Wissenschaftliche Begleitung MIB_Ergebnisse und Tipps

Migration – Integration – Begabungen fördern
Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung
4. Projektjahr
Dr. Ira Gawlitzek
Miriam Löwe
Markus Vogelbacher
Lehrstuhl Anglistik I
Universität Mannheim
[email protected]
Wirksamkeitsstudie MIB
Zum Inhalt
1. Das Wichtigste aus den ersten drei
Projektjahren
2. Wie lernen Kinder lesen und schreiben?
3. Kinder schreiben eine Bildgeschichte:
Ergebnisse
4. Hinweise für ErzieherInnen
5. Hinweise für LehrerInnen
6. Hinweise für Eltern
Wirksamkeitsstudie MIB
Bisherige Ergebnisse
(Sprach-)Förderung wirkt am ehesten dann,
wenn sie
1. langfristig und kontinuierlich
2. in kleinen Gruppen und
3. interaktiv
stattfindet und viele Sinne anspricht.
Eine gute Sprachkompetenz ist wichtig
für den Literacy Erwerb.
Wirksamkeitsstudie MIB
Literacy …
… ist die Fähigkeit mit Schrift und Text
sinnentnehmend und –gebend umzugehen
und sie nutzen zu können.
• Dazu gehört die Kenntnis des
} Schriftwissen
– Schriftsystems
– der Orthographie
– diverser Textsorten
Autorenschaft
• Grundvoraussetzung ist eine solide
Sprachkompetenz Grammatik
 Diese 3 Aspekte analysieren wir.
Wirksamkeitsstudie MIB
Die deutsche Rechtschreibung
• Alphabetschrift:
– Grundsätzlich repräsentieren Buchstaben Laute
– Aber: Es gibt mehr Laute als Buchstaben, deshalb
signalisieren Buchstabenkombinationen weitere Laute
<sch> [ʃ] wie in Schule.
– Wortfamilien spielen eine Rolle:
Deutsch ist leserInnenfreundlich, vgl. Haus, Häuser. Man
schreibt Häuser und nicht Hoiser, weil dann der
Zusammenhang zu Haus leichter erkennbar ist.
• Stolpersteine für viele Kinder sind:
–
–
–
–
Groß- und Kleinschreibung
Getrennt vs. zusammen
Dehnung (h, ie, …)
Konsonantendoppelung
Wirksamkeitsstudie MIB
Wie lernen Kinder schreiben?
• Das Lernen beginnt lange vor der
Einschulung, wenn sie Kontakt zu Texten
haben.
• Man unterscheidet mindestens drei Phasen
oder auch Strategien:
– Logographische Phase: Wörter werden als
Bilder wiedererkannt.
– Phonetische Phase: schreiben was man hört,
z.B. <foiawea> <schpats>
– Orthographische Phase: allmählich den
Rechtschreibregeln entsprechend
Wirksamkeitsstudie MIB
Fähigkeiten, die die Kinder haben
müssen
• Phonologisches Bewusstsein:
Laute und Silben bewusst wahrnehmen und manipulieren
können.
• Wissen um die Schrift und das Alphabet:
Kinder müssen die Buchstaben und ihren Lautwert kennen.
• Mündliche Sprachkompetenz:
Je höher die mündliche Sprachkompetenz, umso leichter fällt es
Kindern, Texte zu verstehen und selbst zu schreiben.
• Konzeptuelles Wissen:
Je größer das konzeptuelle Weltwissen der Kinder, umso
leichter fallen Lesen und Schreiben, dieses Wissen kann auch
in der Muttersprache erworben werden.
(vgl. u.a. Lonigan et al 2013)
Wirksamkeitsstudie MIB
Modularität der Fähigkeiten
• Die eben genannten Fähigkeiten sind modular, d.h. sie
arbeiten weitgehend unabhängig voneinander und sie
müssen auch einzeln gefördert/trainiert werden.
• Untersuchungen von Lonigan et al. (2013) zeigen, dass
relativ kurzfristige Maßnahmen einiges für das
phonologische Bewusstsein und die Schriftkenntnisse
tun können.
• Das
bedeutungsbezogene
Wissen
und
die
Sprachkompetenz können aber nur langfristig
gefördert werden.
Wirksamkeitsstudie MIB
Was erleichtert das Lesen- und
Schreibenlernen?
1. Jede Sprachförderung ist auch Lese& Schreibförderung
2. Möglichst breites Weltwissen
3. Möglichst großer Wortschatz
4. Bewusstsein über Laute und Silben
5. Spaß an Sprache
Wirksamkeitsstudie MIB
Kinder schreiben eine
Bildgeschichte
• Im Sommer 2013 baten wir die
Schulkinder im MIB Projekt für uns eine
Bildgeschichte zu schreiben.
• Diese Geschichten haben wir nach
folgenden Kriterien analysiert:
– Rechtschreibung
– Grammatik
– Textqualität
Wirksamkeitsstudie MIB
Ergebnisse Rechtschreibung
• Rechtschreibfehler nehmen mit
zunehmendem Alter ab.
• Höchste Fehlerquoten bei der Großund Kleinschreibung und der
Konsonantendopplung.
• Phonetische Schreibungen nehmen in
Klasse 4 deutlich ab.
Wirksamkeitsstudie MIB
Ergebnisse Grammatik
• Kaum Alterseffekte
• Fehler entstehen v.a. bei starken
Verben (z.B. essen, aß, gegessen, bei denen der
Vokal wechselt) und dem Kasus (= Fall),
aber auch durch ein falsches oder
fehlendes Wort.
Wirksamkeitsstudie MIB
Ergebnisse Textqualität
In dieser Dimension finden sich wieder Alterseffekte.
• Die Anzahl der Koordinationen (z.B. und, oder, …)
und Subordinationen (weil, dass, ob, …) steigt mit
der Klassenstufe.
• Die Texte werden länger.
• Die Verwendung von Pronomen und anderen
Wörtern, die aus Einzelsätzen Texte machen, steigt
mit dem Alter.
• Bei der Verwendung der Zeiten steigt der Anteil der
Vergangenheit (z.B. ich ging), die in der Schule als
klassische Erzählzeit unterrichtet wird.
Wirksamkeitsstudie MIB
Hinweise für die pädagogischen Fachkräfte in
den Kindergärten/-tagesstätten
1. Integrieren Sie Sprachförderung permanent in den Alltag, u.a. indem Sie
alles sprachlich begleiten, was Sie und die Kinder tun.
2. Vereinfachen Sie Ihre Sprache nicht, die Kinder brauchen die Chance, das
komplexe Sprachsystem zu erfassen.
3. Erweitern Sie den (Wortschatz-)Horizont der Kinder durch vielfältige und neue
Themen und vielfältige Buchlektüre. Viel Kontakt mit Büchern und Texten hilft
den Kindern auch beim Einstieg ins Lesen und Schreiben lernen.
4. Vorlesen v.a. dialogisches Lesen: D.h. lesen Sie Texte nicht einfach vor,
sondern fragen Sie die Kindern, was in der Geschichte passiert, warum das
passiert, was sie glauben, wie es weitergeht. So lernen die Kinder etwas über
1.
2.
Bildungssprache, die sie in der Schule brauchen werden und hören explizite Sprachformen. Beides
stärkt Literacy-Kompetenzen.
Den Umgang mit Büchern und Texten im Allgemeinen.
5. Verwenden sie Reime und Sprachspiele, das stärkt das phonologische
Bewusstsein. Aber bitte nur solche Texte, die richtiges Deutsch verwenden,
kein „Hänschen klein“!
6. Nutzen Sie verschiedene Textsorten: Sachbücher, Bilderbücher, Atlanten, ….
Wirksamkeitsstudie MIB
Hinweise für LehrerInnen
• ALLE LehrerInnen in ALLEN Fächern sind wichtig für
die Sprachentwicklung der Kinder und können sie im
Lernen von Bildungssprache und Literacy
unterstützen. Auch Mathematik hat viel mit Sprache zu
tun, denken Sie bewusst daran, dass Sie zur
Sprachförderung beitragen und berücksichtigen Sie
dabei, dass Kinder sprachliche Schwierigkeiten haben
könnten (vgl. Rathgeb-Schnierer 2007, 2011).
• Kinder sollten laut lesen, bis Sie sicher sind, dass die
Kinder den Buchstaben die richtigen Lautwerte zuordnen
können.
• Wenn es darum geht, dass die Kinder verstehen sollen,
was sie lesen, lassen Sie sie leise lesen und sprechen
dann über den Inhalt des Textes, vgl. auch das folgende
Zitat 
Wirksamkeitsstudie MIB
Unbedingt auch leise lesen lassen:
„Verzichten Sie auch immer wieder einmal auf
lautes Vorlesen: Lassen Sie Ihr Kind einen
Abschnitt alleine lesen und den Inhalt
erzählen“ (Küspert 2005: 172)
Wirksamkeitsstudie MIB
Hinweise für die Eltern
•
Kinder brauchen für den Spracherwerb viel und vielfältigen
Input, deshalb sprechen Sie viel mit Ihren Kindern über viele
verschiedene Themen, denn die Kinder brauchen für ihre
Literacy einen möglichst großen Wortschatz.
•
Unternehmen Sie vielfältige Dinge mit den Kindern, das
muss nicht viel Geld kosten, Spielplätze, Waldspaziergänge
sind kostenlos. Viele Museen kosten nichts oder nur wenig.
•
Und man muss nicht in die Antarktis oder nach Indien fahren,
um etwas darüber zu erfahren, reisen Sie mit Ihren Kindern per
(Bilder-)Buch in fremde Welten. Da gibt es viel zu entdecken
und zu besprechen. Die Kinder profitieren davon, auch wenn
Sie die Bücher in der Muttersprache lesen, anschauen und
diskutieren.
•
Lesen Sie selber Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen. Die
Textart ist egal, Hauptsache die Kinder erleben Sie als
lesende Vorbilder.
Wirksamkeitsstudie MIB
Zum Schluss ein paar Literaturhinweise:
Achilles, Ilse & Pighin, Gerda. (2008). Vernäht und zugeflixt! Von Versprechern, Flüchen, Dialekten & Co.
Mannheim: Bibliographisches Insitut & F.A. Brockhaus AG.
Gawlitzek, Ira. (22012). "Literacy." In: Kassel, Claudia & Rieber, Dorothea (Hrsg.). Kinder erziehen, bilden
und betreuen. Lehrbuch für Ausbildung und Studium. (pp 450-475). Berlin: Cornelsen Verlag GmbH.
Küspert, Petra. (2005). Neue Strategien gegen Legasthenie. Ratingen: Oberstebrink.
Lonigan, Christopher J. (2013). The Developmental Significance and Development of Early Literacy Skills. In
J. F. Maas, S. C. Ehmig & C. Seelmann (Eds.), Prepare for Life! Raising Awareness for Early Literacy
Education (pp. 33-39). Mainz: Stiftung Lesen.
Rathgeb-Schnierer, Elisabeth. (2007). Zur Entwicklung flexibler Rechenkompetenzen bei Grundschulkindern
– Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Beiträge zum Mathematikunterricht. Vorträge auf der 41.
Jahrestagung der Gesellschaft für Mathematikdidaktik in Berlin. . doi: http://www.mathematik.unidortmund.de/ieem/BzMU/BzMU2007/Rathgeb-Schnierer.pdf
Rathgeb-Schnierer, Elisabeth. (2011). Warum noch rechnen, wenn ich die Lösung sehen kann?
Hintergründe zur Förderung flexibler Rechenkompetenzen in der Grundschule. Die
Grundschulzeitschrift 244, 23-24.
Tracy, Rosemarie. (2008). Wie Kinder Sprache lernen - Und wie wir sie dabei unterstützen können (2 ed.).
Tübingen: Francke Verlag.
Tracy, Rosemarie & Lemke, Vytautas. (2009). (Hrsg.). Sprache macht stark: Offensive Bildung. Berlin,
Düsseldorf: Cornelsen Scriptor.
Vogelbacher, Markus, & Gawlitzek, Ira. (2012). Zur Problematik objektiver Messung des Wortschatzerwerbs.
In B. Ahrenholz & W. Knapp (Eds.), Sprachstand erheben, Spracherwerb erforschen (pp. 53-72).
Freiburg: Fillibach.
Wirksamkeitsstudie MIB
Dr. Ira Gawlitzek
Miriam Löwe
Markus Vogelbacher
Lehrstuhl Anglistik I
Universität Mannheim
[email protected]
Wirksamkeitsstudie MIB