ELENA „Es gibt keinen ungeschminkteren Titel als den eigenen Namen,“ sagt Elena. Und keinen, mit dem sie mehr über sich hätte erzählen können: „Eigentlich mag ich meinen Namen sehr gern, übersetzt bedeutet er ,Sonnenkind‘ - das hat etwas Warmes, und es passt zu meiner hellen Stimmfarbe. Andererseits schwingen für mich darin seit meiner Kindheit immer auch zwiespältige Gefühle mit, und beides zusammen hat Einfluss auf mich und meine Musik.“ Dazwischen spielt es sich ab. Ein Name mit zwei widerstreitenden Polaritäten; fünf Buchstaben, die die Spannweite ihres gesamten Album-Debüts umreißen. ELENA ist eine furiose Vereinigung scheinbar unvereinbarer Kontraste: Mädchenhafte Leichtigkeit trifft auf unauflösliche Melancholie, liebenswertes Chaos auf glasklare Strukturen, analoge Wärme auf elektronische Coolness. Eine unerhörte und bisher ungehörte Mixtur, mit der die 27-jährige Wahlhamburgerin das aktuelle Deutschpop-Spektrum erweitert - nicht nur um eine Schattierung, sondern gleich um eine ganze Palette voll großformatiger Farbsprengsel. Virtuos bedient sie sich der verschiedensten Stilarten, paart ihre jazzigen Klavierläufe mit urbanen Beats und fast unverschämt eingängigen Hooks. Zugleich lässt Elena in der eigentlich eindrucksvoll ausgearbeiteten Produktion immer wieder Raum für das Unperfekte, Unerwartete, für schräge Sounds oder Brüche im Arrangement. Vor allem aber für ihre aufreizend lässige Art zu singen, für ihre Stimme, mit der Elena souverän die gesamte Klaviatur von schnoddrig bis zuckersüß bespielt. So werden die Tracks zur druckvollen Spielfläche von Elenas nonchalanten Texten, die hinter ihrer in alltäglicher Sprache formulierten, oft sonnigen Fassade meist weit in die Tiefe reichen. Mit Grund: „Dieses Album, das bin ich. Ich stehe hinter jedem Text und jedem Ton. Es ist ein Bekenntnis zur Ehrlichkeit.“ Und damit ein musikalisches Abbild ihrer selbst: Funky und geistreich, mit Stil, Witz und Kante. Ungeschminkt, aber immer mit doppeltem Boden. TROTZ ALLEDEM. UND GENAU DESWEGEN. „Ich bin jetzt in einer Rolle, in der ich mich gern schon mein gesamtes Leben gesehen hätte, aber das lag irgendwie außerhalb meiner Vorstellungskraft. Ich habe lange nicht wahrgenommen, dass in mir eine Künstlerin steckt.“ Dabei ist die Musik von kleinauf ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens: Während der Kindheit in Aachen liegt Elenas Zimmer direkt über dem Übezimmer ihres großen Bruders, den sie dort oft bis in die Nacht hinein Violine spielen hört. Sie selbst klimpert lieber auf dem Klavier im Wohnzimmer, ab dem sechsten Lebensjahr dann auch zielgerichtet mit Unterricht - stramm klassisch, Russische Schule. „Ich war ein aufgewecktes Kind mit einem sehr eigenen Kopf, aber ich habe in einer Parallelwelt gelebt. In einer klassischen Traumwelt aus Musik, Ballett und einem hohen Bildungsanspruch, aber wenig Verständnis für das, was um mich herum passierte.“ Bei Schulbeginn kann Elena bereits lesen und schreiben, spricht durch ihre amerikanische Mutter fließend Englisch - und nimmt das als selbstverständlich. Als sie im Deutsch-Unterricht der ersten Klasse feststellt, dass der Lernstoff für sie nur Wiederholung ist, zieht sie sich kurzerhand aus und legt sich schlafen, mitten im Klassenzimmer. Woraufhin die Lehrerin Elenas Eltern zu einem Psychologen rät. Ihr Anderssein macht Elena zur dauerhaften Außenseiterin. Als sie zu ihrem 13. Geburtstag einen Großteil ihrer Klasse zu Feier einlädt, wartet sie zu Hause vergeblich auf Besuch - keiner kommt. Am Ende der Schulzeit hat Elena insgesamt sechs Klassen an drei verschiedenen Schulen in ihrer Vita stehen - und aufgrund ihrer Zielstrebigkeit dennoch ein Einserabitur in der Tasche. „Ich glaube, ich war eine echt schräge Nuss. Und irgendwie habe ich auch selbst dafür gesorgt, dass meine Mitschüler nichts mit mir anfangen konnten: Die klassische Bildung, der Ehrgeiz, und dann auch noch Bundespreisträgerin von ,Jugend Musiziert‘ - in deren Augen war ich völlig abgehoben." Elenas Rückzugsort bleibt immer die Musik. Nicht nur ihr Klavierspiel und die großen klassischen Meister - alles, was ihr gefällt, integriert sie scheuklappenfrei in ihre musikalische Welt: Allen voran die damaligen Stars auf MTV, später gefolgt von den Heroen der Jazz-, Funk- und Soul-Geschichte. Vor allem aber entdeckt sie ihre Stimme für sich, das Singen, das über die Jahre immer größeren Raum einnimmt. Allerdings ohne einen Gedanken an eine berufliche Perspektive als Musikerin. Ihre Gesangslehrerin drängt Elena schließlich förmlich dazu, Jazz zu studieren, Gesang und Klavier an der Musikhochschule von Maastricht. Doch obwohl sie die Musik reizt, reicht ihr das Musikstudium allein nicht aus. Elena schreibt sich parallel im Fach Kulturwissenschaften ein, sie absolviert beide Studiengänge in Regelstudienzeit - und findet dennoch kein festes Berufsziel: „Ich habe versucht, eine Jazzsängerin aus mir zu machen, aber der Jazzkeller ist nicht meins. Wäre ich ehrlich zu mir gewesen, hätte ich das schon weit vor Ende des Studiums festgestellt. Natürlich wollte ich singen, die Improvisation hat mich gereizt, und sicher kam dazu auch die Lust, mein klassisches Elternhaus mit Jazz zu provozieren. Also habe ich es durchgezogen, weil ich immer alles durchziehe. Aber ich habe es anders als viele Kommilitonen nicht mit Herzblut gemacht. Ich fühlte mich mal wieder nicht zugehörig.“ Elena nimmt das Musikstudium als solide Ausbildung in ihrem Hobby, zieht nach Hamburg und setzt dort auf ihren Bachelor in Kulturwissenschaften noch einen Master in Kulturmanagement obendrauf. „Musik war immer ein Teil von mir, aber ich bin trotzdem immer nur ums Becken herumgelaufen und habe hier und da den Fuß reingehalten - aber ich habe mich nicht getraut, einfach mal zu springen.“ Mit dem dritten Studienabschluss in der Hand springt sie, endlich: „Bis dahin war ich an alles sehr intellektuell herangegangen, auch an die Musik. Aber das brachte mich nicht mehr weiter - ich habe gemerkt, dass ich mich von diesen Zwängen befreien muss, dass ich aufhören muss, den Streber raushängen zu lassen. Also habe ich habe alles Gelernte über den Haufen geworfen und einfach das gemacht, worauf ich Lust hatte - und auf einmal ging der Spaß richtig los.“ Elena unterrichtet, spielt, singt und schreibt. Sie haut ihr Erspartes auf den Kopf und produziert in Eigenregie eine EP, die ihr schließlich die Türen öffnet: Erst zu Ihrem Label, dann zu dem Studio ihres Produzenten Kraans de Lutin, bekannt unter anderem für seine Arbeit mit Seeed, Tim Bendzko und auch Flo Mega, der nun auf Elenas Album-Track „Nie Da“ gefeatured wird. Soulful und funky, deutschsprachig, aber mit internationalem Sound - Elena und Kraans sprechen die gleiche musikalische Sprache, teilen die selbe Vision von Musik und arbeiten mit Hingabe an jeder einzelnen Zeile, jedem einzelnen Ton. Detailversessen, aber zugleich mit Lust am Zufall: Zum ersten Song spielt Elena testweise ein Klaviersolo ein, auf einem leicht verstimmten Manthey-Klavier, das im Studio steht - ein unperfekter Klang, der zum perfekten Gegenpol der elektronisch geprägten Produktion wird, stilprägend für den Charakter des gesamten Albums mit seiner Mischung aus Wärme und urbaner Lässigkeit. „Wenn ich alte Fotos von mir anschaue, sehe ich ein kleines, glückliches Kind mit einem entspannten Lachen - dieses Gefühl hatte ich zwischenzeitlich verloren. Durch meine Arbeit mit Kraans und das völlig freie, unverstellte Songwriting habe ich etwas aus dieser Zeit als Kind wiedergefunden: Den zuallererst emotionalen Zugang zur Musik. Die Neugierde. Das spontane und wilde Potenzial, das in der Musik schlummert.“ Das Ergebnis sind ungewöhnlich direkte, persönliche Songs. Nicht jedes Wort ist autobiografisch, doch mit jedem Titel gibt Elena einen Teil ihres Innenlebens preis. Und erzählt damit, fast nebenbei, auch einiges über die Lebensrealität ihrer eigenen Generation. Mit viel Humor und Wortwitz widmet sie sich in „Kratzer auf der Platte“ ihren kleinen und größeren Macken, mahnt sich selbst im Sommerhit-verdächtigen „Flugmodus“, ihrer Smartphone-Abhängigkeit gelegentlich einen digitalen Riegel vorzuschieben. In „Nie Da“ verarbeitet sie ihr modernes Hobo-Dasein zwischen dem heimatlichen Aachen, Maastricht, San Diego, Hamburg und Berlin zu einer Dancefloor-tauglichen Dreiminuten-Story. Und wenn Elena am Ende des Albums zu kratzender Vinylkulisse ein süßes, aber auch leicht gebrochenes „Ich hoffe, du nimmst mich trotz alledem“ singt, möchte man ihr am liebsten laut zurufen: ja, und g e n a u d e s w e g e
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