Institut für Soziologie
HS: Moderne und Individualisierung
Prof. Dr. Michael von Engelhardt
Montag, 16.15-17.45 Uhr
Frederike Kotter, Erika Ribtschinsky
Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft
1. Leben und Werke
•
•
•
•
•
•
* 26. Juli 1855 in Oldenswort, einziger vom Lande stammender Soziologe in seiner
Generation
Politische Ziele: Durchsetzung sozialpolitischer Institutionen, freie Entfaltung der
Gewerkschaften, gemeinwirtschaftliche Ziele, gegen Nationalsozialismus
„Gemeinschaft und Gesellschaft“ 1887: dreiteiliges Buch
1. Allgemeine Bestimmung der Hauptbegriffe
2. Wesenwille und Kürwille
3. Soziologische Gründe des Naturrechts
„Einführung in die Soziologie“ 1931: Unterscheidung zwischen „reiner“
(=begriffskonstruktiv), „angewandter“ (=historisch) und „beschreibender“
(=empirisch) Soziologie
Einschränkungen bei Publikationen durch NS-Regime
† 11. April 1936 in Kiel
2. Gemeinschaft und Gesellschaft
•
•
•
Gemeinschaft: direkt und wirklich als reale Einheit
→ Prinzip der Besonderung ihrer Einzelteile (vom Ganzen zum Teil)
Gesellschaft: indirekt, mechanisch und künstlich als ideelle, konstruierte Einheit
→ Bloßes Nebeneinander von unabhängigen Personen
→ Prinzip der Neuverbindung autonomer Teile (vom Teil zum Ganzen)
Wille schafft Sozialform (wollende Menschen)
•
Wesenwille (Wollen): organische Einheit, aus innerem Keim bzw. einheitlicher
Vergangenheit
•
Kürwille (Denken): Denken aus dem Wollen hervorgetreten und verselbstständigt
sich, nicht selbstverständlich
→ Gemeinschaft und Gesellschaft sind Normaltypen (analytisch)
In der Realität existieren Gemeinschaft und Gesellschaft nur als Mischformen
3. Individualisierung
„ Individualismus bezeichnet […], eine Art und Weise des Denkens und Handelns, dessen
Auswirkungen im ökonomischen, politischen und moralischen Leben zu finden sind.“
(Tönnies 1935: 25, zit. n. Kippele 1998: 58)
•
einzelnen Phasen der sozialen Entwicklung
a) Hauptbewegung der Kulturentwicklung
langsam und kontinuierlich
Arbeitsteilung
b) Umkehrung der Kulturentwicklung
durch Bevölkerungsvermehrung entsteht ein dichterer Raum → Großstädte
Organisation der Güter und Produktion → Güter nicht zum Gebrauch,
sondern zum Gewinn
jedes Individuum verfolgt Kapitalvermehrung → steigt aus dem System der
Arbeitsteilung aus
c) neu eingeschlagene Bewegung der Kulturentwicklung
ideell, äußere Verbundenheit zu Anderen
→ Individualismus als Produkt der Gemeinschaft und Voraussetzung für die Gesellschaft
Das Individuum entwickelt sich in, aus und neben den sozialen Verbindungen:
• Innerhalb der Verbindungen
– Machtausübung
– Mittel-Zweck- Denken
• Außerhalb der Verbindungen
– Aus ursprünglichen Verbindungen rausgehen und Freiheit suchen
– Verfall mittelalterlicher Dörfer/ Städte
– Gleiche Staatsbürger
– Verfall der Kirche
• Neben den Verbindungen
– In Berührung mit fremdem Volk
– Bildung von Klassen
– Freie Wissenschaft
– Isoliertes Individuum erobert die Welt
– Weltbürger
– Begriffe wie Geld, Staat und Wissen gewinnen mehr Bedeutung
4. Wirken
•
Ergänzungen oder Abwandlungen zu Tönnies „Gemeinschaft und Gesellschaft“ u.a.
durch:
Max Webers „Vergemeinschaftung“ und „Vergesellschaftung“
Emile Durkheims „organische und mechanische Solidarität“
Talcott Parsons „pattern variables“
5. Literaturverzeichnis
•
•
•
•
•
Kaesler, Dirk (2006): Klassiker der Soziologie. Von Auguste Comte bis Alfred
Schütz, München.
Kaesler, Dirk; Vogt, Ludgera (2007): Hauptwerke der Soziologie, Stuttgart.
Kippele, Flavia (1998): Was hießt Individualisierung?, Opladen.
Merz-Benz, Peter-Ulrich (1995): Tiefsinn und Scharfsinn. Ferdinand Tönnies'
begriffliche Konstitution der Sozialwelt, Frankfurt am Main.
Tönnies, Ferdinand (1935): Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt.