Einführung in die Betriebswirtschaftslehre für NichtWirtschaftswissenschaftler: Kapitel 2 Prof. Dr. Leonhard Knoll Kapitel 2 2. Das Menschenbild in der Betriebswirtschaftslehre 2.1. 2.2. Der Mensch als Optimierungsmaschine (homo oeconomicus) Der Mensch als Optimierungsmaschine mit Fehlern 2.2.1. 2.2.2. 2.3. Begrenzte Rationalität Egoismus und Opportunismus Komponenten von Nutzenfunktionen 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. Konsummöglichkeiten Arbeitsleid Risiko EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 2 Basisliteratur: Neus, Kapitel 2, Abschnitt 1 sowie Kapitel 10, Abschnitte 1, 2.1-2.4, 3.1, 3.6, 3.7 und 4 2. Das Menschenbild in der Betriebswirtschaftslehre Ausgangslage: Jede Verhaltenswissenschaft braucht eine Annahme darüber, was das Verhalten von Menschen bestimmt. Beispiele (vereinfachend): Psychologie: Soziologie: Menschliches Verhalten ist triebgesteuert. Menschliches Verhalten wird durch das soziale Umfeld gesteuert. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 3 Frage: Welche Annahme wird in der Ökonomie getroffen? Erste Antwort: Es wird planvolles, bewusstes und auf die Erreichung wirtschaftlicher Ziele gerichtetes Verhalten unterstellt! Provokation: Ökonomische Theorie des Verbrechens! Aber: Andere Aspekte menschlichen Verhaltens werden nicht verneint, sie werden lediglich aus der Analyse ausgeklammert und an andere Verhaltenswissenschaften verwiesen! EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 4 Frage: Was ist planvolles, bewusstes und zielorientiertes Verhalten? Antwort: Das hängt davon ab, für wie „intelligent“ und für wie gut informiert man Menschen hält! EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 5 2.1. Der Mensch als Optimierungsmaschine (homo oeconomicus) Annahmen: ➢ Jeder Mensch kennt seine Ziele exakt. ➢ Jeder Mensch kennt alle seine Handlungsalternativen. ➢ Jeder Mensch kennt alle Folgen seiner Handlungen. ➢ Jeder Mensch kann immer die beste Handlungsalternative ermitteln. ➢ Jeder Mensch wählt immer die beste Handlungsalternative. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 6 Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, spricht man auch vom „homo oeconomicus“. Das Verhalten des homo oeconomicus wird als „rational“ bezeichnet. 2.2. Der Mensch als Optimierungsmaschine mit Fehlern Wenn mindestens eine der Annahmen aus 2.1. verletzt ist, kann sich der Mensch nicht mehr rational verhalten! EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 7 2.2.1. Begrenzte Rationalität Abgeschwächte Annahme: Der Mensch versucht, sich so gut wie möglich rational zu verhalten. Das Verhalten wird als „begrenzt rational“ bezeichnet. Mögliche Ursachen für begrenzte Rationalität (Beispiele): ➢ Nicht alle Handlungsalternativen sind bekannt. ➢ Die Folgen von Handlungen können nicht genau eingeschätzt werden. ➢ Die optimale Entscheidung kann nicht berechnet werden, da die Berechnung zu kompliziert ist EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 8 Für die weitere Vorlesung: Menschliches Verhalten wird als begrenzt rational angenommen! Die Ziele von Menschen werden durch sog. Nutzenfunktionen U (engl. „utility“) dargestellt. Es wird angenommen, dass Menschen versuchen, ihre Nutzenfunktionen zu maximieren. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 9 2.2.2. Egoismus und Opportunismus Wichtige Frage: Beeinflusst das „Wohlergehen“ von anderen den eigenen Nutzen? Vorläufige Antwort: Nein! Konsequenz: Menschen werden als egoistisch angenommen. Frage: Wie weit geht der angenommene Egoismus? Antwort: Es wird angenommen, dass Menschen auch die Schädigung von anderen bewusst in Kauf nehmen, solange es ihnen selbst nutzt. Diese Verhaltenstendenz wird auch als Opportunismus bezeichnet. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 10 Frage: Hat die Schädigung von anderen einen Nutzen an sich, d.h. werden Menschen als neidisch angenommen? Antwort: Nein, es wird angenommen, dass andere nur dann geschädigt werden, wenn es dem Schädiger selbst einen direkten Vorteil bringt. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 11 Frage: Ist die Annahme von begrenzter Rationalität und Opportunismus eine Behauptung über die reale Welt? Antwort: Nein. Diese Annahmen werden lediglich getroffen, um mögliche Konfliktsituationen besonders deutlich hervorzuheben und die rein wirtschaftlichen Vorteilsüberlegungen herauszustellen. Es wird damit keineswegs behauptet, dass Menschen z.B. ständig Freundschaft oder Liebe ignorieren, wenn sich ihnen dadurch wirtschaftliche Vorteile böten! EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 12 2.3. Komponenten von Nutzenfunktionen Die in der Ökonomie verwendeten Nutzenfunktionen unterscheiden sich lediglich dadurch, welche Variablen den Nutzen beeinflussen! 2.3.1. Konsummöglichkeiten Vereinfachende Annahme: Jeder Mensch möchte möglichst viel von allen Gütern konsumieren. Bezeichnungen: Xi: Menge des Gutes i, die zum Konsum zur Verfügung steht U j (.): Nutzenfunktion des Individuums j EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 13 Mögliche Beispiele für Nutzenfunktionen: U j ( X i ) 2 X i U j (X i ) 2 X i U j ( X i ) X i 2 Nutzenfunktionen Uj U j ( X i ) X i 2 25 20 15 U j ( X i ) 2X i 10 5 U j ( X i ) 2 X i 0 0 1 2 3 4 EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 5 14 2.3.2. Arbeitsleid Annahme: Güter sind nicht einfach vorhanden. Folge: Güter müssen erst produziert werden. Die Menge der verfügbaren Güter hängt also davon ab, wie viel Arbeit zu ihrer Erstellung aufgewendet wird. Formal: X i X i (e) EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 15 In Worten: Die verfügbare Menge des Gutes i ist eine Funktion der eingesetzten Arbeitsmenge e (engl. „effort“). Die „Arbeitsmenge“ könnte bspw. als Arbeitsstunden interpretiert werden. Beispiele: X i X i (e) 4e X i X i (e) 2e 2 X i X i (e) 3 e Anmerkung: Derartige Funktionen werden auch als Produktionsfunktionen bezeichnet. Produktionsfunktionen beschreiben den Zusammenhang zwischen der Menge eines oder mehrerer Einsatzfaktoren (hier: Arbeitszeit) und der Menge des damit produzierten Gutes. Produktionsfunktionen können außer der Arbeitsmenge z.B. auch die Menge des Materialverbrauchs enthalten. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 16 Übliche Annahme in der Ökonomie: Menschen arbeiten ungern! Folge: Der Nutzen sinkt bei steigender Arbeitsmenge. Beispiele für Nutzenfunktionen in Abhängigkeit nur von der Arbeitsmenge (d.h. die erstellten Güter werden zunächst ignoriert): U j (e) 3e U j (e) 2 e U j (e) e2 Werden nun die erstellten Güter berücksichtigt, so hängt die Nutzenfunktion von zwei Variablen ab. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 17 Beispiele für Nutzenfunktionen in Abhängigkeit von der Güter- und Arbeitsmenge: U j X i e ; e 2 X i e e 2 U j X i e ; e 2 X i e 3e U j X i e ; e X i e 4 e 2 In diese Nutzenfunktionen können jetzt noch die Produktionsfunktionen X i (e) eingesetzt werden. Man erhält dann für X i = X i (e) = 4e, z.B. die Nutzenfunktion: U j X i e ; e 2 X i e 3e 2 4e 3e 4 e 3e EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 18 Wenn die Nutzenfunktion des Individuums derart präzise beschrieben ist, kann ermittelt werden, wie hoch die optimale Arbeitsmenge ist. Dazu wird das Maximum der Nutzenfunktion bezüglich der Arbeitsmenge gesucht. Das Maximum ist dadurch bestimmt, dass die erste Ableitung der Nutzenfunktion den Wert Null annimmt und die zweite Ableitung an der gefundenen Stelle negativ ist. Gegeben sei die Nutzenfunktion: U j (X i (e); e) 4 EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 19 Stellt man diese Nutzenfunktion graphisch dar, so ergibt sich: Nutzenfunktion 1,4 1,2 1 0,8 0,6 U j ( X i (e);e) 4 e 3e EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 20 Es ergibt sich als erste Ableitung: 2 dU j 3 0 de e Diese Gleichung ist für 2 e 2 / 3 erfüllt. Bildet man nun noch die zweite Ableitung, so ergibt sich: d 2U j de 2 1 e e Der Wert dieser Ableitung ist für 2 e 2 / 3 negativ. Es handelt sich bei 2 e 2 / 3 also tatsächlich um ein Maximum der Nutzenfunktion. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 21 2.3.3. Risiko Ausgangslage: In den bisherigen Überlegungen zu Nutzenfunktionen wurde angenommen, dass die Menge der Güter feststeht. Annahme jetzt: Die Menge der Güter hängt von zufälligen Ereignissen ab. Beispiele: Ein Unwetter zerstört Robinsons Lebensmittellager. Ein LKW verunglückt. Gutes Wetter ermöglicht eine hohe Ernte. Fragen: A) Wie können diese Risiken gemessen werden? B) Was bedeuten sie für den Nutzen des Akteurs? EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 22 Grundsätzlich 2 Sphären: Unsicherheit auf Objektebene und Einstellung zu dieser Unsicherheit auf Subjektebene Außerhalb von Dominanzsituationen (vgl. Abschnitt 3.1) theoretisch nur über die gemeinsame Verarbeitung beider Sphären zu verarbeiten, indem die Stochastik auf Objektebene über einen geeigneten Kalkül in die die Risikoaversion des Akteurs reflektierende Nutzenfunktion eingebracht wird. Das trotz heftiger Kritik bis heute dominierende Verfahren heißt nach seinem Begründer Daniel Bernoulli das Bernoulli-Prinzip: „Maximiere den Erwartungswert des Nutzens“ EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 23 Generell zeigt sich dabei das folgenden Bild hinsichtlich potenzieller Risikoneigungen: U[E(X )] E(U[ X ]) Das Individuum ist risikoavers U[E(X )] E(U[ X ]) Das Individuum ist risikoneutral U[E(X )] E(U[X ]) Das Individuum ist risikofreudig Gemäß der Jensen´schen Ungleichung korrespondiert also Risikoaversion mit einer konkaven, Risikoneutralität mit einer (affin) linearen und Risikofreude mit einer konvexen (Risiko)Nutzenfunktion. Hierzu betrachte man die folgenden Bespiele: EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 24 Beispiel 1: Ein risikoaverser Akteur Nutzenfunktion: U (X ) 3 X k Xk pk X k pk U (X k ) U ( X k ) pk 1 200 0,5 100 42,4 21,2 2 0 0,5 0 0 0 E( X ) 100 Wegen der Nutzenfunktion U (X ) 3 E(U[X ]) 21,2 X gilt U[ E( X )] 3 E( X ) 30 Folgerung: Es gilt also U[E(X )] E(U[X ]) , d.h. der Akteur ist risikoavers. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 25 Beispiel 2: Ein risikoneutraler Akteur EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 26 Beispiel 3: Ein risikofreudiger Akteur EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 27 Bei diesem Vorgehen muss indessen die genaue Form der Nutzenfunktion bekannt sein. Unter bestimmten Bedingungen hinsichtlich der Stochastik auf Objektebene oder/und der Struktur der Nutzenfunktion kann die Maximierung des Erwartungsnutzens durch die Maximierung einer Präferenz- oder Erwartungsnutzenfunktion ersetzt werden, die neben Parametern der Objektstochastik nur einen Risikoaversionsparameter des Akteurs benötigt. Für den Fall des so. „Hybrid-Modells“, d.h. normalverteilter Zahlungen und einer exponentiellen Nutzenfunktion ergibt sich dann: MaxEU X Max ; 2 1 2 Max r 2 Wobei r die absolute Risikoaversion (Pratt-Arrow-Maß) der Nutzenfunktion darstellt: r U X / U X Der Faktor ½ wird teilweise in Aufgaben als „c“ variiert. EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 28 In Korrespondenz mit den Festlegungen zur Risikoneigung bei der Ermittlung über den Erwartungswert des Nutzen lasen sich auch hier wieder die drei beschriebenen Einstufungen erkennen: EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 29 Ein Berechnungsbeispiel für diskret verteilte zufällige Variable EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 30 Der Erwartungswert beträgt dann: 2 µ X k pk k 1 X 1 p1 X 2 p2 100 0,3 50 0,7 65 Allgemein gilt für jede diskrete Zufallsvariable X, die n verschiedene Werte annehmen kann: n µ X k pk k 1 EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 31 n X k 2 pk 2 k 1 EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 32 EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 33 Folgendes Beispiel möge dies verdeutlichen. Verglichen werden drei Zufallsvariablen X , Y und Z , die alle den selben Erwartungswert, jedoch sehr unterschiedliche Varianzen haben: EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 34 Gedankenexperiment: Nehmen Sie an, Sie haben die Wahl an einem der drei Glücksspiele Xk , Yk oder Z k teilzunehmen. Hierbei wird jeweils eine Münze geworfen. Wenn die Münze auf „Kopf“ fällt (Zustand 1) erhalten Sie den jeweils angegebenen Betrag in Euro. Fällt hingegen Zahl (Zustand 2) erhalten Sie den jeweils anderen Betrag in Euro. Negative Beträge bedeuten, dass Sie den Betrag bezahlen müssen. Frage: An welchem der drei Glücksspiele würden Sie am liebsten teilnehmen? Folgerung: Wenn es Ihnen nicht egal ist, an welchem der drei Glücksspiele Sie teilnehmen, dann ist die Varianz (und damit das Risiko) für Sie offensichtlich entscheidungsrelevant! EBWL für Nicht-Wirtschaftswissenschaftler - Kapitel 2 - 35
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