2. Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer
Biografisches
In unserem linken Chorfenster unten sehen wir den Kopf Dietrich Bonhoeffers, aus einer
Fotografie vom August 1935.
Ende der achtziger Jahre berieten wir im Kirchenvorstand, welche Persönlichkeiten als
„moderne Apostel“ in den Kirchenfenstern erscheinen sollten. Gleich am Anfang der
Beratungen nannte jemand Dietrich Bonhoeffer. Alle unterstützten sofort diesen Vorschlag.
Das war in der unmittelbaren Nachkriegszeit völlig anders, Bonhoeffer war umstritten, weil er
in die Verschwörung um das Attentat gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 verwickelt war und
deswegen auch gehängt wurde. Ein Pastor, der die Tötung eines Menschen rechtfertigt, auch
wenn dies Adolf Hitler ist? Die evangelische Kirche ehrte ihre christlichen Märtyrer der
Nazizeit, lehnte jedoch den politischen Widerstand ausdrücklich ab. Bonhoeffer zählte man zu
den politischen Widerständlern. Das änderte sich erst in den achtziger Jahren.
Wer war also dieser Mann?
Dietrich Bonhoeffer wird am 4. Februar 1906 in Breslau als sechstes Kind der Familie
geboren. Insgesamt bekommt seine Mutter Paula Bonhoeffer geb. von Hase acht Kinder: Karl
Friedrich, Walter, Klaus, Ursula, Christine, die Zwillinge Dietrich und Sabine sowie Susanne.
Sein Vater Karl Bonhoeffer ist Professor für Psychiatrie und Neurologie. 1912 zieht die
Familie nach Berlin.
Die Mutter ist ausgebildete Lehrerin und unterrichtet ihre und auch fremde Kinder der
Nachbarn in den ersten Jahren selber. Sie leben in einem großbürgerlichen Haushalt mit
Kindermädchen, Hausmädchen, Erzieherin, Stubenmädchen und Köchin. So ist Dietrichs
Kinderwelt eine heile Welt.
Im Jahre 1916 zieht die Familie in den Stadtteil Grunewald, wo ein regelrechtes
Professorenviertel entsteht. Die Kinder dieser Familien befreunden sich schnell, heiraten
vielfach untereinander – und etliche gehen dann auch gemeinsam in den konspirativen
Widerstand gegen das Naziregime.
Schon als Kind möchte Dietrich Pfarrer werden, obwohl die Familie nicht besonders kirchlich
ist. Allerdings werden christliche Haussitten gepflegt, so das gemeinsame Tischgebet.
Nachdem Dietrich Bonhoeffer bereits mit 17 Jahren Abitur gemacht hat, beginnt er sein
Theologiestudium in Tübingen und setzt es in Berlin fort. Im Alter von 21 Jahren schließt er
seine Doktorarbeit ab und besteht das erste theologische Examen seiner Kirche.
Sein Vikariat leistet er in der deutschen Auslandsgemeinde Barcelona ab und kehrt
im Frühjahr 1929 wieder in die akademische Welt seiner Berliner Fakultät zurück. In
kürzester Zeit bewältigt er seine Habilitation und hält bereits im Juli 1930 seine
Antrittsvorlesung. Da er wegen seines jugendlichen Alters noch anderthalb Jahre auf seine
Ordination warten muss, legt er ein Studienjahr in den USA ein.
Dort lernt er in den Kirchengemeinden Harlems praktische Pastoralarbeit kennen und erlebt
die Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Nach seiner Heimkehr 1931 hält er in Berlin Vorlesungen und Seminare und ist als
Studentenpfarrer tätig.
Außerdem übernimmt er die Geschäfte eines Jugendsekretärs im Weltbund für
Freundschaftsarbeit der Kirchen sowie im Ökumenischen Rat für Praktisches Christentum
und fährt zur Konferenz des Weltbundes der Kirchen nach Cambridge. Dies wird für ihn zum
Eintritt in die ökumenische Lebensaufgabe.
Mehr und mehr bezieht sich Bonhoeffers Denken und Handeln auf die Bergpredigt. Und er
tritt unter Studenten und Pfarrern für einen christlichen Pazifismus ein. Er schreibt:
„Ich stürzte mich in die Arbeit in sehr unchristlicher Weise. Ein Ehrgeiz, den manche an mir
gemerkt haben, machte mir das Leben schwer. Dann kam etwas anderes, etwas, was mein
Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Ich
hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und
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gepredigt – und ich war noch kein Christ geworden. Dann kam die Not von 1933. Das hat
mich darin bestärkt. Ich fand nun auch Menschen, die dieses Ziel mit mir ins Auge fassten. Es
lag mir nun alles an der Erneuerung der Kirche und des Pfarrerstandes. Der christliche
Pazifismus, den ich noch kurz vorher leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als
Selbstverständlichkeit auf.“
Als im April 1933 ein Gesetz den Juden staatliche Ämter verbietet, entwirft er als einer der
ersten Männer der Kirche einen Vortrag mit dem Titel „Die Kirche vor der Judenfrage“.
Er schreibt darin: „1. Die Kirche hat den Staat zu fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim
staatliches Handeln verantwortet werden könne. Sie wird diese Frage heute in Bezug auf die
Judenfrage in aller Deutlichkeit stellen müssen. 2. Die Kirche ist den Opfern jeder
Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen
Gemeinde zugehören. 3. Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung
und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu
verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“
Angesichts seiner Erfolglosigkeit im Kirchenkampf übernimmt Bonhoeffer ein Pfarramt in
zwei Londoner Ausländergemeinden. Doch schon nach eineinhalb Jahren kehrt er nach
Deutschland zurück, um in der Bekennenden Kirche die Opposition gegen den Nazistaat
wieder aufzunehmen.
Die ökumenische Konferenz von Fanö im August 1934 wählt Bonhoeffer in den
Ökumenischen Rat. Dennoch erreicht Bonhoeffer nie, was er will: einen Ausschluss der
Reichskirchenregierung. Auch aus diesem Grund legt Bonhoeffer 1937 seine ökumenischen
Ämter nieder. Seinen Freunden in der Ökumene erscheint er in dieser Zeit als zu starrsinnig.
1935 wird Dietrich Bonhoeffer Gründer und Leiter eines Predigerseminars der Bekennenden
Kirche in Pommern. Zwei Jahre später löst die Gestapo das Seminar auf und versiegelt das
Haus. Bonhoeffer arbeitet aber unverdrossen mit seinen Kandidaten weiter in Form eines
„Sammelvikariats“. Die Vikare sind formal bei Gemeindepfarrern tätig und kommen die
Woche über in einem leeren Pfarrhaus zusammen, wo er seinen Lehrbetrieb fortsetzt. Im
März 1940 kommt die Gestapo wieder und versiegelt auch dieses Haus.
Schon 1935 bittet Bonhoeffer einige Kandidaten, mit ihm eine Kommunität, also eine
klosterähnliche Wohngemeinschaft zu bilden. Man unterwirft sich einer Gebetsdisziplin, teilt
die Finanzen, die allerdings überwiegend aus Bonhoeffers Gehalt stammen, übernimmt
Aufgaben im Unterricht und Leben des Seminars und in den benachbarten
Bekenntnisgemeinden.
Die Arbeit im Seminar bringt Bonhoeffer in Verbindung mit den Trägern der pommerschen
Bekennenden Kirche. Das sind meist Gutsbesitzer mit ihren Familien. Unter den Kindern ist
dann auch Maria von Wedemeyer, die später Dietrich Bonhoeffers Braut wird.
Während die Wehrmacht im März 1939 nach „Böhmen und Mähren“ einmarschiert, ist
Bonhoeffer bei seiner Schwester Susanne in deren englischem Exil zu Besuch und bereitet
von dort aus einen Aufenthalt in den USA vor, der wohl eigentlich eine Emigration aus
Deutschland sein soll.
Er bricht am 2. Juni 1939 auf, doch Zweifel quälen ihn.
Keine drei Wochen später lehnt er alle ihm angebotenen Beschäftigungen in den USA ab und
kehrt nach Deutschland zurück. Er schreibt in einem Brief:
„Es war ein Fehler von mir, nach Amerika zu kommen. Ich muss diese schwierige Periode
unserer nationalen Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben. Ich werde kein
Recht haben, auf Wiederherstellung des christlichen Lebens nach dem Kriege in Deutschland
mitzuwirken, wenn ich die Prüfungen dieser Zeit nicht mit meinem Volk teile. Die Christen
Deutschlands stehen vor der fürchterlichen Alternative, entweder in die Niederlage ihrer
Nation einzuwilligen, damit die christliche Zivilisation weiterleben kann, oder in den Sieg
einzuwilligen und dabei unsere Zivilisation zu zerstören. Ich weiß, welche dieser Alternativen
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ich zu wählen habe: aber ich kann diese Wahl nicht treffen, während ich mich in Sicherheit
befinde.“
Inzwischen ist Bonhoeffer intensiv in die erfolglosen Umsturzplanungen der Gruppe Oster
und Dohnanyi eingeweiht, die Hitler vor dem heißen Krieg im Westen stoppen sollen. Doch
die unerwartet schnelle Kapitulation Frankreichs bringt Hitler den Höhepunkt seines
Ansehens.
Nach einer Razzia der Gestapo bekommt Bonhoeffer ein Redeverbot wegen
„volkszersetzender Tätigkeit“. Seine Einberufung zur Wehrmacht steht unmittelbar bevor.
Doch die Abwehrorganisation von Canaris stellt eine Unabkömmlichkeitserklärung für
Bonhoeffer aus und verpflichtet ihn als zivilen Abwehrmann bei ihrer Münchner Dienststelle.
Damit beginnt sein Weg in den aktiven militärischen Widerstandskreis.
Seine Aufträge sind doppeldeutig: Einerseits hat er ausländische Nachrichten aufzuzeichnen –
dies zur Tarnung – andererseits Signale von einer Fortsetzung des deutschen Widerstandes in
das Ausland zu vermitteln. Außerdem versorgt er die Verschwörer mit Informationen von
ausländischen Freunden.
Im Auftrag der Abwehr mit ihren Pass- und Visamöglichkeiten unternimmt er nun Reisen in
die Schweiz und nach Schweden, Norwegen und Italien.
Im Frühjahr 1943 beginnt die Lage für ihn und andere brenzlig zu werden. Sie erhalten
Warnungen, dass sie beobachtet und ihre Telefone abgehört würden und dass es zu
Hausdurchsuchungen kommen könnte.
Am 5. April 1943 wird Dietrich Bonhoeffer im Haus seiner Eltern festgenommen und in das
Tegeler Militärgefängnis eingeliefert.
Im Januar dieses Jahres hat sich Bonhoeffer mit Maria von Wedemeyer verlobt. Sie ist 18
Jahre alt, sehr schön, klug und vital. In der weiteren Familie wird die Verlobung erst bekannt,
als Bonhoeffer sich im Tegeler Gefängnis befindet.
Das Leben in der Zelle des Gefängnisses ist zunächst qualvoll. Zunächst erhält er strenge
Isolierhaft. Nach der Verhörzeit wird die Zelle zum Studierzimmer. Es gibt Bücher,
Schreibpapier, Zigaretten, Kaffee und Nahrungsmittel – alles herbeigeschafft von der Braut
und der Familie. Nachdem anfangs nur die zensierten, das heißt offiziell erlaubten Briefe alle
10 Tage aus dem Gefängnis gelangen, kommen später zusätzlich die geschmuggelten hinzu,
aus denen nach dem Krieg sein Freund Eberhard Bethge das Buch „Widerstand und
Ergebung“ zusammenstellt.
Günstig wirkt sich aus, dass Tegel ein Militärgefängnis ist und dass altgediente,
frontuntaugliche Soldaten den Nachtdienst versehen. Unter diesen gibt es Sympathisanten für
den interessanten, großzügigen Häftling. Außerdem unterstehen die Berliner
Militärgefängnisse einem Vetter von Bonhoeffers Mutter: Generalleutnant Paul von Hase,
Stadtkommandant der Hauptstadt. Hase ist dann selbst am Putsch gegen Hitler beteiligt und
wird gleich nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet.
Zunächst lässt Hitler die unmittelbar im Zusammenhang mit dem 20. Juli Ergriffenen sofort
exekutieren, ehe durch sie noch weitere Kreise der Verschwörung aufgedeckt werden können.
Jetzt fasst Bonhoeffer den Plan, die Flucht zu versuchen und unterzutauchen. Ein
Gefängniswärter will ihm unverdächtige Kleidung bringen und mit ihm gemeinsam
untertauchen. Doch Bonhoeffer fürchtet, dass seine Angehörigen nach seiner Flucht in
Sippenhaft genommen werden, und bleibt im Gefängnis.
Inzwischen hat die Gestapo einen ihrer wichtigsten Funde gemacht: In Zossen bei Berlin
entdeckt man in einem Panzerschrank Akten der Abwehr, die beweisen, wer alles in die
Verschwörung verwickelt sind, und zwar schon seit 1938. Sofort widerruft Hitler den Befehl
zur sofortigen Hinrichtung der Konspiratoren, um die weitere Verzweigung der
Verschwörung sorgfältiger ausforschen zu lassen.
Am 8. Oktober 1944 holt ein Gestapokommando Bonhoeffer aus dem Tegeler Gefängnis in
ein Kellergefängnis der Gestapo. Im Frühjahr 1945 wird er einem Sondertransport mit
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anderen prominenten Häftlingen in das KZ Buchenwald zugeteilt. Am 3. April 1945 nahen
aber die Amerikaner, und so verlädt man die Buchenwalder Gefangenen und bringt sie in den
Bayrischen Wald.
Am 5. April findet die Mittagsbesprechung der militärischen Lage im Führerbunker in Berlin
statt. Es wird die letzte sein. Dort fällt die Entscheidung: Dietrich Bonhoeffer, sein Schwager
Dohnanyi, Admiral Canaris und General Oster sollen nicht überleben.
Ein SS-Richter wird ins KZ Flossenbürg in Marsch gesetzt und verurteilt dort die
Angeklagten in einer Schnellverhandlung ohne Verteidiger standgerichtlich zum Tode. Im
Morgengrauen des 9. April werden Dietrich Bonhoeffer und seine Freunde gehängt.
Der Lagerarzt schreibt später:
„Am Morgen des betreffenden Tages zwischen 5 und 6 Uhr wurden die Gefangenen, darunter
Admiral Canaris, General Oster und Reichsgerichtsrat Sack aus den Zellen geführt und die
kriegsgerichtlichen Urteile verlesen. Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im
Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem
Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes
dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an
der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefasst
die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast
50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“
Die Leichen und alle verbliebenen Gegenstände der Verurteilten werden verbrannt.
Für seinen Freund, den Bischof George Bell von Chichester, sind die letzten Worte bestimmt,
die uns Dietrich Bonhoeffer überliefert:
„Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens. Ich glaube an die universale christliche
Brüderlichkeit über alle nationalen Interessen hinweg, und ich glaube, dass uns der Sieg
sicher ist.“
Aufruf zur Nachfolge
Am Dietrich Bonhoeffer der dreißiger Jahre fasziniert mich die vollkommene
Übereinstimmung zwischen seinem theologischen Denken, der tiefen Emotionalität, mit der
er seinen Glauben verkündigt und seinem daraus abgeleiteten persönlichen Handeln in einer
fürchterlichen Zeit. Seit seinem Studienjahr in New York steht für ihn die Bergpredigt im
Mittelpunkt seines theologischen Denkens.
Bis zu dieser Zeit hatte er die Ansicht der meisten protestantischen Theologen für richtig
gehalten: Demnach ist die Bergpredigt nicht Anweisung zur Umgestaltung der Welt, sondern
Hinweis auf deren Erlösungsbedürftigkeit durch Gott, die die Kirche im Evangelium
verkündet. Das entspricht ganz der Trennung von Eigengesetzlichkeit der Welt hier –
Evangelium für das persönliche Heil dort. Der junge Pfarrer aus Frankreich Jean Lasserre
überzeugt ihn, dass die Seligpreisung der Friedensstifter und die Forderung der Feindesliebe
von Jesus ernstgemeint sind und auch in der realen Welt realisiert werden müssen. Bonhoeffer
begreift diesen christlichen Pazifismus als Auftrag für die ganze Kirche, für die gesamte
Christenheit und fordert zum Handeln auf.
In einer Morgenandacht während des ökumenischen Jugendtreffens 1934 auf Fanö predigt er:
„Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung
internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern? Oder gar durch eine allseitige
friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles
aus dem einen Grund nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt
keinen Weg zum Frieden auf dem Weg zur Sicherheit. Noch einmal darum: Wie wird Friede?
Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so
sagen, dass die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muss und dass die
Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus
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der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die
rasende Welt.“
Genau fünfzig Jahre später wird die Friedensbewegung in beiden deutschen Staaten nach der
Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen in Europa diese Worte neu hören und ein
ökumenisches Konzil des Friedens fordern. Damals bleibt Dietrich ein „Rufer in der Wüste“
und ein Prophet, der vor allem im eigenen Land nichts gilt. Während seiner Tätigkeit im
Predigerseminar in Finkenwalde ist das Thema „Nachfolge“ im Zentrum seines Denkens,
seines Lebens und seiner Lehre. Wie zeigt sich heute der Gehorsam gegen das Gebot Jesu?
Seine Antwort lautet: indem man ohne Kompromisse nach der Bergpredigt zu leben versucht.
Die Bergpredigt spiegelt wider, was die urchristliche Gemeinde als alternative Lebensform zu
praktizieren versuchte: Gewaltfreiheit, Feindesliebe, Gerechtigkeit und die Erfüllung
menschlicher Gemeinschaftsformen wie Freundschaft und Ehe nicht nach „Buchstaben“,
sondern nach dem Geist der Gebote Gottes.
Er schreibt seinem Bruder Karl-Friedrich 1935:
„Ich glaube zu wissen, dass ich eigentlich erst innerlich klar und aufrichtig sein würde, wenn
ich mit der Bergpredigt wirklich anfange, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle,
die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann, bis von dem Feuerwerk
nur ein paar ausgebrannte Reste übrigbleiben. Die Restauration der Kirche kommt gewiss
aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromisslosigkeit eines Lebens
nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist an der Zeit,
hierfür Menschen zu sammeln.“
1937 veröffentlicht er diese Gedanken ausführlich in seinem Buch „Nachfolge“, das seitdem
in vielen Auflagen erschien. Wir möchten Ihnen daraus einige Auszüge vortragen:
Was hat Jesus uns sagen wollen? Was will er heute von uns? Wie hilft er uns dazu, heute
treue Christen zu sein? Nicht was dieser oder jener Mann der Kirche will, ist uns zuletzt
wichtig, sondern was Jesus will, wollen wir wissen.
Wie viel unreiner Klang, wie viele menschliche, harte Gesetze und wie viele falsche
Hoffnungen und Tröstungen trüben noch das reine Wort Jesu und erschweren die echte
Entscheidung! Wer ungeteilt dem Gebote Jesu folgt, wer das Joch Jesu ohne Widerstreben auf
sich ruhen lässt, dem wird die Last leicht, die er zu tragen hat, der empfängt in dem sanften
Druck dieses Joches die Kraft, den rechten Weg ohne Ermatten zu gehen.
Jesus sagt etwa: Verkaufe deine Güter! Jesus meint aber: Nicht darauf kommt es in Wahrheit
an, dass du das nun auch äußerlich vollziehst, vielmehr sollst du die Güter ruhig behalten,
aber du sollst sie haben, als hättest du sie nicht. Hänge dein Herz nicht an die Güter. Unser
Gehorsam gegen das Wort Jesu würde also darin bestehen, dass wir den einfältigen
Gehorsam als gesetzlich gerade verweigern, um dann „im Glauben“ gehorsam zu sein. Damit
unterscheiden wir uns vom reichen Jüngling. Er ging traurig davon und war mit dem
Gehorsam um den Glauben gekommen. Offenbar stand es nach der Meinung Jesu mit dem
Jüngling so, dass dieser sich eben nicht innerlich von seinem Reichtum frei machen konnte.
Der Ruf Jesu ist zwar „unbedingt ernst zu nehmen“, aber der wahre Gehorsam gegen ihn
besteht darin, dass ich nun gerade in meinem Beruf, in meiner Familie bleibe und ihm dort
diene, und zwar in wahrer innerer Freiheit. Gemeint sei eben die letzte innere Bereitschaft,
für das Reich Gottes alles einzusetzen. Es ist überall dasselbe, nämlich die bewusste
Aufhebung des einfältigen, wörtlichen Gehorsams.
„Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Jesu Nachfolger sind
zum Frieden berufen. Als Jesus sie rief, fanden sie ihren Frieden. Jesus ist ihr Friede. Nun
sollen sie den Frieden nicht nur haben, sondern auch schaffen. Damit tun sie Verzicht auf
Gewalt und Aufruhr.
Das Reich Christi ist ein Reich des Friedens, und die Gemeinde Christi grüßt sich mit dem
Friedensgruß. Die Jünger Jesu halten Frieden, indem sie lieber selbst leiden, als dass sie
einem Anderen Leid tun, sie bewahren Gemeinschaft, wo der Andere sie brechen, sie
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verzichten auf Selbstbehauptung und halten dem Hass und Unrecht stille. So überwinden sie
Böses mit Gutem. So sind sie Stifter göttlichen Friedens mitten in einer Welt des Hasses und
Krieges.
Die Friedfertigen werden mit ihrem Herrn das Kreuz tragen; denn am Kreuz wurde der
Friede gemacht. Weil sie so in das Friedenswerk Christi hinein-gezogen sind, berufen zum
Werk des Sohnes Gottes, darum werden sie selbst Söhne Gottes genannt werden.
Die Gemeinde der Seliggepriesenen ist die Gemeinde des Gekreuzigten. Mit ihm verlor sie
alles und mit ihm fand sie alles. Vom Kreuz her heißt es nun: selig, selig. Nun aber spricht
Jesus darum in direkter Anrede: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen
schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid
fröhlich und getrost: es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie
verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“ Die Nachfolgenden sind die sichtbare
Gemeinde, ihre Nachfolge ist ein sichtbares Tun, durch das sie sich aus der Welt herausheben
– oder es ist eben nicht Nachfolge. Flucht in die Unsichtbarkeit ist Verleugnung des Rufes.
Gemeinde Jesu, die unsichtbare Gemeinde sein will, ist keine nachfolgende Gemeinde mehr.
In einer Londoner Predigt von 1935 schließt Bonhoeffer mit einem Appell an uns Jesus zu
suchen:
„Aber nun steht hier am Schluss eine Frage zwischen uns, die wir bei Namen nennen müssen,
damit sie uns nicht verwirre. Sie sagen: Jesus ist tot. Wie sollen wir zu ihm gehen? Wie soll er
uns trösten? Wie soll er uns helfen? Was können wir antworten als dies: Nein, Jesus lebt, lebt
hier mitten unter uns. Such ihn nur, hier oder bei dir zu Haus. Ruf ihn an, frag ihn, bitte ihn.
Und er wird plötzlich bei dir sein. Und du wirst wissen, dass er lebt. Du siehst ihn nicht, du
spürst ihn. Du hörst ihn nicht, aber du weißt, er ist da, er hilft, er tröstet, er allein. Und du
nimmst dein Joch auf dich und wirst froh und wartest. Und sehnst dich nach der letzten Ruhe
bei ihm.
Bonhoeffer hat an dieser Position auch festgehalten, als später verhaftet wurde und jahrelang
im Gefängnis saß. Dort verfasste er ein Gedicht, das seine unerschütterliche Position
widerspiegelt:
Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Rolf Polle
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