Wie alt ist Rorschach?
Rorschachs Anfänge liegen im Dämmerlicht
der Vorgeschichte. Denn wie wenig wissen
wir von seinen frühesten Bewohnern, deren
Spuren auf der Obern Burg – 1 % Kilometer
vom Hafen entfernt, nordwestlich des Weilers
Hof – entdeckt worden sind! Zweimal flüchteten Menschen dort hinauf um eine Bedrohung zu überstehen: etwa 1500 v. Chr., am
Ende der Frühbronzezeit, als bei der Bleiche
Arbon ein größerer Pfahlbau stand. Vielleicht
gaben diese den Bronzeguß kennenden Menschen einander Feuerzeichen. Auf jeden Fall
fand man an zwei Stellen Brandschichten, die
auf eine kürzere Siedelung schließen lassen,
Man weiß nicht, wer vor wem geflüchtet ist.
Das zweite Mal begaben sich Anwohner in
den Schutz der anderthalb Meter dicken Trockenmauern gegen Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. Da könnte es sein – doch dies ist
nur Vermutung – daß 15 v. Chr. Räter oder
Helvetier oder beide sich am Rorschacherberg
in Sicherheit brachten, als römische Truppen
vom Untersee her dem Ufer entlang rheintalaufwärts zogen. Denn während Drusus und
Tiberius nach der Schlacht gegen die Vindeliker mit den Hauptheeren nach Norden vordrangen, schickten sie ihre UnterfeIdherren
zur Eroberung Rätiens aus!
Das Heidenländli, inmitten des heutigen
Strandbads gelegen, war offenbar kein Pfahlbau, sondern eine mittelalterliche Anlage.
Der Name Spek in Staad geht vermutlich auf
einen römischen Wachtturm (specula) der
Kaiserzeit zurück.
Auf Rorschacher Gebiet fand man undatierbare römische Münzen, die von Soldaten oder
Händlern stammen. Das Geld lag, wie die
Funde von Horn, in der Nähe der im 3. und 4.
Jahrhundert n. Chr. zwischen Rheineck und
Arbon bestehenden Heerstraße.
Seit dem Ende des 5. Jahrhunderts erschienen
die Alemannen in unserer Heimat, nachdem
sie schon mehrere Einfälle ins westliche Mittelland unternommen hatten. Seit ihrer Niederlage gegen die Franken im Jahre 496 zogen
Teile dieses westgermanischen Stammes in die
Gegenden links des Rheins. Im heutigen See-
hof, ganz nahe an der Kirchhofmauer, fand
man bei einem Wegbau 12 männliche Gerippe, teils von unbehauenen Steinen eingefaßt, teils in freier Erde. Das Inventar der Gräber umfaßte Arm- und Ohrringe, Schnallen,
zwei Schwerter und ein Messer in Bronze und
Eisen.
Wenn auch die Rorschacher Kirche urkundlich erst 1095 erscheint, befand sich vielleicht
am Ort der heutigen Kolumbanskirche schon
früher ein ältestes Bethaus mit einem kleinen
Friedhof, dem möglicherweise die Alemannengräber zuzuordnen sind.
Als erste brachten römische Krieger und
Kaufleute das Christentum in unser Land. Als
sich dann die Alemannen in großer Zahl unter
den kelto-romanisch sprechenden christlichen
Helvetiern niederließen und zur Mehrheit
wurden, drängten sie unserer Gegend ihre
Gewohnheiten auf: man redete allmählich
deutsch, und der alte germanische Götterglaube verdrängte den christlichen. Einzig in
Arbon blieben keltische Sprache und christlicher Glaube erhalten. Welche Ueberraschung
für die Glaubensboten, die zu Beginn des 7.
Jahrhunderts aus dem keltischen Irland erschienen, als sie beim zerfallenden Kastell
Arbor Felix eine kleine Schar vorfanden, die
trotz alemannischer Landnahme Glauben und
Sprache aus der Römerzeit herübergerettet
hatte und mit der sie sich in ihrer irländischen
Sprache verständigen konnten. Von der Galluszelle aus begann dann die zweite und eigentliche Christianisierung unserer Seegegend,
besonders nachdem, ein Jahrhundert nach
Gallus’ Tod, der alemannische Mönch Audomar (Otmar) von Chur an die Steinach berufen
worden war, der das Kloster begründete.
Zweieinhalb Jahrhunderte stand St. Gallen
unter der Jurisdiktion des Bischofs von Konstanz, und es brauchte noch vieler Bemühungen und Kämpfe, bis die Fürstabtei St. Gallen
ihre Selbständigkeit erlangte. Im Ulmervertrag
von 854 trotzte der Abt dem Bischof eine
Trennungslinie ab, die etwa der heutigen
Kantonsgrenze zwischen St. Gallen und Thurgau entspricht.
Die älteste Nennung Rorschachs fällt ins Jahr
850, wo ein Alemanne Vurmheri ein Grund-
stück zwischen «Goldaha» und «Rorscachun»
dem Kloster schenkte. Was bedeutet unser
Ortsname? Entweder Wald des Roro oder
Schilfwald. Beides deutet auf den riesigen
Arboner Forst, der vom See bis zum Säntis
reichte. Einer der ältesten Flurnamen Rorschachs «Schurtannen» (einzelne Schutz bietende Tanne) aus dem 12. Jahrhundert läßt
vermuten, daß damals schon bis zur heutigen
Langmoosstraße hinauf gerodet war. Inmitten
dieser Rodung wurde wahrscheinlich die Kolumbanskirche in ihrer ältesten Form im 13.
Jahrhundert gebaut.
Seit der alemannischen Zeit gab es in Rorschach Allmenden, Weiden, auf die jeder Hofgenosse sein Vieh treiben, und Wälder, die er
nutzen konnte. Unsere Allmenden zogen sich
über die Hänge des Berges und reichten bis zu
den obersten Wäldern, ja über diese hinaus bis
an die appenzellische Grenze. Letzte Reste
dieser einst umfangreichen gemeinwirtschaftlichen Nutzungsgebiete sind die ortsbürgerlichen Pachtgüter und Waldungen am
Rorschacherberg.
Ein Teil des landesherrlichen Besitzes zu Rorschach wurde in Eigenwirtschaft genommen.
Solch klösterliches Land gruppierte sich um
den Kellhof bei Mariaberg. Das Haus des
Seminarpächters ist noch das letzte bestehende
von mehreren Kellhof-Gebäuden. Der Keller
als örtlicher Verwaltungsbeamter des Grundherrn trieb hier die Grundzinse und Abgaben
ein. Er überwachte die im Dorf und weitern
Umkreis liegenden Kellhofgüter und besaß
gelegentlich auch niedergerichtliche Befugnisse. Aus Kellern und Meiern sind wahrscheinlich auch die Edelherren von Rorschach
auf St. Annaschloß hervorgegangen.
UeberbleibseI der Kellhofgüter ist die dem
Staate gehörende Seminarliegenschaft.
Soweit einige wesentliche Marksteine aus
Rorschachs ferner Vergangenheit. Seine Entwicklung vom Hof zum Marktflecken, Hafenund Industrieort, elfhundert Jahre lang unter
stiftsanktgallischer und während 160 Jahren
unter kantonaler Hoheit, verdankt es nicht nur
seiner unverlierbaren ausgezeichneten Verkehrslage, sondern auch der schöpferischen
Leistung vieler seiner Bewohner.
Richard Grünberger