zur Begrüßung Darf ich vorstellen: Frau Weisheit, meine Lichtgestalt

zur Begrüßung
Darf ich vorstellen: Frau Weisheit, meine Lichtgestalt.
Eine derer von oben. Sie ist wahrhaft göttlich und doch
immer – nicht mit beiden Füßen – vielmehr mit beiden
Zehen auf dem Boden. Warum die Zehen? Frau Weisheit
tanzt. Immer. Den Rest der Zeit spielt sie.
Dann, meint Ihr, kann man sie nicht ernst nehmen?
Täuscht euch nicht! Sie hat große Kraft.
Sie ist auch eine derer von unten. Ich wage zu
behaupten: bei all denen, die da unten prangen,
ist sie zu finden. Sie ist eine der Begleiterinnen Gottes
und der Menschen. An ihrer Hand lasst uns ihn suchen.
Auf Zehenspitzen. Beschwingt. Singend.
Ich wünsche uns einen fröhlichen Gottesdienst
mit Frau Weisheit.
Tagesgebet
Sieh, ich komme mit der Sehnsucht meines Herzens, die
Raum greift, in deine heilige Weite und Nähe, du
unbegrenzte Bewegung. In deinen Atem schwinge ich
mich, bewegt, als ganzer Mensch, endlich frei, gehüllt in
göttliche Weisheit, den Tanz der Liebe zu tanzen.
Das will ich heute und immer.
Amen
Lesung aus der Weisheit Salomos 7, 22 – 8, 1
In der Weisheit wohnt ein vernunftvoller, heiliger Geist,
einzigartig, mannigfaltig und fein, beweglich,
klar und unbefleckt,
zuverlässig und unverletzlich,
dem Guten zugetan und kraftvoll,
unhemmbar, wohltätig und menschenfreundlich,
beständig, sicher und sorgenfrei,
allvermögend, allsehend und alle Geister durchdringend,
die verständigen, reinen und feinen.
Denn die Weisheit ist beweglicher als jede Bewegung,
infolge ihrer Reinheit durchzieht und durchdringt sie alles,
ist sie doch ein Hauch der Kraft Gottes,
ein lauterer Ausfluss der Herrlichkeit des Allmächtigen.
darum kann keine Befleckung sie treffen.
Sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts,
ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens
und ein Abbild seiner Güte.
Sie ist nur eines und vermag doch alles,
sie bleibt, was sie ist, und erneuert doch alle Dinge.
von Geschlecht zu Geschlecht
geht sie auf heilige Seelen über,
und rüstet sie aus zu Freunden Gottes und zu Profeten.
Denn Gott liebt den, der mit der Weisheit vertraut ist.
Sie ist herrlicher als die Sonne
und übertrifft die ganze Sternenwelt.
Mit dem Lichte verglichen erhält sie den Vorzug.
Denn auf dieses folgt die Nacht.
Gegen die Weisheit aber kommt die Bosheit nicht auf.
Sie erstreckt sich machtbvoll
von einem Ende der Welt zum anderen
und durchwaltet das All aufs Beste.
Predigt zu Sprüche 8, 22-35
Lutherübersetzung
Die Weisheit spricht:
Gott hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege,
ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin
eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde
war. Als die Meere noch nicht waren, ward ich
geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von
Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren,
vor den Hügeln ward ich geboren, als er die Erde noch
nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die
Schollen des Erdbodens. Als er die Himmel bereitete,
war ich da, als er den Kreis zog über den Fluten der
Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er
stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer
seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht
überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten
der Erde legte, da war ich als sein Liebling bei ihm;
ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust
an den Menschenkindern.
So hört nun auf mich, meine Kinder! Wohl denen, die
meine Wege einhalten! Hört die Mahnung und werdet
weise und schlagt sie nicht in den Wind! Wohl dem
Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner
Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! Wer
mich findet, der findet das Leben.
Ihr Lieben,
das ist für mich einer dieser wunderbaren Texte der
Bibel, die das Herz aufschließen und die Welt
erschließen und einem alles sagen, noch bevor man
versteht.
Da ist die Weisheit, die von Anfang an bei Gott war.
Man versteht sie nicht mit dem Kopf, man versteht sie
mit dem Herzen.
Religionsgeschichtlich klingen in ihr, der Weisheit, die
Bilder der ägyptischen Göttinnen Hathor und Maat an:
Hathor war die Göttin des Tanzes, der Musik und der
Liebe, Maat die Göttin, aus der Menschen und Götter
leben.
Gleich wird sie uns suspekt, die Weisheit, die hier so
selbstbewusst von sich selbst spricht: GötzenGöttinnen sind ihr Ebenbild.
Allerdings betonen die Bücher des AT, dass die
Weisheit eben nicht selbst göttlich, Geschöpf wie alle
anderen Geschöpfe, wie Himmel und Erde, wie Engel
und Menschen. Aber eben: Gottes Liebling, die, mit
der er von Anfang an – von allem Chaos an – alles
durchzieht. Die Welt ist ohne die Weisheit für Gott
nicht denkbar, nicht machbar, nicht gestaltbar.
Und das gerade so, wie sie ist: sich ihrer selbst und
ihrer Rolle bewusst, Liebling Gottes, das Geschöpf, an
dem er oder sie zuallererst Lust hat, spielend vor ihm
und an seiner Seite, die ihrerseits Lust und Liebe hat
an den Menschenkindern, versucht, diese zu lehren
ihre Fähigkeiten und Haltungen weiter zu geben.
Im vierten Fresko des Deckengemäldes in der
Sixtinischen Kapelle, bei der Beseelung Adams, stellt
Michelangelo sie dar im Arm Gottes, getragen von
Engeln. Sinnlichkeit und Zärtlichkeit blitzen auf in
diesem Bild. (Man fragt sich, ob die Weisheit nicht nur
die Menschen lehrt, sondern auch die Sinnlichkeit und
Zärtlichkeit Gottes genährt hat – von Anbeginn).
Sie spielt. Und wir wundern uns, dass das das erste
Geschöpf sein soll, das Gott bei allen anderen
Schöpfungen bei sich liebte.
Ich dachte erst, Frau Weisheit kommt wie die
Regentropfen, da links oben, Lichtreflexe versprühend,
dem der es sieht. Frau Weisheit käme wie ein
Regentropfenwald, undurchdringlich, nicht zu
ergründen.
Aber sie kommt wohl eher, wie Katrin Hattenhauers
Kugel aus Müllresten, gesammelt in einem
zerstrittenen Mietshaus, kommt wohl eher wie was
zusammenkommt, spielerisch, leicht, bunt und frech.
Spielerisch kommt Frau Weisheit daher. Was ist das
mit dem Spiel, was selbst Gott so wichtig ist, dass er
nicht zuerst einen arbeitsamen Calvinisten oder etwas
dergestalt ernsthaftes an seine Seite stellte?
Spielen ist in unseren Augen – mehr und mehr
was für Kinder, nicht für Erwachsene, sog. kluge
Leute. Selbst die abendliche Rommé-Runde, bei der
die Oma schummelnd Punkte machte, ist ein Relikt
vergangener Tage.
Spielen ist für Kinder, also schauen wir, was die Kinder
da tun:
Rabindranath Tagore sagt: Kind, wie glücklich bist du,
wenn du da sitzest und den ganzen Morgen mit einem
zerbrochenen Zweig spielst. Ich lächle über dein Spiel
mit dem zerbrochenen Zweiglein. Ich bin eifrig über
meinen Rechnungen, stundenlang Zahlen zusammen
zählend. Vielleicht schaust du auf mich und denkst:
Was für ein dummes Spiel, damit deinen Morgen zu
verderben. Kinder bauen ihre Häuser aus Sand, und
sie spielen mit leeren Muscheln. Aus welken Blättern
flechten sie ihre Boote und lassen sie lächelnd über
ungeheure Tiefe treiben. Kinder haben ihr Spiel am
Meerufer der Welten.
Da sind sie wieder: Die Meere und Quellen des
Anfangs, die Fluten und Quellen der Tiefe, über denen
die Weisheit jauchzend tobte, als Gott sie schuf,
übermütig und überbordend, die Zeit vergessend, die
all das kostete – hier in der Kugel der Weisheit
tausende Kabelbinder, die Katrin Hattenhauer
hineinwebte – …
Die Weisheit, die jeden Augenblick genoss, noch mit
jedem einzelnen Wassertropfen, der hoch spritzte aus
der Gischt, ein Universum zaubernd, wie Kinder das
tun mit Stöckchen und Steinchen, mit Sand und
Muscheln.
Das will uns die Weisheit lehren für unser Leben und
über unseren Gott.
Man stelle sich vor: Gottes gesamte Schöpfung fand
statt unter dem Lärmen und Juchzen und angerannt
kommen und schau mal was ich hab und lauten
Tränen der Enttäuschung und kurz danach wieder
unbändiges Kichern der Weisheit.
Ich, also ich sags ehrlich, wann ich etwas arbeiten will,
schick ich meine Kinder raus und Tür zu und wehe ich
werde gestört.
Nicht so unser Gott. Frau Weisheit mit ihrem Spiel ist
seine Lust und spielt vor ihm täglich und weckt
vielleicht gerade damit seine Lust zu schaffen und zu
schöpfen, spielerisch und voller Liebe im Augenblick
versunken. So lehrt sie uns über unseren Gott, was
wir so oft aus den Augen verlieren, dass in der
Schöpfung kein kaltes Kalkül liegt, sondern Spiel und
Spaß und Lust und Wonne,
dass unser Gott einer ist, der dann mit seiner Frau
Weisheit an der Seite einen ganzen siebten Tag lang
da sitzen kann und in die Wolken schauen und
Blätterboote treiben lassen und lachen und schmiegen
und gut sein lassen kann. Wie in der sixtinischen
Kapelle, als hätte er nur einen Moment aufgehört, sie
zu schmiegen und mit ihr zu lachen: Warte mal, ich
muss dem Adam Leben einhauchen!, um sie dann
wieder kichernd und lebenslustig in den Arm zu
nehmen, nackt wie sie da ist, von Engeln getragen.
Frau Weisheit will uns genau das was wir da über Gott
lernen für unser kleines Leben lehren, nicht nur ein
paar Spezialisten, sondern mir und dir und dir:
Komm, spiel mit mir! So ist bei Gott gut sein. Spiel,
versinke im Augenblick. Lass nicht anderes dich stören
und durcheinander bringen, als das, was gerade deine
Beschäftigung ist. Plane nicht nebenher deine Zukunft
– oder die eines anderen – und verarbeite nicht deine
Vergangenheit – oder die eines anderen.
Verlier dich darin. Und werde so frei.
Und wisse: das ist nicht vertan.
Kinder lernen beim Spiel das Leben kennen und
nähern sich dadurch den ihnen noch fremden
Lebensinhalten. Aber sie bezwecken das nicht – und
das ist die einzige Chance.
Sie spielen Mutter oder Baggerführer, spielen heimlich
Pastor, Polizist oder Model. Technische Spiele am
Computer können sie ebenso fesseln und vergnügen
wie eine Kissenschlacht oder das Bauen einer
Sandburg.
Wenn nun das Leben wie ein Spiel betrachtet wird,
dann ist damit keine Spielerei gemeint. Vielmehr
werden all die geistigen, körperlichen und sozialen
Kräfte angesprochen, die unser Leben lebenswert
machen. Im Spiel erfahren wir uns als frei, auch wenn
bestimmte Regeln zu achten sind. Im Spiel gibt es ein
Ziel, dem sich der Einzelne oder die Gemeinschaft im
Teamwork annähern. Manchmal mit Anstrengung,
manchmal entspannt und locker.
Zum Spiel gehören Witz und Humor, gehört der
plötzliche Einfall und auch wieder die Überlegung und
Planung. Wer spielt, rechnet mit Sieg oder Niederlage.
Und nach dem Spiel kommt die Feier, die Versöhnung
und der Trost. Es geht ja bei spielenden Kindern nicht
ohne Tränen – und auch die Weisheit Gottes wird die
ihren geweint haben.
Der Turm aus Bauklötzen fällt um und es ist, als sei
die ganze Welt eingestürzt. Der Papierflieger schwebt
auch beim dritten Versuch nicht und es ist als hätte
damit die Schwerkraft über alles gesiegt.
Aber das Spiel und die Weisheit sagen: wenn dann mit
wenigen Kniffen der Turm zu einem Haus wird und der
Flieger zu einem Drache, der in Höhlen mutig
Abenteuer besteht, dann ist es als wäre nix gewesen
und das Leben geht weiter und alles ist gut.
Dass wir das wieder lernen: inmitten der
unglaublichen und überwältigenden Schöpfung Gottes
arglos herumzutoben, nichts erwartend als den Platz
bei Gott, wo wir in Geborgenheit ausprobieren können,
wer wir sind, in Rollen schlüpfen, uns verkleiden
mitbauen an Gottes Schöpfung mit uneitlem Geist bis
wir wie die Weisheit unser Selbstverständnis gefunden
haben;
dass wir die Lust an den Menschenkindern uns wieder
lehren lassen und auch am einzelnen, der uns nervt,
nicht das Ende der Welt sehen sondern den Anfang für
Gottes Möglichkeiten, das gebe uns Gott.
Denn, so sagt die Weisheit, die übrigens in der
orthodoxen Ikonenmalerei häufig dargestellt wird mit
ihren Töchtern: Glaube, Hoffnung und Liebe:
Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört die
Mahnung und werdet weise und schlagt sie nicht in
den Wind! Wohl dem Menschen, der mir gehorcht,
dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die
Pfosten meiner Tore! Wer mich findet, der findet das
Leben.
Das meint die Weisheit durchaus nicht nur in Bezug
auf das Individuum. Die Weisheit hat die ganze
Schöpfung im Blick. Wer Frau Weisheit als Erstling der
Geschöpfe ernst nimmt und weiß, dass Jesus sich auf
sie bezogen hat, die nimmt den ganzen Kosmos ernst.
Die weiß um die Verbundenheit mit der ganzen
Schöpfung, die uns heute so oft verloren geht.
Die Verantwortung, die aus der Verbundenheit
hervorgeht, ist ihr nicht zu stressig, denn sie weiß,
dass dort, wo Gerechtigkeit und Frieden und Weisheit
und Einsicht gegeben sind, sich das Leben ausbreiten
kann und wie im Spiel alle Möglichkeiten ergriffen
werden. Anders als bei der Rede von alternativlosen
Entscheidungen.
Ein Beispiel für Weisheit finde ich bei Berthold Brecht,
die Möglichkeiten auszuloten wie im Spiel da wo es
ernst wird.
Sozusagen mit den Zehen auf dem Boden, wo es einen
runterziehen will. Sich zärtlich versuchsweise in Gottes
Arm schmiegen, getragen von Engeln, wo man staunt,
wozu Menschen fähig sind;
eine Geschichte vom Trotz und der Widerständigkeit
der Weisheit, die auch Kartrin Hattenhauer in der Zeit
ihre Widerstandes in der DDR innewohnte:
Maßnahmen gegen die Gewalt
Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale
vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie
die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Er
blickte sich um und sah hinter sich stehen – die
Gewalt. "Was sagtest du?" fragte ihn die Gewalt. " Ich
sprach mich für die Gewalt aus", antwortete Herr
Keuner. Als Herr Keuner weggegangen war, fragten
ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner
antwortete: „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen.
Gerade ich muss länger leben als die Gewalt."
Und Herr Keuner erzählte folgende Geschichte:
In die Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte,
nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der
Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein vor,
welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt
beherrschten, und auf dem stand, dass ihm gehören
solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzte;
ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er
verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen,
den er sähe.
Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen,
wusch sich, legte sich nieder und fragte mit dem
Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: "Wirst du mir
dienen?"
Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die
Fliegen, bewachte seinen Schlaf, und wie an diesem
Tage gehorchte er ihm sieben Jahre lang. Aber was
immer er für ihn tat, eines zu tun hütete er sich wohl:
das war, ein Wort zu sagen. Als nun die sieben Jahre
herum waren und der Agent dick geworden war
vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der
Agent. Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene
Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager,
tünchte die Wände, atmete auf und antwortete:
"Nein."
(Berthold Brecht)
Ich kann sehen, wie er lächelt dabei. Das ist
spielerisches Ausloten der Möglichkeiten. Leben auf
den Zehenspitzen.
Ich denke, die Weisheit klatscht in die Hände und
freut sich und wir sagen: Amen.