Name: Annika Weber Einsatzstelle: Act for Change (Accra, Ghana) Datum: 4.11.15 Places to go, people to meet, banku to eat Erster Zwischenbericht von Naa Ayeley/Annika Weber - geschrieben bei Stromausfall-Kerzenstimmungwährend ich Plantain-Chips esse und halbherzig nach den Moskitos schlage "You'll love Ghana. You'll love it too much." (Mein Sitznachbar Michael im KLM-Flugzeug von Amsterdam nach Accra. 11. August 2015.) "Welcome to Africa!" – das krieg ich blofonyo (weißer Mensch) hier bei allen möglichen Anlässen zu hören. Manchmal witzig-ironisch, wenn irgendwas schiefgeht, manchmal mit strahlenden Augen und genauso gemeint, wie es dasteht, als kursiv gedrucktes Versprechen von Freundlichkeit und vielleicht auch einem neuen Zuhause 5000 Kilometer weg von Daheim. Mein Lieblingsmoment war aber bis jetzt: Ich komme nachts bei Stromausfall nach Hause und falle in den Strassengraben ("guttor"). Als die Familie, mit der ich mir den Hof und auch sonst vieles teile, mein Bein sieht, beschließen sie, Tomaten auf der Wunde zu verreiben und kontern mein Geschrei, weil das so wehtut, lakonisch mit “Welcome to Africa!” Well. Man muss eben ein bisschen aufpassen, wo man im Dunkeln hintritt, egal auf welchem Kontinent - aber dieser Halbsatz bedeutet für mich eigentlich doch ein bisschen mehr: Accra ist gut zu mir. Ich hab Glück hier - vor allem das tägliche Glück, viele interessante, wunderbare Menschen zu treffen und mich mit ihnen ausauschen zu dürfen - über Gott und die Welt bzw. Kunst und Unterschiede, die eigentlich oft doch keine sind. (Und die Gender-Debatte und Vegetarismus und amerikanische Serien. Also eigentlich alles wie zuhause hier.) Und vom ersten Tag an, als ich müde aus dem Flughafengebäude in die feuchte Wärme gestolpert und großartig vom "Act for Change" - Team abgeholt worden bin, habe ich das Gefühl, Accra verschlingt mich und ich lasse mich gerne auffressen. Ich habe viel Liebe für diese Stadt mit den hundert Gesichtern, dieses brodelnde Moloch, das "mein Ghana" ist - deshalb kann ich in diesem Zwischenbericht auch nicht über das Land "an sich" oder die "Ghanaer" schreiben. Nicht einmal über ganz Accra. Nur über mich und meine täglichen Trotrofahrten und kleinen Abenteuer und struggles und Begegnungen. Leben I Alltag I Abenteuer I Routine “Of the gladdest moments in human life, methinks, is the departure to a distant journey into unknown lands.” (Richard Burton) Ja, genau das war es am Anfang. Ein Abenteuer. Das Reise-Gefühl, das ich so liebe. Mittlerweile ist mein Leben hier auch Alltag geworden, allerdings ein Alltag, der mich immer mal wieder überrascht und zum Staunen bringt. Ich lebe jetzt schon seit drei Monaten hier in meiner kleinen Wohnung in Mamprobi, teile mir den Hof mit eben jener Großfamilie, die schon ein bisschen zu meiner "extended family" (ich mag diesen Ausdruck!) geworden sind, ein paar Hühnern, Katzen und einem Hahn mit einem ernsthaften Tag/Nachtrythmus-Problem - wenn ich nach dem nächtlichen Gekrähe wieder eingeschlafen bin, stehe ich meistens so zwischen sieben und acht auf und mache mich dann nach Eimerdusche und sugar bread zum Frühstück irgendwann mit dem Trotro auf den Weg zum Theater Center- manchmal, wenn ich motiviert bin, fahre ich auch Fahrrad - und treffe auf dem Weg immer mindestens eine Handvoll Menschen, die ich schon kenne. Hier ein kleiner Auszug aus meinem Blog: "Routine ist etwas, was ich am Anfang unbedingt wollte. Du weißt nicht, wohin (mit dir), du willst alles sehen und nichts auslassen, du verläufst dich… und wenn du dich dann mal wiederfindest, bist du schon seit 5 Wochen in Ghana. Du fährst jeden Morgen die gleiche Strecke mit dem Trotro, begrüßt überall auf dem Weg bekannte Gesichter, du kaufst deine Bananenchips und dein Milchpulver am Stand der immer der gleichen Frau. Sprichst ein paar Brocken Ga, mit denen du schon Essen besorgen, bis zehn zählen und "Entschuldigung, ich spreche kein Ga" sagen kannst... und fühlst dich irgendwann, ohne dass du es gemerkt hast, viel weniger unsicher." Ga zu lernen klappt tatsächlich überraschend gut, und ich schleppe immer und überall mein kleines grünes Büchlein mit, indem ich alle Wörter aufschreibe, die mir so unterkommen. Vielleicht funktioniert das auch nur, weil ich ja im Gegensatz zu den anderen Freiwilligen allein hier in Accra bin - und ich muss sagen, dass ich nach anfänglichen Zweifeln mittlerweile oft ziemlich froh darüber bin, die einzige Deutsche zu sein. Ich habe aber auch das Glück, mit den Theatermenschen ein herzliches, kreatives, weltoffenes Umfeld zu haben. Heimweh Trotzdem hatte ich vor ein paar Wochen meine erste richtig schlimme Heimweh-Phase. Ich will dazu gar nicht so viel sagen, außer, dass das wohl normal ist. Hier mal ein Ausschnitt aus meinem Blog: "Manchmal ist da wieder diese Zweifelstimme, die “Aber, aber, aber…” ruft und so tut, als hätte ich das hier nicht unbedingt gewollt. Die Welt ist ein Spielplatz, der schönste und besonderste, und trotzdem ist da dieser Kloß im Hals, das Gefühl des Gelähmtseins, das Gegenteil der Freiheit, die eigentlich da ist." Mittlerweile geht's wieder. Ansonsten habe ich viel Sonnenbrand, verliere den "deutschen" (?!) Sinn für Pünktlichkeit, liebe das scharfe Essen und habe meine work permit verrückterweise innerhalb von fünf Tagen bekommen, weil die Beamtin mich nett fand. Nice! Jetzt aber zu dem, warum ich eigentlich hier bin und was mir am Wichtigsten ist: Act for Change "Das Theater darf nicht danach beurteilt werden, ob es die Gewohnheiten seines Publikums befriedigt, sondern danach, ob es sie zu ändern vermag." (Bertolt Brecht) Act for Change ist eine NGO, die (interaktives) Theater als Medium nutzt, um sich mit aktuellen Problemen in der Community (Ga-Mashie) auseinanderzusetzen und zusammen mit den Menschen nach Lösungen zu suchen. Beispiele für Themen mit denen sich AfC auseinandersetzt sind "Sexual/reproductive health rights", HIV/AIDS, Jugendschwangerschaften und Menschenrechte. Die Arbeit bei Act for Change ist sehr vielfältig und unterscheidet sich immer von Projekt zu Projekt. Seit ich hier bin, haben wir ein "stage play"; ein klassisches Theaterstück im Theater Center aufgeführt, bei dem ich unzählige Fotos geschossen habe, hatten Community Performances und den Forum Train eine öffentliche Podiumsdiskussion zu einem bestimmten Thema (dieses Mal war es Vergewaltigung) mit Experten/Verantwortlichen und Menschen aus der Community, die ich mit vorbereitet habe. Ansonsten besteht ein großer Teil meiner Arbeit noch darin, Projekte zu dokumentieren und Fundraising-Möglichkeiten zu recherchieren und dann Bewerbungen und Anträge dafür zu schreiben. Das heißt auch oft zu größeren Organisationen gehen, die eventuell Fördergelder haben, viele Leute treffen. Das klingt trockener, als es eigentlich ist - bei AfC ist jeder Tag anders, es gibt immer irgendwas Neues zu tun - und ich kann sogar im weitesten Sinn ein bisschen dramaturgisch arbeiten! Gerade planen wir außerdem ein Schulprojekt ab Januar, das ich dann mitorganisieren und betreuen würde. Außerdem habe ich, da ich gerne ein eigenes Projekt hier machen wollte, eine Kindertheatergruppe angefangen, die aber noch nicht so richtig läuft, da die Kinder oft nur kommen, wenn man sie zuhause abholt - ich versuche im Moment, das Beste draus zu machen und habe dann auch schonmal zuhause mit ihnen gespielt und gekocht, weil sie noch Abendessen machen mussten und keine Zeit für Theater hatten - war auch schön. Ich hoffe aber, das noch so umstrukturieren zu können, dass es noch erfolgreich wird. Insgesamt ist das einzige, was mir hier bei der Arbeit ein wenig Schwierigkeiten bereitet, wahrscheinlich ich selbst - da ich zwar viele Ideen habe, die aber manchmal nicht so richtig umsetzen kann, weil es auch so immer was zu tun gibt... und ich außerdem wahrscheinlich oft immer noch zu zurückhaltend bin. Ich hoffe, das in den kommenden Monaten ändern zu können! Ansonsten kann ich bloß sagen, dass mir die Arbeit Spaß macht und ich der Meinung bin, dass AfC eine sehr besondere NGO ist, die wichtige Dinge für und mit der Community tut und mit ihrem Programm auch einfach gut hierher passt, auf die Menschen zugeht und Theater so einsetzt, dass es für jede/n ist ich bin auch der Meinung, wir brauchen mehr von dieser Art öffentlichen Theaters in Deutschland, das nichts elitäres hat, sondern etwas einfach vermitteln will - und die Menschen dabei mitmachen lässt, anstatt sie vorbeigehen zu lassen. Ich habe aus Deutschland schon öfter die Frage gehört, wo denn bitte die Notwendigkeit von Kunst/Theater liegt, während viele Menschen hier Probleme mit der Wasser - und Stromversorgung haben, die Jugendarbeitslosigkeit extrem hoch ist etc. Ich bin der Meinung, dass Theater dann sogar wichtiger denn je ist. Es bietet eine Plattoform für junge Menschen, sich und ihre Meinung auszudrücken. Platz für neue Ideen und Diskussionen und Platz, um künstlerisch tätig zu sein und Alternativen zu finden. Vor allem eine kleine NGO wie AfC, die an Bekanntheit natürlich nicht mit einer Institution wie zum Beispiel dem Nationaltheater mithalten kann, steht aber in Ghana vor großen finanziellen Schwierigkeiten, was der Grund ist, warum AfC öfter (noch) nicht richtig kann, wie sie wollen. Gerade vor ein paar Tagen hatte ich ein langes Gespräch mit Collins, dem Director von AfC darüber, der zwar viel positives Feedback von allen Seiten (national und international), aber kaum finanziellen Support bekommt. Was es auch für ihn persönlich sehr schwierig macht, denn er hat seine früheren Jobs für Act for Change aufgegeben und arbeitet jetzt ohne regelmäßiges Einkommen jeden Tag mit viel ansteckendem Enthusiasmus und Energie für die NGO. Fazit Ich schaffe es nicht, ein Fazit zu ziehen, da ich nicht das Gefühl habe, den nötigen Abstand (zu irgendetwas) zu haben. Ghana macht mich emotional - meistens ist das positiv, aber manchmal... es gibt Diskussionen, die mich sehr nachdenklich machen. Immer wieder geht es um das Europa-Bild, das einige Menschen haben. Vor ein paar Wochen war ich mal wieder mit Samuel und Collins in einem Amt, um Papiere für meine (!) work permit zu besorgen. Die ghanaische Beamtin dort schaute die beiden immer wieder an und meinte zu mir "What are you doing here? They will suck you!" (Die wollen dich nur ausnehmen), was für uns alle drei keine schöne Situation war. Ein anderer Punkt, über den ich viel diskutiert habe, ist die Homophobie, die hier ziemlich alltäglich ist und natürlich mit dem entsprechenden Bibel-Zitat belegt werden kann. Ich will nicht sagen, dass es dieses Problem in Deutschland nicht auch immer noch gibt - aber ich denke, sich in der Öffentlichkeit homophob zu äußern ist in Deutschland weit problematischer als hier. Vielleicht ist das Fazit deshalb einfach: Menschen sind so verdammt unterschiedlich, das hat aber herzlich wenig mit irgendeiner Nationalität zu tun. Und: Thanks Michael, until now... I love Ghana indeed.
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