SPORTMEDIZIN „Was tun, wenn’s kracht?” Kleine und große Verletzungen – gerade im Lauf-, Sprint- und Sprungbereich – sollten richtig erkannt und vor allen Dingen richtig behandelt werden. Hier einige Tipps und Tricks, auch für den prophylaktischen Bereich. Oft sind es gerade die kleineren Verletzungen im Sport, die unterschätzt und fatalerweise sogar ignoriert werden! Diese Ignoranz kann in manchen Fällen zu größeren körperlichen Schäden beim Athleten führen. Wie wichtig die Wahrnehmung und vor allen Dingen Therapie dieser kleineren Verletzungen ist, beschreibt der Autor in seinem Beitrag. Ins Zentrum rückt er dabei die Wundheilung als wichtiges Basiswissen und überträgt dieses Wissen auf einzelne Verletzungen. Schwere Verletzungen kommen leider gerade bei den „Hochleistungsmaschinen“ in der Leichtathletik (hier z.B. Marion Jones) immer wieder vor. C Bongarts 12 leichtathletiktraining 1/2003 Von Michael Kothe Einleitung Wer im Sport tätig ist, hat zwangsläufig mit Verletzungen zu tun. In der Leichtathletik ganz besonders dann, wenn es darum geht, bis an die Leistungsgrenzen zu gehen. Viele von uns Trainern ärgern sich natürlich besonders, wenn gerade vor einer wichtigen Meisterschaft eine Verletzung auftaucht. Dann beginnt die hektische Suche nach schnellen Heilmethoden, kurzfristige Therapiepläne werden erstellt, und so wird der verletzte Athlet manchmal sogar bis zu besagter Meisterschaft starten können. – Aber ist dieser Athlet wirklich wieder gesund? Kann der Körper so schnell geheilt werden? Und resultiert eine solche Verletzung vielleicht sogar aus einer vorher nicht richtig ausgeheilten Verletzung? Um etwas Licht ins Dunkel zu bekommen, beschreibe ich Ihnen die Heilungsphasen des Körpers etwas genauer und werde anschließend auf einige typische Verletzungen im Lauf-, Sprint- und Sprung-Bereich (und wie diese entstehen können) eingehen. Gerade was von uns Trainern zur Heilung getan wird ist wichtig. Deshalb möchte ich Möglichkeiten zur gesunden Heilung aufzeigen. Und damit deutlich wird, wann nach einer Verletzung wieder mit dem Training begonnen werden kann, sind auch immer die ungefähren Heilungszeiten angegeben. Generell gilt jedoch, dass jede Verletzung so unterschiedlich und individuell wie jeder Mensch ist. Im Regelfall sollte sich immer ein Arzt und/oder Physiotherapeut um die Heilung kümmern. Wundheilung Wundheilung ist körperliche Regenerations- der Bewegungsapparat Verletzungen SPORTMEDIZIN Kleines Wörterbuch Aktiver Bodenkontakt Bodenkontakt aus aktiver Vorspannung heraus wenig „Einsinken im Gelenk“ kurze Bodenkontaktzeit Bindegewebsmassage Spezielle Massage des Bindegewebes aus der Physiotherapie, bei der über Reflexbahnen, z.B. von der Haut auf Organe oder Muskeln, eingewirkt werden kann. Bindegewebsmatrix Ein bestimmtes Muster zur Anordnung des Bindegewebes. Chondropathia patellae Eine Erweichung des Knorpels in der Kniescheibe. Entzündungsmediatoren Stoffe, die eine Entzündung unterstützen. Kollagen Fibröses Struktur-Eiweiß, das in allen Bindegeweben vorkommt (Knochen, Knorpel, Bänder, Sehnen) sowie in der Haut. Kollagen ist daher das häufigste im Körper vorkommende Eiweiß. Kollagener Belastungsbereich Eine Bewegung, die nicht über die Belastungsgrenze des Kollagens hinaus geht. Proliferation Der Entzündung nachfolgende Phase, in der es zur Gewebeneubildung kommt. Ruptur: Riss Schmerzmediatoren Stoffe, die die Reizschwelle der Rezeptoren im Verletzungsbereich herabsetzen Tendinosen: Sehnenansatzentzündungen Leukozyten Weiße Blutzellen, die zur immunologischen Abwehr dienen. Makrophagen Fresszellen, die der immunologischen Abwehr dienen. Offene Bewegungskette Siehe geschlossene Bewegungskette, nur dass der Bodenkontakt unter dem Fuß fehlt. Geschlossene Bewegungskette Die bewegenden Körperabschnitte, z.B. das Bein, haben Bodenkontakt über den Fuß und sind im Stand somit vom Körper und vom Boden als Bewegungskette eingeschlossen. Passiver Bodenkontakt starkes Einsinken in den Gelenken beim Bodenkontakt wenig Vorspannung lange Bodenkontaktzeit prozess, der zerstörtes Gewebe durch Neubildung von Bindegewebe und kleineren Blutgefäßen ersetzt. Man unterscheidet hier eine primäre Wundheilung, bei der sich eine Wunde sauber, rasch und komplikationslos verschließt, und die sekundäre Wundheilung, bei der es aus verschiedenen Gründen zu einer verzögerten Wundheilung kommt, die nicht selten mit Bildung von Narbengewebe einhergeht. Um eine optimale Heilung zu erhalten, braucht das heilende Gewebe möglichst viele physiologische Belastungsreize. Dass heißt Belastungsreize, die das Gewebe nicht schädigen. Die genauen Phasen der Wundheilung sind in Abb. 1 verdeutlicht. sich der Sauerstoffgehalt. Durch diese Erhöhung der Sauerstoffkonzentration steigt zudem der pH-Wert im Blut. Bereits während der Entzündungsphase wird mit der Kollagensynthese (Bindegewebsbildung) begonnen. Gebildet wird der Kollagentyp 3, der die Grundlage der primären Wundheilung ist und die Wunde so schnell ABB. 1 Tractus iliotibialis Sehniger Faserzug an der Außenseite des Oberschenkels, der von zwei Muskeln am Becken gebildet wird und über das Kniegelenk zum äußeren Schienbeinkopf zieht. Vaskulär die Blutgefäße betreffend Zellulär die Zellen betreffend wie möglich mit Bindegewebe schließt. Dieser Ablauf der Wundheilung findet sich in jedem Gewebe, dem eine Verletzung zugefügt wurde. Zelluläre Phase Vom zweiten bis zum fünften Tag der Wundheilung spricht man von der zellulären Pha- PHASEN DER WUNDHEILUNG Entzündungsphase C Bongarts Die Entzündung ist eine Abwehrreaktion des Körpers gegen verschiedene schädigende Reize. Man unterscheidet hier eine vaskuläre und eine zelluläre Phase. – In der vaskulären Phase findet vor allem die Gerinnung statt. Das Gewebe beginnt mit der Reparatur des Gefäßsystems. In den ersten 48 Stunden kommt es zu einer Invasion von Leukozyten und Makrophagen ins Verletzungsgebiet, dies wird über die Sauerstoffkonzentration gesteuert. Durch die Gefäßverletzung tritt sauerstoffreiches Blut in den Zellzwischenraum (Interstitium). Dadurch erhöht leichtathletiktraining 1/2003 13 SPORTMEDIZIN ABB. 2 KOLLAGENSTRUKTUREN a normale Situation b Situation nach Wundheilung ohne Imobilisation c Situation nach Wundheilung mit Imobilisation se. Während des zweiten und dritten Tages dominiert die Neubildung von Bindegewebsaufbauzellen (Fibroblasten bzw. Myofibroblasten). Die Belastbarkeit des Gewebes ist an diesen Tagen wegen dieser speziellen Neubildung herabgesetzt. Das ist auch der Grund, warum ein verletzter Athlet während der gesamten Entzündungsphase mit jeder Form von mechanischer Belastung im Verletzungsgebiet sehr zurückhaltend sein muss. Daraus ergibt sich, dass in dieser Phase und in der nachfolgenden Proliferationsphase (s.u.) eventuelle Schmerzangaben als Bewegungsgrenze unbedingt respektiert werden müssen! Entlastung und Immobilisation stehen hier im Vordergrund der Behandlung. Soll den- ABB. 3 noch bewegt werden, z. B. zur Kreislaufanregung oder zur Vermeidung von Gewebsverklebungen, sollte dieses im hubfreien Bereich geschehen, damit die bestehende Bindegewebsmatrix im Wundgebiet nicht überbelastet wird. Mit einer Überbelastung würde die Wundheilung hier wieder von vorne beginnen, da ein erneuter Bindegewebsschaden entstanden ist. Proliferationsphase Diese Phase umfasst den Zeitraum vom fünften bis zum 21. Tag. Die eigentliche Entzündungsphase sollte zu dieser Zeit abgeschlossen sein. Schont der Athlet sich während der Wundheilungsphase nicht, weil er seine Verletzung bagatellisiert hat, und schädigt somit KOLLAGENBELASTUNGSKURVE Belastung Konsolidierungsphase A A = Matrixbelastung C = Creep (Kriechen) 14 das Gewebe neu, kann es passieren, dass das Gewebe sich noch immer in einer akuten Situation und damit in der Entzündungsphase befindet. Bewegungen verursachen noch immer Schmerzen und sind stark eingeschränkt. Eventuell entsteht schon eine Kapselschrumpfung, die die Bewegungsgrenze festlegt (Kapselmuster). Besonders in dieser Phase der Wundheilung muss ernsthaft überlegt werden, inwieweit Eisanwendungen in der Therapie die physiologischen Prozesse positiv unterstützen: Eisanwendungen verursachen eine Vasokonstriktion, ein Zusammenziehen der Gefäße. Während der Wundheilung aber versucht der Körper, die Durchblutung im Verletzungsgebiet so optimal wie möglich zu gestalten, damit genügend Sauerstoff und Nährstoffe angeboten werden können, So wird die Durchblutung erhöht. Um dieses Ziel zu erreichen, werden im Verletzungsgebiet Entzündungsmediatoren freigesetzt. Der Körper schützt das heilende Gewebe zusätzlich gegen mögliche Überbelastungen und erneute Schädigungen durch das Freisetzen von Schmerzmediatoren. Diese Mediatoren senken die Reizschwelle der Rezeptoren in der Nähe des Verletzungsgebiets. Die Rezeptoren können rechtzeitig warnen, wenn Belastungen drohen zu hoch zu werden. Eisanwendungen hingegen hemmen hier die Aktivität dieser Rezeptoren und die Weiterleitung ihrer Impulse über die peripheren Nerven. Während der gesamten Proliferationsphase ist die Bildung von Kollagen sehr ausgeprägt (s. Abb. 2). Die Organisation in diesem neu heranwachsenden Gewebe ist ohne Reize nicht gut. Das Gewebe braucht für die Ausrichtung seiner produzierten kollagenen Moleküle unbedingt Belastungsreize. Wird das Gewebe während dieser Phase innerhalb physiologischer Grenzen belastet, zeigt sich eine gute Organisation und ein normales funktionsfähiges Gewebe wird aufgebaut. Sie sollten aber beachten, dass das Gewebe zu dieser Zeit jedoch wenig elastisch und so nur gering belastbar ist. leichtathletiktraining 1/2003 B Länge C D B = Kollagenbelastung D = Traumatisierung Dies ist die Zeit vom 21. bis 60. Tag. Jetzt wird das neu gebildete Kollagen vermehrt stabilisiert, gefestigt und organisiert. Die Belastbarkeit und die Elastizität des Gewebes wird deutlich erhöht. In der Behandlung des Athleten kann ab jetzt die Belastung auf das Gewebe deutlich gesteigert werden. In dieser Phase behandelt man vor allem im kollagenen Belastungsbereich. Abb. 3 verdeutlicht die Kollagenbelastungskurve: Im Matrixbelastungsbereich kann eine kollagene Struktur verlängert werden, ohne dass die Belastung zunimmt. Wird über diesen Bereich hinaus weiter verlängert, werden die kollagenen Fa- Bewegungsapparat Verletzungen sern erheblich belastet. Im Creepbereich verformen sich die kollagenen Fasern. Darüber hinaus würde eine weitere Belastung zum Trauma führen. sich überlegen, ob vielleicht weiche Bodenbeläge für anfällige Athleten geeigneter sind. Organisations- oder Umbauphase Hier handelt es sich um degenerative Knorpelveränderungen meist in Form von Knorpelerweichung der Kniescheibenrückfläche. Der Begriff Jumpers Knee wird hier auch ab und zu verwendet, wobei dieser Begriff auch für das so genannte Kniescheibenspitzensyndrom (chondropathia oder malacia patellae) verwendet wird. Auch das Reiben, das durch den Bindegewebszug (Tractus iliotibialis) des Schenkelbindenspanner (M. tensor fasciae latae) entstehen kann, wird von einigen Ärzten als Jumpers Knee bezeichnet. Bis zum 120. Tag bleibt die Kollagenbildung hoch. Danach läuft sie langsam aus. Bis zum 150. Tag sind ungefähr 85 Prozent des ursprünglich angelegten Kollagens des Typ 3 durch neues und stabileres Gewebe ersetzt. Nach Abschluss der Umbauphase ist das „Ersatzgewebe“ so gut wie vollständig in kollagenes „normales“ Bindegewebe umgewandelt. Am Rande sei noch erwähnt, dass Immobilisation von heilenden Geweben die Bildung von Narbengewebe verursacht, weil den von den Zellen produzierten kollagenen Molekülen die Reize zur Organisation und Ausrichtung des Gewebes fehlen. Die Knochenhautentzündung am Schienbein Diese Form der Knochenhautentzündung entsteht aufgrund von Überbelastung des vorderen Schienbeinmuskels (M. tibialis anterior). Häufige Ursache ist ein passiver Bodenkontakt mit dem Vorfuß. Je härter dabei der Bodenbelag, desto eher entstehen die Schmerzen. Sie lassen sich unter Belastung (z.B. Sprünge) und mit Fingerdruck an der Außenseite der Schienbeinkante (meist im unteren Drittel des Schienbeins) provozieren und sind direkt an der vorderen Schienbeinkante zu lokalisieren. Bei starken Fällen kann es sogar zu einer leichten Schwellung direkt nach der Belastung kommen. Ist gesichert, dass es sich um eine Knochenhautentzündung handelt, muss der Athlet zuerst die verursachende Belastung sofort abstellen (z.B. Sprünge). Zur aktiven Behandlung sollten Sie dem Athleten eine Hausaufgabe mitgeben: Dreimal täglich sollte er den Muskel für einen längeren Zeitraum passiv dehnen. Zudem sollte er einen Zink-LeinenVerband (in der Apotheke erhältlich) jede Nacht tragen. Zur Unterstützung der Heilung kann er über den Blutkreislauf wirkende entzündungshemmende Tabletten einnehmen. Enzyme als körpereigene Hilfsstoffe könne hier die Heilung unterstützen. Die Dauer dieser Maßnahmen ist zwei bis drei Wochen konsequent durchzuführen. Anschließend sollte die Ursache dieser Verletzung unbedingt beseitigt werden. Ein Erlernen des aktiven Fußaufsatzes, auch unter schwierigen Bedingungen, hat im Training eine zentrale Rolle zu spielen (s. Bild rechts oben). Nicht nur die Übungen sind im Training zu variieren, sondern auch die Bodenbeläge, damit der Körper auch weiterhin lernt sich anzupassen. Außerdem sollten Sie SPORTMEDIZIN Chondropathia patellae Ursachen Als Ursache dieser Schmerzen, die meist am Oberrand oder direkt hinter der Kniescheibe auftauchen, findet man häufig eine Achsenfehlstellung des Kniegelenks im Stand und/ oder bei Bewegungen. Hierbei wird vermehrt Druck auf die innere oder äußere Kniescheibenfläche gegeben. Ein Muskelungleichgewicht zwischen dem inneren Quadrizepskopf (M. vastus medialis) und dem äußeren Quadrizepskopf (M. vastus lateralis) kann hier genauso Ursache sein. Der dickste menschliche Knorpel, der Kniescheibenknorpel, erweicht hier aufgrund der einseitigen zu hohen Druckbelastung. Der Knorpel degeneriert. Eine weitere Ursache kann auch ein Muskelungleichgewicht zwischen der Beuge- und Streckmuskulatur im Kniegelenk sein. Wenn z.B. der M. quadrizeps „verkürzt“ ist, tritt hier der so genannte Kniescheibenhochstand auf. Momentan werden bei im Wachstum befindlichen Jugendlichen auch Knorpelreifungs- und Durchblutungsstörungen als Ursache diskutiert. Gerade wenn in diesem Alter die Beschwerden auftreten, sollten Sie bei Ihren Athleten überprüfen lassen, ob hier eine angeborene Fehlform der Kniescheibe vorliegt, da diese die Beschwerden eventuell auslösen könnte oder Grund für eine Kniescheibenverrenkung sein könnte. Ein Sturz auf die Kniescheibe kann durch eine unmittelbare Prellung (Kontusion) der Kniescheibe als weitere Ursache in Betracht kommen. Therapiemöglichkeit Ist ein Muskelungleichgewicht die Ursache, dann ist zu klären, ob eine Achsfehlhaltung bei entscheidenden Bewegungen (z.B. Kniebeuge) antrainiert wurde. Diese sollte sofort beseitigt werden, zunächst durch das Bewusstmachen des Fehlers und anschließend durch intensives Techniktraining. Ein Spiegel bietet sich für den Athleten als große Hilfe an, denn nicht immer kann der Trainer Das Erlernen des aktiven Fußaufsatzes sollte ein wichtiger Bestandteil des Trainings zur Verhinderung von Knochenhautentzündungen im Schienbeinbereich sein: Mit einer Vorspannung im Fußgelenk und in der Wadenmuskulatur (Beobachtungsschwerpunkt: angezogene Fußspitze) wird der Fuß (zum reaktiven Bodenkontakt) zum Boden geführt. C Michael Kothe den Athleten korrigieren. Zudem muss der Athlet ein Gefühl für die richtige Bewegung entwickeln. Ziel muss es sein, dass der Athlet eigenständig in der Lage ist, den Fehler zu bemerken und ihn zu korrigieren. Ein spezielles Training zur Beseitigung des muskulären Ungleichgewicht ist hier auf jeden Fall einzusetzen (s. lt 9+10/2001, S. 50 bis 59). Bei „Verkürzung“ des äußeren Schenkelmuskels (M. vastus lateralis) ist dieser passiv unter der Dauermethode zu dehnen, und der zu schwache M. vastus medialis ist zunächst rein im Muskelaufbaubereich in einer offenen Bewegungskette und dann in einer geschlossenen Bewegungskette zu kräftigen (s. Bilder 1 und 2 auf der nächsten Doppelseite). Liegt eine angeborene Achsenfehlstellung vor, müssen Arzt und Physiotherapeut zu Rate gezogen werden und entscheiden, wie therapeutisch zu verfahren ist. Bei Knorpelreifungs- und Durchblutungsstörungen sind ebenfalls der Arzt und Physiotherapeut gefragt, um abzuklären, inwieweit eventuell das Training reduziert werden leichtathletiktraining 1/2003 15 C Alle Fotos: Michael Kothe SPORTMEDIZIN Bild 1: Kräftigung des inneren Oberschenkelvorderseitenmuskels (M. vastus medialis) im offenen System. Im Bereich von ca. 35 Grad Beugestellung bis zur vollen Streckung im Knie wird hier der Muskel am meisten aktiviert. Der M. vastus medialis ist der wichtigste Muskel zur Kniestabilisierung. muss oder auf weicheren Belägen durchgeführt werden sollte. Mit einem Griff aus dem Bereich der Bindegewebsmassage kann der Therapeut oft schon eine Linderung des Reizzustands erlangen. Mobilisation sowie Kräftigung und Dehnung der kniegelenkumgebenden Muskulatur kann ebenfalls förderlich sein. Im Regelfall kann nach dem Erarbeiten des neuen Technikbilds das Training unter Ergänzung der neuen Übungen, die in das spezielle Auf- und Abwärmen zu integrieren sind, fortgeführt werden. Voraussetzung hierfür ist aber immer eine Entzündungsbzw. Schmerzfreiheit. Prophylaktisch sollten Sie auf Achsenabweichungen in der Statik und in der Bewegung Ihres Athleten sofort reagieren und nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen lassen. Eine „saubere“ Technik zu erlernen, ist hier wohl die beste Vorsorge. Wenn Sie zudem noch an das Prinzip der Ganzheitlichkeit 16 leichtathletiktraining 1/2003 Bild 2: Kräftigung des inneren Oberschenkelvorderseitenmuskels (M. vastus medialis); jetzt jedoch im geschlossenen System bei 65 Grad bis 80 Grad Beugung im Knie. denken, bei dem der Körper gleichermaßen trainiert werden sollte (sodass erst gar keine Ungleichgewichte entstehen können), haben Sie sehr gut vorgesorgt. Sehnenansatzreizungen Die Sehnenansatzreizungen (Tendinosen) sind schmerzhafte Überlastungsreaktionen der Sehnen-Knochen-Verbindungen. Sie resultieren aus einer einseitigen Belastung bestimmter Muskeln (z.B. Tennisellbogen oder Werferellbogen genannt; meist aufgrund einer Überlastung des M. extensor carpi radialis longus) oder aufgrund von Muskelungleichgewichten, die durch einseitiges Training auftreten (z.B. Patellaspitzensyndrom). Ursachen Beim Patellaspitzensyndrom kommt es durch den Zug der Kniescheibensehne, die den gesamten muskulären Streckapparat des Oberschenkels am Schienbein verankert, zu einer Überlastung der Kniescheibensehne am Ansatz über oder unter der Kniescheibe oder direkt am Schienbein. Achillessehnenschmerzen haben die gleiche Ursache wie das Patellaspitzensyndrom: eine Verkürzung eines Muskels. Beim Patellaspitzensyndrom ist dies der vierköpfige Schenkelstrecker (M. quadrizeps femoris) und bei den Achillessehnenschmerzen die Wadenmuskulatur. Der Sehnenansatz am Fersenbein reagiert bei den Achillessehnenschmerzen (wie bei allen Tendinosen) auf Druck und ist schon bei beginnender Belastung schmerzhaft. Ist der Körper jedoch erst einmal richtig aufgewärmt, lassen die Schmerzen häufig nach. Warum reagieren ausgerechnet die Sehnenansätze? Stellen Sie sich eine Kette mit ganz vielen Gliedern vor, an der Sie ziehen. Diese Kette Bewegungsapparat Verletzungen Bild 3: Dehnung des mittleren Gesäßmuskels (M. glutaeus medius) mit gestrecktem Bein; dabei muss das gsamte Gesäß fest auf den Boden gedrückt werden. Der M. glutaeus medius strahlt in einen Faserstrang ein, der am äußeren Oberschenkel entlang zieht und kurz unterhalb des Knies ansetzt. Somit kann er die Statik im Knie verändern. wird, wenn Sie stark genug ziehen, irgendwann reißen. Diese Kette reißt aber nicht irgendwo, sondern genau da, wo sie am schwächsten ist. Das schwächste Glied gibt die Belastung des gesamten Organismus vor! Im Körper ist das schwächste Glied meist der Sehnenansatz, da hier das Kollagengewebe vom Muskel über die Sehne in die Knochenhaut einstrahlt: Wie aus der Trainingslehre bekannt, passt sich das Muskelgewebe neuen Belastungen sehr schnell an. Das Gewebe der Sehne braucht dafür aber wesentlich mehr Zeit. Hinzu kommt, dass der Bereich des Sehnenansatzes dabei oft auch noch biomechanisch in ungünstiger Position ist, sodass es dann hier zu Reizungen oder Entzündungen kommt. Therapiemöglichkeiten Auch hier sollten Sie die muskulären Ungleichgewichte beseitigen. Vor allem sollte in diesen Fällen möglichst funktionsnah gedehnt (s. Bilder 3 und 4) und gekräftigt werden. Akut muss in der Entzündungsphase eine Pause erfolgen. In der Proliferationsphase kann mit leichten dynamischen Dehnungen und leichten Kräftigungsübungen gegen das muskuläre Ungleichgewicht angefangen werden. Erst in der Konsolidierungsphase sollte die Belastung gesteigert werden. Entzündungshemmende Tabletten in Kombination mit Enzymen können die Heilung positiv unterstützen, ebenso wie die Elektrotherapie zur Steigerung der Durchblutung und Schmerzdämpfung. Um solchen Tendinosen vorzubeugen, gilt es, die Muskulatur gleichmäßig aufzubauen und SPORTMEDIZIN Bild 4: Dehnung des mittleren Gesäßmuskels (M. glutaeus medius); jetzt jedoch mit gebeugtem Bein. Auch bei dieser Übung muss das gesamte Gesäß Bodenkontakt haben, um die gewünschte Dehnung zu erreichen. dabei zu berücksichtigen, dass Sehnen- und anderes Gewebe mehr Zeit benötigen, um die neue Belastung zu vertragen. Muskelfaserriss (Teilruptur) Der Muskelfaserriss ist eine Zugverletzung in Längsrichtung des Muskels, wobei mindestens fünf Prozent der Muskelfasern gerissen sind (bei weniger als fünf Prozent spricht man in der Theorie von einer Zerrung); das Ausmaß der Verletzung wird dabei von der Anzahl der gerissenen Muskelfasern bestimmt. Ursachen Als Ursache gelten hier plötzliche Muskelspitzenbelastungen in ermüdetem oder nicht aufgewärmten Zustand. Die Koordination ist im unaufgewärmten oder ermüdeten Zustand deutlich schlechter. Beim Sprint muss zum Beispiel in der hinteren Stützphase der vierköpfige Schenkelstrecker (M. quadrizeps femoris) eine Höchstspannung aufbauen, um das Knie zu stabilisieren und gestreckt zu halten. Gleichzeitig wird dieser Muskel aber über das Hüftgelenk beim Strecken der Hüfte gedehnt. Direkt anschließend, in Bruchteilen von Sekunden, muss derselbe Muskel den Oberschenkel, bei gleichzeitiger passiver Kniebeugung (also „lockerlassen“), nach vorne führen (im Hüftgelenk aktiv beugen). Ist der Körper jetzt zentral ermüdet (zentrale Ermüdung meint, dass das Nervensystem nicht schnell genug die Impulse weiterleiten kann – dies kann an einem Zuviel an Schnelligkeits- oder Techniktraining bzw. an zu wenigen oder an unzureichenden Pausen liegen), kommen die Befehle des „Lockerlas- sens“ für den vierköpfigen Schenkelstrecker (M. quadrizeps femoris) zu spät. So kann die erzeugte Spannung in der Mitte dieses Muskels bei der aktiven vorderen Schwungphase zu groß sein, sodass einige Muskelfasern ihren Dienst nicht mehr leisten können. Symptomatik Plötzlich auftretende Schmerzen (wie z.B. Stockschlag, Peitschenhieb, Messerstich) und deutliche Funktionseinschränkung sind die Empfindungen beim Athleten. Bei ausgeprägten Muskelfaserverletzungen kann es zur Dellenbildung und zu einem abnorm angeschwollenen Muskelbauch kommen. Nach einigen Stunden können Sie dann häufig eine Blaufärbung (Bluterguss) erkennen. Therapiemöglichkeiten Unter Ausschluss eines größeren Teilrisses durch den Arzt (Delle, abnorm geschwollener Muskelbauch) können nach 24 bis 48 Stunden durchblutungsfördernde Maßnahmen ergriffen werden. Bei Symptomfreiheit (nach ein bis drei Wochen) können leichte Massagen folgen. Ausgeprägte Teilrupturen (Anrisse) müssen gegebenenfalls operiert werden. Die volle Belastung erfolgt nach fünf bis sechs Wochen. Die genaue Therapie ist jedoch im Einzelfall vom Ausprägungsgrad der Verletzung abhängig und muss unbedingt mit dem Arzt abgestimmt werden. Zur Vorsorge lässt sich nur sagen: Die Pausengestaltung beim Schnelligkeits-, Techniktraining und zwischen diesen Einheiten ist das A und O; gemeinsam mit einer ordentlichen Kreislauferwärmung. leichtathletiktraining 1/2003 17
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