Sonderthema Januar 2015

Postbank Research
Sonderthema
Januar 2016
 Warum die EZB-Sorgen vor einer Deflation übertrieben sind
Der Euroraum ist von einer echten Deflation weit entfernt
Frühindikatoren deuten auf einen baldigen Anstieg der Inflationsrate
Trotz des Rückgangs der Inflationserwartungen keine Deflationsgefahren
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Sonderthema Januar 2016
Team Postbank Research
Dr. Marco Bargel
Chefvolkswirt
[email protected]
Heinrich Bayer
[email protected]
Dr. Lucas Kramer
[email protected]
Heinz-Gerd Sonnenschein
[email protected]
www.postbank.de
Redaktionsschluss: 16.12.2015
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Zentrale
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Sonderthema Januar 2016
Warum die EZB-Sorgen vor einer Deflation
übertrieben sind
Unter dem Eindruck sehr niedriger Inflationsraten in der Eurozone hat die EZB ihre
Geldpolitik im Januar und Dezember dieses
Jahres weiter gelockert. Zu Jahresbeginn
wurde ein Ankaufprogramm für Staatsanleihen (eine Form der „Quantitativen
Lockerung“), das zunächst bis September
2016 laufen sollte, beschlossen. Seither hat
die Notenbank bereits Anleihen der
Eurostaaten im Gesamtvolumen von fast
400 Mrd. Euro erworben. Auf der Dezembersitzung wurde dann entschieden, den
Ankauf von Anleihen um sechs Monate bis
mindestens März 2017 zu verlängern und
den Zinssatz für die Einlagenfazilität um 10
Basispunkte auf -0,3% zu reduzieren.
Weitere Maßnahmen betreffen die
Wiederanlage von Erträgen aus der
Rückzahlung bereits erworbener Anleihen
und den Ankauf von Anleihen regionaler
und lokaler Gebietskörperschaften.
Die jüngsten Entscheidungen der EZB
wurden vom Markt mit Enttäuschung
aufgenommen, hatten die Währungshüter
im Vorfeld doch Erwartungen sehr viel
weitreichender Maßnahmen geweckt. Die
Reaktion auf die EZB-Beschlüsse zeigt
einmal mehr, dass eine Bewertung
geldpolitischer Maßnahmen häufig unter
dem Gesichtspunkt der Markterwartungen
erfolgt. Darüber hinaus werden in der
Öffentlichkeit zunehmend die Nebenwirkungen einer lang anhaltenden
Niedrigzinspolitik diskutiert. Dagegen
wurde der Begründung und Notwendigkeit
massiver geldpolitischer Maßnahmen
durch die EZB bisher relativ wenig
Aufmerksamkeit geschenkt.
Extreme geldpolitische Maßnahmen wie
die quantitative Lockerung oder negative
Leitzinsen sind nur bei einer signifikanten
Zielverfehlung der Geldpolitik gerechtfertigt, da mit ihnen erhebliche Risiken,
wie eine Blasenbildung an den Märkten
oder eine Tendenz zur Überschuldung,
einhergehen. Die EZB verweist als
Begründung auf eine sehr geringe
Inflationsdynamik und ein wachsendes
Risiko von Zweitrundeneffekten des
Ölpreisverfalls. Gleichzeitig zeigt sie sich
Postbank Research
Zuletzt weniger Produkte mit
sinkendem Preis ggü. Vorjahr
Anteil an allen Produkten in Prozent
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Quelle: Eurostat
besorgt über den Rückgang der Inflationserwartungen im Euroraum. Letztendlich
zielt die EZB mit ihren Maßnahmen auf
einen Anstieg der Inflation in Richtung
ihres Inflationszieles von knapp 2% und
einer Verankerung der Inflationserwartungen in der Nähe dieses Zielwertes. Es stellt
sich hierbei die Frage, ob die aktuell sehr
niedrige Inflationsrate tatsächlich einen
hinreichenden Grund bietet, derart
weitreichende geldpolitische Maßnahmen
zu beschließen.
Der Euroraum ist von einer echten
Deflation weit entfernt
Wesentliches Merkmal einer Deflation ist
ein allgemein und nachhaltig sinkendes
Preisniveau, d.h. ein Großteil der im
Warenkorb enthaltenen Güter und
Dienstleistungen ist während eines
längeren Zeitraums von einem Preisrückgang betroffen. Preisänderungen, die bei
einzelnen Gütern bzw. Güterarten
auftreten und durch branchenspezifische
Angebots-/Nachfrageschocks oder
Produktivitätsgewinne verursacht sind,
münden normalerweise nicht in eine
deflatorische Spirale und stellen für die
Geldpolitik kein Problem dar. Auch der
Rückgang der Inflationsrate seit Ende 2011
wurde in starkem Maße von einzelnen
Komponenten des Warenkorbs getrieben.
Besonders ausgeprägt waren hierbei der
Rückgang der Energiepreise, der sich
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infolge eines stark gefallen Rohölpreises
am aktuellen Rand noch einmal beschleunigt hat, sowie die abnehmende Preisdynamik bei Nahrungsmitteln. Etwa drei
Viertel der Veränderung der Inflationsrate
seit Ende 2011 kann durch fallende
Energie- und Nahrungsmittelpreise erklärt
werden.
Zwar ist regelmäßig zu beobachten, dass
sinkende Energie- und Rohstoffpreise auch
Preisrückgänge in anderen Bereichen
verursachen können. Diese indirekten
Effekte entstehen dann, wenn infolge von
Preisrückgängen auf der Beschaffungsseite
die Produktionskosten sinken und die
Hersteller diese Kosteneinsparungen in
Form von Preissenkungen an die
Konsumenten weitergeben. Da das
Gewicht der Güter, die eine hohe
Preissensitivität in Bezug auf den Ölpreis
aufweisen, nur bei etwa 10% des zur
Inflationsberechnung verwendeten
Warenkorbs liegt, ist es allerdings
unwahrscheinlich, dass sich alleine aus
einem Rohölpreisrückgang eine Deflation
mit allgemein rückläufigen Preisen
entwickelt. Der Anteil der Güter mit
negativen Preisveränderungen am
gesamten Warenkorb hat im Euroraum im
Verlauf von 2015 sogar deutlich
abgenommen. Bei nicht einmal mehr 20%
aller im Warenkorb erfassten Güter liegen
die Preise aktuell unter Vorjahresniveau.
Das ist ein sehr viel geringerer Anteil als
beispielsweise in der Deflationsphase in
Japan (bis zu 70%) oder Hong Kong (bis zu
90%). Dies spricht eindeutig gegen das
Vorliegen einer ölpreisbedingten Deflation
im Euroraum.
Zu den Merkmalen einer Deflation gehört
zudem eine ausgeprägte Zurückhaltung
bei privatem Konsum und Unternehmensinvestitionen, was in der Regel zu rezessiven Tendenzen in der Gesamtwirtschaft
führt. Aktuell ist weder beim Verbrauch
noch bei den Investitionen eine solche
Zurückhaltung zu beobachten. Ganz im
Gegenteil: Der private Konsum im
Euroraum wird in diesem Jahr mit 1,8% so
stark wachsen wie seit 8 Jahren nicht
mehr. Die Investitionstätigkeit im Unternehmenssektor ist zwar noch verhalten.
Dies ist aber nicht Folge deflatorischer
Tendenzen im Euroraum. In einer Deflation
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Starker Privater Konsum spricht für
Anstieg der Inflationsrate in der EWU
Prozent, Vorlauf 6 Quart.
6,0
Prozent ggü. Vj.
3,0
5,0
2,5
4,0
3,0
2,0
2,0
1,5
1,0
0,0
1,0
-1,0
-2,0
2000
2005
2010
2015
0,5
Privater Konsum EWU
EWU-Kerninflation (re. Skala)
Quelle: Thomson Reuters Datastream
sinken üblicherweise die Unternehmensgewinne, da Unternehmen u.a. wegen
starrer Lohnkosten nicht in der Lage sind,
fallende Umsatzerlöse durch Einsparungen
zu kompensieren. Auch hier spricht die
aktuell positive Entwicklung der Gewinne
und Umsätze von Unternehmen im
Euroraum gegen deflationäre Gefahren.
Frühindikatoren deuten auf einen
baldigen Anstieg der Inflationsrate
Inflation ist ein der Konjunkturentwicklung
nachlaufender Indikator. In der Frühphase
eines Aufschwungs befindet sich die
Inflation meist noch auf einem niedrigen
Niveau. Denn die Produktionskapazitäten
sind i.d.R. nicht ausgelastet, die
Arbeitslosigkeit ist hoch, die Lohndynamik
entsprechend gering. Erst im späteren
Verlauf eines Konjunkturaufschwungs,
wenn die Produktionskapazitäten stärker
ausgelastet sind und die Arbeitskräftenachfrage deutlich angestiegen ist, beginnt
das Verbraucherpreisniveau signifikant zu
steigen. Vor allem privater Konsum und die
Lohnentwicklung laufen der Inflation dabei
voraus. Steigt der Verbrauch an, folgt die
Inflation dem Trend etwa 1-2 Jahre später.
Das aktuell starke Wachstum des Privaten
Konsums lässt einen erheblichen Anstieg
der Inflation im Euroraum erwarten. Setzt
sich der starke Aufwärtstrend beim Verbrauch fort, dürfte sich die Kerninflation
im Jahr 2016 kontinuierlich erhöhen und in
2017 mit 2% dann im Zielbereich der EZB
liegen.
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Unterauslastung der Volkswirtschaft
nimmt schnell ab
Prozent, Vorlauf 1 Jahr
3
Prozent ggü. Vj.
3,0
2
2,5
1
0
2,0
-1
1,5
-2
1,0
-3
-4
2000
2005
2010
2015
0,5
Output-Lücke in der EWU
EWU-Kerninflation (re. Skala)
Quelle: Thomson Reuters Datastream
Zwar ist es richtig, dass die vorangegangene Rezession im Euroraum besonders
stark ausgeprägt war und die sogenannte
Output-Lücke, also die Differenz zwischen
Potenzialwachstum und tatsächlichem BIPWachstum, dementsprechend groß ist.
Damit könnte es dieses Mal auch etwas
länger dauern, bevor die Inflation im
Konjunkturaufschwung ansteigt. Der
Zusammenhang zwischen allgemeiner
Konjunkturentwicklung und Inflation steht
aber auch in einem solchen makroökonomischen Umfeld nicht grundsätzlich in
Frage. Indikatoren wie die Entwicklung der
Kapazitätsauslastung der Industrie im
Euroraum deuten darauf hin, dass bereits
eine erhebliche Korrektur der rezessionsbedingten Unterauslastung stattgefunden
hat. Seit Erreichen eines Tiefstandes Ende
2012 befindet sich die Auslastung des
Produktionspotenzials in einem stabilen
Aufwärtstrend, wobei auch die gesamtwirtschaftliche Output-Lücke – wenn auch
von hohem Niveau aus - inzwischen
deutlich abnimmt.
Mit ihren jüngsten Beschlüssen riskiert die
EZB, den im Konjunkturaufschwung zu
erwartenden Inflationsanstieg prozyklisch
zu verstärken. Geldpolitische Maßnahmen
benötigen in der Regel einige Zeit, bevor
sie ihre volle Wirkung entfalten. Die EZBMaßnahmen könnten also genau dann
inflationsfördernd wirken, wenn die
Verbraucherpreise wegen des fortschreitenden Konjunkturaufschwungs ohnehin
zu steigen beginnen.
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Wegen des weiteren Ölpreisverfalls am
aktuellen Rand wird die Energiepreiskomponente im Warenkorb dafür sorgen,
dass die Gesamtinflation auch in den
kommenden Monaten noch unterhalb der
Kerninflation liegen wird. Allerdings wird
der inflationsdämpfende Effekt sinkender
Energiepreise allmählich nachlassen. Es ist
unwahrscheinlich, wenn auch nicht
gänzlich auszuschließen, dass der Ölpreis
von seinem aktuell niedrigen Niveau aus
mit einer ähnlich starken Rate fällt wie in
2015. Würde der Ölpreis 2016 im
Vorjahresvergleich nochmals um 45%
nachgeben, läge er im Gesamtjahresdurchschnitt bei nicht einmal mehr 30 USDollar je Fass. Selbst in einem solchen
Szenario halten wir einen moderaten
Anstieg der Gesamtinflation im Euroraum
für wahrscheinlich, da die Preise außerhalb
des Energiesektors schneller steigen
werden als in den vorangegangenen
Jahren. Verharrt der Ölpreis 2016 auf
seinem aktuell bereits sehr niedrigen
Niveau von knapp 40 US-Dollar, was
deutlich wahrscheinlicher ist, würde die
Gesamtinflation im neuen Jahr auf rund
0,8% ansteigen.
Trotz des Rückgangs der Inflationserwartungen keine Deflationsgefahren
Die EZB verweist regelmäßig darauf, wie
wichtig die Verankerung der mittelfristigen
Inflationserwartungen zur Erreichung ihres
Stabilitätsziels sei. Erwarten private
Haushalte und Unternehmen rückläufige
Preise könnte es zu einer Konsum- und
Investitionszurückhaltung kommen, mit
Einfluss der Ölpreisentwicklung auf
die EWU-Inflation (2016)
Progn. Inflation (2016) bei einem
durchschnittl. Ölpreis von:
Prozent
20 USD
0,3
30 USD
0,6
40 USD
0,8
50 USD
1,1
60 USD
Quelle: eigene Berechnungen
1,3
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Sonderthema Januar 2016
Inflationserwartungen leicht
unterhalb des EZB-Inflationsziels
Prozent
5
5
4
4
3
3
2
2
EZB-Inflationsziel
1
1
0
0
-1
2006
2008
2010
2012
2014
-1
Inflationserwartungen*
EWU-Inflationsrate
*5Y5Y Forward Inflation Swap
Quelle: Thomson Reuters Datastream
negativen Folgen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Letztlich könnten
rückläufige Inflationserwartungen dann in
einer sich verstärkenden Abwärtsspirale
aus sinkender Binnennachfrage und
fallenden Preisen münden.
Tatsächlich haben die aus Marktkursen
abgeleiteten Inflationserwartungen in den
vergangenen Jahren tendenziell abgenommen. Grundsätzlich stellt sich allerdings die Frage, ob marktbezogene Indikatoren für eine Erfassung der Inflationserwartungen immer geeignet sind, da die
Kursbildung bei inflationsindexierten
Anleihen oder Swaps durch weitere
Einflussfaktoren wie die Marktliquidität
oder allgemeine Marktvolatilität verzerrt
sein kann. Indikatoren, die aus direkten
Befragungen abgeleitet werden und damit
keinen Marktverzerrungen unterliegen,
deuten auf stabile Inflationserwartungen
hin. So befinden sich die von der EZB im
Rahmen des Survey of Professional
Forecasters erhobenen mittelfristigen
Inflationserwartungen seit Jahren nahe am
Inflationsziel der EZB von knapp 2%.
Lediglich einzelne Indikatoren zur erwarteten Preisentwicklung, die im Rahmen von
Verbraucherbefragungen erfasst werden,
sind deutlich zurückgegangen. Allerdings
beziehen sich die Erwartungen dabei in der
Regel auf einen sehr kurzen Zeitraum von
6 oder 12 Monaten. Es gibt keinerlei
Anzeichen dafür, dass veränderte
Erwartungen für einen derart kurzen
Zeitraum einen substanziellen Einfluss auf
die Kauf- oder Investitionsentscheidungen
in einer Volkswirtschaft haben.
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Ein signifikanter Rückgang der mittelfristigen Inflationserwartungen lässt sich
anhand der genannten Indikatoren auf
jeden Fall nicht erkennen. Das Argument
der EZB, sie hätte durch ihre Maßnahmen
einen Rückgang der Inflationserwartungen
überhaupt erst verhindert, erscheint in
diesem Zusammenhang wenig überzeugend. Die aus Marktkursen abgeleiteten
Inflationserwartungen haben auf die
Entscheidungen der EZB zur Ausweitung
ihres Anleiheankaufprogramms kaum
reagiert. Vielmehr zeigt sich ein relativ
enger Zusammenhang zwischen
Inflationserwartungen des Marktes und der
jeweiligen Inflationsrate. Offensichtlich
neigen Marktteilnehmer dazu, ihre
Erwartungen an der aktuellen Inflationsentwicklung auszurichten. Erkennbare
Deflationsgefahren resultieren hieraus
jedenfalls nicht.
Fazit: Die aktuell sehr niedrige Inflation im
Euroraum ist zum weitaus überwiegenden
Teil Folge stark gesunkener Energiepreise.
Anzeichen für eine deflatorische Entwicklung sind nicht erkennbar. Frühindikatoren
wie der private Konsum sprechen für einen
signifikanten Anstieg der Inflation in den
kommenden Jahren. Spätestens 2017
dürfte das Inflationsziel der EZB von knapp
2% wieder erreicht werden. Vor diesem
Hintergrund ist die Begründung für die
massiven geldpolitischen Maßnahmen
nicht überzeugend. Mit ihrer lang anhaltenden ultraexpansiven Geldpolitik riskiert
die Notenbank ein Überschießen der
Inflation im aktuellen Konjunkturaufschwung.
Dr. Marco Bargel
Prognosen Postbank
2015e
2016e
Inflation
Euroraum
0,1
1,1
Deutsc hland
0,3
1,3
USA
0,2
2,1
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