Vorlesung 12
Entwicklung der sozialen Kognition und
des prosozialen Verhaltens
Entwicklung der sozialen Kognition
Gesichtspräferenz und Stimmerkennung
Angeborenes Wissen über das Gesicht
Gesicht der Mutter wird schon kurz nach der Geburt präferiert
Ebenso wird die Stimme der Mutter präferiert
Darüberhinaus gibt es eine allgemeine Präferenz für Gesichter
Augenpräferenz
Präferiert wird das „geordnete“ Gesicht
Präferenz für Attrappe oben
rechts: Schwarze Flecken in
ovaler Form
Der Mensch als intentionales Wesen
Greifen als intentionaler Prozess
Deuten als Intention
Zusammentreffen von Selbsterkenntnis im Spiegel und Empathie
Entwicklung sozialer Kognition
Persönlichkeit
Theory of Mind bei Tieren
Schimpansen erkennen, dass andere den gleichen Gegenstand von einer
anderen Perspektive sehen.
Vögel verstecken Futter solange, bis die Konkurrenten verschwunden sind.
Theory of Mind erster Ordnung: ab etwa vier Jahren
Theory of Mind zweiter Ordnung: ab ca. 6 Jahren
Rudi denkt, dass Claudia denkt……
Moralische Konsequenz en der Theory of Mind:
-Lügen und Betrügen als Experimentierfeld (darf nicht als unmoralisch
gewertet werden).
- Bewertung unethischen Handeln: aus Versehen oder absichtlich
Piaget-Befunde: zunächst „moralischer Realismus.“ Je größer der
angerichtete Schaden, desto größer das moralische Vergehen. Also
zeitliche Verzögerung.
Entwicklung sozialer Kompetenz im Gespräch
(bei freier ungesteuerter Kommunikation)
Beispiele
Unbezogen: Ich habe eine Eins in Mathe – Wir fahren morgen an den Bodensee
Tangential: P1 erzählt von einem Film, den er gestern gesehen hat, P2 sagt, dass er
vorige Woche auch im Kino gewesen sei.
Minimal bezogen: P1 erzählt ein Ferienerlebnis, P2 berichtet ebenfalls von einem
Erlebnis
Sachbezogene Äußerungen: P1 erzählt ein Ferienerlebnis, P2 fragt nach und äußert
seine Meinung und Gefühle zu dem Bericht
Perspektivenbezogene Äußerungen: P1 äußert eine politische Meinung und vertritt
bestimmte Werthaltungen; P2 argumentiert aus seiner eigenen und der Perspektive von
P1
Freundschaften
Entwicklung des prosozialen Verhaltens
Frühes Verständnis prosozialen Verhaltens
Untersuchung von J. K. Hamlin; Nature, Bd. 450, S. 557 (SdW, 2/08)
Drei geometrische Holzfiguren mit aufgeklebten Augen sind Akteure. Eine Figur
versucht vergeblich, einen Hügel zu erklimmen. Eine zweite Figur hilft, indem sie den
Kletterer hinaufschiebt. In der Parallelsituation erscheint eine Figur, die sich dem
Kletterer entgegenstellt.
6-10 Monate alte Säuglinge beobachteten dieses Szenario und durften nachher zu
einem der Objekte greifen. Die Babys griffen bevorzugt nach dem hilfsbereiten
Objekt (6 Monate alte Babys ausnahmslos!)
Näherte sich das „Lebewesen“ dem feindseligen Objekt, so reagierten
die 10 Monate alten Babys mit Erstaunen (längere Habituierungszeit).
Ein weiterer Aspekt frühkindlichen prosozialen Verhaltens, das zeitlebens
wirksam bleibt:
Gefühlsansteckung (Spiegelneuronen): Durch die Beobachtung von Leid
leidet der Beobachter selbst. Hilft er dem Leidenden, so reduziert er
gleichzeitig bei sich das Leid.
Interessante Hypothese: Moral und Ästhetik sind im Säuglingsalter ein- und
dasselbe
Mit ca. 1 ½ Jahren zeigen die Kinder Empathie: Verbindung mit Selbsterkennen
im Spiegel.
Vl ist traurig:
Kind links ruft Mutter zu Hilfe; Kind rechts zeigt Imponiergehabe
Schon mit 3-4 Jahren unterscheiden Kinder zwischen Konventionen (z. B.
Höflichkeitsformen, Alltagsregeln) und moralischer Bewertung von gut und böse.
(Turiel)
Diskrepanz zwischen Urteil und Gefühl: Fünfjährige stufen aggressives Verhalten als
böse ein, meinen aber trotzdem, der Täter habe sich gut gefühlt (Spaß gehabt) .
(Sodian, Nummer-Winkler)
Vom materiellen Schaden zur bösen Absicht: zunächst stufen Kinder böses Handeln
nach der Größe des angerichteten Schadens ein; später nach dem Vorhandensein
einer Absicht.
Kein Schaden
Schaden
unbeabsichtigt
I
II
beabsichtigt
III
IV
Moralische Schuldzuweisung bei normalen Vpn in der Reihenfolge I-IV
Piagets Unterscheidung zwischen heteronomer und autonomer Moral
Heteronom: Autoritäten bestimmen moralische Regeln, Willkür.
Aussagen von Kindern, literarisches Beispiel: Schloss von Kafka.
Autonom: gültig für alle. Und gültig unabhängig von Autoritäten.
Bezug zum Verständnis von Spielregeln
Erstes moralisches Verständnis bezieht sich auf Gerechtigkeit (Beispiele
aus dem Schulalltag)
Von partikularistischer zur universalistischer Perspektive
Prosoziales Verhalten als angeborene Leistung (Tiervergleich)
Als partikularistische Leistung: Versorgung der Verwandten
Als Hilfe im Bekanntenkreis und in der Ingroup
Als Hilfe für alle ohne Ansehen der Person
Als Schutz für Tiere und Pflanzen: Zahl der Mitglieder im Tierschutzverein ist
höher als im Kinderschutzbund.
Eysencks Theorie der moralischen Entwicklung
Normal Konditionierbare: angepasstes moralisches und gesellschaftliches Verhalten
Schwerkonditionierbare: Psychopathen, die kriminell handeln, weil sie keine Angst
bei ihrer Tat empfinden.
Übersensibel Konditionierbare: Überängstliche, die ständig fürchten, etwas falsch zu
machen.
Vom empathischen Leiden zur Schuld
Empathie:
- Klassische Konditionierung
- Ansteckung (Spiegelneuronen)
- Roletaking (sich in Leidende versetzen)
Kognition:
- Keine Trennung von eigenem und fremdem Leid
- Trennung von Selbst und anderem: Spiegelversuch und Hilfe
- Perspektivenübernahme: man erkennt, was Leidende brauchen
- Erkenntnis von chronischem Leid durch Verständnis der Biografie des Leidenden
Schuldgefühle angesichts des Leidens anderer:
- Schuldgefühl als Urheber des Leides anderer
- Schuldgefühl bei unterlassener Hilfeleistung
- Existenzielle Schuld bei eigenem Wohlergehen und dem Elend anderer
Begründungsniveaus für prosoziales Verhalten
Hedonistische selbstzentrierte Orientierung. Reziprozität bzw. der eigene Gewinn als
Triebfeder
Orientierung an den Bedürfnissen des anderen. Was fehlt? Was ist nötig?
Anerkennung durch andere und stereotype Orientierung. Mans sollte…, Das ist gut, das
ist schlecht.
Selbstreflektierte empathische Orientierung. Hilfe wird durch das Menschsein des
anderen begründet. Schuld und Konsequenzen bei Nichthandeln werden reflektiert.
Übergangsniveau: Internalisierte Werte, Normen und Pflichten begründen das prosoziale
Handeln. Belange der größeren Gemeinschaft, Rechte und Würde des anderen spielen
bereits eine Rolle, werden aber noch bei der Begründung nicht klar formuliert.
Starke Internalisierung von Werten. Begründung von Hilfe durch den sozialen Vertrag.
Die Verbesserung gesellschaftlicher Bedingungen sowie die Gleichheit und Würde des
Menschen werden klar formuliert.