Der Sprung in die Industrie 4.0

STRATEGIE & PRAXIS
Agile IT in der Industrie 4.0
Computerworld 7/8. Mai 2015
www.computerworld.ch
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Der Sprung in die
Industrie 4.0
Bei der fortschreitenden Digitalisierung der Industrie
liegt die Messlatte der IT hoch. Sie muss sich auf die
Entwicklung der Bereiche konzentrieren, mit denen
sich das Unternehmen am Markt unterscheiden kann.
Agile Methoden sind dafür besonders geeignet.
«Agile IT bringt die
Dynamik von IT
und Fachbereichen
in Einklang»
VON FRITZ WÜTHRICH
Fritz Wüthrich
D
ie Wirtschaft verändert sich: War die IT
bislang häufig Mittel zum Zweck, rückt
sie zunehmend in das Herz von Produktion und Produkt. Klassische Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette verschmelzen mit der
Informationstechnologie und eröffnen damit
neue Möglichkeiten. Mehr Daten und die intelligente Vernetzung zum logischen und physischen Umfeld steigern den Informationsgehalt
in den verschiedenen Kontexten und erlauben
dadurch schnellere und präzisere Entscheidungen. Neue Geschäftsfelder entstehen, bestehende Prozesse werden revolutioniert und neue
Spieler drängen in den Markt.
Die Mehrheit der Unternehmen weiss, dass
sie handeln muss. Rund 60 Prozent der CIOs
geben in der Studie «IT-Trends 2015» der Unternehmensberatung Capgemini an, dass die
Verantwortung für einen Teil der IT-Ausgaben
bereits an verschiedene Fachabteilungen übertragen wurde. Wie die digitale Transformation
allerdings erfolgreich umzusetzen ist, darüber
besteht oft noch Unsicherheit. Denn sie bedeutet den Eingriff in laufende Prozesse und nicht
zuletzt ein gewisses Investitionsvolumen, das
schnellstmöglich amortisiert sein will. Eine
Hürde ist dabei in vielen Unternehmen die Haltung des führenden Managements. Laut der
Swiss-IT-Studie 2015 von Computerworld erklärte über die Hälfte der Schweizer Manager
die IT lediglich zum Must-have, nicht zu einem
Differenzierungsmerkmal.
BEISPIELE VON MARKTCHANCEN
Neue Technologien verändern bestehende
Märkte. Einige Unternehmen scheitern daran,
sich dem Wandel anzupassen; anderen gelingt
es, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Ein
positives Beispiel ist der Edelstahlproduzent
Outokumpu. Das weltweit agierende Unter­
nehmen führte in Zusammenarbeit mit Wipro
unlängst eine konsequent digitale Prozess­
steuerung und Überwachung der Produktionsanlagen ein. Mussten zuvor die Fachkräfte in
der Produktion auch die Prozesssteuerung und
den Anlagenbetrieb übernehmen, sind diese
Aufgaben heute ausgelagert. Die Fachkräfte
können sich so ganz auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: die Produktionsprozesse. Die Erträge
stiegen durch diese Massnahme um einen
zweistelligen Prozentbereich – das ist ein deutlicher Wettbewerbsvorteil im engen Stahlmarkt.
Ähnlich wie im geschilderten Fall bietet die
digitale Transformation Unternehmen aller
Branchen vielfältige Chancen, ihre eigenen Prozesse zu optimieren und ihre Geschäftsfelder
auszubauen. Zum Beispiel im Aftermarket der
Automobilindustrie: Zukünftig könnten sämt­
liche Fahrzeuge Echtzeitdaten über den Zustand
ihrer betriebskritischen Komponenten senden.
Diese ständige Inspektion im Kleinen ermöglicht es den Autobauern und ihren Vertragswerkstätten, die Besitzer zu kontaktieren, auf
auszutauschende oder in Stand zu setzende
Teile hinzuweisen und so grössere Schäden zu
verhindern.
Ein anderes interessantes Feld ist der Maschinenbau. Mithilfe einer durchgängigen Digitalisierung vom Vertrieb über den Einkauf und
die Produktion bis in die Logistik können Hersteller in Zukunft noch besser und flexibler auf
spezifische Anforderungen ihrer Kunden ein­
gehen. Produktionsprozesse lassen sich beschleunigen und die Zufriedenheit der Anwender steigt.
Mit dem Gesundheitswesen wird ein weiterer
grosser Bereich von der digitalen Transformation profitieren, etwa bei der individuellen Gesundheitsversorgung. Patienten, die heute beispielsweise zur Überwachung im Spital bleiben
müssen, könnten zukünftig in ihren eigenen
vier Wänden gesunden und ihren Zustand vom
Fachpersonal aus der Ferne beobachten lassen – ein Vorteil für Patienten und Gesundheitsbranche gleichermassen.
IT-AUTOMATISIERUNG SPART KOSTEN
Diese positiven Entwicklungen, welche die digitale Transformation ermöglicht, bringen neue
Herausforderungen für die IT-Abteilungen mit
sich. Es gilt, die Dynamik im IT-Bereich mit der
in den Fachbereichen in Einklang zu bringen.
Innovationszyklen werden daher immer kürzer
oder gehen sogar in einen fortlaufenden Erneuerungsprozess über. Laut der Capgemini-Studie
BILD: FOTOLIA/STEFAN SCHURR
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gehört für fast ein Drittel der Schweizer CIOs die
schnellere Bereitstellung von IT-Services bereits zu den aktuellen Top-3-Herausforderungen. Dabei stagnieren nach der gleichen Studie
bei 38 Prozent der CIOs die Etats im Vergleich
zum Vorjahr, rund ein weiteres Drittel muss sogar mit weniger Geld als zuvor auskommen.
Modelle wie Everything as a Service (EaaS)
gewinnen in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Beispiele erfolgreicher Unternehmen
zeigen, dass die richtige Balance zwischen
Standardprodukten und individualisierten
IT-Lösungen der wichtigste Faktor ist. In vielen
Unternehmen hat bereits die Analyse begonnen, mit welchen Bereichen der IT man sich
tatsächlich von der Konkurrenz unterscheiden
kann. Diese werden im Idealfall massgeschneidert entwickelt. Alles andere kann von der
Stange als SaaS (Software as a Service), PaaS
(Platform as a Service), IaaS (Infrastructure as a
Service) bis hin zu XaaS hinzugekauft werden.
Für die Entwicklung der entscheidenden ITBereiche heisst der derzeit wichtigste Trend
Agile IT Development, der hinderliche Silos innerhalb der Unternehmen aufbricht. Die Cap­
gemini-Studie berichtet, dass der Anteil agiler
IT-Projekte im Vorjahr bereits bei 25 Prozent lag
und in diesem Jahr auf 28 Prozent steigen wird.
Jedes fünfte Unternehmen setzt bereits bei
mehr als der Hälfte seiner Prozesse auf agile IT.
8 von 10 CIOs rechnen mit einer weiteren Zunahme in den kommenden Jahren.
KOMBINATIONSSPIEL
Agile Entwicklung ist die richtige Antwort der
IT-Abteilungen auf die wachsende Dynamik in
den Fachbereichen und die Forderung nach
gleichbleibend hoher Qualität. Im Unterschied
zum traditionellen V-Modell setzt Agile IT Development auf einen integrierten Prozess mit
durchgehenden Phasen vom Requirement bis
zur Delivery. Die IT-Entwickler stehen im ständigen Kontakt mit den Fachbereichen. So
herrscht rascher Klarheit, ob die entstehende
Lösung tatsächlich den Bedürfnissen der Endnutzer entspricht. Anforderungsprofile können
im laufenden Prozess geschärft und an geänderte Business-Situationen angepasst werden.
Setzten Unternehmen in früheren Zeiten oft
drei grosse Releases pro Jahr um, die in arbeitsfreien Zeiten wie etwa dem Wochenende ein­
gespielt werden mussten, ermöglicht Agile IT
Development einen Weg der kleinen Schritte.
Über das ganze Jahr können kleine Releases
in laufende Systeme integriert werden – insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung
von Produktionsprozessen ein grosser Vorteil.
Ihre volle Wirkung entfalten EaaS und Agile
IT Development allerdings erst in der Kom­bi­nation. Denn auch bei der Entwicklung ihrer
markt­unterscheidenden IT-Elemente können
Unternehmen auf Services setzen: auf Managed
Services für DevOps. Wie aus einem Werkzeugkasten wählen sie die Tools, die sie benötigen.
Insbesondere durch die teils bereits starke
Auto­matisierung dieser Managed Services ergeben sich Zeit- und Kostenvorteile. Denn nicht
jedes Unternehmen hat die Ressourcen, um
eigene automatisierte Skripts für die verschiedenen Entwicklungsphasen aufzusetzen. Mithilfe von Managed Services für DevOps können
so beispielsweise langwierige, zeit- und arbeitsintensive manuelle Testläufe durch automa­
tisierte Test-Skripts ersetzt werden.
Fritz Wüthrich ist Country Director Schweiz beim
IT-Beratungs- und Sourcing-Unternehmen Wipro
www.wipro.com