- 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Sektionsveranstaltung der Sektion Politische Soziologie auf dem Soziologiekongress 2016 in Bamberg
Postdemokratie? Politische Praxis jenseits von Repräsentation und Verrat
Organisation: Henning Laux (Bremen) & Jasmin Siri (München)
Es gibt wohl kaum eine Profession, bei der Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen wie im
Bereich der Politik. Auf der einen Seite wird die Repräsentation individueller Willensbekundungen, die
Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse und die Überwindung pathologischer Entwicklungen erwartet.
Regierungen und Parlamente sollen Wirtschafts- und Finanzkrisen bewältigen, die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ermöglichen, den Klimawandel aufhalten, die Energieversorgung garantieren, die Lebensmittelsicherheit gewährleisten oder Flüchtlingsströme managen. Andererseits zeigt sich der Demos geradezu chronisch
enttäuscht. Die politische Klasse gilt vielen Bürgerinnen und Bürgern als verlogen, korrupt, inkompetent oder
ohnmächtig. Gewählte Repräsentanten werden als Marionetten globaler Konzerne verunglimpft, als Spielbälle
der Globalisierung verspottet oder als medienaffine Symbolpolitiker diffamiert. In Sozialen Medien steigert sich
die Verachtung der Profession häufig zu Hass- und Gewaltphantasien.
Auch die Soziologie verfällt angesichts der Politik allzu häufig in Extreme. Sie betont die Machttrunkenheit
politischer Eliten (Bourdieu), setzt in idealistischer Weise auf die Entfaltung der Vernunft durch politische
Deliberation (Habermas) oder nivelliert die Zentralität der Politik im Rahmen differenzierungstheoretischer
Modelle (Luhmann). Nur zu oft werden politische Praxen einer vorgelagerten theoretischen Wertung ausgesetzt,
der sie als empirische Phänomene verblassen lässt und Überraschungen verunmöglicht.
Zugleich reagiert die demokratische politische Praxis auf öffentliche Bewertungen ebenso wie auf wissenschaftliche Diagnosen. So schreiben sich allmachtsphantasmatische Regelungsansprüche ebenso in die politische
Praxis ein, wie Politikverdrossenheit oder der Vorwurf der Symbolpolitik.
Die Sektionsveranstaltung nimmt gegenwärtige Kontroversen rund um den Modus der Politik zum Anlass für
einen Blick hinter die Kulissen. Dabei wollen wir uns auf zwei zentrale Themenbereiche konzentrieren:
1.
Arbeitsalltag im Parlament, in politischen Organisationen und im Lobbyismus: Mit empirisch
gehaltvollen Vorträgen wollen wir die Praktiken und Selbstbeschreibungen des politischen Feldes
rekonstruieren. Wie sieht der Alltag in Abgeordnetenbüros aus? Welche formellen und informellen
Arenen muss eine politische Initiative durchlaufen? Was passiert in den berühmten „Hinterzimmern“,
welche Rolle spielen innerparteiliche Hierarchien und wie kommen politische Positionen zustande?
Inwiefern befördern die vorhandenen Strukturen und Verfahren die Generierung tragfähiger, kollektiv
verbindlicher Entscheidungen? Welche Erwartungen verknüpfen PolitikerInnen und politisch
engagierte Personen mit ihrer eigenen Tätigkeit? Wie gehen PolitikerInnen mit der Vielzahl an
öffentlichen Ansprüchen und ggf. Anfeindungen um?
2.
Synchronisation von Politik und Gesellschaft: In einem zweiten Teil interessieren wir uns genauer für
das Zusammenspiel zwischen Politik und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Hier können Fragen
wie die Folgenden eine Rolle spielen und in theoretischen wie empirischen Beiträgen untersucht
werden: Welche Rolle spielen Massenmedien und Interessenverbände bei der Genese und Vermittlung
politischer Positionen? Welche sozialen, sachlichen und zeitlichen Differenzen müssen in der
Kommunikation der Politik mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt überwunden werden? Inwiefern ist
Lobbyismus zum existenziellen Bestandteil der Demokratie geworden? Auf welche Techniken und
Methoden greifen Politikerinnen und Politiker bei der Erfassung und Repräsentation des Wählerwillens
zurück?
Wir bitten um Zusendung von 2-3-seitigen Short Papers, in denen sowohl die Grundthese des geplanten
Vortrages, theoretische Grundlagen wie auch (so vorhanden) die empirische Datenbasis expliziert werden. Bitte
senden Sie die Beiträge bis 1.4.2016 an [email protected] und [email protected].