Gedanken zur Weisheit

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Wenn du redest, dann muss deine Rede besser sein als dein Schweigen
gewesen wäre.
Dies ist einer der tausenden Weisheitssprüche, die man lesen oder hören kann, und stammt
aus China. Ich werde mich bemühen, diesem Spruch gerecht zu werden.
Gedanken zur Weisheit
Heute am Tage unseres 236. Stiftungsfestes werde ich mich mit einem Thema befassen, das
Kern unserer Arbeit ist und, anders als bei meinen Vorträgen der vergangenen Jahre, eine eher
philosophische Dimension hat.
Wenn wir unseren Tempel betreten sehen wir die drei Säulen, Weisheit, Schönheit und
Stärke.
Zu Beginn jeder Arbeit werden die darauf befindlichen Kerzen entzündet und leuchten als die
drei Grundpfeiler, kleinen Lichter oder Flammen der Freimaurerei.
Die Kerze der Weisheit steht im Osten, wie die Sonne, da wo der Meister seinen Platz hat,
und wird von ihm mit den Worten: „Weisheit leite unseren Bau“ entzündet.
Dies ist nicht eine bloße Hoffnung , ein Wunsch oder gar eine Feststellung mit der
Überzeugung, dass der Meister die Weisheit besitzt, sondern vielmehr eine Bitte, dass der
Allmächtige Baumeister ihm die Fähigkeit verleihe, die Arbeit weise zu leiten und gemeinsam
mit allen Brüdern auf dem Weg zu unseren hohen Zielen voranschreitet.
Die Weisheit soll den Lebensweg des Freimaurers begleiten, der sie mit Besonnenheit zu
verbinden weiß und dadurch die königliche Kunst meistert, sich selbst zu erkennen durch
Stärkung des sittlichen Willens ein Leben in Schönheit führen kann.
Wir alle sind aufgerufen Weisheit zu lernen, aber was verstehen wir darunter und wie können
wir sie erlangen?
Klug, erfahren, wissend, verständig und gelehrt vereinen sich in dem Wort weise, wenn man
in die Herkunft aus dem mittelhochdeutschen zurückforscht.
Das Lexikon bezeichnet Weisheit als das vorwissenschaftliche, Erfahrung und Lebensklugheit
zusammenfassende, Wissen um die Welt und letzte Dinge. Dieses Wissen verleiht überlegene
und zugleich taktvoll bescheidene Sicherheit im Verhalten zur Welt und den Menschen.
Am Anfang unseres Weges zur Weisheit steht das: Erkenne Dich selbst, was vollständig im
Tempel zu Delphi heißt:
Erkenne dich selbst;
Nichts im Übermaß.
-- 2 -Selbsterkenntnis, das Lernen und Lebenserfahrung sind wichtige Bausteine der Weisheit
zumindest in weltlichen Dingen, daher brauchen wir Lebenszeit um uns ihr zu nähern bis
eines Tages unser Geist die Fähigkeit verliert Neues aufzunehmen.
Sicher ist: „Alter macht weiß, aber nicht immer weise.“
Unser Bruder Karl Heinz Siemund schrieb mir anlässlich seines 80. Geburtstags:
Altwerden ist auch Ernte. Die Ernte vieler selbstgeschriebener Worte – die meisten ohne
große Bedeutung, einige von geringem Wert.
Las ich nicht viele tausend Wörter? In so vielen Büchern.
Lernte ich nicht aus ihnen? Stärkten sie nicht meine Menschenkenntnis?
Verhalfen sie mir nicht auch zur Selbsterkenntnis, die aller Weisheit Anfang ist?
Wer Bruder Siemund kennt, wird mir beipflichten, dass er nicht nur aus Büchern, sondern
durch seine innige Verbindung mit Menschen, Selbsterkenntnis gewonnen hat.
Angenommene, positive Kritik und Selbstkritik, zu der uns unsere Arbeit auffordert,
bekämpfen übersteigerten, gemeinschaftsschädlichen Egoismus.
Die freimaurerische Arbeit ist ja nichts anderes als das Bemühen, eine starke Gemeinschaft zu
erschaffen, in der sich jeder für das gleiche Ziel ein- und unterzuordnen übt.
Was ist nun aber gemeint mit Weisheit in göttlichen und menschlichen Dingen?
Unser Leitbild ist König Salomo, der in der Literatur als weisester Mensch gilt.
Eine der Erklärungen für die Bezeichnung königl. Kunst geht auf die Zeit Salomos zurück.
Liebe Brüder, wir hören ein Wort, haben jeder eine nicht recht greifbare Vorstellung und
somit ein Ziel, das wir nicht kennen, um das wir uns aber bemühen müssen.
Vielleicht hat der eine oder andere jetzt schon das Bild eines Weisen vor Augen oder
tiefsinnige Sprüche im Ohr.
Bei Umfragen galten den Menschen etwa Gandhi, der Dalei Lama oder Mutter Theresa als
weise. Dies zeigt, dass die Gelassenheit und das Wissen des Alters zwei Faktoren sind, die
man dem Weisen gerne zuordnet. Ebenso ist bei allen, denen Weisheit am ehesten
zugesprochen wird, ein klares Ziel, Wohltätigkeit und Gewaltlosigkeit vorhanden.
Reinhold Niebuhr schrieb 1904
Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut,
Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu
unterscheiden.
Bevor ich mich wieder dem zuwende, wonach wir in unseren Logen streben, möchte ich
mich damit beschäftigen, wie vielfältig Weisheit definiert wird und wer diesen Begriff für
sich in Anspruch nimmt.
Wir alle haben schon von den chinesischen und den ägyptischen Weisheiten, den Büchern der
Weisheit in der Bibel gehört, aber auch von deutschen Philosophen, Gelehrten und natürlich
Psychologen sind Aussprüche, die als weise gelten, bekannt.
Eines ist allen gemein: Ihr Denken ging über die kleinen Probleme des täglichen Lebens
hinaus und sie gaben uns Hinweise für unseren Lebensweg, Lebens- und Glaubensregeln,
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damit wir glücklicher und zufriedener sind. Demnach kann uns Weisheit die Fähigkeit geben,
unser Leben so zu gestalten, dass wir glücklich sind.
Das Glücklichsein aber wird sehr unterschiedlich gesehen, auf Situationen bezogen oder auf
das gesamte Lebensgefühl und ich möchte hier nur Dietrich Bonhoeffer zitieren, der sagte:
„Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas
sein kann.“
Die Weisheiten aus China beziehen sich auf das Leben in Harmonie mit Natur und Kosmos
im Daoismus, auf Menschlichkeit, Ehrfurcht und Umgangsformen im Konfuzianismus.
Konfuzius beschreibt 5 Kardinaltugenden:
•
•
•
•
•
Menschlichkeit
Gerechtigkeit
Soziales Verhalten
Weisheit
Güte
Im alten Ägypten waren es mehr Verhaltensregeln, bei denen das Wohlverhalten gegenüber
Gott und dem Staat, was sprachlich häufig gleichgesetzt wurde, großen Raum einnahm.
Im Orient, um 1200 vor Chr., liegt der Ursprung für Geschichte und Wesen der Weisheit. Als
die Schrift entstanden war, entstand auch die Weisheitsliteratur, deren Kern die sogenannte
Maat ist, die als Weltordnung, Richtigkeit oder Wahrheit übersetzt wird. Die Weisheit will
behilflich sein, zur rechten Zeit richtig zu handeln.
Weisheit weiß um das rechte Maß.
Nach dem Zusammenbruch des alten Reiches brach aber auch das Vertrauen in die
Schöpfung, die Weltordnung, zusammen. Wie überall in schlechten Zeiten dachte man
kurzfristig im Sinne von Lustbefriedigung bevor Weisheit eine Weisheit der Frömmigkeit
wurde.
Im alten Griechenland wurde die Philosophie geboren, eine neue Geistesrichtung, die sich in
ihren Anfängen Weisheit später die Liebe zur Weisheit nannte.
Sokrates war es, der die Grundlage für das Denken und die Auseinandersetzungen über die
Weisheit im Westen bestimmte.
Er wurde vom Orakel in Delphi als der Weiseste bezeichnet. Von ihm stammt der berühmte
Ausspruch: “Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Diesem Ausspruch lag das Motiv einer dem menschlichen Vermögen gemäßen Weisheit im
Gegensatz zu einer diese übersteigende, als göttlich verstandenen zugrunde.
Die Religionen gingen und gehen unterschiedlich mit der Weisheit um, als rein göttlich aber
auch als Göttin oder weibliche Seite Gottes.
So kennt das Judentum die Weisheit, mit der Gott in der Welt wirkt und mit den Menschen
spricht. Im Philippusevangelium wird die Weisheit als Sophia personifiziert. Daher stammt
die Bezeichnung hagia sophia. Später wurde Weisheit als logos, der im Griechischen
männlichen Vernunft, bezeichnet.
Auch heute beschäftigen sich Theologen, Philosophen und Psychologen mit der Weisheit.
So gibt es ein „Berliner Weisheitsparadigma“, an Hand dessen Tests und Behandlungen
psychisch Erkrankter durchgeführt werden.
-- 4 -Definiert wird hier Weisheit als tiefe Einsicht und umfassende Urteilsfähigkeit in
schwierigen und existenziellen Fragen des Lebens. Weise werden kann man aus
Psychologensicht zunächst durch Offenheit für neue Erfahrungen, Kreativität, soziale
Kompetenz und Empathie. Zweitens sind Erfahrungen von Bedeutung – und wie man diese
verarbeitet. Drittens ist eine bestimmte Motivlage sehr wichtig: Ich muss den Willen und den
Wunsch haben, das Leben immer besser zu verstehen und tiefere Einsichten zu gewinnen.
Intelligenz alleine verhilft nicht dazu, weise zu werden. Dummheit steht der geistigen
Entwicklung aber im Wege.
Trotz vieler Tests hat man jedoch noch keinen Weisen gefunden.
Wir, die wir am Tempel Salomos bauen, sollen uns seine Weisheit zum Vorbild nehmen, die
durch den Glauben erlangt wurde.
Der Tempel Salomos ist nicht nur ein Bauwerk aus Stein sondern ein Menschheitstempel
zur Ehre des Allmächtigen Baumeisters aller Welten. Er soll die Menschen in moralischer
Gleichwertigkeit und Übereinstimmung in gemeinsamen Arbeiten am Bauziel vereinigen.
Es ist der Tempel der Humanität.
Im Talmud, im Koran und anderen späteren Überlieferungen finden sich viele Berichte über
König Salomo.
Im Koran heißt es, dass König Salomo die Herrschaft über die Dschinn, die sicher jedem
bekannten Geister, hatte. Sie beschafften für ihn Schätze aus dem Meer und bauten sogar den
Tempel von Jerusalem.
Er hatte einen Talisman, auf dem der wahre Name Gottes stand und mit dem er alles
beherrschen konnte. Auch soll ihm von Allah die Macht über die Tiere übertragen worden
sein und er soll die Sprache der Vögel gesprochen haben. Im orientalischen Volksglauben,
namentlich in Tausendundeine Nacht, wird Salomo (Sulaiman, Süleyman) als erster
namhafter König dargestellt, als Inbegriff der Weisheit, der Menschen, Tieren und Geistern
befiehlt.
Für die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche spielt Salomo eine besondere Rolle, da ihnen die alten
äthiopischen Kaiser als Nachfahren von Salomo und der Königin von Saba gelten.
Durch den Tempelbau hat Salomo auch für die Freimaurerei seine besondere symbolische
Bedeutung.
Die Bibel ist eines der drei großen Lichter der Freimaurerei, in ihr wird Weisheit als
Geschenk Gottes dargestellt.
Salomo bekam seine sprichwörtliche Weisheit als Antwort auf ein Gebet
(1. Könige 3,5-14), in dem er sprach:
"So wollest du deinem Knecht geben ein gehorsames Herz, dass er dein Volk richten
möge und verstehen, was gut und böse ist. Denn wer vermag dies dein mächtiges Volk
zu richten?"
Diese Bitte um Gehorsam und Weisheit gefiel dem Herrn so gut, dass er Salomo zu
einzigartiger Weisheit verhalf, ihm auch alle Reichtümer der Erde gab und ein König wie
dieser in der Welt war keiner vor und keiner nach Salomo.
Die Bibel enthält auch direkte Handlungsanweisungen zur Erlangung von Weisheit:
„Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Wege an und werde weise!“ steht im Buch der
Sprüche(Sprüche 6,6)
Andererseits wird Weisheit mit persönlichen Erfahrungen in Zusammenhang gebracht:
„Der Weg des Narren erscheint in seinen eigenen Augen recht, der Weise aber hört auf
Rat.“ (Sprüche 12,15)
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Wer nun nach dem Gehörten denkt: „da sitz ich nun ich armer Tor und weiß soviel als wie
zuvor“, dem rate ich, sich auf den Katechismus und damit die Grundgedanken unseres
Bundes zu besinnen und auf Laotse, der sagt:
"Ich habe drei Schätze, die ich hüte und hege. Der eine ist die Liebe, der zweite ist die
Genügsamkeit, der dritte ist die Demut."
Die Kerze der Weisheit steht im Osten, da wo der leitende Meister seinen Platz hat. Ihm ist es
aufgegeben die Pflichten seines Amtes weise zu erfüllen. Dies ist nur durch Selbsterkenntnis
möglich. Selbsterkenntnis gepaart mit Demut. Beides erfordert Stärke.
Die Gesetze unseres Bundes und das Ritual helfen und sie stützen die Meister, nicht nur aber
auch durch die Zeichen ihres Amtes. Insbesondere aber, dass die Brüder der Loge ihnen auf
dem Wege zur Wahrheit folgen sollen und von ihnen erleuchtet werden.
Nur die Zeichen allein reichen nicht aus, denn nach außen zur Schau gestellte Macht, will
eher Schwäche überdecken.
Stärke und Weisheit auf dem Weg zu unseren hohen Zielen sind nicht laut, sie lassen sich
spüren und fühlen, übertragen sich auf die Brüder, geben Halt und bedürfen keiner
selbstgefälligen Maske, wie oft im profanen Leben.
Die Väter unseres Bundes haben uns den Weg vorgegeben und das Werkzeug bereitgelegt, an
uns und für die Menschlichkeit in der Welt zu arbeiten.
Auch in der 236jährigen Geschichte unserer Loge „Zur Verschwiegenheit“ haben viele
Brüder über ihre Pflichten hinaus zum Wohle aller Bedeutendes geleistet. Wir gedenken ihrer
wegen der Taten, nicht wegen ihrer Worte.
Viel Gutes ist aus der Freimaurerei entstanden. Das sagte schon Bruder Lessing.
Wenn wir uns nun einen kurzen Augenblick die vielen Definitionen von Weisheit
vergegenwärtigen, aber insbesondere die erkennbaren Grundgedanken, dann bleibt für mich
nur ein Schluss:
Freimaurerei ist weise, die freimaurerischen Gedanken und Leitlinien sind Weisheit.
Nur wir Brüder müssen sie verstehen und wollen ihnen ja auch folgen, um Weisheit zu
erlernen. Lernen durch die uns aufgetragene Arbeit am rauen Stein, an uns selbst.
Folglich erbittet der Meister beim Entzünden der Kerze, dass er die Loge weise also mit
Weisheit leiten möge, damit die Brüder unter seiner Führung auf dem Weg zum großen Ziel
fortschreiten können.
Auf allen Gebieten haben wir Brüder als Vorbilder, auf die wir mit Stolz zurückblicken, die
uns aber auch Verpflichtung sind, unserem Eid folgend, an uns zu arbeiten.
Für mich sind die wichtigsten Tugenden, die unsere Vorfahren uns zu erlangen aufgegeben
haben, Selbsterkenntnis, Demut und die Liebe. Wobei die Liebe das höchste Gebot der königl.
Kunst ist und sich die Demut darin zeigt, dass der weiße Schurz am Ende, auf der höchsten
Stufe der Erkenntnis, wieder getragen wird. Der freimaurerische Weg endet mit dem
Erkennen der eigenen Unvollkommenheit.
Wir dürfen eine wirklich königliche Kunst betreiben, die mit Weisheit zu tiefer Erkenntnis
führt, ohne die der Tempel der Humanität nicht vollendet werden kann.
Es geschehe also.