Predigt über Sprüche 8,22-36 – Von Weis heit und Wis s en Liebe

Pre dig t übe r Sprüc he 8,22-36 – Von We is he it und Wis s e n
Anbe ginn da. Ich bin e inge s e tzt worde n von Ewigke it he r,
Liebe Gemeinde,
im Anfang, noch e he die Erde be s tand. Ehe die Be rge
Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Noch nie hat die
e inge s e nkt ware n, noch vor de n Hüge ln ward ich ge bore n,
Menschheit so viel gewusst wie in unserer Zeit. Und das
als e r die Erde noch nicht ge m acht hatte noch die Flure n
Wissen wächst weiter, alle fünf Jahre soll sich das Wissen
darauf, noch die S cholle n de s Erdbode ns . Als Gott die
verdoppeln, heißt es. Nun ist Wissen nicht gleich Wissen.
Him m e l be re ite te , war ich schon da, als e r de n Kre is zog
Es gibt Halbwissen und Wissenschaften, die ihren Namen
übe r de n Flute n de r Tie fe , als e r de m Me e r s e ine Gre nze
nicht verdienen. Es gibt gebildetes Wissen und eingebil-
s e tzte und de n W as s e rn Be fe hl gab, die Gre nze zu wah-
detes Wissen. Es gibt auch noch reichlich Unwissen.
re n; als e r die Grundfe s te n de r Erde le gte , da war ich s ein
Wissen, heißt es, macht klug. Wissen ist Macht. Aber
Lie bling be i ihm . Ich war s e ine Fre ude an je de m Tag und
macht Wissen auch wirklich klug? Für die Bibel ist Weisheit
s pie lte vor ihm alle ze it. Ich s pie lte wie e in Kind auf s e ine m
wichtiger als Wissen. Nicht, weil die Bibel etwas gegen das
Erdkre is und hatte m e ine Lus t an de n Me ns che nkinde rn.
Wissen hätte. Ihre Schriften halten nur die Weisheit für
S o hört nun auf m ich, m e ine Kinde r! W ohl de ne n, die m e i-
insgesamt wertvoller. So wertvoll, dass eine Reihe von
ne W e ge e inhalte n! Höre t die Mahnung und we rde t we is e
Bibelbüchern der Weisheit ein Denkmal gesetzt haben. Die
und s chlagt die Mahnung nicht in de n W ind! De nn we r
älteste aller biblischen Weisheitsschriften ist das Buch der
m ich finde t, de r finde t das Le be n und e r e rlangt W ohlge fal-
Sprüche. Und hier tritt die Weisheit sogar als Person auf.
le n vor Gott de m HER R N. W e r m ich abe r ve rfe hlt, de r
Als Frau Weisheit spricht sie und wirbt für sich und ihre
m acht s e in Le be n kaputt. Alle , die m ich nicht m öge n, die
Sache. Sie lockt und lädt ein. Die jungen Menschen sollen
lie be n de n Tod. S o s pricht Frau W e is he it.
Weisheit erwerben, die Mächtigen sollen weise herrschen,
(1) „Wer mich findet, der findet das Leben“. Findet auch
alle Generationen sollen weise leben. Im 8. Kapitel stellt
der das Leben, der so viel weiß? Wissen macht traurig,
sich Frau Weisheit vor: in einem Gedicht, das von ihrem
sagten die Alten. Und mit dem Wissen wächst auch der
hohen Rang kündet: De r HER R hat m ich s chon ge habt im
Zweifel. Wissen ist wertvoll, aber es hat auch seinen Preis.
Anfang s e ine r W e ge , e he e r e twas e rs chuf, war ich von
Sind die Paare, die viele Erziehungsratgeber gelesen
haben, die ganz viel wissen über die Psyche eines Kindes,
Matthias Claudius behaupte: wir wüßten gar nicht viel.
über Erziehungsmodelle und -methoden, automatisch die
Nein, Sie und ich, wir profitieren jeden Tag, jede Minute
besseren Eltern? Führen die Frauen und Männer, die ganz
vom großen Wissen unserer Zeit. Vom technischen Wis-
viel über Beziehungsarbeit, Beziehungspflege und Bezie-
sen ebenso wie vom medizinischen Wissen, vom Wissen
hungskrisen wissen, die stabileren Ehen? Sind diejenigen,
der Wissenschaftler bis zum Wissen des einfachen Ar-
die ganz viel über die politischen Parteien, über politische
beiters. Wissen ist wichtig, mehr zu wissen tut not. Und
Systeme und Meinungsbildungsprozesse wissen, die bes-
doch ist Wissen nicht alles. Frau Weisheit erinnert daran,
seren Demokraten? Warum scheitern so viele Ehen gera-
dass Gott der HERR schon sehr genau wusste, wie er das
de unter den Wissenden? Warum gehen immer weniger
zu machen hatte: den Anfang zu setzen und die Grund-
wählen, wo doch alle Medien voll sind von politischen
lagen zu legen, Himmel und Erde entstehen zu lassen, die
Informationen?! Woher kommt es, dass so viele Menschen
Zeit und den Raum, die Welt und das Leben. Wie wir heute
im Lande von Missständen aller Art wissen, aber so wenig
wissen, mit Hilfe der Naturgesetze und durch das Wunder
bereit sind, etwas dagegen zu tun? Wissen kann offenbar
der Evolution. Das alles zu erkennen und zu nutzen, för-
auch lähmen und entmutigen, kann dazu führen, dass
dert das Wissen. Aber um das alles zu bewahren und zu
Menschen zynisch werden, nicht mehr an das Gute im
schützen, dafür reicht das Wissen alleine noch nicht aus.
Menschen, nicht mehr an die Verbesserbarkeit der Welt,
Nicht nur im Blick auf den Naturschutz, nicht nur, wenn es
nicht mehr an all die Hoffnungspotentiale glauben, die
um die Bewahrung der Schöpfung geht, könnte man sa-
doch nur eines im Sinn haben: dem Leben zu dienen.
gen: Wissen nützt zwar, hilft aber nicht. Und deshalb war
(2) Nun will ich das Wissen weder kleinreden noch runter-
von Anfang an noch etwas anderes im Spiel, buchstäblich
machen. Wer mich kennt, weiß, wieviel mir Wissen be-
„mit im Spiel“: Als Gott die Grundfe s te n de r Erde le gte , da
deutet. Persönlich, aber auch als Pastor, als Theologe. Ich
war ich als s ein Lie bling be i ihm . Ich war s e ine Fre ude an
will nicht mehr zurück in die Zeiten der Unwissenheit, in
je de m Tag und s pie lte vor ihm alle ze it. Ich s pie lte wie e in
der Aberglaube das Wissen ersetzte. Ich will auch nicht
Kind auf s e ine m Erdkre is und hatte m e ine Lus t an de n
das vorhandene Wissen in Abrede stellen, indem ich mit
Me ns che nkinde rn , spricht Frau Weisheit. Wissen erkundet
und ordnet, es zeigt, wie es geht. Die Weisheit aber, sie
der Zweifel. Weisheit hingegen ruft Freude hervor, beim
spielt. Sie hantiert nicht nur mit Fakten, sie entwickelt auch
Schöpfer und seine Geschöpfen. Denn Weisheit hat es
Fantasie. Sie nimmt nicht allein die Realitäten zur Kennt-
nicht allein mit Daten und Fakten, mit Informationen und
nis, sie spielt vor allem mit Möglichkeiten. Zur Kreation
Kompetenzen zu tun. Wer weise ist, der steht in Bezie-
gehört von Anfang an auch die Kreativität. Zum Wissen,
hung. Er steht den Dingen des Lebens nicht wissend ge-
was man machen sollte, tritt ursprünglich auch die Weis-
genüber. Er lebt mit ihnen, leidet mit ihnen, freut sich mit
heit, wie man’s machen könnte. Das ist das eine.
ihnen. Wer weise ist, der weiß nicht nur, was richtig ist und
Das andere ist, dass uns die Weisheit in ein anderes Ver-
nützlich wäre, sondern er weiß auch darum, was angemes-
hältnis zur Welt und ihren Dingen setzt, als es das Wissen
sen ist und lebensdienlich wäre. Die Welt ist für den Wei-
tut. Das Wissen führt dazu, dass wir uns von den Dingen,
sen keine Umwelt, die um ihn herum steht und Gegen-
um die wir wissen, entfernen. Wir stehen dann drüber mit
stand seines Wissens ist. Für den Weisen ist die Welt zu-
unserem Wissen und betrachten die Dinge mit Skepsis.
erst einmal Mitwelt, mit der er in einer lebendigen Bezie-
Wir distanzieren uns von ihnen, weil wir nicht nur um das
hung steht, mit der er sich austauscht, in die er sich zu-
Bezaubernde der Dinge wissen, sondern auch um die
weilen auch hineinversetzen muss, die jedenfalls kein
nackte Wahrheit, oft genug auch um die Schattenseiten.
Gegenstand ist, zu dem wir auf Distanz gehen könnten.
Irgendwann freuen wir uns nicht mehr über den Weih-
(3) Liebe Freunde, ich fürchte, dass wir alle, ob Christen-
nachtsmann und das, was er bringt. Wir wissen dann, dass
menschen oder nicht, dies immer wieder lernen müssen,
er eine Erfindung von Coca Cola ist und als Erfüllungs-
gerade in unserer Wissensgesellschaft. Unser Wissen
gehilfe autoritärer Erziehungsmethoden gebraucht wurde.
bleibt kalt und hilflos, wenn nicht die Weisheit auch unser
Wir wissen, dass Papa und Mama die Geschenke kaufen,
Wissen umspielt, es mit wärmender Sympathie und Em-
nach ihrem Gutdünken und nach aktueller Kassenlage. Mit
pathie umflutet. Wir brauchen diese weisheitliche Dimen-
dem Glauben an den Weihnachtsmann verschwindet die
sion für unsere private Lebensführung. Wir brauchen sie
Kindheit und mit dieser oft auch der Zauber der Weihnacht.
auf allen Feldern des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Wissen macht traurig, denn mit dem Wissen wächst auch
Wir brauchen die Dimension der Weisheit auch und vor
allem im Blick auf die Pflege des christlichen Glaubens. Ich
Haaren im Rahmen eines Gottesdienstes. Über Gott Be-
sehe mit Sorge, dass viele Menschen meinen, es reiche
scheid zu wissen, ist nämlich das eine. Ihn zu loben, zu
aus, über die Dinge des Glaubens Bescheid zu wissen. Ich
ihm zu beten, von ihm zu hören, ist etwas völlig anderes.
glaube nicht, dass man mit dem Wissen von Fakten allein
Es ist weise, denn es verbindet mich mit ihm, versetzt mich
ein besserer Christ wird. Ich bezweifle sogar, dass man auf
in eine lebendige Beziehung zu ihm. Dasselbe gilt auch für
Dauer ein überzeugter Christ bleiben kann, wenn man
Kirche und Gemeinde. Wie soll ich dort eine geistliche Be-
seine Informationen über Jesus und den Glauben, über
heimatung finden, wenn ich sie nur aus Schlagzeilen ken-
Luther und die Kirche nur aus dem Magazin „Der Spiegel“
ne? Gerade unsere Gemeinden sind Schulen weisheit-
erhält. Das Wissen, das hier bereitgestellt wird, nährt den
licher Lebensführung. Weil man sich in der Gemeinde den
Zweifel mehr, als dass es den Glauben stärkt. So sehr ich
Menschen nicht entziehen kann, sondern sich ihnen als
für Aufklärung bin auch im Bereich der Religion und des
Mitmensch zuwenden muss. Weil man hier die Chance
Glaubens, sehe ich doch mit Schrecken, wie sehr Wissen
erhält, ein Stückchen miteinander zu leben und nicht nur
auch hier nicht aufbaut, sondern vor allem kaputtmacht.
nebeneinander her, wie es in vielen Nachbarschaften und
Denn wenn an die Stelle des Weihnachtsmannes nicht ein
sogar in Familien der Fall ist, vor allem dann, wenn jede
anderer, ein tieferer Sinn tritt, dann wird das Weihnachts-
Generation dort ihre eigenen Wege geht.
fest notwendigerweise zur Farce, zu einem hohlen Stück
Liebe Gemeinde, Wissen tut nach wie vor not, es tut aber
Folklore oder zu einer Pflichtübung, aus der keine Freude
nicht immer gut. Manchmal ist es besser, nicht alles zu
erwächst. Ich fürchte, dass man Christ nicht werden oder
wissen. Und wenn man’s doch weiß, braucht es die Weis-
bleiben kann, wenn man von Jesus hauptsächlich durch
heit, mit dem vielen Wissen in einer guten, kreativen Weise
TV-Dokumentationen auf RTL oder NTV hört. Denn was
umzugehen. Denn Wissen trennt, Weisheit verbindet. Sie
wir dort sehen und erfahren, verbindet nicht, es treibt
verbindet uns mit der Welt und ihrem Ursprung, sie verbin-
vielmehr einen Keil zwischen uns und dem, was uns heilig
det uns untereinander mit unserem Schöpfer. Frau Weis-
sein sollte. Es ersetzt auf keinen Fall, das Heilige auch zu
heit spricht: W e r m ich finde t, de r finde t das Le be n und e r
feiern, es zu begehen mit Herz und Verstand, mit Haut und
e rlangt W ohlge falle n vor Gott de m HER R N . AMEN.