Sozialreport - Fachhochschule Potsdam

Fachhochschule Potsdam
Fachbereich Sozialwesen /Soziale Arbeit
Wintersemester 2014
Sommersemester 2014/15
Sozialreport
der Werkstatt
Gender/Queer und Diversity
Wie gestaltet sich der Umgang mit
sexueller Vielfalt in der Gesellschaft
in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit?
Erkenntnisinteresse:
Inwiefern ist der Diskurs zu Gender/Queer und
Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit
angekommen?
Projektleitung
Dozent*innen:
Tutor:
Prof. Dr. Gudrun Perko
Leah Carola Czollek
Domenico Janz
Studierende der Werkstatt
Farah Abdullayeva, Amir Reza Arastoo, Jennifer Becker,
Kai Meret Brieske, Laura Marina Ederer, Freya Ehrhardt,
Anika Juliane Gerlach, Zenna Gürgen, Christian Höldtke,
Niusha Khosravi Koochaksarai, Bianka Koch, Anne
Mense, Jason Omer, Anastassiya Shilova, Melina Strohe,
Carolin Wiggert
1
Danksagung
Wir danken all unseren Interviewpartner*innen sowie
allen Umfrageteilnehmer*innen für ihre Zeit. Die
Gespräche und Befragungen gaben die inhaltliche
Grundlage für unser Forschungsergebnis.
Desweiteren danken wir Torsten Hoppe, der uns mit
seiner praxisnahen und zugänglichen Art in dem Seminar
zur Gesprächsführung auf die Interviews vorbereitet hat.
Weiter danken wir Frau Franziska Homuth, die uns
während
der
zwei
Semester
für
die
gesamte
Sozialforschung fachlich zur Seite stand, uns in den
Arbeitsschritten begleitet und besonders für die finale
Anfertigung des Sozialreports engagiert unterstützt hat.
Unser besonderer Dank gilt unseren Dozentinnen,Prof.
Dr. Gudrun Perko, Leah Carola Czollek und unserem
Tutor Domenico Janz. Die Offenheit und das Vertrauen,
mit denen sie uns vom ersten Tag an begegneten, haben
uns über die Zeit der Werkstatt gestützt und für die
gemeinsame Arbeit motiviert. Auch ihre fachliche
Kompetenz und die authentische und engagierte
Vermittlung der Themeninhalte in einer angenehmen
Arbeitsatmosphäre
waren
uns
eine
wertvolle
Unterstützung. Vielen Dank.
2
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Phasenmodell zur Erreichung des Sozialreportes
5
2. Theoretische Grundlagen
10
2.1 Gender/Queer und Gendervielfalt
10
2.2 Diversity
10
2.3 Intersektionalität
10
2.4 Transgender
10
2.5 Intersexuell
11
2.6 Zielsetzung aus sozialarbeiterischer Perspektive: Sensibilisierung
11
3. (Gesetzliche) Grundlagen für die Soziale Arbeit
12
3.1 Grundgesetz (GG)
12
3.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
13
3.3 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
13
3.4 Gender Mainstreaming (GM)
14
3.5 Fazit
14
4. Empirische Daten
16
4.1 Empirische Daten zu Homosexualität in Deutschland
16
4.2 Strafverfolgung von homosexuellen Menschen weltweit
16
4.3 Trans*Personen am Arbeitsmarkt
16
4.4 Fazit
17
5. Gender/Queer und Diversity in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit
18
5.1 Gendergerechte soziale Arbeit mit Wohnungslosen
18
5.2 Soziale Arbeit mit Frauen, Männern und queeren Menschen
20
5.2.1 Soziale Arbeit mit Frauen
21
5.2.2 Soziale Arbeit mit Männern
22
5.2.3 Soziale Arbeit mit queeren Menschen
23
5.3 Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung
24
5.3.1 Die UN-BRK, Inklusion und aktuelle Stimmung
in der Gesellschaft
24
5.3.2 Wer lebt mit einer Behinderung und
was verbirg sich hinter dem Begriff?
26
5.3.3 Geschlecht und Behinderung
28
5.3.4 Handlungsbedarf und Projekte der sozialen Arbeit
30
5.4 Fazit
32
6. Visuelle Beobachtung zu Gender/Queer und Diversity sowie
Intersektionalitäten
33
7. Empirische Studie
41
7. 1 Gewinnung von Interviewpartner*innen
7.1.1 Legende
41
41
3
7.1.2 Erhebungsansatz
42
7.1.3 Auswertungsansatz
43
7.1.3.1 Auswertungsansatz bezogen auf
die geführten Interviews
43
7.1.3.2 Auswertungsansatz bezogen auf
die Online-Befragung
44
7.2 Auswertung der Interviews
44
7.2.1 Themenrelevanz
44
7.2.2 Sensibilisierung
46
7.2.3 Diskriminierung
47
7.2.4 Ansprechpartner*innen
48
7.2.5 Identitätsdimensionen
49
7.2.6 Fazit
50
7.3 Online-Umfrage
53
7.3.1 Angaben zur Umfrage
53
7.3.2 Demographische Daten
54
7.3.3 Auswertung
56
7.3.4 Fazit
63
8.Ergebnisse und Schlusswort
64
9.Literaturliste
65
10. Anhang
68
10.1 Fragebögen: Sozialarbeiter*innen
69
10.2 Fragebogen: Jugendliche
70
10.3 Interviews
71
10.3.1 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub
71
10.3.2 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in eines Aufklärungsträgers
81
10.3.3 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub
89
10.3.4 Interview mit einer_m Jugendlichen in einem Jugendclub
96
10.4 Online Umfrage
99
4
1. Einleitung und Phasenmodell zur Erreichung des Sozialreportes
„(…) also wenn jetzt zum Beispiel (…) ähm ein Junge gerne TANZT, ja? Ähm (...) und vielleicht
auch in ner Tanzgruppe hier äh mitmacht, dann ist das natürlich was Außergewöhnliches
und äh das würde schon dafür sorgen, dass er gleich gemobbt wird, weil das ist ja sehr
mädchenhaft und es passt ja gar nicht ins Rollenbild eines Jungen, schon gar nicht (...) ja mit
dem Hintergrund, den er vielleicht hat.“ (Zitat einer Sozialarbeiterin aus einem Interview für
unsere Recherche zum Sozialreport)
Dieser Ausspruch einer Sozialarbeiterin begegnete uns während einer durchgeführten
Befragung zu unserem übergeordneten Forschungsthema des Sozialreportes „Umgang mit
sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“. Auf den
folgenden Seiten haben wir uns intensiv mit der Thematik der Gendervielfalt in der Praxis
der Sozialen Arbeit auseinandergesetzt. Durch die von uns geführten Interviews, aus
welchen auch das oben genannte Zitat stammt, sind wir zu interessanten Ergebnissen
gekommen, die sich aus einer objektiven Herangehensweise und Schlussfolgerungen unserer
Datenerhebung ergaben.
Der Weg zu den Ergebnissen des Reportes resultierte aus unserer gewählten Werkstatt
Gender/Queer und Diversity, in welcher wir mit einer Gruppenstärke von sechzehn Personen
gemeinschaftlich zusammenarbeiteten, da im Studiengang der Sozialen Arbeit an der
Fachhochschule Potsdam alle Studierenden im ersten und zweiten Semester eine von sechs
Projektgruppen, auch Werkstatt genannt, absolvieren. In diesen Werkstätten werden
verschiedene Bereiche der Sozialen Arbeit praxisnah behandelt und selbstständig erste
Forschungsfragen
bearbeitet.
In
unserer
Gruppe
zukünftiger
Sozialarbeiter*innen
beschäftigten wir uns intensiv mit der Thematik Gender/Queer und Diversity.
Unser Lernprozess wurde durch unsere Lehrenden, Prof. Dr. Gudrun Perko und Leah Carola
Czollek, sowie unserem Tutor, Domenico Janz, begleitet. Parallel zu unserer Arbeit an
Forschungsvorhaben und theoretischen Grundlagen, erhielten wir auch Unterstützung beim
Erlernen des wissenschaftlichen Arbeitens. Die intensive Einführung in die Sozialforschung
erfolgte durch Frau Franziska Homuth, die uns zusätzlich das entsprechende Fachwissen zur
5
Auswertung der Interviews vermittelte.
Unsere gemeinsame Zusammenarbeit innerhalb der Werkstatt, welche jeweils einmal
wöchentlich während der letzten zwei Semester stattfand, kann als dynamischer Prozess
verstanden werden, wobei sich jedes Mitglied individuell mit der Gemeinschaft
weiterentwickelt hat und seine ganz eigene Aktivität und Energie in die Gruppe einbrachte.
Als Abschluss und gleichzeitig Höhepunkt der gemeinsamen Erfahrungen mit dem Thema
Gender/Queer und Diversity kann das Schreiben des Sozialreportes benannt werden. In
diesem wissenschaftlichen Bericht, den wir über die zwei Semester der Werkstattphase
vorbereitet haben, verknüpften wir fachlich erlerntes Wissen mit dem Praxisfeld
Sozialarbeitenden in jugendsozialarbeiterischen Einrichtungen im Hinblick auf den Umgang
mit sexueller Vielfalt.
Der Weg zur Findung des geeigneten Themas eines solchen Reportes bzw. die Formulierung
einer
Forschungsfrage
sowie
Teilforschungsfragen
und
eines
erwies
sich
als
Herausforderung, welche klare Strukturen, Regeln und Verhaltensweisen bei der
Entscheidungsfindung und -umsetzung voraussetzte. Hier stand die Balance von
Gemeinschaftssinn und Selbstverantwortung der Gruppenteilnehmer*innen im Zentrum.
Entscheidend für unser Vorgehen bei der Verfassung des vorliegenden Reportes waren
konkrete Vereinbarungen zwischen den Teilnehmer*innen.
Information und Kommunikation waren während unserer gemeinsamen Zusammenarbeit
Voraussetzung, um eine verantwortungsvolle, kompetente Arbeit und Zusammenarbeit in
der Gruppe zu gewährleisten. So erfolgte schon in der Phase der ersten gemeinsamen
Zusammenarbeit der Werkstattteilnehmer*innen die Erkennung der Wichtigkeit von dem
Verfügbarsein von Informationen, dem Verstehen und dem Kommunizieren. Um diese
essentiellen Bestandteile jeder Gruppenarbeit für alle zu jeder Zeit verfügbar zu machen,
haben wir uns entschlossen, die Dokumentation jeder Werkstattsitzung einzuführen.
Protokolle wurden zu jeder Werkstattsitzung geführt und enthielten die wichtigsten Inhalte
des Tages, wobei jede Woche ein anderes Mitglied für diese Aufgabe zuständig war. Ziel war
es, allen Teilnehmer*innen der Werkstatt eine gewisse Entscheidungssicherheit zu geben
und eine Voraussetzung für die Abstimmung innerhalb des Teams zu sichern. Auch
6
erarbeitete Definitionen und fachliche Inhalte wurden dokumentiert. Neben der eben
beschriebenen Verschriftlichung, erfolgte in offenen Diskussionen eine Moderation. So
wurden gemeinsame Lernprozesse, die mit offenem Meinungsaustausch einhergingen,
gelenkt und strukturiert. Zudem nutzen wir Kommunikationsunterstützungen, welche die
Grundlage für Inklusion und Teilhabe an Gesprächen untereinander waren. Durch diese
Kommunikationsunterstützung bestand die Notwendigkeit, sich mit dem Thema gerechte
und ausgewogene Kommunikation auseinanderzusetzen und diese für sich selber
einzuhalten
bzw.
in
einer
persönlichen
Einschätzung
offen
über
eventuelle
Verbesserungsmöglichkeiten zu sprechen. All diese Formen der Organisation haben uns in
den einzelnen Etappen des Sozialreportes weitergeholfen. Aufgrund dessen war es erst
möglich, Abläufe zu entwerfen und Notfallvarianten zu entwickeln, Anforderungen
abzuschätzen sowie Hindernisse und Beanspruchung rechtzeitig zu erkennen und im
Zeitmanagement einzuplanen.
In diesem komplexen Gruppenprozess entschieden wir uns gemeinsam direkt in die Praxis
des Feldes der Jugendsozialarbeit zu gehen und konkrete Fragen an Sozialarbeitende einer
Einrichtung zu stellen, wobei diese mithilfe der Methoden von Meuser/Nagel (1991; 2009)
ausgewertet wurden. Als wir die Interviews bei den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit
noch nicht durchgeführt hatten und noch keine praktischen Erfahrungen mit dem
Heranziehen von Interviewpartner*innen hatten, war zunächst auch das Befragen eines
Jugendlichen im Alter zwischen 14-21 Jahren geplant, der die gleiche Einrichtung nutzt, in
der auch der zu befragende Sozialarbeitende tätig ist. Doch nach der Kontaktaufnahme mit
potentiellen Einrichtungen, erfuhren wir schnell, dass das Finden eines zu interviewenden
Jugendlichen kompliziert war. Nun erfolgte in der Werkstattgruppe eine Art Demotivation.
Diese Situation wendeten wir ab, indem wir neue Handlungsspielräume gestalteten und
Anreize zur Kompetenzentwicklung anregten. Dadurch wurden von den im Voraus
festgelegten Interviewgruppen ausschließlich Sozialarbeiter*innen interviewt, wobei es uns
doch gelang, einen Jugendlichen zum Thema Umgang mit Sexuelle Vielfalt in
jugendarbeiterischen Einrichtungen zu befragen. Inhalte unseres Interesses waren die
Auseinandersetzung mit
sexueller Vielfalt, die entsprechende Sensibilisierung in
Einrichtungen, Umgang mit Diskriminierung, das Vorhandensein von kompetenten
Ansprechpartner*innen
für
die
Jugendlichen
und
die
Berücksichtigung
von
7
Identitätsdimensionen. Das der Studie zugrunde liegende Sample besteht insgesamt aus
neun Personen wobei acht der Befragten Expert*innen waren.
Als unsere offenen Forschungsfragen für die Interviews der Sozialarbeiter*innen
kristallisierten sich dementsprechend Folgende heraus:
1. Inwiefern ist es in Ihrer Einrichtung relevant, sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt
auseinanderzusetzen?
2. Inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung statt?
3. Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung
um?
4. Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner*innen in Ihrer Einrichtung zum Thema
sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung?
5. Inwieweit werden in Ihrer Einrichtung in der Arbeit mit den Jugendlichen
Identitätsdimensionen (Diversity-Kategorien) wie soziale Herkunft, Behinderung,
Migration, Religion usw. berücksichtigt (Intersektionalität)?
Die geführten Interviews wurden anschließend transkribiert und paraphrasiert, wobei eine
festgelegte Gruppe anschließend das gewonnene Material aus allen Interviews bearbeitete.
Die Ergebnisse der von uns geführten Interviews werden in diesem Sozialreport vorgestellt.
Darüber hinaus wurde eine online-Untersuchung zur gleichen Thematik, welche sich
ausschließlich an Jugendliche gerichtet hat, auf dem Portal www.umfrageonline.com
durchgeführt. 114 Personen im Alter von 14 bis 22 Jahren teilgenommen,
Unser Interesse lag darin herauszufinden, inwiefern der Diskurs zu Gender/Queer und
Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit angekommen ist. Die folgenden Seiten
werden unser Erfahrungswissen sowie unsere zielgerichteten Beobachtungen der Vorgänge
in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit im Hinblick auf den Umgang mit sexueller Vielfalt
darlegen. Grundlage unserer wissenschaftlichen Arbeit sind neben dem Darlegen von
erworbenem Fachwissen zu Gender/Queer, Diversity, Intersektionalität und sexuelle
Diskriminierung, die von uns geführten Interviews mit Sozialarbeiter*innen, welche uns
systematisch einen Einblick in dieses Thema gewähren.
8
Phasenmodell zur Erreichung des Sozialreportes
Aufschlüsselung
Aufgliedern der
Ausgangssituation
Konzipieren der
Arbeitsbereiche
Umsetzung
Programmstufen


Wahrnehmung der
Aufgaben


Entwicklung von
Maßnahmen




Detaillierung und
Umsetzung




Wiederholung von Arbeitsschritten
Klärung von
Anliegen
Erwartungen und Wünsche der Gruppe klären
Vorbesprechung und Planung der Durchführung
jeder Veranstaltung
 Gemeinsame Einigung von Gesprächsregeln und
Umgangsformen untereinander
 Festlegung der Dokumentation (Protokolle) und der
genutzten Gesprächsleiter (Moderation)
Regelung der Pausen
 Alternative Abläufe entwerfen und Notfallvarianten
entwickeln (Lösungsstrategien von Problemen)
 Anforderungen abschätzen und Nachfrage nach
Mitarbeitenden planen (interner Tausch der
Mitglieder einer Gruppe)
 Hindernisse und Beanspruchung erkennen
 Zeitmanagement (Terminabsprachen treffen)
 Fortschritte, aber auch Rückschritte messen
Aktuelle Herausforderungen erfassen und
abschätzen (Durchführung von Interviews)
Gemeinsame Ziele definieren und in ihrer
Bedeutsamkeit einordnen (Rangfolge der
Wichtigkeit für den Report erstellen)
Aufgabenstellungen bestätigen (Einigkeit schaffen)
Im Zuge der Erkennung des Ausmaßes der
Aufgabenfülle einen Entscheid zur Vertiefung von
Fachwissen fällen
Entscheid zur Durchführung von Exkursionen, um u.
a. dort erfahrenes Material produktiv in die eigene
Arbeit einzubinden
Erkennung der Wichtigkeit der Rücksprache
untereinander
Vollständiges Abschlussdokument erstellen
Kontrolle durchführen (Qualität)
Konkrete Nutzung von erlernten Methoden und
Werkzeugen zur Verschriftlichung (Zitieren,
Paraphrasieren, Transkribieren)
Einsatz von erlerntem Fachwissen
9
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Gender/Queer und Gendervielfalt
Der Begriff meint das kulturell-geschlechtlich konstruierte Geschlecht, Geschlechterrollen
und Funktionen. Um Gendervielfalt auszudrücken, existiert der Begriff Queer. Er bedeutet
die Gesamtheit aller Geschlechteridentitäten und Geschlechterempfindungen sowie
individuellen Lebensweisen. Bei dem Begriff Gender geht es also um bestimmte
Rollenerwartungen, die von der Gesellschaft definiert sind. Frauen und Männer bzw.
Mädchen und Jungen werden bestimmte Verhaltensweisen, Rollen und Funktionen
zugewiesen. Genderviefalt bzw. Queer erweitert die Dimensionen von Möglichkeiten und
zeigt so die vielfältigen Lebensrealitäten von Menschen an: u.a. heterosexuell, lesbisch,
schwul, transgender, intersexuell. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
2.2 Diversity
Diversity meint Vielfalt, Heterogenität, Unterschiedlichkeit und bezieht sich in den
Konzeptionen auf die Diversität von Menschen. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
2.3 Intersektionalität
Intersektionalität bezieht
sich auf das weite
Feld der Überschneidungen
von
Diskriminierungs- und Gewaltformen in Bezug auf alle Diversitykategorien sowie auf die
Idee, dass z.B. Sexismus als Diskriminierung aufgrund von Geschlechterzugehörigkeiten,
Gemeinsamkeiten und Anschlusspunkte mit z. B. Rassismus, Antisemitismus oder
Heterosexismus und mit anderen Diskriminierungsformen und Diskriminierungsstrukturen
aufweist. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
2.4 Transgender
Als Transgender bezeichnen sich Menschen, die Ihre Geschlechtsidentität jenseits binärer
Geschlechterzuordnung (Frau/Mann) leben. Sie nähern sich zuweilen über hormonelle
Behandlungen oder über Operationen dem jeweils anderen Geschlecht an. Dabei entspricht
das körperliche Geschlecht nicht dem empfundenen Geschlecht: Jemand hat das Bedürfnis,
seinen Körper dem empfundenen Geschlecht anzupassen oder fühlt sich mit seinem
körperlichen Geschlecht wohl, möchte sich der entsprechenden Rolle aber nicht anpassen.
10
Transgender wird aber auch als Oberbegriff für Menschen verstanden, für die das gelebte
Geschlecht keine zwingende Folge des bei Geburt zugewiesenen Geschlechts ist. (Vgl.
Czollek/Perko/Weinbach 2009)
2.5 Intersexuell
Als intersexuell benennen sich Menschen, deren Körper von Geburt an männliche und
weibliche
(sichtbare
und
nicht
sichtbare)
Geschlechtsmerkmale
aufweist.
(Vgl.
Czollek/Perko/Weinbach 2009)
2.6 Zielsetzung aus sozialarbeiterischer Perspektive: Sensibilisierung
Ziel einer Gender/Queer bewussten Sozialen Arbeit ist die Sensibilisierung verschiedener
Lebensweisen
von
Menschen
im
Hinblick
auf
Geschlechteridentitäten
und
Begehrensformen. Die Sensibilisierung verfolgt das Ziel, Bewusstsein zu schaffen und eine
Empfänglichkeit für diese Themen zu fördern.
11
3. (Gesetzliche) Grundlagen der sozialen Arbeit
In der Sozialen Arbeit mit Schwerpunkt auf Gender/Queer und Diversity gibt es spezifische
rechtliche Grundlagen, auf denen unsere Forschung und somit auch diese Arbeit basiert. Wir
haben uns dementsprechend auch in der Werkstatt ausführlich mit ihnen beschäftigt und
werden im Folgenden genauer auf einige Artikel des Grundgesetzes, auf das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sowie die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
eingehen. Außerdem beschäftigten wir uns mit verschiedenen Konzepten in diesem Bereich
der Sozialen Arbeit und möchten im Folgenden eines, nämlich Gender Mainstreaming (GM),
vorstellen.
3.1 Grundgesetz
Art. 1, Abs. 1:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Art.1, Abs. 2:
„Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und
unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen
Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
Art. 2, Abs.1:
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,
soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Art. 2, Abs. 2:
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die
Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund
eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Art. 3, Abs. 1:
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
Art. 3, Abs. 2:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die
tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und
Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Art. 3, Abs. 3:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner
Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens,
seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder
bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden.“
(Vgl. https://www.bundestag.de/grundgesetz[letzter Zugriff: 20.6.2015])
12
3.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG
Das AGG ist ein deutsches Bundesgesetz, das „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse
oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen soll“
(§1 AGG)
Es wurde am 17. 08. 2006 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I Nr. 39, S. 1897-1910) verkündet.
Neben Gleichstellungen im allgemeinen Zivilrecht beinhaltet das AGG in großem Maß
arbeitsrechtliche Vorschriften zum Schutz vor Benachteiligungen am Arbeitsplatz. Daraus
ergibt sich der persönliche Anwendungsbereich, der Schutz aller Beschäftigten (§ 6) und die
Verpflichtung der Arbeitgeber*innen, Benachteiligungen zu unterlassen, zu verhindern oder
zu beseitigen. Der sachliche Anwendungsbereich beinhaltet Vorschriften zu Arbeits- und
Beschäftigungsbedingungen, Zugang zur Erwerbstätigkeit, Urlaubsregelungen u.v.m. (Vgl.
http://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html[letzter Zugriff: 20.6.2015])
3.3 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
Im Dezember 2006 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und trat im Mai 2008 in Kraft. Ihr Originaltitel
lautet „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“. Die
Konvention stellt kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderung dar, sondern fordert die
selbstverständliche Umsetzung aller Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderung
und explizit die Teilhabemöglichkeit.
Ein wichtiger Absatz der Konvention lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von
Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung auf der
Grundlage
der
Chancengleichheit
gewährleisten
zu
können,
gewährleisten
die
Vertragsstaaten ein Integratives Bildungssystem.“ (Artikel 24) In der englischen
Originalfassung heißt es jedoch „inclusive education system“. Artikel 50 der Konvention
besagt, dass die englische Version rechtsverbindlich ist. Die Inklusion wurde somit ein
einklagbares Recht für jeden.
Im Juni 2011 verabschiedete das deutsche Bundeskabinett einen Nationalen Aktionsplan
(NAP), welcher strategische Ziele und Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK innerhalb der
nächsten zehn Jahre festlegt. (Vgl. http://www.behindertenrechtskonvention.info/[letzter
Zugriff: 20.6.2015])
13
3.4 Gender Mainstreaming
Das Wort Gender Mainstreaming setzt sich aus den englischen Begriffen Gender (das soziale,
gesellschaftlich
konstruierte
Geschlecht)
sowie
Mainstreaming
(vorherrschende
Richtung/Hauptströmung) zusammen. Das Konzept beinhaltet, die unterschiedlichen
Lebenslagen und Interessen von Männern und Frauen auf allen politischen und
gesellschaftlichen Ebenen zu berücksichtigen. Ziel ist die Gleichstellung der Geschlechter.
(Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
3.5 Fazit
Die im Grundgesetz festgelegten Menschenrechte sind von großer Bedeutung für die
Gesellschaft und nicht nur für den Bereich der Sozialen Arbeit. Im Zuge einer sich ständig
wandelnden Gesellschaft verändert sich auch die Gewichtung verschiedener Gesetze und
deren Aktualität. Dies zeigt sich in verschiedenen Gesetzgebungen, wie dem AGG und der
UN-BRK, die gegenwärtig zunehmend an Bedeutung gewinnen. Das heißt nicht, dass es
Themen wie Diskriminierung am Arbeitsplatz oder andere in genannten Gesetzen geregelte
Problematiken zuvor nicht gegeben hat, sondern, dass diese heutzutage stärker thematisiert
und benannt werden. Das AGG und die UN-BRK wurden erst im Jahr 2006 verabschiedet.
Knapp zehn Jahre nach der Verabschiedung dieser Gesetze wird die Kritik daran lauter. Aus
sozialwissenschaftlicher Perspektive wird zum Beispiel der im AGG verwendete Begriff
„Rasse“ als diskriminierender Begriff abgelehnt. Auch bietet es einige Gesetzeslücken, die es
zum Beispiel ermöglichen, strukturelle Diskriminierung zuzulassen, auch wenn der Anspruch
des Gesetzes ein ganz anderer ist: als so genannte Tendenzbetriebe (z.B. die Kirche) können
Menschen nicht über das AGG klagen, wenn sie eine Arbeitsstelle bei gleicher Qualifikation
nicht erhalten obgleich sie gemäß der Personenbezogenen Merkmale diskriminiert werden.
Mit den oben genannten Gesetzesgrundlagen und Grundsätzen korrespondiert der ethische
Kodex der Sozialen Arbeit Er beinhaltet zum Beispiel Prinzipien zur Beachtung der
Menschenwürde, der Umsetzung sozialer Gerechtigkeit sowie Erwartungen an das berufliche
Verhalten von Sozialarbeiter*Innen. Der Kodex wurde herausgegeben von der International
Federation of Social Workers - IFSW (Internationale Vereinigung der SozialarbeiterInnen)
und verabschiedet am Weltdelegiertentreffen der IFSW in Colombo, Sri Lanka, 6. - 8. Juli
1994. Der Kodex kann als Leitfaden für die Arbeitsweise von Sozialarbeiter*innen gesehen
werden. Jedoch gibt es keine Konsequenzen bei Nichtberücksichtigung des Kodexes. (Vgl.
14
http://www.sozialarbeit.at/files/ethiccodex_ifsw_1.pdf[letzter Zugriff: 20.6.2015])
Während wir uns in der Werkstatt mit Gender Mainstreaming beschäftigten, fiel uns auf,
dass das Konzept zwar Männer und Frauen, jedoch zum Beispiel nicht alle LGBTIQ-Menschen
berücksichtigt und somit zum Beispiel dem für die Sozialen Arbeit relevanten DiversityKonzept als diskriminierungskritisches Konzept (vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2012)
widerspricht. Wir wünschen uns, dass alle Menschen tatsächlich gleiche Chancen
zugesprochen bekommen und gleiche Behandlung nicht nur in der Theorie vor dem Gesetz,
sondern auch im Alltag erfahren, dass Inklusion Umsetzung findet in allen Bereichen des
sozialen Lebens. So verstehen wir Inklusion als weiten Begriff.
15
4. Empirische Daten
Um die Thematik der sexuellen Vielfalt von verschiedenen Perspektiven betrachten und alle
Hintergründe verstehen und nachvollziehen zu können, verwendeten wir in der Werkstatt
verschiedene Ansätze. Wir besuchten Praxiseinrichtungen, um die Aktualität und den
Umgang mit dem Thema in der Gesellschaft zu untersuchen, befassten uns aber auch mit
theoretischen
Grundlagen
und
empirischen
Daten,
um
uns
ein
umfangreiches
Hintergrundwissen zu erarbeiten. Im Anschluss zeigen wir Beispiele empirischer Daten auf,
die wir in der Werkstatt besprochen und auf die wir einen besonderen Fokus gelegt haben.
4.1 Empirische Daten zu Homosexualität in Deutschland
Seit 2001 ist es Menschen gleichen Geschlechts in Deutschland möglich, ihrer Beziehung
einen rechtlichen Rahmen zu geben. Das statistische Bundesamt geht (Stand: März 2015)
von 35.000 eingetragenen Lebenspartnerschaften und 72.000 gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften aus. Die Zahl der eingetragenen Lebenspartnerschaften hat sich
demnach seit 2006 fast verdoppelt: in Deutschland leben mehr Männer (57%) als Frauen
(43%)
in
eingetragenen
Lebenspartnerschaften.
(Vgl.
https://www.lsvd.de/recht/lebenspartnerschaft/statistik.html[letzter Zugriff: 20.6.2015])
4.2 Strafverfolgung von homosexuellen Menschen weltweit
In 87 Ländern werden homosexuelle Menschen strafrechtlich verfolgt und verurteilt, in 8
Ländern wird Homosexualität sogar mit der Todesstrafe geahndet. Im Gegensatz dazu ist das
Ausleben von Homosexualität in 143 Ländern legal, in 18 Ländern und 36 US-Staaten ist
lesbischen und schwulen Menschen eine Heirat möglich. Erst im Mai 2015 wurde in Irland
per Volksentscheid mit großer Mehrheit für die Ehe unter gleichgeschlechtlichen Paaren
gestimmt. (Vgl. http://www.fluter.de/de/131/thema/12581/)[letzter Zugriff: 20.6.2015])
4.3 Trans*Personen am Arbeitsmarkt
88% der in Österreich Befragten fanden es schwierig, als Trans*Person einen Arbeitsplatz zu
finden (vgl. Frketic/Baumgartinger 2008). 29% unter in Belgien befragten Trans*Personen
gaben an, bei Bewerbungen wegen ihres Trans*Seins keine Chance gehabt zu haben (vgl.
Motmans et al. 2010). Eine US-weite Erhebung ergab, dass 44% der Befragten wegen ihres
16
Trans*-Seins bei Bewerbungen nicht berücksichtigt wurden. Viele Trans*Menschen haben
keinen Zugang zur Anpassung ihrer Dokumente an das gelebte Geschlecht, viele
Trans*Personen geben aufgrund von bzw. aus Angst vor Diskriminierung selbst ihren
Arbeitsplatz auf. Teilnehmer*innen der Transgender EuroStudy verfügten zu 48% über einen
Hochschulabschluss. Jedoch verdienten 49% weniger als 25.000 Euro pro Jahr, 37% unter
20.000 Euro, und lagen damit unter dem EU-Durchschnitt von 28.000 Euro. (Vgl.
Jannik/Sauer 2010)
4.4 Fazit
Während unserer Recherche stellten wir unter anderem fest, dass sexuelle Vielfalt in unserer
Gesellschaft häufig noch ein tabuisiertes Thema ist, mit dem sich teilweise nur oberflächlich
auseinander gesetzt wird. Wie man in Deutschland sehen kann, hat sich schon einiges in den
vergangenen Jahren in Form von rechtlichen Grundlagen wie des AGG verändert. Nun
können
sich
zum
Beispiel
seit
2001
gleichgeschlechtliche
Paare
in
eine
Lebenspartner*innenschaft eintragen lassen, jedoch ist es ihnen nicht gestattet zu heiraten.
Auch in vielen anderen Bereichen ist unserer Auffassung nach noch weit von einer
gleichberechtigten Gesellschaft entfernt. Wie man auch in einer Statistik zum Thema
„Transgender am Arbeitsmarkt“ erkennen kann, fällt es Trans*Menschen deutlich schwerer,
Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Diese Statistik bezieht sich auf mehrere EU-Länder. Wir
haben uns mit empirischen Daten und Statistiken zu dieser Thematik beschäftigt. Während
dieser Bearbeitung fiel uns auf, dass diesem für uns so wichtigen Thema, häufig in vielen
Gesellschaften nicht die unserer Meinung nach nötige Aufmerksamkeit beigemessen wird.
Sowohl über Vorträge unser Mitstudent*innen als auch durch Eigenrecherche, haben wir
sehr viele verschiedene Informationen sammeln und uns einen umfangreichen Überblick
schaffen können. Wir hatten nicht vor Augen gehabt, wie sehr Menschen, die nicht in cisund heteronormative Rollenvorstellungen passen, heutzutage noch immer unter
Diskriminierung und Benachteiligung leiden.
17
5. Gender/Queer und Diversity in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit
Das folgende Kapitel befasst sich mit der Entstehung und Anwendung Gender/Queer und
Diversity gerechten Konzepte und Handlungsmethoden innerhalb der Arbeitsfelder Sozialer
Arbeit. Das Augenmerk wird auf die Geschichte und Praxisbereiche der Sozialen Arbeit im
deutschsprachigen Raum gerichtet sein. Auf Grund der großen Anzahl an Arbeitsbereichen
innerhalb der Sozialen Arbeit und der Tatsache, dass diese sich – reagierend auf
gesellschaftliche, soziale und politische Wandlungsprozesse – stets erweitern, erhebt diese
Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wird versucht, durch drei spezifische
Beispiele einen tieferen Einblick in die zu untersuchende Thematik zu erlangen. Der Fokus
wird auf den Entwicklungen der Sozialen Arbeit innerhalb des 20. und 21. Jahrhunderts in
Bezug auf Gender/Queer und Diversity liegen und nicht auf der Entstehungsgeschichte der
Sozialen Arbeit im Allgemeinen.
Der erste Abschnitt wird nach einem kurzen historischen Überblick aufzeigen, wann und aus
welchen Gründen Gender/Queer Konzepte in die Soziale Arbeit mit Wohnungslosen Einzug
erhalten haben. Außerdem wird ein Berliner Projekt vorgestellt. Im zweiten Abschnitt
untersuchen wir das Arbeitsfeld Soziale Arbeit mit Menschen mit „Behinderung“1. Es
werden Rechtsgrundlagen erläutert, aktuelle Bezüge dargestellt und Positivbeispiele
Gender/Queer und Diversity gerechter Arbeit mit „Behinderten“ vorgestellt. Im dritten
Abschnitt wird auf die historischen Entwicklungen, Anforderungen und Aufgaben Sozialer
Arbeit mit Frauen, Männern und Queers eingegangen.
Die drei ausgewählten Arbeitsfelder sollen dazu dienen, beispielhaft aufzuzeigen, inwieweit
Gender/Queer und Diversity gerechte Ansätze in der Sozialen Arbeit umgesetzt werden
(können). Abschließend möchten wir einen kurzen Überblick über die aktuellen
Herausforderungen in den verschiedenen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit in Bezug auf
Gender/ Queer und Diversity geben.
5.1 Gender/Queer gerechte Soziale Arbeit mit Wohnungslosen
Die Arbeit mit Wohnungslosen in der Sozialen Arbeit ist historisch gesehen seit den 1960er
Jahren ein wichtiges Aufgabenfeld. Bis in die 1980er Jahre ging es jedoch lediglich um die
Verwaltung von sogenannten „Obdachlosensiedlungen“. Im Zuge der Reform der sozialen
1
Wir setzen diesen Begriff in Anführungsstriche, da es ein stigmatisierender Begriff ist.
18
Arbeit, welche auf die 1968er Bewegung zurückzuführen ist, versuchte man Obdachlose
durch sozialpädagogische Einrichtungen längerfristig in die Gesellschaft zu integrieren
anstatt sie zu exkludieren.
In den Anfängen der Arbeit mit wohnungslosen Menschen spielte das soziale und
biologische Geschlecht vorerst keine erwähnenswerte Rolle und einem genderspezifischen
Umgang wurde eine sehr geringe Relevanz zugeschrieben (AG SPAK M20, Empirie einer
Subkultur, Obdachlosensiedlung Wiesbaden-Mühltal). Gründe für Obdachlosigkeit sind
vielschichtig und wegen ihrer inneren respektive äußeren Ursachen stets individuell zu
betrachten. Dennoch kristallisiert sich als ein häufig auftretender wichtiger äußerer Faktor
Armut beziehungsweise prekäre Situationen am Arbeits- und Wohnungsmarkt, die häufig
durch schulische und berufliche Bildung bedingt sind, heraus. Aus innerfamiliären
Problematiken die teilweise auf äußere Faktoren zurückzuführen sind, resultieren
weiterführende Problematiken, die ebenfalls ein Koeffizient für Obdachlosigkeit sein können
(Dober/Kreidl/Milekic/Amann 2014: 17ff).
Da Frauen ein erhöhtes Armutsrisiko haben, welches durch Ablehnung, Unterdrückung und
oftmals eine schlechtere Bezahlung bei der Ausführung der Lohnarbeit bedingt sind, sind
diese öfter von Wohnungslosigkeit betroffen. In der Öffentlichkeit werden männliche
Obdachlose dominierend wahrgenommen und Frauen oft nur als “Anhängsel” anderer
männlicher Wohnungsloser akzeptiert (vgl. Dober/Kreidl/Milekic/Amann 2014). Sexualisierte
Gewalt und Übergriffe auf weibliche Obdachlose sowohl in Institutionen als auch auf der
Straße
stellen
ein
Problem
dar
(Dober/Kreidl/Milekic/Amann
2014).
Wohnungslosenunterkünfte sind ebenfalls mehrheitlich männlich dominiert, in Folge dessen
kann Frauen dort oftmals kein geeigneter Schutzraum geboten werden.
Eine weitere Folge der Obdachlosigkeit ist die Prostitution, welche bei Männern geringer
verbreitet ist. Eine Konsequenz dessen sind häufig gesundheitliche Probleme, Krankheiten
und Schwangerschaft (vgl. Thomas 2010). Notunterkünfte bieten meist niedrig schwellige
Angebote, wie einen Schlafplatz für die Nacht und Infrastrukturen in Form von sanitären
Einrichtungen etc. Ein Schutzraum insbesondere für Frauen wird somit tagsüber in der Regel
nicht geboten.
Aus den vorher genannten Faktoren geht hervor, dass in der Arbeit mit Wohnungslosen
gerade Frauen ein gendergerechtes und auf sie zugeschnittenes sozialpädagogisches
Einrichtungskonzept benötigen, um ihnen einen Schutzraum und Hilfsangebot für diese
19
Lebenssituation und die damit einhergehenden individuellen und strukturellen Probleme zu
schaffen. Da es in Deutschland wenige solcher Einrichtungen gibt, stellen wir exemplarisch
für eine solche Einrichtung ein Projekt aus Berlin Wedding vorstellen.
Das “Frauenbedacht” ist ein Projekt der Berliner Wohnungsnotunterkunft, in der
Bornemannstraße 12. Es
besteht
aus fünfundzwanzig Einzelzimmern und zwei
Einzimmerwohnungen, wovon eine für eine Frau mit Kind ist. Drei Sozialarbeiter*innen, eine
Psycholog*in sowie mehrere Praktikant*innen und Mitarbeiter*innen arbeiten in dieser
Notunterkunft. Teilweise bleiben Frauen dort auch über Jahre, was die Plätze sehr begehrt
macht. Durch die zentrale Vergabe durch das “Lageso” (Landesamt für Gesundheit und
Soziales) können bezirksübergreifend freie Plätze vergeben werden. Die Miete wird hierbei
meist durch das Jobcenter beziehungsweise dem Sozialamt bei keinem oder zu geringem
Einkommen übernommen. Die Unterkunft soll einen Schutzraum für obdachlose Frauen
bieten, in der sie bei der Suche nach alternativen und weiterführenden Hilfsangeboten sowie
die Intervention von akuten oder psychischen Krisen durch die Sozialarbeiter*innen und die
Psycholog*in unterstützt werden. Ziel dieser Einrichtung ist es längerfristig Frauen aus der
Obdachlosigkeit zu holen und die allgemeine Situation dieser zu verbessern. (Vgl.
http://www.strassenfeger-archiv.org/article/4314.frauenbedacht.html;
http://www.gebewo.de/frauen-bedacht[letzter Zugriff 20.6.2015])
5.2 Soziale Arbeit mit Frauen, Männern und queeren Menschen
Um auf die Anforderungen und Herausforderungen der Sozialen Arbeit mit Frauen, Männern
oder mit queeren Menschen einzugehen, ist es von großem Nutzen, auch auf die jeweils
anderen Gruppen und Arbeitsfelder einzugehen. Die historischen Entstehungsbedingungen
und wissenschaftlichen Arbeitsgrundlagen sind in diesem Kontext wesentlich für das
Verständnis der gegenwärtigen Gegebenheiten und Herausforderung in der Sozialen Arbeit
mit Frauen, Männern und queeren Menschen.
Nachfolgend werden die wissenschaftlichen Entstehungsbedingungen der Sozialen Arbeit in
diesen Arbeitsbereichen erläutert und Beispiele für gegenwärtig aktive Einrichtungen
eingeführt, wobei auch auf die Herausforderung der Eingrenzung ihrer Arbeit in den oben
genannten Gruppen einzugehen sein wird. Da die Kategorie Gender immer häufiger in der
Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit anderen Diskriminierungskategorien im Sinne von
Diversity betrachtet wird, um einem Intersektionalitätsanspruch gerecht zu werden, ist es
20
nicht immer einfach, Einrichtungen die Soziale Arbeit von und mit verschiedenen Gruppen
anbieten, unter eine bestimmte Rubrik zu subsumieren. Beispielsweise sind viele
Einrichtungen, die Angebote für Schwule, Lesben und Trans* Menschen bereithalten, nicht
zwingend aus ihrer eigenen Beschreibung als queere Einrichtungen zu erkennen.
Einrichtungen, die Beratungs- oder Wohnprojekte für männliche Opfer sexualisierter Gewalt
anbieten, mögen als queere Einrichtungen nicht erkennbar sein, sie sind aber im Rahmen
des Diversity-Anspruches auch für queere Opfer sexualisierter Gewalt zuständig. (Vgl.
Czollek/Perko/Weinbach 2009)
5.2.1 Soziale Arbeit mit Frauen
Die Entstehung von autonomen Frauenhäusern geht auf die 1970er Jahre und die politischen
Analysen und Forderungen der Neuen Frauenbewegung zurück, die in diesem Beispiel ihren
Weg in die konkrete Praxis fanden. Ein vordergründiges Ziel war die Öffentlich- und
Sichtbarmachung der Gewalt von Männern gegen die Frauen und das Aufdecken und
Benennen struktureller Gewalt. Da die politische Analyse im Laufe der Zeit weiteren
Differenzierungen, Erweiterungen und Neuerungen unterworfen war, wirkte sich dies auch
auf die Soziale Arbeit in Frauenhäusern aus. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Analyse
der Gewalt in den 1980er Jahren, die in vielen geisteswissenschaftlichen Kontexten
aufgegriffen wurde und die Frage nach der Mittäterschaft der Frauen in den Raum stellte.
Nachdem als erwiesen galt, dass Frauen nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen sein
können, die zur Gestaltung, Reproduktion und Stabilisierung der patriarchalen
Machtverhältnisse beitragen, veränderte sich damit auch die Soziale Arbeit in
Frauenhäusern. Weitere Veränderungen gingen auf Migrantinnen zurück, die als
Mitarbeiterinnen in einigen Frauenhäusern beschäftigt waren und den Feminismusbegriff
der Neuen Frauenbewegung als mangelhaft kennzeichneten, da er vorwiegend auf deutsche
Frauen zugeschnitten war und keine Sensibilität in Bezug auf die Themenkomplexe um
Rassismus ahnen ließ. Da in einigen Städten mehr als die Hälfte der Nutzerinnen der
Frauenhäuser Migrantinnen waren, bewirkte diese Auseinandersetzung die Erkenntnis, dass
alleine das „Frau-Sein“ für das Verständnis der Situation der Migrantinnen in Frauenhäusern
nicht ausreicht, wenn man die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse und verschiedene
Diskriminierungen außer Acht lässt. Diese Überlegungen führten zu der Notwendigkeit,
Migrantinnen als Mitarbeiterinnen einzustellen, die auch Kenntnisse des Sorgerechts,
21
Aufenthaltsrecht,
arbeitsrechtliche
Angelegenheiten,
Beratungs-
und
Unterkunftsmöglichkeiten und weiterer spezifische Kenntnisse erwarben. Um das Beispiel
einer Einrichtung anzuführen: das Interkulturelle Frauenhaus ist in Berlin als Frauenhaus,
Beratungsstelle und Wohnprojekt eine wichtige Anlaufstelle für Migrantinnen und Kinder in
Gewaltsituationen. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Der neue Blick auf die Soziale Arbeit mit Frauen brachte auch neue Angebote mit sich, wie
am Beispiel des Interkulturellen Frauenhauses in Berlin besonders deutlich wird.
Mitarbeiterinnen mit interkulturellen Kompetenzen, Krisenintervention und Beratung in der
Muttersprache, qualifizierte Rechtsberatung unter Einbeziehung von Anwältinnen, die
detaillierte Kenntnisse im Ausländer- und Familienrecht besitzen, sowie ein spezifisches
Programm für Kinder von Gewalt betroffener Migrantinnen im Frauenhaus und Wohnprojekt
gehören zu diesen Neuerungen. Das Interkulturelle Frauenhaus verbindet die Soziale Arbeit
mit der politischen Arbeit. Ihre Mitarbeiterinnen beschreiben aber auch Defizite in Bezug auf
die Interkulturelle Öffnung in Sozialverwaltung und Soziale Dienste im Allgemeinen. (Vgl.
Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Ein Thema, das weniger in der Praxis und mehr in Diskussionen aufgegriffen wurde, war die
Auseinandersetzung mit der Thematik „Frauen als Gewalttäterinnen“. Als die Debatte über
dieses tabuisierte und heikle Thema eröffnet wurde, ließen die bedrückten Reaktionen auf
wenig Erleichterung als Folge dieses Tabubruchs schließen. Die Erkenntnis dass auch
Frauen/Lesben gewalttätig sein können, blieb in der Praxis ohne Konsequenzen, etwa im
Hinblick auf die Frage, ob auch gewalttätige Frauen in Frauenhäusern aufgenommen werden
sollten. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Eine von den Queer Studies angestoßene Debatte um die Aufnahme von Transgender, die
von Gewalt betroffen sind, wirft jedoch neue Fragen um den Schutz und Betreuung der
Frauen in Frauenhäusern auf, die jedoch im Kern um die Frage kreisen, wer eigentlich
bestimmt, wer eine Frau ist. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
5.2.2 Soziale Arbeit mit Männern
Die Soziale Arbeit mit Männern steht seit den 1980er Jahren unter dem Einfluss der
theoretischen
und
praktischen
Ergebnisse
der
Frauenbewegung
in
Bezug
auf
Geschlechterkategorien. Auch die Kritische Männerforschung hat zu der Entstehung von
verschiedenen Formen von Männerarbeit und Männerberatung geführt. Als Beispiele
22
können
„Pfefferprinz-
Männernetzwerk
und
Aktion“,
„Verein
Dissens“
und
„Forschungsnetzwerk AIM“ genannt werden. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Der Blick auf Frauen als Opfer und Männer als Täter in der patriarchalen Ordnung ließ den
Umkehrschluss zu, dass Männer keine Opfer und Frauen keine Täterinnen sein konnten.
Durch eine differenziertere Betrachtung dieser Zusammenhänge veränderten sich auch die
Bedingungen in der Sozialen Arbeit mit Männern. Auf der einen Seite entstanden Angebote
für (in ihren Beziehungen) Gewalt ausübende Männer, die häufig die Methoden der
Gruppenarbeit nutzten und weiterhin nutzen. Ziel ist es, auf eine gewaltfreie Lösung von
Konflikten und Beziehungskrisen hinzuarbeiten. Auf der anderen Seite führte die Erkenntnis,
dass auch Männer Opfer von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt sein können,
zur Bildung von Einrichtungen, die speziell Hilfe in diesem Bereich anbieten (z.B. Tauwetter).
(Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
5.2.3 Soziale Arbeit mit queeren Menschen
Im Vergleich zu der Entstehung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen bilden
spezifische sozialarbeiterische Initiativen für queere Menschen einen relativ neuen
Praxisbereich. Obwohl ihre Ausbreitung erst mit der Etablierung der Queer Studies in den
1990er Jahren ansetzt, gab es schon vorher Initiativen im deutschsprachigen Raum wie
beispielsweise das 2001 gegründete Schwule Überfalltelefon MANEO in Berlin.
Die Zuordnung von queeren Einrichtungen ist aufgrund der intersektionalen Zielsetzung
nicht immer eindeutig vorzunehmen. Aus diesem Grund werden ihre Selbstbezeichnungen
als Anhaltspunkt für eine Außenbezeichnung als Queer im sozialarbeiterischen Kontext
genutzt. Beispiele etablierter Projekte, die als Zusammenschluss verschiedener freier Träger
der Jugendhilfe in der „Queeren-Jugend-Hilfe-Berlin“ arbeiten, sind ABqueer e.V, AJA
Erziehungswohngruppe, GLADT- Gays and Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg e.V.,
gleich gleich e.V., Jugendnetztwerk Lambda Berlin-Brandenburg e.V., Jugendprojekt OstEnde
e.V., KomBi- Kommunikation und Bildung, Lesbenberatung Berlin e.V., LSVD Lesben- und
Schwulenverband
in
Deutschland,
Landesverband
Berlin-Brandenburg
e.V.,
Schwulenberatung Berlin, TGNB- Transgender Netzwerk Berlin.
In diesen Projekten wird Gender als erweiterte Kategorie gedacht, in der nicht nur Frauen
und Männer, sondern auch Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans*Personen und Intersexuelle
Platz finden. Der intersektionale Ansatz erlaubt ein Zusammendenken von Gender mit
23
anderen Kategorien wie Migration oder „Behinderung“. Den genannten Initiativen geht es
meist nicht nur um Soziale Arbeit, sondern auch um politische Arbeit, indem sie sich wie am
Beispiel des Projektes KomBi, gemäß des Diversity-Konzeptes gegen Diskriminierung und für
gesellschaftliche Vielfalt aufgrund von Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Alter, Behinderung,
Religionszugehörigkeit, sexueller Identität und Geschlecht einsetzen. Auch der Kampf gegen
Abschiebung von Menschen aus der Bundesrepublik oder staatlich unterstützte Gewalt
gegen LGBTIQ Menschen in der Türkei (GLADT) sowie der Abbau von Vorurteilen,
Diskriminierung, Pathologisierung und Exotisierung von Transgendern (TGNB-Transgender
Netzwerk Berlin) gehören zu den politischen Aktivitäten dieser Initiativen in BerlinBrandenburg. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Eine wesentliche Herausforderung, die in der Sozialen Arbeit mit einem intersektionalen
Ansatz einer besonderen Beachtung bedarf und nicht auf die Arbeit im queeren Bereich
beschränkt ist, besteht in einer differenzierten Auseinandersetzung mit Diskriminierung,
Rassismus, Vorurteilen und Stereotypen, ohne jedoch die Menschen in ihrer spezifischen
Gruppe selbst zu stereotypisieren bzw. die Probleme bei Migranten zu kulturalisieren. Die
Bedeutung einer Verknüpfung zwischen Sozialer und politischer Arbeit besteht im Einklagen
von Menschenrechten, das seinerseits die Kenntnis von Gesetzesgrundlagen und die
Reflexion
der
Theorien
sozialer
Gerechtigkeit
erforderlich
macht.
(Vgl.
Czollek/Perko/Weinbach 2009)
5.3 Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung
„Die Menschen können sehr verschieden sein, ihre Träume sind es nicht“ (Jens Peter
Jakobsen, dänischer Schriftsteller)
Ein Aktionsfeld der Sozialen Arbeit ist die Arbeit mit „behinderten“ Menschen. Dabei sind
Sozialarbeiter_innen immer wieder vor die Aufgabe gestellt, offizielle Leitlinien und Gesetze
in einer teils „behinderten“-feindlichen Gesellschaft umzusetzen. In diesem Zuge müssen sie
sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ihre Tätigkeit Gender/Queer und Diversity
gerecht ist, beziehungsweise werden kann.
5.3.1 Die UN-Behindertenrechtskonvention, Inklusion und aktuelle Stimmungen in der
Gesellschaft
Seit 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ratifiziert wurde, ist die
24
Umsetzung der Inklusion das Hauptthema in Bezug auf Fragen hinsichtlich der Menschen mit
„Behinderungen“. Wie, wann und ob überhaupt Inklusion geschehen soll, darüber gehen die
Meinungen von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft stark auseinander.
Artikel 24 der Konvention:
„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung.
Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu
verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen
Ebenen (…)“
„Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass (…) Menschen
mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben,
Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen
und weiterführenden Schulen haben. (…)“
Allgemein fasst die UN-Behindertenrechtskonvention sieben Querschnittthemen, welche in
allen Handlungsfeldern berücksichtigt werden: Assistenzbedarf, Barrierefreiheit, Gender
Mainstreaming, Gleichstellung, Migration, Selbstbestimmtes Leben und Vielfalt von
Behinderung. Dies äußert sich in Zielen wie der Überwindung historisch bedingter
Benachteiligung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung und dem Schritt vom
überholten System der Wohlfahrt und Fürsorge zur Selbstbestimmung, um nur einige zu
nennen. Inklusion ist jedoch das oberste Ziel. Inklusion verfolgt die Prinzipien der
Wertschätzung und Anerkennung von Vielfalt (Diversität) in Bildung und Erziehung. Die
Struktur passt sich dabei den individuellen Bedürfnissen an, nicht der Mensch mit seinen
individuellen Bedürfnissen der Struktur. In dem Konzept der Inklusion werden Menschen
nicht mehr in Gruppen (z.B. hochbegabt, behindert, anderssprachig ...) eingeteilt.
Heterogenität wird als normale und positive Gegebenheit betrachtet. Demnach wird im
inklusiven Ansatz davon ausgegangen, dass alle Menschen verschieden sind und jeder
Stärken und Schwächen besitzt.
Jeder Mensch ist folglich ein selbstverständliches,
gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft. (Vgl. Hinz 2006)
Konkret bedeutet dies unter anderem die Auflösung der Förderschulen und Einbindung von
Kindern mit „Behinderungen“ in die Regelschulen, wobei genau dieser Prozess zu vielen
Streitpunkten führt. Laut einer Studie sind Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen Kindern
im gleichen Alter an Förderschulen in Mathematik und Lesen ein halbes Jahr, im Zuhören
sogar ein ganzes Jahr, voraus. Dieses Ergebnis nutzen Befürwortende der Inklusion als
25
Argument gegen Förderschulen. Andere Expert*innen warnen jedoch vor voreiligen
Schlüssen: „Man darf die Förderschulen nicht verteufeln“, sagt die Psychologin und Leiterin
des Projekts BiLief (einer Längsschnittstudie zu Inklusion) Elke Wild. Der Vorsprung
verringere sich mit der Zeit und fände seinen Ursprung eher in der Verteilung der
Schüler*innen, als in der Annahme, dass Regelschulen per se besser wären. Alle Schulformen
hätten
daher
durchaus
ihre
Berechtigung,
so
Wild.
(Vgl.
http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/inklusion-behinderte-kinder-an-regelschulenlernen-besser-a-968288.html[letzter Zugriff: 20.6.2015])
Bernd Ahrbeck geht es nicht darum, gegen die wünschenswerte gesellschaftliche Inklusion
von Menschen mit „Behinderungen“ zu fechten. Unter dem kontrafaktischen Motto, dass es
keine Behinderung gibt, sondern nur behindernde äußere Umstände, spricht er sich gegen
jeglichen sonderpädagogischen Förderbedarf aus. Der Leidtragende sei dabei die Person mit
Behinderung selbst, dem programmatisch die Aufmerksamkeit entzogen werden würde.
Menschliche Besonderheiten wie Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion und
Behinderung wären damit nur noch Teile eines bunten Lebensspektrums. (Vgl. Ahrbeck
2011)
Die „Welt“ berichtet von einer großen Verunsicherung der Gesellschaft. Die Lehrer*innen
seien überfordert, die Eltern fürchten um die Lernfortschritte ihrer Kinder. Daraus resultiert
eine Separierung von Kindern, welche einer speziellen Betreuung bedürfen, ungeachtet der
Tatsache, dass viele aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten mithalten könnten. Der Autor des
Artikels Dr. Thomas Sebastian Vitzthum, macht damit auf die große Diskrepanz zwischen
Theorie und praktischer Umsetzung, die momentan vorherrscht, aufmerksam. Inklusion
könne
man
verordnen,
Akzeptanz
dafür
nicht.
(Vgl..http://www.welt.de/debatte/kommentare/article114923615/Inklusion-kann-manverordnen-Akzeptanz-nicht.html[letzter Zugriff: 20.6.2015])
5.3.2 Wer lebt mit einer Behinderung und was verbirgt sich hinter dem Begriff?
Eine allgemein gültige Definition existiert nicht, allerdings gibt es verschiedene Ansätze und
Formulierungsversuche, die hier ausschnitthaft als eine Art Definitionssammlung dargelegt
werden.
Laut §2 Absatz I des SGB IX sind Menschen „behindert“, wenn ihre „körperliche Funktion,
26
geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs
Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die
Beeinträchtigung zu erwarten ist.“ Diese Definition geht jedoch nur von einer
Beeinträchtigung einzelner Lebensbereiche infolge der „Behinderung“ aus und nicht infolge
der Gesellschaftsstrukturen beziehungsweise gesellschaftlichen Gegebenheiten.
Die 2004 in Deutschland verabschiedete Einteilung der Weltgesundheitsorganisation
„Inernational Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) bezieht dagegen
Umweltfaktoren wie Assistenz- oder Heilmittelbedarf und personelle Faktoren wie die
Geschlechtszugehörigkeit, Alter, kulturelle Herkunft mit ein. Vereinfacht gesagt wird bei der
Ermittlung der ICF ein sehr umfassender Fragenkatalog ausgefüllt, welcher einen komplexen
Überblick ermöglicht. Die ICF ist also ein Zusammenschluss des medizinischen und sozialen
Modells von „Behinderung“. Während das medizinische Modell besagt, dass die
„Behinderung“ ein persönliches Problem ist und entsprechend die Einschränkung an der
Teilhabe des gesellschaftlichen Lebens eine Folge der Schädigung ist, funktioniert das soziale
Modell von „Behinderung“ anders herum. Dieses Modell sieht das Problem in der Umwelt,
infolge derer der Mensch behindert wird. Es muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass
sowohl die körperliche Funktionsfähigkeit als auch die gesellschaftliche Teilhabe immer an
der Norm des Menschen ohne Beeinträchtigung gemessen wird.
Im Kontext mit dem Begriff Barriere, wird Behinderung auch als eine dauerhafte und
gravierende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe bzw.
Teilnahme einer Person angesehen, verursacht durch das Zusammenspiel ungünstiger
Umweltfaktoren, sozialer oder anderer Faktoren (Barrieren) und solcher Eigenschaften der
Person mit Behinderung, welche die Überwindung der Barrieren erschweren oder unmöglich
machen. (Vgl. www.lexikon.freenet.de/Behinderung[letzter Zugriff: 20.6.2015])
Oftmals suggerieren wir etwas mit unserer Sprache, dessen Tragweite uns nicht bewusst ist.
Doch wie kann ein nichtdiskriminierender Sprachgebrauch aussehen? Dies ist der Versuch,
durch Beispiele ein Gespür für diese Thematik zu vermitteln:
1. Mensch mit Behinderung
Viele Menschen mit Behinderung empfinden die Reduzierung auf ihre
Behinderung als diskriminierend, weil sie nicht in erster Linie über ihre
körperliche Eigenart definiert werden wollen. Sie sind Menschen, die einen
27
Namen
haben,
ihre
individuelle
Geschichte
und
ihre
eigenen
Lebensumstände. Der Terminus ‚behindert‘ dagegen suggeriert Unfähigkeit
und Unzulänglichkeit, setzt also vermeintlich Nicht-Normatives dem
Normativen gegenüber. Aus diesem Grund werden Begriffe wie "Mensch mit
Behinderung" als angenehmer empfunden, wobei die Diskussion um gerechte
Bezeichnungen keineswegs beendet ist.
2. Barrierefreiheit
Barrierefreiheit bedeutet Zugänglichkeit und Benutzbarkeit von Gebäuden
und Informationen für alle, egal ob sie auf einen Rollstuhl angewiesen sind,
ob es sich um Mütter mit Kleinkindern oder Personen nicht deutscher
Muttersprache handelt, denn die uneingeschränkte Teilhabe am sozialen
Leben ist für alle Menschen relevant.
3. Eine Behinderung haben/ mit einer Behinderung leben
Außerdem sollte Aufgrund der Objektivität soll die Bezeichnung „an einer
Behinderung leiden“ vermieden werden, weil nur die Personen selbst weiß,
ob sie tatsächlich ‚leidet‘ oder nicht. Zudem erschwert die Umwelt das Leben
von
Menschen
mit
Behinderungen.
Besser
sind
deshalb
neutrale
Bezeichnungen, wie „eine Behinderung haben“ oder „mit einer Behinderung
leben“.
4. Gehörlos
Der Terminus ‚gehörlos‘ löst zunehmend den Begriff ‚taubstumm‘ ab. Denn
gehörlose Menschen sind keineswegs stumm, sie können sprechen und
verstehen sich als Angehörige einer Sprachminderheit.
5. Einen Rollstuhl benutzen
Die Redewendung ‚an den Rollstuhl gefesselt sein‘ ist vor allem in
Medienberichten noch sehr verbreitet. Rollstuhlfahrer*innen empfinden sie
als unangebracht, da sie nicht ‚gefesselt‘ sind. Im Gegenteil, der Rollstuhl
bedeutet Mobilität.
(Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
5.3.3 Geschlecht und Behinderung
Sowohl Geschlecht als auch Behinderung sind laut den Gender Studies und Disability Studies
28
gesellschaftliche Konstrukte, die nicht nur „in sich“ (männlich/weiblich – nicht
behindert/behindert) eine hierarchische Bewertung enthalten, sondern auch untereinander.
Diese stereotypen Zuschreibungen bedingen die Interaktion mit anderen Menschen und
Institutionen,
aber
auch
die
Chancen
und
Möglichkeiten
auf
Teilhabe.
(Vgl.
Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Geschlecht ist eine Kategorie, welche die Menschen sozialstrukturell betrachtet in etwa zwei
gleich große Gruppen einteilt, die aber vor dem Hintergrund einer historisch gewachsenen,
hierarchischen Geschlechterordnung dem Mann immer noch eine Vormachtstellung
gegenüber der Frau einräumt. Behinderung ist im Vergleich dazu eine Kategorie, die eine
bestimmte Art der Abweichung von der männlichen bzw. weiblichen Normalität definiert
und klassifiziert. Damit gerät eine von der Gesamtbevölkerung abweichende Minderheit,
eine soziale Randgruppe, in den Blickpunkt. (Vgl. Jacob/Wollrad 2007)
Gender spielt im Leben von Menschen mit einer Beeinträchtigung eine große Rolle. Für
Frauen potenzieren sich Zuschreibungen wie Schwäche, Passivität und Unselbstständigkeit,
wohingegen eine hohe Diskrepanz der zugeschriebenen Attribute bei Männern und
Männern mit „Behinderung“ existiert. Daraus folgt außerdem, dass Mädchen aufgrund ihrer
Weiblichkeit überbehütet werden, während bei Jungen eher Bemühungen stattfinden, sie in
den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Welche stereotype Zuschreibungen an Männer, Frauen und Menschen mit „Behinderung“
existieren, zeigt folgende Grafik:
männlich
behindert
weiblich
stark
schwach
schwach
aktiv
passiv
passiv
unabhängig
abhängig
abhängig
selbstständig
unselbstständig
unselbstständig
potent
machtlos
machtlos
attraktiv
unattraktiv
attraktiv
rational
emotional
29
Geist
Körper
Körper
(Vgl. Köbsell 2007: 32)
Die Nichtanerkennung ihrer Weiblichkeit, die die Sozialisation von Mädchen mit
„Behinderungen“ von Geburt an prägt, suggeriert schon früh, dass sie für die
klassische Frauenrolle als Partnerin und Mutter ungeeignet sind. Dabei bezieht sich
die Aberkennung von Geschlecht sowohl auf körperliche beziehungsweise sexuelle
Aspekte, als auch darauf, was allgemein unter „Frausein“ affirmiert wird, wie
Reproduktionsaufgaben. Doch obwohl Frauen mit „Behinderung“ oftmals als
„sexuelle Neutren“ erzogen werden, haben 60 % der in Einrichtungen Lebenden
sexualisierte Gewalterfahrungen. Nicht selten zählen Männer mit Behinderung zu
den Tätern. (Vgl. Pircher/Zemp 1996)
Diese Problematik wird in der UN-Behindertenrechtskonvention aufgegriffen. In
Artikel 6 wird eine Mehrfachdiskriminierung von Mädchen und Frauen aufgrund des
Kriteriums der „Behinderung“ und des Geschlechts anerkannt und Maßnahmen
verlangt, um gewährleisten zu können, dass sie alle Menschenrechte und
Grundfreiheiten voll und gleichberechtigt genießen können und ihre Autonomie
gestärkt wird. Weiterhin wird bereits in der Präambel p auf die besondere
Gefährdungslage
von
Menschen
mit
„Behinderung“,
bei
denen
weitere
Statusmerkmale, wie zum Beispiel Geschlecht, hinzukommen aufmerksam gemacht.
In Buchstabe s wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, bei der
Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten die Geschlechterperspektive
mit einzubeziehen. Artikel 16 Absatz 1 verpflichtet die Konventionsstaaten Menschen
mit Behinderung vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch,
einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte, zu schützen.
5.3.4 Handlungsbedarf und Projekte der Sozialen Arbeit
Wo finden sich Ansprechpartner*innen, beziehungsweise zielgruppenspezifische Angebote
für Menschen mit „Behinderung“, welche auf unterschiedliche Merkmale wie Herkunft,
Geschlecht, Alter und Sexualität (Diversitiy-Kategorien) eingehen?
Zwar sind viele Ansätze zur Sozialen Arbeit mit Menschen mit „Behinderungen“ vorhanden,
doch kann im Kontext der Sozialen Arbeit noch nicht von einer existierenden Gender/Queer
30
gerechten oder Diversitiy gerechten Sozialen Arbeit mit Menschen mit „Behinderungen“
gesprochen werden.“ (Vgl. Theunissen 2006; Czollek/Perko/Weinbach 2009.) Gerade wenn
es um die Belange von Lesben, Schwulen und Transgender im Behindertenbereich geht,
werden große Defizite deutlich. Wobei dies seinen Ursprung in der bisherige Absprechung
des Geschlechts von Menschen mit „Behinderungen“ findet. Auch die Mädchenarbeit und
der Schutzraum für Menschen mit „Behinderung“, die Opfer psychischer, körperlicher oder
sexueller Gewalt geworden sind, ist ausbaufähig und das obwohl der Genderreport des
BMFSFJ (2008) zum einen ausdrücklich erklärt, dass eine Mehrfachdiskriminierung von
Frauen mit „Behinderungen“ in vielen Lebensbereichen nachweisbar ist und zum anderen
die Benachteiligungen
von Frauen und Mädchen mit „Behinderungen“ im Lebenslauf
kumulieren.
Ein weiteres aufkommendes Feld der Sozialen Arbeit ist die Unterstützung der Elternschaft
von Menschen mit „Behinderungen“. Doch auch hier funktioniert das wirtschaftliche Prinzip
von Angebot und Nachfrage. Es kommen immer mehr Positiv-Beispiele in der Gesellschaft
auf:
Die qub aus Frankfurt am Main beispielsweise lädt zum interaktiven Austausch ein:
„Hallo, Du bist lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder sonst irgendwie queer mit einer
Behinderung oder mit einer chronischen Krankheit? Du suchst Kontakt zu Menschen, denen
es auch so geht? Wir, die Gruppe qub-queer und behindert, bieten die Möglichkeit zum
Erfahrungsaustausch, Themennachmittage und Freizeitaktivitäten.“ (www.qub-frankfurt.de,
o.J., o.S.(letzter Zugriff: 20.6.2015)
Ein Projekt aus der Region ist das „Netzwerk behinderter Frauen Berlin e.V.“
Dieser Verein setzt sich mit den Themenfeldern „Inklusive Frauengesundheit – barrierefrei
und kultursensibel“, „Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderung“ und
„Inklusion von Frauen und Mädchen mit Behinderung/chronischer Erkrankung und
Migrationsgeschichte“ auseinander. Diese dienen dem übergeordneten Ziel der Umsetzung
der
UN-Behindertenrechtskonvention
in
allen
gesellschaftlichen
Bereichen.
(Vgl.
http://www.berliner-behindertenzeitung.de/netzwerk-behinderter-frauen-berlin-ev/[letzter Zugriff: 20.6.2015])
Um weitere Defizite beseitigen zu können und die Etablierung und Umsetzung der Konzepte
Gender/Queer und Diversitiy voranzutreiben, ist eine Reflexion der Fragen „Wie ist die
Ressourcenverteilung zum Beispiel in Bezug auf soziale und kulturelle Herkunft, Armut und
31
Reichtum und Alter?“ und „Gibt es diversitätsbezogene, zielgruppenspezifische Angebote für
behinderte Menschen?“ nötig. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009: 162 )
5.4 Fazit
Soziale Arbeit beschäftigt sich seit ihren Anfängen mit der Förderung des Menschen als Hilfe
zur Selbsthilfe. Die Wahrung der Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Identitäten und
Lebensentwürfen, die Hilfestellung bei Herausforderungen des Lebens sowie Bewältigung
von Problemen spielen dabei eine wichtige Rolle. Da Menschen auf Grund zahlreicher
Kriterien und Identitätsdimensionen Diskriminierungen wie beispielsweise Rassismus,
Ableismus, Sexismus, Homo- und Transphobie ausgesetzt sind, ist es in unseren Augen
naheliegend anzunehmen, dass Gender/Queer und Diversity gerechte Ansätze längst tief
verankert in der Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit vorzufinden und auch aus ihr heraus
entstanden sind. Im Gegenteil lässt sich konstatieren, dass Gender/Queer- und
Diversitygerechtigkeit in der Praxis der Sozialen Arbeit leider keine Selbstverständlichkeit
darstellen. Betrachtet man die historischen Entwicklungen lässt sich außerdem feststellen,
dass sowohl Gender/Queer als auch Diversity-Konzepte in der Regel durch die Einflussnahme
gesellschaftlicher und sozialpolitischer Bewegungen und wissenschaftliche Theorien in die
Soziale Arbeit Einzug erhalten haben. (Vgl. Czollek/Perko/Weinbach 2009)
Zwar liegt es im Wesen der Sozialen Arbeit, auf gesellschaftliche, politische und soziale
Veränderungen zu reagieren, so möchten wir dennoch kritisch anmerken, dass die Soziale
Arbeit wenige eigene Impulse gesetzt hat. Auch, wenn es, wie beschrieben, bereits
Einrichtungen, Beratungsangebote, Methoden und Projekte gibt, die sich Gender/Queerund Diversity gerechter Arbeit widmen, so gibt es noch sehr viele Leerstellen und großen
Handlungsbedarf.
Da Soziale Arbeit in der Regel eine Klientisierung vornimmt, also bestimmte Zielgruppen
konstruiert, ist die Gefahr groß, dass Menschen auf bestimmte Kriterien reduziert werden
und in der Arbeit mit ihnen allumfassende Identitätsdimensionen nicht berücksichtigt sowie
strukturelle Diskrimierungsformen ausgeblendet werden. Die Herausforderung der Sozialen
Arbeit, und damit einhergehend allen Tätigkeitsbereichen, besteht in der Vermittlung von
Gender/ Queer- und Diversitytheorien, Trainings und Weiterbildungen. Dies sollte in unseren
Augen ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung und Profession sein.
32
6. Visuelle Beobachtung zu Gender/Queer und Diversity sowie Intersektionalitäten
Im Laufe unserer Werkstatt und der damit verbundenen Arbeit an unserem Sozialreport
untersuchten wir eines dienstags die Potsdamer Innenstadt nach Dingen, die mit unserem
Hauptthema der Werkstatt, „Gender/Queer und Diversity“ zu tun haben und hielten diese
mit dem Fotoapparat fest. In Kleingruppen aufgeteilt, gingen wir vor die Tür, auf den „alten
Markt“ und verstreuten uns in alle Richtungen. Bereits nach wenigen Schritten stießen wir
an einem Ampelfeiler auf einen bunten Aufkleber, auf dem stand „Fußballfans gegen
Homophobie“. Oder die Ampel an sich bzw. die Ampelmännchen – wieso eigentlich
„Männchen“? Kurze Zeit später in den Bahnhofspassagen im Spielzeugladen, zwei getrennte
Regale, eins davon für kleine Jungen – komplett in blau – und das andere für Mädchen, alles
in rosa. Stereotypische Aussagen über die Frauen- und Männerrollen auf Postkarten im
Zeitschriftenladen. Das Symbol für den Wickelraum, auf dem klischeehaft eine weibliche
Person abgebildet ist, die ihr Kind wickelt, zudem wieder in rosa und direkt daneben das
blaue Männer-Toilettenzeichen. Gerade in Bezug auf das Thema Gender und den damit
verbundenen traditionellen und heteronormativen Rollenverteilungen sowie Stereotypen
von Mann und Frau fanden wir Unmengen an Motiven, Symbolen und anderen Dingen.
Deutlich seltener konnten wir Sachen finden, die im Zusammenhang mit Queer oder
Diversity stehen. Wie zum Beispiel ein kleines Plakat im Schaufenster eines linken
Buchladens, welches auf ein Treffen für Regenbogenfamilien hinweist, oder der bereits
anfangs erwähnte Aufkleber. Durch den bewusst abzielenden Blick auf Dinge, die im
Zusammenhang mit dem Werkstattthema stehen, wurde uns klar wie vorherrschend das
traditionell heteronormative Bild der Geschlechter und derer Rollen im öffentlichen Raum ist
und wie es somit zur Normalität für viele wird ohne abweichend darüber nachzudenken.
Zum Glück gab es aber auch positiv Beispiele. Nachfolgend ist nun eine Auswahl unserer
Bilder zu sehen.
33
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35
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37
38
39
40
7. Empirische Studie
Die vorliegende Studie untersucht, anhand von Expert*inneninterviews, den Umgang mit
sexueller Vielfalt in der Sozialen Arbeit. Darüber hinaus wurde eine Online Untersuchung zur
gleichen Thematik, welche sich allerdings ausschließlich an Jugendliche gerichtet hat, auf
dem Portal www.umfrageonline.com durchgeführt.
7.1 Gewinnung von Interviewpartner*innen
Im Rahmen der Studie liegt der Fokus auf der Auseinandersetzung mit der Perspektive
verschiedener Sozialpädagog*innen bzw. Sozialarbeiter*innen aus unterschiedlichen
Einrichtungen. Der Grund liegt in der Gewinnung erster empirischer Anhaltspunkte, welche
zwischen der theoretischen sowie konzeptionellen Ebene verglichen werden können.
Für
die
Gewinnung
der
verschiedenen
Interviewpartner*innen
bzw.
Untersuchungspartner*innen wurden zum einen bereits bestehende Ressourcen genutzt
und zum anderen weitere, mögliche Interviewpartner*innen kontaktiert, um sie über die
Studie zu informieren und möglicherweise dafür zu gewinnen. Das der Studie zugrunde
liegende Sample besteht aus neun Personen wobei acht der Befragten Expert*innen waren.
Um dem von mehreren Interviewpartner*innen geäußerten Wunsch nach Anonymität
gerecht zu werden, haben wir uns bewusst gegen eine namentliche Nennung der
unterschiedlichen
Expert*innen
entschieden.
Auch
geschlechtliche
Identitäten,
diversitybezogene Zugehörigkeiten oder biografische Hintergründe werden im Rahmen
dieser Studie nicht benannt.
7.1.1 Legende der Interviewpartner*innen
IP1a+b
Schulsozialarbeiterin und Schulsozialarbeiter einer Gesamtschule mit Grund- und
Oberstufe in Berlin. Das Interview wurde am 17.04.2015 von Farah Abdullayeva
und Jennifer Becker geführt.
IP2
Sozialarbeiterin in der Familien- und Jugendarbeit in Berlin. Die Klienten der
Interviewpartnerin sind in erster Linie Menschen mit Migrationshintergrund. Das
Interview wurde am 16.04.2015 von Farah Abdullayeva geführt.
IP3
Sozialarbeiter in einem Jugendclub in Berlin. Das Interview wurde am 17.05.2015
von Kai Meret Brieske geführt.
41
IP4
Schulsozialarbeiterin an einem Internat in Berlin. Das Interview wurde am
17.05.2015 von Kai Meret Brieske geführt.
IP5
Angehender Sozialarbeiter bei einem Aufklärungsträger in Berlin. Das Interview
wurde am 14.04.2015 von Anne Mense geführt.
IP6
Sozialarbeiter einer Beratungsstelle für Wohnungslose Flüchtlinge und
Migrant*innen. Das Interview wurde 12.04.2015 von Melina Strohe geführt.
IP7a
Sozialarbeiterin in einem Jugendclub in Potsdam. Das Interview wurde am
19.01.2015 von Carolin Wiggert geführt.
IP7b
Jugendlicher in den Jugendclub in dem IP7a tätig ist. Das Interview wurde am
30.03.2015 von Carolin Wiggert geführt.
7.1.2 Erhebungsansatz
Der
Erhebungsansatz
bezieht
sich
auf
das
Konzept
des
theoriegenerierenden
Expert*inneninterviews nach Bogner und Menz (2009), welche sich direkt auf Meuser und
Nagel (1991) beziehen. Die Interviewpartner*innen sind als Funktionsträger*innen eines
organisatorischen sowie institutionellen Kontextes zu betrachten (vgl. Meuser/Nagel 1991),
im Fall der vorliegenden Studie als Professionelle der Sozialen Arbeit. Das in diesem Kontext
stehende Expert*innenwissen steht im Fokus unserer Studie, somit wendet sich diese dem
professionellen Wissen der Interviewten zu (vgl. Meuser/Nagel 1991).
Der Expert*innenstatus der von uns befragten Personen ergibt sich unserer Meinung nach
aus zweifacher Hinsicht: die befragten Personen sind alle in einem sozialpädagogischen bzw.
sozialarbeiterischen
Kontext
tätig
und
verfügen
über
eine
dementsprechende,
institutionellen Fachrichtung, welche sich aus der konzeptionellen Ausrichtung der
verschiedenen Institutionen herleitet. Somit sind die Interviewpartner*innen als
Expert*innen ihrer eigenen Praxis zu bezeichnen. Weiterführend können die Befragten auch
als Expert*innen für den Gegenstand der zugrunde liegenden Forschung betrachtet werden.
“Im
theoriegeleiteten
Experteninterview
befragen
wir
Experten,
weil
ihre
Handlungsorientierungen, ihr Wissen und ihre Einschätzung die Handlungsbedingungen
anderer Akteure in entscheidender Weise (mit-)strukturieren und damit das Expertenwissen
die Dimension sozialer Relevanz aufweist. Nicht die Exklusivität des Wissens macht den
42
Experten für das deutungswissensorientierte Interview interessant, sondern seine
Wirkmächtigkeit.“ (Bogner/Menz 2009: 71)
Der von uns durchgeführten Untersuchung liegt ein Interviewleitfaden (siehe Anhang)
zugrunde. Dieser ermöglicht bzw. stellt den Bezug zum thematischen Zentrum sowie die
Vergleichbarkeit der Aussagen sicher. Die inhaltliche Erstellung des Gesprächsleitfadens in
Bezug auf die durchgeführte Studie, basiert auf der theoretischen Auseinandersetzung mit
dem Themenfeld der Gender/Queer- und Diversitykompetenzen. Zudem wurde eine
Onlinebefragung zur gleichen Thematik durchgeführt.
7.1.3 Auswertungsansätze
Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen Auswertungsansätze der Interviews sowie
der Online Befragung dargestellt.
7.1.3.1 Auswertungsansatz in Bezug auf die geführten Interviews
Grundlage der Interviewauswertung war ein Verfahren, welches Meuser und Nagel
(1991/2007) für die Analyse von Experten*inneninterviews entwickelt haben.
Bei dem Ansatz wird auf qualitativ-inhaltsanalytischen Verfahrensweisen (vgl. Mayring 2008)
sowie von etwaigen "Einzelfallintressen" (vgl. Bohnsack 2003) verzichtet. Das von Meuser
und Nagel entwickelte Verfahren richtet sich an der Logik einer rekonstruktiven
Sozialforschung aus, jedoch wird der “Funktionskontext der Expert*innen in Rechnung
gestellt und muss nicht mehr erschlossen werden“ (Meuser/Nagel 2010: 468).
Im Folgenden werden relevante Vorgangsweisen zur Analyse der Interviews erläutert:
Schritt 1: Paraphrase der transkribierten Interviews
Um den Gehalt der Texte zu erschließen bzw. zu filtern, wurden die transkribierten
Interviews zunächst paraphrasiert.
Schritt 2: Thematisches Ordnen
Hierbei wurden Bedeutungseinheiten bestimmt und codiert, um das vorhandenen Material
aufzubrechen und thematisch neu zu ordnen.
Schritt 3: Thematischer Vergleich
43
Die übergreifenden Codierungen bilden das Fundament, um interviewübergreifende Bezüge
herzustellen (vgl. Meuser/Nagel 2010). Ziel ist es gemeinsam thematische Inhalte
herzuleiten. Die Forschungsergebnisse, welche aus dem Gesamtmaterial hergeleitet wurden,
werden unter der Einbeziehung ausgewählter Zitate nachvollziehbar dargestellt.
Schritt 4: Konzeptionalisierung und Generalisierung
Bezugnehmend auf den Sozialreport wurden die Schritte 3 und 4 nach Meuser/Nagel (1991)
zusammengefasst; das Datenmaterial wurde auf Grundlage des erläuterten methodischen
Vorgehens aufgezeigt und verfolgt den Sinn der Ergebnispräsentation.
7.1.3.2 Auswertungsansatz in Bezug auf die Online Befragung
Das Portal, über welches die Umfrage durchgeführt wurde, bietet nach Abschluss der
Befragung eine vollständige Datenbank zu allen gegebenen Antworten. Da es nach den
ersten Teilnehmern durch die individuellen Antwortfelder auffiel, dass das Thema „Sexuelle
Vielfalt“ falsch verstanden wurde und die Antworten auf Sexualität allgemein basierten,
wurden diese vor der Auswertung aus der Datenbank entfernt. Im Weiteren wurden die
einzelnen Ergebnisse über Diagramme und unter Berücksichtigung der Interwieergebnisse
ausgewertet und in Bezug gesetzt.
7.2 Auswertung der Interviews
7.2.1 Themenrelevanz
Die Relevanz zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ wird von den
Einrichtungen insgesamt bestätigt, jedoch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven
begründet. Lediglich IP7a sieht grundsätzlich eher keine Relevanz für die Thematik, da die
Kinder und Jugendlichen, welche die Einrichtung besuchen, dieses Thema aus ihrem
jeweiligen Hintergrund und Umfeld nicht mitbringen. Es besteht nach dem Eindruck der
Mitarbeiter*innen in der Einrichtung somit kein aktiver Handlungsbedarf, dennoch kommt
es zur Thematisierung und Auseinandersetzung, sofern die Jugendlichen durch
Medienberichte auf die Thematik aufmerksam werden. „Wenn denn, so ne Geschichten in
der Öffentlichkeit, irgendwie was äh, wenn ich da an Conchita Wurst denke oder so ne? Also
dass denn das Thema aufgegriffen wird und drüber geredet wird, aber nicht so aus dem
persönlichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen.“ (IP7a, 7 ff) Auch IP3 spricht
44
Medienberichte als Grundlage der Thematisierung durch die Jugendlichen in der Einrichtung
an, wobei beobachtet wird, dass diese medialen Einflüsse zu einem eher negativen Bild von
beispielsweise Homosexualität führen. Die Relevanz zur Auseinandersetzung sieht IP3 unter
anderem in der herrschenden Jugendsprache. So werden Begriffe wie „schwul“ und
„Schwuchtel“ von den Jugendlichen beleidigend in ihrer alltäglichen Kommunikation
verwendet. Auch IP4 spricht die negative und beleidigende Kommunikation unter den
Jugendlichen an. Sich in der Einrichtung aktiv damit auseinanderzusetzen wird durch einen
hohen Anteil homosexueller Jugendlicher begründet, gegen die entsprechende Vorurteilen
und Äußerungen durch andere Jugendliche gerichtet sind. So zeigt sich gerade nach einem
Coming-out ein anderer, abweisender Umgang der Jugendlichen untereinender, dem durch
die Thematisierung und Auseinandersetzung entgegengewirkt werden soll. „[...] Aber als der
sich dann irgendwann mal geoutet hatte, dann war auf einmal sowie 'ich will nicht mehr mit
dem tanzen' […] 'der macht mich dann bestimmt an und so'“ (IP4, 65 ff) Während in der
Einrichtung von IP4 Wert darauf gelegt wird, dass Homosexualität als normal von den
Jugendlichen verstanden wird, zeigt sich in der Einrichtung von IP1a und b, dass Jugendliche,
die in diesem Bezug von den Mitarbeiter*innen als „auffällig“ bezeichnet und als
provozierend wahrgenommen werden. " [...] jetzt zum Beispiel eine Person die mir einfällt,
die PROVOZIERT ES AUCH." (IP1a, 29 f) [...] also, wenn jetzt zum Beispiel (..) ähm ein Junge
gerne TANZT, ja? Ähm (..) und vielleicht auch in ner Tanzgruppe hier äh mitmacht, dann ist
das natürlich was Außergewöhnliches und äh das würde schon dafür sorgen, dass er gleich
gemobbt wird [...]" (IP1a, 38 ff) Diese Jugendlichen bilden laut der Mitarbeiter*innen die
Grundlage zur Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt, jedoch wird erklärt, dass es durch
den Migrationshintergrund vieler Jugendlichen nicht wirklich zu einer Thematisierung und
Beschäftigung mit dem Thema kommt. So sind es laut der IP1a die Jugendlichen selber, die
dafür sorgen, dass es zu keiner aktiven Auseinandersetzung mit der Thematik kommt. Die
Einrichtung von IP6 wird ausschließlich von Jugendlichen mit Migrationshintergrund besucht,
jedoch sieht man dies im Vergleich zur Einrichtung von IP1a und b nicht als Grund, sexuelle
Vielfalt nicht zu thematisieren. Zu den Aufgaben der Einrichtung gehört sowohl die
Begleitung Jugendlicher im Transgenderprozess als auch die Betreuung von Klient*innen,
welche eine deutlich ablehnende Einstellung zu sexueller Vielfalt aufweisen. Die Begegnung
von Jugendlichen mit verschiedensten Hintergründen und Einstellungen macht es hier
besonders relevant, sich mit der Thematik zu beschäftigen. „[...] dadurch, dass selbst die
45
Leute, die homophob sind wenn die hier her kommen, erleben die ja so Menschen […]
ändern relativ schnell ihre Meinung einfach durchs kennenlernen [...].“ (IP6, 17) Im
Gegensatz zu den übrigen Einrichtung ist IP5 direkt bei einem Aufklärungsträger beschäftigt,
der sich darauf spezialisiert hat, in der Arbeit mit Schüler*innen und Lehrkräften ein
Bewusstsein für sexuelle Vielfalt zu schaffen, womit die Relevanz zur Auseinandersetzung
mit der grundsätzlichen Tätigkeit des Interviewpartners begründet ist.
7.2.2 Sensibilisierung
Bis auf IP2 wird von allen Interviewpartner*innen bestätigt, dass Sensibilisierung
grundsätzlich notwendig ist. IP2 begründet die fehlende Notwendigkeit mit der, auf den
Migrationshintergrund der Klient*innen basierenden, fehlenden Auseinandersetzung mit
dem Thema. In den anderen Einrichtungen wird deutlich, dass Sensibilisierung in der
Definition und Professionalisierung sehr unterschiedlich behandelt wird. Sowohl IP1a und b,
als auch IP4 arbeiten mit jugendlichen Schüler*innen. Während IP4 in der Einrichtung selbst
als Beauftragte für das Thema „Sexuelle Vielfalt“ für die Sensibilisierung der
Mitarbeiter*innen und Schüler*innen verantwortlich und verfügbar ist, wird von IP1a
erklärt, dass Sensibilisierung über Workshops externer Aufklärungsträger ausschließlich für
Schüler*innen zur Verfügung steht und die IP1a und b, sowie Mitarbeiter*innen der
Einrichtung nicht fachlich geschult und sensibilisiert werden. IP4 spricht an, dass die
Sensibilisierung der Schüler*innen über den Sexualkundeunterricht bisher unzureichend ist
und
sieht
das
zukünftige
Einbringen
der
Thematik
mittels
fachübergreifender
Unterrichtsmaterialien durch die fehlende Aufgeschlossenheit der Eltern als schwierig an.
„[…] da bin ich auf jeden Fall gerade dran mich mit den Lehrern zu treffen und darum auch
zu bitten, dass sie auf dieses Thema nicht so einfach rüber rutschen, sondern das noch mal
explizit erklären, dass es jetzt auch homosexuelle, heterosexuelle, bisexuelle und dann auch
diese unterschiedlichen Geschlechter, transsexuell und so weiter und so fort.“ (IP4, 111 ff)
IP1a sieht die Mitarbeiter*innen vor Ort selber als sensibilisiert an, da diese nach eigenem
Ermessen auf Auffälligkeiten wie Kleidung oder Bewegung bei den Schüler*innen achten.
„[...]einfach in ihrer Art. Zu gucken, ich mein, gibt’s irgendwas. Aber nicht jetzt speziell äh /
(..) also einfach auf die Auffälligkeit Kleidung oder Bewegung oder so, das fällt natürlich
immer auf. Aber ähm ja, also sonst nicht jetzt irgendwie speziell.“ (IP1a, 62 ff) Das
Heranziehen externer Aufklärungsträger, wie es von IP1a bereits genannt wurde, wird von
46
IP6 ebenfalls als Kontakt zur Sensibilisierungsarbeit mit den Klient*innen angegeben. Diese
Aufklärungsarbeit bildet die Grundlage der Tätigkeit von IP5. Dieser ist sowohl auf die
Sensibilisierung Jugendlicher durch Workshops zum Thema „Sexuelle Vielfalt“, als auch auf
die Weiterbildung von Fachkräften und Mitarbeiter*innen in verschiedenen Einrichtungen
spezialisiert. Durch die Erläuterungen von IP3 sowie IP7 a und b zeigt sich, dass in beiden
Einrichtungen großer Wert auf die regelmäßige Kommunikation mit den Jugendlichen zur
Thematik gelegt wird, um einen sensiblen und verständigen Umgang zu erzielen. IP3
berichtet dabei von einer positiven Entwicklung innerhalb der Einrichtung und einem
inzwischen sehr offenen Umgang der Jugendlichen mit dem Thema. „[...] jetzt wird eben
nicht drüber diskutiert 'darf ich das Lied hören oder nicht', oder ist das richtig was se sagen,
sondern, ähm die Diskussion geht eher darum inwiefern der Text diskriminierend ist oder
nicht […].“ (IP3, 86 ff) IP7b bestätigt die Aussage von IP7a und fügt hinzu, dass den
Jugendlichen,
neben
den
ansprechbaren
Mitarbeiter*innen,
zusätzlich
Informationsmaterialen frei zur Verfügung stehen, um sich bei eigenem Interesse
weiterführend mit dem Thema auseinandersetzen zu können.
7.2.3 Diskriminierung
Wie IP2 bereits angegeben hat, ist das das Thema „Sexuelle Vielfalt“ in der Arbeit mit den
Klient*innen nicht relevant und so wird auch das Vorkommen von Diskriminierung verneint.
"Das ist kein Thema, bei den Klienten. Weil wir arbeiten sehr viel mit (..) in multikulturellen
Zusammenhängen." (IP2, 20 ff) Die anderen Interviewpartner*innen teilen mit, dass bei
beobachteten Diskriminierungsfällen eingeschritten und in die aktive Kommunikation mit
den Jugendlichen gegangen wird. Über Gespräche wird in den Einrichtungen versucht, bei
den Jugendlichen ein Bewusstsein über den Hintergrund und die Auswirkungen ihres
Handelns zu schaffen. IP3, IP4 und IP7a sprechen in diesem Zusammenhang noch einmal die
Jugendsprache an und erläutern, dass Beleidigungen in Bezug auf sexuelle Vielfalt verboten
sind und bei Verstoß gegen diese Verbote sanktionierend reagiert wird. So gibt es in der
Einrichtung von IP3 ein strukturiertes Vorgehen bei Beleidigungen und allgemein
diskriminierendem Verhalten. Nachdem bei erstmaliger Diskriminierung ins Gespräch
gegangen wird, kommt es im zweiten Schritt zu einer Verwarnung, welcher das Hausverbot
im Falle eines dritten Diskriminierungsvorfalls folgt. "[…] wenn es halt ähm bei diesem, bei
der, bei den Ausdrucken bleibt, also, diskutieren wir einmal, beim zweiten Mal sagen,
47
erinnern wir sie an die Regel, beim dritten Mal gibt es dann Hausverbot." (IP3, 98 ff) Es wird
jedoch auch mitgeteilt, dass Jugendliche mit eigenem, queeren Hintergrund selten die
Einrichtung besuchen bzw. sich dort nicht outen, da sie Einrichtungen dieser Art
grundsätzlich als ungeschützten Raum wahrnehmen, in dem es vermehrt zu Diskriminierung
kommt. Das Zusammentreffen von Menschen mit LGBTIQ Hintergrund und Menschen mit
beispielsweise trans- oder homophober Einstellung wird in der Einrichtung von IP5 hingegen
aktiv genutzt, um die Jugendlichen miteinander zu Konfrontieren und ein Bewusstsein
füreinander zu schaffen. Durch Gespräche und das Miteinander vor Ort soll Diskriminierung
hier im direkten Kontakt abgebaut werden. IP1a und b ziehen nicht nur präventiv sondern
auch im Fall aktiver Diskriminierung externe Aufklärungsträger heran, um die internen
Gespräche mit den Jugendlichen durch externe Fachkräfte zu stützen. IP5, als Mitarbeiter
eines Aufklärungsträgers bestätigt, dass das Ziel in der Arbeit mit den Jugendlichen unter
anderem das Schaffen eines diskriminierungsfreien Raums ist. Um Diskriminierungsfälle zu
reflektieren und eine dauerhafte Auseinandersetzung damit zu schaffen, werden innerhalb
des Trägers regelmäßige Plenen einberufen.
7.2.4 Ansprechpartner*innen
Bei der Frage nach speziellen Ansprechpartner*innen zum Thema „Sexuelle Vielfalt“ zeigt
sich, dass die IP 1a und b, sowie IP 6 trotz fehlender Sensibilisierung als Ansprechpersonen
für die Jugendlichen zur Verfügung stehen und es darüber hinaus keine spezialisierte und
fachlich sensibilisierte Person zu der Thematik in der Einrichtung gibt. IP6 gibt an, dass die
Jugendlichen
die
Mitarbeiter*innen
der
Einrichtung
als
vertrauensvolle
Ansprechpartner*innen wahrnehmen und wissen, zu wem sie mit welchen Themen gehen
können. Darüber hinaus stellt man bei Bedarf Kontakt zu externen Gesprächspartner*innen
her, um den Jugendlichen eine qualifizierte Beratung zu ermöglichen. Auch IP7a erklärt,
selbst als Ansprechperson für die Jugendlichen zur Verfügung zu stehen. IP7b bestätigt dies
und schätzt die zuständige Mitarbeiterin als vertrauensvolle und offene Person ein, die für
die Jugendlichen jederzeit für Gespräche verfügbar ist. In der Einrichtung von IP3 kommt das
gesamte Team aus der Gender- bzw. Mädchenarbeit und steht den Jugendlichen mit dem
fachlichen Hintergrund der bisherigen Arbeit gemeinsam zu dem Thema „sexuelle Vielfalt“
zur Verfügung, auch wenn dafür bisher laut IP3 noch kein Bedarf bestand. "[...] die drei
hauptsächlichen Erzieher Sozialarbeiter und äh Leitung ähm alle drei sehr sensibilisiert sind
48
äh zu dem Thema, weil wir einfach aus ner, ja Organisationsstruktur kommen, die sich sehr
stark mit Gender und äh Mädchen-Jungenarbeit, äh sexueller Vielfalt auseinandergesetzt hat
und auseinandersetzt und das halt als Thema macht.” (IP3, 130 ff) Während es in den
meisten Einrichtungen keine geschulte und nur für dieses Thema zuständige Ansprechperson
gibt, ist IP4 in der Einrichtung speziell für das Thema „Sexuelle Vielfalt“ zuständig und soll
Mitarbeiter*innen und Schüler*innen fachlich zur Verfügung stehen. Wie aus dem Interview
jedoch hervorgeht, fehlen dafür bisher sowohl die zeitlichen Kapazitäten, als auch
grundsätzliche Informationen über die verfügbare Mitarbeiterin für die Schüler*innen. Die
Arbeit von IP5 ist im Unterschied zu den anderen Interviewpartner*innen grundsätzlich
darauf ausgelegt, als Ansprechperson für Schüler*innen und Mitarbeiter*innen an Schulen
zur Verfügung zu stehen bzw. durch Workshops aktiv an sie heranzutreten.
7.2.5 Identitätsdimensionen
Mehrere Interviewpartner*innen sprechen zu dem Umgang mit Identitätsdimensionen
besonders Migration und ethnische Vielfalt an, wobei von allen erklärt wird, dass diese
Themen in den Einrichtungen nicht zu Konflikten unter den Jugendlichen führen. Während in
den meisten Einrichtungen von Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Hintergrund
die Rede ist, erklärt IP4, dass in der Einrichtung junge Menschen aus der ganzen Welt
zusammenkommen und dabei ein offener und toleranter Umgang miteinander gepflegt
wird. „[...] sehr tolerant. Alle! Die Erwachsenen. Die Kinder. Also ist wirklich überhaupt keine
Frage wer wo herkommt, wer wie alt oder sowas.” (IP4, 288 ff) Auch die Herkunft aus
unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten bzw. Klassen wird unter den Jugendlichen
nicht thematisiert. Desweiteren geht die Vielfalt an Herkunft mit der Vielfalt von Religionen
einher und auch in Bezug darauf wird in der Einrichtung ein diskriminierungsfreier Umgang
unter den Jugendlichen wahrgenommen. Gleiches erklärt IP7b zu der Einrichtung die er
besucht und er erklärt, dass die Jugendlichen in diesen Bereichen keine Unterschiede
machen und Themen wie Herkunft und Religion weder hinterfragen noch bewerten. IP3
weist darauf hin, dass man sich in der Arbeit mit den Jugendlichen auf die Kernthemen
konzentriert und es zu keiner genauen Auseinandersetzung mit Intersektionalität kommt.
Zwar sind es Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit denen in der Einrichtung gearbeitet
wird, doch definieren sich die Problematiken durch andere Themen, welche in der Arbeit
dann fokussiert und nicht grundsätzlich in Verbindung mit der Herkunft der Jugendlichen
49
gesetzt werden. Neben Herkunft und Religion werden von AP7a auch Menschen mit
Behinderung angesprochen, denen die Einrichtung einerseits durch Mitarbeiter und
Besucher jederzeit gerne offen steht, andererseits jedoch nicht die räumlichen
Voraussetzungen bietet, um alle interessierten Besucher*innen entsprechend empfangen zu
können. Auf die Sensibilisierung zu der Thematik wird in der Einrichtung in jedem Fall Wert
gelegt, wie IP7b berichtet. So wird über Themenabende, Filme und Erfahrungsberichte von
Familien über Menschen mit Behinderung informiert und ein offener Umgang miteinander
gefördert. In der Arbeit von IP5 spielen Diversität und Intersektionalität eine große Rolle, da
sich in der Aufklärungsarbeit seiner Einrichtung zeigt, dass die Verknüpfungen verschiedener
Themen immer präsent sind. Die Einrichtung hat dabei den Anspruch, die Komplexität von
sexueller Vielfalt und anderen Themen zum Ausdruck zu bringen und aufzuzeigen, dass es
durch die individuellen Merkmale jedes einzelnen Menschen zu einer entsprechend
individuellen Vielfalt von Diskriminierung kommen kann und man sich jeder dieser
vielfältigen, persönlichen Situationen auch ebenso individuell annehmen kann und sollte.
7.2.6 Fazit
Insgesamt stechen IP2, IP5 und IP7a unter den Befragten heraus. Während IP5 in der
Aufklärungsarbeit aktiv ist und von den Eirichtungen der anderen Interviewpartner*innen
und deren Einrichtungen zur Sensibilisierung der Jugendlichen herangezogen wird, zeigt sich
bei IP2, dass das Thema „Sexuelle Vielfalt“ keinerlei Relevanz in der betreffenden
Einrichtung hat und die Themen des Interviews als nicht präsent verneint werden. IP7b ist
Besucher der Einrichtung von IP7a und bietet im Interview ein wertvolles Feedback zu den
Aussagen von IP7a.
Abschließend zeigt sich, dass es in den verschiedenen Einrichtungen zu ähnlichen Themen
und Konflikten in Bezug auf sexuelle Vielfalt kommt, mit diesen jedoch unterschiedlich
umgegangen wird, wobei sich im Umgang eine gewisse Parallelität zum jeweiligen Grad der
Spezialisierung und Sensibilisierung der Sozialarbeiter*innen beobachten lässt. Während die
IP1a und b ohne eigene Sensibilisierung die Verantwortung zum Umgang mit dem Thema an
die Jugendlichen selber abgeben und die Probleme eher in den Jugendlichen sehen, die von
den heteronormativen Rollenvorstellungen abweichen, wird in den anderen Einrichtungen
Wert darauf gelegt, dass die Jugendlichen sich mit Respekt und Toleranz begegnen und den
50
Themen der sexuellen Vielfalt offen und frei von Diskriminierung begegnen. In den
Einrichtungen, in denen die Mitarbeiter*innen sensibilisiert bzw. fachlich weitergebildet
sind, wird vermehrt auf sprachlichen Umgang der Jugendlichen geschaut und aktiv zu
sexueller Vielfalt informiert und aufgeklärt. Durch verschiedene Interviewpartner*innen
wurde der Migrationshintergrund der Jugendlichen angesprochen, wobei sich eine
unterschiedliche Haltung dazu zeigt. Während sich in den Einrichtungen von den IP1a und b
sowie IP2 zeigt, dass die Herkunft der Jugendlichen als Grund angegeben wird, sich in der
Arbeit nur wenig bis gar nicht mit sexueller Vielfalt auseinanderzusetzen, wird das Thema in
den Einrichtungen von IP4 und IP6 in den Bezug auf die verschiedenen Nationalitäten der
Jugendlichen nicht eingegrenzt oder ausgeschlossen. Mehrere Einrichtungen arbeiten mit
Aufklärungsträgern zusammen, wobei diese in erster Linie zur Aufklärung der Jugendlichen,
nicht aber zur Weiterbildung der Mitarbeiter*innen in Anspruch genommen werden. Grund
für die geringe bis fehlende Ausbildung der Mitarbeiter*innen in Bezug auf sexuelle Vielfalt
sind laut der Interviewpartner*innen oft fehlende zeitliche und finanzielle Kapazitäten. So
stehen
den
Jugendlichen
in
den
meisten
Einrichtungen
keine
spezialisierten
Ansprechpartner*innen zur Verfügung, jedoch werden die Interviewpartner*innen und
weitere Mitarbeiter*innen von den Jugendlichen oft als vertrauensvolle Ansprechpersonen
in Anspruch genommen. IP4 ist in der Einrichtung speziell als Ansprechperson für sexuelle
Vielfalt zuständig, beklagt jedoch ebenfalls fehlende Kapazitäten und den mangelnden
Informationsfluss innerhalb der Einrichtung. Diskriminierendes Verhalten wurde in mehreren
Einrichtungen beobachtet und mit den Jugendlichen thematisiert. Teilweise werden auch
hier außenstehende Berater*innen kontaktiert. In der Einrichtung von IP3 konnte eine
positive Entwicklung zum Umgang mit sexueller Vielfalt beobachtet werden, nachdem die
Mitarbeiter*innen in der Einrichtung auf diskriminierende Jugendsprache und ähnliches
Verhalten eingegangen sind und dies regelmäßig mit den Jugendlichen besprochen und
dadurch ein anderes Bewusstsein bei den Jugendlichen geschaffen haben.
Es zeigt sich, dass die aktive Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt zu einem offenen und
diskriminierungsfreien Umgang unter den Jugendlichen führen kann. Voraussetzung dafür ist
jedoch
die
grundsätzliche
Haltung
und
fachliche
Ausbildung
der
zuständigen
Mitarbeiter*innen. Dafür stehen derzeit jedoch oft zu wenig Mittel zur Verfügung.
Aufklärungsträger leisten wertvolle Arbeit und Unterstützung in Einrichtungen der
Jugendsozialarbeit und stehen auch für die Fortbildung von Mitarbeiter*innen zur
51
Verfügung.
Konfrontationen
in
den
Einrichtungen
sind
durch
diskriminierende
Jugendsprache und grundsätzliche Abwehr gegen beispielsweise Homosexualität zu
beobachten, wodurch es zu Beleidigungen und Mobbing kommt. Die Reaktion der
zuständigen Sozialarbeiter*innen reicht von der Wahrnehmung vermeintlich provozierender
Jugendlicher durch abweichendes bzw. auffälliges Verhalten, über klare Verbote von
Diskriminierung und entsprechende Sanktionierung, bis zu Konfrontation und Aufklärung
durch
Gespräche
und
das
Heranziehen
außenstehender
Expert*innen.
Ähnlich
diskriminierendes oder abwehrendes Verhalten wird in den Einrichtungen zu Themen wie
Herkunft und Behinderung laut der Interviewpartner*innen nicht beobachtet.
52
7.3 Online-Umfrage
7.3.1 Angaben zur Umfrage
Um auch Jugendliche bzw. Schüler*innen zu dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ befragen zu
können, wurde über die Plattform www.umfrageonline.com eine Online-Umfrage erstellt
und über soziale Netzwerke, Foren und Internetseiten verbreitet. Ausgewählt wurden dafür
vor allem Jugendclubs, Schulen, Hausaufgabenforen, Jugendzeitschriften, TV-Formate für
Jugendliche und Foren zu Mobbing und Diskriminierung. Die Umfrage war rund 6 Wochen
lang aktiv und konnte in dieser Zeit anonym von Schüler*innen ab 14 Jahren beantwortet
werden.
Die Umfrage beinhaltete neben Auswahlfeldern zu einigen Fragen auch Freifelder, womit die
Teilnehmer*innen die Möglichkeit hatten, individuell Erfahrungen und Meinungen
mitzuteilen. Zur genauen Einsicht steht der Aufbau der Umfrage im Anhang zur Verfügung.
Nach den ersten Beantwortungen wurde auffällig, dass das Thema „Sexuelle Vielfalt“ den
Teilnehmer*innen in der Definition nicht ausreichend klar ist und vermehrt im Sinne von
Sexualität allgemein auf die Fragen geantwortet wurde. Daraufhin wurde ein neuer
Einleitungstext mit einer genauen Erläuterung eingestellt, woraufhin die Teilnehmer*innen
dann im direkten Kontext der sexuellen Vielfalt auf die Fragen antworteten und Erfahrungen
und Meinungen zu der Thematik mitteilten. Die Antworten der ersten Teilnehmer*innen
wurden für die Auswertung entfernt, da diese durch den abweichenden Themenbezug für
das Ergebnis als nicht relevant zu betrachten waren oder dieses hätten verfälschen können.
Teilweise haben sich die Antworten innerhalb verschiedener Fragen inhaltlich überschnitten,
daher wurde entschieden, nicht alle Fragen einzeln in der Auswertung zu visualisieren.
53
7.3.2 Demographische Daten
An der Umfrage haben, abzüglich der ersten Beantwortungen, 114 Personen im Alter von 14
bis 22 Jahren teilgenommen. Vor allem Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren, welche
unserer Zielgruppe für die Umfrage besonders entsprechen, haben die Umfrage
beantwortet.
Alter
16 Jahre
7%
7%
14 Jahre
19%
19 Jahre
7%
15 Jahre
17 Jahre
9%
14%
18 Jahre
20 Jahre
11%
12%
21 Jahre
14%
22 Jahre
Der Anteil von männlichen und weiblichen Teilnehmer*innen der Umfrage ist ausgeglichen.
Darüber hinaus geben rund 4% der Jugendlichen bei der Frage nach dem Geschlecht „queer“
an.
Geschlecht
4%
weiblich
47%
49%
männlich
queer
54
Die Teilnehmer*innen kommen aus 14 verschiedenen Bundesländern und es zeigt sich, dass
vor allem Schüler*innen aus Berlin, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Nordrhein-Westphalen
die Umfrage beantwortet haben. Aus den Bundesländern Saarland und Thüringen haben sich
keine Teilnehmer*innen gefunden.
Bundesland
17%
4%
6%
17%
9%
15%
15%
Berlin
Sachsen-Anhalt
Hamburg
Nordrhein-Westphalen
Baden Württemberg
Schleswig-Holstein
Brandenburg
Bayern
Niedersachsen
Sachsen
Bremen
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Rheinland-Pfalz
Insgesamt präsentiert sich ein gemischtes Feld von Teilnehmer*innen. Zum einen haben
queere, weibliche und männliche Personen die Umfrage beantwortet, zum anderen sind alle
für die Umfrage interessanten Altersstufen ausgeglichen vertreten. Auch die Verteilung auf
die Bundesländer ist sehr gemischt und gibt keine feste Tendenz zu Teilnehmer*innen aus
einem bestimmten oder ausschließlichen Teil Deutschlands.
Durch die Teilnehmer*innenzahl sind die Daten aus der Befragung nicht repräsentativ,
bieten aber einen interessanten Einblick in die Auffassung und Meinung von über 14jährigen zum Thema „Sexuelle Vielfalt“ und ergänzen die Aussagen aus den
Expert*inneninterviews aus einem eigenen Blickwinkel.
55
7.3.3 Auswertung
1| Wo ist Dir das Thema „Sexuelle Vielfalt“ bisher bereits begegnet?
15%
8% 4%
71%
Internet/Soziale Netzwerke
Schule
48%
Fernsehen
Zeitung/Zeitschrift
Jugendclub
Andere
57%
60%
Das Thema ist mir bisher nicht begegnet
Bei dieser Frage hatten die Jugendlichen die Möglichkeit der Mehrfachantwort. Es zeigt sich,
dass das Thema in Einrichtungen, welche durch die Experteninterviews befragt wurden, für
die Jugendlichen präsent ist. Die Aussage der Interviewpartner*innen, dass Jugendliche
durch Medien zu diesen Themen geprägt werden bzw. dort Informationen darüber
beziehen, lässt sich hier aufgreifen, da die Teilnehmer*innen vor allem Internet, Fernsehen
und Zeitungen/Zeitschriften angeben, wenn es um die Begegnung mit dem Thema „Sexuelle
Vielfalt“ geht. Zu der Antwortmöglichkeit „Andere“ wurden von den Jugendlichen speziell
Freunde angegeben.
Auffällig ist, dass 4% der Teilnehmer*innen angeben, dem Thema bisher gar nicht begegnet
zu sein. In der Betrachtung der Daten zeigt sich, dass es sich dabei um 14-jährige Personen
handelt, die in der Umfrage auch weiterführend angeben, dass in ihrem Umfeld nicht
darüber gesprochen oder informiert wird.
Während der Auswertung ist aufgefallen, dass „Familie“ als Auswahlfeld nicht vorgegeben
wurde, jedoch auch über das Zusatzfeld nicht als individuelle Antwort auftaucht.
56
2| Wird unter den Jugendlichen an Deiner Schule über das Thema „Sexuelle Vielfalt“
gesprochen?
38%
ja
62%
nein
3| Wird das Thema „Sexuelle Vielfalt“ an Deiner Schule innerhalb des Unterrichts
thematisiert?
30%
nein
ja
70%
Bei den Fragen nach der Thematisierung von sexueller Vielfalt wird deutlich, dass das Thema
unter den Jugendlichen durchaus sehr präsent ist, im Gegenzug dazu aber im Unterricht
nicht bzw. nur wenig angesprochen bzw. besprochen wird. Zu beiden Fragen hatten die
Teilnehmer*innen die Möglichkeit, individuell mitzuteilen wie über das Thema gesprochen
wird bzw. inwieweit es im Unterricht stattfindet.
Thematisierung unter Jugendlichen:
 „Meist eigentlich gut, ist ja ein Interessantes Thema. Nur manche machen sich darüber
lustig. Das sind aber wenige.“
 „Es wird bei mir verschieden umgegangen mit dem Thema Lesben und Schwule. Die einen
finden es eklig, die anderen ganz normal.“
 „Eine Freundin von mir ist bisexuell und spricht manchmal über ihre Probleme dadurch.“
57
 „Meist eher als Scherz oder Vorlieben ohne die eigene Neigung auszudrücken. (Z. B.
mögen die meisten Jungs Lesben und einige Mädchen Schwule, stehen aber größtenteils
selbst auf das andere Geschlecht.) Wir hatten auch ein Mädchen in der Klasse, die eine
weibliche feste Freundin hatte. Niemand hat sich negativ in unserer Klasse darüber
geäußert. Unsere Klassengemeinschaft allgemein ist aber sehr gut.“
 „Früher eher negativ, aber seit ein paar Jahren hauptsächlich positiv im Sinne von
Toleranz.“
 „Ich selbst bin lesbisch und spreche offen darüber.“
 „Abwertend. Aber ich halt mich da raus.“
Durch die Angaben der Jugendlichen ergeben sich Parallelen zu den Informationen der
Expert*innen in den Interviews. Grundsätzlich wird sexuelle Vielfalt thematisiert, wobei es
durchaus zu negativen Meinungen und Äußerungen kommt. Doch zeigt sich auch ähnlich wie
in der Schilderung von einer interviewten Person, dass es zu einer positiven Entwicklung
durch die Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt und Toleranz kommen kann. Nicht
übersehen werden sollte die Äußerung, dass sich für junge Menschen mit LGBTIQ
Hintergrund Probleme aufgrund ihrer sexuellen Orientier ergeben können und sie
diesbezüglich Ansprechpartner*innen aufsuchen. Die Schwierigkeiten der einen Seite lassen
sich mitunter durch die abweisende Haltung der anderen Seite begründen. Insgesamt wird
durch den Großteil der Antworten, von denen hier nur einige exemplarisch aufgeführt
wurden, aber ein eher offenes und positives Bild seitens der Jugendlichen vermittelt.
Thematisierung im Unterricht:
 „Nur sehr selten.“
 „Ja, es wurde aber nicht sehr ausführlich behandelt.“
 „In der 4., 6. und 9. Klasse Sexualkunde.“
 „Im Philosophie-Unterricht kam dieses Thema zur Sprache.“
 „Nur oberflächlich (Philosophieunterricht nur für 1-2 Stunden) im Rahmen der Political
Correctness.“
Bei der Thematisierung im Unterricht nehmen die Jugendlichen sexuelle Vielfalt kaum wahr.
Der Sexualkundeunterricht wird teilweise angesprochen, darüber hinaus erwähnen einige
Teilnehmer*innen den Philosophieunterricht. Insgesamt scheint das Thema „Sexuelle
58
Vielfalt“ nur sehr wenig in den Unterricht eingebracht zu werden, obwohl sich durch die
vorangegangene Frage zeigt, dass das Thema unter den Jugendlichen sehr präsent ist und es
dort mitunter zu negativen Haltungen und Äußerungen kommt, die zur Gesprächsgrundlage
in verschiedenen Unterrichtsthemen aufgegriffen werden könnten. Die in den Interviews
mehrfach erwähnten externen Aufklärungsträger und entsprechende Workshops wurden
von den Teilnehmer*innen in der Umfrage nicht angesprochen. Abgesehen von
Unterrichtsinhalten ist es hier interessant, ob den Jugendlichen grundsätzlich bei
Gesprächsbedarf eine Ansprechperson zur Verfügung steht, was als Frage in der OnlineUmfrage aufgegriffen wurde.
4| Gibt es an Deiner Schule eine Vertrauensperson bzw. einen Ansprechpartner für dieses
Thema?
22%
41%
weiß ich nicht
ja
nein
37%
Viele Schüler*innen geben an, dass ihnen grundsätzlich gar nicht bekannt ist, ob es eine
Ansprechperson zu Themen der sexuellen Vielfalt gibt. Darüber hinaus wird von 22% der
Teilnehmer*innen mitgeteilt, dass an ihrer Schule keine spezielle Ansprechperson verfügbar
ist. Diese Angaben bestätigen die Informationen aus den Interviews. Aus dem Schulkontext
wurden 3 Expert*innen aus 2 verschiedenen Einrichtungen befragt und es zeigt sich, dass es
in der einen Einrichtung keine speziellen Ansprechpartner*innen gibt und die Schüler*innen
in der anderen Einrichtung nicht über die zuständige Mitarbeiterin informiert sind.
Insgesamt wird durch die letzten drei Fragen klar, dass Jugendliche untereinander über
sexuelle Vielfalt sprechen, sich darüber austauchen, mit Freunden über Probleme
diesbezüglich reden und sich auch negativ und abweisend darüber geäußert wird. Gleichzeit
ist das Thema durch Unterrichtsinhalte kaum präsent, wird wenig bis gar nicht angesprochen
59
bzw. in den Unterricht einbezogen und auch vertrauensvolle Ansprechpartner stehen in
erster Linie nicht zur Verfügung bzw. sind den Schüler*innen nicht bekannt.
5| Findest Du es persönlich wichtig, dass über das Thema „Sexuelle Vielfalt“
gesprochen/informiert/aufgeklärt wird?
22%
ja
nein
78%
In Bezug auf die Interviews und die bisherigen Fragen der Online-Umfrage ist es besonders
aussagekräftig, dass mehr als zwei Drittel der jugendlichen Teilnehmer*innen angeben, dass
sie die Auseinandersetzung mit bzw. die Aufklärung über sexuelle Vielfalt als wichtig
ansehen. Auch zu dieser Frage konnten sich die Jugendlichen individuell mitteilen, was im
Folgenden durch einen Teil der Aussagen dokumentiert wird.
Aufklärung über sexuelle Vielfalt:
 „Ja, da es leider noch zu viele intolerante Personen gibt.“
 „Ja, damit so mehr Toleranz und Verständnis gegenüber LGBT-Jugendlichen entsteht.“
 „Ja, weil einer meiner besten Freunde schwul ist und ich so aus erster Hand immer wieder
mitbekomme, dass es immer noch Thema ist und zu Komplikationen führt.“
 „Ja, weil es dann von den Jugendlichen als "normaler" wahrgenommen werden würde
und nicht mehr als unnormal und schlecht. Es wird Schüler an meiner Schule überhaupt
nicht die Chance gegeben, sich selbst zu entfalten und das finde ich schade.“
 „Ja, um die Gesellschaft in ihrer Toleranz und Gleichheit zu verbessern und jedem
Menschen die Chance zu geben, nicht wegen ihrer/seiner sexuellen Vorlieben,
Entscheidungen, Lebensweise als verwerflich betrachtet zu werden.“
 „Ja weil man so etwas respektieren sollte. Sonst dürften Frauen heut wahrscheinlich nicht
zur Schule gehen und Zwitter wären Attraktionen auf dem Jahrmarkt. Doch wir sind eine
60
fortschrittliche, moderne Gesellschaft. Ich appelliere an Gleichberechtigung. Was hat ein
Geschlecht denn zu bedeuten!?“
 „Ja. Ich finde, dies sollte aber vor allem elterlicherseits thematisiert werden.“
 „Ja, aber jeder sollte sich dennoch seine eigene Meinung über sexuelle Vielfalt bilden
können.“
 „Nein, weil ich finde, dass durch eine derartige Aufklärung noch schlimmeres Mobbing
unter Teenagern, z.B. bei Homosexualität, entsteht.“
Der Aufklärung über sexuelle Vielfalt stehen die Teilnehmer*innen größtenteils positiv
gegenüber und sie begründen diese Haltung mit Themen, die sowohl in den Interviews als
auch in dieser Umfrage bereits mehrfach angesprochen wurden. Die Schüler*innen selber
beobachten fehlende Toleranz und daraus entstehende Problem für LGBTIQ Jugendliche. Sie
argumentieren mit klaren Schlagwörtern wie Toleranz, Respekt, Gleichheit, Normalität und
einer modernen Gesellschaft für mehr Aufklärung und Thematisierung von sexueller Vielfalt.
Eine Person gibt an, dass Aufklärung wichtig ist, diese Aufgabe aber Eltern überlassen werde
sollte. Von den Teilnehmer*innen, die angegeben haben, Aufklärung für nicht wichtig zu
halten, wird von einer Person angegeben, dass Aufklärung und Thematisierung zu mehr
Mobbing gegen beispielsweise homosexuelle Menschen führt. Da zeigt, dass es bei dieser
Verneinung zur Auseinandersetzung mit der Thematik nicht um eine eigene Abwehrhaltung
geht, sondern wahrgenommen wird, dass LGBTIQ Jugendliche mintunter durch diese
Aufklärung mehr Leid erfahren, da mehr offene Thematisierung auch zu mehr offener
Gegenwehr führt. Darin zeigt sich eine in den Befragungen bisher kaum wahrgenommene
Komplexität des Themas, die hier von einem 16-jährigen Jugendlichen erkannt wird.
Abschließend hatten die Teilnehmer*innen in der Umfrage die Möglichkeit, noch einmal
ganz frei mitzuteilen, was sie insgesamt zum Thema „Sexuelle Vielfalt“ denken, was ihnen
dazu noch einfällt oder was sie darüber selber gerne wissen wollen.
 „Mich stört aufdringliches Verhalten und alle zu unnormaler Sexualität hin erziehen zu
wollen.
Rolle
der
Medien,
gute
und
richtige
Geschlechterbilder
durch
gesellschaftsschädliche zu ersetzen. Und Frechheit, nach "queer" oder anderen
Geschlechtern bezogen auf das eigene Geschlecht in dieser Umfrage zu fragen, dafür
genügt ein Blick in den Pass oder in die Hose.“
61
 „Meiner Erfahrung nach lassen Leute, die sich für die Gleichberechtigung dieser
Menschen einsetzen, gänzlich keine anderen Meinungen zu und beharren stur auf ihre
eigenen Standpunkte.“
 „Mir ist es egal wer was für ein Leben oder Lebensstil lebt. Auch wenn mir gewisse Dinge
nicht gefallen, habe ich nicht das Recht die Lebensweisen zu kritisieren.“
 „Was tun in Situationen von Homophobie/ Transphobie/ Diskriminierung?“
 „Mich stört, dass es in meiner Klasse viele Schüler gibt, die schwul als Schimpfwort
benutzen.“
 „Mich interessiert das Leben von sexuell Andersorientierten.“
 „Ich persönlich fühle mich als Mädchen auch teilweise zu Mädchen hingezogen. Allerdings
sind meine Eltern dagegen.“
 „Ich als homosexueller Schüler des 12. Jahrgangs würde mich sehr dafür einsetzen, dass
an Schulen das Thema sexuelle Vielfalt präsent ist. Im Moment ist die Situation an
Schulen sehr gemischt. Wenn es eine Möglichkeit geben könnte irgendetwas zu tun,
würde ich mich freuen.“
Bei den letzten Äußerungen und Mitteilungen wird noch einmal deutlich, dass die Meinung
und Haltung gegenüber sexueller Vielfalt bei den befragten Jugendlichen gemischt ist, wobei
auch hier exemplarisch eine vielfältige Auswahl gezeigt wird, während sich insgesamt
verhältnismäßig viele positive und/oder interessierte Kommentare in der Auswertung der
Online-Umfrage gezeigt haben.
Auch in diesen letzten Antworten kristallisieren sich wichtige Themen heraus. Zum einen
zeigt sich eine deutliche Abwehrhaltung mit der Begründung „unmoralischer“ Sexualität, die
zudem in den Kontext der Erziehung und vor allem Anerziehung gebracht wird. Dies spiegelt
ganz aktuelle Konflikte und Vorurteile wieder, die in der Gesellschaft herrschen und
verbreitet werden. Ein Thema, welches auch in den geführten Interviews sehr präsent war,
ist die Jugendsprache in der „schwul“ als Schimpfwort gebraucht wird. Dies fällt nicht nur
Sozialarbeitern sondern auch Jugendlichen selber negativ auf und wird hier entsprechend
erwähnt. Desweiteren konnten über die Umfrage auch Erfahrungen LGBTIQ Jugendlicher
aufgenommen werden und so zeigt sich auch in den abschließenden Kommentaren, dass
eben diese Jugendliche auf Aufklärung und Thematisierung angewiesen sind, da der
62
alltägliche Umgang mit sexueller Vielfalt ihr Leben sowohl zu Hause als auch im öffentlichen
Raum maßgeblich beeinflusst und aktuell noch immer einschränkt.
7.3.4 Fazit
Zusammengefasst weisen die Ergebnisse der Umfrage thematisch viele Parallelen zu den
geführten Interviews auf, wobei deutlich wird, dass ein Großteil der Jugendlichen Interesse
an dem Thema sexuelle Vielfalt hat und es viele für wichtig halten, dass darüber gesprochen
und aufgeklärt wird. Zur Umsetzung davon scheint es jedoch an Unterrichtsinhalten und
Ansprechpersonen zu fehlen, was sowohl aus der Umfrage als auch aus den Antworten der
befragten Sozialarbeiter*innen hervorgeht. Auch wenn sich ein hohes Maß an Offenheit und
Unterstützung unmittelbarer Bezugspersonen erkenn lässt, führen Vorurteile, fehlende
Akzeptanz und diskriminierende Sprache noch immer dazu, dass Jugendliche mit LGBTIQ
Hintergrund Einschränkungen und Leid erfahren. An Schulen wird dies offensichtlich kaum
bis gar nicht aufgefangen. Während die Jugendlichen zum größten Teil den Eindruck
machen, den Bedarf an Aufklärung sowie das Interesse an Informationen wahrzunehmen
und für einen modernen und offenen Umgang mit sexueller Vielfalt bereit zu sein, scheint es
sich seitens ihnen übergeordneten Instanzen und vorangegangen Generationen als schwierig
darzustellen, diese Konfrontation, Auseinandersetzung und Entwicklung an die Jugendlichen
heranzulassen. Die Vielzahl positiver Äußerungen sowie die Beispiele positiver
Entwicklungen bieten aber abschließend eine ebenso positive Aussicht für den zukünftigen
Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft.
63
8. Ergebnisse und Schlusswort
Blicken wir auf unsere Hauptforschungsfrage „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller
Vielfalt in der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit?“ zurück, lautet unsere
Antwort auf diese Frage: sehr vielfältig. Dies ist unsere Erkenntnis nach zahlreichen
Interviews und langen Diskussionen über Themen, die Gender/Queer und Diversity
betreffen. Sowohl rechtlich, als auch in diversen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit gewinnt
diese
Thematik
immer
mehr
an
Bedeutung.
Gesetze
werden
zugunsten
der
Gleichberechtigung geändert bzw. neu eingeführt, jedoch gibt es bei der Umsetzung immer
noch Lücken um Vorschriften zu umgehen. In den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit wird
eine Gender/Queer und Diversity gerechte Arbeitsweise nur wenig umgesetzt. Diese
Erkenntnis erlangten wir durch die Auswertung der Interviews. Durch den Vergleich der
Interviews stellte sich heraus, dass die Herangehensweise an die Thematik sexuelle Vielfalt
sehr unterschiedlich ist. Während die einen aktiv darüber sprechen, geben andere die
Verantwortung an die Jugendlichen ab. Es sind keine einheitlichen Verfahrensweisen
erkennbar, da jeder eine andere Meinung und somit Arbeitsweise zu dem Thema hat. Einige
Einrichtungen arbeiten mit verschiedenen Aufklärungsträgern zusammen, jedoch arbeiten
diese nur mit den Jugendlichen. Zahlreiche Fort- und Weiterbildungen zu dieser Thematik
werden von den Trägern angeboten und können besucht werden. Scheinbar finden sie
jedoch noch keine große Resonanz. Das wurde deutlich durch die Auswertung der
Interviews. Die Sozialarbeiter*innen gaben an, dass sie keine Notwendigkeit sehen, kein
Interesse haben oder einfach die notwendige Zeit fehlt. Weiterhin war in einer Einrichtung
aber erkennbar, dass durch kontinuierliche Bearbeitung des Themas auch ein positiver
Umgang erreicht werden kann.
Im Allgemeinen wird das Thema dennoch sehr tabuisiert. Dies stellte sich vor allem bei der
Suche nach Interviewpartnern*innen heraus. Es gestaltete sich als sehr schwierig
Experten*innen und Jugendliche zu finden, die bereit waren mit uns über die
Forschungsthematik zu sprechen. Daher konnten wir nur einen Jugendlichen zum Vergleich
heranziehen. Die Jugendlichen, die an unserer Online-Umfrage teilgenommen haben,
zeigten größeres Interesse, da hier keine persönlichen Gespräche erforderlich waren. Sie
äußerten hier den Wunsch, dass die Thematik einen höheren Stellenwert bekommen sollte.
Sowohl in der Schule, als auch im Freizeitbereich ist der Wunsch nach mehr Offenheit und
64
Information vorhanden.
Für die Zukunft wäre das Einbringen des Themas Gender/Queer und Diversity in die
Ausbildung und in sämtlichen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit als zentraler Bestandteil
eine wichtige Überlegung. Weiterhin sollte auf die korrekte Umsetzung der Gesetze geachtet
und Gesetzeslücken geschlossen werden, damit die Inklusion alle Menschen umfasst. Zudem
müssten Konzepte erarbeitet werden, die im Alltag der Kinder- und Jugendarbeit umsetzbar
sind, um die Thematik sexuelle Vielfalt zu enttabuisieren. Vor allem Sozialarbeiter*innen die
schon länger im Beruf tätig sind, sollten an das Thema herangeführt und ihnen sollte die
Angst vor Neuem genommen werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Erarbeitung des Sozialreportes uns viel neues Wissen
eröffnete. Die Interviews gaben Einblicke in die Alltagsarbeit und brachten erstaunliche
Fakten zutage. Insgesamt ist das Thema sehr interessant, vielseitig und themenübergreifend.
Viele Forschungslücken bleiben noch offen. So wäre die Frage nach einer geeigneten
Konzeption für sämtliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit ein interessanter
Forschungsschwerpunkt.
65
9. Quellenangaben
Literaturliste
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Subkultur. Obdachlosensiedlung Wiesbaden- Mühtal. Berlin 1977.
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Jacob, Jutta/Wollrad, Eske: Behinderung und Geschlecht. Perspektiven in Theorie und
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Köbbsel, Swantje: Gender Mainstreaming und Behinderung. Berlin 2007.
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66
Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim/Basel
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Meuser, Michael/Nagel, Ulrike: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein
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http://www.LSVD.de(letzter Zugriff: 20.6.2015)
68
10. Anhang
10.1 Fragebogen: Sozialarbeiter*innen
Gesprächsleitfragen
Alter: ____
Geschlecht:
weiblich
männlich
queer
________________
Einrichtung der Sozialen Arbeit:
…………………………………………………………………………………..
Soll Ihre Institution anonym bleiben?
Ja
Nein
Interviewte Person:
…………………………………………………………………………………………………..
Möchten Sie anonym bleiben?
Ja
Nein
Wer sind die Nutzer_innen Ihrer Einrichtung?
………………………………………………………………….
(z.B. Mädchenarbeit, Jugendsozialarbeit …)
Was ist das Handlungsfeld Ihrer Einrichtung:
…………………………………………………………………..
Offene Fragen (für Sozialarbeiter_innen)
Übergeordnete Fragestellung
Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in
Einrichtungen der Jugendsozialarbeit?
Erkenntnisinteresse
Inwiefern ist der Diskurs zu Gender/Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit
angekommen?
Teilforschungsfragen
1) Inwiefern ist es in Ihrer Einrichtung relevant, sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt
auseinanderzusetzen?
2) Inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung statt?
3) Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer
Einrichtung um?
4) Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in Ihrer Einrichtung zum Thema
sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung?
5) Inwieweit werden in Ihrer Einrichtung in der Arbeit mit den Jugendlichen
Identitätsdimensionen (Diversity-Kategorien) wie soziale Herkunft, Behinderung,
Migration, Religion usw. berücksichtigt (Intersektionalität)?
69
10.2 Fragebogen: Jugendliche
Gesprächsleitfragen
Alter: ____
Geschlecht:
weiblich
männlich
queer
_________________
Einrichtung der Sozialen Arbeit:
…………………………………………………………………………………..
Interviewte Person:
…………………………………………………………………………………………………..
Möchtest Du anonym bleiben?
Ja
Nein
Wer besucht die Einrichtung? ………………………………………………………………….
Worum geht es in der Einrichtung: …………………………………………………………………..
(bei Interviews von Jugendlichen: Einverständnis der Eltern:
(schriftlich, auf einem Extra Blatt)
Ja
Nein
Offene Fragen (für Jugendliche)
Übergeordnete Fragestellung
Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in
Einrichtungen der Jugendsozialarbeit?
Erkenntnisinteresse
Inwiefern ist der Diskurs zu Gender/Gendervielfalt in der Praxis der Sozialen Arbeit
angekommen?
Teilforschungsfragen
1) Was hast Du in der Einrichtung über sexuelle Vielfalt gehört?
2) Inwieweit wird das Thema sexuelle Vielfalt in der Einrichtung durch die
Sozialarbeiter_innen herangetragen?
3) Wie gehen die Sozialarbeiter_innen mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle
Vielfalt in der Einrichtung um?
4) Inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in der Einrichtung zum Thema
sexuelle Vielfalt für Dich oder andere Jugendliche zur Verfügung? ….
5) Inwieweit wird in der Einrichtung mit Fragen von sozialer Herkunft, Behinderung,
Migration, Religion usw. umgegangen?
70
10.3 Interviews
10.3.1 Interview mit einem_r Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub
Interview Sozialarbeiter zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in
der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“
Interviewgruppe: Niusha Khosravi, Freya Ehrhardt, Hans-Jakob Deinzer, Kai Meret Brieske
I1:
Inwiefern ist es in deiner Einrichtung von Bedeutung, sich mit dem Thema sexuelle
Vielfalt auseinanderzusetzen?
B:
Ja, seh` ich halt eher als so ne grundsätzliche Frage, ne, als so ne Grundsatzfrage,
natürlich ist es total relevant, sich äh mit sexueller Vielfalt auseinanderzusetzen, ähm
weil es einfach ein Problem unter den Jugendlichen, und Kindern und Jugendlichen,
ist, wie sie aufwachsen, je nachdem der äh Sozialisation ist es halt ähm immer mit
Vorurteilen belastet und ähm, ja. Deswegen denke ich, ist es grundsätzlich relevant,
also, auf jeden Fall.
I1:
Haben, oder du, ne? Wir waren ja beim du, habt ihr denn irgendwelche besonderen
Ideen, oder irgendwelche Maßnahmen oder so, also da du sagst, dass es relevant ist?
Ob ihr schon irgendwas in Planung habt, oder /
I2:
Oder Kapazitäten dafür?
B:
Kapazitäten haben wir keine, wir haben mal angefangen zu überlegen, also wir hatten
schon verschiedene Überlegungen, so ist es nicht, wir / es, es ist immer an der
Umsetzung gescheitert. Äh zum Beispiel mit der Aids-Beratung haben wir uns
unterhalten und die hatten / mit denen hatten wir angefangen so ne Art offenes, so
ne offene Gesprächsrunde im Café einzurichten, wo’s dann natürlich um äh
Homosexualität vor allem auch ging, oder gehen sollte, ähm, ja, man / neben dem
ganzen Bürokratiekram verlaufen sich dann so wichtige Themenfelder wie also auch
Jungenarbeit, zum Beispiel als Schwerpunktsarbeit, die wir eigentlich machen
müssten, oder wollen von unserem Anspruch her. Ähm es dann aber nicht in die
Umsetzung gerät. Das einzige was wir halt wirklich schaffen, ist n Mädchentag der
einmal die Woche stattfindet. Ähm, aber ansonsten ist es halt grundsätzlich immer so
nebenbei n Thema, also n Gesprächsthema, das heißt äh schwul, Schwuchtel,
sonstwas sind halt alles irgendwelche ähm Ausdrucksformen, die halt die Kinder
gerne benutzen, die für uns aber absolut tabu sind. Wo wir halt dann immer wieder
71
auch in diese Diskussionen reingehen, oder in die Diskussion gehen, wenn’s zum
Beispiel dann als Antwort kommt „ey, aber das ist doch eklig schwul zu sein“, dann
versuchen wir, mit denen darüber zu reden.
I2:
Und wie sind dann so die Reaktionen?
B:
Äh, über die äh /
I2:
Naja, über, dass ihr eingreift oder was sagt, also /
B:
Naja, inzwischen sind die Kinder das ziemlich gewohnt und erwarten das natürlich
auch so‘n bisschen, ähm /
I1:
Aber machen das trotzdem noch?
B:
Es ist halt einfach ne Umgangssprache, es ist halt was, was in der Schule, wo in der
Schule nirgendwo irgendwie eingegriffen wird, oder anderswo, sondern / und es ist
auch äh schwul, vor allem, also ich bin jetzt vor allem beim schwul, weil alles andere
ist noch gar nicht so richtig Thema für die, ähm, ist halt vor allem einfach eklig. So.
Das ist das, was in deren Köpfen drin ist, ähm und dementsprechend, äh ist halt wenn
wir jetzt tatsächlich in ne Diskussion auch gehen, ist das halt einfach so das
Hauptargument, was bei den Kindern ist, und das es halt irgendwie total befremdend
ist und äh unangenehm und irgendwie, ähm / Hauptargument zum Beispiel ist äh,
alle Schwule sind pädophil. Äh, das ist äh n grundsätzlich n Problem was die Kinder
mit Schwulen haben.
I2:
Äh die ein, also die haben dieses /
B:
Das ist das Bild, was die Kinder vor allem hier mitbringen.
I2:
Weißt du wo das herkommt? Also /
B:
Ähm, Ich glaube weil halt in den Medien vor allem davon berichtet wird, dass
irgendwie, äh Männer sich an Jungen vergreifen. Und deswegen wird das halt
irgendwie gleichgesetzt. Ähm das es aber grundsätzlich n, also einfach n Unterschied
ist also wird halt so nicht wahrgenommen, das, ich glaube auch, dass es halt in den
Familien sehr stark bestärkt wird. Und da würd‘ ich halt, grundsätzlich auch, auch vor
allem, irgendwie gar nicht mal irgendwie was auch viel natürlich kommt, irgendwie es
ist äh, „hat was mit religiöser Zugehörigkeit zu tun“, würd ich gar nicht mal so
behaupten, sondern es hat halt wirklich sehr stark mit irgendwie dem soziolo/ also
sozialen Hintergrund eher zu tun. Ähm, wachs‘ ich halt in ner kulturell gebildeten
Familie auf oder in ner eher, ja sozial benachteiligten, also da hängt ja alles mit
72
ökonomischen Möglichkeiten und so weiter auch zusammen.
I2:
Also grundsätzlich von Seiten der Jugendlichen gibt es schon stärkere Vorurteile.
B:
Ja klar. Also durchaus. Ähm, ja. (4:31)
I1:
Okay, also die zweite Frage, inwieweit findet eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt
in deiner Einrichtung statt?
I2:
Das ist jetzt ein bisschen doppelt.
B:
Es ist, wird alles immer doppelt, also ich halt mich relativ ungerne halt, konkret an
Fragen.
I2:
Ist schon okay, so soll‘s ja auch sein.
B:
Ähm, naja zum einen natürlich indem, dass wir, indem wir es halt einfach
thematisieren. Ähm es geht, also wir thematisieren es auf verschiedenen Ebenen.
Natürlich einmal direkt im Gespräch, wenn die Kinder halt schwul, Schwuchtel
sonstwas benutzen. Dann geht’s aber auch bei der Art und Weise, oder der
Möglichkeit irgendwie Musik auszuwählen, die Kinder können hier ja über YouTube
irgendwie selber sich äh aussuchen, welche Musik grade läuft. Und da gibt’s aber
klare Regeln. Also es darf halt nicht ähm homophob sein, es darf nicht sexistisch sein,
jetzt im, bezogen auf die Frage der sexuellen Vielfalt zum Beispiel. Ähm das sind dann
halt unsere Regeln und wir diskutieren auch mit den Kindern darüber und oder mit
den Kindern und Jugendlichen, ähm inwiefern das Lied denn jetzt wirklich äh
diskriminierend ist. Ähm, ja.
I1:
Wie reagieren die Jugendlichen beziehungsweise die Kinder darauf?
B:
Ähm zunehmend besser. Würd ich sagen.
I1:
Besser?
B:
Äh zunehmend, äh also am Anfang war es natürlich total schwierig, äh das zu
thematisieren. Ähm und da haben wir richtig hasserfallte, äh-füllte Diskussionen
irgendwie von den Kindern und oder Jugendlichen aus gehabt, äh die halt einfach das
überhaupt nicht verstehen konnten, wie wir irgendwie Homosexualität in Schutz
nehmen. Ähm inzwischen ist es so, also dass halt dann doch irgendwie sich
Jugendliche anfangen zu trauen einzulenken und sagen „ey hier“, äh mein, ne wie
hieß das, „mein Onkel ist ne Tante“ oder so was, war der beste Spruch. Ähm dass sie
halt tatsächlich offener anfangen damit auch umzugehen, also zumindest diejenigen,
73
die halt nen offeneren Umgang mit äh sexueller Vielfalt haben, ähm, trauen sich jetzt
auch das so zu sagen. Was halt am Anfang einfach nicht möglich war unter den
Jugendlichen. Ähm und dass halt, tatsächlich auch n bisschen offener diskutiert wird
inwiefern äh das / jetzt wird eben nicht drüber diskutiert „darf ich das Lied hören
oder nicht“, oder ist das richtig was se sagen, sondern, ähm die Diskussion geht eher
darum, inwiefern der Text diskriminierend ist oder nicht. Das heißt der Schwerpunkt
der Diskussion hat sich so‘n bisschen verlagert. Ähm, was eben vor allem diese
Diskussion um Unterhaltung / und äh es hat halt vier Jahre gedauert.
I2:
Vier Jahre?
B:
Naja seit vier Jahren sind wir als Team hier aktiv und vorher glaub ich nicht, dass es in
der Form so stattgefunden hat. Also so konsequent. Ähm, ja. (7:31)
I1:
So dann, die dritte Frage: Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle
Vielfalt in Ihrer Einrichtung um?
B:
Ähm, es ist halt / wir haben n relativ klares Vorgehen, also es kommt halt n bisschen
genau auf die Ebene an. Ähm wenn es halt äh bei diesem, bei der, bei den
Ausdrücken bleibt, also, diskutieren wir einmal, beim zweiten Mal sagen / erinnern
wir sie an die Regel, beim dritten Mal gibt’s dann auch Hausverbot. Das heißt für uns
ist, äh wir sind n diskriminiero diskriminierungsfreies Haus, ne diskriminier
I1&2: Ja, doch.
B:
Äh, das ist halt, schreiben wir uns ganz stark auf die Fahne, bei uns ist jeder
willkommen, egal, ähm äh also bleiben wir bei sexueller Vielfalt, jeder ist
willkommen. Ähm und äh wenn jemand diskriminiert wird, dann ist halt das, in erster
Linie der Schutzraum für den, die, dis, für die diskriminierte Person. Das heißt ähm,
derjenige der diskriminiert, muss gehen. Ähm da ist, da gehen wir relativ offen mit
um.
Es ist tatsächlich relativ wenig so, dass halt Kinder und Jugendliche, die sich nicht an
eben an diese Rollenbilder Mädchen Junge halten, hierher kommen. Ähm oder
zumindest wenn sie hierher kommen, sich in diesen Rollen eben bewegen. Das heißt,
äh das queer-Verhalten und oder queere Jugendliche haben wir relativ wenig hier,
ähm, was glaub ich schon auch einfach grundsätzlich mit dem Grundklima unter
Jugendlichen, und Kindern und Jugendlichen eben zu tun hat. Also da, man geht halt
74
nicht in ne offene Jugendeinrichtung, wenn ich weiß, ähm wie, also weil einfach klar
ist, dass irgendwie Diskriminierung schneller stattfindet. Oder auch wenn wir uns als
Team halt da anders verhalten, aber uns hängt, lastet halt einfach dieses Standartbild
von Jugendzentren an, was wir glaub ich nie loswerden. Weil wir den Namen einfach
tragen. Jugendzentrum.
I2:
Aber wenn du jetzt sagst, also queere Jugendliche gibt es relativ wenig, heißt das,
dass es schon, gibt welche, hier. Oder gab, oder /
B:
Ja, die halt glaub ich tatsächlich nicht ganz so offen damit umgehen, ich will auch
keinen irgendwie in die Situation bringen, hier also n Beispiel aus denen machen und
sagen, „guck mal äh, das Kind ist aber schwul, hast du was gegen den? Wusstest du
das oder /“ Ha, nee das mach ich nicht, natürlich nicht. Das wäre / ähm Aber äh, es
gibt halt wirklich relativ wenige, die halt aber auch nicht zu den Stammbesuchen –
suchern gehören. Ähm. Joa. (10:29)
I1:
So dann zu der letzten Frage, ach ne vorletzte: Inwieweit stehen direkte
Ansprechpartner/Ansprechpartnerinnen in ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle
Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung?
B:
Mh, also wir haben halt nicht so, sowas wie n Awareness-Team, ähm was / Man muss
halt uns als Einrichtung sehen, wo wir halt als äh die drei hauptsächlichen Erzieher
Sozialarbeiter und äh Leitung ähm alle drei sehr sensibilisiert sind äh zu dem Thema,
weil wir einfach aus ner, ja Organisationsstruktur kommen, die sich sehr stark mit
Gender und äh Mädchen-Jungenarbeit, äh sexueller Vielfalt auseinandergesetzt hat
und auseinander setzt und das halt als Thema macht. Ähm also eben, ich red grad
von der Verbandsarbeit, also von dem Träger, äh, wo das halt einfach viel
selbstverständlicher ist und viel klarer ist, auch bei den Teilnehmenden auf Fahrten
und so weiter, dass man da anders miteinander umgeht, ähm aber das sind halt alles
Kinder, die halt regelmäßig äh mitfahren und dadurch auch äh nem Team
gegenübertreten, was sich auch n bisschen anders verhält. Und was einfach nicht
ganz gesellschaftskonform ist und damit äh da halt n Umgang, n größere, n
toleranterer Umgang vorhanden ist. Was man halt von den Jugendlichen hier nicht
sagen kann, die kommen halt hier aus dem Kiez, es ist ne offene Einrichtung, ähm die
sind wirklich anders sozialisiert allein dadurch, dass sie halt vor Allem in die
75
Einrichtung kommen und nicht irgendwie an Workshops, Seminaren und so weiter
teilnehmen wo es halt zum Beispiel genau darum geht. Ähm, aber das Team selber
kommt halt genau daher und dadurch sehen wir uns eigentlich alle drei als
Hauptansprechpartner/-partnerinnen für die Thematik bei den Kids. Ähm, wobei es
aus dem Zusammenhang von der offenen Arbeit glaub ich noch nicht irgendwie das
Thema gab, was äh, wo es halt wirklich mehr um Beratungsbedarf ging von den
Kindern. Zu sagen, hier, äh also wo’s halt wirklich um ja persönlichen
Beratungsbedarf gab es gab halt gibt halt immer wieder diese Thematik, irgendwie,
wie ist es denn, also was äh, also grade schwul und / schwul zu sein ist das
Hauptthema glaub ich bei den Kids. Ähm aber so persönlichen Beratungsbedarf
hatten wir bisher hier im Haus noch nicht.
I1:
Okay.
I2:
Meinst du, wenn es Bedarf gäbe, würden die euch ansprechen?
B:
Ich denk schon. Also den Eindruck hab ich schon, dass wir ganz klar die, genau da
auch n Schutzraum vermitteln. Ähm, ist zumindest unser Anspruch, ich hoffe, dass
wir das tun und die Kinder das auch so sehen, ähm, ja. (13:39)
I1:
Ähm, besondere Projekte? Habt ihr da irgendwie irgendwas geplant oder mal in
Erwägung gezogen?
B:
Naja, ich hab halt die zwei Bereiche genannt, also einmal ganz konkrete Jungenarbeit,
wo halt irgendwie auch äh, es nochmal glaub ich, na nicht, am Anfang auf jeden Fall
nicht, aber irgendwann wenn man dann n bisschen länger Jungenarbeit macht,
irgendwie mit den Jungs dann auch einfacher wird, über, ähm, offener über sexuelle
Vielfalt zu reden, wo man da, man das auch anders thematisieren kann, ähm das ist
halt ein Projekt, was uns / oder noch offen steht, was wir umsetzen müssen. Wir
haben zwar schon ganz viele Materialien, und auch alle schon Jungenarbeit gemacht,
aber die Zeit hier im Haus nicht. Ähm und äh, ja wie gesagt, die, das Projekt mit
einfach so‘nem offeneren Gesprächsrunde mit der Aids-Beratung, ähm/
I2:
Das gab‘s schon?
B:
Das gab‘s leider nicht, das gab‘s als Idee, aber / Und naja was wir halt relativ viel
machen, also da tatsächlich, ne, ist halt, sind bei uns die Mädchen im Vorteil, weil wir
halt Mädchenübernachtungen machen, wo dann eben auch äh Beziehung, Liebe und
so weiter auch das Thema sein, sind. Immer. Grade bei den Mädchen, natürlich auch
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mit nem bisschen anderen Schwerpunkt, wo’s halt eher auch um äh
Selbstbewusstsein, seine eigene Rolle reflektieren irgendwie in Beziehungen geht.
Ähm, aber eben natürlich auch das auf äh, immer der Bezug zu sexueller Vielfalt da
ist. Das ist klar.
I2:
Das ist dann besagter Mädchentag, oder/
B:
An dem Mädchentag ist das weniger so, da geht’s eher um, einfach den, das Cafe für
die, nur für Mädchen auf zu haben. Das heißt, dass sie diesen Raum bekommen, den
sonst äh der sonst von Jungs dominiert wird.
I2:
Einfach, weil mehr Jungs hier sind?
B:
Genau. Was n Grundproblem in der Jugendarbeit ist. Ähm und äh bei den
Mädchenübernachtungen ist dann schon immer so’n bisschen n Workshopkonzept
mit dabei und äh n etwas off/ klar offener Gesprächsrahmen. Da kann ich jetzt nicht
so krass
viel zu sagen, weil ich natürlich nicht die Mädchenübernachtungen
mitmache.
I2:
Wie oft ist das?
B:
Äh ein, zwei Mal Im Jahr.
I1:
Achso ich dachte jetzt vielleicht alle zwei, drei Monate
B:
Nee es wäre schön, aber dazu braucht man Personal, das äh die, das so oft machen
kann.
I2:
Wird das dann richtig geplant? Im Voraus lange, oder/
B:
Joa. Genau. Wobei es, äh wir den Vorteil haben, dass wir hier wirklich auch quasi die
Bücherei und das Büro von den Falken hier haben, da hinter euch zum Beispiel, da
diese ganzen Workshopmaterialien haben, das heißt es ist relativ einfach, sich da so’n
Genderworkshop mal rauszunehmen. Und dann den äh durchzuführen. Das heißt, die
Materialien sind ja relativ alle hier. Jo. (16:35)
I1:
So, zu der letzten Frage, ähm inwieweit werden in ihrer Einrichtung in der Arbeit mit
Jugendlichen Identitätsdimensionen in Diversity-Kategorien wie soziale Herkunft,
Behinderungen, Migration, Religion und so weiter berücksichtigt?
B:
Naja spannend wird’s ja dann letztlich, naja tatsächlich was hier, was du nicht
vorgelesen hast, die Intersektionalität. Mh. Wir versuchen schon so irgendwie, also
haben halt verschiedene Kooperationspartner als Jugendzentrum. Ähm angefangen
77
mit äh den, äh direkt in unserer Umgebung liegenden Jugend-
äh
Flüchtlingswohnsheim, wobei das was am nächsten ist, grade keine Kinder und
Jugendlichen in dem Alter unserer Zielgruppe haben, die sind alle entweder unter
sechs, oder über 25, die da sind. Ähm, macht‘s halt auch mit dauerhafter Arbeit bei
denen schwierig, weil’s halt so’ne Erstaufnahmestelle ist, die sind maximal drei
Monate da und dann wieder weg. Ähm, wo halt eher welche herkommen, ist halt n
bisschen weiter weg, das Jugendzentrum, aber die kommen jetzt doch regelmäßiger.
Ähm. Das heißt, da gucken wir, dass wir halt äh Jugendliche mit flüchtlings- oder
Fluchthintergrund haben, beziehungsweise nicht Hintergrund, sondern grade
konkrete Fluchterfahrungen. Ähm interessant ist da zum Beispiel, dass es nur Jungs
sind, die hier fest von denen kommen. Äh, wobei wir grade gehört haben, dass die
Mädcheneinrichtung im Kiez die Mädchen über n Projekt geschafft hat abzufangen,
was n bisschen gemein ist. Ähm, aber gut, dass die n Ort haben, wo sie hin gehen, so
is‘ nich‘.
Ähm und, was wir zum Beispiel auch, also machen, das zweite Projekt, wo’s äh um ne
konkrete Benachteiligung oder ne Kooperation mit ner Einrichtung mit äh
Jugendlichen
mit
Benachteiligungen
ähm
arbeiten,
ist
halt
der
Bereich
Behinderungen. Wir arbeiten mit ‘nem Förderzentrum zusammen, die kommen zwei
Mal die Woche mit Pädagogen hierher und wir versuchen halt also grad so’n eigenes
Projekt der Inklusion in der offenen Arbeit umzusetzen. Wo’s ja eigentlich keine
Vorbilder, keine Materialien oder, äh, also das geht auch gar nicht, dass man da
irgendwelche Pläne hat oder sowas, wie sowas funktionieren soll. Ähm. Aber da
geht’s halt ganz viel um die gemeinsame Reflektion des Teams dann. Zu überlegen,
was sind unsere Schritte, wo schreiten wir ein, wo setzen wir Grenzen, wo ähm
nehmen wir dann doch Kinder mit Benachteiligung grade aus dem Raum raus, grade
wenn’s so voll ist, ist es äh manchmal einfach zu viel. Manchmal einfach total
anstrengend. Also wo sind halt eben die Grenzen von Inklusion. Ähm und joa äh das
sind dann /also Intersektionalität in der Form ist halt bei uns natürlich dann n Thema,
wenn wir / dass wir natürlich mit allen über die sel / auch äh über dieselben
Benachteiligungen und Benachteiligungsmuster reden und keinen Unterschied
machen, wenn, sagen wir da wird jemand diskriminiert weil’s n Mädchen ist, oder /
weil auch äh Kinder mit Behinderungen benutzen mal schwul oder Schwuchtel und
78
dann geh’n wir da auch genauso drauf ein oder reden über die Musik. Warum dürfen
sie Bushido nicht hören zum Beispiel. Das ist äh / Und dann diskutieren wir halt auch
mit denen dadrüber. Also, oder mit allen, das ist halt natürlich äh für uns n festes,
eigentlich fester Bestandteil der Arbeit, so eben antidiskriminierende Arbeit. Ähm
joa.
I2:
Und bei diesem Projekt, die kommen dann einfach hierher, mit ihren Sozialarbeitern
und machen /
B:
Machen das was die jetzt auch grade machen. Also wir haben halt, versuchen schon
auch n paar Projekte zu machen, die halt äh alle die da sind interessieren könnten,
was halt bei uns grundsätzlich schwierig ist, weil, was die meisten interessiert ist, im
Cafe rumzuhängen. Anstatt irgendwie n Musikprojekt zu machen oder sich auf
irgendwas festzulegen. Das geht halt nicht. Das macht halt allen weniger Spaß
interessanter Weise. Obwohl das, da haben sie aber ne Gemeinsamkeit, was ok ist.
Dass sie alle lieber irgendwie Billard spielen oder irgendwie im Cafe rumhängen oder
malen und äh am Rechner sitzen und sich gemeinsam darüber streiten, welche Musik
als nächstes gehört wird. (21:06)
I2:
Ja, sehr interessant, spannend, danke für das Interview. Gibt’s von deiner Seite noch
irgendwas was du gerne erzählen wolltest, oder /
B:
Nee ich find’s so’n bisschen spannend eigentlich äh tatsächlich zu hören, wie es in
anderen Einrichtungen ist, aber ihr macht / wie viel Einrichtungen interviewt ihr?
I2:
Äh ich glaub vier oder fünf?
I1:
Ja.
I2:
Und du bist in der Tat der erste, der interviewt wird, deswegen können wir leider /
aber Frey kann ja dann davon berichten.
B:
Ja, ne weil das find ich wirklich total spannend, also für uns ist es halt so’n
Grundthema. So wo wir halt nicht äh, noch nie drüber gestritten haben, was äh wir
da äh nicht irgendwie n Schwerpunkt auch unserer Erziehungsarbeit legen. Ähm also
es ist halt quasi n Konsens. Und /Aber ich hab halt wirklich den Eindruck, dass äh, das
nicht in allen Einrichtungen so ist. Ich bin, hab jetzt nicht so wirklich in anderen
Jugendzentren außer hier gearbeitet, komme eigentlich aus der Kita- und
Kinderladen- äh Sektion. Ähm aber es liegt glaub ich einfach daran, dass irgendwie
79
nicht alle so’n emanzipierten Kinder-und Jugendverband irgendwie im Rücken haben.
Und äh grade so die Sozialarbeit, natürlich, es wird immer sensibler und es gibt halt
irgendwie diese Regionaltreffen, aber / Also was irgendwie meine Kolle/ oder unsere
Kollegin uns immer erzählt von den, der Mädchen AG aus’m Kiez, das ist halt echt
schockierend so’n bisschen. Dass halt da n tota / absolutes Verständnis von
moderner oder von dem ja von äh heutiger eigentlich fast schon selbstverständlicher
ähm Arbeit zu, im Bereich Gender ist. Geht. Das ist halt echt Wahnsinn. Also wir
haben halt zum Beispiel dieses Haus übernommen, wie gesagt vor vier Jahren. Das
erste was wir gemacht haben, ist den Mädchenraum aufgelöst, äh aufzulösen. Und
ähm, einfach um so’n Beispiel zu nennen wie halt Mädchenarbeit glaub ich so auf
Bezirksebene so aussieht. Ähm wir haben halt erst mal die ganzen Nähmaschinen in
den Bastelraum geräumt, wir haben äh so äh, irgendwelche Barbiepuppen auch
weggeschmissen. Ähm es war halt nur klischeehaft. Es war absolut schockierend
einfach zu sehen, wie halt hier Mädchenarbeit im Haus stattgefunden hat. Ähm auf
ner Ebene die halt eigentlich eher hundert Jahre alt ist. Ähm, deswegen find ich’s halt
total spannend, eigentlich was ihr da so raus /
I2:
Also da kann ich nur zu sagen, wir erstellen einen Sozialreport am Ende unserer
Werkstatt und der wird auch allen Einrichtungen zugestellt. Also ihr könnt dann
unsere Forschungsergebnisse lesen.
B:
Richtig als Forschung, ja? Wünsch ich euch viel Erfolg dabei.
I1&2: Dankeschön
80
10.3.2 Interview mit einem_r Sozialarbeiter*in eines Aufklärungsträgers
Interview Sozialarbeiter zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in
der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“
Interviewgruppe: Anne Mense, Christian Höldtke, Jason Omer, Laura Marina Ederer, Melina
Strohe
A: Inwiefern ist es in ihrer Einrichtung relevant sich mit dem Thema sexuelle Vielfalt
auseinanderzusetzen?
D: Das ist ein großes Kernstück der Arbeit und die äh äh…Es ist eigentlich die ganze
Hauptarbeit äh, weil alles um das Thema sexuelle Vielfalt sich dreht ähm das ist die
Hauptarbeit. Das ist eigentlich auch der ganze Kernpunkt der ganzen Arbeit in der in in
Gesellschaftsgruppen vor Ort, also im Berliner Raum, aufzuklären und halt Bewusstsein zu
schaffen äh, das ist halt mehr als die vorherrschende Binärität der Geschlechterwelt. Das
heißt, dass es halt mehr gibt als also…um es mal richtig zum Ausdruck zu bringen ähm noch
mehr zu zeigen, als diese vorherrschende Heteronormativität. Das ist auch genauso wie äh
das es auch äh Schwule und Lesben gibt, genauso wie auch Bisexuelle oder auch ähm wenn
man die Geschlechtsidentitäten sich anschaut, dass es äh intergeschlechtliche, queere
Menschen, genauso wie auch transgeschlechtliche Menschen gibt, die äh überwiegend in
dieser Heteronormativität ausgegrenzt oder ähm nicht akzeptiert werden oder halt
akzeptiert, scheinbar akzeptiert, aber nicht wirklich lebendig ähm anerkannt werden. Von
daher ist es ein, also ist die Kernarbeit, auch der Sinn der ganzen Organisation äh, dort
Aufklärungsarbeit zu bieten, um letztlich weniger Diskriminierung zu zulassen oder halt
sichtbar zu machen, Diskriminierung sichtbarer zu machen. Das ist alles im geschlechtlichen
Kontext äh die ganze Arbeit. Es dreht sich immer im Kontext des Geschlechts. Das ist halt der
Fokus ähm, um wirklich die Kernkernarbeit ist eigentlich die Transgeschlechtlichkeit, die
diese Thematik äh das es ähm ja neben dieser äh äh neben Bi- und Homosexualitäten auch
Transgeschlechtlichkeiten gibt und diese mehr fokussiert wird, dass die, dass diese
Minderheit auch ähm zum Ausdruck, ein Ausdruck finden kann und halt da auch ein
Netzwerk geschaffen werden kann und dass Menschen sich austauschen können und auch
gleichermaßen ganz egal welcher Herkunft, soziale Herkunft, oder auch kulturelle Herkunft
oder auch welche Hautfarbe du hast, oder welche Sexualität oder oder oder. Also diese
81
ganzen Diversitätskategorien, dass diese ähm weniger, also dass es da zusammen, also dass
es einfach ganz egal ist, woher oder wie du bist, sondern du bist einfach du und das ist
einfach äh du sollst auch machen dürfen, wenn du kannst und das ist aber leider nicht immer
so und dafür setzt sich halt die Arbeit dieser Organisation ein darüber aufzuklären, dass es
halt mehr gibt als äh Richtig und Falsch.
A: So, zweite Frage. Da bist du ja schon so ein bisschen darauf eingegangen. Inwieweit findet
eine Sensibilisierung für sexuelle Vielfalt in Ihrer Einrichtung statt?
D: Naja so, dass ist halt, also ich bin selber in einem Aufklärungsprojekt äh involviert und
aktiv. Es gibt verschiedene andere Projekte. Und ich bin in diesem A-Projekt,
Aufklärungsprojekt, die wo ähm äh Volontäre, also freiwillig Freiwillige Menschen ihre
Freizeit opfern, nicht opfern äh aufbringen, Entschuldigung (Gelächter) äh um äh in Schulen
äh Berliner Schulen ähm Aufklärungsarbeit zu leisten und Workshops geben. Meistens so
neunzig Minuten, oder auch zweimal ne Doppelstunde oder je nachdem wie halt das in der
Schule Stundenplan organisiert ist, aber meistens sind’s neunzig Minuten Workshops, wo
alles Mögliche über sexuelle Vielfalt gesprochen wird, wo halt die Geschlechtsidentitäten
und die sexuellen Identitäten zum Ausdruck gebracht werden und gezeigt werden, genauso
wie auch ähm Coming-Out Geschichten den Schüler_innen erklärt werden und äh erzählt
wird, wie das eigene Empfinden und die eigene Erfahrung ist, also ganz viel Biografiearbeit
und gleichermaßen ein äh Peer-to-Peer Ansatz, also Peer-to-Peer (ausladende Geste) ähm
dieser Ansatz. Das ist halt, um da halt die Stereotypen aufzubrechen in den Schulklassen
selbst halt, also okay so sehen ja gar nicht alle Lesben aus oder so verhalten sich ja nicht alle
Schwule oder so sehe ja gar nicht immer die transgeschlechtlichen Menschen aus und und
und, wo halt auch da die Schüler_innen auch immer Möglichkeiten bekommen anonym
Fragen zu stellen und dann diese auch oder auch Kommentare loswerden können, die sie
dann äh anonym in die Runde stellen können ohne, dass jemand weiß, woher die Frage
kommt. Und dann wird darüber gesprochen und denn gibt eigentlich immer ganz viele ähm
„aha“ Effekte und Erlebnisse, natürlich auch Feedbacks. Und dann gibt es noch ein weiteres
Projekt, also es gibt noch viele weitere Projekte ähm…Das eine ist das ähm Teach-Out, da
werden direkte, da werden direkt die äh Pädagog_innen ähm weiterqualifiziert, ausgebildet,
nicht ausgebildet, sondern Zusatzwissen ähm gegeben, wo halt auch Workshops gegeben
82
werden für die Pödagog_innen und Lehrkräfte, die ähh sich ähm ne also das A-Projekt
beschäftigt sich mit Kindern und Jugendlichen direkt und das äh andere ist halt die
pädagogische Schiene, wo halt die Menschen die halt Kinder begleiten und betreuen, dass
die halt natürlich auch den gleichen äh das gleiche Wissen oder Zugänge bekommen. Und
dass da halt auch das gleiche thematisiert wird und dann auch gleichermaßen, wie
methodisch das auch angewendet werden kann, um das halt ähm zum Ausdruck bringen zu
können, ohne dass es äh da Beklemmungen gibt, oder Schwierigkeiten ja das ist da äh oder
wie sie auch bestimmte mit Umgängen mit Vorfällen, wenn zum Beispiel ein Lehrer äh
schwul ist und da halt irgendwelche homophoben Vorfälle gibt oder irgendwelche
Beschuldigungen, dass man da auch äh also intervenieren kann, oder halt auch das muss ja
nicht mal ne Lehrkraft sein, sondern einfach ein Schüler oder Schülerin, die homosexuell ist,
dass da ähm das man da auch machen kann, also dass man halt diese Homophobie oder
auch Transphobie und und und, dass man das äh wie man damit umgehen kann, oder da
ähm wie auch da präventiv auch arbeiten kann. Das ist halt ein ganzes Stück Präventivarbeit,
aber überwiegend ist es wirklich überwiegend halt dieses Bewusstmachen darüber, dass es
halt mehr gibt als heterosexuelle Menschen, die ausschließlich sys-geschlechtlich sind, also
halt. Sys-geschlechtlich ist, ja…
A: Erklär mal.
D: Cisgeschlechtlich bedeutet, wenn das biologische Geschlecht mit dem ähm sozialisierten
Geschlecht übereinstimmt, im dem Sinne. Und das ist halt, das ist da äh keine äh, was heißt
keine, wenn das einfach übereinstimmt. Und transgeschlechtlich, wäre ja denn, wenn zu
Beispiel das biologische Geschlecht äh da würd ich halt nicht sagen nicht nicht sagen,
sondern da hab ich eigentlich mal eine andere Formulierung, die drückt das eigentlich mehr
aus, bloß…ein blöder Moment mit so nem Mikrofon an der Backe, nein äh. Wenn das äh
biologische Geschlecht ähm…och scheiße, jetzt ist mir die Formulierung, ich erzähl das
immer den Kindern und Jugendlichen. Cisgeschlechtlich ist, wenn das biologische Geschlecht
mit dem sozialisierten Geschlecht einhergeht und äh transgeschlechtlich, wenn es äh… oh
Gott, jetzt hab ich, es ist ein ganz witziges Wort, was aber eine ganz große Bedeutung hat, so
dass es eben nicht übereinstimmt, weil Nichtübereinstimmung wäre ja schon wieder äh
wieder eine Wertung von eine Tendenz von Falsch, also ist einfach anders. Und anders kann
83
man natürlich auch positiv bewerten, aber mir kommt..ich… ja jetzt ist es gerade mal weg
A: Vielleicht fällt es dir später ein.
D: Genau. Vielleicht hoffentlich später. Genau, diese zwei Projektarbeiten. Und dann, gibt es
auch noch äh ein weiteres großes Projekt, das ist das ähm in Kombination oder auch in
Verbindung mit ner anderen äh Trägerschaft, also AB-queer e.V. und KomBi, Kommunikation
und (..)
Also es gibt auch noch Queerformat, das gibt es auch noch und das ist halt ähm auch vom
Berliner Senat auch vor wenigen Jahren gefördert worden, 2007 war das nämlich, ähm das
ist halt wo Berlin einsetzt oder ein tritt für eine sexuelle für eine sexuelle Vielfalt, in Berlin (..)
och scheiße…da bin ich nicht so involviert, aber das ist ein ganz großes und wichtiges Projekt
auch und das ist halt auch in Kombination, also in Zusammenarbeit mit einer anderen
Trägerschaft, wo auch halt dieses Projekt eingegliedert ist ja, wo es halt auch äh also wo es
auch…ich würde auch sagen, dass ist schon ein Stückweit auch politische Arbeit auch, und
wo halt auch Trägerschaften sich dann halt auch informieren können, wo sie halt auch, also
auch Materialen bekommen können und zur Verfügung gestellt bekommen können und
wenn sie halt Workshops geben und und und. Das da äh ja die Zugänge irgendwie geschaffen
sind und das wird halt auch vom Berliner Senat halt auch gefördert. Wie zum Beispiel auch
die anderen Projekte. Aber natürlich nicht nur, sondern das ist natürlich auch son
Eigenmittel, wo man auch selber aufbringen, damit man halt irgendwie auch sein äh seine
Arbeit machen kann.
A: Also die dritte Frage ist vielleicht ein bisschen schwierig für deine Einrichtung. Also die
dritte Frage ist: Wie gehen Sie mit Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in Ihrer
Einrichtung um.
D: Buuuhuu, das ist aber, das ist aber, das ist halt auch eine sehr wichtige Frage. Weil das ist
halt auch äh zum Beispiel wir haben einmal die Woche im A-Projekt, da wo ich halt involviert
bin, haben wir auch immer Plenum. Tauschen uns aus und erzählen halt was wir auch in den
Schulklassen gemacht haben, wie es war, was es für Probleme gab, was es für
Besonderheiten gab, wie es so auch einfach gelaufen ist. Wie die Stimmung war, wie
84
Methoden ähm ob die Methoden, also halt ähm ähm das was man sich vorgenommen hat,
ob das alles auch funktioniert hat oder auch nicht und wie auch einfach ne Veranstaltung
gelaufen ist. Und ähm dementsprechend ähm ist halt da der Anspruch, dass das halt ein
diskriminierungsfreier Raum eigentlich sein soll. Das ist aber irgendwie unmöglich zu
schaffen, scheinbar. Es kann…wir sind uns darüber bewusst, dass es einfach ein äh dass es
Diskriminierung stets und ständig halt passiert. Nur ist halt auch die Frage damit umzugehen
und halt äh das auch anzusprechen oder sichtbar zu machen. Und da ist das ähm wieder die
Herausforderung das zu ähm also es wird immer wieder thematisiert, also was verstehen wir
auch zum Beispiel, das ist in letzter Zeit ganz großes Thema, also seit nem halben Jahr oder
dreiviertel Jahr ist es jetzt schon das Thema. Was bedeutet äh was ist Asexualität? Da gibt’s
halt auch unterschiedliche Meinungen, also gibt’s halt große Kontroversen und da wir dann
ähm müssen wir uns halt im Team auch verständigen. Was verstehen wir darunter? Was
bringen wir halt in den Schulveranstaltungen rüber? Wie erklären wir etwas? Wie zum
Beispiel auch transgeschlechtlich oder was auch cisgeschlechtlich ist, also wie das zum
Ausdruck gebracht wird. Oder auch Travestiekunst äh und und und, also wie was man wie
man das oder was ist jetzt FAM oder auch was ist unter Feminismus zu verstehen. Queer,
queer ist ja auch noch so’n puhhhh was heißt denn das… Und da kommt man natürlich im
Dialog und da passiert es auch, dass da ähm das man sich da auch irgendwie verständigen
muss wie man oder wie miteinander umgegangen werden soll, weil ähm da auch immer
wieder auch äh also mir passiert das auch zum Beispiel mal wieder. Ich merk das halt auch,
also ich denke mal, dass das aufgrund meiner Sozialisation, dass ich halt auch äh Menschen,
also die auch zum Beispiel auch bei uns, es gibt bei uns auch ganz viel transgeschlechtliche
Menschen (.) und da äh passiert es auch immer wieder, dass ich halt diese Person halt nicht
immer richtig anspreche mit dem Pronomen, weil ich dann einfach, das ist einfach
Gewohnheit auch. Und das ist aber auch blöd für die Person gegenüber. Und es tut mir auch
immer wahnsinnig leid. Also wenn das so Art hock passiert, also wenn ich so hier dö dö,
dann ist das immer so, na na sorry, das ist leider falsch, weil ich bin, ich definiere mich
anders, ja scheiße. Und das ist halt auch so ein bewusst machen. Also das ist schon ein
großes Thema. Also für mich ist das auf jeden Fall ein großes Thema, und worüber halt auch
in der Gruppe auch immer wieder äh gesprochen wird, oder sich halt verständigt wird. Auch
gleichermaßen mit Diskriminierung, natürlich passiert das auch in den Schulveranstaltungen
selbst auch, passiert auch ganz schön viel Diskriminierung zum Teil auch, weil (..) es gibt halt
85
auch Schulklassen, die sind äh richtig fit. Die haben echt Ahnung. Würde ich mal so sagen.
Und es gibt halt auch Schulklassen, die sind da ist n bisschen homophober, transphober
Umstand oder Sachen. Und das ist irgendwie so ja das ist dann, das ist halt die Frage, wie
kann das angesprochen werden. Wie kann damit umgegangen werden? Und wie kann man
auch zum Beispiel auch reagieren darauf, wenn zum Beispiel also ein guten Beispiel was ich
immer habe ist: „Ey, ist ja voll schwul“. Wenn das von irgend’n Jugendlichen kommt. „Ey, ist
ja voll schwul“. Auch in der Veranstaltung. So: „Woooow“ und dann sprech ich das an und
dann so „Woooooow, das ist mir noch nie aufgefallen oder weniger aufgefallen, weil das ist
ja so voll normal das Wort zu benutzen“. Genauso wie auch ähh „Das ist ja voll behindert“
Und das ist halt noch so’n anderes Beispiel, wo wo wo bei „schwul“ sind sie sich ganz schnell
einig drüber so „Oh, das ist ja doch nich so cool“, aber bei „behindert“ so da dauert es
manchmal doch‘n bisschen länger das irgdendwie oder halt so um verständlich zu machen,
also halt auch wenn man gerade die Disability oder ähm diese ähm diese Kategorie
anspricht, dass es da weniger das ist irgendwie, dass der Bezug dorthin herzustellen weniger
leichter ist als, wenn man sagt das ist voll, also wenn man „voll schwul“ sagt, dass es
irgendwie voll scheiße ist. Also das halt schwul als negativer Ausdruck genommen wird. (.) Ja,
ansonsten, oder halt auch das ist auch ‘ne Frage, die halt auch die Kinder und Jugendlichen,
also meistens die Jugendlichen denn auch haben, ob wir also wenn sie halt wissen ähm weil
sie kriegen erst im Laufe der Veranstaltung meistens mit, dass äh die die Workshops geben,
dass die äh trans oder äh äh transgeschlechtlich oder äh also…ich will ja nicht sagen
homosexuell, das sind wir ja auch nicht nur, also halt die auch sexuell…Wenn sie erst im
Laufe der Schulveranstaltung oder des Workshops kriegen sie mit, dass halt die Menschen,
die da vorne den Workshop geben, die Workshops werden immer zu zweit gegeben, dann
kriegen sie erst mit, dass da sie halt nicht unbedingt heterosexuell sind und auch nicht
sysgschlechtlich äh gleichermaßen äh dass da „OH“ großes Staunen immer wieder doch so
aufploppt. So so „OH, hätt man ja gar nicht gedacht“. Äh, genauso auch die…woah ich wollte
jetzt noch was erzählen ähm ja ist weg.
A: Okay, ist nicht schlimm. (.) Vierte Frage wäre, inwieweit…
D: Ist oder Wäre?
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A: ...ist, ja aber ich glaube du hast sie mir ja schon so an sich schon beantwortet. Inwieweit
stehen direkte Ansprechpartner_innen in Ihrer Einrichtung zum Thema sexuelle Vielfalt bei
Jugendlichen zur Verfügung. Ihr seid ja eigentlich generell Ansprechpartner, alle, ihr alle.
D: Mhhm, definitiv. Also halt auch Ansprechpersonen für Trägerschaften oder halt also auch
für Schulen zum Beispiel also, wenn sie halt irgendwelche Fragen haben, also auch
Nachfragen von Lehrkräften, dass sie da auch sich jederzeit, ja das sie halt auch bei
Rückfragen natürlich herzlich willkommen sind und das sie auch so weitestgehend auch
möglich auch beantwortet werden. Äh, und dementsprechend, das ist halt ‘ne Anlaufstelle,
wo halt, das ist einfach so, dass das die Kernarbeit ist, das ist wirklich die Kernarbeit.
A: Okay, gut. Haben wir die Fragen also beantwortet. Und dann noch…
D: Aber das ist, Entschuldigung, aber das wäre eher das sichtbar machen, also das ein ähhm
also was war…
A: Na inwieweit stehen direkte Ansprechpartner_innen in Ihrer Einrichtung zum Thema
sexuelle Vielfalt bei Jugendlichen zur Verfügung?
D: Ja, okay.
A: Okay, jetzt kommen wir zur letzten Frage. Inwieweit werden in Ihrer Einrichtung äh in der
Arbeit mit den Jugendlichen Identitätsdemensionen – kannst du damit was anfangen? – wie
soziale Herkunft, Behinderung, Migration, Religion und so weiter berücksichtigt?
D: Ja, das ist der Anspruch der Intersektionalität und das ist halt das ist äh. Das ist halt
wirklich ähm. Also der Anspruch, dass es auf jeden Fall intersektional sein soll und auch ist
und es wird eigentlich auch praktiziert, dieser intersektionale Anspruch. Nur, also mir fällt es
dann auch mal wieder so auf und muss ich mich auch wieder zurück besinnen, dass das halt
so die Kernarbeit ist, ist halt, sind äh LGBTIQ ähm Angelegenheiten, die äh behandelt
werden, aber das es da natürlich zu Überschneidungen, zu zigtausend Überschneidungen in
anderen Bereichen kommen, ist absolut klar und das ist wirklich auch so, das merk ich halt
auch in der Teamarbeit auch immer mal wieder, dass ähm, das man auch viel zu oder das wir
auch immer ähm das ist halt so diese Komplexität, dass wir uns diesen super gerne stellen
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und wirklich auch annehmen, bloß das ist halt weniger also für Außenstehende, das wären
halt in dem Fall die Jugendlichen, sag ich jetzt mal. Das ähm, die Rückkopplung, diese
Rückkopplung nicht vergessen, also das diese Rückkopplung für uns ist selbstverständlich, im
Weg eindeutig, aber für die Jugendlichen ist es ja dann weniger verständlich, wenn es halt
so, was hat das jetzt zu tun, ob jetzt äh ähm ne Person äh homosexuell ist und äh vielleicht
auch noch eine Disability hat, also eine Einschränkung, körperliche Einschränkung. Und auch
noch das Geschlecht ne Frage ist, ob das jetzt äh ein cisgeschlechtlich oder
transgeschlechtlich, also wenn man das jetzt auch nur bei Mann und Frau betrachtet, ob
jetzt die Person äh männlich oder weiblich ist oder sich als Mann oder Frau versteht, so
würde es eher zutreffen. Das ähm das man da halt die Unterdrückungsmechanismen, also
wie man das halt denn zum Ausdruck bringt und was das eine mit dem anderen zu tun hat
und wie komplex das Ganze ist. Das ist eher die hohe Kunst das halt zum Ausdruck zu
bringen und so. Und das es auch immer noch auch verständlich ist für….Man darf auch nicht
vergessen, es sind Workshops von neunzig Minuten, meistens neunzig Minuten, manchmal
sind es auch hundertzwanzig, manchmal auch weniger als hundertzwanzig, aber in der Regel
neunzig Minuten. Ähm. In der Teamarbeit und im Verein selbst ist das ein absolut hoher
großer großer Anspruch. Das halt natürlich zu berücksichtigen und das halt auch und das halt
auch diese Intersektionalität äh schon unendlich ist. Also die Diversitäten. (..) Und halt auch
dementsprechend die Diskriminierungsformen dann auch. Ja.
A: Okay. Vielen Dank.
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10.3.3 Interview mit einer_m Sozialarbeiter*in in einem Jugendclub
Interview Sozialarbeiter zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in
der Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“
Interviewgruppe: Bianka Koch, Carolin Wiggert, Anika Gerlach, Yves Hromada
I: Also wir haben uns in unserer ähm oder ja in unserer Gruppe, in unserer Werkstatt, die ja
Gender, Queer, Diversity heißt, haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie sich der
Umgang mit sexueller Vielfalt in jugendsozialarbeiterischen Einrichtungen, also wie der da
ist, der Umgang. Und da wollten wir jetze als Erstes einmal wissen, inwiefern es überhaupt
hier in dieser Einrichtung das Thema sexuelle Vielfalt, wie relevant das ist, also hat das
überhaupt einen hohen Stellenwert?
S: Mmh, also kann ich sagen bei uns eigentlich so gut wie gar nicht. Also ähm aus der
persönlichen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen eher so gut wie gar nicht. Wenn denn,
so ne Geschichten in der Öffentlichkeit, irgendwie was äh, wenn ich da an Conchita Wurst
denke oder so ne? Also dass denn das Thema aufgegriffen wird und drüber geredet wird,
aber nicht so aus dem persönlichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen.
I: Ja.
S: Da ist das Thema eigentlich so gut wie gar nicht relevant.
I: Also kann man auch sagen, dass jetzt hier direkt so sexuelle Vielfalt auch gar nicht so
wichtig ist, also dass
S: Ne, es wird nicht so thematisiert.
I: Ja.
S Ne? Ja.
I: Okey und inwiefern oder inwieweit ist denn eine Sensibilisierung da, also erklärst du den
Kindern zum Thema was?
S: Genau. Genau, also wenn irgendwelche Bemerkungen kommen ne, was weiß ich, wenn
abfällig über andere sexuelle Einstellungen gesprochen wird oder so oder irgendwelche
Meinungen kundgetan werden, dann gehe ich da drauf ein, red mit denen drüber und
versuch sie dahingehend zu sensibilisieren und, also dass wir ähm eigentlich alle, die hier
ehrenamtlich oder ich dann hier arbeite, dass wir da sehr offen ähm über das Thema reden
und nicht ähm so verschämt weggucken oder so bei den Kindern, denn es ist nun mal
sechste Klasse, das ist für die alles ganz spannend. Und ähm wir hatten auch einen Jungen
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da, wo wir als Erwachsene sagen, ha mal gucken, wann er sich outet. So ne? Also wo
Anzeichen da sind, dass er eventuell homosexuell ist, äh wie man das so vielleicht mal sieht,
aber ähm wir haben es nicht thematisiert, haben aber gesagt: okey, wenn er zu uns kommt,
dann gerne, aber wir haben ihn jetzt nicht drauf angesprochen ne? Und die Kinder sind ganz
toll, also ihnen ist, also sie haben schon geäußert, dass er halt anders ist, so nachdem Motto:
naja, er äh macht halt bei uns Mädchen mit, der ist dann auch sehr kreativ gewesen und hat
mit beim Upcycling Projekt da Müllmode mit designed und so weiter. Er war als einziger
Junge bei dem in dem Projekt und ähm es war dann so klar, ja er ist immer eher bei den
Mädels mit bei und es wurde aber auch so akzeptiert, und äh so als ganz natürlich und
selbstverständlich genommen, also es wurde nie irgendwie äh irgendwelche spitzen
Bemerkungen gab es nicht oder so, ansonsten hätten wir das auf jeden Fall thematisiert.
I: Mmh
S: Aber dadurch, dass das so als ja, es ist halt er, Namen sage ich ja jetzt nicht, es ist halt er
und er ist so wie er ist und so macht er hier bei den Sachen mit, die ihm Spaß machen und er
wird so akzeptiert wie er ist. Deshalb wurde es nie so als Thema genommen ne, weil da kann
man ja auch viel ansprechen, was er vielleicht noch gar nicht möchte oder was ihm vielleicht
selber noch gar nicht so bewusst sein will. Ähm und ähm aber dadurch, dass das halt alles
ein sehr offener und natürlicher Umgang damit war, war das nicht so das Thema für uns.
I: Da hör ich jetzt auch raus, dass so mit diesen bestimmten Rollen, dass das gar nicht so hier
ist, also wenn auch Kochangebote sind, dann
S: Das machen sowohl Mädchen als auch Jungs mit, ähm wir haben hier auch einmal im
Monat ne Wellnessoase, wo halt äh ne Stunde Kinderjoga gemacht wird und ne Stunde
irgendwie was Schönes, wie wir haben Handpeeling hergestellt und dann eine Handmaske
gemacht und nächstes Mal so ja mit Obst verkosten mit geschlossenen Augen und dann
Obstsalat nachher machen und das ist auch für alle offen. Wir hatten äh beim ersten Mal
noch ein Parallelangebot: fitte Barkeeper_Innen und da konnten sie sich selber aussuchen,
bei was sie mitmachen. Also Lena zum Beispiel hat bei den Barkeeper_Innen mitgemacht
und die anderen Mädels haben alle bei der Wellnessoase mitgemacht, aber es hat auch
einer der Jungs bei der Wellnessoase mitgemacht und die andren Jungs bei den Barkeepern.
Also es war ähm, ist halt so nach Interesse und nicht nach Geschlechtern eingeteilt.
I: Da würde auch nie einer was sagen denn, wenn da jetzt ein Junge irgendwie oder ganz
viele Jungs auf einmal bei der Wellnessoase mitmachen?
90
S: Ach ne, also das ist
I: Sehr offen
S: Ja, ja.
I: Ist ja gut denn ja. Und wie gehen Sie oder wie gehen, wie gehst du mit Diskriminierungen
um, wenn wirklich jetzt mal der Fall auftreten würde oder vielleicht auch schon ist, wie bist
du da umgegangen, wenn dann irgendwie in Richtung sexueller Vielfalt diskriminiert wurde?
S: Na, auf jeden Fall das Thema offen ansprechen und äh informieren auch ne? Weil
meistens ist es ja dass die Kinder entweder Meinungen übernehmen, die sie von Zuhause
irgendwie gehört haben oder dass sie halt äh nicht genau bescheid wissen, was ist das
eigentlich, und da ist, find ich, immer das Wichtigste: Information. Dass wir sagen: okey, wir
gucken, wir googeln jetzt mal und äh informieren uns, oder das, was ich weiß und ähm
einfach so offen ansprechen und ähm und einfach nicht übergehen. Also auch wenns nur
irgendwelche Sachen im Nebensatz sind, also das übergehe ich nicht, sondern das wird dann
offen angesprochen. Und das verbitte ich denn auch, also dass die sich, äh hat man ja dann
doch manchmal, also dass Jungs sich gegenseitig beschimpfen mit, was weiß ich, äh du
schwule Sau oder irgendwie so was ne? Und das geht gar nicht. So nach dem Motto,
manchmal wissen sie gar nicht, die Kleineren, was das eigentlich bedeutet und so weiter und
denn ja, denn wird drüber gesprochen und erstmal gesagt so: Denkt euch mal, wenn ihr
euch beschimpfen wollt, denkt euch mal andere Schimpfwörter aus, wie was weiß ich: du äh,
weiß ich nicht, äh du blöde Leberwurst und irgendwie was, was aber nicht so, bestimmte
Richtungen diffamiert.
I: Ja. Okey. Und dann schätz ich mal mit direkte Ansprechpartner, weil hier steht noch: in wie
weit stehen direkte Ansprechpartner in ihrer Einrichtung zur Verfügung, wenn du alleine hier
arbeitest.
S: Ja.
I: Oder wenn hier Praktikanten da sind, wirst sicherlich du das sein
S: Ja. Ja, genau.
I: Aber jetzt direkt drauf geschult wirst du jetzt nicht sein?
S: Ne.
I: Wie ich jetzt rausgehört hab.
S: Ne. Direkt geschult nicht. Also ähm, das ist mir ja freigestellt, was für Fortbildungen ich
mache und ähm gibt’s ja SFBB zum Beispiel, die machen ja ganz viele Fortbildungen in den
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verschiedensten Richtungen, die man besuchen kann, aber da das jetzt nicht so ein
vordergründiges Thema bei uns ist, habe ich mich da jetzt noch nicht weiter gekümmert.
I: Oder jetzt mal direkt geschaut mal nach so nen Angeboten hast du jetzt nicht?
S: Ne, ne.
I: Okey. Oder hast du es vielleicht mal vor? Weil das ja wirklich jetze ich finde zum Beispiel,
dass das heutzutage oder jetze grade so diese Thematik ja im Kommen ist, weil es wirklich so
viele Richtungen jetzt gibt, das ist ja wirklich unwahrscheinlich was es da jetzt alles gibt für
Richtungen an sexueller Vielfalt und aber hast du jetzt nicht so
S: Na wär schon auf jeden Fall ne Fortbildung mal Wert, um sich da mal zu informieren.
I: Aber ich denke mal, dass das hier ja denn doch so dörflicher ist es jetzt hier auch bestimmt
so gar nicht so Thema oder?
S: Ähm einerseits Nein, einerseits ist es nicht Thema, aber andererseits wieder ähm sind die
dann, haben die dann so ein Informationsdefizit und dafür ist es dann wieder notwendig.
I: Ja.
S: Bescheid zu wissen
I: Ja.
S: Ja, also das ist so zweigeteilt so.
I: Ja. Okey, denn also hier ist noch: Inwieweit werden in Ihrer Einrichtungen in der Arbeit mit
den Jugendlichen Identitätsdimensionen wie soziale Herkunft, Behinderung, Migration,
Religion und so weiter berücksichtigt? Also ist es so, dass irgendeiner hier ist, der irgendwie
behindert ist oder eine andere Religion hat oder so, dass der irgendwie diskriminiert wird
oder werden die alle offen aufgenommen?
S: Ja
I: und einbezogen?
S: Also wir sind halt offen für Alle und Jeden und da wird auch nicht nachgefragt, ob jemand
was hat, natürlich bei sag ich mal, bei Behinderungen da will ich das als Fachkraft schon
wissen vorher, also wir haben eine Jugendfahrt gemacht und da wurde mir vorher gesagt,
dass ähm der Teilnehmer Asperger hat, ne? Aber das wusste von den Jugendlichen keiner
und das war so toll, der ist so aus sich rausgegangen, das hätte man nie gedacht und die
Eltern haben auch gesagt „Der ist aber ganz anders gewesen“. Die waren ja mal zu Besuch da
die Eltern und sagt sie“ Das haben wir jetzt gar nicht vermutet, wenn man ihn jetzt so sieht“
ne? Also ist schon gut, wenn wir das wissen als Fachkraft, dass wir denn drauf eingehen
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können und wissen, warum zieht er sich jetzt zurück, warum ist er jetzt ruhiger und will mit
den Anderen nichts zutun haben oder so, aber da wird nicht irgendwie von vornherein da
irgendwie was aufgebaut oder jemand ausgeschlossen oder so.
I: Ja. Das hört sich ja toll an ja.
S: Natürlich im Rahmen der Möglichkeiten ne?
I: Ja.
S: Also als einzige Kraft, also wenn jetzt sag ich jetzt mal die Räumlichkeiten, also für
körperliche Behinderung, nur wenn wir mal an einen Rollstuhlfahrer denken. Das wäre jetzt
hier nicht möglich ne? Was jetzt natürlich auch schade ist, aber das ist natürlich ein
Ausschlusskriterium denn schon mal, aber ansonsten sind wir offen für alles.
I: Sehr gut. Ja. Gibt es sonst noch etwas, was du zu dem Thema äußern möchtest? Oder was
dir jetzt noch so spontan einfällt?
S: Ich find das toll, dass das ein Thema ist bei euch an der Fachhochschule und dass da so
großer Wert drauf gelegt wird, aber ansonsten kann ich da eigentlich nicht weiter. Also ich
weiß, dass ähm viele ja, also dass von Ministeriums Seite aus und so weiter, da ganz viele
Umfragen auch gemacht worden sind unter Fachkräften, also dass da auch eine
Arbeitsgruppe gibt, die Genderthematik behandelt in der Jugendarbeit und so weiter und äh
ich krieg da auch immer ganz viel zugeschickt. Willst du da nicht mitarbeiten? Und äh wo ich
dann aber auch, das ist ein ganz wichtiges Thema, aber wie bei allen Sachen: die Zeit, um
sich damit auch intensiv im theoretischen Bereich auseinanderzusetzen, das geht dann
immer ein bischen unter, weil die praktische Arbeit dann halt immer den größten Teil
einnimmt.
I: ist ja auch wichtig.
S: Ja, aber trotzdem ist es halt wichtig und ich denke mal, dass das halt noch nicht bei vielen
Fachkräften so angekommne ist, also da ist dann doch so: also wir machen jetzt das
Tischkickerturnier für die Jungs und die Mädchen haben ihre Nähangebote oder so ne? Also
allein jetzt von der Gender Problematik her, ich denke das ist auch noch unterschiedlich.
Kommt halt immer auf die Menschen drauf an. Und da denke ich, wären solche
Fortbildungen schon wichtig, also dass man das nicht selber entscheidet, sondern vielleicht
äh ja, vom Arbeitgeber her gesagt wird: So, innerhalb der nächsten zwei Jahre machst du da
mal bitte wenigstens eine eintägige Veranstaltung dazu.
I: Das man informiert ist.
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S: Genau
I: Okey. Gut. Habt ihr vielleicht noch irgendwas, was ihr nachfragen wollt? Wissen wollt?
Gut, dann vielen Dank.
S: Bitteschön
I: Sehr informativ
S: Na klar. Ja ich denke, dass auch ähm entscheidend dafür ist, ob Junge oder Mädchen die
Einrichtung besuchen, äh welches Geschlecht die dort die tätigen Fachkräfte haben. Dass das
auch eine große Rolle spielt ähm und da finde ich harkt es auch auch immer noch ein
bisschen an unserem Jugendhilfesystem. Dass halt, die stellen halt so gering finanziert sind,
dass das und auch ähm deshalb nicht attraktiv für viele ist und ähm und dass es immer noch
wenig stellen gibt. Das hier zum Beispiel ist ja auch nur eine Stelle und dass es schon wichtig
wäre zwei Stellen zu haben, wo jeweils eine von einem Mann und eine von einer Frau
besetzt ist. Dass halt für alle äh Interessen und alle Geschlechter auch Ansprechpartner da
sind. Und weil gerade in der Pubertät denk ich mal, da ist es für die Jungs auch wichtig oder
in jedem Alter, da auch noch
Rollenvorbilder zu haben, die halt über eine Person
hinausgehen. Je mehr, umso besser.
I: Mmh, und wie ist es denn bei Praktikanten?
S: Da freu ich mich, wenn da Männer kommen. Also ich hab jetzt grad eine Praktikantin und
ähm dann hatte sich aber danach noch ein junger Mann gemeldet, wo ich dann sage: Ja. Und
wenn ihr denn zu zweit seit, ist egal, ich bin froh, dass dann ein Praktikant da ist und äh die
können sich dann beide gut ergänzen und ähm das passt dann schon ganz gut. Ich hatte auch
eine zeitlang einen Praktikanten, der an der Berufsakademie studiert hat. Das heißt, er war
drei Monate äh im Studium und drei Monate immer hier. Und das drei Jahre lang und das ist
natürlich toll. Also der hatte ein gutes Verhältnis zu den Jugendlichen aufbauen können und
da hat man auch gemerkt, da wurden dann immer mehr Jungs, die dann kamen. Weil sie es
einfach toll fanden, ne? und der hat dann auch mal eine spezielle Jungsnacht gemacht,
während ich gleichzeitig eine Mädchennacht gemacht habe. Da hatten wir das schon nach
Geschlechtern getrennt, weil es dann auch mal wichtig war, dann einfach auch Themen zu
behandeln, die dann geschlechtsspezifisch sind.
I: ja
S: Und das passte dann auch, der ist dann halt mit denen dann halt nachts nochmal auf den
Fußballplatz heimlich. So irgendwie nachts um 2. und so. Die Mädels haben denn hier
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zusammengesessen und dann hier in den Schlafsäcken und haben noch Geschichten erzählt.
Das war denn schon so dieses geschlechterdifferenzierte. Aber da hat man halt gesehen,
dass das einfach gebraucht wird, dass halt da eine andere Ansprechperson da ist. Jetzt auch,
meistens unabhängig vom Geschlecht, das da einfach nur eine andere Sichtweise, dass man
sich aussuchen kann, zu wem hab ich eher ein Draht, mit wem kann ich eher leben
I: Ja, das mit dem Ansprechpartner ist schwieriger. Hier ist nicht viel Auswahl
S: Genau. Dann müssen sie zu mir kommen.
I: Ja.
S: Ob sie wollen oder nicht. Oder sie kommen halt nicht ne?
I: Aber sie dürfen bestimmt auch zu den Praktikanten gehen Oder?
S: Natürlich. Na klar. Ja können sie ja auch gehen. Natürlich
I: Mmh okey
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10.3.4 Interview mit einer_m Jugendlichen in einem Jugendclub
Interview zum Thema „Wie gestaltet sich der Umgang mit sexueller Vielfalt in der
Gesellschaft in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit“
Interviewgruppe: Bianka Koch, Carolin Wiggert, Anika Gerlach, Yves Hromada
I: Ja, hallo, mein Name ist Carolin. Willst du, dass wir uns oder wollen Sie, dass wir uns
duzen?
J: Ja, sehr gerne.
I: Okey. Gut, also wir kommen ja von der Werkstatt Gender, Queer, Diversity von der FH
Potsdam und beschäftigen uns in unserer Werkstatt mit dem Umgang mit sexueller Vielfalt
in jugendarbeiterischen Einrichtungen. Und da wollen wir jetze dir ein paar Fragen zu stellen,
wie das hier in dieser Einrichtung so abläuft. Als erstes einmal, was hast du in der Einrichtung
über sexuelle Vielfalt gehört?
J: Das ist eigentlich ganz vielfältig. Also ähm in den Nachmittagsangeboten da ist das glaub
ich allgemein so, da spricht man einfach darüber. Also da ist wenn das Thema aufkommt,
dann kann man darüber reden und ähm ich bin ja jetzt vermehrt auch wegen meines Alters
schon so z.B. im Jugendparlament ähm und da ist man mit gleichaltrigen und älteren
Menschen zusammen und da kommt dann das Thema auch einfach mal auf. Auch weil es
z.B. politisch interessant ist oder weil es Probleme gibt in dem Bereich allgemein und da
bespricht man denn so was einfach.
I: Okey. Dann ähm inwieweit wird das Thema sexuelle Vielfalt in der Einrichtung durch die
Sozialarbeiterinnen herangetragen?
J: Also zum einen haben wir hier im Flur so ne schöne Stellwand, da gibts verschiedenste
Hefter, auch zum Thema sexuelle Identität, wie geht man damit um ähm, wie fühlen sich
Menschen, wie kann man sich fühlen, eigentlich ist das auch von den Sozialarbeitern, also
von der Sozialarbeiterin hier, von der Frau Köstel, wird das eigentlich sehr offen gehandhabt.
Also ähm man merkt ihr an bzw. sie zeigt es auch deutlich, dass sie kein Problem hat mit
sexueller Vielfalt, dass sie das wirklich toleriert, dass sie das ähm unterstützt und dass sie,
wenn man, ich vermute mal, dass wenn man da selbst seine Identität erst finden müsste
und da Fragen hat, kann man sich da bestimmt an sie wenden.
I: Also spricht sie auch sehr offen darüber?
J: Ja. Ja definitiv.
I: Okey. Dann wie gehen die Sozialarbeiterinnen, oder Frau Köstel kann ich ja jetzt sagen, mit
Diskriminierung in Bezug auf sexuelle Vielfalt in deiner Einrichtung um? Also wenn halt der
Fall auftritt, dass jemand gehänselt wird.
J: Also ähm Diskriminierung wird hier natürlich offen thematisiert. Also wenn was passieren
würde, dann würde man, denk ich, offen damit umgehen. Also meines Wissens nach ist der
Fall bisher nicht aufgetreten, dass man jemanden wegen seines Verhaltens, wegen seiner
sexuellen Neigung diskriminiert hat, aber wenn das geschehen würde, dann denk ich, dass
besonders auch Frau Köstel einen sehr offenen Umgang damit haben würde, also dass man
mit dem Betroffenen sprechen würde, dass man wahrscheinlich in Einzelgespräche gehen
würde, und fragen würde warum, was ist denn das Problem? Wieso hast du was dagegen?
Dass man vielleicht die beiden Konfliktpartner, die Beiden die sich da sozusagen ein bisschen
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äh ja gegenüberstehen, dass man die in ein Gespräch nimmt und dass man dann, also wenn
so was auftritt, dass man so was auch mit den Leuten allgemein bespricht, die hier in den
Club gehen. Dass die Kinder auch allgemein einen Eindruck davon haben: Es ist in Ordnung
und jeder kann so sein wie er möchte. Wenn Diskriminierungsfälle hier auftreten würden,
dann würde man, denk ich, sehr offen damit umgehen und versuchen, es zu ändern.
I: Damit derjenige dann wieder gern herkommt.
J: Genau. Auf jeden Fall.
I: Gut. Denn inwieweit stehen direkte Ansprechpartner in der Einrichtung zum Thema
sexuelle Vielfalt für dich oder andere Jugendliche zur Verfügung?
J: Also wie gesagt Frau Köstel ist ja eine sehr sehr offene Person und man kann eigentlich mit
ihr über alles reden. Also wenn man zu ihr gehen möchte, sie ist ja immer hier und ähm
während den Nachmittagsangeboten kann man ja hierher kommen und Hausaufgaben
machen oder sich mit Freunden treffen, aber wenn man dann mal mit ihr alleine reden
möchte, dann kann man einfach zu ihr ins Büro gehen und mit ihr sprechen uns sie redet
dann mit einem über die Probleme, die man hat und das funktioniert sehr gut meines
Wissens nach.
I: Gibts hier denn auch Praktikanten in der Einrichtung, dass man denn vielleicht auch mal
einen Praktikanten hätte.
J: Es gibt auch Praktikanten in regelmäßig bis unregelmäßigen Abständen. Also es gibt auch
immer noch andere Leute, mit denen man reden kann. Allgemein sind auch die Kinder, die
hierher kommen, glaube ich, sehr offen.
I: Mmh.
J: Man kann auch untereinander immer über so was reden.
I: Das ist ja schön. Ja. Und was ist wenn, also, oder anders gefragt, soziale Herkunft,
Behinderung, Migration und Religion sind ja auch immer so Themen bei Jugendlichen und
Kindern. Wie wird hier damit umgegangen? Also ist das ein Problem bei euch?
J: Also meines Wissens nach nicht. Wir hatten schon mehrere Veranstaltungsabende,
besonders auch z.B. im Rahmen der Gesundheitswoche, die hier stattfindet. Ähm haben wir
verschiedene Filmabende und Infoabende z.B. gemacht, bei denen sehr offen über das
Thema Behinderung geredet wurde. Also da hatten wir z.B. ähm eine Filmvorführung mit
einem Film über einen Jungen mit Downsyndrom. Da war dann auch eine Familie hier, die
auch wirklich einen Sohn mit Downsyndrom hatte, mit denen konnten wir dann wirklich in
einen offenen Dialog treten. Konnten mit denen sprechen und da erfährt man noch mal
deutlich direkter, womit diese Leute so konfrontiert sind, was ihre Probleme sind und warum
das eigentlich auch gar nicht so schlimm ist und warum die trotzdem glücklich sind.
I: Ja und dass das letztendlich eigentlich normale Menschen sind:
J: Ja natürlich. Auf jeden Fall. Also dass das natürlich Menschen sind, die irgendwo ein
bisschen anders sind, aber dass man trotzdem ganz normal mit ihnen umgehen kann und
dass das auch ganz normale Leute sind.
I: Ja
J: Nur eben ein bisschen anders und das sollte einem nichts ausmachen.
I: Da hör ich jetzt raus, dass alle, die hier herkommen erstmal so aufgenommen werden wie
sie sind.
J: Ja, ja. Also auch wenns jetzt hier weniger so ist, du hast es gerade angesprochen Religion,
Ausländer. Ich glaube, so sehr spielt das hier gar keine Rolle. Also ähm, da wird gar nicht
unterschieden. Da wird nicht gefragt bist du Christ, bist du Muslim, bist du Jude. Das
interessiert keinen. Das mag auch daran liegen, dass die Kinder natürlich auch noch in einem
Alter sind, wo das noch deutlich weniger interessiert. Aber auch wenn jemand zu uns ins
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Jugendparlament kommen würde ähm wäre das Letzte, was uns einfallen würde, glaube ich,
die Frage: Bist du aus Deutschland oder welcher Religion gehörst du an? Das interessiert
nicht. Da interessiert denn eben eher, welche polititsche Gesinnung trägst du mit dir? Was
ist das, was du gerne erreichen möchtest? Weshalb möchtest du hier mitmachen? Also da
sind denn wirklich die Aspekte der Jugendarbeit im Fokus.
I: Mmh. Hast du sonst noch irgendetwas, was du zu dem Thema sagen möchtest, was dir
spontan einfällt?
J: Es ist schwierig, also ich ähm ich hab hier im Club z.B. noch nie diese Problematik mit der
Gendersprache gehabt. Also ich finde, das ist immer noch so ein kompliziertes Feld, bei dem
man immer noch nicht so genau weiß: Ok, wie nennt man jetzt was? Oder z.B. wie
Toilettenschilder in der Zukunft aussehen? Soll es überhaupt noch welche geben? Also das
sind so Problematiken, die z.B. interessant sind, die mir aber noch nicht so untergekommen
sind. Ich weiß nicht, das hängt vermutlich auch mit der Zielgruppe des Jugendclubs
zusammen.
I: Mmh
J: Also ähm das ist immer ein bisschen schwierig, weil man nicht so genau weiß: Okey, äh wie
soll man jetzt jemanden ansprechen, wenn er eben anderer sexueller Gesinnung ist? Das ist
so ein Aspekt, über den ich persönlich noch nicht so viel weiß.
I: Wie man mit dem
J: Also nicht wie man mit dem umgeht
I: Ja.
J: Sondern wie man z.B. diese verschiedenen Formen nennt. Also ich hab auf eurem Zettel
vorhin z.B. Queer gelesen bzw. als ich mir das schon mal im Voraus angeguckt habe und da
habe ich erstmal überlegt: Queer, was bedeutet das? Habe im Internet nachgeforscht, hab
noch mal geguckt und bin dann auf ganz ganz viele verschiedene Begriffe gestoßen, ähm wie
man eben die sexuelle Orientierung eben auch bezeichnen kann, also diese Gendersprache.
Oder wie z.B. Geschlechtsformen aus der deutschen Sprache rausgenommen werden,
genderneutral sozusagen oder wie, das fand ich ganz lustig, dass an der HumboldtUniversität die Professoren teilweise noch als Professorinnen angesprochen werden, egal ob
sie jetzt männlich oder weiblich sind, einfach weil die Gendergruppe der Universität sehr frei
und kreativ arbeitet. Das ist ganz lustig. Ich sehe manchmal nicht ganz den Sinn dahinter,
also ich versteh das schon. Wäre es im Deutschen so gewesen, dass vor Hunderten Jahren
einfach das zweite Geschlecht nicht gebildet worden wäre, dann gäbe es diese Problematik
nicht. Also jetze ist es ja wirklich so, dass männlich, weiblich mit dieser Sprachform verknüpft
ist und das bildet eben so ein bisschen Probleme in der aktuellen Sprache, also besonders im
Deutschen. Dass eben Leute sagen: Frau Professor, warum das Professor? Professor ist doch
männlich! Und aber eigentlich hat dieses männlich und weiblich hat in der Sprache
überhaupt nichts zutun mit männlichen Personen und weiblichen Personen und das irritiert
mich manchmal ein bisschen
I: Ja, schon sehr schwierig. Da hatten wir uns ja auch schon drüber unterhalten in der
Werkstatt. Ja.
J: Das ist immer so ein kompliziertes Feld, aber ich denke, da kann man mit umgehen und ich
glaube auch, dass Jana da mal eine Veranstaltung zu geplant hatte.
I: Das ist ja bestimmt sehr interessant denn.
J: Ja.
I: Okey, dann bedanken wir uns.
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10.3.4 Online-Umfrage
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Impressum
©Fachhochschule Potsdam/ Fachbereich Sozialwesen
Studiengang: Bachelor Soziale Arbeit
Friedrich-Ebert-Straße 4. 14467 Potsdam
Potsdam, 23.06.2015
Der Sozialreport ist ein Ergebnis aus der Werkstatt zum Thema: Gender/Queer und Diversity
Wise 2014/15 und SoSe 2015
Projektleitung
Gudrun Perko (Professorin für Gender und Diversity an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich
Sozialwesen); Leah Carola Czollek (Leiterin des Instituts Social Justice und Diversity; Lehrbeauftragte an der
Fachhochschule Potsdam)
Tutor: Dominico Janz
Studierende der Werkstatt: Farah Abdullayeva, Amir Reza Arastoo, Jennifer Becker, Kai Meret Brieske, Laura
Marina Ederer, Freya Ehrhardt, Anika Juliane Gerlach, Zenna Gürgen, Christian Höldtke, Niusha Khosravi
Koochaksarai, Bianka Koch, Anne Mense, Jason Omer, Anastassiya Shilova, Melina Strohe, Carolin Wiggert
Lay Out: Anne Mense, Kai Meret Brieske
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