Manuskript: Das Günter-Grass-Haus in Lübeck

Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Inge Kämmerer
Literarische Orte
Das Günter-Grass-Haus in Lübeck (1)
von
Susanne von Schenck
Sendung: 31.08.2015, hr2-kultur
Sprecherin: Autorin
O-Töne von: Jörg-Philip Thomsa (Leiter G.-G.-Haus), Julia Wittmer (Mitarbeiterin G.-G.Haus), Mario Adorf, Günter Grass
hr2-kultur / Bildung
Copyright
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Anmoderationsvorschlag
Lübeck: wohl kaum eine Stadt in Deutschland hat drei Nobelpreisträger aufzuweisen und
jedem von ihnen ein eigenes Museum gewidmet. In der Mengstraße steht das
Buddenbrookhaus mit einer Dauerausstellung zu Thomas und Heinrich Mann - es zählt zu
den meistbesuchten Literaturmuseen in Deutschland. In der Königstraße informiert das
Willy Brandt Haus über früheren deutschen SPD-Politiker, Bundeskanzler und
Friedensnobelpreisträger. Gleich um die Ecke und mit dem Brandt-Haus verbunden, liegt in
der Glockengießergasse das Günter-Grass-Haus. Es entstand 2002 und wurde vor drei
Jahren neu gestaltet. Als „Forum für Literatur und Bildende Kunst“ widmet es sich der
Doppelbegabung von Günter Grass und versteht sich zugleich als Forschungsstätte. Susanne
von Schenck hat es besucht.
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Beitrag
1 O-Ton Adorf/Müller 0.08
„Leute wie Grass haben uns und wir haben ihnen nichts zu sagen.“
Heiner Müller, Schriftsteller, 1957.
Autorin
Ein Baldachin aus Büchern begrüßt den Besucher in der Eingangsdiele des Lübecker
Günter-Grass-Hauses. In vierzig Sprachen übersetzte Erzählungen, Romane und Gedichte
des Nobelpreisträgers schweben an der Decke und verdeutlichen, dass man es hier mit
einem literarischen Schwergewicht zu tun hat. Dazu eine „Hördusche“ mit kontroversen
Meinungen zu dem Schriftsteller, der selbst polarisierte, gelesen vom Schauspieler Mario
Adorf.
2 O-Ton Adorf / Vonnegut/ Semprun 0.13/0.21
((Günter Grass ist ein außergewöhnlicher, wichtiger Künstler, ein wirklich
warmherziger Freund. Kurt Vonnegut, amerikanischer Schriftsteller, 1999))
Hätte er etwas diskreter gelebt, hätte man nur sein Werk beurteilt. Aber er hatte
über alles etwas zu sagen. Wenn man einmal in der SS war, vielleicht unschuldig,
muss man nicht so viele Lektionen erteilen. Jorge Semprun, spanisch-französischer
Schriftsteller, 2007.
Autorin
Das „Vorspiel“ im Günter-Grass-Haus, das 2002, noch zu Lebzeiten des Schriftstellers
eröffnet wurde, will gleich klarmachen, dass er hier nicht auf ein Podest gehoben wird. Das
Haus, so der Leiter Jörg-Philip Thomsa, sei lebendige Forschungsstätte und kein musealer
Tempel.
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3 O-Ton Thomsa Archiv 0.24
Wir haben hier ein Archiv von 1000, inzwischen 1300 Graphiken und alle Manuskripte
von 1995/96, als Grass von Berlin nach Lübeck sein Sekretariat verlegte bis zur
Eröffnung des Grass-Hauses 2002, also „Krebsgang“, „Fundsachen für Nichtleser“,
„Mein Jahrhundert“ etwa, die liegen in Lübeck. Und gerade dieser Bestand der
Sammlung ist natürlich für uns ganz wichtig, weil das auch Unikate sind.
4 Atmo gehen
Autorin
Von der Diele des alten Hauses führt der Weg zum eigentlichen Ausstellungsgebäude durch
einen hübsch angelegten Skulpturengarten. Die Apfelbäume blühen zwar nicht mehr, aber
an der Hauswand ranken Rosen empor, ein paar Stühle laden zum Sitzen ein. Julia Wittmer,
Mitarbeiterin des Grass Hauses, zeigt auf die Plastiken, die überall stehen.
5 O-Ton Wittmer zum Butt
Hier finden wir schon Skulpturen von Günter Grass, die Köpfe, seine ganz frühen
Windhühner und natürlich der Butt in der Hand.
(6 O-Ton Grass (von CD “Da sagte der Butt”)
„Wie der Butt zum zweiten Mal gefangen wurde. Natürlich biss er in trüber Ostsee an.
Er hält auf Tradition. Wenn schon nicht in der Danziger, dann in der Lübecker Bucht,
in jener Brühe, die Holsteins östliche Küste bespült, zwischen den Leuchttürmen
Cismar und Scharbeutz eine Seemeile vom Teerrand der Badestrände entfernt,
willigte er bewusst ein und suggerierte, wie er später vor Gericht zugab, den drei
gelangweilten Damen ein wenig Anglerglück.“)
Autorin
Julia Wittmer geht durch eine Glastür, die zur Dauerausstellung führt: 230 Quadratmeter auf
zwei Etagen. Im Eingang ein moderner Schreibtisch, auf dem die Themen der Ausstellung
skizziert sind, im Regal davor Erinnerungsstücke: die rot-weiße Blechtrommel, Kochbücher,
Skulpturen, eine Schreibmaschine - und die Nobelpreisurkunde, die Günter Grass 1999 für
sein Lebenswerk erhielt.
7 O-Ton Wittmer
„Man erkennt, wie wunderschön gestaltet das ist und dass er das tatsächlich für sein
Lebenswerk bekommen hat. Man erkennt die Rättin, man erkannt die Katze von ‚Katz
und Maus‘, den Hund aus den ‚Hundejahren‘, der Butt und in der Mitte die
zersprungene Blechtrommel.“
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8 O-Ton Grass Nobelpreis
„Nein, ein Schock war es nicht, es war Freude, auch ein gewisser Stolz und eine
Genugtuung, denn ich habe ja in meinem schwierigen Vaterland nicht nur
Lobpreisungen erfahren, mehr im Ausland. Ich möchte die Gelegenheit auch
wahrnehmen, all meinen Gegnern, die gelegentlich sich wie Feinde aufspielen im
Umgang mit mir, möchte sie dazu ermuntern, nicht jetzt an den Nägeln zu knabbern,
sondern sich mit mir zu freuen.“
Autorin
So der Schriftsteller in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk anlässlich des
Nobelpreises. Der Kosmos Grass ist an den Wänden und in multimedialen Schaukästen zu
entdecken – mit Fotos, Briefen, Manuskripten, mit Interviews und, in einem extra Raum,
Filmausschnitten. Fünf große Themenkomplexe werden präsentiert: Da geht es um das
politische Engagement, um Skandale, an denen das Leben von Günter Grass nicht gerade
arm war, um den Schriftsteller als Soldat oder seine Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus. Und – das Hauptthema des Hauses – um Günter Grass als
Schriftsteller und bildender Künstler gleichermaßen. „Bin ich nun Schreiber oder Zeichner“
– die Frage, die er sich 1979 stellte, zieht sich thematisch durch die Ausstellung, wie JörgPhilip Thomsa erklärt.
9 O-Ton Thomsa 0.27
Das geht gar nicht bei Grass, dass wir uns auf einen Teil seines Werkes, seines
Lebens konzentrieren, sondern wir sind ein Forum für Literatur und bildende Kunst.
Das ist hauptsächlich unsere Arbeit, die Wort- und Bildwelten des Nobelpreisträgers
und bildenden Künstlers darzustellen, zu erforschen und zu vermitteln. Aber wir sind
zugleich ein Erinnerungsort, aber auch ein Ort, der sich auch kritisch mit bestimmten
Aspekten seines Werkes, seines Schaffens auseinandersetzt.
Musik
Autorin
Wer es eilig hat, liest den Lebenslauf im Treppenhaus, betrachtet Grass’ Zeichnungen und
Drucke und schaut sich Filmausschnitte von „Katz und Maus“, „Unkenrufe“ oder Volker
Schlöndorffs Verfilmung der „Blechtrommel“ an. Besucher, die es genauer wissen möchten,
können sich stundenlang an den Tischen in die unterschiedlichen Welten des Günter Grass
vertiefen, sich von einer allgemeinen Ebene in immer feinere Verästelungen und tiefere
Schichten hineinarbeiten.
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Atmo Schreibmaschine unterlegen
Autorin
Der autobiographisch geprägte Roman „Vom Häuten der Zwiebel“ gibt beispielsweise
Einblick in die Arbeitsweise des Schriftstellers: neben der ersten, handschriftlichen Fassung
vom Januar 2005 hängen die Schreibmaschinen- und Computerfassungen vom Juli des
gleichen Jahres an der Wand – mit zahlreichen Streichungen und Ergänzungen.
10 O-Ton Wittmer Werkpläne
Wie man in dem Blindband dort sehen kann, hat er zunächst immer handschriftlich
vorgeschrieben, nach dem er einen Werkplan gemacht hat. Die Werkpläne sahen
auch immer sehr künstlerisch gestaltet aus, sehr bildlich gedacht.
Autorin
(Julia Wittmer zeigt auf das Schema zum Roman „Die Rättin“, das sich zu einem
eigenständigen Kunstwerk entwickelt hat: zuerst eine Bleistiftskizze, dann eine detailreiche
Lithographie, die sich bei näherem Betrachten als unterirdischer Rattenbau entpuppt.)
Das Grass-Haus wünscht sich aktive Besucher, die Fragen aufwerfen und mitentscheiden.
Denn einmal im Jahr, am 16. Oktober, dem Geburtstag von Günter Grass, wird einer der fünf
Themenbereiche nach Publikumsabstimmung ausgetauscht. „Grass als Soldat“ wird dann,
so Jörg-Philip Thomsa, abgelöst werden von „Grass und die Ostsee“.
11 O-Ton -Thomsa Ostsee 0.31
„Für ihn war die Ostsee auch ein politischer Raum, ein europäischer Raum. Es gibt
ein wundervolles Gedicht, das heißt „Kleckerburg“, da fragt er, Wie macht die Ostsee,
welche Sprache vertritt sie, deutsch oder polnisch, und er antwortet als lyrisches Ich:
blubb, pff, pschh, so macht die Ostsee das. Das ist quasi die Pointe dieses
großartigen Werkes, und es gibt – glaube ich - fast kein Buch von Grass, in dem nicht
die Ostsee vorkommt.“
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