Postbank Research Sonderthema Januar 2016 Warum die EZB-Sorgen vor einer Deflation übertrieben sind Der Euroraum ist von einer echten Deflation weit entfernt Frühindikatoren deuten auf einen baldigen Anstieg der Inflationsrate Trotz des Rückgangs der Inflationserwartungen keine Deflationsgefahren Postbank Research Seite 1 Sonderthema Januar 2016 Team Postbank Research Dr. Marco Bargel Chefvolkswirt [email protected] Heinrich Bayer [email protected] Dr. Lucas Kramer [email protected] Heinz-Gerd Sonnenschein [email protected] www.postbank.de Redaktionsschluss: 16.12.2015 Deutsche Postbank AG Zentrale Friedrich-Ebert-Allee 114-126 53113 Bonn Telefon: (0228)920-0 Disclaimer: Alle hier veröffentlichten Angaben erfolgen unverbindlich und stellen Informationsmaterial dar, also weder eine Anlageberatung noch eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf irgendeines Wertpapiers. Die Informationen in diesem Dokument wurden aus Daten erarbeitet, von deren Richtigkeit ausgegangen wurde; die Deutsche Postbank AG garantiert diese jedoch nicht. Die Angaben dienen ausschließlich zur Information, die dem Investor eine selbständige Anlageentscheidung erleichtern soll. Postbank Research Seite 2 Sonderthema Januar 2016 Warum die EZB-Sorgen vor einer Deflation übertrieben sind Unter dem Eindruck sehr niedriger Inflationsraten in der Eurozone hat die EZB ihre Geldpolitik im Januar und Dezember dieses Jahres weiter gelockert. Zu Jahresbeginn wurde ein Ankaufprogramm für Staatsanleihen (eine Form der „Quantitativen Lockerung“), das zunächst bis September 2016 laufen sollte, beschlossen. Seither hat die Notenbank bereits Anleihen der Eurostaaten im Gesamtvolumen von fast 400 Mrd. Euro erworben. Auf der Dezembersitzung wurde dann entschieden, den Ankauf von Anleihen um sechs Monate bis mindestens März 2017 zu verlängern und den Zinssatz für die Einlagenfazilität um 10 Basispunkte auf -0,3% zu reduzieren. Weitere Maßnahmen betreffen die Wiederanlage von Erträgen aus der Rückzahlung bereits erworbener Anleihen und den Ankauf von Anleihen regionaler und lokaler Gebietskörperschaften. Die jüngsten Entscheidungen der EZB wurden vom Markt mit Enttäuschung aufgenommen, hatten die Währungshüter im Vorfeld doch Erwartungen sehr viel weitreichender Maßnahmen geweckt. Die Reaktion auf die EZB-Beschlüsse zeigt einmal mehr, dass eine Bewertung geldpolitischer Maßnahmen häufig unter dem Gesichtspunkt der Markterwartungen erfolgt. Darüber hinaus werden in der Öffentlichkeit zunehmend die Nebenwirkungen einer lang anhaltenden Niedrigzinspolitik diskutiert. Dagegen wurde der Begründung und Notwendigkeit massiver geldpolitischer Maßnahmen durch die EZB bisher relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Extreme geldpolitische Maßnahmen wie die quantitative Lockerung oder negative Leitzinsen sind nur bei einer signifikanten Zielverfehlung der Geldpolitik gerechtfertigt, da mit ihnen erhebliche Risiken, wie eine Blasenbildung an den Märkten oder eine Tendenz zur Überschuldung, einhergehen. Die EZB verweist als Begründung auf eine sehr geringe Inflationsdynamik und ein wachsendes Risiko von Zweitrundeneffekten des Ölpreisverfalls. Gleichzeitig zeigt sie sich Postbank Research Zuletzt weniger Produkte mit sinkendem Preis ggü. Vorjahr Anteil an allen Produkten in Prozent 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Quelle: Eurostat besorgt über den Rückgang der Inflationserwartungen im Euroraum. Letztendlich zielt die EZB mit ihren Maßnahmen auf einen Anstieg der Inflation in Richtung ihres Inflationszieles von knapp 2% und einer Verankerung der Inflationserwartungen in der Nähe dieses Zielwertes. Es stellt sich hierbei die Frage, ob die aktuell sehr niedrige Inflationsrate tatsächlich einen hinreichenden Grund bietet, derart weitreichende geldpolitische Maßnahmen zu beschließen. Der Euroraum ist von einer echten Deflation weit entfernt Wesentliches Merkmal einer Deflation ist ein allgemein und nachhaltig sinkendes Preisniveau, d.h. ein Großteil der im Warenkorb enthaltenen Güter und Dienstleistungen ist während eines längeren Zeitraums von einem Preisrückgang betroffen. Preisänderungen, die bei einzelnen Gütern bzw. Güterarten auftreten und durch branchenspezifische Angebots-/Nachfrageschocks oder Produktivitätsgewinne verursacht sind, münden normalerweise nicht in eine deflatorische Spirale und stellen für die Geldpolitik kein Problem dar. Auch der Rückgang der Inflationsrate seit Ende 2011 wurde in starkem Maße von einzelnen Komponenten des Warenkorbs getrieben. Besonders ausgeprägt waren hierbei der Rückgang der Energiepreise, der sich Seite 3 Sonderthema Januar 2016 infolge eines stark gefallen Rohölpreises am aktuellen Rand noch einmal beschleunigt hat, sowie die abnehmende Preisdynamik bei Nahrungsmitteln. Etwa drei Viertel der Veränderung der Inflationsrate seit Ende 2011 kann durch fallende Energie- und Nahrungsmittelpreise erklärt werden. Zwar ist regelmäßig zu beobachten, dass sinkende Energie- und Rohstoffpreise auch Preisrückgänge in anderen Bereichen verursachen können. Diese indirekten Effekte entstehen dann, wenn infolge von Preisrückgängen auf der Beschaffungsseite die Produktionskosten sinken und die Hersteller diese Kosteneinsparungen in Form von Preissenkungen an die Konsumenten weitergeben. Da das Gewicht der Güter, die eine hohe Preissensitivität in Bezug auf den Ölpreis aufweisen, nur bei etwa 10% des zur Inflationsberechnung verwendeten Warenkorbs liegt, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass sich alleine aus einem Rohölpreisrückgang eine Deflation mit allgemein rückläufigen Preisen entwickelt. Der Anteil der Güter mit negativen Preisveränderungen am gesamten Warenkorb hat im Euroraum im Verlauf von 2015 sogar deutlich abgenommen. Bei nicht einmal mehr 20% aller im Warenkorb erfassten Güter liegen die Preise aktuell unter Vorjahresniveau. Das ist ein sehr viel geringerer Anteil als beispielsweise in der Deflationsphase in Japan (bis zu 70%) oder Hong Kong (bis zu 90%). Dies spricht eindeutig gegen das Vorliegen einer ölpreisbedingten Deflation im Euroraum. Zu den Merkmalen einer Deflation gehört zudem eine ausgeprägte Zurückhaltung bei privatem Konsum und Unternehmensinvestitionen, was in der Regel zu rezessiven Tendenzen in der Gesamtwirtschaft führt. Aktuell ist weder beim Verbrauch noch bei den Investitionen eine solche Zurückhaltung zu beobachten. Ganz im Gegenteil: Der private Konsum im Euroraum wird in diesem Jahr mit 1,8% so stark wachsen wie seit 8 Jahren nicht mehr. Die Investitionstätigkeit im Unternehmenssektor ist zwar noch verhalten. Dies ist aber nicht Folge deflatorischer Tendenzen im Euroraum. In einer Deflation Postbank Research Starker Privater Konsum spricht für Anstieg der Inflationsrate in der EWU Prozent, Vorlauf 6 Quart. 6,0 Prozent ggü. Vj. 3,0 5,0 2,5 4,0 3,0 2,0 2,0 1,5 1,0 0,0 1,0 -1,0 -2,0 2000 2005 2010 2015 0,5 Privater Konsum EWU EWU-Kerninflation (re. Skala) Quelle: Thomson Reuters Datastream sinken üblicherweise die Unternehmensgewinne, da Unternehmen u.a. wegen starrer Lohnkosten nicht in der Lage sind, fallende Umsatzerlöse durch Einsparungen zu kompensieren. Auch hier spricht die aktuell positive Entwicklung der Gewinne und Umsätze von Unternehmen im Euroraum gegen deflationäre Gefahren. Frühindikatoren deuten auf einen baldigen Anstieg der Inflationsrate Inflation ist ein der Konjunkturentwicklung nachlaufender Indikator. In der Frühphase eines Aufschwungs befindet sich die Inflation meist noch auf einem niedrigen Niveau. Denn die Produktionskapazitäten sind i.d.R. nicht ausgelastet, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Lohndynamik entsprechend gering. Erst im späteren Verlauf eines Konjunkturaufschwungs, wenn die Produktionskapazitäten stärker ausgelastet sind und die Arbeitskräftenachfrage deutlich angestiegen ist, beginnt das Verbraucherpreisniveau signifikant zu steigen. Vor allem privater Konsum und die Lohnentwicklung laufen der Inflation dabei voraus. Steigt der Verbrauch an, folgt die Inflation dem Trend etwa 1-2 Jahre später. Das aktuell starke Wachstum des Privaten Konsums lässt einen erheblichen Anstieg der Inflation im Euroraum erwarten. Setzt sich der starke Aufwärtstrend beim Verbrauch fort, dürfte sich die Kerninflation im Jahr 2016 kontinuierlich erhöhen und in 2017 mit 2% dann im Zielbereich der EZB liegen. Seite 4 Sonderthema Januar 2016 Unterauslastung der Volkswirtschaft nimmt schnell ab Prozent, Vorlauf 1 Jahr 3 Prozent ggü. Vj. 3,0 2 2,5 1 0 2,0 -1 1,5 -2 1,0 -3 -4 2000 2005 2010 2015 0,5 Output-Lücke in der EWU EWU-Kerninflation (re. Skala) Quelle: Thomson Reuters Datastream Zwar ist es richtig, dass die vorangegangene Rezession im Euroraum besonders stark ausgeprägt war und die sogenannte Output-Lücke, also die Differenz zwischen Potenzialwachstum und tatsächlichem BIPWachstum, dementsprechend groß ist. Damit könnte es dieses Mal auch etwas länger dauern, bevor die Inflation im Konjunkturaufschwung ansteigt. Der Zusammenhang zwischen allgemeiner Konjunkturentwicklung und Inflation steht aber auch in einem solchen makroökonomischen Umfeld nicht grundsätzlich in Frage. Indikatoren wie die Entwicklung der Kapazitätsauslastung der Industrie im Euroraum deuten darauf hin, dass bereits eine erhebliche Korrektur der rezessionsbedingten Unterauslastung stattgefunden hat. Seit Erreichen eines Tiefstandes Ende 2012 befindet sich die Auslastung des Produktionspotenzials in einem stabilen Aufwärtstrend, wobei auch die gesamtwirtschaftliche Output-Lücke – wenn auch von hohem Niveau aus - inzwischen deutlich abnimmt. Mit ihren jüngsten Beschlüssen riskiert die EZB, den im Konjunkturaufschwung zu erwartenden Inflationsanstieg prozyklisch zu verstärken. Geldpolitische Maßnahmen benötigen in der Regel einige Zeit, bevor sie ihre volle Wirkung entfalten. Die EZBMaßnahmen könnten also genau dann inflationsfördernd wirken, wenn die Verbraucherpreise wegen des fortschreitenden Konjunkturaufschwungs ohnehin zu steigen beginnen. Postbank Research Wegen des weiteren Ölpreisverfalls am aktuellen Rand wird die Energiepreiskomponente im Warenkorb dafür sorgen, dass die Gesamtinflation auch in den kommenden Monaten noch unterhalb der Kerninflation liegen wird. Allerdings wird der inflationsdämpfende Effekt sinkender Energiepreise allmählich nachlassen. Es ist unwahrscheinlich, wenn auch nicht gänzlich auszuschließen, dass der Ölpreis von seinem aktuell niedrigen Niveau aus mit einer ähnlich starken Rate fällt wie in 2015. Würde der Ölpreis 2016 im Vorjahresvergleich nochmals um 45% nachgeben, läge er im Gesamtjahresdurchschnitt bei nicht einmal mehr 30 USDollar je Fass. Selbst in einem solchen Szenario halten wir einen moderaten Anstieg der Gesamtinflation im Euroraum für wahrscheinlich, da die Preise außerhalb des Energiesektors schneller steigen werden als in den vorangegangenen Jahren. Verharrt der Ölpreis 2016 auf seinem aktuell bereits sehr niedrigen Niveau von knapp 40 US-Dollar, was deutlich wahrscheinlicher ist, würde die Gesamtinflation im neuen Jahr auf rund 0,8% ansteigen. Trotz des Rückgangs der Inflationserwartungen keine Deflationsgefahren Die EZB verweist regelmäßig darauf, wie wichtig die Verankerung der mittelfristigen Inflationserwartungen zur Erreichung ihres Stabilitätsziels sei. Erwarten private Haushalte und Unternehmen rückläufige Preise könnte es zu einer Konsum- und Investitionszurückhaltung kommen, mit Einfluss der Ölpreisentwicklung auf die EWU-Inflation (2016) Progn. Inflation (2016) bei einem durchschnittl. Ölpreis von: Prozent 20 USD 0,3 30 USD 0,6 40 USD 0,8 50 USD 1,1 60 USD Quelle: eigene Berechnungen 1,3 Seite 5 Sonderthema Januar 2016 Inflationserwartungen leicht unterhalb des EZB-Inflationsziels Prozent 5 5 4 4 3 3 2 2 EZB-Inflationsziel 1 1 0 0 -1 2006 2008 2010 2012 2014 -1 Inflationserwartungen* EWU-Inflationsrate *5Y5Y Forward Inflation Swap Quelle: Thomson Reuters Datastream negativen Folgen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Letztlich könnten rückläufige Inflationserwartungen dann in einer sich verstärkenden Abwärtsspirale aus sinkender Binnennachfrage und fallenden Preisen münden. Tatsächlich haben die aus Marktkursen abgeleiteten Inflationserwartungen in den vergangenen Jahren tendenziell abgenommen. Grundsätzlich stellt sich allerdings die Frage, ob marktbezogene Indikatoren für eine Erfassung der Inflationserwartungen immer geeignet sind, da die Kursbildung bei inflationsindexierten Anleihen oder Swaps durch weitere Einflussfaktoren wie die Marktliquidität oder allgemeine Marktvolatilität verzerrt sein kann. Indikatoren, die aus direkten Befragungen abgeleitet werden und damit keinen Marktverzerrungen unterliegen, deuten auf stabile Inflationserwartungen hin. So befinden sich die von der EZB im Rahmen des Survey of Professional Forecasters erhobenen mittelfristigen Inflationserwartungen seit Jahren nahe am Inflationsziel der EZB von knapp 2%. Lediglich einzelne Indikatoren zur erwarteten Preisentwicklung, die im Rahmen von Verbraucherbefragungen erfasst werden, sind deutlich zurückgegangen. Allerdings beziehen sich die Erwartungen dabei in der Regel auf einen sehr kurzen Zeitraum von 6 oder 12 Monaten. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass veränderte Erwartungen für einen derart kurzen Zeitraum einen substanziellen Einfluss auf die Kauf- oder Investitionsentscheidungen in einer Volkswirtschaft haben. Postbank Research Ein signifikanter Rückgang der mittelfristigen Inflationserwartungen lässt sich anhand der genannten Indikatoren auf jeden Fall nicht erkennen. Das Argument der EZB, sie hätte durch ihre Maßnahmen einen Rückgang der Inflationserwartungen überhaupt erst verhindert, erscheint in diesem Zusammenhang wenig überzeugend. Die aus Marktkursen abgeleiteten Inflationserwartungen haben auf die Entscheidungen der EZB zur Ausweitung ihres Anleiheankaufprogramms kaum reagiert. Vielmehr zeigt sich ein relativ enger Zusammenhang zwischen Inflationserwartungen des Marktes und der jeweiligen Inflationsrate. Offensichtlich neigen Marktteilnehmer dazu, ihre Erwartungen an der aktuellen Inflationsentwicklung auszurichten. Erkennbare Deflationsgefahren resultieren hieraus jedenfalls nicht. Fazit: Die aktuell sehr niedrige Inflation im Euroraum ist zum weitaus überwiegenden Teil Folge stark gesunkener Energiepreise. Anzeichen für eine deflatorische Entwicklung sind nicht erkennbar. Frühindikatoren wie der private Konsum sprechen für einen signifikanten Anstieg der Inflation in den kommenden Jahren. Spätestens 2017 dürfte das Inflationsziel der EZB von knapp 2% wieder erreicht werden. Vor diesem Hintergrund ist die Begründung für die massiven geldpolitischen Maßnahmen nicht überzeugend. Mit ihrer lang anhaltenden ultraexpansiven Geldpolitik riskiert die Notenbank ein Überschießen der Inflation im aktuellen Konjunkturaufschwung. Dr. Marco Bargel Prognosen Postbank 2015e 2016e Inflation Euroraum 0,1 1,1 Deutsc hland 0,3 1,3 USA 0,2 2,1 Seite 6
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