Auftragsvergaben/Vergaberecht (5) Quasi-in-house-Vergaben und andere Ausnahmen SS 2015 Kurt Reindl 1 Gliederung 1. UE Einführung 2. UE rechtliche Grundlagen 3. UE Persönlicher Geltungsbereich 4. UE Sachlicher Geltungsbereich 5. UE Quasi-in-house-Vergaben und andere Ausnahmen 6. UE Verfahrensarten im Überblick 7. UE Ablauf Vergabeverfahren I 8. UE Ablauf Vergabeverfahren II 9. UE Rechtsschutz I 10. UE Rechtsschutz II 2 Ausnahmen Ausnahmen Ausnahmen (§ 10 BVergG) Die Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen — „die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, obliegt demjenigen, der sich auf die Bestimmung berufen will“ (EBRV 1171 BlgNR 22. GP 29) Das BVergG gilt nicht für — Geheime Vergaben/besondere Sicherheitsmaßnahmen; Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen Österreichs (Z 1) — Vergaben im Bereich der Landesverteidigung (Z 2) — Vergabeverfahren, die anderen Verfahrensregeln unterliegen und in Übereinstimmung mit diesen Regelungen durchgeführt werden (Z 3 bis 5) — Dienstleistungsaufträge von einem öffentlichen Auftraggeber an einen anderen öffentlichen Auftraggeber auf Grund eines ausschließlichen Rechts (Z 6) 3 Ausnahmen Ausnahmen — Quasi-In-house-Vergaben (Z 7) Quasi-in-house-Vergaben — Verträge über Erwerb oder Miete von oder Rechte an Immobilien (Z 8) — Herstellung, Erwerb und Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen (Z 9) — Aufträge über Schiedsgerichts- und Schlichtungstätigkeiten (Z 10) — bestimmte Finanzdienstleistungen, Dienstleistungen der Zentralbanken, Verträge über Instrumente der öffentlichen Kreditpolitik (Z 11) — Arbeitsverträge (Z 12) — bestimmte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (Z 13) F&E-Dienstleistungen — Beschaffung von einer zentralen Beschaffungsstelle bzw Betrauung der Stelle mit der Beschaffung (Z 14 u 15) Zentrale Beschaffungsstelle — Aufträge mit dem hauptsächlichen Zweck des Betriebs bzw der Bereitstellung öffentlicher Telekommunikationsnetze oder -dienste für die Öffentlichkeit (Z 16) — zusätzlichen Bauleistungen im Rahmen eines Baukonzessionsvertrages ( Z 17) 4 Ausnahmen Ausnahmen — Aufträge im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, die dem BVergGVS 2012 unterliegen bzw gem § 9 BVergGVS 2012 vom Geltungsbereich des BVergGVS 2012 ausgenommen sind (Z 18) — Beschaffung von einer zentralen Beschaffungsstelle eines MS der EU oder des EWR bzw Betrauung der Stelle mit der Beschaffung (Z 19 u 20) Zentrale Beschaffungsstelle 5 Fallbeispiel - Frage Der Krankenversicherungsträger K1 benötigt im Jahr rd. 5000 Tonerpatronen (CPV-Code 30125100). Der Krankenversicherungsträger K2 hat zu viele Druckerpatronen bestellt und möchte einige davon loswerden. Darf K1 die Tonerpatronen ohne weiteres von K2 beziehen? 6 Zentrale Beschaffungsstelle Ausnahmen Ausnahmen Beispiel: Zentrale Beschaffungsstellen (zBSt) sog. Großhändlermodell Ö (§ 10 Z 14) — § 10 Z 14: „Dieses Bundesgesetz gilt nicht für die Beschaffung von Liefer- oder Dienstleistungen durch Auftraggeber von einer zentralen Beschaffungsstelle, sofern die zentrale Beschaffungsstelle bei der Beschaffung dieser Liefer- oder Dienstleistungen die Bestimmungen des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes eingehalten hat,“ — nur für Liefer- und Dienstleistungsaufträge — zBSt beschafft dabei im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und verkauft die Waren bzw. Dienstleistungen anschließend an einen anderen öffentliche Auftraggeber (öffAG) sog. Vollmachtsmodell Ö (§ 10 Z 15) — § 10 Z 15: „Dieses Bundesgesetz gilt nicht für die Beauftragung einer zentralen Beschaffungsstelle durch Auftraggeber mit der Beschaffung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen für diese Auftraggeber, sofern die zentrale Beschaffungsstelle bei der Beschaffung dieser Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen die Bestimmungen des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes einhält.“ —zBSt vergibt als „Vermittlerin“ bzw als vergebende Stelle Aufträge im fremden Namen und auf fremde Rechnung für einen anderen öffAG — zBSt erbringt dabei die (nicht auszuschreibende) prioritäre Dienstleistung der „Durchführung des Beschaffungsvorgangs“ (Kategorie 11 Anhang III BVergG 2006) für den öffAG 7 Zentrale Beschaffungsstelle Ausnahmen Ausnahmen Jeder öffAG kann grundsätzlich für jeden anderen öff AG die Funktion einer zentralen Beschaffungsstelle (zBSt) übernehmen und zwar auch in Konkurrenz zu anderen öffAG, die selbst als zBSt auftreten (zB BBG). — Voraussetzung: Tätigkeit muss nachhaltig wahrgenommen werden; einmalige Beschaffungstätigkeit macht einen öff AG noch nicht zu einer zBSt; vertragliche Verpflichtung, „die zentrale Beschaffungsfunktion auf Dauer (u nicht bloß einmalig oder auf sehr kurze Zeit) wahrzunehmen“ soll allerdings reichen (Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann [Hrsg] BVergG 2006 Kommentar2 2. Lfg [2012] § 2 Z 48 Rz 5) zBSt muss ihrerseits die Bestimmungen des BVergG 2006 einhalten Über den Zukauf und die Weiterveräußerung (Großhändlermodell) bzw. über die Durchführung des Beschaffungsvorgangs (Vollmachtsmodell) hinausgehende Leistungen seitens der zBSt für den öffAG, wie zB ein Vertragscontrolling, sind nicht umfasst und daher grundsätzlich ausschreibungspflichtig. Wichtig ist zudem, dass die zBSt Beschaffungen nur für andere öffentliche AG vornimmt; Beschaffungstätigkeiten für nicht dem Vergaberecht unterliegende Rechtsträger (zB Private) würden zu Verlust der Stellung als zBSt iSv § 10 Z 14 u 15 führen (Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann [Hrsg] BVergG 2006 Kommentar2 2. Lfg [2012] § 2 Z 48 Rz 10). 8 F&E-Dienstleistungen Ausnahmen Ausnahmen Beispiel: Ausnahmen für Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungsaufträge Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungsaufträge unterliegen grundsätzlich nicht dem BVergG (§ 10 Z 13 BVergG). —Der Gesetzgeber wollte damit bewirken, dass F&E-Aufträge, „die etwa im Bereich der Grundlagenforschung, aus allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen erfolgen und daher nicht konkret auftragsbezogen sind“, vom Anwendungsbereich des BVergG ausgenommen werden. (EBRV 1171 BlgNR 22. GP, 32) Ausnahme von der Ausnahme: Von öffentlichen Auftraggebern beauftragte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (im Folgenden F&E-DL), deren Ergebnisse ausschließlich Eigentum (Im Sinne von exklusiven Verwertungsrechten an den F&E-Ergebnissen) des Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit sind und die vollständig durch den Auftraggeber vergütet werden (§ 10 Z 13 BVergG), unterliegen als prioritäre Dienstleistungen (§ 6 iVm Anhang III Kategorie 8 BVergG) vollumfänglich dem Vergaberecht. —Vom Vergaberecht erfasst ist also nur „die so genannte ‚Auftragsforschung’, das ist die Vergabe eines Forschungsund Entwicklungs-Dienstleistungsauftrages durch einen öffentlichen Auftraggeber, den dieser zur Erfüllung seiner ihm (zB gesetzlich) obliegenden Aufgaben benötigt oder benötigen kann.“ (EBRV 1171 BlgNR 22. GP, 32) 9 F&E-Dienstleistungen Ausnahmen Ausnahmen Ausnahme gem § 10 Z 13 BVergG betrifft zudem nur Dienstleistungen —Für Lieferungen etwa von Prototypen als Ergebnis von Forschungsarbeiten oder für Bauleistungen mit einem wesentlichen F&E-Anteil bleiben die vergaberechtlichen Bestimmungen anwendbar. Es sind darüber hinaus nur solche F&E-DL ausgenommen, die der CPC-Referenz-Nr 85 (siehe Anhang III Kategorie 8 BVergG) zugeordnet werden können. —CPC = „Central Product Classification“ der Vereinten Nationen; Anhang III und IV des BVergG nehmen Bezug auf die zur Festlegung des Anwendungsbereiches der Richtlinie 92/50/EWG verwendete vorläufige Fassung der CPCNomenklatur, zu finden unter http://unstats.un.org/unsd/cr/registry/regcst.asp?Cl=9&Lg=1. F&E-DL, die von anderen CPC-Referenz-Nummern (Anhang III Kategorie 1 – 7 und 9 – 16 sowie Anhang IV Kategorie 17 – 27 BVergG) umfasst sind, fallen nicht unter die Ausnahme des § 10 Z 13 BVergG. —So umfasst etwa die Kategorie 12 (zB Architektur) auch die Durchführung von „technische[n] Versuche[n] und Analysen“, die auch darauf gerichtet sein können, neue Kenntnisse zu gewinnen (vgl Fruhmann in: Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20062 (2009) § 10 Rz 326). 10 Fallbeispiel - Frage Die Gemeinde G möchte Druckaufträge in der eigenen Druckerei selbst drucken. Der geschätzte Auftragswert beträgt 200.000 Euro. Muss die Gemeinde G die Leistung öffentlich ausschreiben? 11 In-house-Vergabe In-house Vergabe Bei einer sog In-house-Vergabe wird die Leistung mit dem eigenen administrativen, technischen oder sonstigen Ressourcen erfüllt Mangels Vergabe ist das Vergaberecht von vorneherein nicht anwendbar Gemeindamt eigene Druckerei 12 Fallbeispiel - Frage Die Gemeinde G möchte Druckaufträge an die Druck-GmbH vergeben. Der geschätzte Auftragswert beträt 200.000 Euro. Darf die Gemeinde G das ohne Weiteres tun? 13 Keine In-house-Vergabe Keine In-house Vergabe EuGH, Rs C-107/98, Teckal, Rn 51: — Vergaberecht anwendbar, „wenn ein öffentlicher Auftraggeber wie etwa eine Gebietskörperschaft beabsichtigt, mit einer Einrichtung, die sich formal von ihm unterscheidet und die ihm gegenüber eigene Entscheidungsgewalt besitzt, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über die Lieferung von Waren zu schließen, wobei unerheblich ist, ob diese Einrichtung selbst ein öffentlicher Auftraggeber ist.“ (Hervorhebungen hier und an anderen Stellen der Folien jeweils durch den Verfasser) Leistung wird nicht mit eigenen Ressourcen erfüllt, sondern als Auftrag „vergeben“ Gemeinde G DruckGmbH 14 Fallbeispiel - Frage Die Gemeinde G möchte Druckaufträge an die Druck-GmbH vergeben, deren Anteile sie zu 100% hält. Der geschätzte Auftragswert beträt 200.000 Euro. Darf die Gemeinde G das ohne Weiteres tun? 15 Quasi-in-house-Vergaben Quasi-in-house-Vergabe Ausnahmen Ausnahme: Quasi-in-house-Vergabe EuGH 18.11.1999, Rs C-107/98, Teckal, Rn 50 und Leitsatz 2 — Vergaberecht aber nicht anwendbar, „wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben.“ — Vgl EBRV 1171 BlgNR 22. GP 30 f Gemeinde G DruckGmbH 16 Quasi-in-house-Vergaben Quasi-in-house-Vergabe Ausnahmen EuGH 06.04.2006, Rs C-410/04, ANAV, Rz 25 — Wörtliche Übernahme der Teckal-Kriterien in nationale Rechtsvorschriften ist unionsrechtskonform § 10 Z 7 BVergG: — BVergG gilt nicht „für Aufträge, die ein öffentlicher Auftraggeber durch eine Einrichtung erbringen lässt, • a) über die der öffentliche Auftraggeber eine Aufsicht wie über eine eigene Dienststelle ausübt, und • b) die ihre Leistungen im Wesentlichen für den oder die öffentlichen Auftraggeber erbringt, die ihre Anteile innehaben oder aus denen sie sich zusammensetzt“ 17 Quasi-in-house-Vergaben Quasi-in-house-Vergabe Ausnahmen Weitere Präzisierungen durch EuGH — EuGH 01.03.2005, Rs C-458/03, Parking Brixen, Rz 62 ff • Ausnahme für Quais-in-house-Vergabe gilt auch für Dienstleistungskonzessionen, für die nur das Primärrecht gilt • „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“: Möglichkeit der Einwirkung auf strategische Ziele und eines ausschlaggebenden Einflusses auf wichtige Entscheidungen — EuGH 11.05.2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 64 • „Wesentlichkeit“: zur Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit im wesentlichen für den Auftraggeber verrichtet wird, sind alle – qualitativen wie quantitativen – Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen 18 Fallbeispiel - Frage Die Gemeinde G möchte Druckaufträge an die Druck-GmbH vergeben, deren Anteile sie zu 90% hält. 10% der Anteile hält die A-GmbH. Der geschätzte Auftragswert beträt 200.000 Euro. Darf die Gemeinde G das ohne Weiteres tun? 19 Quasi-in-house-Vergaben Quasi-in-house-Vergabe Ausnahmen — EuGH 11.01.2005, Rs C-26/03, Stadt Halle, Rz 48 ff • Gemischtwirtschaftliche Unternehmen: Keine Kontrolle wie über eigene Dienststellen — EuGH 10.11.2005, Rs C-29/04, Stadtgemeinde Mödling, Rz 38 ff • Gemischtwirtschaftliche Unternehmen: Keine Verschleierung der Vergabe von Aufträgen an gemischtwirtschaftliche Unternehmen; Ereignissen, die nach der Auftragsvergabe stattfanden sind zu berücksichtigen — EuGH 15.10.2009, Rs C-196/08, Acoset SpA, Rz 63 • Gemischtwirtschaftliches Unternehmen: Leistungsbezug vom Vergaberecht ausgenommen, wenn privater Gesellschafter mittels einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt wurde ? Gemeinde G DruckGmbH AGmbH 20 Quasi-in-house-Vergaben Quasi-in-house-Vergabe Ausnahmen Öffentlich-öffentliche Partnerschaft — EuGH 13.11.2008, Rs C-324/07 Coditel, RS 1 • Die Art. 43 EG und 49 EG, der Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie die daraus folgende Transparenzpflicht hindern eine öffentliche Stelle nicht daran, eine öffentliche Dienstleistungskonzession ohne Ausschreibung an eine interkommunale Genossenschaft zu vergeben, deren Mitglieder sämtlich öffentliche Stellen sind, wenn diese öffentlichen Stellen über die Genossenschaft eine Kontrolle ausüben wie über ihre eigenen Dienststellen und die Genossenschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen für diese öffentlichen Stellen verrichtet. — EuGH 29.11.2012, verb Rs C-182/11 u 183/11, Econord, Rz 33 • Gemeinsame Kontrolle ist zu bejahen, wenn jede der Stellen sowohl am Kapital als auch an den Leitungsorganen der Einrichtung beteiligt ist 21 Quasi-in-house-Vergaben Quasi-in-house-Vergabe Ausnahmen — EuGH 10.12.2012, verb Rs C-159/11, Azienda Sanitaria Locale di Lecce, Rz 40 • Das Recht der Union über die Vergabe öffentlicher Aufträge steht einer nationalen Regelung entgegen, die es erlaubt, ohne Ausschreibung einen Vertrag zu schließen, mit dem öffentliche Einrichtungen eine Zusammenarbeit vereinbaren, wenn ein solcher Vertrag • nicht die Wahrnehmung einer diesen Einrichtungen gemeinsam obliegenden öffentlichen Aufgabe zum Gegenstand hat, • nicht nur durch Erfordernisse und Überlegungen bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen, oder • geeignet ist, einen privaten Dienstleistungserbringer besser zu stellen als seine Wettbewerber. 22
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