„Unfallversicherung ist die Absicherung des schlimmsten Falles“

UNFALLVERSICHERUNG
„Unfallversicherung ist die
Absicherung des schlimmsten Falles“
Interview mit Wolfgang Freche, Geschäftsführer von freche Versicherungsmakler GmbH & Co. KG
Die derzeitig am Markt erhältlichen Unfallkonzepte lassen nach Ansicht von Versicherungsmakler Wolfgang Freche kaum Wünsche offen. Damit könnte die Unfallversicherung aber
immer weiter von dem Grundgedanken einer „Worst-Case-Absicherung“ abrücken. Moderne
Kombinationsprodukte sind dabei kein Ersatz für eine konventionelle Unfallversicherung.
Herr Freche, worauf achten Sie bei einem Unfall-Tarif am
meisten? Was ist ein absolutes Muss in der Grunddeckung?
nicht viel aufwendiger, gleich bei
einem Pflegedienst anzurufen.
Tatsächlich relevant ist in der Praxis für mich die Eigenbewegung. Immer wieder passiert es, dass jemand beim Fußball
über den Ball tritt oder im Alltag einfach umknickt. Würde es
in diesen Fällen zu einer dauerhaften Beeinträchtigung kommen, wäre der Versicherer leistungsfrei, wenn Eigenbewegungen
nicht eingeschlossen wären. Ohne diese Klausel gibt es im
Schadenfall immer wieder Diskussionen, die ich meinen Kunden
und mir ganz einfach ersparen möchte.
Wie wichtig ist die Vereinbarung der
Progression? Laut einer GDV-Statistik
ist die Mehrzahl der Versicherungsfälle
bei Unfällen ja eher im niedrigen Invaliditätsbereich angesiedelt.
Ebenso ist ein Verzicht auf Anrechnung eines Mitwirkungsanteils von bestehenden Beeinträchtigungen wichtig. Sonst wäre
es dem Versicherer ja möglich, Krankheiten und Einschränkungen, die nach Versicherungsbeginn hinzugekommen sind,
anzurechnen. Zwar sind Gefahrenerhöhungen in der Sachversicherung nachzumelden, aber darauf verzichtet die Unfallversicherung ja für gewöhnlich. Deswegen ist es nur konsequent, die hinzugekommenen Beeinträchtigungen bei der
Ermittlung des Invaliditätsgrades nicht zu berücksichtigen.
Nachteilig ist hier allerdings für den Versicherer, dass unter
Umständen die Unfallversicherung Leistungen erbringen muss,
die nicht wirklich etwas mit dem Unfallereignis zu tun haben.
Nehmen wir an, jemand erkrankt sehr, sehr stark an Osteoporose. Wegen eines „Windhauchs“ stolpert er und es kommt zu
bleibenden Schäden. Hier ist natürlich eher die Krankheit der
Auslöser als der Unfall.
Ein absolutes Muss ist für mich auch eine erhöhte
Gliedertaxe. Zusätzlich müssen auch innere Organe
berücksichtigt sein.
Und worauf könnten Sie beziehungsweise Ihre
Kunden am ehesten verzichten?
Das hängt immer vom einzelnen Kunden ab.
Grundsätzlich sind aber manche AssistanceLeistungen unsinnig. Zum Beispiel vermitteln
manche Versicherer ihrem Kunden Pflegeleistungen, ohne diese zu erstatten. Das bedeutet für
den Kunden, dass er beim Versicherer oder
Vermittler anruft, um die Vermittlung zu beantragen. Für den Kunden ist es dann aber auch
Wolfgang Freche
3
Juni 2015
Ich finde, das ist kein Argument gegen
die Progression. Die Unfallversicherung
ist für mich vom Gedanken her eine Absicherung des schlimmsten Falles: einer
hohen Invalidität. Hier ist es mir besonders wichtig, dass meine Kunden sich
ein Umfeld schaffen können, in dem sie
möglichst uneingeschränkt und selbstständig leben können. Dazu ist eine
möglichst hohe Leistung bei hoher
Invalidität wichtig.
Würde ich eine gute Gliedertaxe linear
versichern und hätte bei voller Invalidität
einen finanziellen Bedarf von 300.000
Euro, bekäme ich bei Verlust der kleinen
Zehe 30.000 Euro. Das Geld bräuchte ich
nicht zwingend, muss aber dafür die deutlich teurere Prämie bezahlen. Deswegen ist
es für mich sinnvoller zu sagen, bei einer
höheren Invalidität steigt die versicherte
Leistung progressiv an. Dann erhielte ich
bei Verlust einer Zehe vielleicht „nur“
10.000 Euro, bei Verlust des Beines aber
400.000 Euro. Schön, wenn ich für die
Zehe 30.000 Euro bekomme. Aber brauche
ich die unbedingt? Beim Umbau meines
Hauses 100.000 Euro mehr zu haben,
kann jedoch von elementarer Bedeutung
sein – und das bei geringerer Prämie.
In der Unfallversicherung werden die
Möglichkeiten eines Vorschusses auf
die Leistung und Regelungen zur Neubemessung des Invaliditätsgrades als
Innovationen gehandelt. Zu Recht?
Naja, in der Vergangenheit haben wir
schon immer mit den Versicherern
gesprochen und Vorschussleistungen
ausgehandelt. Generell ist jedoch zu
begrüßen, dass der Vorschuss jetzt in
den Bedingungen geregelt und auch
nicht mehr unbedingt von der Todesfallsumme abhängig ist. Hier gibt es
aber große Bedingungsunterschiede.
Manche Versicherer begrenzen die
Vorschussleistung auf einen geringen
Prozentsatz der Versicherungssumme,
während Top-Konzepte keine Begrenzung enthalten und somit bis zur vollen
Entschädigung Vorschuss leisten.
Was wäre Ihrer Ansicht nach eine
wirkliche Innovation?
Ehrlich gesagt bin ich mit den jetzigen
Konzepten sehr zufrieden. Versicherer
wie beispielsweise die Haftpflichtkasse
Darmstadt mit den Voll-Schutz-Bedingungen und die Interlloyd mit dem
PremiumPlus-Konzept lassen für mich
keine Wünsche offen. Im Gegenteil: Ich
befürchte, wenn wir die Bedingungen
noch mehr verbessern, kommt es zu
einer ähnlichen Situation wie in der
Berufsunfähigkeitsversicherung.
Das bedeutet?
Packt man noch mehr Krebserkrankungen, noch mehr schwere Krankheiten
und ähnliche Punkte rein, bekommen
wir zum einen steigende Beiträge, die
dann wieder manche Berufe vom Versicherungsschutz ausschließen, da die
Prämien schlichtweg zu teuer werden.
Zum anderen werden die Versicherer
die Gesundheitsfragen verschärfen, und
dies führt wiederum zu einer strengeren Annahmepolitik. Dann verliert für
mich die Unfallversicherung immer mehr
ihren ursprünglichen Sinn und hat auch
als „Worst-Case-Absicherung“ ausgedient.
Preis her überhaupt zu verkaufen, werden von Vermittlern oft
sehr niedrige Versicherungssummen gewählt. Diese haben
dann den Begriff Unfallversicherung gar nicht mehr verdient
und die Leistungen sind für den Geschädigten in keiner Weise
ausreichend.
Ist die Unfallversicherung für Sie eine Alternative, falls der
Kunde keine Berufsunfähigkeitsversicherung oder anderen
Existenzschutz erhalten kann?
Wenn der Kunde keine andere Absicherung erhalten kann,
ist die Unfallversicherung eine gute Teilabsicherung. Sicherlich ist sie keine
Alternative zur Be„Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr [ist]
rufsunfähigkeitsversicherung. Sie für mich eindeutig ein Flop. In einem solchen
ist ein Ausweich- Produkt kann der Kunde nie erkennen, wohin das
oder Ergänzungs- Geld geht [...] und hat keine Möglichkeit, auf die
produkt, das gene- Anlage einzuwirken.“
rell ein anderes
Risiko
abdeckt.
Umgekehrt kündige ich auch keine Unfallversicherung, wenn
eine Berunfsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen wird.
Absicherungen, die Unfall, schwere Krankheiten, Pflege etc.
kombinieren, kommen vermehrt auf den Markt. Was halten
Sie von diesen Kombiprodukten?
Hier gilt das Gleiche. Diese Produkte sichern preiswert eine
Reihe von Risiken ab. Die Preisersparnis entsteht aus den
Schnittmengen. Werde ich pflegebedürftig aufgrund eines
Unfalls oder einer schweren Krankheit, erhalte ich auch nur
einmal meine Rente. Weder die konventionelle Unfallversicherung noch die Berunfsunfähigkeitsversicherung sind
durch derlei Produkte zu ersetzen. Die Unfallversicherung
nicht, weil nach einem Unfall eine hohe Einmalleistung
notwendig ist, um Umbau- und Umorganisationsmaßnahmen zu finanzieren. Die Berunfsunfähigkeitsversicherung
wird nicht ersetzt, da ein Bezug zur Arbeitskraft höchstens
indirekt besteht.
Es ist gut und wichtig, dass es diese Produkte gibt, da sie uns
Maklern eine weitere Möglichkeit geben, unsere Kunden
passend abzusichern. Allerdings sind diese Produkte sehr
beratungsintensiv. Wer sie nur über die Leistungen verkauft
und nicht auch zu den Nachteilen berät, erweckt beim Kunden einen falschen Eindruck.
W
Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr. Top oder Flop?
Für mich eindeutig ein Flop. Geld für
Risiko und Anlage möchte ich immer
getrennt haben. In einem solchen Produkt kann der Kunde nie erkennen,
wohin das Geld geht, wie es angelegt
wird, und hat keine Möglichkeit, auf die
Anlage einzuwirken. Um die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr vom
Juni 2015
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