Kurzfälle - Juristische Fakultät

Juristische
Fakultät
Strafprozessrecht
Kurzfälle
Prof. Dr. Frank Saliger
Lehrstuhl für Strafrecht,
Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie
Kurzfälle
Termin 1 (15.10.15):
Fall 1: (Frankfurter Folter-Fall, Fall „Jakob Metzler“ bzw. „Daschner“)
Der Beschuldigte G war festgenommen worden unter dem dringenden Tatverdacht, den Sohn
einer bekannten Frankfurter Millionärs-Familie entführt zu haben, um von den Eltern Lösegeld
zu erpressen. Obwohl starke Indizien auf seine Täterschaft hindeuten, weigert G sich, den Aufenthaltsort des Jungen zu nennen. Die Polizei geht – irrtümlich, denn das Kind ist schon tot –
davon aus, dass der Junge seit Tagen unversorgt ist und sich daher in akuter Lebensgefahr befindet. Appelle der Polizei an das Gewissen des Beschuldigten und Hinweise auf die gravierenden Folgen seines Verhaltens fruchten nicht. Stattdessen belügt G die Vernehmungsbeamten,
bezichtigt Unschuldige der Tat und legt falsche Spuren. In dieser Situation lässt der Vize-Polizeipräsident dem Beschuldigten Gewalt in Form schmerzhafter Polizeigriffe androhen, falls er
den Aufenthaltsort des Kindes nicht preisgebe. Ohne weitere Einwirkung räumt G ein, dass das
Kind tot sein könne, und nennt auch den Fundort der Leiche. Ist diese Aussage (Einlassung) im
Strafverfahren gegen G verwertbar?
Fall 1 Variante: Was gilt, wenn das Geständnis – wie im Frankfurter Folter-Fall – die Polizei
auf andere Beweismittel führt? Was ist mit dem Sachbeweis der Leiche?
Fall 2: A wird vom Vorwurf des Mordes mangels Beweises freigesprochen. Das Urteil wird
rechtskräftig. Ein halbes Jahr später taucht neues Beweismaterial auf, das die Schuld des A am
Mord eindeutig belegt. Kann das Strafverfahren gegen A erneut aufgerollt und A wegen Mordes
verurteilt werden?
Fall 3 („Grapsch“-Fall): Staatsanwalt S erfährt beim Tennisspielen, dass der an der örtlichen
Schule unterrichtende und mit ihm befreundete Lehrer L eine minderjährige Schülerin „begrapscht“ hat (Verdacht einer Straftat gemäß § 174 I Nr. 2 StGB: sexueller Missbrauch von
Schutzbefohlenen). Mit Rücksicht auf seine Freundschaft zu L will S die Sache auf sich beruhen
lassen. Geht das?
Termin 2 (22.10.15):
Fall 4: Jurastudentin A wird ihr teures Fahrrad, das sie ordnungsgemäß auf dem Campus der
Juristischen Fakultät abgestellt hatte, entwendet. Die von der Hochschulleitung sofort eingeschaltete Polizei ermittelt den bisher gänzlich unbescholtenen Jurastudenten B als Täter, der
sich das Fahrrad nur für eine „Spritztour“ ausgeliehen hatte und es – unwiderlegbar – auf jeden
Fall zurückbringen wollte. Auf das heftige Bitten des B hin erklärt A gegenüber der Polizei,
dass sie keine Strafverfolgung des B wegen des Fahrrads wolle. Kann die Polizei trotzdem das
Strafverfahren weiterführen? Spielt es eine Rolle, dass die Hochschulleitung auf eine weitere
Strafverfolgung drängt?
Fall 5: Wie Fall 4 mit dem Unterschied, dass A zunächst einen Strafantrag wegen aller in Betracht kommender Delikte gestellt und diesen erst auf das Bitten des B hin zurückgenommen
hatte. Nach einem Streit mit B will A nun erneut Strafantrag wegen des Fahrrads stellen. Ist das
zulässig?
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Fall 6: In der Hauptverhandlung gegen den Hausmeister A wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) kann dem Angeklagten ein Körperverletzungsvorsatz nicht nachgewiesen
werden, so dass nur noch eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB)
in Betracht kommt. Ein Strafantrag gemäß § 230 StGB fehlt. Auch die StA macht keine Angaben zum öffentlichen Interesse. Wie ist zu verfahren?
Fall 7a: A wird wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 I Nr. 1 StVG) angeklagt. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass A wegen mehrerer Einbrüche gesucht wird. Kann das Gericht diese Taten einfach berücksichtigen und aburteilen, wenn sie in der Hauptverhandlung
bewiesen werden können, etwa weil der Angeklagte ein entsprechendes Geständnis abgelegt
hat?
Fall 7b: Folgt aus der Lösung zu Fall 7a, dass das Verfahren wegen § 21 I Nr. 1 StVG beendet
und ein neues Verfahren wegen §§ 242, 243 StGB eingeleitet werden muss?
Fall 8: A ist wegen Mordes (§ 211 StGB) angeklagt. Das Gericht verurteilt ihn lediglich wegen
Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB). Ist das zulässig?
Fall 9: Beamter B hat seinem Vorgesetzten V bei der Einstellung falsche Zeugnisse vorgelegt.
In seinem Dienst erbringt er fachlich nicht zu beanstandende Leistungen. Als der Schwindel
auffliegt, will der ermittelnde Staatsanwalt das Verfahren gegen B wegen Betruges gemäß § 170
II StPO einstellen, weil er die weite und gefestigte Rspr. des BGH zum Anstellungsbetrug bei
Beamten (vgl. BGHSt 5, 358; 45, 1) für falsch hält und einer restriktiven Auffassung im Schrifttum folgen will, die in diesem Fall eine Betrugsstrafbarkeit verneint. Ist das zulässig?
Termin 3 (29.10.15):
Fall 10: A ist wegen Unterschlagung (§ 246 StGB) angeklagt. In der Hauptverhandlung kann
nicht mehr geklärt werden, ob die Tat zum Zeitpunkt der ersten Vernehmung bereits etwas mehr
als fünf Jahre zurücklag oder ob noch keine fünf Jahre vergangen waren. Was soll das Gericht
tun, wenn es zu der Überzeugung gelangt ist, dass A die Tat begangen hat?
Fall 11: Schöffe S blättert dem neben ihm sitzenden und armamputierten Richter R die Seiten
der Anklageschrift um. Dabei liest S zum Teil mit, auch um festzustellen, ob das Ermittlungsergebnis mit der Einlassung des Angeklagten übereinstimmt. Verteidiger V erblickt hierin eine
Verletzung des Mündlichkeitsprinzips und legt Revision ein. Mit Erfolg?
Fall 12: In einem spektakulären Mordprozess gegen den bekannten Schauspieler S herrscht
enormes Publikumsinteresse. Der Vorsitzende Richter R ordnet daraufhin die Verlegung der
Hauptverhandlung in die größere Stadthalle an. Ist das zulässig?
Fall 13: Gegen Kohl war ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue infolge des jahrelangen
Nichtausweises von Parteispenden in Höhe von über 2 Mio. DM, der zu einem Schaden der
Bundes-CDU von über 6 Mio. DM nach dem Parteiengesetz geführt hatte, eingeleitet worden.
Das Gericht begründet seinen Zustimmungsbeschluss zur Einstellung gegen Zahlung einer
Geldauflage von 300.000 DM u.a. wie folgt:
„Als weiterer Einstellungsgrund gilt in der Rechtspraxis auch die Ungewissheit über das Ergebnis, weil zum Beispiel bislang ungeklärte Rechtsfragen offen sind und eine langwierige
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Durchführung des Verfahrens durch mehrere Instanzen nicht mehr im Verhältnis zur Tat oder
zum Schuldgehalt und damit auch zur eventuellen Höhe der Strafe stünde“. Geht das?
Fall 14a: Der Angeklagte A hatte im Ermittlungsverfahren zunächst geschwiegen. In der
Hauptverhandlung wegen Raubes entsteht durch die Aktenlage ein großer Druck auf den A,
den Vorwurf einzugestehen, da er – worauf er vom Gericht hingewiesen wird – ohne Geständnis
mit einer hohen Strafe rechnen müsse. Als selbst sein Verteidiger nach einem Vorgespräch mit
dem Gericht dem A empfiehlt, so schnell wie möglich ein Geständnis abzulegen, um noch in
den Genuss einer milderen Strafe zu kommen, hält A diesem Druck nicht mehr länger stand
und legt ein voll umfängliches Geständnis ab. Das Gericht verurteilt A noch am selben Prozesstag und stützt sein Urteil auf das abgelegte Geständnis sowie den in der Hauptverhandlung
verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister. Unmittelbar nach der Verhandlung wendet
sich A an einen anderen Verteidiger und bringt vor, dass er die Tat nur aus Angst vor einer
hohen Strafe gestanden habe und die Tat doch überhaupt nicht begangen habe. Was kann dieser
Verteidiger unternehmen?
Fall 14b: In der Hauptverhandlung kommen der Angeklagte, das Gericht sowie die StA darin
überein, dass ein Strafmaß von vier Jahren nicht überschritten wird, wenn der Angeklagte ein
Geständnis ablegt. Nachdem der Angeklagte den Tatvorwurf gestanden hat, findet eine weitergehende Beweisaufnahme statt (vgl. § 257 c I 2 StPO). Nach der Beweisaufnahme ergeben sich
erschwerende Umstände der Tat, so dass sich das Gericht nicht mehr an die zugesagte Strafobergrenze von vier Jahren gebunden fühlt. Der Angeklagte wird sodann zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht stützt sein Urteil auf die durchgeführte Beweisaufnahme sowie auf das Geständnis des Angeklagten. Hätte eine Revision Aussicht auf Erfolg?
Termin 4 (05.11.15):
Fall 15: Vorstandsvorsitzender A ist angeklagt, der börsennotierten B-AG durch ungetreues
Verhalten einen erheblichen Vermögensschaden zugefügt zu haben. Der öffentliche Wirbel
führt zu einem Kurseinbruch der Aktie der B-AG. Im Prozess stellt sich heraus, dass der Vorsitzende Richter R Aktionär der B-AG ist. Verteidiger V stellt für A deshalb fristgemäß ein
Ablehnungsgesuch gegen R, das abgelehnt wird. Nach der Verurteilung legt V gegen das Urteil
Revision ein wegen Verletzung der §§ 338 I Nr. 2, 3 StPO. Mit Erfolg?
Fall 16: A wird von der Strafkammer unter Mitwirkung des Richters R verurteilt. Auf seine
Revision hin wird das Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer zurückverwiesen, deren Vorsitzender R mittlerweile geworden ist. A will die Mitwirkung von R verhindern.
Kann er das?
Fall 17: Der bislang unbescholtene B ist wegen Bestechung in einem besonders schweren Fall
gemäß §§ 334, 335 StGB hinreichend verdächtig. Der Fall erregt großes Aufsehen in den Medien und der Öffentlichkeit. Obwohl keine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist, entschließt sich die StA, Anklage beim Landgericht zu erheben. B hält dies für nicht
zulässig. Er ist der Ansicht, dass die Bestimmung des gesetzlichen Richters sich nicht nach der
„Sensationslust“ der Öffentlichkeit richten dürfe. Mit Recht?
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Fall 18: Dem Bauer B wird die Scheune angezündet. B erstattet Anzeige und benennt als Täter
den verfeindeten Nachbarn N, der ihm schon mehrfach gedroht hatte, Haus und Hof abzufackeln, und den er am Tatabend in der Nähe der Scheune gesehen hatte. Die Polizei vernimmt
N, ohne ihn als Beschuldigten zu informieren und zu belehren. N verstrickt sich in Widersprüche. Die Polizei hält ihr Vorgehen für zulässig, da das Verfahren gegen „Unbekannt“ geführt
worden sei. N sei daher zum Zeitpunkt der Befragung nicht Beschuldigter, sondern bloß Zeuge
gewesen. Trifft das zu?
Termin 5 (12.11.15):
Fall 19: Staatsanwalt S führt Ermittlungen gegen den hohen Beamten B, der Mitglied der APartei ist, wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern. Zur Vermeidung eines politischen
Skandals kurz vor der Wahl erteilt Justizminister M, der ebenfalls der A-Partei angehört, dem
S die Weisung, die Ermittlungen einzustellen. Ist das zulässig?
Fall 20: A ist wegen Betruges zum Nachteil der K-OHG angeklagt. Staatsanwalt S ist Anklagevertreter und zugleich Gesellschafter der K-OHG. A ist der Ansicht, dass ein Verletzter nicht
zugleich Anklagevertreter sein dürfe, und fordert, dass S abgelöst wird.
Fall 21: Bankräuber B hat sich mit Geisel G in einer Bank verschanzt und verlangt freien Abzug
mit der Geisel sowie der Beute. Staatsanwalt S weist die Polizisten an, den B bei Verlassen der
Bank niederzuschießen. Ist die Weisung rechtmäßig?
Fall 22: In der Hauptverhandlung gegen A wird ein Beweisantrag des A durch Gerichtsbeschluss abgelehnt. A fordert seinen Verteidiger V auf, sofort dagegen Rechtsmittel einzulegen.
V lehnt dies ab, weil eine Beschwerde nach § 305 StPO unzulässig ist. Darf V das?
Fall 23: Der wegen § 242 StGB angeklagte A beteuert gegenüber dem Verteidiger V seine
Unschuld und beruft sich auf seinen Freund Z, der bezeugen könne, dass er zur Tatzeit in einer
Bar gewesen ist. V hat einige Zweifel an der Wahrheit dieser Behauptung, benennt Z aber dennoch als Zeugen. Ist das zulässig?
Fall 24: Student A wird bei der Entwendung eines Buches ertappt und wegen § 242 StGB
angeklagt. Gegenüber seinem Verteidiger V gesteht A die Diebstahlsabsicht.
a) V erklärt vor Gericht, er sei aufgrund der vertrauenswürdigen Versicherung des A überzeugt,
A habe das Buch nur benutzen und am nächsten Tag zurückbringen wollen.
b) V teilt im Schlussplädoyer mit, A habe ihm gegenüber den § 242 StGB gestanden, und bittet
um milde Strafe.
c) V rät A auszusagen, er habe das Buch nur während einer zweiwöchigen Hausarbeit benutzen
und dann wieder zurückgeben wollen.
d) V klärt A über Straflosigkeit des furtum usus auf.
e) V beantragt Freispruch mit der zutreffenden Begründung, dass der Nachweis der Zueignungsabsicht von der Anklage nicht geführt worden sei.
Termin 6 (19.11.15):
Fall 25: A ist wegen Bandendiebstahls (§ 244 StGB) angeklagt. Bei der polizeilichen Vernehmung gesteht er die Tat. In der Hauptverhandlung widerruft A das in den Akten befindliche
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Geständnis und behauptet, dieses nur wegen Übermüdung nach einem 48-stündigen Dauerverhör abgegeben zu haben. Zum Beweis beantragt sein Verteidiger V die Vernehmung des Polizeibeamten P, der den A vernommen hatte. Das Gericht hält es für ausreichend, durch schlichte
telefonische Nachfrage bei der Dienststelle die Umstände der Vernehmung zu klären. Ist das
zulässig?
Fall 26 (Tagebuchfall): A ist wegen mehrfachen Mordes angeklagt. Die Polizei findet sein
Tagebuch, in dem er eingehend seine Mordfantasien schildert. Darf das Tagebuch verwertet
werden?
Fall 27: B wird von der Polizei verdächtigt, ein Serieneinbrecher zu sein. Durch die zahlreichen
Wohnungseinbrüche in der Öffentlichkeit unter Druck geraten, beschließt die Polizei, dem festgenommenen B unter allen Umständen ein Geständnis zu entlocken. B wird daher von dem
Polizeibeamten P glaubhaft vorgespiegelt, dass ihn bereits zwei Tatzeugen identifiziert hätten
und dass deshalb ein weiteres Tatleugnen sinnlos sei. B gesteht daraufhin die Taten und verrät
das Versteck der Diebesbeute. Auch später gesteht B nach Belehrung und ohne Täuschung erneut die Taten. Aufgrund des Geständnisses stellt die Polizei das Diebesgut sicher, das Fingerabdrücke des B aufweist.
a) Darf das erste Geständnis des B, der in der Hauptverhandlung nunmehr die Aussage verweigert, verwertet werden?
b) Darf das zweite Geständnis des B verwertet werden?
c) Darf das sichergestellte Diebesgut als Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden?
Fall 28: Die 20 und 21 Jahre alten A und B veranstalten ein Autorennen. An einem Fußgängerüberweg kommt es zu einem Unfall, bei dem Fußgänger C erheblich verletzt wird. Schnell
bildet sich eine Menschenmenge aus Schaulustigen. Als die Polizei am Unfallort eintrifft, geht
Polizeibeamter X zu dem verletzten C, um ihn sich anzuschauen. A, der sich um C kümmert,
erklärt X dabei ungefragt, an dem Unfall mitschuldig zu sein. Gleichzeitig fragt Polizeibeamter
Y in die Menschenmenge, die sich um das Auto des B gebildet hat, was denn passiert sei. B,
durch den Unfall geschockt, erklärt, mit A ein Autorennen veranstaltet und den Unfall verursacht zu haben. In dem späteren Ermittlungsverfahren berufen sich A und B auf ihr Schweigerecht.
Fall 29: Der junge Polizist P soll den wegen Bedrohung (§ 241 StGB) festgenommenen Randalierer R vernehmen. Aus Übereifer vergisst P, den R über sein Aussageverweigerungsrecht
zu belehren. R gesteht die Tat. Ist das Geständnis verwertbar?
Fall 30: Der um Mitternacht wegen Mordverdachts in Hamburg festgenommene Beschuldigte
B verlangt nach gesetzmäßiger Belehrung einen Verteidiger zu sprechen. Der forsche Polizeibeamte P reicht ihm darauf das Branchenverzeichnis der Hamburger Rechtsanwälte. Versuche
des B, einen Verteidiger telefonisch zu erreichen, bleiben angesichts der Uhrzeit erfolglos. Auf
den anwaltlichen Notdienst weist P den B nicht hin. Frustriert gesteht B die Tat. Ist das Geständnis (bei entsprechendem Widerspruch des späteren Verteidigers) verwertbar?
Fall 31 (Hörfallenentscheidung): Zeuge E hatte der Polizei mitgeteilt, dass A ihm gegenüber
einen Raubüberfall gestanden hat. Daraufhin führt E auf Veranlassung der Polizei ein Telefonat
mit A, bei dem der Polizist P über einen Zweitapparat heimlich mithört. In diesem Telefonat
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bekennt A sich erneut zu der Tat. Kann der mithörende Polizist P als Zeuge über den Inhalt des
Telefonats vernommen werden?
Fall 32: A ist wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) angeklagt, B wegen Beihilfe dazu (§§
267, 27 StGB). Das Verfahren gegen B wird abgetrennt und nach § 153 a StPO eingestellt. In
der Hauptverhandlung gegen A soll B nunmehr als Zeuge vernommen werden. Geht das?
Fall 33: Der Zeuge Z wird in der Hauptverhandlung vernommen, auf seine Aussage vereidigt
und entlassen. In einem späteren Verhandlungstermin wird Z erneut vernommen. Das Gericht
gewinnt dabei den Eindruck, dass Z in den beiden Vernehmungen zu Gunsten des Angeklagten
in Strafvereitelungsabsicht falsch ausgesagt hat. Es überlegt, a) ob die erste Vereidigung zulässig war, und b) ob Z nach der zweiten Vernehmung erneut vereidigt werden darf.
Fall 34: A und B sind wegen gemeinschaftlicher Urkundenfälschung (§§ 267, 25 II StGB) angeklagt. Während der Hauptverhandlung stirbt B plötzlich. Nunmehr soll Z, die Witwe des B,
als Zeugin vernommen werden. Z möchte nicht aussagen. Geht das?
Termin 7 (25.11.15):
Fall 35: A ist wegen des Vorwurfs, den B ermordet zu haben, in U-Haft genommen worden.
Nach den bisherigen Ermittlungen gehört die Tatwaffe dem A, befinden sich an seiner rechten
Hand passende Schmauchspuren und hat Nachbar N des B ausgesagt, dass A und B sich einen
Tag vor der Tat heftig gestritten hätten und A dem B laut zugerufen habe, er werde ihn wegen
der Sache mit der ausgespannten Freundin „kalt machen“. Die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe
hatte A zuvor abgewischt. Auch hatte A die Tatwaffe in einen nahegelegenen Bach geworfen,
wo sie trotzdem gefunden wurde. Besteht dringender Tatverdacht gegen A?
Fall 36: Wie Fall 35 mit der Ergänzung, dass A nach der belastenden Aussage des N und vor
seiner Festnahme einen Selbstmordversuch begeht. Würde dieser Umstand den Haftgrund der
Fluchtgefahr begründen?
Fall 37: Der 70jährige gehbehinderte Pensionär P erstattet Selbstanzeige wegen Totschlags an
seiner Ehefrau F im Streit. P will zur Aufklärung der Tat in vollem Umfang beitragen und auf
seine gerechte Strafe warten. Er wohnt seit 50 Jahren im eigenen Haus am selben Ort und ist
dort fest verwurzelt. Wegen dringenden Tatverdachts beantragt die StA Haftbefehl gegen P.
Muss Richter R dem Antrag stattgeben?
Termin 8 (03.12.15):
Fall 38: A geht abends spazieren und sieht, wie ein offensichtlich betrunkener Mann M sich an
der Haustür des ihm gut bekannten Nachbarn N zu schaffen macht. A geht auf M zu und fragt
ihn, was er da mache. M antwortet zunächst nicht und hantiert weiter an der Tür. Als A den
Ausweis von M sehen will, zischt ihn M an, er solle verschwinden. A nimmt an, einen betrunkenen Einbrecher vor sich zu haben. Als er M auffordert, ihn zur nächsten Polizeiwache zu
begleiten, will M weggehen. Daraufhin bringt A den sich sträubenden M zur nächsten Polizeidienststelle. Hier stellt sich heraus, dass M der neue Eigentümer des Hauses ist und nach einer
Zechtour bloß seinen Hausschlüssel verloren hatte. Hat A sich strafbar gemacht?
Fall 39: Wie Fall 38 mit dem Unterschied, dass M tatsächlich einbrechen wollte und flüchtet.
A nimmt die Verfolgung von M auf. A kann M nur durch ein Anspringen von hinten zu Fall
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bringen. M erleidet dabei mehrere Quetschungen. Auf dem Boden wehrt M sich weiter. A setzt
M deshalb durch einen gezielten Kinnhaken außer Gefecht. Ist A aus § 127 I StPO gerechtfertigt?
Fall 40: Der erkennbar alkoholisierte A wird nach einem nächtlichen Unfall mit erheblichen
Personenschäden festgenommen. Im Krankenhaus wird die ordnungsgemäß angeordnete Blutprobe wegen Hochbetriebs nicht von einem Arzt, sondern von der erfahrenen Krankenschwester K nach den Regeln der ärztlichen Kunst entnommen. Ist die Blutprobe in dem Strafverfahren
gegen A verwertbar?
Fall 41 (Brechmittel-Fall): Drogendealer A verschluckt vor der Festnahme noch rasch seine
Ware in Form von kleinen, in Plastiksäcken verpackten Kokainkugeln. Staatsanwalt S ordnet
die Verabreichung von Brechmitteln an. A weigert sich, die Mittel zu schlucken. S fragt an, ob
A hierzu berechtigt ist (a), und ob ein Arzt ihm die Brechmittel auch zwangsweise durch eine
Magensonde verabreichen darf (b).
Fall 42: A wird vorgeworfen, einen Mord begangen zu haben. Er wird steckbrieflich gesucht
(vgl. §§ 131 ff. StPO). Als A gefasst wird, soll er zur Identifizierung der bei dem Mord anwesenden Zeugin B zwangsweise gegenübergestellt werden.
Fall 43: Gegen A läuft ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Raubs und gefährlicher
Körperverletzung. A hatte versucht, der jungen Frau F, die ihren Säugling im Arm hielt, von
hinten die Handtasche zu entreißen. Das misslang. F, die A nicht zu Gesicht bekam, und ihr
Säugling fielen zu Boden. Darf zur Feststellung der jeweils eingetretenen äußeren Verletzungen
eine körperliche Untersuchung der F (a) und ihres Säuglings (b) angeordnet werden, obwohl F
und ihr Mann nicht zustimmen?
Fall 44: Auf dem Campus einer Privathochschule wird eine Studentin vergewaltigt und ermordet. Die Polizei findet genetisches Material. Den Kreis der Personen, die die Tat begangen haben könnten, engt die Polizei mit folgenden Prüfungsmerkmalen ein: männlich, Alter zwischen
14 und 45 Jahren, Tätigkeit an der Privatschule. Ca. 400 Personen erfüllen diese Merkmale.
Der zuständige Richter ordnet daraufhin auf Antrag der StA einen genetischen Massentest
(Speichelprobe) an. Der an der Hochschule beschäftigte A weigert sich, an dem Test teilzunehmen.
a) Ist der Test zulässig?
b) Darf A sich weigern?
c) Darf gegen A, nachdem 395 Personen an dem Test mit negativem Ergebnis teilgenommen
haben, zwangsweise eine Speichelprobe gemäß §§ 81 a, e, f StPO für eine DNA-Analyse aufgrund richterlicher Anordnung entnommen werden?
Fall 45: Dealer D wird bei einem Drogendeal beobachtet und von der Polizei festgenommen.
Da die Polizei befürchtet, dass D sich der Drogen entledigen will, durchsucht Ermittlungsperson P den nicht kooperierenden D. Nachdem er in und an der Kleidung sowie auf der Körperoberfläche nichts gefunden hat, durchsucht P auch die Mundhöhle des D auf Drogenpäckchen,
wo er fündig wird. War das zulässig?
Fall 46: Der maskierte A wird von der Polizei nach einem Raubüberfall verfolgt. Auf der Flucht
durchquert A u.a. die Räume des Nobelrestaurants „Gourmet“ von „Chefkoch“ K. A gelingt
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die Flucht. Kurz darauf durchsuchen Ermittlungspersonen der Polizei die Räume des Nobelrestaurants, ohne konkrete Tatsachen dafür zu haben, dass A sich in den Räumen befindet oder A
die Tatbeute dort deponiert hat. K beschwert sich über die Durchsuchung, die seinen Geschäftsbetrieb empfindlich stört. Ist die Durchsuchung zulässig?
Fall 47: Die Polizei hat konkrete Anhaltspunkte, dass der Taschendieb D die Beute vor seiner
Ergreifung dem ahnungslosen Passanten P in die Tasche gesteckt hat. Darf P durchsucht werden?
Fall 48: Die Polizei untersucht auf richterlichen Durchsuchungsbeschluss hin die Räume des
bekannten Schauspielers S, der als Beschuldigter in eine Drogensache verwickelt ist. Die Polizei findet zwar keine Sachen, die für das Drogenverfahren von Bedeutung sind, entdeckt aber
Material, das auf einen Bestechungsskandal in Bezug auf den Oberbürgermeister O der Stadt
hindeutet. Die Polizei will das Material gegen den Protest des S mitnehmen. Geht das?
Termin 9 (10.12.15):
Fall 49: Beschuldigter A ist in U-Haft. Zur Vorbereitung der Verteidigung macht er sich schriftliche Notizen, aus denen sich der Tathergang rekonstruieren lässt. Die Notizen werden beschlagnahmt. In der Hauptverhandlung überlegt das Gericht, ob die Beschlagnahme rechtmäßig
war.
Fall 50: B ist des schweren Raubes gemäß § 250 I Nr. 2 StGB verdächtig. Eine TÜ wird angeordnet, die ein Gespräch des B mit seinem Verteidiger V aufzeichnet. V ist selbst zuvor unter
Verdacht geraten, zu Gunsten seines Mandanten Beweismittel beseitigt zu haben. In dem Gespräch macht B detaillierte Angaben zu den ihm vorgeworfenen Taten. Die StA fragt, ob sie
diese Erkenntnisse verwerten darf.
Fall 51: Gegen Drogendealer A wurde zulässigerweise eine TÜ wegen Verdachts des § 30 a
BtMG angeordnet. Als A aus seinem Auto mit dem Mobiltelefon Geschäftspartner P anrufen
will, erreicht er nur dessen Mailbox. Aus Versehen vergisst er, die Taste zur Rufbeendigung zu
drücken. Daher wird für die Dauer von fünf Minuten bis zum automatischen Ende der MailboxAufzeichnung ein Gespräch des A mit dem Fahrzeuginsassen übertragen und von der Polizei
aufgezeichnet. Aus diesem Gespräch ergeben sich gravierende Indizien für eine Strafbarkeit
des A wegen Verabredung zu schwerem Raub und schwerer räuberischer Erpressung. Die StA
möchte die Aufzeichnung daher verwerten; der Verteidiger des A bestreitet die Zulässigkeit.
Was gilt?
Fall 51a: A ist verdächtig, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Der Generalbundesanwalt beantragt beim Ermittlungsrichter des BGH die Durchsuchung des von A benutzten Personalcomputers/Laptops, um die auf der Festplatte und im Arbeitsspeicher abgelegten Dateien zu erlangen (verdeckte Online-Durchsuchung). Ist das zulässig?
Termin 11 (07.01.16):
Fall 52: Angeklagter A ist durch Urteil des LG verurteilt worden. In der Hauptverhandlung
hatte der Vorsitzende Richter vor der Vernehmung des A zur Sache bemerkt, dass der Eröffnungsbeschluss nur mit zwei Richtern gefasst war. Daraufhin holte die Strafkammer in der Be-
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setzung der drei Berufsrichter den Eröffnungsbeschluss nach und fuhr mit der Hauptverhandlung fort. A hält das für unzulässig und legt ordnungsgemäß Revision ein. Ist seine Revision
begründet?
Fall 53: A ist durch Urteil des AG verurteilt wor-den. Auf die Berufung der StA hin ändert das
LG das Urteil ab. Gegen das Berufungsurteil legt A Revision ein. In den Akten befindet sich
eine ordnungsgemäße Anklage. Daneben existiert ein formularmäßiger Eröffnungsbeschluss,
der das Datum 01.12.1999 trägt, die Gerichtsbezeichnung AG und den Ausstellungsort nennt
sowie die Unter-schrift des Richters R enthält. Vorder- und Rückseite des Beschlusses enthalten
kein Aktenzeichen, kein Datum der Anklageerhebung, keine Personalien des Angeschuldigten
und auch keine Blattzahlen, die Rückschlüsse darauf zulassen. Auf der Rückseite befinden sich
lediglich Verfügungen, die auf die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses hinweisen und Terminsbestimmung sowie Ladungen enthalten. Die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom
14.12.1999 enthält die Feststellung von R, dass die Anklage mit Eröffnungsbeschluss des AG
vom 01.12.1999 zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist. A rügt das Fehlen eines Eröffnungsbeschlusses. Ist die zulässig eingelegte Revision begründet?
Fall 54: A ist wegen Mordes angeklagt. Das zuständige LG hat das Hauptverfahren eröffnet
und Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Während der Hauptverhandlung belastet ein Entlastungszeuge der Verteidigung den A überraschenderweise mit neuen Beweisanzeichen. Die
StA will diesen neuen Beweisanzeichen nachgehen und nimmt die Ermittlungen erneut auf. A
hält das für unzulässig. Hat er Recht?
Fall 55: Während der Verhandlung ordnet Vorsitzender V an, dass Zeugenaussagen nicht mitgeschrieben werden sollen. Der verteidigte Angeklagte A beanstandet dies während der Verhandlung absichtlich nicht. Später legt er aber Revision ein mit der Begründung, dadurch in
seiner Verteidigung behindert worden zu sein. Wird die Revision des A Erfolg haben?
Fall 56: a) Schauspielerin S ist wegen Falschaussage angeklagt. Bei der Vernehmung zur Person verweigert sie die Angabe ihres Geburtsdatums.
b) Wie a, wobei Richter R die S auch nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen befragen will.
S möchte dazu eigentlich nichts sagen. Darf S in beiden Fällen die Aussage verweigern?
Fall 57: Der nicht geständige und über die Anklage schon vernommene Angeklagte A verließ
am dritten von sieben Hauptverhandlungstagen gegen den Willen des Gerichts den Verhandlungssaal und lehnte auch am darauf folgenden Fortsetzungstermin seine Vorführung ab. Zum
sechsten Hauptverhandlungstag ließ er sich zunächst vorführen, um nach wenigen Minuten den
Sitzungssaal erneut zu verlassen. Die Strafkammer setzte daraufhin die Beweisaufnahme in
Abwesenheit des Angeklagten fort und schloss diese im Einvernehmen mit den anwesenden
Prozessbeteiligten. Noch am selben Tag erfolgten die Schlussplädoyers von Staatsanwalt und
Verteidiger in Abwesenheit des Angeklagten. Am letzten Verhandlungstag ist A bei Aufruf der
Sache anwesend. Die Kammer setzt die Hauptverhandlung an diesem Tag mit der Verkündung
des Urteils fort, ohne A zuvor das letzte Wort erteilt zu haben. Hiergegen wendet sich A mit
der Revision. Zu Recht?
Wintersemester 2015/16
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Strafprozessrecht
Kurzfälle
Prof. Dr. Frank Saliger
Lehrstuhl für Strafrecht,
Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie
Fall 58: A ist wegen Einbruchsdiebstahls angeklagt. A bestreitet die Tat und trägt vor, zur Tatzeit nicht in X, sondern in Y auf einem Bierfest gewesen zu sein. Zu seiner Entlastung beantragt
sein Verteidiger
a) die Vernehmung der Ehefrau des A, die bezeugen könne, dass A sich von ihr zwei Stunden
vor der Tat verabschiedet hat mit der Bemerkung, dass er auf das Bierfest in Y gehe;
b) die Vernehmung eines Zechkumpanen mit Vornamen Hans, der mit ihm zur Tatzeit getrunken habe und von dem er wisse, dass er in X wohne und kaufmännischer Angestellter sei;
c) die Vernehmung seines Bruders B, der bezeugen könne, dass A handwerklich völlig unbegabt ist und den schwierigen Einbruch daher technisch gar nicht habe begehen können.
Das Gericht lehnt den Beweisantrag zu a) per Gerichtsbeschluss ab, weil es die Absicht des A,
nach Y zu gehen, als wahr unterstellt. Den Beweisantrag zu c) verwirft das Gericht, weil B mit
A verwandt und außerdem vorbestraft ist und deshalb ein ungeeignetes Beweismittel darstelle.
Auf den Antrag zu b) geht das Gericht überhaupt nicht ein. A wird verurteilt und legt Revision
ein. Mit Erfolg?
Fall 59: A ist wegen Raubes angeklagt. In der Hauptverhandlung erscheint die Hauptbelastungszeugin Z nicht, weil sie Magenbeschwerden hat. Kann das polizeiliche Protokoll über die
Zeugenaussage der Z verlesen werden?
Fall 60: Die Verlobte S des Angeklagten A macht in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch. Vor der Hauptverhandlung hatte S den
Verteidiger des A aufgesucht und diesem gegenüber Angaben gemacht, die A entlasten. Der
Verteidiger fertigt daraufhin eine Niederschrift an, in der es u.a. heißt: „Auf eigene Veranlassung erscheint heute S, die Verlobte des A. Bei der Unterredung zugegen waren der Unterzeichner, die Kanzleikraft Frau B sowie S. Frau S wurde über § 52 StPO belehrt. Sie wurde auch auf
die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung gemäß §§ 258, 22 StGB
hingewiesen. Auf dieser Basis erklärte Frau S, Angaben machen zu wollen ...“ Die Strafkammer
sieht davon ab, die Angaben der S vor dem Verteidiger mittels Verlesung einzuführen. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten. Mit Recht?
Fall 61: A ist wegen Totschlags angeklagt. Er wird von X als Pflichtverteidiger und Y als
Wahlverteidiger verteidigt. Laut Sitzungsprotokoll ist am dritten Verhandlungstag nur X erschienen und hat während der Vernehmung des Zeugen Z den Sitzungssaal zeitweise verlassen.
A wird verurteilt. Gegen das Urteil legt A Revision ein unter Berufung auf den Revisionsgrund
des § 338 Nr. 5 iVm. §§ 140 I Nr. 1, 145 I 1 StPO, weil ausweislich des Protokolls nicht ein
Verteidiger während der gesamten Hauptverhandlung anwesend gewesen sei. Zu Recht?
Termin 13 (21.01.16):
Fall 62: a) A wird Mord in Tateinheit mit Betrug vorgeworfen. Der Mordvorwurf ist nicht
beweisbar, der Betrug ist verjährt.
b) A ist wegen Einbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Hausfriedensbruch angeklagt. Der Einbruchsdiebstahl ist nicht beweisbar, beim Hausfriedensbruch fehlt der Strafantrag (vgl. § 123
II StGB).
Fall 63: A ist wegen Totschlags angeklagt (§ 212 StGB). Das Gericht stellt das Verfahren ein,
weil die Beratung ergeben hat, dass man A bestenfalls eine fahrlässige Tat gemäß § 222 StGB
nachweisen könne, die aber verjährt sei. Ist das zulässig?
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Fall 64: A ist wegen einer Trunkenheitsfahrt, die zu einem Unfall mit Personenschäden geführt
hat, angeklagt. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass A auch noch eine Fahrerflucht
begangen hat. Das Gericht möchte die Fahrerflucht in die Verurteilung miteinbeziehen. Geht
das?
Fall 65: a) A ist wegen Raubes mit (leichtfertiger) Todesfolge gegenüber dem Juwelier J (§ 251
StGB) angeklagt. In der Hauptverhandlung ergibt sich, dass A drei Tage nach dem Raub seinen
Mittäter B bei einem Streit um die Beute getötet hat. Kann das Gericht den A ohne weiteres
auch wegen Mordes an B verurteilen?
b) Die StA möchte die Anklage gegen A auch auf den Mord an B erstrecken. A verweigert
jedoch seine Zustimmung. Das Gericht will A dennoch wegen Mordes verurteilen, weil es die
Weigerung des A für missbräuchlich hält. Ist das zulässig?
Fall 66: Waffenscheininhaber A zerstört mit einem Schuss die moderne Gartenvase seines mit
ihm verfeindeten Nachbarn und Kunstliebhabers N. Er wird deshalb wegen Sachbeschädigung
rechtskräftig verurteilt. Später stellt sich heraus, dass A mit dem Schuss den N selbst töten
wollte, weil er dessen künstlerische Extravaganzen nicht mehr ertragen konnte. Die StA möchte
A nun auch wegen versuchten Mordes gemäß §§ 211, 22 StGB anklagen. Ist das zulässig?
Fall 67: A hat B in Verletzungsabsicht (ohne Tötungsvorsatz) mit einem schweren Holzscheit
auf den Kopf geschlagen und schwer verletzt. Er wird deshalb wegen § 224 StGB rechtskräftig
verurteilt. Kurze Zeit später verstirbt B an seinen schweren Verletzungen. Die StA will A jetzt
auch wegen § 227 StGB erneut anklagen. Geht das?
Fall 68: A ist wegen wiederholten „Heiratsschwindels“ und Doppelehe gemäß §§ 263, 172
StGB angeklagt. Zur Hauptverhandlung erscheint wie abgesprochen nicht A, sondern ihre Zwillingsschwester B, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht und sich für A ausgibt. Die Täuschung
bleibt in der Hauptverhandlung unbemerkt und B wird rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt. Erst als B die Ladung zum Strafantritt erhält, überlegt sie sich es anders und die
Täuschung fliegt auf. Die StA überlegt nun, was zu tun ist.
Termin 14 (28.01.16):
Fall 69: A ist wegen Diebstahls eines Kfz (§ 242 StGB) angeklagt. Der Strafrichter spricht ihn
mangels Beweises frei, weil ihm die erforderliche Zueignungsabsicht nicht nachzuweisen ist.
A fühlt sich durch diesen Freispruch „2. Klasse“ beschwert. Er will einen Freispruch wegen
erwiesener Unschuld und legt daher Berufung ein. Ist das zulässig?
Fall 70: Frau A ist wegen Ladendiebstahls (§ 242 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen
zu je 30 Euro verurteilt worden. Hiergegen legt sie Berufung ein. In der Hauptverhandlung in
der Berufungsinstanz stellt sich heraus, dass A bei dem Ladendiebstahl Gewalt gegen eine Person angewendet hat. Darf A nunmehr wegen Raubes (§ 249 StGB) zu einer höheren Strafe
verurteilt werden?
Fall 71: A ist angeklagt wegen uneidlicher Falschaussage (§ 153 StGB). Er wird verurteilt zu
einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten. Hiergegen legt A Berufung ein. In der Berufungsinstanz
will das Gericht A wegen Meineids (§ 154 StGB) verurteilen. Geht das?
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Fall 72: Der Kommunalbeamte B wurde wegen versuchter Erpressung (§§ 253, 22 StGB) vom
LG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Vorsitzende erklärte in der Hauptverhandlung und auch bei der Urteilsverkündung, dass der Beamtenstatus des B bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr nicht tangiert werde. Nur deshalb erklärte B nach Rücksprache mit seinem Verteidiger einen Rechtsmittelverzicht. Tatsächlich endet das Beamtenverhältnis mit Rechtskraft der Verurteilung eines Beamten wegen einer
vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (§ 41 I 1 Nr. 1 HBBG).
Einen Tag nach Urteilsverkündung erhält B Kenntnis von der zutreffenden Rechtslage und will
Revision einlegen. Ist das zulässig?
Fall 73: A ist wegen Totschlags verurteilt. Sein Verteidiger V legt Revision ein, weil das Gericht zu Unrecht einen Entlastungszeugen nicht vernommen habe. Dazu verweist V auf das
Sitzungsprotokoll. Ist die Revision zulässig?
Termin 15 (04.02.16):
Fall 74: A ist durch Strafbefehl wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Geldstrafe von
20 Tagessätzen a 20 Euro verurteilt worden. A legt fristgemäß Einspruch ein. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ergibt, dass A die Körperverletzung mittels eines hinterlistigen
Überfalls und daher eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 I Nr. 3 StGB) begangen hat.
Kann A nun zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden?
Fall 75: Angeklagter A legt gegen einen Strafbefehl Einspruch ein, erscheint aber unentschuldigt weder zum Hauptverhandlungstermin, noch ist er durch einen Verteidiger vertreten. Was
wird das Gericht tun?
Fall 76: Gegen die geständigen A und B ergehen Strafbefehle wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) und Diebstahls (§ 242 StGB) an dem benutzten Auto. Die Strafbefehle werden
rechtskräftig. Wenige Monate später geraten A und B in den Verdacht, sich das Auto mit Gewalt gegen den Eigentümer des Autos unter Einsatz von Waffen (schwerer Raub, § 250 StGB)
zugeeignet zu haben. Können A und B nun wegen schweren Raubes strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden?
Fall 77: Der italienische Tourist T wird im heißen Sommer 2006 auf frischer Tat bei einem
Einbruchsdiebstahl von 2 Kisten Wodka an einem Kiosk von zwei zufällig vorbeikommenden
Beamten des Polizeidienstes ertappt und vorläufig festgenommen. Am Tag nach der Festnahme
erlässt der Haftrichter einen auf 4 Tage befristeten Haftbefehl gegen den geständigen T. Weitere
drei Tage später wird T im beschleunigten Verfahren wegen versuchten Einbruchsdiebstahls
(§§ 243 I 2 Nr. 1, 22 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten auf Bewährung verurteilt.
T hält das Vorgehen gegen ihn für rechtswidrig. Insbesondere ist er der Ansicht, dass man ihn
nicht bis zur Hauptverhandlung in Haft habe halten dürfen, weil ein Haftgrund nicht bestanden
habe. So sei sein ganzer Urlaub ruiniert worden. Hat T Recht?
Fall 78: A behauptet, von B körperlich misshandelt worden zu sein, und stellt bei der StA Strafantrag gegen B wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB. Die StA verneint ein besonderes
öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, stellt das Verfahren ein und verweist den A auf
den Privatklageweg. A erhebt Privatklage. In der Hauptverhandlung sagen zwei Zeugen plötzlich übereinstimmend aus, dass das verwerfliche Tun des B den A in konkrete Lebensgefahr
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gebracht habe. Davon informiert der Richter die StA, die daraufhin ausdrücklich erklärt, die
Strafverfolgung zu übernehmen. A ist empört über diesen Zick-Zack-Kurs der StA und fragt
Sie, ob die StA so handeln darf.
Fall 79: Wie Fall 78. Der enttäuschte und aus dem Verfahren ausgeschiedene Privatkläger A
fragt Sie, wie er denn sonst noch an dem Strafverfahren gegen B teilnehmen kann.
Fall 80: Der selbständige Kaufmann A ist von Raudi B sehr schmerzhaft vorsätzlich körperlich
verletzt worden. Er war dadurch mehrere Wochen im Krankenhaus und hatte erhebliche Verdienstausfälle. A fragt Sie, ob er seine Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen B
nicht gleich im Strafverfahren geltend machen kann. Geht das?
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