Dr. Burkhart Veigel Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland 21/2015 Fluchthelfer versus Schlepper und Schleuser? Ich mag Vergleiche. Sie geben – im Gegensatz zur political correctness – Denkanstöße, provozieren, klären auf: Nationalsozialismus und Kommunismus, Fluchthelfer versus Schlepper und Schleuser, Gutmenschen, die von einer Willkommenskultur schwärmen, und ängstliche oder rechtschaffene Mauerbauer. Vergleiche sind immer gut, Gleichsetzungen selten oder nie. In einer Zeit, in der Millionen von Menschen auf der Flucht sind, viele von ihnen nach Europa, sind wieder Helfer gefragt. Wurden sie früher Fluchthelfer genannt, die Anderen bei ihrer Flucht halfen – schon von der Wortwahl her positiv besetzt –, bezeichnet man sie heute als Schlepper und Schleuser, die „Opfer“, Minderwertige, über eine Grenze schleppen oder sie dort durchschleusen – negativ besetzt (mit „Schleuser“ hetzte schon die DDR gegen uns). Worin unterscheiden sich die Helfer damals und heute, dass es zu so unterschiedlichen Konnotationen kommt? Was ist das Gemeinsame? Welchen Unterschied macht die Situation, in der sie jeweils agier(t)en? Der gemeinsame Nenner ist, dass Menschen in Not heimlich über Grenzen gebracht werden. Der Unterschied: Wir brachten Menschen aus einem Land, aus dem sie nicht heraus durften, in ein Land, in das sie gern hinein durften. Die heutigen Schleuser dagegen bringen Menschen aus Ländern, aus denen sie meist ohne Probleme herausdürfen, in Länder, in die sie nicht hinein dürfen. „Unsere“ Flüchtlinge waren in ihrer neuen Heimat willkommen, sprachen eine zumindest ähnliche Sprache, konnten sich rasch integrieren. Sie waren nicht auf weitere Betreuung angewiesen, durften und konnten allerdings auch sofort arbeiten. Die heutigen Flüchtlinge sind nicht überall willkommen, werden häufig sogar als Eindringlinge angesehen. Bereits zu einer simplen Anpassung an den bundesrepublikanischen Alltag müssen sie sehr viel lernen, und zu einer Integration in Deutschland ist es ein weiter Weg. Wir haben „unsere“ Flüchtlinge vor und während der Flucht intensiv betreut; zwischen einigen Flüchtlingen und Fluchthelfern haben sich daraus jahrzehntelange Freundschaften entwickelt. Schleuser sind im Allgemeinen nur für einen Teilabschnitt einer Flucht verantwortlich, lernen ihre „Klienten“ kaum kennen und lassen sie oft sogar im Stich, wenn Gefahr droht. „Ihre“ Flüchtlinge benötigen nach der Flucht weitere Hilfe, die sie aber anderen Menschen überlassen, die sie quasi zu humanitärem Handeln zwingen. 1 Wir wurden zwar ebenfalls kriminalisiert – was auf eine Gemeinsamkeit schließen lassen könnte –, allerdings „in Maßen“: Während der Passierscheinverhandlungen 1963 wurden wir dringend gebeten, von unserem Tun abzulassen, um den Fortgang der Gespräche nicht zu stören. Aber weil die Verhandlungen weitergingen und zum Erfolg führten – obwohl kein einziger Fluchthelfer aufgehört hatte –, entzog man uns zwar das Wohlwollen und die moralische Unterstützung, aber wir mussten nicht ernstlich mit einer Bestrafung rechnen. Die heutigen Schleuser dagegen werden ohne Ausnahme als Kriminelle behandelt und bestraft. Das Gemeinsame: Damals wie heute offenbart sich eine gewisse Unfähigkeit der Politik, der Justiz, der Presse und der Bevölkerung, zu differenzieren. 1963 stellte der Berliner Senat fest, was von der Öffentlichkeit nur allzu gern übernommen wurde: Ein guter Fluchthelfer ist einer, der kein Geld nimmt; wer Geld für seine Hilfe nimmt, ist ein „Ganove“. Diese Aufteilung war und ist aber völlig untauglich. Das wichtigste Kriterium zu einer Differenzierung ist die Professionalität eines Helfers, d. h. ob er seine Schützlinge sicher an das gewünschte Ziel bringt. Wenn ihm das gelingt, ist sein Handeln ehrenvoll, auch wenn er Geld dafür verlangt (auch Ärzte oder Rechtsanwälte helfen anderen Menschen gegen Bezahlung). Wenn ein Helfer sein Handwerk dagegen nicht ausreichend beherrscht, wenn seine Schutzbefohlenen ins Gefängnis kommen, ertrinken oder ersticken, dann erst, in einer zweiten Instanz, muss man nach ethischen Gesichtspunkten weiter differenzieren, einen idealistischen Menschenfreund daran hindern, weiterzuarbeiten, einen Kriminellen, der sich an der Not anderer Menschen bereichert, bestrafen. Bei der weiteren Betrachtung fallen nur noch Unterschiede auf: Die Zahl „unserer“ Flüchtlinge war sehr viel kleiner als die der Flüchtlinge heute. Ich habe in 9 Jahren etwa 650 Menschen in Freiheit gebracht, so viele, wie allein am 18. April 2015, an einem einzigen Tag, im Mittelmeer ertranken. „Unsere“ Flüchtlinge waren – auch dadurch, dass sie sofort ihre Schulden bei den Fluchthelfern abzahlen mussten –, „gefordert“, die heutigen Flüchtlinge werden „gefördert“, zum Stillsitzen verdammt, was ihre Integration ausschließt. Viele der Flüchtlinge heute sind aber nicht so anspruchsvoll, wie in bestimmten Kreisen erwartet wird: Sie würden gern auch weit unterhalb eines Mindestlohns arbeiten, sich auf diese Weise nützlich machen und sich in die Gesellschaft einbringen. Nach dem Bau der Mauer wurde jeder Flüchtling ohne Prüfung als „politischer Flüchtling“ anerkannt – weil er aus einem Unrechtsstaat kam und unter großer Gefahr geflohen war. Heute wird Jeder nach überholten Kriterien überprüft, ob er eines Asyls würdig sei. Aber ein Mensch, der aus einem „Unrechtsstaat“ kommt, in dem Korruption, Willkür, Denunziation und die Missachtung der Menschenrechte an der Tagesordnung sind, der Europa außerdem nur unter extrem großen Gefahren erreicht, muss ebenfalls ohne Prüfung als politischer Flüchtling anerkannt werden und Asyl erhalten, auch wenn er nicht direkt an Leib und Leben bedroht war. Dies gilt eingeschränkt auch für einige europäische Staaten, die sich in einem desolaten Zustand befinden. Daraus folgt, dass die Dublin-Verordnung, die Drittstaatenregelung, auch angesichts der Entwicklung in den letzten sechs Monaten obsolet ist und sofort abgeschafft werden muss. 2 Anzumahnen, Flüchtlinge aufzunehmen, sind nicht nur unsere europäischen Nachbarn, sondern mit Nachdruck auch die arabischen (Öl)Staaten, die zumindest für ihre Glaubensbrüder und -schwestern Hilfe leisten könnten. Warum sollten Muslime in säkularisierte Länder fliehen, deren Bewohner für viele von ihnen Glaubensfeinde sind? Wenn die arabischen Staaten schon nicht für eine direkte Hilfe zu gewinnen sind, sollten sie wenigstens einen finanziellen Beitrag zu unserer Hilfe leisten. Zusammenfassung: Nicht jeder Schlepper und Schleuser ist ein Krimineller, auch wenn diese Zuschreibung auf viele von ihnen zutrifft. Das primäre Kriterium einer Differenzierung ist die Professionalität seiner Arbeit. Ethische Gesichtspunkte spielen erst sekundär eine Rolle. Eine Gleichsetzung von Fluchthelfern durch die Berliner Mauer und Schleppern und Schleusern von heute verbietet sich. Allein aus der Tatsache, dass Menschen „illegal“ über Grenzen gebracht werden, lässt sich keine Gemeinsamkeit konstruieren. Im Zentrum aller Überlegungen und Handlungen muss das Wohlergehen der Flüchtlinge stehen. Menschen in Not haben eine eigene moralische Qualität, die uns zwingt, ihnen zu helfen. Alle Menschen, auch Flüchtlinge, sollen eher gefordert und weniger gefördert werden. Nur so werden sie sich integrieren, nur so werden wir das Entstehen von Parallelgesellschaften verhindern. Autor: Dr. Burkhart Veigel war von 1961 bis 1970 Fluchthelfer in Berlin und hat in dieser Zeit etwa 650 Menschen aus der DDR in die Freiheit gebracht. Sein Buch „Wege durch die Mauer – Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West“ erschien 2011. 2012 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Kontakt: [email protected] Weitere Informationen: www.fluchthilfe.de Redaktion: BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) - Geschäftsstelle Michaelkirchstr. 17-18 10179 Berlin-Mitte +49 (0) 30 6 29 80-11 5 newsletter(at)b-b-e.de www.b-b-e.de 3
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