Vermeiden Sie haftungsfolgen! Die 5 schlimmsten Fehler bei der

Recht
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PATIENTENAUFKLÄRUNG
Vermeiden Sie Haftungsfolgen! Die 5 schlimmsten
Fehler bei der Aufklärung von Patienten
von Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, armedis Rechtsanwälte,
Hannover, www.armedis.de
| Im Klinikalltag fällt es Ärzten manchmal schwer, sich für präoperative
Aufklärungsgespräche die notwendige Zeit zu nehmen und den rechtlichen
Anforderungen zu entsprechen. Gerade durch formale Fehler wird aber
­Patienten die Möglichkeit „auf dem Tablett serviert“, H
­ aftungsansprüche zu
verfolgen. Was sind die 5 schlimmsten Aufklärungsfehler – und wie kann
sie der Arzt vermeiden? |
Fehler 1: „Der Assistenzarzt wird es schon richten!“
Bei der präoperativen Aufklärung muss zunächst derjenige Arzt aufklären,
der den Eingriff dann auch vornimmt. Eine Delegation an einen anderen Arzt
ist jedoch grundsätzlich möglich – und wird praktisch meist so gehandhabt.
Aufklärung kann
an anderen Arzt
delegiert werden
Wenn dieser andere Arzt unzureichend aufklärt, kann sich der nicht selbst
aufklärende Operateur aber nicht ohne Weiteres auf Unkenntnis oder Vertrauensschutz berufen. Ihn treffen vielmehr eigene Kontrollpflichten. Bei
Aufklärungsfehlern kann es zu einer Haftung sowohl des mangelhaft aufklärenden als auch des später operierenden Arztes kommen. Der die Operation
­durchführende Oberarzt ist also nicht von der Haftung befreit, wenn das zuvor
durch den Assistenzarzt geführte Aufklärungsgespräch fehlerhaft erfolgte.
◼◼Beispielsfall des Oberlandesgericht (OLG) Koblenz
IHR PLUS IM NETZ
In einem vom OLG Koblenz entschiedenen Fall ging es um eine unfallchirurgische
Umstellungsosteotomie. Hierbei wurden der Patientin weite Teile des Innenmeniskus des linken Kniegelenks entfernt. Es kam zu einer Schädigung des Nervus
peroneus. Über dieses Risiko war die Patientin in dem vom Assistenzarzt geführten präoperativen Aufklärungsgespräch nicht hinreichend aufgeklärt worden
(Urteil vom 12.2.2009, Az. 5 U 927/06, Abruf-Nr. 144066).
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Das Gericht bejahte eine Haftung sowohl des operierenden Oberarztes als
auch des Chefarztes; zudem muss auch der Klinikträger haften. Die Haftung
des Chefarztes wurde allein mit dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens begründet. Der Chefarzt konnte im Prozess nicht zu seiner Entlastung darlegen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um
eine ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen – so das Gericht.
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Abruf-Nr. 144066
Gericht sah Operateur, aufklärenden
Arzt und Klinikträger
in der Haftung
Fehler 2: „Der Patient wird es schon verstanden haben ...“
Der Arzt, der das Aufklärungsgespräch führt, muss sicherstellen, dass der
Patient ihn auch zweifelsfrei verstanden hat. Dies gilt zum einen in sprach­
licher Hinsicht, zum anderen aber auch intellektuell.
02-2016OBERARZT
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◼◼Beispielsfall des OLG Karlsruhe
IHR PLUS IM NETZ
Dem Urteil des OLG Karlsruhe vom 19. März 1997 (Az. 13 U 42/96, Abruf-Nr. 041121)
lag ein Fall zugrunde, in dem eine Patientin wegen einer Magenausgangsstenose
bei rezidivierenden Zwölffingerdarmgeschwüren operiert werden musste.
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Abruf-Nr. 041121
Im Verlauf der Resektion des Magens mit einer Stenose nach Billroth I wurde der
Ductus choledochus durchtrennt. Zwar wurde dies intraoperativ ­bemerkt und
konnte versorgt werden. Nachfolgend waren jedoch zahlreiche Revisionsope­
rationen erforderlich, die erhebliche Spätschäden bei der Patientin verursachten.
Arzt versäumte es,
einen Dolmetscher
hinzuzuziehen
Die Patientin war vom Assistenzarzt aufgeklärt worden. Dieser hatte das
Merkblatt zum Aufklärungsgespräch verwendet. Die Patientin war Türkin
und sprach nur sehr schlecht Deutsch, worüber der Assistenzarzt hinwegging – er zog keinen Dolmetscher beim Gespräch hinzu. Das OLG Karlsruhe
verurteilte sowohl den Assistenzarzt als auch den Operateur.
Fehler 3: „Nur ein Elternteil muss einwilligen!“
Patienten unter
14 Jahren sind
regelmäßig nicht
einwilligungsfähig
Bei minderjährigen Patienten gelten besondere rechtliche Anforderungen im
Hinblick auf die vorzunehmende Aufklärung: Wichtig ist dabei zunächst, dass
die ärztliche Aufklärung gegenüber dem richtigen Adressaten erfolgt. Für
nicht einwilligungsfähige Minderjährige gilt: Es müssen die Eltern aufgeklärt
werden; deren Einwilligung ist einzuholen. In aller Regel betrifft dies alle
­Patienten im Alter von unter 14 Jahren, denen die Rechtsprechung nur in
absoluten Ausnahmefällen Einwilligungsfähigkeit zuerkennt.
Leichte Fälle: Einwilligung eines Elternteils reicht meist
In der täglichen Praxis werden Kinder häufig nur von einem Elternteil in die
Klinik begleitet. Hier ist Vorsicht geboten: Der aufklärende Arzt muss dann
beurteilen, inwieweit dieser Elternteil den nicht anwesenden Elternteil bei
der Einwilligung juristisch mit vertreten kann. Hierauf kann man nach der
Rechtsprechung bei leichten Eingriffen und Routinefällen wie z. B. unproblematischen Medikamentengaben regelmäßig vertrauen.
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Schwere Fälle: Beide Elternteile sollten zustimmen
Bei schweren Eingriffen und weitreichenden Entscheidungen aber ist es
grundsätzlich erforderlich, auch den nicht erschienenen Elternteil im Rahmen der Aufklärung und Einwilligung zu beteiligen.
PRAXISHINWEIS | Eine Ausnahme von der „doppelten“ Einwilligung gilt nur
dann, wenn der nicht erschienene Elternteil gegenüber dem Arzt auf die Einwilligung vorbehaltlos verzichtet. Dies kann der aufklärende Arzt z. B. durch ein
Telefonat sicherstellen. Er sollte auf jeden Fall dafür sorgen, dass dies in der
Akte auch dokumentiert wird.
Im Zweifel beide
Eltern einwilligen
lassen
In Zweifelsfällen sollte der aufklärende Arzt jedoch darauf bestehen, dass
sich beide Elternteile gemeinsam vorstellen und ausdrücklich präoperativ
einwilligen. Nur so kann Rechtssicherheit erreicht werden.
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OBERARZT02-2016
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Fehler 4: „Ab 14 kann der Patient allein entscheiden“
Die Einwilligung der Eltern ist erst dann nicht mehr erforderlich, wenn der
minderjährige Patient selbst die erforderliche Einwilligungsfähigkeit besitzt.
In der Altersstufe zwischen dem 14. und dem 18. Lebensjahr kommt es darauf
an, ob der Minderjährige die erforderliche Einsichts- und Urteils­fähigkeit
über Bedeutung und Tragweite des geplanten Eingriffs und der konkreten
Behandlung besitzt. Hierfür ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich,
die der Minderjährige vornehmen können muss.
Hat der 16-Jährige
die erforderliche
Reife?
Somit kann ein 16-jähriger Patient einwilligungsfähig sein – muss es aber
nicht. Das Risiko, die Einwilligungsfähigkeit falsch zu beurteilen, trägt der
Arzt. Dies ist mit Blick auf einen späteren Prozess nicht zu unterschätzen.
Risiko der falschen
Beurteilung liegt
beim Arzt
PRAXISHINWEIS | Im Zweifel sollte der Arzt daher so vorgehen: Zusätzlich zur
Einwilligung des minderjährigen Patienten selbst lässt er die Eltern ausdrücklich
zustimmen. Dies gilt vor allem, wenn der Eingriff aufgeschoben werden kann.
Wenn sich im Konfliktfall die Einwilligung des einsichtsfähigen Minderjährigen und die Ablehnung des gesetzlichen Vertreters gegenüberstehen, sollte
die Sache zunächst juristisch geklärt werden – etwa durch die Anrufung des
Vormundschaftsgerichts. Im Notfall kann nicht so lange gewartet werden.
Fehler 5: „Der Patient verzichtet auf die Aufklärung“
Selbst wenn der Patient explizit erklärt, auf das mündliche Aufklärungs­
gespräch vor dem operativen Eingriff verzichten zu wollen, ist Vorsicht geboten! Zwar ist es juristisch denkbar, dass der Patient wirksam auf das Aufklärungsgespräch verzichtet hat. Dies erfordert allerdings, dass der Patient
Wann ist der Verzicht
auf Aufklärung juristisch wirksam?
„„ deutlich und unmissverständlich den Verzicht erklärt und
„„ hierfür die erforderliche Einsichtsfähigkeit hat.
Letzteres setzt voraus, dass der Patient einschätzen kann, um welchen Eingriff es sich handelt, ob er erforderlich ist und worin die Risiken bestehen.
Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Patient genau die gleiche Operation schon einmal hat vornehmen lassen und zuvor aufgeklärt worden ist.
Verzicht auf die
Aufklärung bei
früherer identischer
OP möglich
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Bleiben hier Zweifel, ist der Aufklärungsverzicht juristisch unwirksam. Dies
geht zulasten desjenigen Arztes, der den Eingriff vornimmt. Daher ist zu
empfehlen, dass auch bei unkooperativen Patienten zumindest eine „Grundaufklärung“ über die wesentlichen Risiken der Operation vorgenommen wird.
PRAXISHINWEIS | Wenn eine „Grundaufklärung“ vorgenommen wird oder der
Patient auf die Aufklärung verzichtet, sollte dies im Aufklärungsformular festgehalten werden. Der Arzt sollte sich die Passage vom Patienten gegenzeichnen
lassen. Bei besonders schwierigen Patienten sollte der Arzt zudem Zeugen hinzuziehen, die das Aufklärungsgespräch begleiten.
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