39). Wenn er für ein „Armes Theater“
plädiert, in dem „ein neuer Raum für Schauspieler
und Zuschauer entworfen“ wird, meint er damit,
dass Schauspieler nur auf ihre eigenen Potenziale,
ihren Körper, ihre Emotionen, Gedanken und Erfahrungen zurückgreifen sollen, nicht auf Schminke,
Kostüme und Bühnenbild (ibid. 18-19). Auch die
Schauspielstrategien, das „Wie“ der Rollendarstellung soll nicht beigebracht werden. Das Prinzip, das
grundlegend für die Ausbildung seiner Schauspieler
ist, wäre eine geeignete Richtung für eine neue Dolmetschdidaktik:
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern
Wir wollen dem Schauspieler nicht einen vorher
aufgestellten Katalog von Fertigkeiten beibringen,
ihm keine „Wundertüte“ voll Tricks geben. Unsere
Methode ist […] keine Ansammlung von Fertigkeiten. Hier ist alles auf das „Reifen“ des Schauspielers
konzentriert, das sich durch eine Spannung hin bis
zum Äußersten, durch eine vollständige Selbstenthüllung, durch eine Bloßlegung seiner eigenen Intimität ausdrückt[.] (Grotowski & Heibert 1999: 14)
Worum geht es aber in diesen verschiedenen
Phasen bis zur Aufführung, was soll nun denn
dem angehenden Dolmetscher als Performer „beigebracht“ werden, was ist dieses „performative
Wissen“, und wie funktioniert der Übermittlungsprozess? Schechner prägt in diesem Zusammenhang den Begriff und die Methode des „rekodierten
Verhaltens“. Mit seiner Methode möchte er zeigen,
dass der Mensch nicht nur „sapiens“ und „Fabrikant“ ist, d.h. denkt und handelt, sondern auch
„ludens“ ist, also spielt und aufführt (Schechner
1990: 45). Rekodiertes Verhalten ist „ein lebendiges
Verhalten, das wie ein Streifen Film behandelt wird.
Solchermaßen behandeltes Verhalten kann beliebig
umarrangiert und rekonstruiert werden“ (ibid. 159).
Schechner ist der Ansicht, dass rekodiertes Verhalten unabhängig von der Person als Mechanismus,
als „Ding, Gegenstand, Material“ existiert (ibid.
160), deswegen erforscht und als Methode für Proben und Trainings fruchtbar gemacht werden kann.
Durch diese Technik kann eine Person als eine andere handeln, verschiedene Rollen, also Personen
aus sich herausholen (vgl. nochmals Boal 1999: 4246). Eine Aufführung passiert „nie zum ersten Mal.
Es heißt: vom zweiten bis zum x-ten Mal, heißt Verdoppelung von Verhalten“ (Schechner 1990: 160).
So führt rekodiertes Verhalten zum Mehrwerden
einer Person – wobei Schechner betont, dass dieser
Andere auch ich selbst sein kann, „in einem anderen Bewußtseins- oder Gefühlszustand, gerade so,
als wäre ich viele“ (Schechner 1990: 161). Für die
didaktische Umsetzung von Schechners Gedanken
in Dolmetschtrainings und -proben spielt die Möglichkeit der Reproduzierbarkeit, der Bearbeitbarkeit
von dargestelltem und beobachtetem Verhalten eine
große Rolle Schechner 1990: 161).
Bei allen Proben- und Trainingstechniken geht
es also darum, diesen Prozess aufzuschlüsseln
und zu übermitteln. Angewandt in der interkulturellen Sensibilisierung des medizinischen Fachpersonals und der Ausbildung von Dolmetschern
curare 31(2008)2+3
65
bedeutet das die Verabschiedung des Glaubens an
die Möglichkeit der reinen Vermittlung von faktischem Wissen. Auszubildende treten durch das Hin
und Her zwischen ihrem Selbst und den darzustellenden Personen während der Interaktion in einen
Prozess ein, der sie zum Dolmetscher macht, in jeder Interaktion, also „Dolmetsch-Aufführung“ ein
bisschen mehr bzw. ein bisschen anders, zu einem
Dolmetscher unter vielen – wie ein Schauspieler zu
Hamlet wird, zu einem Hamlet unter vielen, zu einem Oliver-Hamlet oder einem Hasan-Hamlet, so
eben auch zu einer Susanne-Dolmetscherin oder
einer Elif-Dolmetscherin. Auch die interkulturelle
Sensibilisierung von medizinischem Fachpersonal
soll nicht zur Aufhebung ihrer bisherigen Rolle(n)
führen. Es geht um die Wahrnehmung der anderen
Rollen, nicht nur äußerlich, um sich herum, sondern
auch in sich drin: Denn so wie jeder Dolmetscher
ein bisschen Arzt,5 Krankenschwester und fremder
Patient und doch wieder ein eigenständiger Akteur
ist, tragen auch Vertreter der mehrheitskulturellen
medizinischen Institutionen ein bisschen etwas vom
Dolmetscher und vom fremden Patienten in sich –
diese verborgenen Potentiale müssen aufgespürt,
wahrgenommen, herausgegraben, bearbeitet und
‚behutsam‘ eingesetzt werden.
Anmerkungen
1. In Deutschland wird für diese Dolmetschsorte oft die angloamerikanischen Bezeichnung “community interpreting” verwendet (vgl. MDÜ 5/07, Ausgabe zum Community Interpreting in Deutschland); im österreichisch-deutschen Kontext hat
sich die von Pöchhacker vorgeschlagene Bezeichnung „Kommunaldolmetschen“ durchgesetzt (vgl. Pöchhacker 2000). Für
alternative Überlegungen vgl. auch Bahadir (2000) über den
Vorschlag von Dizdar & Bahadir, in Anlehnung an „Fachübersetzen“ für das Dolmetschen in medizinischen, sozialen
und juristischen Einsatzbereichen die Bezeichnung „Fachdolmetschen“ zu verwenden und jeweils die Spezialisierungsbereiche als „med“., „soz.“ und/oder „jur“ anzugeben.
2. Welche Folgen der Einsatz einer Familienangehörigen als
„natürliche Dolmetscherin“ haben kann, zeigt der Beitrag von
Pöchhacker in diesem Band. Die Studie von Pöchhacker, die
eine deskriptive Herangehensweise an dieses Phänomen beabsichtigt, kann als Bekräftigung der Auffassung gelesen werden, dass der Einsatz weder von Familienangehörigen noch
von anderen sogenannten natürlichen Bikulturellen den Bedarf
an professionellen Dolmetschdienstleistungen in medizinischen und sozialen Einrichtungen decken kann (vgl. Bahadir
demn.)
3. Für eine ausführliche Darstellung und für konkrete, schon
erprobte Anwendungen, vgl. Bahadir (2007), besonders Bahadir (2007: 249-300).
4. Vgl. Vermeers Anwendung bestimmter Ansätze aus Neurobiologie und Neurophysiologie für sein Interaktionsmodell
Şebnem Bahadır
66
(z.B. 1996: 53ff, 61ff) und seine Rezeption der Hirnforschung,
Quantenphysik etc, vgl. Vermeer (2006d).
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Şebnem Bahadır, Dr. phil, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft, Universität Mainz; Dozentin, Department for Translation and Interpreting Studies der
Boğaziçi Universität Istanbul; seit 1994 Übersetzerin, Dolmetscherin, Trainerin in Politik, Wirtschaft,
Kunst und Kultur, in medizinischen, sozialen und juristischen Bereichen; Publikationen zu Ethik, Identität,
Professionalität, Pädagogik des Dolmetschens.
Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft,
Institut für Interkulturelle Kommunikation/Arbeitsbereich Germanistik
An der Hochschule 2, D-76711 Germersheim
e-mail: [email protected]
curare 31(2008)2+3
Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus
69
Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus:
Good Practice braucht organisationale Verankerung
Sonja Novak-Zezula, Ursula Karl-Trummer & Jürgen M. Pelikan1
Zusammenfassung Sprachbarrieren stellen eine massive Erschwernis für erfolgreiche Kommunikation von PatientInnen mit KrankenhausmitarbeiterInnen dar. Neun europäische Krankenhäuser, ein wissenschaftliches Institut
und internationale ExpertInnen kooperierten im Rahmen des “Migrant Friendly Hospital” Projekts, zur Implementierung und Evaluierung professioneller Dolmetschangebote.
Es werden ein Good Practice Beispiel und Evaluationsergebnisse aus einer Mitarbeiterbefragung vor und nach
der Intervention dargestellt. Insgesamt zeigt sich, dass die Effektivität der implementierten Maßnahmen positiv
bewertet wird. Insbesondere am Good Practice Beispiel wird deutlich, dass ein qualitätsgesichertes Dolmetschservice eine klare organisationale Verankerung braucht.
Der Artikel schließt mit Empfehlungen zu einem systematischen Vorgehen im Rahmen des Qualitätsmanagements im Krankenhaus.
Abstract Title?
Abstract Language barriers are a major difficulty and empede successfull comunication between patients and
hospital staff. Nine European hospitals, a scientific institute, and international experts cooperated in the “Migrant
Friendly Hospital”, a project to implement and evaluate professional interpreting services.
The paper illustrates an example of good practice and evaluation results from a staff survey conducted before
and after intervention. Especially the good practice model shows that quality assured interpreting services need a
concrete organisational link-up.
The article closes with recommendations for a concerted action within the hospital quality management.
Keywords (Schlagwörter) fehlen noch!!!!!!!!!!!!!!!!!
Einleitung
Sprachbarrieren zwischen PatientInnen und Profis haben negative Auswirkungen auf den Zugang
zu Leistungen im Gesundheitswesen, die Qualität
von Diagnose und Therapie, Behandlungsergebnisse sowie Patientenzufriedenheiten und Patientensicherheit (Brown et al. 1999, Cleeland et al.
1997, Bischoff 2003, Murphy 2004). Aufgrund
der steigenden Migrationsbewegungen in Europa
stehen Krankenhäuser vor der Herausforderung,
erfolgreiche Kommunikation mit PatientInnen, die
eine andere Muttersprache haben und die lokale
Sprache nur begrenzt bis gar nicht verstehen bzw.
sprechen, zu sichern. (Hampers & McNulty 2002,
Yeo 2004).
Sprachbarrieren überwinden
In der Vergangenheit wurde in Krankenhäusern
meist ad hoc auf Probleme, die aus Sprachbarriecurare 31(2008)2+3: 69-
ren resultieren, reagiert, z.B. durch das Hinzuziehen
von bilingualen Angestellten oder durch Einbeziehung von Freunden oder Verwandten der PatientInnen – beides Strategien, die das Risiko inadäquater
Informationsweitergabe bergen. Um die Qualität
der Gesundheitsversorgung für alle PatientInnen zu
sichern, wurde in den letzten Jahren der Notwendigkeit für professionelle Maßnahmen vermehrt Rechnung getragen. Den sozial nachhaltigsten, effektivsten und auch effizientesten Ansatz stellt dabei die
Etablierung professioneller medizinischer Dolmetscher dar, die neben ihren Sprachkenntnissen über
das entsprechende medizinische Vokabular, Kommunikationstechniken und ein Verständnis für die
ethischen Aspekte ihrer Tätigkeit mitbringen. (Bischoff et al. 2003, Jacobs et al. 2004)
Es gibt mittlerweile internationale Standards für
qualitativ gutes Dolmetschen und eine Reihe gut
dokumentierter Modelle, wie Dolmetschdienste
abhängig von der demographischen Zusammensetzung der PatientInnengruppen (z.B. Anzahl der
70
PatientInnen, Anzahl der erforderlichen Sprachen)
und der Art der angebotenen bzw. zu erbringenden
Leistungen (z.B. Notaufnahme, Operationen) organisiert werden können. Offen ist die erfolgreiche
Implementierung solcher Modelle.
Dolmetschangebote implementieren
Im Rahmen des Subprojekts “Improving interpreting
in clinical communication” des “Migrant Friendly
Hospital” Projekts2 arbeiteten neun Krankenhäuser
in Dänemark, Finnland, Griechenland, Spanien,
Irland, Italien, den Niederlanden, Schweden und
Großbritannien zusammen, um die Kommunikation
zwischen den Krankenhaus-MitarbeiterInnen und
PatientInnen mit Migrationshintergrund und/oder
aus ethnischen Minderheiten zu verbessern3.
37.9% der MitarbeiterInnen in diesen Krankenhäusern – ÄrztInnen, Pflegepersonen, therapeutisches Personal, SozialarbeiterInnen sowie KrankenhausseelsorgerInnen – berichteten zu Projektbeginn,
dass sie täglichen Kontakt mit PatientInnen aus dieser Gruppe haben. Weitere 28.5% trafen zwei bis
drei Mal pro Woche auf PatientInnen, mit denen sie
nicht in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren konnten (Novak-Zezula et al. 2005).
Die Ziele des Teilprojekts waren
–– professionelle Dolmetschangebote, wann immer
es notwendig ist, zur Verfügung zu stellen, um
effektive Kommunikation zwischen PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen Sprache und
KrankenhausmitarbeiterInnen sicherzustellen
–– die Information der PatientInnen über die angebotenen Dolmetschdienste und ihre Zugangsmöglichkeiten dazu
–– die Befähigung der KrankenhausmitarbeiterInnen, kompetent mit den DolmetscherInnen
zusammen zu arbeiten, um Sprachbarrieren zu
überwinden und bessere Behandlungsergebnisse
zu erzielen
–– das Zur-Verfügung-Stellen von Informationsmaterial für PatientInnen in deren Muttersprachen
Interventionen
Um die Qualität der klinischen Kommunikation
zwischen KrankenhausmitarbeiterInnen und PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen Sprache zu
verbessern, erprobten die Projektkrankenhäuser
S. Novak-Zezulam U. Karl-Trummer & J. Pelikan
verschiedene Maßnahmen zur Entwicklung neuer
und/oder Weiterentwicklung existierender Dolmetschangebote.
Die Maßnahmen wurden unter Berücksichtigung
der individuellen Bedürfnisse und strukturellen und
arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen jedes
Hauses geplant. In einigen Krankenhäusern existierten vor Projektbeginn keinerlei Dolmetschangebote;. hier wurde ein umfassender Plan zur Leistungsentwicklung und -implementierung erarbeitet.
Meist konzentrierte sich die Maßnahmenentwicklung auf den qualitativen und quantitativen Ausbau
bereits bestehender Angebote mit dem Ziel, deren
Effektivität und Effizienz zu verbessern.
Abgestimmt auf die spezifischen Strukturen und
Prozesse in den Häusern wurden unterschiedliche
Arten von Dolmetschangeboten implementiert:
Telefon-Dolmetschdienste, persönliche Dolmetschdienste, Interkulturelle Mediation und/oder schriftliches Informationsmaterial als unterstützende
Maßnahme.
Im Folgenden wird ein Modell guter Praxis dargestellt, das im Rahmen des Projekts entwickelt und
umgesetzt wurde. Dieses gut implementierte und
dokumentierte Projekt entspricht dem internationalen State of the Art und wurde erfolgreich in den
Routinebetrieb übernommen. Es unterscheidet sich
damit von anderen Maßnahmen, wo solches nicht
gelungen ist.
Telefondolmetsch-Angebote im Dänischen
Partnerkrankenhaus
(Anne Mette Rasmussen, Clinical expert, and Jette Ammentorp, PhD Student; Department of Paediatrics, Kolding Hospital, Denmark)4
Wie in den meisten europäischen Ländern wurde auch in
Dänemark die Gesellschaft ethnisch divers. Die PatientInnen des dänischen Kolding Hospital sprechen viele unterschiedliche Sprachen. Ein kurzer Check zeigte, dass im
Zeitraum 2002/2003 Dolmetscher für 16 unterschiedliche
Sprachen zugezogen wurden.
Im Rahmen des Needs Assessments im MFH Projekt
führten sowohl PatientInnen als auch MitarbeiterInnen
Kommunikation als das Hauptproblem in der Versorgung
von PatientInnen mit Migrationshintergrund an.
Bisher wurden im Krankenhaus persönlich anwesende
DolmetscherInnen eingesetzt. Diese Lösung hatte sich in
der Abteilung für Pädiatrie nicht bewährt, da viele akut erkrankte Kinder behandelt werden und DolmetscherInnen
sehr oft sehr kurzfristig benötigt wurden, was im bestehenden Organisationssystem nicht gewährleistet werden
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus
konnte. Darüber hinaus nahmen die Kosten für Fahrten
und Fahrzeiten der DolmetscherInnen, die das Krankenhaus übernehmen musste, einen großen Anteil der Dolmetschkosten ein und belasteten das Budget stark.
Im Rahmen des Projekts wurde im Rahmen einer
technischen Lösung eine Soundstation installiert, um die
Kommunikation zwischen MitarbeiterInnen und PatientInnen durch professionelles Telefon-Dolmetschen zu
verbessern.
Die Soundstation ist ein Freihand-Telefon mit drei
Lautsprechern und hat folgende Vorteile:
–– Die Dolmetschleistungen können in sehr kurzer Zeit
organisiert und angeboten werden
–– Es fallen keine Fahrkosten und Fahrtzeiten für DolmetscherInnen an
–– Die Tonqualität erweist sich als besser als die eines gewöhnlichen Telefons
–– Der Kontakt zwischen MitarbeiterIn und PatientIn ist
direkter, weil keine dritte Person im Raum ist
–– Die PatientInnen schätzen den Schutz der Privatsphäre in der Behandlung durch MitarbeiterInnen, der in
Anwesenheit eines Dolmetschers/einer Dolmetscherin
nicht erlebt wird
Die schriftlichen Befragung der MitarbeiterInnen vor
und sechs Monate nach Installation der Soundstation zeigte folgende Ergebnisse
–– Der Anteil der Fälle, in denen professionelle DolmetscherInnen eingesetzt wurde, stieg um 20%. Gleichzeitig gab es einen deutlichen Rückgang von Übersetzungen durch Freunde oder Verwandte der PatientInnen.
–– 30% der MitarbeiterInnen sagten, dass sich ihre Arbeitssituation durch die Installation der Soundstation
verbessert hat
–– mehr als 80% der MitarbeiterInnen bewerteten die
Qualität der Dolmetschleistungen gut oder sehr gut.
Mittlerweile wird die Soundstation in noch größerem
Ausmaß genutzt und auch die Einsatzbereiche haben sich
erweitert. Das System wird nicht mehr nur für Notaufnahmen in der Pädiatrie sondern auch für stationäre PatientInnen und im Prozess der Entlassung aus dem Krankenhaus
genutzt.
Durch die aktive Informationspolitik der lokalen Projektverantwortlichen ist das Interesse am System sowohl
in den anderen Abteilungen des Kolding Hospital als auch
in anderen Krankenhäusern geweckt worden.
Was macht aus dem Modell eine gute Praxis?
Das Service entspricht dem internationalen State of
the Art: inhaltlich, weil ausgebildete ÜbersetzerInnen eingesetzt sind, sozial, weil die Beziehung Patient-Profi durch den Facilitator nicht aufgebrochen
wird, und operativ, weil der Zugang zur Leistung
schnell und ressourcenschonend erfolgt. Zusätzlich
dazu erscheinen folgende Ebenen bedeutsam, die
curare 31(2008)2+3
71
nicht das Service direkt, sondern die organisationale
Verankerung betreffen:
Auf Strukturebene wurde die technische Raumausstattung geleistet, Prozesse wurden neu definiert
bzw. reorganisiert, auf Kulturebene wurde mit der
aktiven Informationspolitik Aufmerksamkeit, Interesse, und Akzeptanz erzeugt.
In vielen Fällen fehlt eine solche Verankerung.
Hier ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachhaltigkeit einer Serviceverbesserung nach der Implementierung im Projektrahmen gesichert ist, als
niedrig einzuschätzen.
Evaluationsdesign
Zur Evaluierung der Interventionen wurden schriftliche MitarbeiterInnenbefragungen vor und nach
Implementierung der Maßnahmen durchgeführt
(Februar 2004: n = 479 in 7 Krankenhäusern, Juni
2004: n = 282 in 6 Krankenhäusern5). Die hier dargestellten Ergebnisse sind Gesamtergebnisse über
alle teilnehmenden Krankenhäuser.6
Medizinisches und pflegerisches Personal wurde
in einem standardisierten schriftlichen Fragebogen
zu ihren Erfahrungen in der professionellen Kommunikation mit PatientInnen ohne Kenntnisse der
lokalen Sprache und über ihre Einschätzung der
Qualität der verfügbaren Dolmetschangebote befragt. Sie wurden auch gebeten, Verbesserungspotentiale und -vorschläge zu nennen. Die zweite Befragung inkludierte eine zusätzliche Frage danach,
wie sich die individuelle Arbeitssituation durch die
im Projekt gesetzten Maßnahmen verändert hat.
Zur Evaluierung der Maßnahmenimplementierung wurde ein Kurzfragebogen eingesetzt, in dem
die Projektverantwortlichen in den Krankenhäusern
folgende Fragen beantworteten: wie weit konnten
die Maßnahmen umgesetzt werden, welche fördernden und hemmenden Faktoren gab es, wie nachhaltig ist die Maßnahme?
Ergebnisse
Die Auswertung der Mitarbeiterbefragungen auf
Gesamtebene zeigt, dass die Interventionen – persönliches Dolmetschen, Telefondolmetschen mit
Hilfe der Soundstation, interkulturelle Mediation
und die Bereitstellung schriftlicher Informationsmaterialien – effektiv waren. Der Vergleich von
72
S. Novak-Zezulam U. Karl-Trummer & J. Pelikan
Evaluation der Maßnahmenimplementierung
Abb. 1:genutzte Ressourcen, um die Kommunikation
mit PatientInnen ohne Kenntnisse der lokalen
Sprache zu gewährleisten; vor und nach Maßnahmenimplementierung
erster und zweiter Erhebung ergibt, dass der Einsatz professionellen Dolmetschens um rund 20%
gestiegen ist, und zwar bei gleichzeitiger Reduktion
von Übersetzungsleistungen, die durch erwachsene
Freunde und Verwandte des Patienten/der Patientin
um fast 10% (vgl. Abb. 1). Dennoch konnte kein
Rückgang des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren beobachtet werden. Das muss als Warnsignal
interpretiert werden.
Die Qualität der Dolmetschleistungen wurde
nach Implementierung der Maßnahmen positiver
beurteilt: Die KrankenhausmitarbeiterInnen gaben
in der zweiten Erhebung häufiger an, dass Dolmetscher zeitgerecht und regelmäßig einsetzbar waren
(+17.5%). Darüber hinaus wurden Verbesserungen
auf Ebene aller definierter Qualitätsindikatoren, wie
Vorstellung und Erläuterung der Aufgaben durch
den/die DolmetscherIn (+10.8%), genaue Vermittlung von Information (+6.8%), Nachfragen durch
den/die DolmetscherIn (+7.7%), Klärung kultureller Einstellungen und Bräuche (+10.5%) und die
Identifikation zusätzlicher Bedürfnisse durch den/
die DolmetscherIn (+7.3%), festgestellt. Gleichzeitig zeichnete sich eine Verbesserung der Gesamtbewertung der Dolmetschangebote ab: Der Anteil der
MitarbeiterInnen, die die Angebote mit exzellent
oder sehr gut bewerteten, stieg um 21.3%. 54.9%
der Mitarbeiterinnen gaben an, dass sich ihre Arbeitssituation durch die Interventionen im Rahmen
des Projekts verbesserte.
Die Umsetzung der Maßnahmen erwies sich als
große Herausforderung.
Vier Interventionen konnten vollständig, acht
weitgehend und zwei nicht implementiert werden.
Die Projektverantwortlichen gaben an, dass zwei
Drittel der Interventionen durch den Mangel an
Akzeptanz und Nutzung der Angebote, Zeitmangel
und aus organisatorischen Gründen schwierig umzusetzen waren. Sie berichteten des weiteren, dass
sie gefordert waren, Strategien zu entwickeln und
flexibel anzupassen, Kompromisse zu machen und
nicht auf fixen Standpunkten zu beharren.
Dennoch gaben alle lokalen Projektverantwortlichen an, dass die erzielten Ergebnisse die Arbeit
und die Anstrengungen wert waren; sie beurteilten
die Kosten-Nutzen-Relation positiv.
Diskussion und Zusammenfassung der
Ergebnisse
Die Evaluation bestätigte bestehendes internationales Wissen und Erfahrungen über die Verbesserung
der Qualität von Dolmetschangeboten im Krankenhaus. Die wesentlichen Herausforderungen für
Krankenhäuser liegen weniger in der Entwicklung
eines professionellen Modells, sondern viel eher in
der Implementierung und damit organisationalen
Verankerung von Services. Zentrale Faktoren dafür
sind:
1. klare Unterstützung durch die Krankenhausleitung und das Krankenhaus-Management
2. die Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle für Dolmetschdienste, die auch für das
budgetäre Controlling, die Bedarfs- und Nutzungsanalyse und die Qualitätssicherung verantwortlich ist;
3. die Auswahl des zur Gesamtorganisation passenden Dolmetschmodells;
4. Training für MitarbeiterInnen;
5. Marketing für die Angebote, um Sichtbarkeit
und Wahrnehmung zu erhöhen.
Anmerkungen
1. Danksagung: Wir danken den vielen Projektpartnern in den beteiligten Krankenhäusern, die die Maßnahmen implementiert
und die Evaluation sehr unterstützt haben. Stellvertretend für
ihre Teams möchten die AutorInnen insbesondere den lokalen
Subprojekt-Koordinatoren Antonio Chiarenza, Ulises Penayo,
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Qualitätsgesichert Dolmetschen im Krankenhaus
2.
3.
4.
5.
6.
Fiona McDaid, Adrian Manning, Jette Ammentorp, Anne-Mette Rasmussen, Minna Pohjola, Marja-Leena Pilkkinen, Ines
Garcia-Sanchez, Carmen Fernandet Guerra und Georgia
Vasilopolous danken. Spezieller Dank gebührt auch Lourdes
Sanchez, unserer Fachexpertin aus Boston, USA. und Beate
Schulze, die das Subprojekt bis Februar 2004 wissenschaftlich
begleitet hat, sowie dem Gesamtprojektkoordinator Karl Krajic.
Das MFH-Projekt (2002-2005) wurde finanziell unterstützt
von der Europäischen Kommission, DG Health and Consumer
Protection (SANCO) und ko-finanziert durch das Österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Detaillierte Informationen zum Projekt, insbesondere zu
Instrumenten und Ergebnissen siehe: Final report on the MFH
project, Krajic et al., 2005: http://www.mfh-eu.net/public/
home.htm
Die Subprojekt-Gruppe bestand aus den folgenden neun Krankenhäusern: Kolding Hospital, Velje-Kolding, Denmark / Turku University Hospital, Turku, Finland / Hospital „Spiliopoulio Agia Eleni“, Athens, Greece / Hospital Punta de Europa,
Algeciras-Cádiz, Spain / James Connolly Hospital, Blanchardstown, Ireland / Presidio Ospedaliero della Provincia di Reggio Emilia, Reggio Emilia, Italy / Academic Medical Center of
the University of Amsterdam (AMC-UvA), The Netherlands
/ Uppsala University Hospital, Psychiatric Centre, Uppsala,
Sweden / Bradford Hospitals NHS Trust, Bradford, United
Kingdom.
Die Krankenhausgruppe wurde wissenschaftlich koordiniert
und unterstützt von Beate Schulze (Oktober 2002 - Februar
2004) and Sonja Novak-Zezula (Februar 2004 - März 2005),
Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie; Lourdes Sanchez, Manager der Interpreter Services
at the Massachusetts General Hospital, USA, fungierte als externe Fachberaterin
vgl. Novak-Zezula et al., 2005
Ein Krankenhaus beteiligte sich nicht an der 2. Befragung,
weil die Umsetzung der Maßnahme zu Projektende noch nicht
abgeschlossen war.
Dies entspricht den Vertraulichkeitsregeln der Projektgruppe.
Diese legen fest, dass krankenhausspezifische Daten nur von
den Krankenhäusern selbst veröffentlicht werden.
73
Literaturhinweise
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commissioned by the Ludwig Boltzmann Institute for the
Sociology of Health and Medicine, Vienna, „mfh - migrantfriendly hospitals, a European initiative to promote health and
health literacy for migrants and ethnic minorities. Swiss Forum for Migration and Population Studies. Basel: Neuchatel.
Brown A.F., Perez-Stable E.J., Whitaker E.E., Posner S.F., Alexander M., Gathe J., Washington A.E. 1999. Ethnic Differences in Hormone Replacement Prescribing Patterns. Journal
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Krajic K., Karl-Trummer U., Novak-Zezula S., Wirtenberger
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Novak-Zezula S., Schultze B., Karl-Trummer U., Krajic K., Pelikan J.M. 2005. Improving interpreting in clinical communication: Models of feasible practice from the European project
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Schulze B., Nowak P., Krajic K., Trummer U., Pelikan J.M. 2003.
Improving interpreting in clinical communication. Pathway
for implementation and evaluation. Vienna: Ludwig-Boltzmann-Institute for the Sociology of Health and Medicine. Ref
Type: Pamphlet.
Yeo S. 2004. Language barriers and access to care. Annu.Rev.Nurs
Res 22: 59-73.
Sonja Novak-Zezula, Mag. Dr., born 30.04.1968 in Austria, Studies of Sociology and Communication
Sciences. Masters in Socioeconomic Sciences, PhD with a Thesis on „Communication and Interaction
Structures for Interdisciplinary Cooperation on a Hospital Ward”; Mediator and Conflict Manager 19972008 Senior Scientist at the Ludwig Boltzmann Institute for Sociology of Health and Medicine (LBISHM),
(www.univie.ac.at/lbimgs), General Manager of “InVivio – Transdisciplinary Research and Development”
(SME), Lecturer at various Universities and Academies Main fields of research in Migration and Health,
Organisational Development, Health Promotion, and Transdisciplinary Research.
Engerthstraße 137/9/20
A-1020 Wien, Austria
e-mail: [email protected]
curare 31(2008)2+3
S. Novak-Zezulam U. Karl-Trummer & J. Pelikan
74
Ursula Karl-Trummer, Mag. Dr., born 02.07.1967 in Austria, Studies of Sociology and Political Science.
Masters in Socioeconomic Sciences, PhD with a Thesis on „New Paradigms and Traditional Role-Models“
Enabling Factors and Obstacles for/to a Patient Oriented Health Care“, i.e.f. MSc for Organisational Development and Counselling 1998-2008 Senior Scientist at the Ludwig Boltzmann Institute for Sociology
of Health and Medicine (LBISHM), (www.univie.ac.at/lbimgs), General Manager of “InVivio – Transdisciplinary Research and Development” (SME), Lecturer at various Universities.Main fields of research in
Migration and Health, Sustainable Development of Healthy Settings Organisational Development, and
Transdisciplinary Research.
Rudolf Bärenhart Gasse 3/7
A-1170 Wien, Austria
e-mail: [email protected]
Professor Jürgen M. Pelikan, Dr. phil.
text fehlt hier noch!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!11
Ludwig Boltzmann-Institute for Health Promotion Research
Rooseveltplatz 2, A-1090 Vienna, Austria
e-mail: [email protected]
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Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems
75
Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems in
Interpreter-mediated Interactions
Claudio Baraldi & Laura Gavioli
Abstract It can be assumed that interpreter-mediated interaction in institutional settings is, at least partly, influenced by the institutional culture of the context in which it takes place (medical, juridical or otherwise). Institutional interactions do not simply reproduce cultural presuppositions, they produce a joint construction of cultural
meanings. In particular, the reproduction of mainstream cultural meanings may highly depend on the contributions
(and the acceptance of the contributions) of institutional roles and interactive negotiations can produce new cultural presuppositions.
In this paper we analyse interpreter-mediated interactions as a particular type of institutional communication. The
question we pose is whether and to what extent medical culture influences communication mediated by an interpreter. In Western medical culture, doctors have two main types of tasks; on the one hand they acquire information,
give instructions, offer advices and therapies, asking for patients’ adaptation (“voice of medicine”). On the other,
a widespread introduction of a patient-oriented approach inside medical organisations may create opportunities
for patients’ self-expression. The first type of tasks creates expectations of a cognitive nature, the second of an affective nature. Such expectations may take different forms in mediated interaction. In our data, we noted that the
relevance that is given to the voice of medicine seems to influence interpreters’ translation choices. Our conclusion
is that either in the case of cognitive and affective projected expectations, medical culture affects the interpreters’
translating choices in order to privilege the interaction between the institutional roles, including the interpreter,
and the relevance of translation in giving voice to the patients was not sufficiently considered, also inside a patientoriented, affective-based cultural approach. These results invite to explore the relevance of managing translation
effectively to improve communication in interpreter-mediated institutional contexts.
Titel und Text auf Deutsch fehlt hier Platzhalter
Abstract It can be assumed that interpreter-mediated interaction in institutional settings is, at least partly, influenced by the institutional culture of the context in which it takes place (medical, juridical or otherwise). Institutional interactions do not simply reproduce cultural presuppositions, they produce a joint construction of cultural
meanings. In particular, the reproduction of mainstream cultural meanings may highly depend on the contributions
(and the acceptance of the contributions) of institutional roles and interactive negotiations can produce new cultural presuppositions.
In this paper we analyse interpreter-mediated interactions as a particular type of institutional communication. The question we pose is whether and to what extent medical culture influences communication mediated by an interpreter. In Western medical culture, doctors have two main types of tasks; on the one hand they
acquire information, give instructions, offer advices and therapies, asking for patients’ adaptation (“voice of
medicine”). On the other, a widespread introduction of a patient-oriented approach inside medical organisations may create opportunities for patients’ self-expression. The first type of tasks creates expectations of a
cognitive nature, the second of an affective nature. Such expectations may take different forms in mediated
interaction. In our data, we noted that the relevance that is given to the voice of medicine seems to influence
interpreters’ translation choices. Our conclusion is that either in the case of cognitive and affective projected
expectations, medical culture affects the interpreters’ translating choices in order to privilege the interaction
between the institutional roles, including the interpreter, and the relevance of translation in giving voice to
the patients was not sufficiently considered, also inside a patient-oriented, affective-based cultural approach.
These results invite to explore the relevance of managing translation effectively to improve communication
in interpreter-mediated institutional contexts
Keywords fehlen
curare 31(2008)2+3: 75-
76
Introduction
Recent studies on interpreter-mediated interaction
(IMI) have highlighted the mediating role of the
interpreter and they have underlined that interpreters participate as “active” interlocutors in interactions (Angelleli 2004, Baker 2006, Mason 2006).
Wadensjö (1998) in particular has suggested that in
IMI, interpreters’ activity may be observed as primarily oriented to the interaction and to the joint
construction of meaning, and activities other than
translation are often functional to both the provision
of translation and the achievement of understanding. Interpreters in the interaction act as coordinators distributing turns to talk, clarifying meanings,
making the goals of the interaction explicit and
making the interaction between the participants
possible and successful.
Studies which have focused more closely on mediation have highlighted the “facilitating” function
it achieves and the role it takes in modifying the
interlocutors’ relationship and in empowering them
(Bowling & Hoffmann 2000, Bush & Folger 1994,
Sahah-Kazemi 2000, Zeldin 1998). Mediators actively intervene in communication as distributors of
opportunities to talk, reinforcing participant roles
and identities, making agreement and understanding likely outcomes, creating alternative stories
(Brigg 2003, Picard & Melchin 2007; Winslade
2006; Winslade & Monk 2000). In multicultural
contexts, mediation may be observed as an effective form of communication, producing conditions
of cross-cultural adaptation (Kim 2001).
While the role of interpreters as interactional coordinators helps explaining the potential of “what
else” needs to be done by translators besides translating, we believe that understanding the ways in
which interpreters coordinate cultural relations and
mediate between them, requires not only an analysis
of the interaction, but also an analysis of the ways
in which interactions are included in larger social
contexts and are culturally oriented. Such cultural
orientation may affect IMI and the task of the interpreter-mediator.
In this paper we explore the meaning of such
cultural orientation and the ways in which IMI is
affected by and affects the context in which it takes
place. Interpreter-mediated doctor-patient interactions are influenced by the culture of the medical
system in which they take place, but they do not
Claudio Baraldi & Laura Gavioli
simply reproduce this culture, they also produce a
joint construction of cultural meanings. Both mainstream and new cultural meanings are constructed
in the interaction through the participants’ contributions. We analyse tape-recorded and transcribed interpreter-mediated interactions with a look at: a) the
ways in which medical culture affects interpretermediated interactions; b) the achievements of such
interactions and the types of changes or reinforcement they may cause in medical culture, c) what this
suggests in terms of improving mediation service in
healthcare institutions.
Contextualisation and re-contextualization in
interpreter-mediated interaction
Baker (2006: 322) notes that research on the relationship between interpreting and its context needs
some improvement. She observes that “no scholarly
publication within linguistics or translation studies
has yet attempted to explore the issues of context as
it impacts on translational behaviour in any depth”
and suggests that looking at translation in a broader
social framework may help explain IMI. She (2006:
325) describes translation as a process where “readers expect multiple cultural environments and
voices to be invoked and […] translators” own “assumptions” about such patterns of expectations may
guide their decision-making process’. The process
of translation as described by Baker can thus be
viewed as a communication process based on what,
following Luhmann (1984), can be called reflexive
expectations, that is to say expectations about interlocutors’ expectations. According to this view, context is a non objective reality and translators respond
to the context according to what they “perceive as
other participants’ intentions as well as assumptions
about the world” (Baker 2006: 325).
What Baker observes here is a dynamic contextualization, rather than a series of static components
of an “objective” context, and she draws her attention to the context construction through the agency
of participants in their interactional negotiation.
She considers participants’ role performances embodying reflexive expectations, as fundamental in
the social construction of context: “we perform our
gender, we step in and out of professional and other
roles numerous times during the course of a single
conversation, and therefore whether a participant
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems
behaves and responds as a woman, as a gay person,
as a doctor, or as a professional interpreter at any
moment depends on a variety of factors and can
change during the course of a single interaction”
(Baker 2006: 326).
Baker’s observation makes it clear that context
is jointly constructed in the interaction as a process
of contextualization depending on participants’ expectations. This process can be observed through
contextualization cues that are defined by Gumperz
as verbal and non-verbal signs used by interlocutors
“to relate what is said at any one time and in any one
place to knowledge acquired through past experience” (1992: 230-232).
Contextualization cues then “highlight, foreground or make salient” (Gumperz 1992: 232) the
cultural presuppositions of the interaction. However, while the production of contextualization cues
in the interaction gives meaning to the context,
the cultural meaning of the context can hardly be
considered only as a product of single interactions.
Contextual cultural meanings need also to be related
to a differentiation of functions implemented in society, e.g. the juridical, political, educational, medical function (Luhmann 1997). Each of these functions has its specific cultural presuppositions. In this
respect, IMI can be analysed as a part of a complex
net of communications based on particular guiding
values (e.g. right, power, health, education), particular forms of participation, and particular reflexive
expectations. These values, forms of participation
and expectations constitute the cultural presuppositions which contextualize the projection of actions
in interaction, through other actions which are relevant inside specific functional systems, e.g. judgemental requirements, political decisions, medical
treatments, teaching.
In its turn, IMI produces a re-interpretation of
particular cultural presuppositions, promoting participants’ understanding and responsibility towards
their own actions. IMI may have relevant effects
on the communication processes insofar as it introduces changes in the interactions. According to
Baker (2006: 322), we may “recognise context as a
resource, something that we selectively and strategically construct as we engage in any act of communication, including the act of translation”. So on the
one hand cultural presuppositions shape interaction,
on the other interaction may re-new cultural presup-
curare 31(2008)2+3
77
positions precisely re-interpreting them in the local
context.
To sum up: 1) IMI is contextualized by a set of
cultural presuppositions (guiding values, forms of
participation and forms of expectations); 2) such
contextualization derives from embedding social
systems relevant in society (medical, juridical, and
so on); 3) IMI can possibly change these cultural
presuppositions, that is it can re-contextualize the
embedding system; 4) contextualization and re-contextualization are made evident through particular
cues in the interactions.
Medical contextualization
Interactions inside medical systems are characterised by a specific set of cultural presuppositions.
One such cultural presupposition is grounded in the
distinction between illness and health (Luhmann
1983). This presupposition is associated to particular role performances which are relevant for providing care. In particular, in the interaction, healthcare
providers (henceforth HPs) present themselves as
experts who deserve trust for their technical competence and as providers of relevant information.
On these bases expectations are primarily cognitive,
that is to say, they concern patients’ adaptation to
HP’s knowledge and expertise (Heritage & Lindström 1998). Patients are requested to respond to
HPs’ questions and follow HPs’ recommendations
and advices, in order to obtain care.
According to Mishler (1984), the “voice of
medicine” embodies a technical interest and expresses a scientific attitude, which create distortions
in the usual meaningful accounts by patients, based
on what Mishler defines “their lifeworld”. This doctor-centred (Heritage & Maynard 2006) contextualization implies asymmetric sequences of turns in
specific types of interactions, as medical interviews
and therapeutic prescriptions, in which HPs primarily acquire information, give instructions, offer advices and solutions, performing their standardised
roles based on the primary reference to the meanings of illness.
A number of recent studies showed that not
all the interactions between HPs and patients are
unequivocally shaped by these cultural presuppositions (e.g. Barry et al. 2001, Gillotti et al.
2002, Gravois Lee & Garvin 2003, Heritage 2005,
78
Heritage & Maynard 2005, Johanson et al. 1998,
Kiesler & Auerbach 2003, Robinson 2001, Stevenson et al. 2000). For example, Barry et al. (2001)
observed that, while interactions “strictly medicine”
are widespread, inside the medical system there are
also interactions which give space to the voice of
the “lifeworld”.
Mutual Lifeworld is the expression of a new
patient-centred medical culture, acknowledging
patients as competent contributors to communication (Arora 2003, Barry et al. 2001, Charles et
al. 1999, Epstein et al. 2005, Heritage & Maynard
2005, 2006, Mead & Bower 2000, Zandbelt et al.
2005, Zandbelt et al. 2006). According to this culture, HPs should (1) encourage patients to express
their perspectives and actively participate in the interaction, and (2) introduce a sense of involvement
and caring in communication. This possible renewal
of medical cultural presuppositions may transform
the meanings of HPs’ as well as patients’ participation and contextualize their interactions differently,
creating new opportunities for HPs’ and patients’
expression of personal emotions, needs and interests, enhancing affective expectations and shared
responsibilities.
Nowadays, medical systems include the treatment of an increasing number of immigrant patients,
speaking different languages and belonging to cultures different from those which are dominant in
the medical system. Because of a growing presence
of foreign patients, IMI is increasingly frequent in
medical systems and attracts increasing interest in
research (Angelelli 2004, Baraldi 2006a, Bolden
2000, Cambridge 1999, Davidson 2000, 2001, Meyer 2002, Meyer & Bührig 2004, Pöchhacker &
Kadric 1999, Tebble 1999). While the function
of IMI should be that of facilitating the immigrant
citizens approach to healthcare institutions, this research shows that in medical systems, IMI contextualizes the “voice of medicine” eventually impeding the construction of Mutual Lifeworld.
Contextualization and re-contextualization in
Italian healthcare settings.
The data
The data were recorded in two Italian hospitals,
in two towns in the Centre-North area of Italy, an
economically affluent area with a long tradition
Claudio Baraldi & Laura Gavioli
of efficient welfare services, including healthcare
services and more specifically migrant-friendly
services. The set consists of 50 interactions, involving Italian doctors and nurses, African patients
speaking English and bilingual interpreters. The
healthcare settings involve surgeries in or out of the
main hospital building. Most surgeries deal with
gynaecological diseases or prevention and pre- or
post-maternity follow-ups and some deal with work
medicine and accidents at work. Doctors and nurses
are Italian native speakers, both men and women.
The patients are immigrant people from West Africa
(mainly Ghana and Nigeria), a rather large immigrant community in the district where the hospitals
are situated. As most of the surgeries and wards
where we collected the data deal with baby birth and
gynaecological diseases, most patients are women.
The three interpreters are all women in their thirties,
two are Nigerian one is Ghanaian. They are part of a
permanent staff of linguistic and cultural mediators
hired by the medical institutions with the purpose
of making communication possible and facilitating
those activities which involve immigrant citizens.
The interpreters are also speakers of Nigerian and
Ghanaian languages and they sometimes use these
languages in the data we recorded. There is an acknowledged preference of the healthcare services
to work with mediators from the guest-immigrant
community rather than the host-Italian community
and with mediators with a medical rather than a linguistic background (one of the mediators is a former nurse). The institutions provide the mediators
with training in socio-cultural and communication
topics. The mediators are not hired as professional
interpreters, however their main activity in triadic
interactions with patients and healthcare providers is that of providing translation service; for this
reason the interactions we taped can be considered
“interpreter-mediated”.
The data are audio and not video-recorded. This
was due to both Italian legal restrictions which limit
recording in general and video-recording in particular, and to a strong reluctance from the medical institution to accept the intrusion of a video-camera.
Non-verbal cues (e.g. participants’ posture, look or
mime) are thus not an object of this analysis and
we focus exclusively on verbal cues. Transcription
conventions are those commonly used in Conversation Analysis (Jefferson 1978, Psathas & Anderson 1990). All personal details that are mentioned in
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems
talk have been altered in the transcription to protect
participants’ anonymity. This audio-data were collected with the permission of the institutions and of
the speakers involved.
Contextualization through dyadic interactions
Some analyses of IMI show that relevant information from HPs or patients may get lost in mediated
communication (e.g. Bolden 2000; Cambridge
1999, Davidson 2000) and that mutuality is rare in
interpreted consultations (Greenhalgh et al. 2006).
These studies focus particularly on the type of information that is selected and rendered in interpreters’
translated contributions and they note that in choosing information to translate, interpreters reveal orientations to what they expect is relevant in medical
interaction. Interpreters, then, contextualise their
renditions on the basis of their expectations of what
HPs or patients’, in their turn, expect. Davidson
(2000, 2001), in particular, shows that interpreters’
actions are oriented to protect doctors’ rather than
patients’ expectations. In their choice of information to translate, interpreters act on the basis of their
expectations of doctors’ expectations and consequently work as gatekeepers of the medical system
and in favour of the “voice of medicine”.
Orienting to participants’ expectations through
translation choices is, however, just one way in
which IMI shows its orientation to context and indeed the interpreters (with their choices) are not the
sole responsible for this orientation. Looking at the
interactional dynamics of the data we analysed, we
noted that, in our settings too, relevance is mainly
given to the “voice of medicine”. This, though, is
not only done through translation choices. In order
to be able to translate, interpreters need to acquire
information and understand it themselves. The dynamics by which such information is constructed in
the interaction and acquired by the interpreter also
shows an orientation to the medical culture.
In the following extract, a nurse is giving instructions to the mother of a baby patient as to when
and how the mother has to come to the ward and
feed the baby. The extract opens with the interpreter
(I) asking the nurse (N) about the functioning of a
milking machine to stimulate breastfeeding and it
goes on with the nurse providing information about
the ward’s opening times. The interpreter is instructcurare 31(2008)2+3
79
ed and asks for instructions about the usage of the
milking machine and the ward’s opening times (note
the redefinition of the machine in technical terms in
turns 2-3 and the interpreters’ questions in turns 5
and 7). A translation in English of the Italian turns is
provided in italics.
Extract 1
1. I Eh, per incominciare come usare la macchinet[ta
Erm, to start with how do we use the little machi[ne
2. N
[il tiralatte
[the breast pump
3. I si, il tiralatte
Yes the breast pump
4. N allora, gli orari (.) il bambino fa sette pasti. Poi gli
orari dei sette pasti sono, se te lo vuoi segnare, allora
alle otto, alle undici, alle quattordici, alle diciassette,
alle venti, alle ventiquattro e alle cinque.
Now, the times (.) the baby has seven meals. Then
the times of the seven meals are, if you want to note
it down, so eight, eleven, fourteen, seventeen, twenty, twenty-four, and five.
5. I Perciò la mamma deve venire in tutti questi orari?
So mummy needs to come here at all these times?
6. N Allora, la mamma no. Il reparto è aperto dalle otto
alle nove del mattino. Dalle nove alle undici 1- (.)
cioè c’è la visita perciò il reparto è chiu[so.
Now, mummy no. The ward opens from eigth to nine
in the morning. From nine to eleven th- (.) there’s
the doctors’ visit so the ward is clo[sed
7. I [dalle [otto
[from [eight
8. N
[e poi dalle undici alle venti e trenta il reparto
è aperto. Perciò la mamma se vuole venire può venire mezz’ora prima dei pasti così c’è il cambio del
pannolino in modo che può vedere anche come si
cambia visto che è il primo figlio.
And then from eleven to twenty thirty the ward is
open. So mummy if she wants to come she can come
half an hour before the meals so we have nappy
change time, in this way she can also see how the
baby gets changed, given that this is her first baby
By negotiating what needs to be translated to the
mother, the interpreter, first, interacts as the nurse’s
interlocutor and gets instructed by the nurse about
what is relevant medical information. In so doing,
the interpreter takes the space of the patient and
acts on her own behalf (turn 5). Such interactional
“alignment” of the interpreter as the interlocutor is
accepted by the nurse who gives instructions to the
interpreter, not to the mother (turn 4). In our data,
Claudio Baraldi & Laura Gavioli
80
then, HPs and interpreters orient to the construction of dyadic interactional sequences referring to
the medical culture. It seems that it is this form
of interaction, rather than the translation proper,
that contextualises the medical culture. Dyadic sequences such as the one shown above seem to affect
interlocutors’ participation and expectations in two
ways: a. construction of We-identity and b. prevention of a patient-centred approach.
Extract 3
Re-contextualization 1:
Construction of We-identity
(ride) Eh eh (.) No:: nessuno guarda questo in
Africa. Quanto è alta, quanto pesi, [no nessuno
mai.
(laughs) Eh eh (.) No:: nobody looks at this in
Africa. How tall she is, your weight, [no nobody
never ever.
178 D [Eh: lo so: però (ride)ah ah. Però è importante
[per vedere se è in sovrappe[so
[Er: I kno:w but (laughs) ah ah. That’s
important to check if she’s overweight
180 I [sì:
[Sì: sì certo. Eh.
[ye:s
[ye:s yes right. Mh.
181 D Perché- u-un peso può essere dive- in base
all’altezza può avere un significato diverso.=
Because a person’s weight can be diff- depending
on height it can have a different meaning
182 I Sì.
A first consequence of the interpreter aligning with
the HP as an interlocutor, “on behalf of the patient”
is that the patient is cut out of the interaction and
deprived of her/his space, even if only temporarily. By interacting with the HP, then, the interpreter,
(1) negotiates what is relevant to translate with the
HP only, (2) shows her/his own orientation to what
maybe the patient’s expectations without giving the
patients the possibility to express their expectations
themselves (extract 1 turn 8).
In our data, we have noted that such alignment
often correlates with expressions of We-identity
(Ting-Toomey 1999) which contextualize the interpreters’ positioning as either members of the institution or as members of the guest culture, missing the
relevance of their “middle” translating/mediating
role. The following are two examples, one of each
case. In extract 2, the doctor (D) addresses the interpreter (I) as a collaborator of the institution (turn
1), in extract 3, the interpreter speaks of herself as a
member of the African community (177). In the latter example it is interesting to note that the doctor‘s
reply to the interpreter’s explanation about what is
relevant in the African culture re-affirms the importance of the medical culture in this context and
the interpreter accepts the doctor’s contribution and
agrees with it.
Extract 2
1 D Allora, eh:..la lettera gliela vuoi spiegare? Tanto sai
già le cose! (
So, do you want to explain the letter to her? Anyway,
you already know how things are!
2 I Sì! ((Yes!)) This is the letter for your baby, the discharge letter.
172 D
173 I 174 D 175 I 176 D (.)
177 I Dunque lei-[ Ah. Quindi:::
So she- [Ah. Consequently:::
Coi tacchi. E’ uno::
With heels. She’s one metre::
Uno e sessantotto: dai.
One metre sixty-eight: come on.
Sì.
Yes.
Ok.
We-Identity is thus constructed in the interaction
and affects the positioning of the interpreter who
becomes a member of an in-group. Such positioning
originates from the relevance given to the “voice of
medicine” and the contextualization of medical culture. IMI though does not simply reproduce medical culture, it constructs we-identities that may have
further consequences in the re-contextualization of
the interaction. Here we look at two possible ones.
First, We-identity may expand beyond medical
culture, absorbing other relevant cultural presuppositions in society, and therefore expanding the
cultural contextualisation of the interaction. An example of this can be observed in extract 3 where the
interpreter’s statement about a “we-African” identity is responded by a we-Italian/medical identity
statement and the interpreter accepts the relevance
of the we-Italian/medical identity in the interaction.
This acceptance may have further consequences
which can be observed in extract 4, below. Here
the interpreter introduces a detour from the medical
interview at turn 2 and asks the patient how many
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems
children she has. The interpreter guides this inquiry
while the doctor is simply supporting it without
expressing any opinion (turns 3, 5, 7). This leaves
room to the interpreter for the expression of normative expectations concerning the patient’s behaviour
and birth control (turns 8, 10, 12), which the patient
accepts without any reply.
Extract 4
1 D Bene, bene, bene, benissimo! Tutto bene, tutto bene.
Avevamo già visto poi bene eh?
Well, very well! Everything is all right, all okay. We
saw before that it was all okay, didn’t we?
2 I How many girls do you have? You have two, maybe
the third one? Is okay eh?
3 D Due ne ha?
Has she got two?
4 I Eh!
5 D Altre due?
Two more?
6 I Sì (.) no, ma è numero cinque questa!
Yes (.) No, this is number five!
7 D Numero cinque?
Number five?
8 I Sì! (Yes!) Is OK eh? You know this problem that you
are talking to – If your husband is going to make
love, go and buy condom or…(P smiles) go and, in
this (.)it’s true!
9 P Yes!
10 I You cannot face the baby. You have at this point, this
problem eh? Or you want to pack the children and
go to Ghana? Eh?
11 P Ah! (P sighs)
12 I Ok! So if you don’t want to go and live in Ghana
with these children, don’t stop ( ). Go, come to via
Padova* and we’ll give you what you will be take
in, so that you don’t get pregnant. If your husband, I
know uses condom…I know Africans maybe don’t
like condom. If he cannot use, there’s a pill that you
can be taking or you come at this point. Do you understand? Don’t stay too long, eh?
*
“via Padova” (Padua street) is the address of the surgery
where the mediator operates
Such inquiry and overt expression of normative
expectations can possibly be explained through an
interdependence of different aspects of the cultural
context, where role performances and personal
choices are inextricably linked. In the medical interaction, cognitive expectations are generally subordinated to the technical-medical culture (Heritage
& Lindström 1998). Through the construction of
curare 31(2008)2+3
81
a We-identity, re-contextualization of the medical
system may include normative expectations derived
form outside. The patients’ personal choices become
object of re-direction and prescription.
Second, the interpreter’s action may produce an
over-adaptation of the patients’ actions to the medical culture, rendering their perspectives untrustworthy. In extract 5, the interpreter and the doctor
are discussing a problem with the patient’s sickness
during pregnancy which prevented the patient from
eating regularly. In turn 109 the doctor asks about the
patient’s weight before pregnancy and in turn 110
the interpreter translates. The patient answers (113).
In turn 114 the interpreter seems to orient to the doctor’s expectations of what is plausible and puts in
doubt the patient’s answer. The doctor’s alignment
in turns 115 and 117 constructs a We-identity where
the doctor and the interpreter put the patient’s contribution in doubt and clarify that what is required is
the patient’s weight before the pregnancy (116) and
that what the patient is answering probably refers to
her weight now. In turns 119-123 the doctor states
that the weight can’t be what the patient states, and
the interpreter rebates her scepticism about the patient’s answer. Finally, the interpreter autonomously
concludes that the patient cannot remember (124)
and the doctor decides to check her records.
Extract 5
108 I
Sì è stata bene però non mangiava: non mangiava
bene:(.) [no
yes she was alright but she didn’y ea:t she didn’t
eat we:ll (.) [no109 D
[Quanto pesava prima
della gravidanza?
[what was her weight
before pregnancy?
110 I Before this pregnancy, how many of we- what
was your weight?
111 D Allora dammi a me: eh[m così (.) non ti faccio
perdere del tempo
Now give this to me: er[m so (.) you don’t loose
time
112 I
[Ah ok. [Eh:
113 P [Eighty.
114 I Eighty?
115 D [Quanto?
[how much?
116 I [No! Before the pre[gnancy! Before the pregnancy.
117 D
[Prima, prima di diventare grass [before, before getting fat-
Claudio Baraldi & Laura Gavioli
82
118 I
119 D
120 I
121 D
122 I
(5)
123 D
124 I
125 D
When you were not pregnant.(?)
No.
(?) eighty? Are you sure?
No:: ottanta?! No:: troppo.
No:: eighty? No:: too much.
It can’t be. It can’t be eighty! No no.
Beh? Quanto pesavi?
So? What was your weight?
You can’t remember.
Forse c’è scritto sulla cartellina: nella prima visita
–
Maybe it’s written in the record: of her first visit
–
Creating expectations of untrustworthiness, IMI
may introduce a lack of confidence in the interaction between the HPs and the patients, based on a
presupposed lack of affordability of the latter.
The association of We-identity with the interpreter’s institutional role creates important consequences for the patient’s participation. In the literature there is some evidence that ethnic minorities
show scarce active participation in doctor-patient
interactions (Gordon et al. 2005: Meeuwesen et al.,
2006). The construction of We-identity seems to increase this kind of difference or at least it does not
encourage active participation from the patients.
What is interesting to note here is that the construction of We-identity is not simply the result of
interpreters’ translation choices: it is produced in the
interaction. Both the HPs and the patients cooperate with the interpreter in reproducing such cultural
presupposition, positioning the interpreter’s actions
through their own actions. In particular, through the
construction of We-identities, HPs or patients may
partly abdicate their roles and participation favouring their substitution by the mediator.
Re-contextualization 2:
Prevention of a patient-centred approach
The participatory mechanism where the interpreter
aligns to the HP as an interlocutor in dyadic interactions, has further consequences for medical culture. In our data, we have evidence of HPs’ actions
which search a direct contact with the patients. Such
actions take the form of support, involvement and
reassurance of the patients, following a patient-centred culture. These supportive actions are centred on
the patients’ expectations and promote affiliation in
the HP-patient interaction (Heritage & Lindström
1998, Kiesler & Auerbach 2003).
HPs’ supportive actions make relevant personal
expressions and participation from the patients. It
is interesting to observe, though, that the first recipient of such actions in the interaction is the interpreter who, again, aligns as an interlocutor to acquire information to translate. In those cases where
supportive actions by the HPs are introduced in the
interaction, interpreters align with those actions
confirming their understanding and affiliation. In
extract 6, the doctor is visiting a patient who had an
accident at work and is now in trouble with his hand
movement and holding. The doctor expresses his
own understanding for the patient’s hard job in turn
14 and for the patient’s pain in turn 19. In both cases, the interpreter affiliates with the doctor, showing
her own understanding and support to the patient.
While understanding and support are expressed,
making attention and care for the patient relevant in
the interaction, they are shared between the doctor
and the interpreter, again excluding the patient (see
turns 15 and 20).
Extract 6
14 D Un lavoro pesante eh?
A hard job isn’t it?
15 I Sì sì sì.
Y
es yes yes.
(8)
16 I Oka:y. (°?°).
(D touches P’s hand)
(.)
17 P °Ah:::°
18 I It’s painful eh? Mm.
19 D °Fai piano dice.°
don’t hurt me, he says
20 I Eh sì ha detto che sente male (sorride).
Eh yes he said he feels pain (smiles).
This form of contextualisation, jointly constructed between the doctor and the interpreter, emphasises the effects of re-contextualization through the interpreter’s role: the interpreter supports the doctor’s
expressions of understanding and does not translate
the doctor’s support to the patient’s expression of
pain and worry.
The continuation of extract 6 is interesting too
in this respect. The doctor provides his diagnosis
and suggests some exercises that the patient can do
to improve his possibility of hand-grabbing. While
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Cultural Presuppositions and Re-contextualization of Medical Systems
giving advices he also shows his attention and worry
for the patient’s problem (turn 34), provides suggestions and encouragement (in turn 36), and support
(in turn 38). The interpreter aligns with the doctor’s
expressions of advice and support, affiliating with
him. In turn 39 she supports the patient, by showing understanding for his pain, but does not immediately render to the patient the doctor’s expression
of support, interest, encouragement and advice. In
turn 42, the doctor asks the patient if he felt that the
care provided at the surgery was good enough for
him. The patient’s response in turn 44 clearly shows
that he does not believe much has been done for him
and that he does not feel reassured enough. A further intervention of the doctor towards the patient
in turn 45 is answered by the interpreter definitely
keeping the participants aside and basically closing
the encounter.
Continuation of extract 6 (a)
33 I Eh infatti eh sì non può essere come prima [come:
mh in fact mh yes she can’t be the same as before:
[as:
34 D[Eh. Non credo che arriverà ad essere come prima.
[Mh. I don’t think she
will ever be the same as before
35 I [M m m.
36 D[Quindi deve munirsi di paste siliconate e stringere
e aprire per riportare la forza. °Io penso che stringa
un po’ di più [se vuole°.
[So he must get some silicon paste and he needs to
close and open to recover his strength. I think he can
hold a bit tighter [if he wants
37 I [Sì sì sì.
[Yes, yes, yes
38 DPerò: insomma (.) e: ha anche ragione perché sentendo male naturalmente
e: ci molla eh.
But: you know (.) er: one cannot blame him because
as he feels pain he obviously gives up
39 I Eh sì. (.) Painful[ eh?
Mh yes.
40 D [Qui e: è è venuto da da noi eh?
[Here a:nd he was our patient wasn’t he?
41 I Mh. Sì.
Mh. Yes.
42 DSi è trovato bene da noi a far le cure o no?
Was he satisfied here with the treatment he was given or wasn’t he?
43 I He said the treatment they give you they-is it ok for
you?
curare 31(2008)2+3
83
44 P Erm:: maybe it’s good but I don’t- I still feel pain.
Because (?) I feel 45 DMolto dolore?
Much pain?
46 MSì sì.
Yes yes.
(.)
47 D:
Mh. Vabè adesso gli scrivo due righe eh?
Mh. Okay I’ll write a couple of lines for him eh?
((the doctor types up))
The interpreter eventually translates to the patient what
was said by the doctor and also shows support and understanding. She does that in a dyadic sequence following the
one above and involving the patient and the interpreter.
While support and understanding are expressed in the dyadic sequence they are (as in turn 39 above) contextualised
as the interpreter’s, not the doctor’s, support and understanding (see a further continuation of extract 6):
Continuation of extract 6 (b)
62 I =This hand can never come the [normal hand any
longer.
63 P
[No no no. Because it broke.
64 I Yes yes.
65 P All my bones broke.
66 I I know I know.
(04)
67 I Are you still taking anything for pain?
68 P Yeah.
69 I You still have it?
70 P Yeah. I’d like to go (?). They give me gave me only
two little pills (?)
This example shows that even when an affective orientation to the expectations of the patient
is observed in the interaction, the alignment of the
interpreter as the doctor’s main interlocutor creates
an intensification of the dyadic interaction between
the two institutional roles, which on the one hand
leads to sharing attitudes towards the patient and on
the other to exclude the patient from participating.
Alignment of interpreter as a main interlocutor of
the patient in (subsequent) dyadic interaction) leads
the interpreter to substitute the doctor and speak
“on behalf of” them. In this way, IMI reinforces the
medical culture, particularly the role performances
and the cognitive expectations, supporting them
through affective expectations in dyadic interactions. Patient-centred culture is re-contextualized
and fails as (1) HPs’ contributions do not reach
patients or (2) patients’ contributions do not reach
HPs.
Claudio Baraldi & Laura Gavioli
84
Conclusions
It is generally assumed that mediation facilitates a
sharing of views and perspectives by the parties,
and in particular intercultural mediation promotes
cross-cultural adaptation. Some studies, however,
put the “facilitating” role of the mediator in doubt
and underline that positive outcomes of mediation
can only be apparent. They observe that the social
context is “outside the parameter of the mediator’s
responsibility” (Schoeny & Warfield 2000: 254),
with the consequence of mediators becoming “de
facto agents of the status quo invested in maintaining the stability of the current social system”
(Welsh & Coleman 2002: 345). The literature on
IMI too has observed such risk in the medical setting, showing that interpreters work as gatekeepers
of the social system (Davidson 2000, 2001).
In our data, we observed that either in the case
of cognitive expectations in the “voice of medicine”
approach, which is still dominant in medical systems, and in the case of affective projected expectations in the patient-centred approach, the medical
culture contextualizes IMI.
Additionally, IMI can have two important feedbacks on the medical culture. First, the interpreter’s
role creates the interactive conditions for the construction of We-identity. This construction diverts
cognitive expectations relevant in medical systems
towards normative expectations relevant out of
medical systems, and institutional role performances towards denial of personal and cultural expressions, treating immigrant patients as stereotyped
and untrustworthy people. Second, the enhancement of affective expectations as well as search of
direct contact, in a patient-centred approach, does
not break dyadic interactions and promotes separate
cooperation either among the institutional roles or
among the minority culture representatives.
In both ways, the interpreter’s active participation tends to exclude patients’ personal and cultural
expressions from the doctor-patient interaction,
systematically re-orienting the participants’ actions
to cognitive or normative expectations, sometimes
supported by affective expectations in dyadic sequences. In both ways, while interpreter-mediated
interaction seems to reinforce the medical culture, it
seems as well to re-contextualize it: 1) constructing
a We-identity and thus promoting normative expectations and patients’ over-adaptation; 2) preventing
a patient-centred approach and thus promoting dyadic separate interactions. Therefore, like Davidson (2000, 2001), we can observe that interpreting
prevents or avoids patients’ personal and cultural
expressions. However, this is not simply a consequence of supporting the existing power relations
in medical system: it is also a consequence of recontextualizing the medical system.
IMI both preserves the cultural presuppositions
in medical systems, and re-contextualizes them, affecting HP-patient interactions. While it is evident
that IMI actively changes its cultural context, the result of its re-contextualization is a paradoxical coupling of reinforcement and deviation with respect to
the prevailing culture in the medical system, a coupling which does not support an effective communication involving immigrant patients and an effective
cross-cultural adaptation. This re-contextualizing
strength is not sufficiently taken into account by the
interlocutors and the medical system.
These results may invite the practitioners to
explore different ways of managing translation, in
order to improve re-contextualization of medical
systems. In particular, a re-contextualization inside a patient-centred medicine needs that personal
expressions in interaction involve and empower
all participants, through a dialogic mediation permitting the enhancement of patients’ active participation, addressing of patients’ interests and/or
needs, expression of personal attitudes, checking
patients’ perceptions, active listening, appreciation
of patients’ actions (Baraldi 2006a, 2006b). A recontextualization which binds active participation
to dyadic institutional interactions (interpreter-HP),
does not create the conditions for dialogic mediation, while it may determine the failure of a patientcentred medicine.
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Zeldin T. 1998. An intimate history of humanity. London: Vintage.
Laura Gavioli is a professor of English language and English-Italian translation at the University of Modena and Reggio Emilia (Dept of Language and Cultural Studies). She has been doing research in the field
of contrastive pragmatics using instruments derived from conversation analysis and corpus linguistics. She
has analysed conversations in English and Italian comparing the interactional features of meaning negotiation in the two languages. She has recently started an interdisciplinary research project on interpretermediated interactions in institutional settings, joining contributions from linguistics, sociology, cultural and
translation studies. She has published several papers in national and international journals and a book on
language and translation learning through language corpora.
Adresse fehlt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Claudio Baraldi is a professor of Sociology at the University of Modena and Reggio Emilia (Dept of
Language and Cultural Studies). His research includes work on cultural presuppositions and interaction in
educational systems, analyses of interactions between adults and children in institutional settings, promotion of children’s citizenship and social participation, forms of discrimination and interpersonal respect and
trust, intercultural communication in institutional settings, intercultural education and conflict management
in schools and other organisations, intercultural and interlinguistic mediation in institutional settings, the
development of techniques for dialogue, evaluation analysis of projects, intervention processes and their
results. He has published over 90 papers in national and international journals, and several books on the
above topics.
Adresse fehlt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Reprint nach 30 Jahren Curare 1(1978)1: 31-42
129
Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda
Ute Luig*
Zusammenfassung: Da gerade die Städte Afrikas auf Grund ihrer fortgeschrittenen ökonomischen Differenzierung und tribalen Heterogenität Zentren sozialer Spannungen sind, liegt es nahe, diese Annahme dort zu überprüfen. Ausgangspunkt ist eine Hypothese von Mitchell. Er vermutete wegen der relativen Anonymität des
städtischen Lebens Hexereiankla­gen weniger im persönlichen Bereich als vielmehr in solchen Gruppen, die durch
Konkurrenz und Missgunst geprägt sind. Im Beispiel Mulago, Stadtviertel von Kampala, sind zwei Arten von
Beziehungen durch Hexereivorstellungen betroffen: die zwischen Arbeitskollegen und die zwischen Personen,
die ein gesellschaftlich nicht sanktioniertes Lie­besverhältnis haben (Ehemann-Prostituierte). Auf beide Situationen trifft Mitchells Charakterisierung zu, daß die Beziehung persönlich und konkurrentiell ist. Durch eine
Feinanalyse lassen sich seine Vermutungen noch präziser bestätigen. Die Beziehung zwischen Nachbarn wie
auch Verwandten sind in Mulago von Hexerei frei, obwohl sie durch die besondere Situation in Mulago sehr
intensiv sind. Dieser deutliche Unterschied der Praxis der Hexereianklage im Vergleich zum Land scheint durch
die als feindlich empfundene Umwelt (z.B. hohe Kriminalität) bewirkt zu werden, die zum Einen nachbarschaftliche Solidarität fördert, zum Anderen durch Einschränkungen, im Extrem durch Abbruch persönlicher Kontakte
spannungsmindernd wirken kann. Wenn auch zahlenmäßig bei der Kasuistik der Hexereianklagen Liebes­händel
weitgehend dominieren und auf sexuelle Motivationen hinweisen so lässt sich doch bei der deutlichen Spezifität
der Hexereianklagen in dem untersuchten Stadtmilieu aussagen, daß weniger das individuell le Element und das
Fehlen der sozialen Distanz ausschlaggebend für die Hexereianklagen ist, sondern primär die Konkurrenzsituation um ein „knappes Gut“: seien es die begehrten Arbeitsplätze oder sei es die lebenswichtige Unterhaltssicherung
durch einen Mann.
Abstract fehlt noch
Platzhalter abstract Da gerade die Städte Afrikas auf Grund ihrer fortgeschrittenen ökonomischen Differenzierung und tribalen Heterogenität Zentren sozialer Spannungen sind, liegt es nahe, diese Annahme dort zu überprüfen. Ausgangspunkt ist eine Hypothese von MITCHELL. Er vermutete wegen der relativen Anonymität des
städtischen Lebens Hexereiankla­gen weniger im persönlichen Bereich als vielmehr in solchen Gruppen, die durch
Konkurrenz und Missgunst geprägt sind. Im Beispiel Mulago, Stadtviertel von Kampala, sind zwei Arten von
Beziehungen durch Hexereivorstellungen betroffen: die zwischen Arbeitskollegen und die zwischen Personen, die
ein gesellschaftlich nicht sanktioniertes Lie­besverhältnis haben (Ehemann-Prostituierte). Auf beide Situationen
trifft MITCHELLs Charakterisierung zu, daß die Beziehung persönlich und konkurrentiell ist. Durch eine Feinanalyse lassen sich seine Vermutungen noch präziser bestätigen. Die Beziehung zwischen Nachbarn wie auch
Verwandten sind in Mulago von Hexerei frei, obwohl sie durch die besondere Situation in Mulago sehr intensiv
sind. Dieser deutliche Unterschied der Praxis der Hexereianklage im Vergleich zum Land scheint durch die als
feindlich empfundene Umwelt(z.B. hohe Kriminalität) bewirkt zu werden, die zum Einen nachbarschaftliche
Solidarität fördert, zum Anderen durch Einschränkungen, im Extrem durch Abbruch persönlicher Kontakte spannungsmindernd wirken kann. Wenn auch zahlenmäßig bei der Kasuistik der Hexereianklagen Liebes­händel weitgehend dominieren und auf sexuelle Motivationen hinweisen so lässt sich doch bei der deutlichen Spezifität der
Hexereianklagen in dem untersuchten Stadtmilieu aussagen, daß weniger das individuell le Element und das Fehlen der sozialen Distanz ausschlaggebend für die Hexereianklagen ist, sondern primär die Konkurrenzsituation
um ein „knappes Gut“: seien es die begehrten Arbeitsplätze oder sei es die lebenswichtige Unterhaltssicherung
durch einen Mann.
Keywords (Schlagwörter) fehlen noch
* Anmerkung der Radaktion
curare 31(2008)2+3: 129-
130
After the publication of Evans-Pritchard’s classical study of Azande witchcraft and sorcery (1937),
much work in the field of the sociology of witchcraft
and sorcery had been done. While Evans-Pritchard
emphasized the logical consistency of those beliefs,
others, like Marwick (1952) and Mitchell (1956),
were more interested in the structural and normative
significance, whereas Turner focused on the role
they play in the development of social processes,
which he understands as social dramas (1957).
Despite the different approaches, however, general agreement has been reached that accusations of
witchcraft and sorcery are indices of social tension
and expressions of social conflict. If this assumption
is valid, it may be concluded that there should be an
increase of accusations of witchcraft and sorcery in
African towns, which, as centres of social change,
are generally thought of as generating tension and
conflict. Heterogeneity of the population, frequently
resulting in tribal strife, economic differentiation,
and as the clash of juxtaposed value Systems are
mostly assumed to be the main causes of social conflict in African towns.
Mitchell, however, has refined this hypothesis
by arguing that, due to the low degree of ‚Integration‘ characterising social life in town, there is no
need to express personal tensions through witchcraft accusations except in cooperative enterprises,
where interaction is intimate, competitive and potentially hostile (Mitchell: 1960).
This paper attempts to test Mitchell‘s hypothesis and to gain better understanding of the functions,
accusations of witchcraft and sorcery fulfil in urban
areas. This is undertaken by a structural-functional
analysis of accusations of sorcery. In order to understand the situations of conflict, a description of
Mulago‘s major social problems is first attempted.
Mulago and its Community1
In spite of Mulago‘s geographical position inside
the peri-urban belt surrounding the City, it appears
more urban than peri-urban, if we consider building,
land-use and population density as criteria for being “urban” (O‘Connor & Semugooma 1968: 5) . As
a result of this position Mulago developed certain
functions for the African labour force.
Ute Luig
Its nearness to the City, cheap accommodation
and uncontrolled growth were of advantage in the
choice of residence.
2) Mulago Hospital built in 1913 served as a major source of employment from the start.
3) The development of a retail market created
opportunities for earning a livelihood through petty
trade.
Despite the quick development and growth Mulago‘s classification as an “urban village” (Southall &
Gutkind 1957: 100) is still justified, considering the lack
of sufficient urban facilities and sanitary conditions
for the constantly expanding population. Gutkind‘s
estimation of 2000 inhabitants might cautiously be
replaced by an estimation between 5000-6000 (idem:
97). Mulago‘s dominant structural feature is its division into the business part with the highest population
density inside Kampala, which contains very poor
housing, referred to by its inhabitants as the “slum”,
and into a fairly rural area with lower density and better housing.
Like most African towns Mulago has a heterogeneous population of approximately 25 tribes, compared
to Gutkind who estimated 31 tribes. They are mostly
of recent origin in town; the average length extending
from 5-10 years, except the Ganda, who are often born
there or have spent considerable periods of their urban
life in Kampala. In comparison to areas like Kisenyi or
Kibuli the impact of cultural diversity is somewhat reduced, as the tribes in Mulago are predominantly from
the Western Region, including Rwanda. Nevertheless
the Ganda (42.1%) constitute the largest single group.
Though there is a distinct economic and cultural cleavage between the Ganda and the migrant people of nonBantu origin, the latter are so few as almost to discount
its sociological significance, in Mulago at least. This
small enclave of people are the Speakers of Nilotic,
Nilo-Hamitic (or Para-Nilotic) and Sudanic languages
and include the Luo (2.9%) , Teso, Acholi, Lugbara, and
Madi.
In Mulago the significant division is between the
Ganda and other Bantu Speakers. The differences are
less cultural than economic.
Land- and house owner ship, better education and
easier access to better Jobs put the Ganda at a great
advantage in relation to the non-Ganda for acquiring wealth and Status inside the urban social System.
There are, however, slight indications that the nonGanda are successful in minimising the existing gaps.
A survey of owner-ship of business enterprises still
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint)
reveals the dominance of the Ganda (60 as against 40
per cent), which is especially obvious in their ownership of the larger and better stocked shops and European styled beer bars, but it also indicates the desire of
the non-Ganda to become economically equal. Many
of the Kiga assessed their eco­nomic opportunities
quite favourably since they noticed greater equality of
chances since the 1966 revolution.
Ganda still own nearly three times as many houses
as non-Ganda, who may be more likely to lack the
capital needed for construction or simply to prefer not
to settle permanently in town and to invest their capital
in their places of birth.
Nevertheless the migrants have become quite conscious of improving their educational and occupational
Standards. Although economic inequalities between
heterogeneous groups are bound to lead to considerable tensions and open conflict, the degree of open tribal strife in Mulago is relatively low. A more important
reaction appears to be the displacement of aggression
in the form of privately expressed tribal prejudices; the
greatest social distance again being observed between
Bantu and the non-Bantu minority.
The Economic Situation in Mulago
Economically Mulago represents one of the poorer sections of Kampala, as the majority of the population are
employed in unskilled, skilled as well as lower grade
clerical Jobs2. As a result of the Stagnation of Uganda‘s
economy in the years between 1958 to 1963 (Uganda
Enumeration of Employees 1967), Job opportunities
are outstripped by demand and are heavily competed
for. Because of rising aspirations and expectations of
life style, a considerable decrease of “target working”
has been noted. The tendency is to-wards a combination of permanent wage employment supplemented
by agricultural production, performed mostly by the
female members of the family and/or paid labourers in
the rural areas; either on a subsistence level or if possible by cash-crop production. Although this has led to
greater stability in the length of residence in town, the
rising unemployment poses serious problems.
Most of the jobless belong to the younger age
group, who have had better education and whose aspirations for a white collar Job are easily frustrated,
while the expectations of their kin in the rural area are
unrealistically high. As a consequence many a migrant
delays his return home out of fear of being ridiculed
curare 31(2008)2+3
131
by his fellow tribesmen for his apparent failure in the
light of other’s successes. It would not be surprising
to find that this constant frustration and relative deprivation turn them into a Potential danger to the person
and property of the more successful inhabitants in the
Community. A statistical survey suggests that this may
be so: it shows that Mulago has the highest crime rate
inside Kampala3, though Kisenyi is generally considered to be the centre of thieves and prostitutes.
The Situation of the Family in Mulago
The economic problems are connected with and
mainly the cause of family problems. In many cases
extremely low wages prohibit the establishment and/
or maintenance of a family in town. The bulk of wages
lies between 100 to 300 shs, which is hardly enough
to eke out a living and support a wife and children in
town4. Although more than half of the men state that
they are married, many wives live either for a short
temporary time with their husbands in town or entirely
in the rural area, the Ganda being a frequent exception.
The men who live with their wives in town for the
most part have a better paid Job with more skill and
show a greater tendency to spend most of their lives in
town, provided they keep their Jobs. No precise figure
can be given on this for the whole of Mulago, be-cause
the actual composition of the family, which is very
fluid, can only be properly understood by consecutive
surveys over a consider­able period of time. However,
of the married male Kiga migrants in Mulago a survey
reveals that 60.8% never have their wives with them
in town, 11.1% have their wives commute between
country and town and 28.1% have wives who live with
their husbands in town for substantially longer periods
at a time.
The prolonged Separation of families causes substantial conflict since it puts a great number of men in
a quasi-single Status for a long time. Apart from the
practical disadvantages of having to do housework,
washing, cooking etc. - the psychological consequences of lacking the warmth and comfort of a home
and regular sexual satisfaction may even be greater. As
compensation for their psychological as well as their
material needs many migrants take a mistress during various periods in their town career. Due to the
imbalanced sex ratio in most migrant ethnic groups,
the mistresses tend to be drawn from different ethnic
groups and are called harlots or malaya. These liaisons
Ute Luig
132
last various lengths of time. The majority of the older
married men tend to prefer occasional relations for a
short period, while the unattached younger men often
have longer lasting unions.
People who retain “traditional” views on the Status
of women, such as the Luo, Riga and those from northern Uganda, do not consider women in town adequate
for marriage due to what are interpret-ed as their loose
morals and relentless pleasure seeking, and to the fact
that such unions can be broken off at any time at the
convenience of the partners. The great number of matrifocal families gives ample proof that such unions are
very unstable. They are especially widespread among
the Ganda, the women mostly supporting one to two
children on their own. Although urban sex codes may
be less rigid than those in rural areas, illegitimacy is to
a certain degree frowned upon, though less so among
Ganda, Toro and Haya.
One might be justified in comparing the attitudes
most of the younger men in Mulago display towards
sex, violence and alcoholism with a behavioural pattern commonly termed “machismo” in Latin Ameri­
can studies. In Mulago “machismo” is more based on
one‘s sexual conquests and number of girlfriends.
These values are expressed and reinforced by peer
groups or gangs. In the absence of satisfactory family ties, such personal relation-ships are of great importance. These can be manifested in close ties with
all sorts of kin, in feelings of brotherhood extended to
unrelated members of the same or culturally similar
tribes and in longstanding friendship and neighbourhood ties. Because mutual economic aid occurs within
such relationships they are considered a main safeguard against the permanent insecurity of town, especially by the people of the lower occupational strata.
They are even more important when there are no established voluntary associations to resort to in times of
need, as in the special case of the Kiga in Mulago.
The sphere of activities within the Kiga peer group
revolves around the beer parties, which are focal points
of social gatherings. They provide an alternative urban
prestige System to that which rests on such formal
properties as educational level and type of Job. Peer
groups are predominantly ethnocentric and so have
this extra basis of solidarity. They therefore alleviate
the feelings of inse­curity and unfamiliarity with an
alien environment. These beer par­ties make the participants temporarily equal, bringing the less and more
successful into harmony and so minimising the antagonisms caused by educational and economic inequal-
ity. Here, conflict and tension concerning the Community are discussed, measures decided and the deviants
brought back to adherence to Kiga norms. Hence the
main function of these beer groups is to preserve one‘s
personal and ethnic identity which, as we have seen, is
exposed to considerable threats from outside as well as
from within the Community.
Thus it is not at all surprising that the security of
long esta­blished friendship ties found in the neighbourhood are considered more valuable and are sought
after more than the physical comfort of better houses.
Although 73% of Kiga residents ranked Mulago next
to the last in comparison with other areas of Kampala,
only a minority was willing to move to better houses
if opportunities arose and economic conditions were
favourable (cf. Marris:1961). This suggests that most
of the Kiga in the lower occupational strata who are
likely to be found in Mulago see a greater Chance for
economic and psychological security through ethnic
group loyalty as compared to individual achievement.
Definition of Sorcery
Despite apparently multiple causes of strain and anxiety, relatively little overt conflict was observed in the
community, except for occasional fighting at beer parties and cases of theft, which often result in the thief
being beaten to death. However, several case studies
suggest that some conflicts are dealt with by “supernatural means” where no alternative direct sanctions
are available.
In this paper sorcery is to be understood according
to the distinction Evans-Pritchard has drawn between
witchcraft and sorcery (1937). The main difference is
that sorcerers use medicine (material substances) combined with a magical formula “to harm those against
whom they bear ill will” (Middleton & Winter: 1963),
while witchcraft is understood as a mystical and innate power. In this paper a further distinction is made
between sorcery and magic, the criterion of “sorcery”
as “destructive magic” or as I would prefer to say “aggressive magic”, medicines used for personal gain and
for protection are enumerated under the more neutral
term of “magic”. The most frequently used objects in
the latter category are charms to acquire or keep a Job,
and various love potions, used for securing a lover or
for continuing the relationship. Of these magical measures are proved ineffective recourse is mostly taken to
sorcery. The Kiga word for sorcery is oburogo, which,
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint)
following Beattie, is to “injure somebody by the frequent use of harmful substances or techniques” (Beattie
1963: 29) . There are different techniques of oburogo; the
one most commonly used among the Kiga as well as
among the Nyoro seems to be poisoning5.
The Nature of Misfortunes in Town
In the course of the research, however, no clear-cut
distinction was reached as to which particular types
of misfortunes were attributed to sorcery, witchcraft
or ancestor spirits (mizimu). Traditional beliefs continue to be held and there is a general readiness to
apply “proven” methods or those with a reputation for
being superior. Thus the following list of misfortunes
is not distinguished according to the methods applied
but only suggests frequency of occurrence, whereas
the case studies referred to are limited to those which
were attributed to sorcery. In order of reported fre­
quency, the following misfortunes were experiences by
my informants: Mental Illness (27), lack of Jobs (18),
body swelling (15), barren-ness (14), impotence (11),
stomach trouble (11), loss of Jobs (7), failure of business (7), and death caused through traffic accidents (6).
Although some Kiga informants conceded that in some
cases natural causes could have been responsible, too,
they insisted that mental illness, loss of Jobs or failure
in business and especially death caused through traffic
accidents are nearly exclusively effects of witchcraft
or sorcery. This reveals a tendency to explain and treat
situations or events, which are characteristic of urban
circumstances, by traditionally known means and remedies. A presumption that this might only be the case
until other explanations and methods have been learnt
or adopted by longer urban residence appears unjustified, as many of the victims reported considerable (up
to 1o years) length of residence in town. Thus the use
of accusations of witchcraft and sorcery appears to be
one of a number of dimensions of a cultural and social
continuum between African towns and their surrounding countryside; a more obvious and better known
example is the close network relationship many labour
migrants have built up between their home villages and
the towns.
Structural Aspects of Accusations of Sorcery
In Mulago accusations of sorcery mainly express two
types of conflict, resulting from sexual and economic
curare 31(2008)2+3
133
competition. The relation­ship, which is most frequently disrupted by accusations of sorcery, is the one
between “harlots” and their lovers. Although in most
cases the accusation is levelled by the lover against his
former girlfriend, the underlying tension arises out of
the competition among the women themselves, either
between a husband‘s wife and his “harlot” or between
several of his girlfriends.
Due to the great importance Mulago’s men attach
to “machismo”, most wives, especially those living
temporarily in the villages, constantly fear that their
husbands may take a harlot. That only two instances
of accusations of sorcery were recorded is to be explained by the carefulness most men display to conceal
these relationships when their wives come to town6.
Although sexual jea-lousy has a part to play, the desire for securing economic support for themselves and
their children appears to be dominant for most wives.
Thus the Situation seems to be an “urban Variation” of
the conflict between co-wives, as the economic conditions in town hinder the establishment of polygamous
marriages. Yet in cases where such marriages exist accusations of sorcery are used as a means to re-solve
conflict, as two examples show. Thus Mitchell’s
conclusion (1960:196) that “in the face of a large majority of foreigners, the family is essentially a tightly
integrated co-operative group“ and that acts of hostility and aggression are expected from outside forces
of the larger society, should be treated cautiously. I
would rather suggest that the anxiety to ensure education for one’s own children­—in town as well as in
rural areas—seems to be much more dominant than a
postulated feeling of family cohesion and obligations
to solidarity.
In the relation to the sex ratio in Mulago, which is
fairly balanced, the heavy competition among “the harlots“ is unexpected. Thus others than demographic factors have to be considered responsible. As in the case
of conflicts among “co-wives“ economic motivation
is again prominent, although sexual jealousy should
not be underestimated. Regarding the insecure social
position of the women in town, which is exposed to
continuous hazards, the reason becomes at once obvious. Of the 39% unattached women only 55% have
a Job; the average wage level does not exceed 5o to
100 Shs, which forces them to look for economic support elsewhere. As housing is scarce and difficult to
get, notwithstanding the relatively high rent (20-30
Shs), the anxiety for securing a more or less permanent supporter becomes evident. Furthermore, the in-
134
dependence of the women in the rural areas—based
on trade of surplus crops in the market—is reached
only by a few of the women in town, since most of
them do not have enough capital to Start trading or to
make a living by brewing beer. Thus a considerable
number of women, especially those of migrant tribes
having severed ties with their kin in the country, have
only to choose between various types of Prostitution of
finding a more permanent partner in a lover relationship. Since the severance of ties with the rural areas are
frequently caused by expectation of a better Stan­dard
of living, resulting frustrations and hence feelings of
aggression are made manifest.
In accordance with the heavy economic competition already mentioned above, relationships between
co-workers are also frequently disrupted by accusations of sorcery. Envy, ambition to outdo one’s rival, as
well as limited opportunities for success were found to
be the main claimed motives, which induce co-workers
to use sorcery against each other. In many cases long
series of quarrels and false denunciations preceded
the accusations, which were only made when the individual’s self-interest was fundamentally threatened.
This Situation was brought about, if sexual rivalries in
additions to economic competition reinforced tension.
As in traditional situations of conflict the accusation of
sorcery was used as the only means to achieve catharsis in the relationship, as geographical mobility due to
scarcity of Jobs was made impossible. The presumption, however, that geographical mobility would occur
if feasible, needs cautious consideration, as in cases
involving harlots and their lovers geographical mobility took place only after the actual occurrence of a misfortune. A possible explanation may be the interwoven
network of relationships of the Riga in Mulago, which
accounts for their reluctance to give up local ties.
Tribal prejudices play a viable part in the accusations of sorce­ry between workmates, since they mostly
involve members of different tribes, with charges of
nepotism frequently being thought of as the main motive. The greater frequency of accusations between the
Riga and the Ganda reflects their greater likelihood of
competition; not only do the Ganda outnumber other
tribes statistically but are also to be found more often
in the position of better Jobs. It would, however, be
false to conclude that solidarity to one‘s own tribe prohibits the use of sorcery among its members in town,
such as when many Riga beer brewers constantly
complained about their beer being charmed. It is however suggested that this is a more frequent occurrence
Ute Luig
among the „aspiring“ who actively seek social mobility and who pay adherence to these values only by lip
service. In case of the beer brewers this conclusion is
not entirely unjustified, since many of them belong to
the more prosperous people, who often own houses or
even their own businesses.
Compared to the knowledge we have about accusations of witchcraft and sorcery in rural areas, the
near total absence of accusations of sorcery between
relatives in Mulago is striking, although not entire­ly
unexpected7. The importance and solidarity of kinship ties in town and their artificial creation in case of
non-available kin are too complex to be satisfactorily
evaluated by one type of behaviour, as with increasing
economic differentiation kinship attitudes under-go
modification. Thus in cases of greater economic security and in-dependence kinship ties tend to be less intimate, which can be interpreted as a preventive method
to avoid undue dependency on family resources.
>>>>>AMAND hier irgendwo die Tabelle
(welche bitte???)
Considering the very dense housing conditions
prevailing in Mulago by which privacy is limited to an
absolute minimum, conflict between neighbours was
relatively seldom and accusations of sorcery insignificant. If conflict arose, it was either resolved by open
quarrel, intervention of the muluka-chief and in very
serious cases by leaving the area. In general, however,
harmonious relationships seemed to be widely spread
and close co-operation genuine. This was as much the
case among the small nuclei of tribal clusters, being
spread all over Mulago, and resulting from the informal influence tenants exercised in allotment of rooms,
as among the tribally mixed neighbourhoods. Besides
being based on sympathy and mutual understanding
the motive for holding together often resulted from
the ever present fear of thieves and robbers. Furthermore, as the main objects for competition, such as securing Jobs of promotion, are closely connected with
the socio-economic structure of town and thus beyond
the direct influence of kin, neighbours or friends, possible conflicts are minimised. The importance of this
argument can be judged from the tension-ridden atmosphere among the harlots in Mulago, as their „objects
of competition“ are close at hand and exposed to all
kinds of influence.
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint)
Functional Aspects of Accusations of Sorcery
As Middleton and Winter pointed out (1963: 13), sorcery seems to be “an inevitable weapon of the weak,
the downtrodden, the poor and the envious”. In town
the use of magic and sorcery is believed to become
instrumental in securing either a better position and/or
in defending their rights. Consequently, the victims are
more liable to be found among the successful minority
which has succeeded in town. Most of these socially
mobile men are either clerks or in other clerical and
skilled positions, with an above level of education.
However, that the successful ones are envied and particularly prone to be bewitched, is common for most
African societies.
The Riga being a traditionally segmentary society
(Edel 1957) can at least be expected to have ambiguous feelings towards any deviation from the concept of
egalitarianism. This was supported by the difficulties,
imagined or real ones, which many of my in-formants
with advanced education encountered in their native
villages. But the feeling of egalitarianism is not limited
to the economic sphere alone but becomes operational
on all levels of social life. Although generosity at beer
parties, boasting of sexual con-quests and fashionable
appearance are central values in Riga group like in
Mulago, aggrandisement of any kind leads to distrust
and ambiguity and can result in the use of sorcery to
re-establish the Status quo inside the group. Hearing
these consequences in mind the individual tends to
be careful to subject himself to social norms in order
not to become a target. Hence the mere possibility of
sor­cery, if reinforced by casual application, can be a
means of social control. Especially in the absence or
incompleteness of family councils in town belief in
sorcery becomes instrumental in bringing deviants
back to conform to socially accepted behaviour. This
was amply demonstrated by the cases where harlots attacked their lover‘s wife or children, as with only one
exception the harlots were forsaken by their lovers in
order to restore proper family relation-ships. Furthermore, in a Situation of economic conflict, belief in and
threats of sorcery can be successfully used to minimise
emerging differences by constraining conspicuous
consumption and eventually directing a more equitable
distribution of resources.
Insofar as aggression is directed against people belonging to a higher economic stratum but still to the
same class (using class in the Marxist sense of a group
of people having the same relation-ship to the means of
curare 31(2008)2+3
135
production) , beliefs in sorcery stabilize and conserve
the Status quo: They enable aggression to be projected
onto „equals“; and they thereby temporarily disrupt
but do not seriously threaten the overall social System.
Psychologically, the belief in sorcery allows
self-justification in case of failure which is important since institutionalised means for shrugging off
failure are non-existent in Mulago. The harlots seem
to be a case in point, as it is especially their weak
social and economic position which exposes them
as scapegoats. Their observable envy and revenge
is thought to derive from their low position, and
may be condemned by others in self-justification8.
Through extra-punitive measures the individual is
thus capable of projecting his failures onto others,
thus preserving his sense of identity which enables
him to redefine his position in the urban social System and remain competitive therein. (cf. Jahoda
1966:199-200 and Lloyd: 1966). This is an effective mechanism because only a few can successfully
realize their aspirations in this Situation of limited
resources.
Conclusion and Summary
The data presented so far confirm Mitchell’s hypothesis (1960: 201) that accusations of sorcery are
closely linked to co-operative enterprises, “where
interaction is intimate, competitive and tense”. It
was shown that this resulted from the economic
conditions in Kampala and the type of social relationships found in Mulago.
As the attainment of a higher Standard of living
is the primary incentive for most migrants, economic competition is automatically determined as the
most important source of possible conflicts among
them. Even in those relationships, which seem to
be based on other than economic interests, namely
sexual interests, the economic element cannot be
overlooked. I would therefore argue that due to
the insecurity and instability that characterises life
in Kampala, the search for economic security has
penetrated all spheres of life, sub-ordinating other
conflicts to the basic economic one.
The difference in the type of social relationships
in town, com-pared to the rural areas, seems to provide an explanation for the fact that accusations of
sorcery in town are apparently limited to few types
of relationships. The heterogeneity of Mulago’s
Ute Luig
136
population, the strangeness of its environment and
the impersonal atmosphere impede intimate inter­
action with a greater circle of people and leads to
rather superficial and uncommitted relationships.
With the extension and differentiation of the
individual‘s social network in town, greater selection in determining the type and intimacy of a relationship is rendered feasible. Thus by means of
geographical mobility, residential distance and temporary limitations of relationships, possible conflict
can be avoided.
Where interactions are close and emotionally
toned, as is the case with kin, friends and neighbours, they are based on mutual assistance and
solidarity in the face of common difficulties and
are therefore less prone to be disrupted by serious
conflicts. If however conflicts and hostility occur,
they are more likely to be expressed openly, which
allows for retributive action, since tribal mores provide no regulation for situations of conflict between
strangers, whereas in rural areas people frame their
conflicts in accusations of sorcery because they are
prohibited by social norms to express their hostility
openly.
However, the occurrence of accusations of sorcery between stran­gers in ethnically mixed work
groups suggests that, even in the absence of clearly
defined customary mores, sorcery can be used as a
weapon in ‚new‘ situations provided the underlying conflicts are similar to those experienced in the
rural areas. Thus the use of accusations of sorcery
in town as a means to express conflict seems to be
dependent on two factors:
– That the object of competition is open to the
influence and manipulation of the competitors, who
are assumed to evaluate the object highly
– That the relationships between the competitors is tense and emotionally toned and cannot be
resolved by other, institutionalised as well as noninstitutionalised means.
Anmerkung der Redaktion
*
Notes
1. Research was carried out in Mulago during an 18 months’ period between 1968-1970, being made possible by a German
Government grant , and focused mainly on family and urbanization problems among the Kiga. The data concerning Mulago
2.
3.
4.
5.
6.
7.
as a Community are the result of a brief survey which was designed to enable comparison with Southall & Gutkind’s data
(1957), and are therefore limited in scope. When the greater
part of the paper is devoted to the Situation of the Kiga, it is
due to a more intimate knowledge of their problems.
For simplification the classification of Jobs was reduced to
three categories, thus differing from the one used by Southall
and Gutkind. Skilled is here understood to apply on the Job,
e.g. driver, carpenter; unskilled is used to classify those Jobs
for which no special knowledge is required, e.g. watchman,
sweeper; clerical may refer to typists and secretaries as well
as the large number of ordinary clerks who have received no
formal training but who are literate.
The relativity of this statement should be borne in mind in
view of the tendency of crime statistics to be understated and
the approximate estimate of population figures. Oral Communication from Mr. Dan Abbot, Wisconsin. All figures refer to
1968 when not stated otherwise.
Note the dose similarities between Kiga and Nyoro beliefs in
sorcery corresponding to their mutually intelligible language.
Furthermore, a tendency was noted to resolve this problem
rather by physical violence, either between wife and harlot
or between husband and wife, than by accusations of sorcery,
which apparently were only used, if no satisfactory solution for
either party could be reached.
Similar findings were reported by La Fontaine for Leopoldville where accusations of sorcery were less frequent among
relatives in town than between relatives in town and in the
countryside.
Furthermore, this reflects the ambiguous attitude most men
display toward the harlots. Although they are indispensable in
the circumstances of town, the consumption of money, which
they induce distinctly conceived as a threat to the improvement
of the Standard of life of one’s own family, which for many is
the ultimate reason for coming to town.
References
Beattie J. 1963. Sorcery in Bunyoro. In Middleton J. &Winter
E.H. (ed), op. cit.: xy
Edel E. 1957. The Kiga. Oxford.
Evans-Pritchard E. E. 1937. Witchcraft, Oracles and Magic
among the Azande. Oxford.
Fortes M. & Dieterlen G. (eds) 196x. African System of Thought.
Oxford.
Jahoda G. 1966. Social Aspirations, Magic and Witchcraft in Ghana. In Lloyd P.C. (ed), op. cit.: xy
La Fontaine J.S. 1970. City Politics, a Study of Leopoldville 196263. Cambridge.
Lloyd P.C. (ed.) 1966. The New Elites of Tropical Africa. Oxford.
Harris P. 1961. Family and Social Change in an African City.
London.
Marwick M. 1952. The Social Context of Cewa Witch Beliefs.
Africa XX 2, 3: xy.
––––– 1965. Sorcery in its Social Setting. New York.
Middleton J. & Winter E.H. 1963. Witchcraft and Sorcery in East
Africa. London.
Mitchell J.C. 1956. The Yao Village. Manchester.
–––––196x. The Meaning of Misfortune for Urban Africans. In M.
Fortes- M & Dieterlen G. (eds), op. cit.: xy
O’Connor & Semugooma 1968. The Peripheral Zones of Kampala.
Occasional Paper Nr. 8. Kampala: Dept. of Geography, Makerere Univ. College.
Southall A. & Gutkind M. 1957. Townsmen in the Making. Kampala.
Turner V.1957. Schism and Continuity in an African Society. Manchester.
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Accusations as Social Commentary. A Case Study of Mulago/Uganda (Reprint)
Autor mit Foto / Ich mache ggf. einen kleinen, warum ich den
Artikel ausgesucht habe.
Ute Luig, Text fehlt hier noch
curare 31(2008)2+3
137
Berichte / Reports
139
Berichte / Reports
Reproduktionsmedizin bei
Muslimen: Religiöse und säkulare
Ethiken im Widerstreit?“ Tagung
am 20. Juni 2008 in Tübingen
Das Orientalisches Seminar der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen veranstaltete in Kooperation
mit dem Interfakultären Zentrum für Ethik in den
Wissenschaften (IZEW) der Universität und dem
Heidelberger Centrum für Euro-Asiatische Studien
e. V. (HECEAS) unter der Leitung von Dr. Thomas
Eich diesen Studientag. Im Einführungsreferat „Islamische Medizinethik: Geschichte, Perspektiven
und Herausforderungen“ schilderte der Islamwissenschaftler Thomas Eich den Beginn der Diskussion und die Entstehung erster Studien zu diesem
Themenbereich zum Ende der 80er/Beginn der 90er
Jahre des letzten Jahrhunderts. Fragen der Bioethik
werden mit dem Beginn der Islamisierung (Ende der
70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts) auch innerislamisch stärker thematisiert; eine Vorreiterstellung kommt hier den Islamic Fiqh Academies zu.
Der Beweggrund ist der Wunsch und das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung des islamischen
Rechts im Angesicht weltweiter Entwicklungen.
Beispielsweise seien das Problem der Krankenversicherung in Ägypten und die Bekämpfung der
Hepatitis C ein sehr starkes Thema, das allerdings
nicht so sehr auf Interesse bei Publikationsmöglichkeiten in Verlagen und etablierten wissenschaftlichen Zeitschriften treffen würde. Ab Beginn der
90er Jahre kann ein stärkeres Interesse bei Medizinethnologen festgestellt werden, mit dem Fokus auf
eher traditionelle Heilmethoden. Die breite multireligiöse Diskussion international in den 90er und
2000er Jahren, ausgelöst und angeführt durch die
Gen-/Klon-Debatten führt zu einer systematischen
Einholung von Stellungnahmen außerhalb der etablierten Kirchen. Die globalen bzw. globalisierten
Fragen dieser Themenbereiche schafft als neues
Problem das „Gesetzes-Shopping“. Das National
Bioethics Committee der UNGSCO, gegründet
1993, beansprucht die Förderung des Bereiches der
Unterrichtung muslimischer Medizinethik, trägt
aber, so Thomas Eich, nicht unbedingt dazu bei,
den Berufsweg derjenigen zu fördern, die sich wissenschaftlich damit befassen: „“Interdisziplinarität
curare 30(2007)2+3: 235-
ist in Deutschland offenbar ein Karrierekiller“, so
seine Aussage.
Die Ethnologin Constanze Weigl, M.A., vom
Süd-Asien-Institut der Universität Heidelberg befasste sich in ihrem Beitrag mit der Fragestellung:
„Welche Faktoren beeinflussen indische Musliminnen bei Entscheidungen über Geburtenkontrolle und Abtreibung?“. Sie führte ein damit, dass
indo-nationalistische Kritiker gerne gegen die
muslimische Polygamie polemisieren würden. Ihre
Feldforschung führte sie in dem kleinen alten Dorf
Nizamuddin Basti durch. Die Bevölkerung dort
setzte sich zusammen aus einer mehrheitlich sunnitischen, recht heterogenen Gemeinschaft aus ruralen Migranten. Sie hat „unstrukturierte Interviews“
mit 40 Frauen durchgeführt. Diese Frauen kamen
aus Uttar Pradesh und Bengalen, waren großenteils
Analphabeten, ihr Durchschnittsalter betrug 34 Jahre, es gab einige Verheiratete darunter. Die Benutzung von kontrazeptiven Methoden und die Durchführung von Abtreibungen hängen von folgenden
Faktoren ab: – dem Gesundheitszustand der Frauen
– den Familienplanungsprogrammen der indischen
Regierung – der liberalen Gesetzgebung in Bezug
auf Abtreibung. Breit bekannt seien Kondome, Pille,
IUD (Intra-Uterin-Spirale), die Anwendung jedoch
schwierig wegen der islamischen Vorschriften. Bevorzugte Anwendung finden pflanzliche Methoden,
die Temperaturmethode und die Abtreibungspille
(insbesondere nach einer Vergewaltigung); letztere
stelle kein allzu großes „moralisches“ Problem dar.
Soziokulturelle Praktiken, die die Geburtenkontrolle erschweren, sind die Tatsache, dass das Ansehen
der Frau von ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau abhängig sei und Söhne insgesamt bevorzugt würden.
Weigl merkte an, dass alle der von ihr befragten
Frauen mehr Kinder haben, als sie eigentlich wollten. Die Meinungsvielfalt innerhalb der indischen
ulema (Rechtsgelehrte) bezüglich der Zulässigkeit
von Empfängnisverhütung und Abtreibung sei do-
140
miniert von konservativ-religiösen Stellungnahmen
in Bezug auf reproduktive Gesundheit. Abtreibung
wird in ihren Augen als Sünde betrachtet, aber dennoch aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt
und versucht, religiös zu legitimieren. Die Kinderzahl liegt heute durchschnittlich bei etwa zwei bis
drei Kindern. Die Informationen über Verhütungsmethoden erhalte frau durch die Informationen von
Nichtregierungsorganisationen in der Stadt, die
teilweise eine sehr aggressive Informationspolitik
betreiben würden. Unter den untersuchten Frauen
gab es ein sehr starkes Schamgefühl, man spricht
nicht darüber, die Thematik gelte als „illegal“; hier
macht sich offenbar ein starker Einfluss der HinduTradition bemerkbar, die ausgesprochen restriktiv
und prüde in der Thematisierung sexueller Themen
sei. Die Sterilisation wird insbesondere von Männern nicht akzeptiert. Die indischen Medien würden
für Empfängnisverhütung werben, zwischen en Filmen, und sehr deutlich und freizügig. Im Bereich
der Empfängnis-Verhütung steht auch bei den untersuchten Musliminnen die Rezeption des ayurvedischen „Heiß-Kalt“-Konzeptes im Vordergrund,
vor welchem die Pille sehr abgelehnt würde, weil es
heißt, sie löse bei Frauen „Hitze“ aus.
Der Islamwissenschaftler Björn Bentlage von
der Universität Bochum befasste sich mit dem
Thema „Abtreibung in Ägypten zwischen säkularem und islamischem Recht“. Der § 262 würde die
Abtreibung verbieten, bei Strafe für die schwangere Frau und den durchführenden Arzt. Allerdings
würde der § 62 (Notwehr; Abwehr von Gefahr im
Verzug) die medizinische Indikation erlauben. Der
hohe Wert des Lebensschutzes komme aus der islamischen Beseelungslehre; dennoch wird Abtreibung nie als „Mord“ gewertet, weil der Embryo
nach islamischer Auffassung nie als vollwertiges,
vollbeseeltes Menschenwesen gilt. Zugleich bewege sich der Abtreibungsdiskurs zwischen folgenden
Polen: Die Abtreibung unterlaufe die öffentliche
Moral, es käme zu einer „Zerstörung des Islam
durch den Westen“ und eine allgemeine Zerstörung
der Sexualmoral. Seit 1997 gäbe es Tendenzen im
islamischen Recht, die Abtreibung differenzierter
und liberaler zu diskutieren; zugleich entdeckten islamische Aktivisten dieses Thema für sich und nutzen es gezielt für politische Propaganda. Die weibliche Genitalverstümmelung habe ebenfalls einen
hohen Streitwert; islamische Aktivisten bezeichnen
die Forderung nach ihrer Abschaffung bzw. ihrem
Berichte / Reports
Verbot als „Angriff auf islamische Werte“. Der “National Council of Women and Children” (NCWC),
dem hochrangige Minister sowie die Frau des ägyptischen Präsidenten angehöre, wird von ihnen als
„Rat der Ladies“ beschimpft. Der NCWC arbeitet
mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Eine
Kampagne habe der Tod eines Mädchens ausgelöst,
welches durch eine zu hohe Betäubungsdosis bei
der Beschneidung starb. – Die Verfassung von 1981
hat die Scharia (islamisches Religionsrecht) als
maßgebliche erste Rechtsquelle gesetzt, der alles
unterzuordnen ist. Prozesse und Diskussionen hierüber lösten eine Fatwa-Flut aus. Die Ärztekammer
hat in Ägypten eine „Mittlerfunktion“ zwischen
säkularen und religiösen Institutionen. Den Medien kam in den letzten Jahre eine immer stärkere eigenständige Rolle zu, insbesondere bei Kampagnen
gegen die weibliche Genitalverstümmelung und die
Abtreibung. Insbesondere ägyptische Produktionen widmen sich diesen Themen in TV und Film,
um ein breites Publikum zu erreichen und erlangen
auch eine sehr starke Resonanz in der Bevölkerung. Zu nennen seien die Verfilmung der Schnulze
„Das Haus Ja’kūbiān“ des Schriftstellers al-Aswānĭ
aus Chicago, „’an al-’išq wa-l-hawā“ (Über Liebe
und Leidenschaft) und „`ulya qadĭyat ra’y ’āmm“
(Google-Video, „Das höchste Urteil zur öffent­
lichen Meinung“). Es gibt eine lebhafte Diskussion
in Ägypten darüber, ob die Abtreibungspille zugelassen werden soll oder nicht.
Die Ethnologin Viola Hörbst von der Universität München berichtete über „Männliche Unfruchtbarkeit in Mali zwischen Mufti, Heiler und Mediziner“, wo sie in einer Privatklinik in Bamako ihre
Forschungen durchgeführt hat. Kinder haben sei
in Mali bis heute sozio-kulturell sehr wichtig, der
Brautpreis müsse sich schließlich rentieren. Typische Anspielung der Mütter bzw. Schwiegermütter
gegenüber den nicht schwangeren bzw. kinderlos
bleibenden Frauen ihrer Söhne seien: „Mein Sohn
schläft mit einem Mann“. Die Spermienuntersuchung des Mannes wird abgelehnt. Männliche Unfruchtbarkeit kann „geheilt“ werden dadurch, dass
der jüngere Bruder des Ehemannes die Frau möglichst diskret schwängert. Damit bleiben die Verwandschaftsgrade erhalten, man schweigt sich aus
Respekt darüber untereinander aus. Die Klinik von
Dr. M. in Bamako führt homologe Inseminationen
durch. Assistierte Reproduktionstechniken sind unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt; die kathoVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Berichte / Reports
lische Organisation „Donum Vitae“ hat in Bamako
eine Vergleichsstudie dazu durchgeführt bzw. religiös-ethische Richtlinien verschiedener religiöser
Systeme gesammelt und im Internet veröffentlicht.
Dorther habe Dr. M. seine Richtlinien, das Internet
ist eine wichtige Informationsquelle für ihn. Dr. M.
experimentiert in seiner Klinik seit fünf Jahren mit
der In-Vitro-Fertilisation. Eine Eizellen-Spende gilt
als weniger problematisch als eine Spermienspende. Wichtig: Es muss das eigene (genetisch eigene!)
Kind sein! Bioethische Dilemmata spiegeln Konflikte zwischen religiöser Norm und sozialer Realität wider. Viele Frauen beginnen inzwischen damit
zu argumentieren, dass auch Kinderlosigkeit Gottes Wille sei. Der wachsende Einfluss islamischer
Akteure auf Gesetzesentwürfe in Mali mache sich
deutlich bemerkbar. Der Anteil der Entwicklungshilfe durch Nichtregierungsorganisationen beträgt
in Mali derzeit etwa 25-29%.
Der Politologe Prof. Thomas Banchoff von
der Georgetown University in Washington, D.C.,
bezeichnete in seinem Beitrag “Medical Ethics in
religious and secular debates­—a comparative approach” die geführte Diskussion als einen politischen Streit über die Stammzelldebatte, die seiner
Meinung nach vor allem die Frage nach der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers aufwerfe. Die technischen Möglichkeiten der Reproduktionsforschung gäbe es vor allem in den atlantischen
Staaten und der BRD. Als Leiter eines Centers für
„Religion und Weltpolitik“ in Washington, D.C.,
forscht er insbesondere darüber, inwieweit sich
Gottes Wille in allen Lebensbereichen niederschlägt
und eine Rolle spielt und konzentriert sich dabei auf
die sogenannten „abrahamischen Religionen“ (Judentum, Christentum, Islam). Die Neuzeit habe die
Trennung von Kirche und Staat vorangetrieben. Der
Anspruch auf den „Schutz menschlichen Lebens“
stehe im Konflikt mit demjenigen der „Verminderung menschlichen Leidens“. Säkulare Institutionen
seien legitimier- und attackierbar ohne religiösen
Rückbezug und Rahmen.
Der Biologe und Philosoph Dr. Thomas Potthast
vom Interdisziplinären Zentrum für Ethik in den
Wissenschaften, Tübingen, hatte das Schlusswort
dieser Tagung. Er ist Verfasser einer neuen Schrift
zur „Beseelungslehre“ im Vergleich. Hierbei spielt
der Begriff des Widerstreits nach Francois Lyotard
eine zentrale Rolle (Nicht-Kommunizierbarkeit und
Inkommensurabilität, sprich: Unverträglichkeit).
curare 31(2008)2+3
141
Potthast betonte die Notwendigkeit von Mikrostudien zu diesen Fragestellungen. Das Problem sei,
man sagt „Kultur“, meint aber „Religion“, und umgekehrt. Zentrale Fragen und Anliegen sind seiner
Meinung nach: Wie kann man den Blick schärfen
für die Grundlagen der Diskussion um Religion und
Säkularität? Welche Auswirkungen hat der faktische
religiöse Pluralismus auf die Normsetzung? Dies
sei ein moralisches Dilemma und erfordere mehr
vergleichende Studien zu bioethischen und moralischen Fragen. Ein zentraler Fokus auf Empirie sei
absolut notwendig. Potthast problematisierte den
hohen moralischen Anspruch der Ethiker in ihren
Debatten, deren Zielsetzung aber nicht immer klar
sei, und drängte zum Hinterfragen der theoretischen
Voraussetzungen.
Assia Maria Harwazinski,
Tübingen
Weitere Berichte vorgesehen
DTG Berlin 2007
AG Medanth Berlin 2007
AMADES Aix 2007
142
Berichte / Reports
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Buchbesprechungen / Book Reviews
143
Buchbesprechungen / Book Reviews
Wohlfart Ernestine & Zaumseil Manfred (Hg)
2006. Transkulturelle Psychiatrie – Interkulturelle
Psychotherapie.Interdisziplinäre Theorie und Praxis. Heidelberg: Springer Medizin Vlg., 434 S.,
gebunden. ISBN 978-3-540-32775-2
Von diesem umfangreichen, 14 Bände umfassenden
Werk verspricht die Anzeige des Verlages, welcher
es im September 2006 ausgeliefert hat, dass „Autoren aus Ethnologie, Anthropologie, Psychoanalyse
und Kulturwissenschaften“ mit seiner Hilfe „der
transkulturellen Psychiatrie und Psychologie ein
Gesicht“ verliehen. Dazu paraphrasiert das Vorwort,
das Buch werde – nach einem unbelegten Zitat von
Erich Wulff – die vorgenannten beiden Forschungsund Arbeitsrichtlinien „aus einem wissenschaft­
lichen Niemandsland und Grenzbereich herausholen“ (V, 1).
Achtzehn der Autoren, die sich hierin unterfangen, sind Deutsche, komplettiert durch drei Franzosen und je einen Autor aus Österreich, der Türkei,
den USA, Kanada und dem Senegal. Die Herausgeberin ist promovierte Ärztin, tätig am „Zentrum
für interkulturelle Psychiatrie, Psychotherapie und
Supervision“ (ZIPP) der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie der Charité in Berlin, der Herausgeber Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der FU Berlin und lehrt dort
Klinische Psychologie und Gesundheitsförderung.
Die – römisch paginierte – Einführung vergleicht
die Lektüre des Buches mit einer Reise, von der man
„angeregt und interessiert zurückkehren“ möge,
nachdem man Einsicht in die – anders als bisher –
„gegenwärtig in den kulturwissenschaftlichen Disziplinen entwickelte Konzeption von Transkulturalität“
(XV, letzter Abs.) gewonnen und deren „interdisziplinäre Sprache“ und „eigene Idiomatik“ (XVI) verstanden habe. Zuletzt wird dort auf eine Internetadresse
verwiesen (XVII), hinter welcher sich ein offenbar
erst in Anfängen befindliches „work in progress“ zu
einem Lexikon der Psychoanalytischen Ethnologie,
Ethnopsychoanalyse und interkulturellen psychoanalytischen Therapie verbirgt.
Es gilt nun aus den vier dezimal in 25 Beiträge
weiter untergliederten Hauptteilen zu beschreiben
curare 30(2007)2+3
und zum Teil nur herauszugreifen, was dem Rezensenten bedeutsam erschien.
Kap. 1 des ersten dieser Hauptteile sieht die kulturvergleichende (cross-cultural) Psychologie – in
Anlehnung an Jahoda – in der Tradition des Positivismus und Empirismus stehen, die „Kulturpsychologie“ hingegen als Erbe von Wilhelm Wundts Völkerpsychologie, beide voneinander getrennt durch
eine nicht zu überbrückende theoretische Kluft.
Auch Kraepelins Ansatz einer kulturvergleichenden Psychiatrie wird in diesem Kontext interpretiert
(S. 10). Während Kraepelin von einer „transkulturellen Universalität psychopathologischer Kategorien“ ausgegangen sei, hätten ein knappes Jahrhundert später Kleinmann und Littlewood „die kulturell
spezifischen Ausdrucksweisen für erfahrene Belastungen“ empirisch belegen wollen. Im Spannungsfeld dieser Antinomie habe sich „in den letzten
Jahren die Bewegung der indigenen Psychologien
entwickelt“ (S. 10).
Kap. I/1.5.3 listet „kulturelle Missverständnisse“ auf. Das Kapitel klingt mit einer Diskussion
von „Stress-Copingmodellen“ (1.6.2), Formen der
Krankheitsbewältigung und gemeindepsychologischen Anmerkungen (1.6.3) aus.
Drucktechnisch finden sich kurze Passagen herausgehoben, mitunter mit Ausrufezeichen versehen,
so als gälte es, diese Teile gleich Lehrbuchmaximen
zu memorieren.
In Kap. I/2 werden „Kultur, Universalität und
Diversität“ vertiefter betrachtet. Judith Schlehe,
Ethnologin in Freiburg, warnt jedoch vor unkritischer Umsetzung, wenn sie sagt: „Aussagekräftig
und analytisch wirksam sowie praktisch brauchbar
werden die genannten Konzepte und Ansätze erst
dann, wenn man sie sehr detailgenau und differenziert anwendet“ (S. 55).
Kap. I/3 beleuchtet kurz aus der Feder eines in
Berlin tätigen griechischsprachigen Diplompsycho-
144
logen die „Bildung nationaler Identitäten in der Migration als Bewältigung von Ambivalenzen“.
Kap. I/4 gilt „Transkulturellen Spannungsfeldern in der Migration und ihrer Erforschung“. Eine
mit der Ethnopsychoanalyse vertraute „europäische
Ethnologin“ reflektiert Probleme transkultureller
Forschung auf dem Hintergrund eines Paradigmenwechsels in den Kulturwissenschaften (4.2) und benennt Beispiele ethnopsychiatrischer Therapie aus
Paris und Zürich.
Die Kap. I/5 und I/6 befassen sich mit „Kindheit
und Adoleszenz zwischen verschiedenen Kulturen
und Sprachen“, in einem Falle gestützt auf eigene
Interviews und Ergebnisse einer an dem oben erwähnten „ZIPP“ tätigen Diplompsychologin.
Das zweite Hauptkapitel hat interkulturelle Praxis, nämlich solche transkultureller Psychiatrie,
Ethnopsychiatrie, Ethnopsychoanalyse und transkultureller Psychoanalyse, zum Gegenstand. Tobie
Nathan, Schüler und gewissermaßen Sachwalter des
Œuvres von Georges Devereux, heute als Professor
für Klinische Psychologie und Psychopathologie an
einem unter dessen Namen firmierenden Zentrum in
Saint-Denis tätig, äußert sich vergleichsweise arbiträr; seinen Lehrer zitiert er nicht, obgleich es sich
im vorliegenden Zusammenhang empfohlen hätte,
wenigstens dessen “Mohave ethnopsychiatry”1 zu
erwähnen. Dafür erfahren wir über die „Arbeitsweise am Centre Georges Devereux“, gestützt auf Fallstudien, mehr aus dem folgenden Kap. 8.
Omar Ndoyé, der einzige afrikanische Kontribuent, analysiert an einem einprägsamen Beispiel
„klinische Fehldiagnosen in einer metakulturellen
Situation“ (Kap. 9). Unserer klinischen Realität näher stehen die Falldarstellungen, mit denen das von
der Herausgeberin mitverfassten Kap. 10 endet.
Unter den weiteren Kapiteln des zweiten Hauptteils ist auf die Reflexionen eines in Berlin tätigen
türkischsprachigen Diplompsychologen über den
„Schameffekt in der türkischen Kultur“ (Kap. 16)
hinzuweisen. Ähnliche Beobachtungen hat der Rezensent schon seit vielen Jahren gemacht, freilich
gerade auch schon Türkinnen exploriert, welche
diesen Affekt gleich einem Befreiungsschlag überwanden.
Das dritte Hauptkapitel ist mit „Traditionelle
Heilformen, Spiritualität, Bewältigungsstrategien“
überschrieben und sieht sich im Schnittpunkt von
„Religionswissenschaften, Anthropologie, Ethnologie, transkulturelle(r) Psychiatrie (und) kulturelle(r)
Buchbesprechungen / Book Reviews
Psychologie“. In Kap. 18 stellt der Präsident des
Institutes „Ethno PSY“ am Universitätsklinikum
in Dakar das von den Lebu gegen „Besessenheit“
angewandte Heilungsritual „Ndoep“ dar und nähert
sich seinem Gegenstand vor allem psychoanalytisch. Er zitiert u. a. Collomb, nicht jedoch Carother
oder Lambo. Das Konzept der „Besessenheit“ wendet, nach Feldforschungen in der türkischen Provinz
Trabzon, auch die Wiener Sozial- und Kulturanthropologin Sabine Strasser, dabei den Besessenheitsbegriff feministisch ausweitend, auf türkische
Frauen an (der römisch-katholische Ritus der „Aussegnung“ der Frauen post partum ist inzwischen
offenbar auch in ihrer Heimatstadt aus der Mode
gekommen).
An Hand einer drei Fälle umfassenden Kurzkasuistik wird in Kap. 20 über die Stigmatisation reflektiert. Therese Neumann, die seit 1926 Stigmatisierte
aus dem Markt Konnersreuth, deren Auftreten, auch
als Visionärin, damals kontrovers diskutiert wurde2,
findet sich nicht erwähnt. Die im Zusammenhang
mit dem Fall 2 erwähnte „Teresita del Niño Jesus“
heißt in unserer Sprache übrigens „Hl. Theresia vom
Kinde Jesu und vom heiligsten Antlitz“.
Interessanter ist die „anthropologische Analyse“
einer Amerikanerin über „Spiritismus und Psychiatrie in Brasilien“, einem Land, in welchem nach
Kenntnis des Rezensenten der Psychiater, um sich
ein Zubrot zu verschaffen, eine Kultgemeinschaft
von der Art des Condomblé gründen kann (vgl.
dazu die seinerzeit vom Rezensenten angeregte Besprechung durch Boroffka3 in dieser Zs.).
Im Kap. 22 beschreibt der Mitherausgeber diese
Buches den „,alltäglichen Umgang‘ mit Schizophrenie in Zentraljava“ an Hand von 89 Interviews und
acht eingehenden Fallstudien (die Stichprobe findet
sich in Tab. 22.1 beschrieben), gewonnen im Jahre
1991/92 sowie auf einer kurzen Nachuntersuchung
im Jahre 2003 basierend. Wolfgang M. Pfeiffer wird
mit einem Beitrag aus dem Jahre 1967 zitiert, nicht
jedoch dessen „Transkulturelle Psychiatrie“, in welcher sich auf S. 23-44 zu diesem Thema vielerlei
Wissenswertes ausgeführt findet.
Der vierte und letzte Teil des besprochenen
Bandes hat einige „Konzepte (und) Phänomene in
kulturellen Kontexten“ zum Gegenstand, beginnend mit dem der „Somatisierung“ (Kap. 23), gefolgt von der „Konzeption des ,Selbst‘“ (Kap. 24)
und der Verarbeitung des „Traumas“ vom 11. Sept.
2001 in den USA. Zum „Selbst“ hätte sich AndreVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Buchbesprechungen / Book Reviews
as Heinz zuvor besser in Schönpflugs 22-spaltigem
Beitrag im Hist. Wb. Philos.5 eingehender belesen,
und Michael Kraus, der Verfasser des Kapitels über
„Somatisierung“ konnte die seinem Thema zugehörige Arbeit von Freudenmann et al.6 vielleicht
gerade noch nicht berücksichtigen. Dem Beitrag
dieses Kollegen, tätig in der „Abteilung für kulturell integrative Psychotherapie“ des „Zentrums für
Soziale Psychiatrie Mittlere Lahn“ in Marburg, dem
ehemaligen psychiatrischen Landeskrankenhaus
dortselbst, merkt man bei aller Berücksichtigung
älterer Literatur übrigens an, dass sein Verfasser
solide ärztlich-therapeutisch zu arbeiten gelernt hat.
Der Trauma-Aufsatz von Young (Kap. 25) aus dem
Department of Social Studies of Medicine der McGill-Universität in Montreal, jener Hochschule also,
deren “Division of Social & Transcultural Psychiatry” ihrer psychiatrischen Abteilung wir in besonderer Weise mit der „Transkulturellen Psychiatrie“
verbinden7 , liefert eine Metaanalyse von 18 Studien
zur Posttraumatischen Belastungsstörung. Von den
Kriterien der DSM-IV ausgehend, sind seine Überlegungen zu einer derartigen Störung der virtuellen
Art (25.3.2), einer „Lebensform“, die – „stufenweise revidiert und ausgearbeitet“ – Ende des 19. Jhds.
ihren Anfang genommen habe, äußerst bemerkenswert. Von Interesse ist schließlich die in diesem
Beitrag gelieferte Diskussion zur „Resilienz“8 , der
Fähigkeit nämlich, „zum Status quo ante zurückzukehren“, demnach zu einer „restitutio ad integrum“,
und sei es unter Psychopharmakotherapie, die in
diesem Zusammenhang neu zu überdenken vorgeschlagen wird.
Abschließend findet man das Namen- in das
Sachverzeichnis integriert. Mit fallender Häufigkeit werden die folgenden Autoren zitiert: Freud
(23), Devereux (19), E. Wulff (9), Pfeiffer (8), H.
B. M. Murphy (2), Boroffka (0). Auf DSM-III und
‑IV wird dreimal, auf die ICD-10 zweimal Bezug
genommen.
Insgesamt lässt dieses Gemeinschaftswerk den
Rezensenten nicht ohne ein Gefühl des Zwiespalts
zurück. Um dessen Ursache näher zu kommen, müsste man – wie eine große Tageszeitung in ihrer Leitglosse9 gerade sagt, – „die Gemeinsamkeit in jeweils
persönlich zurechenbare Absichten aufdröseln“, was
hier nur andeutungsweise geschehen kann. Die Hoffnung auf Beförderung akademischer Karrieren oder
auch nur die Rechtfertigung einer Facette des auf
diesem Weg Erreichten wirkt ohne Zweifel konstelcurare 30(2007)2+3
145
lierend. Hierfür steht heute die Rede von der „Interdisziplinarität“10, deren sich, als sie aufkam, alsbald
die deutsche Sozialmedizin bediente.11
Der Versuch, transkulturelle Psychiatrie mit
ebensolcher Psychologie gleich einem Teig zu verrühren und zu verkneten, auf dass sich der Leser des
Produkts je nach Gusto bediene, verleiht der klinischen Psychologie, welche einer der Herausgeber
vertritt, und die heute von 70% der Psychologiestudenten angestrebt wird, ein seltsames Übergewicht,
welche in der Praxis, die sich nach den Regeln des
Psychotherapeutengesetzes seit dem 1.1.1999 eingespielt hat, keine Entsprechung findet. Dies gilt
gerade auch für die in diesem Buch überzufällig
häufig zu Wort gekommene analytische Psychotherapie, die selbst dann, wenn man sie nur im „analytisch orientierten“ Sinne Migranten zugute kommen
lassen wollte, Muttersprachlichkeit des Therapeuten
voraussetzt.
An einer Klientel, deren Bedürfnisse transkulturell-psychiatrische Kenntnisse erheischt, mangelt es
freilich nicht, nur fehlt es – um für den Berufsstand
des Rezensenten zu sprechen – dem niedergelassenen Arzt und Facharzt ebenso wie dem Kliniker
schlicht an Zeit, um Kenntnisse, wie sie ihm dieses
Buch vermittelt, umzusetzen. Allenfalls der psychiatrische Gutachter für die gesetzliche Rentenversicherung, aber auch im sozialen Entschädigungs- und
Schwerbehindertenrecht, ja selbst noch in Strafsachen, sollte – sich stets eines geeigneten sowie
öffentlich bestellten und beeidigten Dolmetschers
bedienend – vermehrt transkulturell-psychiatrische
und ‑psychologische Gesichtspunkte beachten. Dies
allein zur „engen Verzahnung zwischen Theorie und
Praxis“, welche die für den Buchhändler gedachte
Antwort auf Suchanfragen als „wesentlich für den
Leser“ dieses Buches betrachtet! Zwar bleiben
Theo­rie und Praxis nun einmal aufeinander verwiesen12 , doch hätte sich der Rezensent, nachdem
Pfeiffers „Transkulturelle Psychiatrie“ beim Verlag
„restlos vergriffen“ ist13 , zunächst doch einmal eine
vornehmlich die Situation in Deutschland ins Auge
fassende Darstellung einer quasi speziellen transkulturellen Psychiatrie gewünscht, die nicht ohne
Hinweise zu Fragen der Therapie psychisch Gestörter hätte bleiben können. Schließlich umfasst allein
der Anteil von „Personen mit Migrationshintergrund“ an der Gesamtbevölkerung der Hauptstadt
Baden-Württembergs, in welcher sich der Rezensent im Jahre 1970 als junger Oberarzt erstmals mit
146
„Gastarbeitern“ konfrontiert sah, denen er fortan
eine Reihe von Studien widmete, inzwischen 38%
und ist, unter vielfältigen Umschichtungen, seitdem
um 24% gewachsen.14 Selbst sieht er heute gar noch
Donauschwaben, Wolgadeutsche und Deutsche aus
Polen, deren Repatriierung die der jetzigen vorangegangene Bundesregierung erleichtert hatte. Allein
“offshoots” i. S. von H. B. M. Murphy kann man
aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht dingfest
machen, was den Weg zu größeren epidemiologischen Studien aus offiziellen Quellen versperrt.
Eine auf Deutschland zugeschnittene “Comparative
Psychiatry” i. S. jener von Murphy15 wird es deshalb
nicht geben.
Ein Sammelwerk wie das vorliegende zu erstehen wird schon angesichts seines Preises (69,95
Euro) überwiegend Bibliotheken vorbehalten bleiben, wonach der Verlag die Auflage wird bemessen
haben. Auch dieser Umstand wird der Wirkung dieses Buches, sosehr dessen Edition bei aller geäußerten Kritik als „Wagnis“ doch wieder Bewunderung
verdient, Grenzen setzen.
Dieter H. Friessem
Anmerkungen
1. Devereux, G. 21969. Mohave ethnopsychiatry and suicide.
Washington: ?????.
2. Seidl, O. 2008. Zur Stigmatisation und Nahrungslosigkeit der
Therese Neumann (1898-1962). Nervenarzt 79: 836-844.
3. Boroffka, A. 1983. Rezension von Hubert Fichte 1980. Psyche – Anmerkungen zur Psychiatrie in Senegal. Frankfurt am
Main: Qumram Verlag, in Curare 6,1: 10.12.
4. Pfeiffer, Wolfgang M. 2 1994. Transkulturelle Psychiatrie.
Stuttgart/N.Y.: Thieme.
5. Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1995. Bd. 9. Basel:
Schwabe.
6. Freudenmann, R. W., Schönfeldt-Lecuona, C. 2005. Das Syndrom der genitalen Retraktion aus der Sicht der transkulturellen Psychiatrie. Nervenarzt 76: 569-580.
7. Die mit Vol. 1 im Jahre 1964 nach Vorgängern seit dem Jahre
1962 neu begründete Zeitschrift Transcultural Psychiatry wird
derzeit im 45. Jg. bei Sage/London verlegt; Editor-in-Chief:
Laurence J. Kirmayer, McGill Universität, Montreal.
8. Vgl. dazu Anm. 6 zum Aufsatz von Helmut Jäger in Curare
30, 2+3(2007)205.
9. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4.9.2008.
10. Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1976. a.a.O., Bd. 4:
476-478.
11. Ferber Chr. von et al. 1975. Interdisziplinarität, ein Kernproblem der Sozialmedizin – der Beitrag der Medizinsoziologie
und der Sozialpsychiatrie. In Blohmke M. et al. (Hg.). Hb. d.
Sozialmedizin in drei Bänden. Stuttgart: Bd.1:26 ff.
12. So auch kurz Stachowiak, H. 1987. Was ist eigentlich Praxis.
Dt. Ärztebl. 84, C-1447/48.
13. Tel. Ausk. d. Vlgs. v. 4.9.2008.
14. Tel. Ausk. d. „Bürgerservice Statistik“ d. Stat. Amts d. Stadtverwaltung Stuttgart v. 5.9.2008.
15. Murphy, H. B. M. 1982. Comparative Psychiatry. Berlin:
Springer, vgl. dazu die Rez. d. Verf. in Curare 5,4: 258f .
Buchbesprechungen / Book Reviews
Petersen Helga & Krikellis Alexander (Hg)
2006. Religion und Heilkunst der Toba-Batak
auf Sumatra. Überliefert von Johannes Winkler
(1874-1958). (Reihe: Archiv- und Museumsstiftung Wuppertal, InterCultura. Missions- und
Kulturgeschichtliche Forschungen. Bd. 6/7).
Köln: Rüdiger Köppe Verlag. 453 Seiten; 3
Karten, 67 s/w-Fotos, 42 Zeichnungen, 6 Faksimile-Reproduktionen, 1 gefaltete Faksimile-Reproduktion eines Batak-Kalenders als Beilage,
Sachregister. Geleitwort von Wilfried Wagner
auf Deutsch und in indonesischer Übersetzung,
sowie eine Vorwort von Achim Sibeth. Fadenheftung, Hardcover. ISBN 978-3-89645-445-4.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte und arbeitete
der Missionsarzt Johannes Winkler vierundzwanzig Jahre im Gebiet der Toba-Batak auf Sumatra.
Dorthin war er von der Rheinischen Mission gesandt worden, um die europäischen Bewohner der
Missionsstation Pearadja und die christlichen Glaubensnovizen, medizinisch zu versorgen. Winkler
verstand seine Aufgabe insbesondere darin, „[…]
dem Werk der Barmherzigkeit zum Bau des Gottesreiches unter den Heiden“ (S. 431) zu Anerkennung
zu verhelfen.
Kaum auf Sumatra angekommen, begann er,
Alltags- und Ritualgegenstände zu sammeln. Damit
handelte er gegen die gängige Praxis protestantischer Missionare. Sie forderten von der lokalen
Bevölkerung, beim Übertritt zur neuen Religion
ererbte Ritualgegenstände öffentlich zu vernichten.
Winkler erhielt nun von befreundeten Missionaren
die Erlaubnis, Objekte der lokalen materiellen Kultur vor der Zerstörung zu bewahren. In der Folge
entstand einen Sammlung, die er dem Hamburger
Völkerkundemuseums zur Verfügung stellte. Leider
ist der größte Teil dieser Ethnographica, die Winkler
noch vor den protestantischen Missionaren retten
konnte, im 2. Weltkrieg in Deutschland durch Bombenangriffe zerstört worden. Nur Bestandslisten im
Museum und in Winklers Nachlass können noch
einen Eindruck von der nun unwiederbringlich verlorenen Sammlung geben. Ebenfalls bei Bombenangriffen wurden die meisten Exemplare von Winklers Buch, das er über „Die Toba-Batak auf Sumatra
– in gesunden und kranken Tagen; ein Beitrag zur
Kenntnis des animistischen Heidentums“ (1925)
geschrieben hatte, zerstört. Jetzt, viele Jahrzehnte
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Buchbesprechungen / Book Reviews
später, wurde es, in erweiterter Form und durch eine
Biographie Winklers ergänzt, neu aufgelegt.
Winklers Schriften sind eine wissenschaftliche
Rarität. Schon allein die Tatsache, dass er über die
Toba-Batak schrieb, ist aus heutiger Sicht etwas
Besonderes, denn er war zu einer Zeit auf Sumatra,
als die lokalen Ethnien starkem Veränderungsdruck
ausgesetzt waren. Kontakt mit europäischen Missionaren zwang sie zu kulturellem Wandel, dessen
Ausprägungen heute beobachtet werden können.
Deshalb bietet Winklers Datensammlung einzigartiges Material für Vergleichsuntersuchungen. Besonders wertvoll sind seine Daten, weil er sie weitgehend vorurteilsfrei präsentiert. Dies gelingt ihm,
indem er zur Erläuterung lokalsprachlicher Termini
eine ethnographische Perspektive einnimmt. Die
Bedeutung der Termini erläutert er ausführlich, anstatt sie eins-zu-eins zu übersetzen. Auch seine Kulturbeschreibungen sind weitgehend ethnographisch
neutral, (fast) ohne persönliche Wertung. Winkler
macht die emische Perspektive zu seiner eigenen.
Der Perspektivenwechsel ergab sich aus seiner
Forschungssituation, denn es gelang ihm, sich mit
einem datu, einem Spezialisten der lokalen Medizin, anzufreunden. Die beiden führten interkulturelle Expertengespräche über Medizin, was Winkler
in die Position eines Lernenden versetzte. Diese
Perspektive behielt er in seinen Schilderungen der
Batak-Kultur bei.
Winklers Vorgehen ist bis heute unter Medizinern selten, und war zu seiner Zeit selbst unter
Ethnologen nicht weit verbreitet. Nur drei Jahre vor
Erscheinen der „Toba-Batak“ galten Malinowskis
Forderungen, die bei der Erforschung fremder Ethnien eingehalten werden sollten, als revolutionär. In
seiner Dissertation: „Argonauts of the Western Pacific“ (1922) hatte Malinowski gefordert, was Winkler vermutlich ohne dessen Schriften zu kennen, und
ohne es als Methode zu formulieren, einfach machte.
Zur Erforschung einer Ethnie sollte man mindestens
ein Jahr in der Region leben, die Lokalsprache sprechen und am Leben der lokalen Bevölkerung beobachtend teilnehmen. Winkler lebte zwar mit seiner
deutschen Frau und den gemeinsamen Kindern auf
einer Missionsstation und folglich etwas distanziert
zu den Batak, nahm aber durch seine Tätigkeiten als
„Hausarzt“ am Leben der Batak aktiv Anteil. Nach
einiger Zeit beherrschte er auch die Sprache der Batak in Wort und Schrift. Die Schrift lernte er von
dem bereits erwähnten datu. Durch das Erlernen
curare 30(2007)2+3
147
der Batak-Schrift erfüllte Winkler die Grundvoraussetzung, Spezialist der lokalen Medizin zu werden.
Sobald diese Voraussetzung erfüllt war, führten die
beiden Spezialisten Expertengespräche. Die Inhalte dieser Fachgespräche interkultureller Wissenschaftskommunikation veröffentlichte Winkler in
seinem Buch über die Toba-Batak.
Besonders eindrucksvoll schildert Winkler die
einzelnen Schritte, die zum Erlernen der BatakSchrift notwendig sind. In dieser auf das Pali
Südindiens zurückgehenden Schrift werden die
medizinischen Fachbücher, die sogenannten BatakZauberbücher geschrieben. Den umfangreichsten
Teil Winklers Beschreibungen nimmt das Kapitel
zum „Heilen und Schützen von Leben“ ein. Mit
dem daran anschließenden Kapitel über die „Vernichtung von Leben“ folgt er der lokalen dualistischen Weltvorstellung: etwas Positives existiert
immer gleichzeitig mit seinem Gegenteil. Dieses
„negative“ Kapitel fällt allerdings wesentlich kürzer aus, als das über „Heilen und Schützen“. Das in
diesen beiden Kapiteln niedergeschriebene Wissen
eines datu reicht noch nicht aus, um ihn handlungsfähig zu machen. In der Praxis konnte er nur aktiv
werden, wenn er einen „immerwährenden“ Kalender besaß, den er nach eigenen Beobachtungen der
Himmelskörper anlegen und mit seinen Kenntnisse
zur Orakelbefragung in Einklang bringen musste.
Auch dieses Wissen gibt Winkler so detailliert wieder, als schriebe er ein Lehrbuch für einen datu.
Die besondere Leistung der jetzigen Herausgeber
von Winklers Schriften besteht darin, dass sie Winklers Nachlass und seine Familiengeschichte recherchierten. Dadurch war es ihnen möglich die jetzige
Veröffentlichung der „Toba-Batak“ von Winkler
um einige wesentliche Teile zu ergänzen. Sie fanden und veröffentlichen nun das aus Kostengründen
um ca. 50 Seiten gekürzte Originalmanuskript von
Winklers Buch, fügten noch einige Manuskripte
Winklers bei, die entweder noch nie veröffentlicht
wurden oder in ihrer gedruckten Fassung nur noch
schwer zugänglich sind. Die umfangreichsten Texte
in dieser Sammlung handeln vom Hebammenwesen
der Batak, vom Musikleben und der Batak-Schrift.
Den Abschluss des vorliegenden Bandes bilden die
bibliographischen Angaben seiner Veröffentlichungen und Manuskripte.
Der Band wird durch eine Biographie Winklers
eingeleitet. Damit wird eine moderne Forderung an
eine Ethnographie erfüllt. Dem Leser wird die Mög-
148
lichkeit gegeben, Winklers Beschreibungen in ihrer
lebensgeschichtlichen Gebundenheit einzuordnen.
Diese Einordnung gelingt auch durch die Privatphotos und das mit handschriftlichen Notizen Winklers
versehene Faksimile eines „immerwährenden“ Batak-Kalenders.
Insgesamt ist die Veröffentlichung ein gut recherchiertes Zeitdokument, das Historikern, Regional- und Religionswissenschaftlern, wie auch
Sozial-, Kultur- und Medizinethnologen wertvolles
Datenmaterial zum Vergleich mit heute Beobachtbarem – nicht nur bei den Batak – bietet.
Plurale Wissenssysteme, nicht nur im medizinischen Kontext, und religiöse Heterogenität prägen
das heutige Indonesien. Die Vielfalt erfordert von
denjenigen, die Hilfe bedürfen, eine Entscheidung.
Die Entscheidungsfindung ist wesentlich durch die
Erfahrungen beeinflusst, die auf eine Zeit zurückgehen, in der westliche Medizin neu war, und Missionare und Ärzte ausschließlich als Team auftraten.
Heute lässt man sich nach Möglichkeit von jemandem helfen, der den gleichen Glauben wie der Kranke hat. Wählt man einen anderen Arzt, dann fürchten viele, dass von ihnen der Übertritt zur Religion
des Arztes als Gegenleistung erwartet wird. Diese
Befürchtung fügt sich auch in die Prinzipien einer in
ganz Indonesien anzutreffenden Tauschgesellschaft,
wie sie von Marcel Mauss beschrieben wird. Jede
Gabe muss mit einer Gegengabe erwidert werden.
Susanne Rodemeier, Universität Passau,
Lehrstuhl für Insulares Südostasien
Buchbesprechungen / Book Reviews
Bereich ihre Anerkennung und Anwendung finden.
Nun mag zwar der aufgeklärte Mensch grundsätz­
liche und auch berechtigte Zweifel an der Heilsamkeit von verschiedenen überlieferten Praktiken
hegen, Tatsache ist, dass die Verwendung von natürlichen Ressourcen eine wesentliche Lebensgrundlage für jede Kultur bedeutet hat und immer noch
bedeutet. Wir neigen heute gerne dazu, fremden,
exotischen Traditionen gläubig zu folgen – in der
Hoffnung, Erkenntnisse über die verschiedensten
körperlichseelischen Zusammenhänge zu erlangen.
Heimische Mittel – speziell wenn sie in Verbindung
mit Ritualen angewendet werden – fallen dagegen
häufig unter Aberglauben und werden mangels wissenschaftlicher Beschäftigung als Kurpfuscherei und
Scharlatanerie abgetan. Die Verbindung von bereits
dokumentiertem Wissen mit Ergebnissen aus der
Feldforschung kann für weiterführende Forschungen eine Basis bieten, dieses alte Wissen zu evaluieren und kritisch zu durchleuchten. In jedem Fall ist
damit ein sensibles und schwer zugängliches Thema
unserer Heiltradition vor dem Vergessen bewahrt.
(Aus dem Vorwort von Maria Walcher, Österreichische UNESCO-Kommission/Nationalagentur für
das immaterielle Kulturerbe).
Siehe auch Eichelter I. 1986. „Kinder – Einräuchern“ – eine Säuglingsberuhigung in der Steiermark. Curare 9,3:283-288 //
Ekkehard Schröder
Pohl-Sennhauser, Ida 2007. Rattenschwanz und
Schneckenschleim. Wien: Böhlau, 272 Seiten,
ISBN 978-3-205-77702-1 www.boehlau.at
Angesichts dieser Sammlung von Rezepturen und
Anwendungsmöglichkeiten aus dem Tierreich sind
die erwartbaren Reaktionen ungläubiges Staunen
über Schmunzeln und Neugier bis zum tiefsten Ekel.
Schnell fühlt man sich in mittelalterliches Gedankengut zurückversetzt, in die sprichwörtliche Hexenküche, und nur die damalige Unwissenheit der
Menschen konnte derartige Heilmethoden überhaupt
zulassen. Aberglaube oder vergessene Volksmedizin?
Wenn wir heute im Bereich der Heilmittel über lokales Wissen nachdenken, so fallen uns zunächst sicher Heilkräuter und damit in Verbindung stehende
alte Hausrezepte ein, die nach wie vor im privaten
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
Zeitschriften / Journals:
Besprechung und Dokumentationen
/ Review and Documentation
Migration Islam Psychoanalyse. (Themenheft)
Psyche Nr. 11/2007 (Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen). Stuttgart: KlettCotta: 61,11(2007) 1093-1185. www.psyche.de
Drei Spezialisten auf dem Gebiet der Psychotherapie
und Psychoanalyse setzen sich in diesem Heft mit
dem Thema „Islam“ bzw. Muslime in der psychiatrischen Behandlung auseinander: Aydan Özdaglar,
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in
Freiburg im Breisgau, Makrokh Charlier, Psychoanalytikerin, Gruppenanalytikerin und Supervisorin
in Frankfurt am Main, und Jad Jiko, Psychoanalytiker in Berlin.
Irgendwie anders – deutsch-türkischen
Psychoanalysen
In ihrem Aufsatz „Irgendwie anders“ – Über
Schwierigkeiten in deutsch-türkischen Psychoanalysen“ weist Ayan Özdaglar gleich zu Beginn darauf
hin, dass das Interesse für psychoanalytische Therapie in den letzten Jahren zwar allgemein abnahm,
dafür die Anzahl von Migranten in psychoanalytischen Praxen deutlich zugenommen habe. Den
Hauptanteil der Patienten bilden türkisch-muslimische Frauen, insbesondere junge, die in Deutschland
geboren oder aufgewachsen sind. Sie kommen in
der Regel mit dem Verhältnis Arzt-Patient/in nicht
gut klar, wenn der Arzt ein Deutscher ist. Özdaglar
führt die Schwierigkeiten auf Kommunikationsprobleme zurück, die im beidseitigen Fehlen des Verständnisses der „Sprache“ bzw. „Bilder“ oder „Muster“ der jeweils anderen Kultur begründet sind und
führt die grundsätzlichen Probleme darauf zurück,
dass die Herausbildung der psychoanalytischen
Theorie in der jüdisch-christlichen Tradition wurzelt, nicht in der islamischen. Die Schwierigkeiten
einer effektiven Behandlung zwischen deutschem
Arzt und türkisch-muslimischem Patient, besonders
Patientin, liegt folglich in einer Art „Übersetzungsproblem“: Es fehlt das richtige Instrumentarium an
Sprach- und Bilder- bzw. Ausdruckswelt, es mangelt
am Vorhandensein der erforderlichen semiotischen
„Technologie“ bei den beiden in der Behandlung
Beteiligten. Die Situation der weltweiten Migration
curare 31(2008)2+3
149
und die allgemeine Globalisierung macht das Hintergrundwissen über fremde Kulturen zunehmend
wichtiger. Mit modernen literarischen Beispielen
(Orhan Pamuk), drastischen Beispielen von familiären und ehelichen Gewalterfahrungen aus Studien
und eigener Praxisarbeit sowie einem Exkurs über
die jüngere Geschichte der Türkei (Osmanisches
Reich und Atatürksche Zwangs-Säkularisierung mit
den Auswirkungen auf und für das Geschlechterverhältnis) beschreibt sie Schwierigkeiten ihrer in der
Regel weiblichen Patienten, die aus einem gespaltenen Land nach Deutschland kamen und hier neue
Formen der Spaltung individuell und kollektiv erleben, an denen sie zu zerbrechen drohen und krank
werden. Die Diagnose und Behandlung muss die
Herkunftsgeschichte und evtl. die zur Gesundung
notwendige innerliche „Trennung“ von der Heimat
mit berücksichtigen.
Macht und Ohnmacht
Makrokh Charlier setzt sich mit der „Macht und
Ohnmacht“ in der religiösen Tradition und der Sozialisation der muslimischen Männer auseinander.
Zu Beginn verweist sie auf den absolutistischen Anspruch islamischer Theologie, die Idealisierung der
Vergangenheit und Tradition und die starre autoritär-patriarchalische Erziehung, die – im Gegensatz
zur auf Individualität ausgerichteten westlichen Erziehung – auf Gruppenidentität ausgerichtet ist und
wenig Spielraum für Ambivalenz und eigenständige
Individualentwicklung lässt. Zugespitzt ausgedrückt
wird dies in einem Zitat des (für die islamistische
Szene sehr wichtigen; Anm. der Autorin) hanbalitischen Theologen und Juristen Ibn Taimiya: „Tausend Jahre Tyrannei sind besser als ein Tag Anarchie“, das Charlier an den Beginn ihres Aufsatzes
gesetzt hat. Ähnlich wie Özdaglar sieht Charlier das
Problem zunächst als eines unterschiedlicher Kommunikationsmuster und betont die ausdrücklich religiöse Kodierung der islamischen Welt, die deutlich
stärker sei als diejenige der westlichen, christlichmosaischen Tradition. Nach einer kritischen und offenbar unerlässlichen Erörterung der Thematik von
Säkularisierung und Aufklärung, die – zitiert nach
Dan Diner – alle Lebensbereiche umfasse, nicht nur
den religiösen, wird nach einen kurzen Blick auf
koranische Dämonologie (der dschinn als Keim der
Veränderung, als Ausdruck von Ambivalenz und Herausforderung, am Beispiel der Versuchung Adams
als Prototyp des Menschen schlechthin; S. 1119)
150
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
über „Das Ideal und der Glaube an den Ursprung“
zur Frage der „religiösen Autorität“ übergeleitet, die
zugleich die väterliche Autorität herausfordert. Das
zentrale Beispiel hierfür bildet die Geschichte von
Abraham, Isaak (Bibel, Altes Testament) und Ismael
(Koran): Während die biblische Version die Opferung des Sohnes (Isaak) durch den Vater (Abraham)
dem Sohn verschweigt, spricht Koransure 37, 102
deutlich davon, dass der Sohn von der väterlichen
Traumvision von diesem selbst erfährt: „Ich sah im
Traum, dass ich dich schlachten werde …“, worauf
der Sohn antwortet: „Vater! Tu, was dir befohlen
wird! Du wirst, so Gott will, finden, dass ich (einer)
von denen bin, die (viel) aushalten können“. Im Gegensatz zur jüdisch-christlichen biblischen Tradition, in der das Menschenopfer des kleinen, vertrauenswürdigen und den Vater liebenden Sohnes Isaak
in letzter Minute durch die Autorität Gottes selbst
verhindert wird, indem er Abraham eine Ziege als
Tieropfer schickt, bleibt im islamischen Kontext
das Sohn-Opfer erhalten, worauf sich der gesamte
gesellschaftliche Komplex männlicher Autoritätsstrukturen aufzubauen scheint. Charlier liefert eine
scharfe kritische Darstellung der traditionellen islamischen Erziehung und Trennung der Welten nach
Geschlechtern, die für sie die Ursache für die typisch
islamische Intoleranz gegenüber jeglicher Ambivalenz ist, die sie aus ihrer klinischen Erfahrung kennt.
Sie beschreibt, dass es selten kritische Äußerungen
in bezug auf die Väter gäbe, die in der Regel inhaltsleer idealisiert und unantastbar verbrämt werden (S.
1126). Das Verhältnis gipfelt in Hass, der von Gehad
Mazaweh in dem von ihr zitierten Aufsatz „Sterben
und Lebenwollen“ wie folgt zitiert wird: „Der Hass
auf den Vater und die Todes- und Mordwünsche werden aus Angst- und Schuldgefühlen verdrängt. Die
Ängste der Knaben in vielen arabischen Familien
werden bestätigt durch die Gewalttätigkeit der Väter,
die Angst bleibt nicht nur im Bereich der Phantasie,
sondern ist eine Realität, von der das Kind physisch
und psychisch vergewaltigt wird. (…) Die Furcht
vor dem Vater zwingt die Söhne, ihre Hassgefühle
zu verdrängen, den Hass nicht bewusst werden zu
lassen. Kaum ein arabischer Sohn würde mit einem
bewussten Hass gegen den Vater leben können. Der
Sohn zieht sich zurück.“ (S. 1125). Der Sohn unterwirft sich der väterlichen Autorität genauso wie
derjenigen Gottes; beides scheint sich gegenseitig
zu bedingen und der zentrale Strang der traditionellen islamischen Erziehung zu sein. Symbolisch wird
dies im islamischen Kontext im Ritual der Knabenbeschneidung zwischen dem 5. und 10. Lebensjahr,
die zugleich die absolute, unwiderrufliche Trennung
von der Mutter und der Welt der Frauen nach sich
zieht und den kleinen Jungen drastisch und rigoros
in die Welt der Männer einführt, aus der es kein
„zurück“ mehr gibt. Die festliche Inszenierung der
Knabenbeschneidung im Islam, die mit männlichen
„Kastrations“-Drohungen gegenüber den betroffenen kleinen Jungen einhergehen, veranschaulicht
dies nachvollziehbar (S. 1127f). Für Charlier liegt
genau hier die Quelle und Ursache der notwendigen
Behandlung von Muslimen, sei sie nun individuell
oder kollektiv. Die Erschütterung des männlichen
Autoritätsverlustes durch die globalen Entwicklungen und nicht aufzuhaltende Frauenemanzipation
bringt sowohl die individuelle männliche Autorität
ins Wanken als auch das gesamte religiös-patriarchalische System des Islam, was zumindest einen
wichtigen – vielleicht den wichtigsten – Aspekt der
Erklärung für Hass und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Ungläubigen, gegenüber Abweichlern und „dem Westen“ darstellt.
Idealisierung des sexuellen Triebes im Islam
Jad Jiko beginnt seinen Aufsatz „Die Idealisierung
des sexuellen Triebes im Islam“ mit einer Darstellung der Sexualitätskonzeption im Islam in Verbindung mit der Sakralitätsauffassung. Die Sexualität
zwischen Mann und Frau bildet im Islam die Essenz
der von Gott geschaffenen kosmischen Ordnung,
ist hier also ein Abbild der universellen Ordnung.
Unter Berufung auf muslimische Soziologen und
Denker (Bouhdiba, Abu Hamid al-Ghazali, Benslama u.a.) stellt Jiko die islamische Sexualethik
dar, in der die sexuelle Funktion als sakrale gewertet wird und weist in dem für die islamische Welt
zentralen Text Ghazalis, die „Wiederbelebung der
Religionswissenschaft“, zugleich auf das, für den
Islam typische, deckungsgleiche Verständnis von
Geschlechtsverkehr und Heirat hin (S. 1133). Sex
wird verstanden als göttliche Leihgabe einer besonders lustvollen Fähigkeit und zugleich als Auftrag,
der ausgeführt werden muss, als Gabe von Gott an
den Menschen. Jiko stellt eindrucksvoll die Lücke
im kulturell definierten Sprachgebrauch im Arabischen dar, die der tunesische Psychoanalytiker
Benslama in Theorie und Praxis nachgewiesen hat:
Es gibt keinen eigenen Begriff für Sex im Arabischen, was dazu führt, dass männliche Patienten in
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
der Therapie Schwierigkeiten haben, über sexuelle
Beziehungen zu sprechen (S. 1134ff.). Sie benutzen
in der Regel andere Worte, wie „ğins“ (was eigentlich Geschlecht, Klasse oder Rasse bedeutet und
ein Wort aus der Botanik und Zoologie ist). Das im
Deutschen in der Regel mit „Scham, Keuschheit,
Sittsamkeit“ usw. übersetzte koranische Wort „farğ“
bedeutet wortwörtlich: Schlitz, Spalt, Vulva, Scheide. Es wird durch diese schamhafte Übersetzung
folglich um seine naturhafte Bedeutung gebracht,
die den ursprünglichen kulturellen Kontext verschiebt (man könnte auch sagen: „christianisiert“).
Jiko macht den Zusammenhang zwischen Sexualität
und Recht im Islam deutlich (Konzept der Sexualität
zwischen Nutzungs- und Eigentumsrecht), die die
Situation in einer auf stammesrechtlicher Ordnung
basierenden Gesellschaft wiederspiegelt und benutzt hierzu u.a. religionswissenschaftliche Grundlagenwerke ( z.B. Mauss, Godelier). Der Sex nach
dem Gesetz im Islam umfasst ethische und rituelle
Reinheit, zit. nach Bouhdiba: „Der Koitus ist kein
Eindringen in die Welt des Teufels, sondern in die
Welt der sa­kralen hohen Macht“ (S. 1138). Somit ist
„nikah“ (Geschlechtsverkehr) gleichbedeutend mit
„Ehe, Heirat“, im Unterschied zu „zina“ (Unzucht,
d.h.: Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe). Unter Anführung der koranischen Schöpfungsmythen
über die Irdisch-Werdung Adams, der sich mit Eva
in Mekka paarte (Tabari, Annales; S. 1139) und mit
der Josef-Geschichte (Koran Sure 12; Bibel/Genesis 39), wo die Verstrickung des Erotischen mit dem
Heiligen und dem Verbotenen sehr deutlich wird:
Der junge Josef will sich nicht von der Frau seines
Herrn verführen lassen, weil er damit „zina“ begehen würde, denn sie ist verheiratet und der „Besitz“
(haram = verboten für alle Anderen) seines Herrn (S.
1140ff.). Das Fehlen der Idee der Erbsünde und der
Praxis der Beichte im Islam mag ein Faktor für das
Fehlen der Subjektwerdung im Kontext der Sexualität sein; ob dies alleine ausreicht für die Erklärung
von Aggression und Gewalt sei dahingestellt.
Die Schlussfolgerung Jikos lautet, dass die im
Islam inhärente Dynamik der sexuellen Teilhabe
an der göttlichen Schöpfung eine, vermutlich unbewusste, Idealisierung des sexuellen Triebes und des
sexuellen Aktes zur Folge hat. Ob man soweit gehen
muss, die sexuellen Paradiesesvorstellungen von
den wunderschönen Jungfrauen im Koran nun gleich
als „Abbild des göttlichen Sex“ zu verstehen, die die
„Lücke in der (reifen) Identifikation mit dem realen
curare 31(2008)2+3
151
Penis des Vaters“ füllt (vgl. S. 1146), erscheint mir
persönlich etwas überzogen. Diese Paradiesesvorstellung ist aber, genauso wie die rigide soziale Geschlechtertrennung, der „Kult der Mütter“ und der
hohe Wert der Jungfräulichkeit offenbar symptomatisch und zentral für das Verständnis der Geschlechterbeziehungen und der Sexualitätskonzeption in der
islamischen Welt, die unter den Auswirkungen derselben zunehmend leidet, da sie in der Moderne so
traditionell nicht mehr aufrechtzuerhalten sind. Die
muslimische Frau erhält ihre soziale Macht vor allem
in ihrer Rolle als Mutter; dies wird aber immer stärker in Frage gestellt. Jiko sieht die Sprengkraft der
Bilder in Theo van Goghs Film „Submission“ von
2004 vor allem darin, dass dort eine nur mit einem
transparenten schwarzen Schleier verhüllte, verführerische Frau auf dem Gebetsteppich erscheint, die
Gott für ihre sexuelle Unterdrückung durch den Ehemann anklagt. Sie entspricht nicht dem traditionellen Bild der muslimischen Frau, die ihre „Scham“
gefälligst zu verhüllen und dem Manne untertan zu
sein, ihm als „Gefäß“ zur Verfügung zu stehen hat.
Dass Theo van Gogh hier (vielleicht unbewusst,
vielleicht aber auch bewusst) auf eine tatsächliche
Episode aus dem Leben des Propheten Muhammad
anspielt (das Bild der schönen Zainab bint Ğahš,
die dem Propheten Muhammad in Abwesenheit ihres Gatten einmal nur leicht bekleidet die Tür öffnet
und daraufhin sowohl Scheidung von demselben als
auch Verheiratung mit dem Propheten auslöst), ist
Jiko offenbar nicht bekannt. Die Sprengkraft dieser Episode bestand von Beginn an in der Literatur,
ist Bestandteil der islamischen Überlieferung und
Propheten-Geschichte. Jiko kommt zu dem Schluss,
dass der Kern der Sexualitätskonzeption im Islam
ein religionsgeschichtlich spezifisches Verständnis
des sexuellen Triebes bildet; man könnte auch formulieren: Das Verständnis der Geschlechterbeziehungen und der Sexualität wird durch die religiöse
Konzeption der Gesellschaft im Islam determiniert.
Frömmigkeit und Teilnahme an der Schöpfung werden traditionell islamisch durch die Erfüllung der
vertraglich-vorgegebenen Religionsregeln im Islam
bewiesen. Die Idealisierung des männlichen sexuellen Triebes wird auf den göttlichen Phallus projiziert, so Jiko, und dadurch werde die Möglichkeit
der Subjektwerdung des Mannes verhindert. Die
Lücke in der sexuellen Identität, die er konstatiert,
wird auf Seiten der Frau durch eine übergewichtige
und machtvolle Mütterlichkeit gefüllt, die enorme
152
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
Konsequenzen für die psycho-sexuelle Entwicklung
der Kinder hat. Er betont aber auch die Einseitigkeit
und damit Unzulässigkeit seiner Antwort in diesem
Aufsatz für Grundsatzfragen hinsichtlich des Sexualitätsverständnisses im Islam und betont die Notwendigkeit von weiterführenden Untersuchungen
und religionsvergleichenden Studien, da er keine
allgemeingültige „Diagnose“ stellen will.
Resümee
Das Bedeutsame dieser drei Aufsätze zum Problem
von Psychotherapie, Psychoanalyse und der Behandlung von sexuellen Störungen muslimischer Patienten liegt darin, dass sie versuchen, die Erfahrungen
aus Klinik und Praxis mit einem ersten Ansatz zu
kombinieren, das Schrifttum zum spezifisch-religiösen und kulturellen Hintergrund der Sozialisation
der Betroffenen hinzuzunehmen, um damit der Ursachenerforschung näher zu kommen. Mindestens zwei
der Autoren (Özdaglar, Charlier) scheinen aus demselben religiös-kulturellen Kontext wie der Hauptteil
ihrer Patienten zu stammen, was nicht zwangsläufig
für mehr Qualität spricht, aber die Notwendigkeit
und Bereitschaft erhöht, den spezifisch islamischen
Zusammenhang der die Pa­tienten prägenden Kultur
mit einzubeziehen und zu hinterfragen, da sie ihnen
möglicherweise vertrauter ist. Die Heranziehung des
islamgeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Hintergrundschrifttums ist noch recht neu und
ungewöhnlich in der Arbeit von Ärzten und Psychologen, aber in einem bestimmten Maße unerlässlich
für den Umgang mit kulturell „anders“ geprägten
Menschen in medizinischer Behandlung. Die Autoren setzen damit eine Tradition fort, die etwa mit der
bedeutsamen Studie von Tahar Ben Jellouns „Die
Tiefste aller Einsamkeiten“ und Werner Schiffauers
„Die Gewalt der Ehre“ begann, mit Ahmet Topraks
Arbeiten und Necla Keleks „Die verkauften Bräute“ jüngst fortgeführt wird und weiter entwickelt
werden sollte. Die Autoren dieses Themenheftes liefern sehr anregende Beiträge für die Frage nach den
Ursachen für die Gewalt in den Geschlechterbeziehungen von muslimischen Patienten – und vielleicht
nicht nur hier – und ihrer Erforschung und zeigen,
dass man um Interdisziplinarität nicht herumkommt,
da die Muster der Kommunikation sonst häufig nicht
oder falsch verstanden bzw. interpretiert werden.
Assia M. Harwazinski, Tübingen
Kurskatalog >medicine & health<.
Herausgegeben von Gerhard Polak,
Going International
Dokumentation 2002-2009
Es werden in 7 Kapiteln Kurse, Lehrgänge und
Tagungen aus dem gesamten Bereich der Medizin
inklusive Randgebiete (Komplementärmedizin,
Medizinethnologie) gelistet. Umfangreiche Adressenlisten von entsprechenden Institutionen und Verbänden ergänzen den Jahreskatalog mit je knapp 300
Seiten, der Veranstaltungen aus den letzten Monaten
des jeweiligen Vorjahres und des folgenden Jahres
umfasst (Katalog 2009 mit Daten von Oktober 2008
bis Juli 2010). Neben diesem Katalog besteht das
GI-Mail, das derzeit über 18.000 Einzelpersonen,
sowie 9.100 Spitäler, Universitäten und internationale Organisationen weltweit erreicht. Die Leser
sind Ärztinnen und Ärzte, Entscheidungsträger im
Gesundheitswesen, Fachpersonal im medizinischen
Bereich, Universitäten, Institutionen für höhere Bildung, öffentliche Einrichtungen und internationale
Organisationen.
Ursprung war eine Initiative der Ärztekammer
Wien, die in den 1990er-Jahren einen internationalen Überblick zu den Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten schaffen wollte. Der „große Sprung“
vollzog sich 2000. Die Einrichtung wurde der Österreichischen Ärztekammer zu teuer. Daher wurde
ab 2001 GOING INTERNATIONAL gegründet.
Seither werden Autoren zu vertiefenden Übersichtsartikeln in Deutsch oder Englisch eingeladen, um
die Kapitel in den Kurskatalogen zu ergänzen. Diese zumeist sehr informativen aktuellen Übersichtsbeiträge sollen in dieser Dokumentation aufgelistet
werden. Das Unternehmen wird im Wesentlichen
in Eigenregie und Eigenverantwortung, jedoch mit
infrastruktureller Unterstützung der ÄK, unter der
Leitung von Dr. med. Gerhard Polak geführt (vgl.
„Bericht zum 78. Treffen des AKME in Wien 30.31.März 2007“ in Curare 30,2+3, 2007: 236).
Bezug:
GOING INTERNATIONAL
Information Services, G. Polak KEG;
Fasangasse 28/27, A-1030 Wien,
www.goinginternational.org,
ISBN 978-3-902359-15-5
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
Auflistung der Artikel aus Vol. 2002-2009
medicine & health 2002/03
Geleitwort / Prefactory Word
Hans Jochen Diesfeld: Entwicklungszusammenarbeit 2002 / Development Cooperation 2002 6
Vorwort / Preface
Gerhard Polak: Kurskatalog 2002/03 / Course Catalogue
2002/03 8
Jennifer Leaning: Humanitäre Hilfe und Katastrophenmanagement, Einleitung / Humanitarian Assistance and Disaster
Management, Introduction 11
Stephane Vandam: Die erste Auslandsmission / The First Mission
Abroad 13
Thomas Dackweiler: Praxisorientiertes Training Humanitäre Hilfe
/ Practice Oriented Training in Humanitarian Aid 15
Patricia R. Hastings: Kombiniertes Training für Humanitäre Hilfe
und Intervention (CHART-Courses) / Combined Humanitarian Assistance Response Training (CHART-Courses) 25
Sabine Kampmüller: Humanitäre Hilfe – Kurse für Fachpflege /
Humanitarian Aid—Courses for Nursing Staff 27
Eric K. Noji: Komplexe Humanitäre Katastrophen / Complex Humanitarian Disasters 36
Gunnar Kroesen: Notfallmedizin in Österreich / Emergency Medicine in Austria 47
Peter Sefrin: Notfallmedizin in Deutschland / Emergency Medicine in Germany 51
Domenic Scharplatz: Notfallmedizin in der Schweiz / Emergency
Medicine in Switzerland 55
Heribert Steinbauer: Balkonsitze in einer globalisierten Welt /
Balcony Seats in a Globalised World 59
Christoph Benn: Entwicklungszusammenarbeit – Expertenkurs
/ International Development Cooperation—Courses for Experts 64
Christian Horak: Management für Non-Profit- und Nicht-Regierungs-Organisationen Einleitung /Management for Non-Profit
an Non-Governmental Organisations Introduction 79
Gerhard Polak: Kurse zu medizinischen Fachdisziplinen, Einleitung / Courses for Medical Specialists, Introduction 87
Emil C. Reisinger: Tropenmedizin und Infektionskrankheiten /
Tropical Medicine and Infectious Diseases 88
Axel Hoffmann: tropEd – Ein Europäisches Netzwerk zur Ausbildung in „Internationaler Gesundheit“ / tropEd—An European
Network for Education in International Health 91
Martin Haditsch: Reisemedizin / Travel Medicine 102
Rudolf Szyszkowitz: Die Kurse der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen / Courses of the Association for the Study
of International Fixation 111
R. Horst Noack: Öffentliche Gesundheit durch Bildung und Ausbildung stärken / Strengthening Public Health through Education and Training 134
Ynve Falck-Ytter, Nikolaus Trautmann, Gerd Antes: Wissenschaftlich fundierte Medizin, Einleitung / Evidence Based
Medicine, Introduction 171
Sandor Kerpel-Fronius: Klinische Forschung, Einleitung / Clinical Research, Introduction 179
/ International Conferences and Meetings, Introduction 179
Katrin Kreisel: Medium Internet / The Means of the World Wide
Web 208
medicine & health 2003/2004
Robert Fischer: Lehrgänge für Management und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen an der Donau-Universität Krems
curare 31(2008)2+3
153
/ Courses for Management and Quality Assurance in Health
Care at the Danube University Krems 18
Stephane Vandam: Der Weg von gezielter humanitärer Hilfe zu
breiter, nachhaltiger Zusammenarbeit / How to Bridge the
Gap: From a Focused Humanitarian Action to a Broad and
Sustainable Cooperation 24
Klaus Peter Schmitz: Das Sphere Project – Sphere Kurse: Ein
neuer, standardisierter Weg zur Fortbildung und Vorbereitung
humanitärer Helfer / The Sphere Project—Sphere Courses: A
New Standardized Way of Training and Preparation for Humanitarian Aid Workers 27
Pierre Perrin: Die HELP-Kurse – 18 Jahre erfolgreiche Ausbildung und Vernetzung / The HELP-Courses—18 Years of Successful Training and Networking 31
Dennis Dijkzeul: Das NOHA-Programm – Karrierevorteile durch
die Teilnahme an dem europäischen Studiengang „Humanitäre Hilfe“ / NOHA-Course—Career Advantages in Participating in an Interuniversity Graduate Course on Humanitarian
Assistance 33
Christoph Benn: Investition in die Gesundheit als Voraussetzung
für wirtschaftliche und soziale Entwicklung / Investment in
Health as a Prerequisite for Economic and Social Development 42
Alastair Ager: Ausbildung in „Projekt Design und Management“
als Instrument zur Gesundheitsentwicklung / Training in Project Design and Management as a Tool for Health Development 51
Véronique Schoeffel: Rückkehr nach einem Auslandsaufenthalt.
Herausforderungen für Mitarbeiter internationaler Organisationen nach ihrer Heimkehr / Re-entry after a Sojourn Abroad.
Challenges Awaiting Professionals from International Cooperations “Returning Home” 54
Gerald Mader: Friedenszentrum Burg Schlaining / Peace Center—Castle of Schlaining 56
Wolfgang Routil: Qualitätsgesicherte medizinische Weiterbildung / Quality Assurance for Continuing Medical Education 62
Tareg Bey: Internationale Notfallmedizin – Welches sind die
großen Streitpunkte und Herausforderungen? / Emergency
Medicine International—What Are the Big Issues and Challenges? 64
Barrie Margetts: Wie werde ich ein Public Health Ernährungsexperte? / How to Become a Skilful Public Health Nutritionist? 66
Wolfgang Ummenhofer: Notfallmedizin Schweiz 2003 / Emergency Medicine in Switzerland 2003 82
Mamadou Dicko: Präsentation von CEFA / Presentation of
CAFS 93
Philippe Mayaud: Public Health – Relevanz von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) im Zusammenhang mit HIV/AIDS
/ Public Health—The Importance of STI in the Context of
HIV/AIDS 95
Michael J. A. Parr: Anästhesie, Trauma und Intensiv-Versorgung /
Anaesthesia, Trauma and Critical Care 98
Rainer Kotz: Orthopädie – Neueste Entwicklungen und Trends,
mit besonderer Berücksichtigung der Problematik in ärmeren, nicht industrialisierten Ländern / Orthopaedics—Latest
Developments and Trends, Emphasising on the Special Problems of Poor, Non-Industrialized Countries 99
Charles Mock: Bessere notfallmedizinische Versorgung traumatisierter Patienten weltweit: “The Essential Trauma Care Project” / Strengthening the Care of the Injured Globally: “The
Essential Trauma Care Project” 101
Thomas Rüedi: AO-Lehrgänge im internationalen Kontext / AO
Courses in the International Context 115
Desmond O‘Byrne: Erreichen von Gesundheitszielen durch die
Stärkung der Gesundheitsförderung / Enforcement of Health
Promotion to Reach Health Targets 126
154
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
Nicola Nante: Harmonisierung von Public Health Kultur und Praxis / Harmonizing Public Health Culture and Practices 128
Axel Hoffmann: TropEd – Ein europäisches Netzwerk zur Ausbildung in Internationaler Gesundheit / TropEd—A European
Network for International Health Training 154
Amy Tsui: Demographische Veränderungen: Konsequenzen für die
Zukunftsplanung / The Consequences of Demographic Changes. The Importance of Future Planning 165
medicine & health 2005
Einleitung / Introduction 7
Bernhard J. Güntert, Dieter Ahrens: Gesundheitsökonomie –
Notwendigkeit und Grenzen / Health Economics—Needs and
Limits 12
Gabriela Hartig: Hilfsorganisationen als Zielscheiben / Humanitarian Organisations as a targent for violence 6
Gerd Venghaus: Erste Hilfe und Sicherheit im Feld / First Aid,
Safety and Security in the Field 28/29
Klaus Peter Schmitz: Das Sphere-Projekt – Sphere Kurse: Ein
standardisierter Weg zur Fortbildung und Vorbereitung Humanitärer Helfer / The Sphere Project and Sphere Courses:
A standardised way to train and prepare humanitarian workers 31/32
Dennis Dijkzeul: Das NOHA-Programm – Karrierevorteile durch
die Teilnahme am europäischen Studiengang „Humanitäre
Hilfe“ / NOHA-Course—Career Advantages in Participating
in an Interuniversity Graduate Course on Humanitarian Assistance 35/36
Gerd Venghaus: Emergency Response Unit: Wasseraufbereitungsanlagen und sanitäre Einrichtungen / Emergency Response
Unit: Mass Water and Sanitation 40/41
Pierre Perrin: The HELP-Courses—19 Years of Successful Training and Networking / Die HELP-Kurse – 19 Jahre erfolgreiche Ausbildung und Vernetzung 42/43
Christoph Benn: Der Globale Fond zur Bekämpfung von AIDS,
Tuberkulose und Malaria / The Global Fund to Fight AIDS,
Tuberculosis and Malaria 46
Veronique Schoeffel: Gute Gründe für eine Teilnahme an Workshops für Rückkehrende / Good reasons for attending re-entry
workshops 60/61
Axel Hoffmann: tropEd—a Network für Capacity Building in International Health / tropEd – ein Netzwerk zur Kompetenzvermittlung in Internationaler Gesundheit 64/65
Michael Krawinkel: Pädiatrie und die Probleme ernährungsbedingter Mangelerscheinungen / Pediatric care and the problems of nutritional deficiencies 68
Thomas Löschen: Relevante Inhalte für eine effiziente reisemedizinische Ausbildung / Relevant Contents for Efficient Education in Travel Medicine 71
Huib Cornielje: Enablement-Managementkurse „Soziale Rehabilitation“ / Enablement-Courses in Disability and Rehabilitation
Management 96/97
Susanne Binder: Innovationen und neue Techniken in der operativen Augenheilkunde / Innovations and New Techniques of
Surgical Ophthalmology 108
Ute Schwarz: Kurse in klinischer Tropenmedizin, „Weltweites
Lernen“ / Courses in Clinical Tropical Medicine, “Worldwide
Learning” 137/138
Gunnar Tellnes: Public Health – Herausforderungen für das 21.
Jahrhundert / Public Health Challenges in the 21st Century 146
Johanne Pundt: Public Health: Berufsfelder und Chancen / Public
Health: Professions and Possibilities 154/155
Alexander Krämer: 7. Internationale Sommerschule „Infektionsepidemiologie” / Seventh International Summer School “Infectious Disease Epidemiology” 160/161
Young Moon Chae: International “Cyber University” für Gesundheit (ICUH) / International Cyber University for Health
(ICUH) 166/167
Dorothea Kahr-Gottlieb: Universitätslehrgang Public Health an
der Medizinischen Universität Graz / Public Health Master´s
Programme at the Medical University of Graz 178/179
Armin H. Fidler: Das “Young Professionals” Programm / The
Young Professionals Program 185/186
Dieter Falkenhagen: Forschung als Wegweiser für Therapie und
Diagnostik / Research paving the way for therapy and diagnostics 196
medicine & health 2006
Ladislas Bizimana: Improving Humanitarian Action—NOHA
contribution 26
Richard Brennan/Kristina Gutschow: Complex Humanitarian
Emergencies 28
Pierre Perrin: The HELP-Courses­—20 Years of Successful Training and Networking 37
Georg Sticker: There is no Shortcut to Development: Projektmanagement – Theorie und Praxis: Erfahrungen in Ostafrika 42
Christa Kitz: Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit
im Gesundheitswesen 45
Franziska Matthies: The tropEd European Campus in International Health 60
David Henry/Jason Mastoris: Risks and Indications of Blood
Transfusions / Pros and Cons in the International Context 64
Jürgen Holle: Current Developments in Plastic Surgery—An
Overview 112
Christian Nischler: Courses, Programmes and Fellowship in Ophthalmology 120
Michael Stark: The New European Surgical Academy (NESA)
124
Anton H. Schwabegger: Further Education and Training for Plastic Surgeons 142
R. Horst Noack: Modern Public Health 153
Susan P. Mercado: A Billion Voices: Listening and Responding to
Vulnerable Populations in Urban Settings 157
Franziska Matthies: Masters in International Health at the University of Copenhagen 166
Sally Guttmacher: Public Health in a Society in Transition: South
Africa 180
Dorjsuren Bayarsaikhan: Training Opportunities in Health Care
Financing 199
Dorjsuren Bayarsaikhan: Health Care Financing 201
Sabine E. Herlitschka: Training and Mobility of Researchers at a
European Level 212
medicine & health 2007
Rosa Giuseppa Frazzica: Excellence in training health and social
personnel in Silicy: CEFPAS´ role 18
Renee Bakker: Joint European Master`s in International Action (NOHA) course—A multidisciplinary inter-university
course 38
Pierre Perrin: The HELP-Courses – 20 Years of Successful Training and Networking 42
Wolfgang Bichmann: Regionale Entwicklungszusammenarbeit für
Reproduktive Gesundheit und HIV/AIDS-Bekämpfung 48
George McGuire: Logistics—the indispensable service 54
Prisca Zwanikken: tropEd European Campus in International
Health 62
Robert Schäfer: Akkreditierte Weiterbildung für Medizinerinnen 68
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
Henning Mikkelsen: Getting ahead—progress and challenges in
responding to AIDS in Eastern Europe and Central Asia 71
Petra Kreinecker: Ernährungssicherheit im Kontext von Entwicklung und Kooperation 79
Michael Krawinkel: „International Nutrition“ as part of a BScand MSc-programme of Nutritional Sciences in Giessen,
Germany 80
Daniel Lahner/Michael Zimpfer: Neue Entwicklungen in der Anästhesiologie 120
John-Paul Vader: Politics: is it healthy for you and me? 164
Bernhard J. Güntert: Public Private Partnership im Gesundheitswesen – ein Ausweg aus der Finanzierungskrise? 166
Mark Thompson: Europhamili—managing transnational public
health issues in Europe 169
Tom Kuiper: Accreditation of Educational Programmes in the European Region 175
Christa Them: Gesundheits- und Krankenpflege: Ein neues Studium sowohl für bereits diplomierte Pflegekräfte als auch für
Maturantinnen 193
Christoph Male/Markus Müller: The need for training in clinical
research 218
Gerald Gartlehner: Evidence-Based Medicine 225
medicine & health 2008
Mohga Kamal-Yanni: Access to medicines: Why high prices of
new medicines are detrimental for poor people and public
health in developing countries 34
Ekkehard Schröder: Ethnomedizin – Braucht man kulturelle Dimensionen in der Gesundheitssystemforschung? 50-51
Sabine Ludwig: 44 Jahre Deutscher Entwicklungsdienst
(DED) 52
Florian Neuhann: The link between Going International and the
Department of Tropical Hygiene and Public Health at the
University Clinic of Heidelberg 54
Ekkehard Schröder: “medicine & culture”—recommended websites and journals 63
Bernadette Peterhans: What has the tropEd network achieved
since the establishment in 1996? 68
Maria Freire: New Drugs for an Ancient Disease: Objectives
and Successes of the Global Alliance for TB Drug Development 74
Eugen Faist, Siegfried Zedler: Innovatives Immunmonitoring zur
Früherkennung der Sepsis 94
Peter Dieckmann, Marcus Rall, Doris Østergaard: Simulation
for education, training, and research 134
Dineke Zeegers Paget: EUPHA as a key player in public health
in Europe 186
Katrin Engelhardt: Master of Science in Epidemiology,
MSE 198
Kevin McCarthy: European Public Health Research in action:
Optimising the Delivery of Health Care to European Citizens 232
medicine & health 2009
Theresa Philippi: The Electronic Health Record (ELGA) in Austria 20
Josef Hradsky, Nikolaus Koller: Krankenhausmanagement –
Aktuelle Entwicklungen 22
Cindy Hörmansdörfer: Is it feasible to finance Social Health Protection for the poor? ???
The GTZ approach to overcome the “illness poverty trap” 52
Pascal Millet: The tropEd network: training international health
under European standards 67
Rolf Heusser: Akkreditierung und Qualitätssicherung von Bildungsprogrammen im Medizinalbereich 72
curare 31(2008)2+3
155
Hans Walter Krannich: Palliativmedizin – Ist-Status sowie Aus-,
Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten in Deutschland 75
Birgit Jaspers: Empfohlene Websites und Journals – Palliativmedizin 117
Remco Coppen, Roland D. Friele: The effectiveness of organ donor
policies in 10 European countries: a widening gap? 140
Danielle Breissler, Maria Preschern-Hauptmann: Organisation
der Organspende in Österreich 143
Michel Loyoddin: Education and Training for Neurosurgeons 177
Heike Benditte-Klepetko: Aus- und Weiterbildung in der Plastischen Chirurgie 185
Uwe Siebert: Public Health—Definition, Scope and Assessment 92
Manfred Wildner: Epidemiologie: Methode, Beruf, Berufung? 195
Manfred Wildner: Wie kann man Epidemiologie lernen? 207
156
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
Ethnologia Americana 1964-1991
Dokumentation der
ethnomedizinischen Artikel
Die Zeitschrift Ethnologia Americana entstammt
dem 1964 gegründeten „Informationsblatt“ des In­
stitutes und Vereins und wurde ab Nr. 24, März-­April
1968 auf den hier genannten Namen umbenannt, die
als Organ des Deutschen Institutes für Amerikanische Völkerkunde (DIAV e.V.) in Düsseldorf dient
(vgl. den Bericht zum 75jährigen Jubiläum des
DIAV in curare 28,2+3[2005] 348-351). Neben wissenschaftlichen Artikel, Berichten und Mitteilungen
aus dem iberoamerikanischen Bereich findet sich in
dieser vor 25 Jahren eingestellten Zeitschrift eine
bemerkenswerte Zahl von Texten mit ethnomedizinischen Informationen und Themen, die an dieser
Stelle dokumentiert werden sollen. Die Zeitschrift
ist Bestandteil der LAGEM, Literatursammlung der
AGEM. Im Folgenden sind alle ethnomedizinische
Artikel aus den Heften 5(4)/1968 bis 27(2)/1991
aufgeführt, wie sie dem Inhaltsverzeichnis der Indizes entnommen sind.
Andritzky Walter: Peru: Das Koka-Orakel. 24/2, Nr. 113,
1988: 1206-1211.
Andritzky Walter: Historische Aspekte zur Volksmedizin
der Schwarzen in Peru. 25/2, Nr. 115, 1989: 12471251.
Barthel Christina: Baden im Temazcal – ein Badeerlebnis
in Mexiko. 25/1, Nr. 114, 1989: 1230-1231.
Belonoschkin Boris: Mayamedizin. 8/5, 1972: 374-381.
Bruder Claus J.: Die Phallusdarstellung bei den Maya: ein
Fruchtbarkeitssymbol. 14/5, 1978: 809-815.
Fischer Ernst J.: Das „Antlitz des Schmerzes“ in der Keramik
der Mochica (Nord-Peru). 27/1.2, Nr.118/119,1991:
1306-1311.
Gantzer Joachim: Zahnplantation im prähispanischen Amerika? 6/6, 1970: 246-248.
Gantzer Joachim: Der Cocagebrauch bei den Andenindianern in Peru. 12/5, 1976: 673-676; 12/6, 1976: 680688.
Hudson Travis: Die Astronomie der Chumash-Indianer (Kalifornien). 15/2, 1978: 846-851.
Hudson Travis: Die Astronomie der Indianer Kaliforniens.
16/4, 1980: 944-948.
Junquera Carlos: Botanik und Schamanismus bei den Harakmbet- Indianern im südwestlichen Amazonasgebiet von Peru. Vol. 25/1, Nr. 114, 1989: 1232-1238.
Knoche Bernhard: Hoffnungsstrahl für die Bekämpfung
der Chagas-Seuche in Lateinamerika. Vol. 7/3, 1970:
280-282.
Krumbach Helmut: Heilzentren im kulturellen Raum Mexikos und Guatemalas? Forschungen im Jahre 1973 und
1974. Vol. 12/1, 1975: 614-624; 12/4, 1975: 660-661.
Krumbach Helmut: Die Dokumentationsstelle für „ungebundene“ Literatur unseres Instituts. Vol. 14/2, 1977:
772.
Krumbach Helmut & Krüger Reinhold: Schwitz- und Dampfbäder im Westen Nordamerikas – Grundsätzliches
sowie verschiedene Schutzmaßnahmen. Vol. 27/1-2 ;
Nr. 118/119, 1991 :1312-1316.
Krumbach Helmut: Kakao aus Mexiko. Vol. 25/2, Nr. 115,
1989: 1254-1259.
Mayer Karl Herbert: Die heiligen Pilze Mexikos. Vol. 11/5,
1975: 594-596; Vol. 1/6, 1975: 603-608.
Mayer Karl Herbert: Salvia Divinorum – Ein Halluzinogen
der Mazateken von Oaxaca, Mexiko. Vol. 14/2, 1977:
776-779.
Mayer Karl Herbert: Ein Maya-Inschriftenfragment am
Schwitzbad von Etzná, Campeche, Mexiko. Vol. 24/1,
Nr. 112, 1988: 1185-1187.
Pfeiffer Karlheinz: Pensées zur nachfolgenden Arbeit von
(Ingrid Berlik: Die magische Geisteshaltung der Aymará). Vol. 9/1, 1972: 399.
Schadewaldt Hans: Stellungnahme des Verfassers (zu seinem Buch „Der Medizinmann bei den Naturvölkern“).
Vol. 7/1, 1970: 254.
Schuhmacher Walter W.: „Frauen- und Männersprache“ als
Übertragungssystem. 12/3, 1975: 649-651.
Stubbe Hannes: Zum Trauerverhalten der südamerikanischen Indianer. Vol. 17/3, 1981: 977-981.
Tyrakowski Konrad & Lydia: Temazcalli – Gegenwärtige
Konstruktionsvarianten des altmexikanischen Badehauses und ihre räumliche Verbreitung im Becken von
Puebla-Tlaxcala. Vol. 13/5, 1977: 740-744; Vol. 13/6,
1977: 750-756.
Tyrakowski Konrad: Magie und Markt. Anmerkungen zur
Kommerzialisierung von „Brujería“ aus San Pablito /
Puebla; Mexiko. Vol. 17/2,1980: 965-968.
Wassen Henry S. & Krumbach Helmut: Indianische Kontrazeption. Vol. 18/2, 1981: 1013-1016.
Wellmann Klaus F.: Schamanistische Bezüge in nordamerikanischen indianischen Felsbildern. Vol. 15/1, 1978:
833-839.
Zerries Otto: Besessenheit und Geisterbesuch. Parapsychologische Erscheinungen unter den Mahekodo-tedi,
einer Yanoama-Gruppe am oberen Orinoco. Vol. 9/5,
1973: 449-452
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Zeitschriften / Journals: Besprechung und Dokumentation / Review and Documentation
157
Shaman. Journal of the International
Society for Shamanistic Research
Volume 1 Number 1 & 2 Spring/Autumn 1993
Second Edition, Revised and Expanded 2007
Articles
Åke Hultkrantz Introductory Remarks on the Study of Shamanism 5-16
Roberte N. Hamayon Are “Trance”, “Ecstasy” and Similar Concepts
Appropriate in the Study of Shamanism? 17-40
András Höfer Some Hyperpragmatic Patterns in Tamang Shamanic
Recitations, Nepal 41-52
Åke Hultkrantz The Shaman in Myths and Tales 53-70
Tatiana A. Pang The Kun-ning-gung Palace in Peking: the Manchu
Dynasty´s Shaman Centre in the “Forbidden City” 71-86
Giovanni Stary “Praying in the Darkness”: New Texts for a LittleKnown Manchu Shamanic Rite 87-104
Mari Yoshinaga and Yuji Sasaki Kamidari as a Key Concept of Okinawan Shamanism 105-120
Review Articles
Marjorie Mandelstam Balzer Shamanism and the Politics of Culture: An Anthropological View of the 1992 International Conference on Shamanism, Yakutsk, the Sakha Republic 121-147
Kun Shi Shamanistic Studies in China: A Preliminary Survey of the
Last Decade 149-162
News and Notes
Mihály Hoppál Report on the First Conference of the International
Society of Shamanistic Research, Held 22-28 July, 1991, Seoul,
Korea 170-173
Mihály Hoppál Report on the “Shamanism as a Religion: Origin,
Reconstruction and Traditions”, Conference, Held August 1522, 1992, Yakutsk, Russia 174-176
Volume 10 Numbers 1 & 2 Spring/Autumn 2002
Articles in this volume are dedicated to Mihály Hoppál, the President of the International Society for Shamanistic Research on the
occasion of his sixtieth birthday.
Articles
Åke Hultkrantz: Mihály Hoppál. Is Sixty 5-6
Marjorie Mandelstam Balzer Shamans Across Space, Time and
Language Barriers 7-20
Bill Brunton Kootenai. Divination 21-32
Ruth-Inge Heinze. Symbols and Signs, Myths and Archetypes: A
Cross-cultural Survey of the Serpent 33-58
Keith Howard Shaman Music, Drumming, and Into the “New
Age” 59-81
Wolfgang G. Jilek and Louise Jilek-Aall Shamanic Beliefs, Practices, and Messianic Movements Among the Hmong People of
Southeast Asia 83-112
Laurel Kendall An Old Shaman in a Tile-Roofed House 113-124
Daniel Kister The Shaman´s Gift 125-142
Peter Knecht Mountains Are Not Just Mountains 143-159
Diana Riboli Trances of Initiation, Incorporation and Movement:
Three Different Typologies of the Shamanic Trance 161-180
Giovanni Stary A Bibliographical Review on the 40th “Birthday” of
Nishanology 181-193
News and Notes
Mihály Hoppál and Kira van Deusen Conference on Musical Ethnography of the Manchu-Tunguz Peoples, Yakutsk, August 17-23,
2000 194-198
Eva Jane Neumann Fridman Minutes of the General Assembly of
the ISSR, Held at Viljandi Cultural College, Viljandi, Estonia,
August 16, 2001 198-200
Volume 15 Numbers 1 & 2 Spring/Autumn 2007
Articles
Márta Csepregi: An Eastern Khanty Shaman Song 5-26
Zoltán Nagy: On a Shamanic Drum of the Vasiugan River Khanty
27-46
Dávid Somfai Kara, Mihály Hoppál and János Sipos: The Sacred
Valley of Jay Ata and a Kirghiz Shaman from Xinjiang, China 47-68
Ágnes Birtalan: The Shaman(ess) - the Performer. Examples of the
Activities and Life Stories of Darkhad Mongolian Shamanesses 69-86
Mátyás Balogh: Shamanic Traditions, Rites and Songs Among
the Mongolian Buriads: Meeting a Shamaness and her Assistant 87-116
Gábor Kósa: The Jurchen Shamaness. An Analysis of the First Written Reference to the Word “Shaman” 117-128
Catherine Uray-Kóhalmi: The Shaman and the Spirit World 129134
Ede Frecska and Luis Eduardo Luna: The Shamanic Healer: Master
of Nonlocal Information? 135-165
Field Reports
Richard Noll and Kun Shi A Solon Ewenki Shaman and her Abagaldai Shaman Mask 167-174
Shaman. Journal of the International Society for Shamanistic Research (ISSN 1216-7827) is an interntional periodical for shamanistic
studies and as such publihses original articles on shamanism and neighbouring fields. Shaman is published once a year (twon numbers
bound in one) by Molnar & Kelemen Orienteal Publishers, Budapest. Editors: Mihály Hoppál ([email protected]) & Ádám Molnár
([email protected]). Editorial correspondence should be sent to the publishers: Budapest, Marczibányi tér 9. Hungary, H-1022.
cover illustration of vol. 1(1993, 2nd ed. 2007)1+2: After drawings on Altai Tirkic drums.
curare 31(2008)2+3
Dokumentation
158
30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten III:
„Der Heilkundige und sein Patient / The Healer and his Patient“
schen Inseln bei vielen verschiedenen Heilern sehr
unterschiedliche Techniken, Kenntnisse und Anschauungen erworben und auch in außerphilippinischen Traditionen Anleihen gemacht, um heute mit
einem sehr vielseitigen Rüstzeug seine therapeutischen Aktionen durchzuführen. Unter anderem beherrscht er auch die bei uns so bekannt gewordenen
„operativen Eingriffe ohne Messer und Narkose“.
Seine Hauptdomäne sind jedoch mehr magnetische
Heilungen und exorzistische Heilbehandlungen.
Auf dem Bild versetzt er gerade einen sehr pessimistischen krebskranken Patienten in einen halbstündigen Tiefschlaf. Dan Acierto möchte durch
seine Anwendungen einen heilenden Schock bewirken, wie er selber sagt. [ES, Redaktion Curare]
Anmerkung: 1) Vgl. Prinz A. 1982: Das Phänomen spiritueller
Operationen auf den Philippinen. Curare 5, 2: 81-84 // Zuschriften in Curare 5,4:199-202 von H. Figge (Gedanken zu
pia Fraus), G. Bretzler (Fauler Zauber), E. Gruber (Erstaunt,
zu A. Prinz) // Licauco J.T. 1982. Glaubensheilen in den Philippinen, Irrtum und Wahrheit. Ein Buchauszug (ausgewählte
Übersetzungen und Anmerkungen von E. Schröder). Curare
5,4: 207-212 // Landolt W.1983. Therapeuten und Therapien
auf den Philippinen. Gedanken zu traditionellen und modernen
Heilmethoden. Curare 6,4: 246-248.
Dan Acierto – ein philippinischer Geistheiler
[Reprint Curare 5 (1982) 2]
Die oft überraschenden Erfolge philippinischer
„Geistheiler“, weswegen manche irreführend von
Wunderheilern sprechen, sind oft auch mit ein Ergebnis einer sehr persönlichen und spontanen, durch
die große räumliche und auch kulturelle Distanz unbeschwerten Begegnung eines Heilsuchenden mit
einem Heiler. Dass die philippinischen Exorzisten,
spirituellen Operateure oder Logurgen, Gebetsheiler, Glaubensheiler, Magnetopathen oder wie immer
sie sich selbst bzw. durch ihre Beschreiber bezeichnet bzw. dargestellt werden, aus ihrem kulturellen
Kontext heraus sehr wohl besser verstehbar werden,
soll in den nächsten Heften der curare durch Beiträge vertieft werden1.
Dan Acierto, ein in Quezon City arbeitender,
sehr zurückhaltender und umsichtiger Mann, hat in
langen Wanderjahren auf verschiedenen philippinicurare 31(2008)2+3: 158-116
Titelfoto von Theo Ott, Seeshaupt, aufgenommen im September
1981 in Manila. Hinweis: Am 16. August 1982 wird im 3. Programm des Bayrischen Fernsehens um 21 Uhr erstmalig Theo
Otts Film „Der heilende Schock“ über die philippinischen Heiler gesendet. Der Titel stammt dem den Film einrahmenden
Interview mit Dan Acierto und zeigt die Behandlung an einem
schwerkranken Krebspatienten aus der Schweiz.
Schulmediziner in Mitteleuropa, z.B. im
Heilstollen von Bad Gastein/Salzburger Land
[Reprint Curare 6(1983)4]
Nach gründlicher Indikationsstellung und umsichtiger Selektion unter der schulmedizinischen – und
damit als wissenschaftlich garantierten – Ägide
fahren die Patienten unter der monopolisierten ärztlichen Aufsicht mit einer umgebauten Grubenbahn
in eine ehemalige Goldmine, den Gasteiner Heil­
stollen, gelegen oberhalb Böckstein-Bad Gastein
im Gasteinertal in einer Höhe von 1280 m. Seine
Heilwirkung wurde schon Anfang des Jahrhunderts
erstmalig vermutet, nachdem man beobachtete,
dass in ihm gehaltene Gefangene die Notzeit trotz
Dokumentation
schlechter Ernährung besser überstanden als die
Eingeborenen. „Der Stollen ist mit seiner Temperatur von 37 bis 41 °C und einer Luftfeuchtigkeit
von 80-97 % ein in der Welt einzig dastehendes
Heiß­luft­emanatorium (Radium-Ausstrahlung in 20
000 m3 Rauminhalt), das nach langjährigen wissenschaftlichen Aufzeichnungen für viele Krankheiten
und Beschwerden unter ärztlicher Anweisung beinahe an Wunder grenzende Erfolge brachte.“ (Nach
einer rezenten Postkarte vor Ort) [ES, Redaktion
Curare]
Valentine Bao, Heilerin in Tolanaro/Madagaskar1
[Reprint Curare 7 (1984) 2]
Der erste Kontakt zu Valentine Bao wurde am 25.
März 1982 durch Monseigneur Zévaco, dem Bischof der Diözese Fort Dauphin (heute Tolanaro)
an der Südspitze in Madagaskar vermittelt. V. B.
spielte einmal eine bedeutende Rolle als Katechetin,
jedoch machte sie vor vier Jahren eine bedeutsame
persönliche Umorientierung durch. Sie berichtet,
dass der „Geist ihrer Ahnenreihe“ sie gerufen hätte,
den sie zuvor gar nicht gekannt habe. Am Beginn
ihrer Wandlung sei eine Erkrankung gestanden,
curare 31(2008)2+3
159
während der der Geist ihr Handlungsanweisungen
gegeben und sie vier Tage lang nichts gegessen und
getrunken habe. Als ihre Familie sie wieder auf den
Pfad der Kirche zurück und später sogar ins Hospital bringen wollte, fühlte sie sich zutiefst erschöpft.
Zwei Monate versuchte sie, sich an den Weg ihrer
Jugend zu readaptieren, schlief dabei schlecht, sah
häufig nichts und fiel in Ohnmachten. Der Geist
habe aber unüberhörbar sie gefordert. Wegen ihrer Verweigerung des bisherigen Weges suchten
die Eltern auch Hilfe bei den ombiasy, den lokalen
Medizinmännern, und bedachten die Kirche mit
einer großen Spende. Noch acht Monate versuchte
Valentine Bao, das Leben einer Christin zu leben,
wurde dabei abergläubisch und legte sogar die Bibel unter ihr Bett, völlig verängstigt, bis der Ruf
des Geistes stärker wurde gegenüber den schließlich versiegenden Hilfsangeboten der Priester und
des sich sehr genierenden Ehemannes. Während der
wiederholten Rufe des Geistes wurde sie einmal
von den Klängen der Valiha, der madegassischen
Zither, die jemand 14 Tage lang ununterbrochen
im Busch spielte, innerlich tief bewegt. Daraufhin
habe eine „Tromba-Kranke“2 junge Frau zu ihr mit
dem Begehr nach Heilung Kontakt aufgenommen.
Dokumentation
160
Seither hat V. B. in bis zu sechsmonatigen Heilbehandlungen etliche, vor allem weibliche Klienten
in individuellen Sitzungen behandelt. Sie fühlt sich
für Geisteskrankheiten, Blutspucken, „Diabetes“
und für Magen-Darm-Leiden zuständig. In ihrer
Diagnostik spielt eine lokale Variante der Astrologie eine Rolle neben der animistischen Tradition.
Eine anamnestische Exploration wird von ihr nicht
durchgeführt. Heilung geschieht durch den Geist,
der mittels einer Heilkraft durch V. B. zur Wirkung
kommt. Der Geist wird in den Heilseancen durch
die Klänge des Akkordeons herbeigeholt, welches
die Valiha in Mad. häufig ersetzt hat.
In der beobachteten Sitzung behandelte V. B.
in einer kleinen einräumigen Hütte zwei, wie sie
sagt, depressive junge Frauen, deren eine bereits
eine längere Behandlung im Hospital hinter sich
hat. Diese fielen bei den Klängen des Akkordeons
und zweier Rasseln in heftige Trance, die durch die
Ruhe und Wärme ausstrahlende Valentine Bao gesteuert wird. Dabei hält sie während der Bittgesänge
und auch später wiederholte Male ihre Klientinnen
mit ihren Händen an deren kleinen Fingern. Die
Requisiten sind sparsam: weiße Erde, ein Goldring,
heiliges Wasser, das mit sechs echten Silbermünzen
angesetzt wird, ein Spiegel, ein Messer und rote Tücher. Die beobachtete Sitzung dauerte eine knappe
halbe Stunde, während derer in Gesang, Gebet und
mit Ratschlag und einigen rituellen Handlungen
unter Leitung der Trance der Klientinnen eine Art
Ich-Stärkung durchgeführt wurde. Ein Priester der
Gemeinde durfte für mich als Dolmetscher ins Französische dabei sein. Die eindrucksvolle Behandlung
ließ natürlich viele Fragen offen. V. B. wirkte auch
später so entspannt und heiter wie vor und während der Behandlung. Für Bischof Zévaco galt die
Erlaubnis meiner Teilnahme als ein gutes Zeichen
nach vier Jahren, als ein erster Kontakt. Für ihn
besteht die Hoffnung, dass V. B. vielleicht für die
Gemeinde in seinem Sinne noch nicht ganz verloren
ist. (nach Feldnotizen vom 25. und 26.3.1982)
Ekkehard Schröder
Anmerkungen: 1) Titelfoto von Theo Ott (Seeshaupt), März
1983 während der Dreharbeiten zu dem Dokumentationsfilm
„Schamanen im Dornenland“ (vgl. erste Aussendungen SW3
am 21.1.84 u. WDR3 am 17.2.84) // 2) Mit „Tromba“ wird
die Kultgemeinde und der gleichnamige Besessenheitskult in
Madagaskar bezeichnet, vgl. dazu besonders: Estrade JeanMarie 1977. Un culte de possession á Madagascar – le Tromba. Paris: Ed. anthropos.
Heiler aus Tonga
[Reprint Curare 11 (1988) 3]
Heiler aus Tonga, Entspannungsmassage im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung.
Das Foto stammt von W. Jilek1, der in diesem
Heft in einem ausführlichen Beitrag die ethnomedizinischen und ethnopsychiatrischen Aspekte des
traditionellen Lebens in Tonga referiert [Mental
Health, Ethnopsychiatry and Traditional Medicine
in the Kingdom of Tonga. Curare 11,3(1988)161176]. Ebenfalls aus der methodischen Perspektive der Psychiatrie heraus diskutiert Alexander
Boroffka eine ausführliche Falldarstellung eines
wahnkranken Kameruner Patienten. Mit diesen
Hauptartikeln und weiteren psychotherapeutischen
Beiträgen setzt dieses curare-Heft die Reihe von
Arbeiten zur transkulturellen Psychiatrie fort, die
zur Aufgabenstellung der Zeitschrift gehört. Neben
etlichen Einzelarbeiten, vor allem von Jilek in diesem Organ, haben sich speziell folgende Hefte der
Thematik gewidmet2: 4/80 – 1/81 – 2/81 – 3/84 –
2/87 – 3+4/89 – 3/90 – 4/90 – 1/93 – 2/93 – 3+4/93
– 1/94 – 2/95 – 2/96.
Anmerkungen: 1) Wolfgang Jilek ist 2002 auf der 15. Fachkonferenz Ethnomedizin in Münster zum Ehrenmitglied der AGEM
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Dokumentation
ernannt worden. Eine ausführliche Würdigung inklusive der
Dokumentation seiner Arbeiten finden sich in Krahl Wolfgang
2003. Laudatio auf Professor Wolfgang Jilek zur Ernennung als
Ehrenmitglied der AGEM. Curare 26(2003)1+2: 168-171. //
2) Eine Dokumentation aller Beiträge zum Thema „30 Jahren
Transkulturelle Psychiatrie in der Zeitschrift Curare erscheint
in Curare 32(2009)1.
Geringfügige redaktionelle Übarbeitung dieser Zusammenstellung: Ekkehard Schröder
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161
Dokumentation
162
30 Jahre Curare: Dokumentation Ausgewählte Titelseiten IV:
„Ethnojatrie: Heilerpersönlichkeiten / Ethnoiatrics: Healing Personalities“
Ein nepalesischer Jhakri (Zauberarzt) trommelt
sich in Trance. Wacholderrausch als Kultmittel
bei Zeremonien
[Reprint Curare 4 (1981) 4]
Auf meiner Ein-Frau-Forschungsreise durch Nepal waren die bodenständige Heilkunde, Ayurveda
und magische Heilungspraktiken Teil meiner Forschungsziele. Da ich aus den Arbeiten von Karl
Jettmar aus Heidelberg wusste, dass der Wacholder bei den Darden Nordwestpakistans als heiliger
Baum verehrt wird und bei den Schamanen von
Bedeutung ist, suchte ich in Erfahrung zu bringen,
ob er eine ähnliche Rolle in Nepal spielt. Im Himalayagebiet wachsen verschiedene Wacholderarten.
Juniperus recurva mit großen, etwas gebogenen
Nadeln gilt als heilig und heilend (bei den Naturvölkern stets diese Doppelbedeutung) und wird bei der
Totenverbrennung zur Purifikation bei magischen
Zeremonien benutzt. In der buddhistischen Medicurare 31(2008)2+3: 162-116
zin werden Wacholderauszüge zur Vorbeugung und
Heilung von Krebs benutzt.
Der Legende nach soll der Schöpfergott Brahma
auf dem „Thron der Götter“ einem Team von Weisen
die Heilkunde offenbart haben. Zu den heilkräftigsten, heiligen Pflanzen gehört Juniperus recurva wegen seines Standortes in der Nähe der Gipfelregion
(bis 5000 m Höhe), die besonders heilig ist. Sie gilt
als „Thron der Götter“, weil dem Himmel nahe, also
der Götterwelt. Daher wird zu den schamanischen
und lamaistischen Zeremonien aus diesem Gebiet
Wacholder geholt, um aus glühenden Nadeln und
dem Harz Weihrauch (dhupi) zu gewinnen.
Bei meinem Besuch in einem buddhistischen
Gurung-Dorf, zwei Tagesreisen nördlich von Phokara, hatte ich Gelegenheit, einen Schamanen (Jhakri) bei seiner Freiluftbehandlung eines Patienten
(durch Anhauchen eines mit Mantren eingravierten Holzplättchens aus Wacholderholz, das auf die
schmerzende Stelle gedrückt wurde), in nächtlicher
Trommel-Trance-Zeremonie zu erleben, die aus
vorbuddhistischer Zeit stammt. Es war auffallend,
dass der Zauberarzt sich über eine Räucherschale mit glühenden Wacholdernadeln (dhupi) beugte
(vgl. auch Neureuther), bevor er sich mit der großen Lamatrommel in Trance trommelte.
Zur Klärung der Frage, ob die Inhalierung des
Rauches trancefördernd sei, ließ ich einige mitgebrachte Nadeln von der wissenschaftlichen Forschungsstelle des Verbandes der Zigarettenindustrie
in Hamburg untersuchen. Man fand eine Fülle von
Inhaltsstoffen, die z.T. noch nicht identifiziert sind,
aber keine Halluzinogene. Wahrscheinlich dient
dhupi nur zur Einstimmung einer heiligen Weihestimmung für das Kultgeschehen. Buddha hat alle
berauschenden Mittel untersagt, Trance sollte alleine durch meditative Praktiken erzielt werden.
Ich erlebte als erster westlicher Fremdling in
dem Dorf Imu diese Trommelséance, bei der der in
Ekstase geübte Schamane, der Jhakri, sich in Trance trommelte und dabei konvulsive Bewegungen
machte. Ich konnte die Trommelrhythmen, das Geklingel des über der Brust gekreuzten Glöckchenbandes und die Hyperventilation des Trommlers im
Verlauf der Zeremonie auf Tonband nehmen und
einige Fotos machen, die den Ablauf des Zeremo-
Dokumentation
nie zeigen. Der Jhakri in Trance ruft Schutzgeister
an, um z.B. bei Exorzismen die Krankheitsdämonen
auszutreiben. (Modifikation des Programmtextes
zum Referat zur 5. Fachkonferenz Ethnomedizin,
Ethnobotanik und Ethnopharmakologie, in Freiburg
vom 1.-3.12.80, Verhandlungsband als CurareSonderband 3/1985: Ethnobotanik / Ethnobotany
von Ekkehard Schröder herausgegeben und 1985
erschienen, derzeit vergriffen).
Dr. Sigrid Lechner-Knecht, Freiburg
Literatur zum Thema: Jettmar, K.: “The Cultural History of
Northwest Pakistan”. Year Book of the American Philosophical Society, p. 497, 1960 // Knecht, Sigrid (= Lechner-Knecht):
Mit Geistern und Dämonen auf Du – Psychologisch-soziologisches Mosaik aus dem Königreich Nepal. Die Waage, 3, 1969
// Knecht, S.: Magische Therapie in Nepal, Ethnomedizin, II,
1/2, 69-90 (1972) // Lechner-Knecht, S.: Magische Heilmethoden in Nepal. Ther. d. Gegenwart, H. 3, 458-498 (1976) //
Lechner-Knecht, S.: Reise ins Zwischenreich, Herdertaschenbuch Nr. 681 (1978) // MacDonald, D. A. W.: Le Monde du
Sorcier au Népal, Sources Orientales 7, 1966 // Neureuther,
G.: Als Arzt im Karakorum, Med. Monatsspiegel (Merck)
Darmstadt, 34, 1639-1644 (1961) // Schüttler, G.: Das mystisch-ekstatische Erlebnis. Diss. Bonn 1968 // Schüttler, G.:
Die letzten tibetischen Orakelpriester, Wiesbaden 1971
163
Der mythologische Häuptling von Ailicandi mit
Zeremonialstab
[Reprint Curare 7 (1984) 1]
Zeremonialstäbe werden für verschiedenste Funktionen bei den Cuna-Indianern in Panama verwendet,
so für den Ortspolizisten, für den Hohen Priester,
aber auch für den Arzt-Priester (siehe Bild) und
zur Teufelsaustreibung. Im Beitrag „Traditionelle
Priesterärzte und moderne Medizin. Das öffentliche
Gesundheitswesen der Cuna-Indianer auf dem San
Blas-Archipel von Panama“ von Roland Werner
wird mit umfangreichem Bildmaterial ein Überblick über das derzeitige Gesundheitswesen bei den
Cuna gegeben und dabei insbesondere die Bedeutung und die Funktion des Uchus, anthropomorpher
Holz- und Tongebilde im Rahmen der Volksmedizin
erläutert, siehe Beitrag S. 3-32. red.
Frau Konin Murahashi, Acarya des MikkyoBuddhismus
[Reprint Curare 10 (1987) 3]
Konin Murahashi, geboren 1953, weilte im April
und Mai dieses Jahres mit ihrem Ehemann Koei
curare 31(2008)2+3
164
M. in Deutschland. Das Mönchsehepaar stammt
aus Kumamoto bei Nagasaki und stellte bei seinem
Besuch hier den esoterischen Mikkyo-Buddhismus
vor, insbesondere auch die Heilprozedur Kaji. Nach
ihrem Völkerrechtsstudium an der AoyamagakuinUniversität in Tokio verfolgte K. M. Studien in
buddhistischer Theologie und trat 1981 in die Askese-Schule an der Mikkyo-Zentrale in Koyassan,
Süd-Hondo, ein, wo sie Ende 81 den hohen Rang
einer Acarya erwarb (jap. tugendhafte Priesterin).
An ihrer Wirkungsstätte zelebriert sie seit 1984 als
stellvertretende Oberpriesterin des Shingonji-Tempels in Kumamoto mit ihrem Manne Rituale, betet
und ist gleichzeitig Lebensberaterin für viele Hilfesuchende. Hier zelebriert Konin Murahashi in Oberberchtesgaden ein sogenanntes Goma-Ritual für den
Frieden. U.a. weilte sie auch bei der Tagung „Heilen“ in Köln (vgl. Curare 1/87, S. 42) und bot hier
Ratsuchenden Hilfe an. Das Foto wurde am 5.5.87
von Hideki Nakajima aufgenommen und zeigt die
Acarya bei der vorbereitenden Meditation für das
Goma-Ritual. (Feueropferzeremonie) im Kölner
Museum für ostasiatische Kunst. Der dortige Leiter
und Mikkyo-Kenner, Prof. Roger Goepper, lieferte
bei der Veranstaltung weitere Erläuterungen. Die
Mikkyo-Buddhisten sind davon überzeugt, dass der
Mensch nicht erst nach vielen Seelenwanderungen,
sondern schon in diesem jetzigen, „letzten“ Leben
die Buddhaschaft erlangen kann. (Redaktionell zusammengefasst aus einem vorliegenden Beitrag von
Bernhard Kirfel, Köln.)
Anm. der Schriftleitung: In einem themenzentrierten Heft in Vol. 1988 sollen verschiedene Heilformen dargestellt werden, die u.a. im Rahmen
alternativer Gesundheitsbewegungen auf Interesse
gestoßen sind und hier in Europa Gemeinden bilden.1
Anmerkung: 1) Diese Themen wurden nicht in einem Themenheft
verwirklicht, sondern erschienen verstreut. Der genannte Beitrag wurde nicht veröffentlicht.
Der Heilkundige Koae Rabau aus Arabure
[Reprint Curare 3 (1980) 3]
Das Titelfoto wurde entnommen aus: Ethnomedizin
– Beiträge zu einem Dialog zwischen Heilkunst und
Völkerkunde. Hrsg. von Gerhard Rudnitzki, Wulf
Schiefenhövel, Ekkehard Schröder, Ethnologische
Abhandlungen Nr. 1, Vlg. D. Kurth, Barmstedt
Dokumentation
1977. Inhalt siehe www.agem-ethnomedizin >>>
Aktuelles >>>Verschiedenes / Others / Divers: „Archäologie“ der AGEM – Wer sind wir? – early representations.
Hier der Klappentext dieses Bandes:
Der Heilkundige Koae Rabau, etwa 70jährig,
weit über die Grenzen seines Heimatdorfes hinaus
berühmt, ein beeindruckender Mann voll ungebrochener körperlicher und geistiger Kraft und von erstaunlicher Spannweite seines Wissens - vom Priesterhaft-Aerztlichen bis zum Faunisch-Dämonischen.
Wegen Ausübung von Zauberei war er von der australischen Administration mit einer Gefängnisstrafe
belegt worden. Das Photo entstand im Februar 1971
in Koaes Dorf Arabure, Central District, Papua New
Guinea. (Foto: Wulf Schiefenhövel1, siehe auch Titelbilder Curare 3/80 und 3/82 und Curare-Sonderband 5/1986 mit Koae).
Der ausführliche Text im Curare-Heft:
Koae Rabau aus dem Dorf Arabure in der Central Province von Papua New Guinea, einer der bekanntesten Heilkundigen des Roro-Sprachgebietes,
war 1971 etwa 70 Jahre alt, ein herkulischer Mann
mit straffer Haut über den massigen Armen und
Beinen. Der herausfordernde Blick unter den buVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Dokumentation
165
schigen weißen Brauen, der unglaubliche Appetit,
das eruptive Lachen, auch das, was man von seiner
sexuellen Aktivität berichtete, zeugten von ungebrochener Vitalität. Er hatte mich eingeladen, einige
Tage in seinem Haus zu verbringen und bei seinen
Heilhandlungen zugegen zu sein. Seinen Patienten
wendet er sich lange und intensiv zu; er behandelte sie mit einer Mischung aus chiropraktischen
Maßnahmen (wie Massage und Knackenlassen der
Fingergelenke), Heilpflanzenanwendung und „magischen“ Formeln. Einige Kranke behandelte er
wiederholt. Wie anderen mea mea taudia (Motu für
Heilkundige) schrieb man auch ihm die Fähigkeit
zu, vada (Motu für Schadenszauber) ausüben zu
können. Wegen einer solcher Anschuldigung hatte
er kurze Zeit im Gefängnis verbracht. Er sagte jedoch, dass er selbst nie vada ausgeführt habe. Seine besondere Stellung unter den Heilkundigen und
Zauberern der Region wurde dadurch gefestigt, dass
er nach allgemeiner Auffassung in der Lage war, die
Geister der Verstorbenen zu rufen und sie zu diagnostischen und divinatorischen Aussagen zu bewegen. Bei einer solchen nächtlichen Geistersitzung
konnte ich zugegen sein. Koae Rabau wendete dazu
eine Mischung aus ventriloquistischer Technik und
einer geflöteten Stimme an. Als eine der vorgeblichen Geisterstimmen in der Lingua Franca Motu zu
mir redeten, wurden die sprachlichen Eigenheiten
Koaes, der das Motu nur unvollkommen beherrschte, offenbar. Dieses aus Sicht des Europäers verräterische Zeichen blieb von meinem schulausgebildeten Begleiter Aitsi Paupua, der in der Seance eine
Weissagung zur Ursache der Sterilität seiner Frau
erhalten hatte, unbeachtet. Er war überzeugt, dass
der Totengeist seiner Mutter zu ihm und einen anderen Geist gesprochen hat.
Wulf Schiefenhövel, Seewiesen
Geringfügige redaktionelle Übarbeitung dieser Zusammenstellung: Ekkehard Schröder
Anmerkung: 1) Der Autor dieses Textes und Fotos, Wulf Schiefenhövel, war vor fast 40 Jahren erstmals
in Papua und schloss sich als Doktorand der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin an. Von 1975-1986 war
er (nach J. Sterly, 1970-1974) erster Vorsitzender der AGEM und gab ihr wesentliche Impulse. Er ist
heute noch nicht ganz so alt wie Koae Rabau damals und feierte am 2. Oktober dieses Jahres seinen 65.
Geburtstag am Max-Planck-Institut in Seewiesen, seinem langjährigen Wirkort als Humanethologe und
Doktorvater einer beachtlichen Kohorte begeisterter Studenten. Möge er bei gleicher Gesundheit und
Vitalität wie sein damaliger Gastgeber auf dessen Alter zusteuern und ihn mit weiteren kreativen Jahren
überrunden. Das wünscht sein damaliger AGEM-Weggefährte Ekkehard Schröder, auch im Namen des
Vereins.
curare 31(2008)2+3