S. Saricicek - Universität Heidelberg

Ein Jahr in Kopenhagen (WS 2014 – SS 2015), praktischer Erfahrungsbericht
I: Praktische Tipps für ein Jahr in Kopenhagen
-Die ersten Wochen
Es ist sehr empfehlenswert, an den Einführungsveranstaltungen der Jura-Fachschaft
teilzunehmen. Diese finden typischerweise in den ersten zwei Vorlesungswochen statt. Daneben
kann es auch sinnvoll sein, an Veranstaltungen anderer Fachschaften (z.B. Humanities)
teilzunehmen. Zu diesen wird man bereits eingeladen, wenn man sich nur für Kulturkurse (Danish
Cinema usw.) angemeldet hat.
Auch der dem Studiensemester vorgelagerte 'Pre-Semester Danish Language Course' kann
eine sehr gute Gelegenheit zum Kennenlernen von anderen internationalen Studenten sein.
Damit man von dem ERASMUS-Aufenthalt möglichst viel mitnimmt, sollte man versuchen,
so viele dieser Angebote am Anfang des Studiums wahrzunehmen, wie es nur geht: ob ERASMUS
ein ,,Erfolg'' wird, oder nicht hängt sehr davon ab wie offen und kontaktfreudig man ist.
-Wohnen
Das Wohnen in Kopenhagen ist grundsätzlich teurer als in Deutschland und oft teurer als in
Heidelberg. Preiswert wohnen lässt sich in WGs oder in bestimmten Wohnheimen der 'University of
Copenhagen Housing Foundation'. Hier bewirbt man sich zentral über eine Internetplattform. Über
das Bewerbungsverfahren an sich und wann dieses freigeschaltet wird, informiert die 'Housing
Foundation' im Vorfeld.
Um einen Platz in den günstigen Wohnheimen zu erlangen, muss man bei der Freischaltung
schnell sein, d.h. zu dem Zeitpunkt für eine gute Internetverbindung sorgen.
Abseits von dem Angebot der 'Housing Foundation' gibt es viele Gruppen auf Facebook wie
z.B. 'Homeless Students of Copenhagen' die einem alternativ weiterhelfen können. Oft lassen sich
hier kurzfristige Lösungen finden.
-Essen, Telefonieren, Fortbewegung, Finanzen
Auch das Essensangebot in Kopenhagen ist teuer, wie überhaupt die Lebenshaltungskosten
weit über Deutschland liegen. Dies hängt hauptsächlich mit den höheren Löhnen die in Dänemark
ausgezahlt werden zusammen.
Am Ökonomischsten ist es wohl selbst zu kochen. Gut einkaufen kann man bei Netto, Lidl,
Fakta usw. Døgn Netto hat auch am Sonntag auf; Seven-Eleven hat an jedem Tag 24 Stunden auf,
dafür sind hier manche Alltagsprodukte weniger erschwinglich.
Fast jeder Austauschstudent telefoniert mit Lebara und zwischen Lebara-Kunden kann man
umsonst telefonieren. Man kann in jedem der oben genannten Geschäfte Lebara Guthaben kaufen.
Auch Internet-Optionen lassen sich einfach dazu buchen – dann kann man auch einfach über Apps
kommunizieren.
In Kopenhagen fährt man Fahrrad – gebrauchte Fahrräder werden im Internet ständig
angeboten und die Fahrradwege sind gut ausgebaut.
Ansonsten bieten die öffentlichen Verkehrsmittel 'DSB / DOT' eine Alternative: hierfür
können monatliche Tickets gekauft werden. An den Ticketautomaten kann der Kunde dann jeweils
Monatstickets nachkaufen.
Mit einer deutschen EC - Karte kann man an dänischen Geldautomaten Bargeld abheben
und in den meisten Läden funktioniert die EC - Karte auch.
Will man Geld im Wechselbüro wechseln, muss man jeweils eine Kommission zahlen.
Ein dänisches Konto einzurichten, ergibt meines Erachtens nur Sinn wenn man neben dem
Studium jobbt. Um ein Konto einzurichten, braucht man eine CPR-Nummer. Diese ist zugleich die
Krankenversicherungskarte. Die CPR ist für bürokratische Handlungen in Dänemark unabdingbar.
Sie kann am einfachsten bei den Einführungsveranstaltungen der Universität erlangt werden. Die
Universität schreibt frühzeitig allen neuen Studenten wegen der CPR Nummer.
-Freizeit und Kultur
Kopenhagen hat kulturell sehr viel zu bieten. Die 'Hauptsehenswürdigkeiten' lassen sich aber
in wenigen Tagen besichtigen und befinden sich in der Altstadt nahe beieinander.
Für Kunstliebhaber kann ich 'Louisiana' empfehlen, ein Museum etwas außerhalb von
Kopenhagen, mit thematisch stets wechselnden Ausstellungen und idyllisch an einem kleinen See
gelegen.
Ein weiterer Tipp ist das 'Parkmuseerne' – Ticket. Damit kann man innerhalb eines Jahres
verschiedene Museen besuchen, die zu sehr unterschiedlichen Themen ausstellen.
Weiter ist es empfehlenswert, bei Festivals als Freiwilliger mitzuarbeiten (zB Distortion oder
Roskilde). Man bekommt Zugang zu allen Veranstaltungen des Festivals und auch sonst viele
Vorteile.
Wer dänisches 'Hygge' (in etwa: Gemütlichkeit) erleben will, der sei auf das 'Bastardcafé'
verwiesen, denn dieses ist ein Gesellschaftspiele – Café mit einem breitgefächertem Angebot und
anwesenden Spiele-'Gurus' die einem die teils recht komplexen Spielregeln erklären und sonst
behilflich sind.
Kopenhagen hat sehr malerische Parks zum Entspannen, etwa das 'Kongens Have' in dem
das Schloss 'Rosenborg' zu finden ist. Ein weiterer Ort zum Abschalten sind die Grünflächen
entlang der Kopenhagener Seen – diese bieten sich auch als Route zum Joggen an.
Das Kopenhagener Nachtleben konzentriert sich auf das 'Meatpacking District' und die
Altstadt. Es gibt auch zahlreiche Bars für einen gemütlicheren Abend und mit unterschiedlichster
Ambiente.
Ich empfehle jedem der nach Kopenhagen zieht, sei es für ein halbes oder für ein ganzes
Jahr die Veranstaltungen der dortigen Erasmus Gruppe 'ESN Copenhagen' zu verfolgen und an
diesen teilzunehmen. So lernt man die ganze skandinavische Kultur kennen, macht unvergessliche
Erlebnisse und trifft auf inspirierende Menschen. ESN Copenhagen bietet u.a. eine Schiffsfahrt von
Stockholm nach Tallinn und zurück an: das 'Sea Battle'.
Ansonsten kann ich jedem ERASMUS+ Teilnehmer nur nahelegen, sich selber frohen Mutes
auf Entdeckungsreise zu begeben. Es gibt keine ,,richtige Art'' Kopenhagen zu entdecken, sondern
jeder muss für sich herausfinden, wie er seine Freizeit gestaltet.
-Jurastudium
Die Kurse an der Kopenhagener Fakultät reichen von fachlich intensiveren bis hin zu
weniger Zeit beanspruchenden Kursen. Meistens schließen Vorlesungen mit einer mündlichen
Prüfung ab, aber Prüfungen können auch schriftlich, als Hausarbeit oder mündlich basierend auf
einer Synopsis gestaltet sein.
Zu meinen einzelnen Kursen:
Law of Armed Conflicts:
Interessanter Kurs mit anschaulichen Beispielen aus der Praxis. Das empfohlene Lehrbuch ist
jedoch rechtspolitisch voreingenommen, da es für das amerikanische Militär geschrieben wurde.
EU Health and Medical Law:
Sehr fallorientierte und lehrreiche Vorlesung. Mit Abschluss des Seminars erlangt man eine wirklich
gute Einsicht in das europäische Medizinrecht.
Introduction to Danish Law:
Die Vorlesung wird abwechselnd von zwei Dozenten geführt. Beide Dozenten sind erfahrene
Praktiker. Im zivilrechtlichen Teil wird das Lernen durch einprägsame Fallbeispiele erleichtert und
im öffentlich-rechtlichen Teil helfen hierbei die Powerpoint Präsentationen.
Intellectual Property Law:
Die Vorlesungsmaterialien für diesen Kurs sind umfassend, was ein Pluspunkt ist. Der Kurs wird
teils abwechselnd geführt, was gleichsam positiv ist. Jedoch orientiert sich die Dozentin etwas sehr
an den Powerpoint Präsentationen, wodurch der Kurs manchmal zu trocken gerät.
International Human Rights Law:
Eine Vorlesung mit einer angemessenen Mischung aus Fallbeispielen und abstrakteren Inhalten.
Fragen werden kompetent beantwortet.
Great Trials in Western Legal History:
Ein zu zweit geleiteter Kurs. Der Kurs ist sehr lebhaft gestaltet und regt die Teilnehmer stets an,
persönlich mitzuwirken. Ich kann 'Great Trials' nur weiterempfehlen, denn die Vorlesung stärkt
nicht nur das eigene kritische Denken, sondern vermittelt zugleich historische Grundlagen des
Rechts und lehrt darüber hinaus Rechtsvergleichung.
Vorbereitung / Nachbereitung:
Die meisten Materialien werden online auf die e-learning Plattform 'absalon' gestellt. Jeder Dozent
empfiehlt daneben den Kauf von Lehrbüchern. Ich rate dazu je nach Kurs zu entscheiden, ob der
Kauf wirklich sinnvoll ist, oder ob die online gestellten Materialien bereits vollkommen genügen.
Lernen kann man am besten in der 'Black Diamond', der königlichen Bibliothek, in dem
'Jurahuset', der juristischen Bibliothek, oder in der 'Hovedbibliotek', wo sich zugleich das
'Democratic Coffee' befindet, welches nebenbei eigens für seine Croissants ausgezeichnet wurde.
-Dänische Besonderheiten
Wohnheime: Zwar stellt die 'University of Copenhagen Housing Foundation' Wohnheime zur
Verfügung, allerdings ändert das nichts an der Tatsache, dass die Studenten in vielen Wohnheimen
wie in einem Mietverhältnis zwischen Privaten behandelt werden. Die 'Housing Foundation'
vermittelt letztlich in den meisten Fällen nur, was im Ergebnis bedeutet, dass die Mieter viele
wohnungsinternen Probleme selbst lösen müssen.
Mensen: Es gibt vereinzelt ,,Mensen''. Diese bieten aber zumeist nur belegte Brote und Ähnliches
an, sind also keine Mensen wie wir sie kennen.
Wetter: Eine skandinavische Besonderheit – im Sommer sind die Tage sehr lang und man hat viel
Tageslicht. Im Herbst und Winter hingegen wird der Tag sehr kurz und die Sonne zeigt sich kaum.
Dies sollte man mit einbeziehen, wenn man nicht weiß, ob und für wie lange man sich bewerben
will.
Vorlesungen: Das Verhältnis zwischen Dozent und Student ist in Dänemark eher informell und man
duzt sich. Die Lerngruppen sind klein und es wird sehr viel Wert auf Vorbereitung und
Nachbereitung der Vorlesungen, sowie eigenständige Arbeit gelegt. Kritisches Denken wird
besonders unterstrichen: ein Dozent erklärte uns den Unterschied zwischen internationalen und
dänischen Studenten damit, dass die dänischen Studenten fast immer hinterfragen, was der Dozent
lehrt. Lehre und Studium sollen gleichermaßen ein Lernprozess für den Dozenten und für die
Studenten sein.
Die Dänen: Dänen mögen etwas kühl und zurückhaltend wirken. Wenn man sie jedoch von sich aus
anspricht, werden sie fast immer sehr hilfreich sein und sich Zeit mit der Antwort lassen.
Ich habe die Einsicht gewonnen, dass die Dänen Oberflächlichkeit gar nicht schätzen, sondern viel
Wert auf Geduld legen und sich Zeit mit Freundschaften lassen.
Ein guter Weg längere Freundschaften auch mit Dänen zu schließen, ist es z.B. in einem
Sportklub mitzumachen, oder gemeinsam über längere Zeit (etwa an einem universitären Projekt)
zu arbeiten.
In Dänemark lässt man jedem seine Freiheit sich zu entfalten wie er / sie will, was auch zu
dem Eindruck beiträgt, dass die Dänen kühl wirken.
Toiletten: Die Toiletten in Kopenhagen sind nicht nach Geschlechtern getrennt.
Hygge: Lockere und gemütliche Einstellung. Praktische Umsetzung zB in gemeinsamen geselligen
Spieleabenden und Unternehmungen. Solche gelassen-gesellige Unternehmungen in Gruppen
werden sehr geschätzt.
Begrüßungen: Es ist nicht wirklich üblich, dass Dänen einen (etwa im Wohnheim) en passant
begrüßen. Dies hat wohl nichts mit Unhöflichkeit zu tun, sondern wieder damit, dass man jedem
seine Privatsphäre lässt.
II: Was ich aus diesem Jahr in Dänemark mitgenommen habe
Erst einmal habe ich gelernt, dass ein halbes Jahr zu kurz und ein Jahr ERASMUSAufenthalt in Dänemark genau richtig ist. Wenn man ein Land, seine Menschen und seine Kultur
verstehen will, muss man mehr als ein halbes Jahr dort verbringen.
Ich habe in diesem Auslandsjahr fast ausschließlich Englisch gesprochen, also intensiv eine
Fremdsprache praktiziert und in allen möglichen Lebenssituationen angewandt.
Ich habe Freundschaften mit Menschen aus den verschiedensten Ländern der Welt
geschlossen und pflege weiter den Kontakt mit meinen Freunden vom Erasmus+ Aufenthalt. Ich
denke viele der Menschen die ich in Kopenhagen und allgemein Skandinavien kennengelernt habe,
werden mir immer wieder begegnen und sie werden bei mir, so wie ich bei ihnen willkommen sein.
Fachlich habe ich mich weiterentwickelt. Durch dieses Auslandsjahr habe ich eine Übersicht
in gegenwärtig vor vielen Herausforderungen stehenden Rechtsgebiete erlangt, die ich bisher wenig
oder gar nicht studiert habe und die mir in Zukunft erneut begegnen können. Die studierten Gebiete
könnten auch ausschlaggebend für die Wahl meiner Seminararbeit u.a. sein.
Ein Jahr lang habe ich ausschließlich in kleineren informelleren Gruppen gelernt und diese
Lehrveranstaltungen mit mündlichen Prüfungen abgeschlossen. Erasmus+ hat mir gezeigt, auf
welcher Art man noch Jura lernen kann, vergleichbar mit unseren AGs. Ich sehe die mündlichen
Prüfungen als eine erste Vorbereitung für die Prüfung im mündlichen Teil des Staatsexamens.
Für mich war dieses Jahr praktisch ein zweites 'year abroad', da meine Familie in der Türkei
lebt, wodurch ich das zweite Mal in einem anderen Land studierte, so dass Anpassungsfähigkeit und
Eigenständigkeit gefragt waren, beides erforderliche Eigenschaften für das Berufsleben.
Eigeninitiative war insbesondere gefragt, um mich mit anderen Studierenden zu vernetzen.
Diese Eigeninitiative hat Früchte getragen, sowohl für mich als auch für weitere Studenten in
Kopenhagen. Ich habe ein Jahr lang eine Amateur Start-Up Fußball Gruppe organisiert, F.C.
Bispebjürgen Klopp.
Jedem zukünftigen Studenten der in Kopenhagen studieren will und grundsätzlich an Sport
und internationalen Kontakten interessiert ist, empfehle ich der Gruppe beizutreten. Wir haben
sogar einen Artikel über uns in der englischsprachigen Universitätszeitung 'Copenhagen University
Post':
http://universitypost.dk/article/social-lessons-football-just-fun-manifesto
Dort findet jeder angehende ERASMUS+ Student in Kopenhagen den Link zu unserer
Gruppe und ist immer willkommen mitzuspielen.
Was bleibt sind die Menschen die mir in Kopenhagen begegnet sind und die gemeinsam
geteilten Erfahrungen in einem anfangs fremden Land, Erfahrungen die uns zu offeneren und
engagierteren Menschen machen, als auch für mich eine weitere Stufe auf dem Weg zum guten
Juristen sind.
Zusammenfassend kann ich jedem nur raten, die Angebote der Universität Heidelberg zu
nutzen und für ein halbes oder ein ganzes Jahr im Ausland zu studieren.
Man wird dabei als Mensch überall auf die Probe gestellt, lernt in sozialer, akademischer,
sprachlicher, charakterlicher und beruflicher Hinsicht immens dazu.
Kopenhagen bietet sich zum Lernen an weil das akademische Angebot vielfältig ist, die
skandinavische Kultur eine andere Perspektive bietet und die große Mehrzahl der Dänen ziemlich
gut Englisch sprechen.