Rundfunk Berlin Brandenburg Mo 14.09.2015 I 22:15 I OZON unterwegs Gifte statt Vielfalt? Viele tausend Tonnen Glyphosat werden jedes Jahr versprüht zur Unkrautvernichtung. Etwa kurz vor der Getreideernte. Es stoppt breitflächig das Wachstum der Unkräuter, vielfach auch auf den Randstreifen, vernichtet damit aber auch viele für Insekten wichtige Pflanzen und damit die Nahrungsketten der Vögel. Weil die maßgeblichen Tests von Glyphosat nur in Laboratorien stattfinden, so der Ökotoxikologe Dr. Werner Kratz, sind viele Wirkungen des Giftes noch gar nicht erforscht. Manuskript des Beitrags: Ein Weltrekordversuch im Oderbruch. O-Ton kurz: „Alles klar Jungs, wir können los“. 1000ha eines Landwirtschaftsbetriebes sollen binnen 24 Stunden einer Totalherbizidbehandlung unterzogen werden. Das Werbevideo inszeniert das Geschehen als heldenhaften Kampf. Doch was passiert da? Der Giftstoff soll grüne Pflanzen, auf die er fällt, abtöten. Das wird oft kurz vor der Getreideernte praktiziert, um keine Unkräuter mit einzusammeln. Unter dem Markennamen „Roundup“ wird der weltweit am häufigsten eingesetzte Wirkstoff Glyphosat vertrieben. In jeder grünen Pflanze bringt Glyphosat die Zufuhr lebenswichtiger Stoffe zum Erliegen, was innerhalb kurzer Zeit zum Absterben führt. O-Ton Dr. Werner Kratz: Ökotoxikologe „Die direkte Wirkung bei Pflanzen ist klar: das ist ein molekularer Prozess, der dort ansetzt, wo das Pflanzenwachstum initiiert wird, also damit ist der Pflanzentod vorprogrammiert. Und auf den Beipackzetteln steht ja, 4-5 Tage braucht dieser Prozess. Bei den Tieren – nehmen wir mal die Insekten, ist es primär ein indirekter Effekt, weil diese Tiere im Grunde genommen nichts mehr zu fressen vorfinden.“ Oft sind Insekten und Kleinlebewesen an genau eine Art eines Ackerkrautes gebunden. Auch Tiere des Bodens verlieren ihre Nahrung. Die Nahrungsketten der Feldvögel verschwinden. Dennoch landen jährlich über 6000 Tonnen Glyphosat auf den Feldern unseres Landes. Und nicht nur dort: auch in Gewässern, im Getreide und nun nachgewiesen auch im Urin des Menschen. Selbst die direkten Wirkungen auf die meisten Organismen sind nicht ausreichend untersucht. O-Ton Dr. Werner Kratz: Ökotoxikologe „Wenn Sie sich mal anschauen, wie solche Zulassungsverfahren funktionieren und welche Organismen in diese Zulassungsverfahren eingebunden werden, werden Sie feststellen, dass erstens nur wenig ausgewählte Arten getestet werden. Zum zweiten finden die maßgeblichen Untersuchungen in Laboratorien statt. Nicht im Freiland. Weil Freilanduntersuchungen mit ihrer sehr komplexen Verknüpfung von Arten natürlich sehr viel schwieriger zu simulieren sind, als eine Laborsituation.“ Bis zu vier Mal im Jahr ist der Einsatz von Glyphosat auf einem Feld erlaubt. Viermal wird alles Grün vernichtet. Millionen Jungvögel verhungern in ihren Nestern, weil sie nicht mehr genug eiweißhaltige Kost bekommen. Im Kampf um die wenigen Reserven überleben die Starken, wie der Neuntöter. Andere verlieren und gehen in ihrem Bestand stark zurück. Und noch eine Konsequenz hat der seit Jahrzehnten weltweite Einsatz des Giftes: Längst haben sich resistente Unkräuter durchgesetzt, die nicht mehr auf die zugelassene Dosis von Glyphosat reagieren. Die Folge: das Gift wird noch häufiger und in noch höheren Dosen gespritzt. Als Reaktion hat man die zulässigen Grenzwerte erhöht. Seit 2009 verzeichnet die Agrar-Chemieindustrie einen sprunghaft steigenden Verkauf ihrer Produkte. Mit 1,6 Milliarden Euro gab es im vergangenen Jahr einen Umsatzrekord. Die Agrarchemie ist zum Dreh- und Angelpunkt einer Höchstertragslandwirtschaft geworden. O-Ton Dr. Werner Kratz: Ökotoxikologe „Man muss halt ganz einfach schauen, wie Landwirtschaft auf 80% der Flächen hier in Brandenburg funktioniert. Es sind konventionelle Landwirtschaftsbetriebe, die auf sehr großen Schlägen arbeiten. Da haben Sie dann mal 5000ha nur Mais. Und das ist natürlich ein Anbau- und Produktionssystem, wo Sie gewisse Schädlingskomplexe fördern. Und da müssen Sie natürlich dann, um ihren Ertrag einzufahren, mit entsprechenden chemischen Hilfsmitteln auch hantieren. Ohne chemische Keule ist der Kampf um Höchsterträge nicht zu gewinnen. Davon sind auch die Protagonisten des Weltrekordversuches im Oderbruch überzeugt. In dem Videoclip schaffen sie es mit Hilfe der beworbenen Maschinen, auf über 1000 Hektar in 24 Stunden jede noch lebende Pflanze zu vernichten. Ein zweifelhafter Sieg über die Natur… …die in diesem Spiel ansonsten nur Verlierer kennt. Ein Bericht von Felix Krüger 2
© Copyright 2024 ExpyDoc