Das Geschäft mit den Flüchtlingen

E-Journal-Special
Das Geschäft mit den Flüchtlingen
Die Bundeswehr ist seit Anfang Mai 2015 auf
dem Mittelmeer im Einsatz – erst zur Rettung
von Menschen in Seenot und seit Juni im Zuge
der EU-Operation EUNAVFOR MED, welche die
gezielte Bekämpfung der Schlepperbanden
zum Ziel hat. Anfangs konzentrierte sich diese
auf die Aufklärung und Informationsgewin­
nung über die Schleppernetzwerke, doch seit
Oktober dürfen zusätzlich verdächtige Schiffe
durchsucht und gegebenenfalls beschlag­
nahmt und umgeleitet werden.
Militärdekan Dr. Dr. Michael Gmelch nahm als erster
kath. Militärpfarrer am 1. Einsatzkontingent der Deutschen
Marine „Humanitäre Hilfe für
in Seenot geratene Flüchtlinge im Mittelmeer“ teil. Er ist
Pastoraltheologe und Pastoralpsychologe, Psychotherapeut
(Heilpraktiker) und Priester der Diözese Eichstätt.
Er ist Leiter des katholischen Militärpfarramts in
Flensburg und betreut u. a. die Offizieranwärter
der Marineschule Mürwik auf dem Segelschulschiff Gorch Fock sowie auf hoher See im Rahmen
des Einsatzausbildungsverbandes (EAV).
Bei all dem bleibt jedoch die Seenotrettung
ein wichtiger Bestandteil des Auftrags – ist
diese doch die Pflicht eines jeden Seefahrers
nach dem Seerechtsübereinkommen der
Vereinten Nationen und dem Internationalen
Übereinkommen zum Schutz des menschli­
chen Lebens auf See. Seit Mai rettete die
Bundeswehr somit fast 9.000 Menschen aus
Seenot.
Mit Schleusergeldern in Milliardenhöhe werden auf dunklen Wegen
extremistische Gruppierungen finanziert – inwieweit trägt Europa daran
eine Mitschuld?
Ungeachtet der Tatsache, dass man Menschen
in Seenot helfen muss, darf man die Augen
nicht vor der Komplexität der Flüchtlings­
thematik verschließen. Es ist ein gewaltiges
Geschäft mit dem illegalen Transport von
verzweifelten Menschen. Naive Betroffen­
heitssentimentalität nach Gutmenschenart ist
wenig zielführend. Viele Flüchtlinge bezahlen
für ihren Weg nach Europa Tausende von Euros
oder Dollars an die Schleuser.
Die Schleuser wissen um die zusätzlichen
patrouillierenden Schiffe und verstärken ihre
Aktivitäten. Sie liefern somit den Flüchtlingen
erweiterte „Garantien“, denn wenn sie die
eigenen Hoheitsgebiete verlassen haben,
werden sie im Mittelmeer aufgefischt.
Die zunehmende Präsenz von grauen Schiffen
im Mittelmeer verringert für die Schleuser
und die Flüchtlinge das Risiko enorm und es
wird kalkulierbarer. Im Wissen um „Erfolgs­
meldungen“ in der Presse und um die
Tatsache, dass man im besten Fall nicht
mehr den ganzen Weg, sondern nur eine
gewisse Teilstrecke jenseits der libyschen
Im Wissen darüber, dass sie wahrschein­
lich kein Asyl erhalten werden, vernichten
viele unterwegs ihre Identitätspapiere. So
verhindern sie, ohne Papiere und nachge­
wiesene Staatszugehörigkeit, leicht wieder
ausgewie­sen werden zu können.
Ethik und Militär | Ausgabe 2015/2
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Hybrider Krieg – globale Krise ganz nah
Hoheitsgewässer zu bewältigen hat, motiviert
Schleuser und Fluchthelfer gleichermaßen.
ins Mittelmeer schicken, desto geringer wird
das Risiko des Transits und umso kräftiger
wachsen die Gewinne der Schleuser. Europa
steht damit bezüglich der Schlepperkrimina­
lität mit in der Verantwortung.
Das Geschäft mit den Flüchtlingen ist zur
Industrie geworden, die enorme Gewinne
abwirft. Es geht dabei um Milliardenbeträge.
Auch extremistische Gruppen nutzen die
Möglichkeit, an diesem „Markt“ zu verdienen.
Doch ertrinkende Menschen aus dem Meer
zu fischen ist humanitär und immer richtig.
Und die, die das tun, haben das Gefühl, etwas
Wichtiges und Richtiges getan zu haben. Aber
es kann immer nur eine Notfallmaßnahme
sein.
Insofern ist der Auftrag der Bundeswehr ambi­
valent, da man einerseits Menschen rettet und
andererseits indirekt und nolens volens zum
Helfershelfer der Fluchtorganisatoren wird
und die organisierte Kriminalität unterstützt,
mit der auch Gewalt, Zwangsprostitution und
Menschenhandel einhergehen.
Es handelt sich dabei um ein unauflösbares
Dilemma, aus dem man nicht unschuldig
herauskommt. Solange es keine legalen Wege
gibt, werden Schlepper und alle, die sich an
dem Geschäft beteiligen, an den illegalen
Wegen verdienen. Dies gilt auch für extremis­
tische Gruppen wie den „Islamischen Staat“
(IS).
Daran ändert auch der aktuelle Auftrag der
Bundeswehr zum aktiven Kampf gegen die
Schlepper nichts, denn die eigentlichen
Schleuser sitzen nicht selbst in den Booten.
Und solange es eine Nachfrage für Schlepper
gibt, wird diese auch bedient und ausgenutzt
werden.
Annahmestellen in den Herkunftsländern und
legale Fluchtkorridore könnten also ein erster
Schritt sein, das System der organi­
sierten
Schlepperkriminalität zu durchbrechen. Vor
allem aber wird deutlich: Es braucht eine
umfassende Strategie. Unüberlegte Schnell­
schüsse und Populismus bieten keine Lösung.
Was im Süden Europas geschieht, ist zur
Herausforderung für alle geworden.
Es heißt, dass das Flüchtlingsproblem nur
durch Zusammenarbeit mit den Regierungen
der betroffenen Länder gelöst werden kann.
Es braucht ein gemeinsames Vorgehen
zusammen mit den afrikanischen und
nahöstlichen Ländern, um Fluchtursachen
wirksam zu bekämpfen. Solange dies nicht
geschieht, versucht man nur die Symptome
der Flüchtlingsdramatik zu lindern. Was ist
aber, wenn diese Regierungen einer der Haupt­
gründe für die Flucht sind? Die Frage, ob man
eine humanitäre Tragödie mit militärischen
Mitteln beantworten kann, führt mitten hinein in
die ethischen und politischen Gemengelagen,
die von Anfang an die Flüchtlingsproblematik
begleitet haben. Der Einsatz von Soldaten
konfrontiert Deutschland mit der brisanten
Fragestellung, wie stark Europa beispielsweise
im libyschen Chaos intervenie­ren soll.
Es ist richtig, dass die Schlepper bei ihrem
Geschäft die Seenotrettung gnadenlos
einkalkulieren. Je mehr Schiffe die EU-Länder
Ethik und Militär | Ausgabe 2015/2
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