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Muenchen
28. Januar 2016, 18:57 Lebensmittel
Das Schockbild vom Bio-Hof, das
keines ist
Aus dem Musterbetrieb Gut Herrmannsdorf sind Bilder von einer
eingepferchten Sau mit ihren Ferkeln aufgetaucht.
Unter den Kunden haben sich die Anschuldigungen scheinbar noch nicht
rumgesprochen.
Tatsächlich sind auch in Bio-Betrieben verpöhnte Methoden erlaubt - aber
unter anderen Voraussetzungen.
"Wir Herrmannsdorfer meinen es ernst, sehr ernst, wenn es um das
Wohlergehen unserer Tiere geht", schrieb Karl-Ludwig Schweisfurth, der
Gründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten in seinem weihnachtlichen
Rundschreiben an Freunde des Hauses im vergangenen Dezember. "Das ist
uns ein großes Anliegen, mit Herz und Verstand." Dieses Anliegen ist nun sehr
infrage gestellt durch Fotos und Fernsehbilder, die auf dem Musterbetrieb im
Gut Herrmannsdorf bei Glonn entstanden sind.
Die Organisation "Soko Tierschutz" hat sie gemacht, sie zeigen eine Muttersau,
eingepfercht in einen Kastenstand, so groß wie sie selbst, in dem sie sich nicht
umdrehen kann. Um sie herum winzige Ferkel und eine Blutlache - das Bild ist
kurz nach der Geburt entstanden. Und vor Dezember 2015: Denn inzwischen
hat man auch in Herrmannsdorf auf ein moderneres System mit großen
"Abferkelboxen" umgerüstet, seitdem werden die Sauen nicht mehr fixiert.
Das sagt Karl Schweisfurth, der Sohn des Gründers und jetzige Chef des Guts.
Er spricht deshalb von "verleumderischen Anschuldigungen von einer
Organisation, die die gesamte Tierhaltung abschaffen und die Gesellschaft zur
veganen Lebensweise umerziehen will".
Was der Betrieb zu den Vorwürfen sagt
Am Donnerstagvormittag ist man etwas geknickt in der Herrmannsdorfer Filiale
am Max-Weber-Platz. "Ja, wir haben den Bericht gesehen", sagt Filialleiter
Sebastian Finsterwalder, "aber von der Kundschaft gibt es bisher noch kaum
feststellbare Reaktionen." Den Bericht in der ARD-Sendung "Fakt" vom
Dienstag fand er "schon etwas ungerecht": Bilder aus Herrmannsdorf seien mit
Aufnahmen aus anderen Betrieben vermischt worden.
Unter den Kunden im Laden haben sich die Berichte offenbar noch nicht sehr
herumgesprochen, der Laden ist kurz vor elf Uhr gut gefüllt. Eine Frau steht an
der Ladentheke und kauft Schweinefleisch. "Nein, davon habe ich noch nicht
gelesen", sagt sie, "aber ich vertraue schon darauf, dass es bei
Herrmannsdorfer mit rechten Dingen zugeht und das Wohl der Tiere im
Vordergrund steht." Das sei schließlich auch einer der Gründe, warum sie
dort einkaufe.
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29.01.2016 10:44
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Das Problem, das die Herrmannsdorfer Landwerkstätten und mit ihnen die
ganze Bio-Branche jetzt hat, ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und
Wirklichkeit. Oder die Tatsache, dass auch die Bio-Landwirtschaft ein
Kompromiss ist, wie Josef Brunnbauer sagt. Er ist Geschäftsführer von Biokreis,
dem Bioverband, bei dem die Herrmannsdorfer Landwerkstätten Mitglied sind.
"Natürlich bemühen sich unsere Biobetriebe, dass sie bei der artgerechten
Haltung und beim Tierwohl ganz weit vorne sind", sagt Brunnbauer. "Aber auch
wir kommen nicht völlig ohne Medikamente aus, viele haben Kastenstände."
Aktuelles Lexikon: Kastenstand
In der sogenannten Abferkelbucht soll der Kastenstand verhindern,
dass eine Sau ihre frisch geborenen Ferkel erdrückt. Meist steht oder
liegt das Muttertier in dem käfigartigen Gerüst und die Ferkel können
drumherum laufen und Muttermilch saugen. Gemäß TierschutzNutztierhaltungsverordnung müssen Kastenstände oder auch
"Ferkelschutzkörbe" so konstruiert sein, dass die Schweine sich nicht
verletzen können und ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den
Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken können, eine
konkrete Größe ist nicht vorgegeben. Der Nutzen ist umstritten, zumal
es Alternativen gibt, die allerdings mehr Platz pro Muttertier samt
Ferkeln beanspruchen. Etwa Nischen oder durch Stangen
abgegrenzte Bereiche in der Abferkelbucht, wohin sich die kleinen
Schweine zurückziehen können, wenn es durch die Bewegungen der
Sau eng wird. Auch der bayerische Biofleischproduzent
Herrmannsdorfer Landwerkstätten will zukünftig auf enge
Kastenstände verzichten, nachdem das Unternehmen für seine
Haltungsbedingungen kritisiert worden war. In Österreich gilt noch
eine Übergangsfrist, danach dürfen Schweine dort nur noch maximal
zehn Tage nach dem Abferkeln in einem Kastenstand gehalten
werden, genauso wie es bereits in der Schweiz die Regel ist. Auch in
Dänemark wurde die Anwendung von Kastenständen im vergangenen
Jahr stark eingeschränkt.
Selbst wenn viele Verbraucher das in ihrer Sehnsucht nach einer heilen
Landwirtschaft nicht wahrhaben wollten. Gleichwohl, und das ist zentral für
Brunnbauer, sind die Unterschiede zur konventionellen
Landwirtschaft gravierend.
Gerade bei den Antibiotika. "Ganz klar: Alle amtlich zugelassenen Antibiotika
sind auch in Bio-Betrieben erlaubt", sagt der Tierarzt und Ingolstädter
Umweltreferent Rupert Ebner. "Aber es steht fest, dass sie auf ihnen ungleich
seltener eingesetzt werden als in der konventionellen Haltung." Und erst, wenn
alle alternativen Methoden versagt haben. Außerdem dürfen Biobauern immer
nur einzelne erkrankte Schweine gezielt behandeln und nicht - wie ihre
konventionellen Kollegen - präventiv ganze Gruppen.
Der wohl gravierendste Punkt aber ist für den Tierarzt, dass Antibiotika auf
Biohöfen "zu 99 Prozent bei ganz jungen Ferkeln eingesetzt werden, die starke
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29.01.2016 10:44
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Durchfälle haben oder an Atemwegserkrankungen leiden und denen sonst
nichts mehr hilft". In der konventionellen Schweinehaltung hingegen würden vor
allem Masttiere damit behandelt.
Mehr Platz für Schweine in Biobetrieben
Ähnlich sind die Unterschiede bei den Haltungsbedingungen. Natürlich sind die
Schweine-Bestände von Biobauern sehr viel kleiner als die ihrer konventionellen
Kollegen. Selbst ein großer Bio-Betrieb wie Herrmannsdorfer liegt im ZahlenVergleich zu konventionellen Mästern mit seinen 600 Tieren an der untersten
Grenze. Außerdem haben die Tiere in der Biohaltung deutlich mehr Platz, sie
dürfen raus an die frische Luft, sich suhlen und herumwühlen - alles also, was
Schweine lieben. Die Anbindehaltung - also dass ein Tier im Stall fixiert wird ist tabu.
Einzige Ausnahme ist die Zeit rund um die Geburt der Ferkel. "Ganz klar: Da ist
die Haltung der Muttersauen in Kastenständen auch auf Biohöfen erlaubt", sagt
Hubert Heigl, Vizechef der Landesvereinigung ökologischer Landbau (LVÖ) und
selbst Ferkelerzeuger. "Wenn auch nur wenige Tage rund um die Geburt
der Ferkel."
Auch Heigl hat auf seinem Hof sogenannte Abferkel-Boxen eingerichtet, in
denen die Sauen viel mehr Platz haben. Heigls Erfahrung: Es geht ohne
Kastenstände, "und zwar richtig gut".
URL:
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Quelle:
SZ vom 29.01.2016/mmo, axi
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