Dietrich Bonhoeffer Biografisches In unserem linken Chorfenster unten sehen wir den Kopf Dietrich Bonhoeffers, aus einer Fotografie vom August 1935. Ende der achtziger Jahre berieten wir im Kirchenvorstand, welche Persönlichkeiten als „moderne Apostel“ in den Kirchenfenstern erscheinen sollten. Gleich am Anfang der Beratungen nannte jemand Dietrich Bonhoeffer. Alle unterstützten sofort diesen Vorschlag. Das war in der unmittelbaren Nachkriegszeit völlig anders, Bonhoeffer war umstritten, weil er in die Verschwörung um das Attentat gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 verwickelt war und deswegen auch gehängt wurde. Ein Pastor, der die Tötung eines Menschen rechtfertigt, auch wenn dies Adolf Hitler ist? Die evangelische Kirche ehrte ihre christlichen Märtyrer der Nazizeit, lehnte jedoch den politischen Widerstand ausdrücklich ab. Bonhoeffer zählte man zu den politischen Widerständlern. Das änderte sich erst in den achtziger Jahren. Wer war also dieser Mann? Dietrich Bonhoeffer wird am 4. Februar 1906 in Breslau als sechstes Kind der Familie geboren. Insgesamt bekommt seine Mutter Paula Bonhoeffer geb. von Hase acht Kinder: Karl Friedrich, Walter, Klaus, Ursula, Christine, die Zwillinge Dietrich und Sabine sowie Susanne. Sein Vater Karl Bonhoeffer ist Professor für Psychiatrie und Neurologie. 1912 zieht die Familie nach Berlin. Die Mutter ist ausgebildete Lehrerin und unterrichtet ihre und auch fremde Kinder der Nachbarn in den ersten Jahren selber. Sie leben in einem großbürgerlichen Haushalt mit Kindermädchen, Hausmädchen, Erzieherin, Stubenmädchen und Köchin. So ist Dietrichs Kinderwelt eine heile Welt. Im Jahre 1916 zieht die Familie in den Stadtteil Grunewald, wo ein regelrechtes Professorenviertel entsteht. Die Kinder dieser Familien befreunden sich schnell, heiraten vielfach untereinander – und etliche gehen dann auch gemeinsam in den konspirativen Widerstand gegen das Naziregime. Schon als Kind möchte Dietrich Pfarrer werden, obwohl die Familie nicht besonders kirchlich ist. Allerdings werden christliche Haussitten gepflegt, so das gemeinsame Tischgebet. Nachdem Dietrich Bonhoeffer bereits mit 17 Jahren Abitur gemacht hat, beginnt er sein Theologiestudium in Tübingen und setzt es in Berlin fort. Im Alter von 21 Jahren schließt er seine Doktorarbeit ab und besteht das erste theologische Examen seiner Kirche. Sein Vikariat leistet er in der deutschen Auslandsgemeinde Barcelona ab und kehrt im Frühjahr 1929 wieder in die akademische Welt seiner Berliner Fakultät zurück. In kürzester Zeit bewältigt er seine Habilitation und hält bereits im Juli 1930 seine Antrittsvorlesung. Da er wegen seines jugendlichen Alters noch anderthalb Jahre auf seine Ordination warten muss, legt er ein Studienjahr in den USA ein. Dort lernt er in den Kirchengemeinden Harlems praktische Pastoralarbeit kennen und erlebt die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Nach seiner Heimkehr 1931 hält er in Berlin Vorlesungen und Seminare und ist als Studentenpfarrer tätig. Außerdem übernimmt er die Geschäfte eines Jugendsekretärs im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen sowie im Ökumenischen Rat für Praktisches Christentum und fährt zur Konferenz des Weltbundes der Kirchen nach Cambridge. Dies wird für ihn zum Eintritt in die ökumenische Lebensaufgabe. Mehr und mehr bezieht sich Bonhoeffers Denken und Handeln auf die Bergpredigt. Und er tritt unter Studenten und Pfarrern für einen christlichen Pazifismus ein. Er schreibt: „Ich stürzte mich in die Arbeit in sehr unchristlicher Weise. Ein Ehrgeiz, den manche an mir gemerkt haben, machte mir das Leben schwer. Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und 1 gepredigt – und ich war noch kein Christ geworden. Dann kam die Not von 1933. Das hat mich darin bestärkt. Ich fand nun auch Menschen, die dieses Ziel mit mir ins Auge fassten. Es lag mir nun alles an der Erneuerung der Kirche und des Pfarrerstandes. Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf.“ Als im April 1933 ein Gesetz den Juden staatliche Ämter verbietet, entwirft er als einer der ersten Männer der Kirche einen Vortrag mit dem Titel „Die Kirche vor der Judenfrage“. Er schreibt darin: „1. Die Kirche hat den Staat zu fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne. Sie wird diese Frage heute in Bezug auf die Judenfrage in aller Deutlichkeit stellen müssen. 2. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören. 3. Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“ Angesichts seiner Erfolglosigkeit im Kirchenkampf übernimmt Bonhoeffer ein Pfarramt in zwei Londoner Ausländergemeinden. Doch schon nach eineinhalb Jahren kehrt er nach Deutschland zurück, um in der Bekennenden Kirche die Opposition gegen den Nazistaat wieder aufzunehmen. Die ökumenische Konferenz von Fanö im August 1934 wählt Bonhoeffer in den Ökumenischen Rat. Dennoch erreicht Bonhoeffer nie, was er will: einen Ausschluss der Reichskirchenregierung. Auch aus diesem Grund legt Bonhoeffer 1937 seine ökumenischen Ämter nieder. Seinen Freunden in der Ökumene erscheint er in dieser Zeit als zu starrsinnig. 1935 wird Dietrich Bonhoeffer Gründer und Leiter eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Pommern. Zwei Jahre später löst die Gestapo das Seminar auf und versiegelt das Haus. Bonhoeffer arbeitet aber unverdrossen mit seinen Kandidaten weiter in Form eines „Sammelvikariats“. Die Vikare sind formal bei Gemeindepfarrern tätig und kommen die Woche über in einem leeren Pfarrhaus zusammen, wo er seinen Lehrbetrieb fortsetzt. Im März 1940 kommt die Gestapo wieder und versiegelt auch dieses Haus. Schon 1935 bittet Bonhoeffer einige Kandidaten, mit ihm eine Kommunität, also eine klosterähnliche Wohngemeinschaft zu bilden. Man unterwirft sich einer Gebetsdisziplin, teilt die Finanzen, die allerdings überwiegend aus Bonhoeffers Gehalt stammen, übernimmt Aufgaben im Unterricht und Leben des Seminars und in den benachbarten Bekenntnisgemeinden. Die Arbeit im Seminar bringt Bonhoeffer in Verbindung mit den Trägern der pommerschen Bekennenden Kirche. Das sind meist Gutsbesitzer mit ihren Familien. Unter den Kindern ist dann auch Maria von Wedemeyer, die später Dietrich Bonhoeffers Braut wird. Während die Wehrmacht im März 1939 nach „Böhmen und Mähren“ einmarschiert, ist Bonhoeffer bei seiner Schwester Susanne in deren englischem Exil zu Besuch und bereitet von dort aus einen Aufenthalt in den USA vor, der wohl eigentlich eine Emigration aus Deutschland sein soll. Er bricht am 2. Juni 1939 auf, doch Zweifel quälen ihn. Keine drei Wochen später lehnt er alle ihm angebotenen Beschäftigungen in den USA ab und kehrt nach Deutschland zurück. Er schreibt in einem Brief: „Es war ein Fehler von mir, nach Amerika zu kommen. Ich muss diese schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben. Ich werde kein Recht haben, auf Wiederherstellung des christlichen Lebens nach dem Kriege in Deutschland mitzuwirken, wenn ich die Prüfungen dieser Zeit nicht mit meinem Volk teile. Die Christen Deutschlands stehen vor der fürchterlichen Alternative, entweder in die Niederlage ihrer Nation einzuwilligen, damit die christliche Zivilisation weiterleben kann, oder in den Sieg einzuwilligen und dabei unsere Zivilisation zu zerstören. Ich weiß, welche dieser Alternativen 2 ich zu wählen habe: aber ich kann diese Wahl nicht treffen, während ich mich in Sicherheit befinde.“ Inzwischen ist Bonhoeffer intensiv in die erfolglosen Umsturzplanungen der Gruppe Oster und Dohnanyi eingeweiht, die Hitler vor dem heißen Krieg im Westen stoppen sollen. Doch die unerwartet schnelle Kapitulation Frankreichs bringt Hitler den Höhepunkt seines Ansehens. Nach einer Razzia der Gestapo bekommt Bonhoeffer ein Redeverbot wegen „volkszersetzender Tätigkeit“. Seine Einberufung zur Wehrmacht steht unmittelbar bevor. Doch die Abwehrorganisation von Canaris stellt eine Unabkömmlichkeitserklärung für Bonhoeffer aus und verpflichtet ihn als zivilen Abwehrmann bei ihrer Münchner Dienststelle. Damit beginnt sein Weg in den aktiven militärischen Widerstandskreis. Seine Aufträge sind doppeldeutig: Einerseits hat er ausländische Nachrichten aufzuzeichnen – dies zur Tarnung – andererseits Signale von einer Fortsetzung des deutschen Widerstandes in das Ausland zu vermitteln. Außerdem versorgt er die Verschwörer mit Informationen von ausländischen Freunden. Im Auftrag der Abwehr mit ihren Pass- und Visamöglichkeiten unternimmt er nun Reisen in die Schweiz und nach Schweden, Norwegen und Italien. Im Frühjahr 1943 beginnt die Lage für ihn und andere brenzlig zu werden. Sie erhalten Warnungen, dass sie beobachtet und ihre Telefone abgehört würden und dass es zu Hausdurchsuchungen kommen könnte. Am 5. April 1943 wird Dietrich Bonhoeffer im Haus seiner Eltern festgenommen und in das Tegeler Militärgefängnis eingeliefert. Im Januar dieses Jahres hat sich Bonhoeffer mit Maria von Wedemeyer verlobt. Sie ist 18 Jahre alt, sehr schön, klug und vital. In der weiteren Familie wird die Verlobung erst bekannt, als Bonhoeffer sich im Tegeler Gefängnis befindet. Das Leben in der Zelle des Gefängnisses ist zunächst qualvoll. Zunächst erhält er strenge Isolierhaft. Nach der Verhörzeit wird die Zelle zum Studierzimmer. Es gibt Bücher, Schreibpapier, Zigaretten, Kaffee und Nahrungsmittel – alles herbeigeschafft von der Braut und der Familie. Nachdem anfangs nur die zensierten, das heißt offiziell erlaubten Briefe alle 10 Tage aus dem Gefängnis gelangen, kommen später zusätzlich die geschmuggelten hinzu, aus denen nach dem Krieg sein Freund Eberhard Bethge das Buch „Widerstand und Ergebung“ zusammenstellt. Günstig wirkt sich aus, dass Tegel ein Militärgefängnis ist und dass altgediente, frontuntaugliche Soldaten den Nachtdienst versehen. Unter diesen gibt es Sympathisanten für den interessanten, großzügigen Häftling. Außerdem unterstehen die Berliner Militärgefängnisse einem Vetter von Bonhoeffers Mutter: Generalleutnant Paul von Hase, Stadtkommandant der Hauptstadt. Hase ist dann selbst am Putsch gegen Hitler beteiligt und wird gleich nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet. Zunächst lässt Hitler die unmittelbar im Zusammenhang mit dem 20. Juli Ergriffenen sofort exekutieren, ehe durch sie noch weitere Kreise der Verschwörung aufgedeckt werden können. Jetzt fasst Bonhoeffer den Plan, die Flucht zu versuchen und unterzutauchen. Ein Gefängniswärter will ihm unverdächtige Kleidung bringen und mit ihm gemeinsam untertauchen. Doch Bonhoeffer fürchtet, dass seine Angehörigen nach seiner Flucht in Sippenhaft genommen werden, und bleibt im Gefängnis. Inzwischen hat die Gestapo einen ihrer wichtigsten Funde gemacht: In Zossen bei Berlin entdeckt man in einem Panzerschrank Akten der Abwehr, die beweisen, wer alles in die Verschwörung verwickelt sind, und zwar schon seit 1938. Sofort widerruft Hitler den Befehl zur sofortigen Hinrichtung der Konspiratoren, um die weitere Verzweigung der Verschwörung sorgfältiger ausforschen zu lassen. Am 8. Oktober 1944 holt ein Gestapokommando Bonhoeffer aus dem Tegeler Gefängnis in ein Kellergefängnis der Gestapo. Im Frühjahr 1945 wird er einem Sondertransport mit 3 anderen prominenten Häftlingen in das KZ Buchenwald zugeteilt. Am 3. April 1945 nahen aber die Amerikaner, und so verlädt man die Buchenwalder Gefangenen und bringt sie in den Bayrischen Wald. Am 5. April findet die Mittagsbesprechung der militärischen Lage im Führerbunker in Berlin statt. Es wird die letzte sein. Dort fällt die Entscheidung: Dietrich Bonhoeffer, sein Schwager Dohnanyi, Admiral Canaris und General Oster sollen nicht überleben. Ein SS-Richter wird ins KZ Flossenbürg in Marsch gesetzt und verurteilt dort die Angeklagten in einer Schnellverhandlung ohne Verteidiger standgerichtlich zum Tode. Im Morgengrauen des 9. April werden Dietrich Bonhoeffer und seine Freunde gehängt. Der Lagerarzt schreibt später: „Am Morgen des betreffenden Tages zwischen 5 und 6 Uhr wurden die Gefangenen, darunter Admiral Canaris, General Oster und Reichsgerichtsrat Sack aus den Zellen geführt und die kriegsgerichtlichen Urteile verlesen. Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefasst die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“ Die Leichen und alle verbliebenen Gegenstände der Verurteilten werden verbrannt. Für seinen Freund, den Bischof George Bell von Chichester, sind die letzten Worte bestimmt, die uns Dietrich Bonhoeffer überliefert: „Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens. Ich glaube an die universale christliche Brüderlichkeit über alle nationalen Interessen hinweg, und ich glaube, dass uns der Sieg sicher ist.“ Aufruf zur Nachfolge Am Dietrich Bonhoeffer der dreißiger Jahre fasziniert mich die vollkommene Übereinstimmung zwischen seinem theologischen Denken, der tiefen Emotionalität, mit der er seinen Glauben verkündigt und seinem daraus abgeleiteten persönlichen Handeln in einer fürchterlichen Zeit. Seit seinem Studienjahr in New York steht für ihn die Bergpredigt im Mittelpunkt seines theologischen Denkens. Bis zu dieser Zeit hatte er die Ansicht der meisten protestantischen Theologen für richtig gehalten: Demnach ist die Bergpredigt nicht Anweisung zur Umgestaltung der Welt, sondern Hinweis auf deren Erlösungsbedürftigkeit durch Gott, die die Kirche im Evangelium verkündet. Das entspricht ganz der Trennung von Eigengesetzlichkeit der Welt hier – Evangelium für das persönliche Heil dort. Der junge Pfarrer aus Frankreich Jean Lasserre überzeugt ihn, dass die Seligpreisung der Friedensstifter und die Forderung der Feindesliebe von Jesus ernstgemeint sind und auch in der realen Welt realisiert werden müssen. Bonhoeffer begreift diesen christlichen Pazifismus als Auftrag für die ganze Kirche, für die gesamte Christenheit und fordert zum Handeln auf. In einer Morgenandacht während des ökumenischen Jugendtreffens 1934 auf Fanö predigt er: „Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grund nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg zur Sicherheit. Noch einmal darum: Wie wird Friede? Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, dass die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muss und dass die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus 4 der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.“ Genau fünfzig Jahre später wird die Friedensbewegung in beiden deutschen Staaten nach der Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen in Europa diese Worte neu hören und ein ökumenisches Konzil des Friedens fordern. Damals bleibt Dietrich ein „Rufer in der Wüste“ und ein Prophet, der vor allem im eigenen Land nichts gilt. Während seiner Tätigkeit im Predigerseminar in Finkenwalde ist das Thema „Nachfolge“ im Zentrum seines Denkens, seines Lebens und seiner Lehre. Wie zeigt sich heute der Gehorsam gegen das Gebot Jesu? Seine Antwort lautet: indem man ohne Kompromisse nach der Bergpredigt zu leben versucht. Die Bergpredigt spiegelt wider, was die urchristliche Gemeinde als alternative Lebensform zu praktizieren versuchte: Gewaltfreiheit, Feindesliebe, Gerechtigkeit und die Erfüllung menschlicher Gemeinschaftsformen wie Freundschaft und Ehe nicht nach „Buchstaben“, sondern nach dem Geist der Gebote Gottes. Er schreibt seinem Bruder Karl-Friedrich 1935: „Ich glaube zu wissen, dass ich eigentlich erst innerlich klar und aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich anfange, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle, die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann, bis von dem Feuerwerk nur ein paar ausgebrannte Reste übrigbleiben. Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromisslosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür Menschen zu sammeln.“ 1937 veröffentlicht er diese Gedanken ausführlich in seinem Buch „Nachfolge“, das seitdem in vielen Auflagen erschien. Wir möchten Ihnen daraus einige Auszüge vortragen: Was hat Jesus uns sagen wollen? Was will er heute von uns? Wie hilft er uns dazu, heute treue Christen zu sein? Nicht was dieser oder jener Mann der Kirche will, ist uns zuletzt wichtig, sondern was Jesus will, wollen wir wissen. Wie viel unreiner Klang, wie viele menschliche, harte Gesetze und wie viele falsche Hoffnungen und Tröstungen trüben noch das reine Wort Jesu und erschweren die echte Entscheidung! Wer ungeteilt dem Gebote Jesu folgt, wer das Joch Jesu ohne Widerstreben auf sich ruhen lässt, dem wird die Last leicht, die er zu tragen hat, der empfängt in dem sanften Druck dieses Joches die Kraft, den rechten Weg ohne Ermatten zu gehen. Jesus sagt etwa: Verkaufe deine Güter! Jesus meint aber: Nicht darauf kommt es in Wahrheit an, dass du das nun auch äußerlich vollziehst, vielmehr sollst du die Güter ruhig behalten, aber du sollst sie haben, als hättest du sie nicht. Hänge dein Herz nicht an die Güter. Unser Gehorsam gegen das Wort Jesu würde also darin bestehen, dass wir den einfältigen Gehorsam als gesetzlich gerade verweigern, um dann „im Glauben“ gehorsam zu sein. Damit unterscheiden wir uns vom reichen Jüngling. Er ging traurig davon und war mit dem Gehorsam um den Glauben gekommen. Offenbar stand es nach der Meinung Jesu mit dem Jüngling so, dass dieser sich eben nicht innerlich von seinem Reichtum frei machen konnte. Der Ruf Jesu ist zwar „unbedingt ernst zu nehmen“, aber der wahre Gehorsam gegen ihn besteht darin, dass ich nun gerade in meinem Beruf, in meiner Familie bleibe und ihm dort diene, und zwar in wahrer innerer Freiheit. Gemeint sei eben die letzte innere Bereitschaft, für das Reich Gottes alles einzusetzen. Es ist überall dasselbe, nämlich die bewusste Aufhebung des einfältigen, wörtlichen Gehorsams. „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Jesu Nachfolger sind zum Frieden berufen. Als Jesus sie rief, fanden sie ihren Frieden. Jesus ist ihr Friede. Nun sollen sie den Frieden nicht nur haben, sondern auch schaffen. Damit tun sie Verzicht auf Gewalt und Aufruhr. Das Reich Christi ist ein Reich des Friedens, und die Gemeinde Christi grüßt sich mit dem Friedensgruß. Die Jünger Jesu halten Frieden, indem sie lieber selbst leiden, als dass sie einem Anderen Leid tun, sie bewahren Gemeinschaft, wo der Andere sie brechen, sie 5 verzichten auf Selbstbehauptung und halten dem Hass und Unrecht stille. So überwinden sie Böses mit Gutem. So sind sie Stifter göttlichen Friedens mitten in einer Welt des Hasses und Krieges. Die Friedfertigen werden mit ihrem Herrn das Kreuz tragen; denn am Kreuz wurde der Friede gemacht. Weil sie so in das Friedenswerk Christi hinein-gezogen sind, berufen zum Werk des Sohnes Gottes, darum werden sie selbst Söhne Gottes genannt werden. Die Gemeinde der Seliggepriesenen ist die Gemeinde des Gekreuzigten. Mit ihm verlor sie alles und mit ihm fand sie alles. Vom Kreuz her heißt es nun: selig, selig. Nun aber spricht Jesus darum in direkter Anrede: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost: es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“ Die Nachfolgenden sind die sichtbare Gemeinde, ihre Nachfolge ist ein sichtbares Tun, durch das sie sich aus der Welt herausheben – oder es ist eben nicht Nachfolge. Flucht in die Unsichtbarkeit ist Verleugnung des Rufes. Gemeinde Jesu, die unsichtbare Gemeinde sein will, ist keine nachfolgende Gemeinde mehr. In einer Londoner Predigt von 1935 schließt Bonhoeffer mit einem Appell an uns Jesus zu suchen: „Aber nun steht hier am Schluss eine Frage zwischen uns, die wir bei Namen nennen müssen, damit sie uns nicht verwirre. Sie sagen: Jesus ist tot. Wie sollen wir zu ihm gehen? Wie soll er uns trösten? Wie soll er uns helfen? Was können wir antworten als dies: Nein, Jesus lebt, lebt hier mitten unter uns. Such ihn nur, hier oder bei dir zu Haus. Ruf ihn an, frag ihn, bitte ihn. Und er wird plötzlich bei dir sein. Und du wirst wissen, dass er lebt. Du siehst ihn nicht, du spürst ihn. Du hörst ihn nicht, aber du weißt, er ist da, er hilft, er tröstet, er allein. Und du nimmst dein Joch auf dich und wirst froh und wartest. Und sehnst dich nach der letzten Ruhe bei ihm. Bonhoeffer hat an dieser Position auch festgehalten, als später verhaftet wurde und jahrelang im Gefängnis saß. Dort verfasste er ein Gedicht, das seine unerschütterliche Position widerspiegelt: Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten. Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist. Rolf Polle 6
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