3. Klausur

Das Segelboot
A ist Eigentümer eines Grundstücks am Fleesensee. Sein Nachbar ist B. Beide haben sich im
Laufe der Zeit angefreundet und machen an den Wochenenden oft gemeinsame Ausflüge
auf dem Segelboot des B. A ist von den Segeltouren so begeistert, dass er gegenüber B den
Wunsch äußert, sich selbst ein solches Boot zulegen zu wollen. B, der unter den Schiffseignern viele und gute Kontakte hat, verspricht dem A, ihm bei der Suche nach einem geeigneten Segelboot helfen zu wollen.
Eines Tages, als sich Bs Segelfreund F gerade im Urlaub auf Mallorca befindet, begibt sich B
zur Anlegestelle des F, holt dessen Segelboot ohne dessen Erlaubnis und veräußert und
übergibt es dem A. Diesem gegenüber erklärt er dabei zutreffend, dass es sich bei dem
Segelboot um das des F handelt; er fügt aber wahrheitswidrig hinzu, dass dieser mit der
Veräußerung an ihn, den A, einverstanden sei, was A auch glaubt. Als F aus dem Urlaub
kommt und alles erfährt, holt er sich in einer der folgenden Nächte heimlich die Jacht zurück.
A ist darüber erbost und begibt sich zu seinem Anwalt. Von diesem möchte er wissen, ob er
das Boot von F herausverlangen kann.
Wie lautet die Auskunft des Anwalts?
Bearbeitervermerk: Bei dem in Streit stehenden Segelboot handelt es sich um kleineres, das nicht dem Anwendungsbereich der §§ 929 a, 932 a BGB unterfällt.
ANSPRÜCHE DES A GEGEN F
A.
HERAUSGABEANSPRUCH DES A GEGEN F GEMÄß § 985 BGB
I. A als Eigentümer
1. Übereignung nach § 229 S. 1 BGB
a)
Einigung
B und A haben sich iSv. § 929 BGB über den Übergang des Eigentums auf A geeinigt.
b)
Übergabe
Sie liegt vor, wenn der Veräußerer den Besitz verliert, der Erwerber den Besitz erlangt und
dies auf Veranlassung des Veräußerers geschieht.
-
Besitzverlust des Veräußerers
Der Veräußerer muss nach ganz hM den Besitz vollständig verlieren, sofern der Erwerber
Alleineigentum erhalten soll, d.h. er darf keinen "Restbesitz" behalten. B hat jegliche
Sachherrschaft am Segelboot aufgegeben.
-
Besitzerwerb des Erwerbers
A hat den Besitz an dem Segelboot erworben. Die Übergabe erfolgte auf Veranlassung des
B, weshalb eine wirksame Übergabe i.S.d. §§ 929, 854 I von B an A vorliegt.
-
Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe
Die Einigung über den Eigentumsübergang muss im Zeitpunkt der Übergabe vorliegen
Vorliegend enthält der Sachverhalt keine entgegenstehenden Hinweise.
c)
Berechtigung des B
Grundsätzlich ist gem. § 903 nur der Eigentümer zur Übereignung gem. § 929 berechtigt,
solange er nicht in seiner Verfügungsmacht beschränkt. B war indes nicht der Eigentümer
des
Segelbootes.
Ein
Nichteigentümer
bedarf
zur
Veräußerung
einer
besonderen
Verfügungsbefugnis (regelmäßig durch Ermächtigung des Eigentümers gem. § 185 I).
Vorliegend hatte B keinerlei Verfügungsbefugnis, insbesondere lässt sich aus der
Benutzungsgestattung durch F keine Ermächtigung zur Veräußerung ableiten. B war damit
Nichtberechtigter. Vom Nichtberechtigten ist der Eigentumserwerb nur gutgläubig möglich.
Anmerkung: Wegen eindeutig nicht vorliegender Genehmigung ist es auch vertretbar, gleich
mit der nachfolgenden Prüfung zu beginnen.
2. gutgläubiger Eigentumserwerb gem. §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1, 2:
A könnte gutgläubig Eigentum gem. §§ 932 ff. erworben haben.
a) Übereignung im Sinne des § 929 S. 1 (+) siehe oben.
b) Rechtsgeschäftlicher Erwerb iSe. Verkehrsgeschäfts:
Es muss ein rechtsgeschäftlicher Erwerb vorliegen. Die §§ 932 ff. sind für gesetzliche
Erwerbstatbestände (z.B. §§ 946 ff.) und für den Erwerb kraft Hoheitsakt (Zuschlag in der
Zwangsversteigerung) nicht anwendbar.
Das Geschäft muss ein sog. Verkehrsgeschäft sein. Dies liegt vor, wenn Veräußerer und
Erwerber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise personenverschieden sind und es sich um
ein selbstständiges Rechtsgeschäft, dh. keine Rückabwicklung handelt. Vorliegend haben B
und A sich als zwei verschiedene Personen i.S.e. selbstständigen Rechtsgeschäfts geeinigt. §
932 ist damit anwendbar.
c) Gutgläubigkeit des A bzgl. des Eigentums des B
Bei § 932 kommt es auf die Gutgläubigkeit hinsichtlich der Eigentümerstellung des
Veräußerers an, d.h. dem Erwerber darf weder bekannt, noch infolge grober Fahrlässigkeit
unbekannt sein, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört, § 932 I 1, II. Dabei wird die
Gutgläubigkeit des Erwerbers vermutet. Dies folgt aus der Stellung und Formulierung des
§ 932 I 1.
A wusste positiv, dass B nicht Eigentümer des Segelbootes ist. Er hoffte lediglich auf das Einverständnis des F. Hinsichtlich der Eigentümerstellung des Veräußerers B ist A somit
bösgläubig.
d) Gutgläubigkeit des A bzgl. der Verfügungsmacht des B
Der gute Glaube hinsichtlich einer Verfügungsbefugnis iSd. § 185 I wird im BGB nicht
geschützt.
Eine Gutglaubensvorschrift bzgl. der Verfügungsbefugnis findet sich in § 366 I HGB. Die
Vorschrift schützt denjenigen, der weiß, dass der Veräußerer nicht Eigentümer ist, dennoch
auf dessen Verfügungsbefugnis vertraut. Da der Veräußerer B kein Kaufmann ist, ist die
Vorschrift nicht anwendbar1.
Damit ist A bösgläubig.
Anmerkung: Im Übrigen würde ein gutgläubiger Erwerb an § 935 I scheitern, da die Sache
abhanden gekommen ist. Abhandenkommen ist der unfreiwillige Verlust des unmittelbaren
Besitzes. Es genügt, wenn dem Eigentümer der Mitbesitz entzogen wird.
F hat somit sein Eigentum nicht durch Rechtsgeschäft des B mit A gem. §§ 929 ff verloren.
Damit ist F weiterhin Eigentümer.
II. Ergebnis
Mangels Eigentümerstellung hat B keinen Herausgabeanspruch gem. § 985 BGB gegen F.
B.
HERAUSGABEANSPRUCH DES A GEGEN F GEM. § 1007 I.
I. A war früherer Besitzer.
II. F ist jetziger Besitzer.
III. Bösgläubigkeit des F
Dies ist der Fall, wenn ihm der Mangel des Rechts zum Besitz bekannt oder grob fahrlässig
unbekannt ist. F geht jedoch aufgrund seines Eigentums zu Recht von seinem Besitzrecht
aus und ist somit gutgläubig.
IV. Ergebnis
A hat keinen Anspruch gegen F auf Herausgabe gem. § 1007 I.
1
Baumbach/Hopt § 366 HGB Rn. 4; MünchKomm-Welter § 366 HGB Rn. 26 ff. - der Verfügende muss Kaufmann
sein.
C.
ANSPRUCH DES A GEGEN F AUF HERAUSGABE GEM. § 1007 II
I. A war früherer Besitzer.
II. F ist jetziger Besitzer.
III. Abhandenkommen
A ist das Boot abhanden gekommen, da er den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verloren hat.
IV. Eigentümerstellung des F
Der jetzige Besitzer darf weder Eigentümer sein, noch darf ihm die Sache seinerseits
abhanden gekommen sein. F ist Eigentümer. Daneben ist ihm auch der Besitz abhanden
gekommen.
V. Ergebnis
A hat gegen F keinen Herausgabeanspruch gem. § 1007 II
D.
ANSPRUCH DES A GEGEN F AUF HERAUSGABE GEM. § 861 I:
I. A ist der Besitz entzogen worden.
II. F hat den Besitz erworben.
III. Verbotene Eigenmacht des F
Die verbotene Eigenmacht ist in § 858 I legal definiert:
1.
Besitzentzug
F hat dem A den Besitz ohne dessen Willen entzogen.
2.
ohne gesetzliche Gestattung
Es darf keine gesetzliche Gestattung vorliegen:
a)
Selbsthilferecht aus § 859 II BGB
Eine solche gesetzliche Gestattung könnte im Selbsthilferecht gem. § 859 II liegen.
Vorliegend wurde das Boot dem F von B und nicht von A entzogen. Damit ist A nicht Täter
i.S.v. § 859 II. Im Übrigen wurde der Täter auch nicht auf frischer Tat ertappt. Damit liegt
kein Selbsthilferecht gem. § 859 II vor.
b)
Selbsthilferecht aus § 859 IV BGB
Es könnte jedoch ein Selbsthilferecht gem. § 859 IV gegenüber A bestehen, wenn A gem.
§ 858 II 2 die Fehlerhaftigkeit des Besitzes von B gegen sich gelten lassen müsste, also
davon positive Kenntnis hatte. Das ist hier nicht der Fall.
Unabhängig davon gilt § 859 IV nur, wenn der Schädiger "auf frischer Tat" ertappt wird.
Spätere Selbsthilfe ist rechtswidrig. Vorliegend liegt die eigentliche Tat schon einige Zeit
zurück, somit ist keine gesetzliche Gestattung gegeben.
c)
Zwischenergebnis: weitere Tatbestände gesetzlicher Gestattung sind nicht ersichtlich,
F handelte damit ohne gesetzliche Gestattung.
Damit liegt verbotene Eigenmacht des F iSd. § 858 I vor.
Der Besitz des F ist gem. § 858 II 1 fehlerhaft, da er durch verbotene Eigenmacht begründet
wurde.
IV. Anspruchsausschluss wegen fehlerhaften Besitzes des A gegenüber F gem. §
861 II:
Der Anspruch aus § 861 I wäre gem. § 861 II ausgeschlossen, wenn der Besitz des A
seinerseits fehlerhaft gewesen ist.
Eine Fehlerhaftigkeit gem. § 858 II 1 liegt nicht vor, da A selbst keine verbotene Eigenmacht
begangen hat. Fraglich ist aber, ob eine Fehlerhaftigkeit des Besitzes des B gem. § 858 II 2
gegen A als Nachfolger wirkt.
1.
Fehlerhaftigkeit des Besitzes des B
Der Besitz des B war fehlerhaft, da er verbotene Eigenmacht i.S.d. § 858 I begangen hat.
2.
Kenntnis des A entsprechend § 858 II2
Jedoch hatte A davon keine positive Kenntnis, da B das Einverständnis des F vorgetäuscht
hat. Damit kein Ausschluss gem. § 861 II.
III.
1.
Einwendungen
Petitorische Einwendungen, § 863 BGB
Keine Einwendung aus dem Eigentum oder einem sonstigen Recht zum Besitz, da sog.
petitorische Einwendungen durch § 863 ausgeschlossen sind3.
Sinn und Zweck des § 861 ist es, dass der Besitzer eine rasche Wiederherstellung eines
durch die verbotene Eigenmacht beeinträchtigten Besitzstandes erlangt, ohne dass hierbei
eine (meist schwierige) Prüfung der Eigentumslage erfolgen soll. Das Besitzrecht geht dem
Eigentum vor4.
2.
Possessorische Einwendungen, § 863 BGB
Gem. § 863 ist nur eine possessorische Einwendung möglich, d.h. nur die Einwendung,
dass keine verbotene Eigenmacht vorliegt. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Besitzer
ein Recht zum Besitz hatte (somit kann grds. auch ein Dieb nach § 861 vorgehen).
Hier liegt jedoch verbotene Eigenmacht des F vor, da er den Besitz gegen den Willen des A
entzogen hat (siehe unter D III). Damit ist keine Einwendungen nach § 863 gegeben.
3.
Einwendung nach Treu und Glauben gem. § 242
a)
Rechtsmissbrauch
Eine solche Einwendung wäre denkbar, da A das Segelboot, das er gem. § 861 von F
herausverlangen
kann,
gem.
§
985
wieder
an
F
zurückgeben
muss.
Ein
Herausgabeverlangen des A könnte deshalb rechtsmißbräuchlich iSd. § 242 sein5.
b)
Verhältnis von § 863 BGB zu § 242 BGB
Eine Einwendung nach § 242 würde jedoch dem Zweck des § 863 widersprechen und im
Ergebnis zu einer Umgehung des § 863 führen6.
2
Palandt-Bassenge § 861 Rn. 9 vorausgesetzt wird Fehlerhaftigkeit i. S. d. § 858 II, welcher auf die Kenntnis der
Fehlerhaftigkeit des Besitzes des Vorgängers abstellt.
3
Palandt-Bassenge § 863 Rn. 1.
4
Palandt-Bassenge § 863 Rn. 1.
5
BGH NJW 1978, 2157;OLG Stuttgart NJW 2012, 625.
(1) § 863 will die rasche Wiedererlangung des Besitzes, ohne einen langwierigen Streit um
die endgültige Rechtszuständigkeit sichern (s.o.).
(2) § 863 soll vor willkürlicher Eigenmacht auch seitens des rechtmäßigen Eigentümers
schützen (keine Selbstjustiz).
(3) § 861 gewährt dem Besitzer nur einen vorläufigen Anspruch. Dadurch ist der
Eigentümer ausreichend geschützt.
IV. Ergebnis
A hat einen Anspruch gegen F auf Herausgabe gem. § 861.
Anmerkung: Eine andere Ansicht mit konsequentem Ergebnis ist mit guter Begründung
vertretbar.
6
Ausführlich: MünchKomm-Joost § 863 Rn. 7.