Ärztliche Aufklärung Einwilligungsunfähiger: Das sind deren Rechte!

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➫ Patientenrecht
Ärztliche Aufklärung Einwilligungsunfähiger: Das sind
deren Rechte!
Jede medizinische Maßnahme,
sei sie therapeutisch oder auch nur
diagnostisch, ist grundsätzlich ein
rechtswidriger Eingriff in Körper
und Psyche eines Patienten. Nicht
so jedoch, wenn es für den ärztlichen Eingriff eine Rechtfertigung
gibt. Und diese liegt vor allem darin,
dass der Patient seine Einwilligung
dazu erteilt.
Ist der Patient aber nun einwilligungsunfähig, dann steht er nicht
ohne Rechte da. So muss er beispielsweise weiterhin über anstehende
ärztliche Maßnahmen aufgeklärt
werden. Dieses Recht – und noch
etliche weitere – sollen nun vorgestellt werden.
: Internet-Tipp
Seit Ende Februar 2013 sind Einwilligung und Aufklärungspflichten im Rahmen des Behandlungsvertrags in den §§ 630 ff. BGB
geregelt; dort vor allem in den §§
630d und 630e BGB. Kostenlos
nachzulesen sind diese (wie viele
andere Vorschriften auch) unter
www.gesetze-im-internet.de.
Außerdem spielt der Zeitfaktor
eine Rolle. So kann ein Patient, der
an einer schubweise verlaufenden
psychischen Erkrankung leidet, in
dem einen Moment sehr wohl einwilligungsfähig sein. In einem anderen Moment hingegen, hinsichtlich
der gleichen ärztlichen Maßnahme,
kann dies schon wieder ganz anders
liegen.
Einsichts-, Urteils- und
Steuerungsfähigkeit
Definiert wird die Einwilligungsfähigkeit als die Fähigkeit, in die Verletzung eines Rechtsguts einwilligen
bzw. dies ablehnen zu können. Die
einzelnen Kriterien finden Sie in der
Checkliste.
Checkliste: Einwilligungs­
fähigkeit
Es kommt auf die Situation
an
Vorab ist zunächst einmal zu klären, wann ein Patient als nicht mehr
einwilligungsfähig gilt. Dabei kann
diese Frage häufig gar nicht generell
geklärt werden, vielmehr muss der
Arzt jede Situation gesondert beurteilen.
Geht es lediglich um eine ärztliche Untersuchung oder die Behandlung einer Schnittwunde, so
kann der Patient womöglich noch
sehr wohl erfassen, was ansteht, und
danach seine Entscheidung ausrichten. An der Einwilligungsfähigkeit
kann es beim gleichen Patienten
hingegen völlig fehlen, wenn bspw.
eine Strahlenbehandlung oder eine
(womöglich risikoreiche) Operation
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durchgeführt werden soll.
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u Kann der Patient die Art,
Bedeutung und Tragweite
der Maßnahme erfassen
(Einsichtsfähigkeit)?
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u Kann er sie nach Für und
Wider beurteilen (Urteilsfähigkeit)?
4
u Kann er seine Entscheidung danach ausrichten
(Steuerungsfähigkeit)?
4
Was irrelevant ist
Alleine die Tatsache, dass für den
Patienten ein Betreuer bzw. ein Vorsorgebevollmächtigter handelt, heißt
noch lange nicht, dass der Patient
nicht mehr einwilligungsfähig wäre.
Beides ist völlig unabhängig voneinander!
Außerdem gilt: Die verweigerte
Einwilligung darf nicht als Indiz für
die fehlende Einwilligungsfähigkeit oder gar für das Bestehen eines
pathologischen Zustands gedeutet
werden. Selbst wenn der Patient ei-
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ne vermeintlich unvernünftige Entscheidung trifft, so ist das sein gutes
Recht. Solange der Patient noch als
einwilligungsfähig gilt, ist sein Wille
zu respektieren.
: Internet-Tipp
Weiteführende Infos gibt es in der
Sonderausgabe Juni 8/2014: „Einwilligungsfähigkeit: Jede Situation
ist anders zu beurteilen!“ Kostenloser Download für Abonnenten
unter www.rechtssicher-pflegen.
com.
Vertreter muss aufgeklärt
werden …
Kommt der Arzt nach den zuvor
geschilderten Kriterien zu dem Ergebnis, dass der Patient nicht mehr
einwilligungsfähig ist, so muss zunächst einmal sein Vertreter, also der
Betreuer bzw. Vorsorgebevollmächtigte aufgeklärt werden. Gibt es keinen Vertreter, so muss zunächst ein
Betreuer gerichtlich bestellt werden.
Allerdings muss der Vertreter
nicht aufgeklärt werden, wenn es
eine Patientenverfügung gibt, aufgrund derer bereits entschieden werden kann.
Beispiel: Der Tod einer Patientin,
die sich selbst nicht mehr äußern
kann, ist in nächster Zeit absehbar. Geht es nunmehr darum, eine
(womöglich auch risikoträchtige)
Operation durchzuführen, so ist
ein Betreuer nicht mehr dazu berufen, seine Einwilligung zu erteilen,
sondern die Patientenverfügung
umzusetzen und dem Wunsch der
Patienten auf „Sterbenlassen“ zu entsprechen. Die Aufklärung über die
Operation ist mithin nicht notwendig und kann entfallen. Der Patient
hat bereits selbst (zuvor in der Patientenverfügung) entschieden.
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Wichtig: Selbst wenn der Patient
nicht mehr einwilligungsfähig ist,
dann muss der Arzt dennoch versuchen, auch ihn, also nicht nur
dessen Vertreter, über den Eingriff
aufzuklären.
Das ist im ersten Moment vielleicht überraschend. Denn nicht der
Patient, sondern letztlich der Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte
muss seine Einwilligung zur medizinischen Maßnahme erteilen. Warum
muss also zusätzlich noch der Patient aufgeklärt werden, der letztlich
doch gar nichts entscheiden muss?!
Hintergrund hierfür ist ein Urteil des Bundverfassungsgerichts
(BVerfG) aus dem Jahr 2011, das
der Gesetzgeber berücksichtigt hat,
als er die Pflicht zur Aufklärung des
einwilligungsunfähigen Patienten
ausdrücklich in § 630d Abs. 5 BGB
aufgenommen hat. Das BVerfG hat
geurteilt, dass auch diese Personen
nicht über das Ob und Wie einer
Behandlung im Unklaren gelassen
werden dürfen. Selbst wenn sie über
die Behandlung nicht entscheiden
(können), gebietet aber das Recht
auf körperliche Unversehrtheit und
das Allgemeine Persönlichkeitsrecht,
ihnen die wesentlichen Umstände zu
erläutern; und zwar insoweit, als sie
aufgrund ihres Entwicklungsstandes
und ihrer Verständnismöglichkeiten
in der Lage sind, die Erläuterung aufzunehmen.
Die Aufklärungspflicht besteht
außerdem nur, soweit dies dem Wohl
der Patienten nicht zuwiderläuft. So
müsste man z. B. dann darauf verzichten, wenn durch die Erläuterung panikartige Reaktionen oder
ein weiterer psychotischer Schub zu
befürchten wäre.
Rechtsfolgen bei Verstoß?
Welche Folgen hat es, wenn auf
die Aufklärung des einwilligungsunfähigen Patienten verzichtet wird?
Zunächst einmal macht die feh-
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lende Aufklärung nicht die Einwilligung desjenigen zunichte, der zu
ihr berufen ist. Wenn also bspw. der
Betreuer für den Patienten seine (aufgeklärte) Einwilligung erteilt, dann
bleibt diese Einwilligung wirksam,
selbst wenn der Patient nicht zusätzlich aufgeklärt worden ist – oder
wenn die Erläuterungen unzureichend waren.
Fall reicht der mutmaßliche Wille
des Patienten aus. Und dieser wird
im Regelfall dahingehen, dass alles
unternommen werden soll, um ihn
zu heilen. Das Gleiche gilt, wenn der
Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.
Allerdings haftet der Behandelnde womöglich auf den Ersatz materieller oder immaterieller Schäden.
Denn der nicht aufgeklärte Einwilligungsunfähige wurde zum Objekt
der Behandlung herabgewürdigt. In
Frage kommen Schadenersatz und
Schmerzensgeld.
Der Behandelnde ist außerdem
verpflichtet, den Patienten (sowie
dessen Vertreter) über sämtliche für
die Einwilligung wesentliche Umstände aufzuklären. Dazu gehören
insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen
und Risiken der Maßnahme sowie
ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit,
Eignung und Erfolgsaussichten im
Hinblick auf die Diagnose oder die
Therapie.
i
… und der einwilligungsunfähige Patient
§
Mein Expertenrat
Für Schadenersatz muss man erst
einmal einen (finanziellen) Schaden beziffern. Das ist nicht ganz
einfach. Auch gibt es komplizierte Kausalitäts- und Beweisfragen.
Personen, die einen nicht aufgeklärten, einwilligungsunfähigen
Patienten vertreten, sollten vor
allem an Schmerzensgeld denken. Denn hier muss gerade kein
materieller Schaden nachgewiesen werden. Das Schmerzensgeld
kann „frei“ ermittelt werden.
Einwilligung vor dem Eingriff
Nun zurück zu den weiteren Voraussetzungen für die Einwilligung.
Nach § 630 Abs. 1 Satz 1 BGB muss
der Arzt die Einwilligung vor der
Durchführung einer medizinischen
Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit einholen.
Einwilligung nur
ausnahmsweise verzichtbar
Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände
entbehrlich ist, insbesondere wenn
die Maßnahme unaufschiebbar ist.
Das ist z. B. dann der Fall, wenn der
Patient aufgrund eines Herzinfarkts
bewusstlos geworden ist. In diesem
Sämtliche Umstände sind
zu erläutern
Bei der Aufklärung ist auch auf
Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen. Und zwar dann, wenn
mehrere medizinisch gleichermaßen
indizierte und übliche Methoden zu
wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
Kompetente Person muss
rechtzeitig aufklären
Die Aufklärung des Patienten
(und des Vertreters) muss ferner
mündlich durch den Behandelnden
erfolgen. Auch eine Person, die über
die zur Durchführung der Maßnahme notwendigen Ausbildung verfügt, kann die Aufklärung durchführen. Eine Delegation an andere
Ärzte ist also möglich, muss aber so
organisiert sein, dass eine vollumfängliche Aufklärung gewährleistet
wird
Außerdem muss sie so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine
Entscheidung über die Einwilligung
wohlüberlegt treffen kann. Und sie
muss für den Patienten verständlich
sein. Gerade bei Einwilligungsunfähigen muss sich der Behandelnde
also auf deren Verständnisniveau
einlassen.
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