ARTIST RUN SPACE Minus Einhalb_Zwischen

ARTIST RUN SPACE
Minus Einhalb_Zwischen den Realitäten
In den Souterrains, wo durch Fenster, die kniehoch in die Mauern neben den
Gehsteigen ragen, gerade noch ausreichend natürliches Licht in diese Halbstöcke
scheint, ist ein neuer Teil von Wiens Kunstszene am Werkeln.
Halb geschützt entstehen unter unseren Füßen Arbeiten, die von Obsession und
Leidenschaft erzählen. Genau diese Hingabe an eine Idee, ein Material, ist es, die
die vier doch recht unterschiedlichen künstlerischen Positionen von Minus Einhalb
vereint: Julia Heinisch, Carina Edler, Felix Deflorian und Ernst Bachinger.
Carina Edler ist eine Reisende, die aus ihrer Fremde und Nähe Bilder und
Geschichten voll Intensität und Lebensfreude mitnimmt, die sie in grellen, bunten
Farben zu halten trachtet. Vorlagen für ihre großformatigen Acrylporträts sind private
Fotografien oder auch aus der medialen Bilderflut intuitiv herausgelöste Bilder, die
sie in einer großzügigen Malweise und in kräftigen, übervollen Farbkombinationen
auf Leinwand überträgt. Die Coolness eines Zigarre rauchenden Kubaners wechselt
hier schon einmal mit dem von nahem und oben gemaltem Kopf eines Mopses, der
das Kindchenschema auslöst und damit distanzloses, gefühlbetontes Betrachten
ermöglicht. Die Umsetzung undifferenzierter Emotion eröffnet bei Edler den
Anspruch künstlerischer Direktheit.
Dem menschlichen Körper widmet sich Julia Heinisch – allerdings legt sie den
motivischen Schwerpunkt auf den männlichen Akt, immer in Bewegung, Muskeln und
Fleisch formend. Dieser künstlerischen Intuition nach hat die Ästhetik des Körpers
bei Heinisch wohl Vorrang vor dem Geist. Hier spielen die Augen als Fenster zur
Seele keine Rolle; auch menschliche Eigenheiten und Charakterzüge sind irrelevant.
Das Phänomen der menschlichen Muskeln in Bewegung wird hier in einer gestischen
Malweise umrissen, die Bewegung selbst steht in den neueren Arbeiten zunehmend
im Vordergrund, die Malweise lässt die Physis stets offen. Von der erotisierenden
Fiebrigkeit Egon Schieles und der massigen, abgeschlossenen Fleischigkeit Auguste
Rodins (beide Künstler nennt Heinisch konsequent als Vorbilder) hat sie zu einem
Stil gefunden, der es ihr erlaubt, das Ephemere des sich bewegenden Körpers zu
suchen.
Maltechnik am abstrakten Vorbild der Natur und das Experimentieren mit zufällig
gefundenem Material kennzeichnen die Arbeiten von Felix Deflorian. Ein Produkt
aus dem Baumarkt, der Malervlies, der bei der Renovierung der Souterrainräume im
Einsatz war, kristallisierte sich als ideales Trägermaterial heraus. Die Eigenschaft
dieses Vlieses, Acrylfarben in sich aufzusaugen, weiße Wandfarbe aber auf der
Oberfläche nach vorne treten zu lassen, lässt Bilder mit mehreren Ebenen entstehen.
In frühen Arbeiten sind noch Bergketten erkennbar, spätere sind abstrakt, lassen sich
aber durch Farbigkeit und Struktur mit Phänomenen der Natur assoziieren: etwa mit
Flechtenlandschaften oder Verwitterungserscheinungen auf Steinen und Bäumen.
Eine Serie von quadratischen Bildern mit zart rosa Einsprengsel und kräftigem Blau
lässt wiederum an Seelandschaften denken und ruft Claude Monets Seerosenbilder
in Erinnerung. Auch hier gibt es weder Oben noch Unten, es gibt kein Zentrum mehr,
keinen Horizont, sondern die Evokation einer diffusen Atmosphäre, die auch an
asiatische Kunst (von der wiederum Monet beeinflusst war) denken lässt und zur
Kontemplation einlädt.
Bezüge zu Japan gibt es bei Ernst Bachinger (EB) auf motivischer Ebene,
allerdings ist er technisch weit entfernt von Kontemplation, seine Bilder springen den
Betrachter eher an, konfrontieren ihn mit poppig-expressiven Welten, in denen es
wiederkehrende Begleiter gibt. Bachinger selbst nennt seine Arbeiten PopExpressionism - nicht ohne reflektierte Distanz, vielmehr mit einem Augenzwinkern
zur Pop Art und zum Abstrakten Expressionismus/Action Painting.
Die Bilder werden belagert von Comic-Helden, Manga-Figuren und erfundenen
Figuren – wie etwa so cute, einer Kombination aus Ente (oder anders herum
gesehen springendem Hasen) und Flugzeug. Das Organische wird mit dem
Technischen vereint als ironische Vision einer künftigen Lebensform.
Fotografische Bilder, Einschreibungen der Wirklichkeit durch das Licht, werden von
Ernst Bachinger vielfach überarbeitet, übermalt, Teile werden ausgekratzt,
abgetragen. Dadurch entsteht ein Schleier der Unwirklichkeit. Die Kompositionen
erhalten mehrere Schichten und werden verfremdet. So rekurrieren diese Arbeiten
auf die freudianische Vorstellung des Gedächtnisses als Palimpsest, das immer
wieder überschrieben wird. Japantrespassed ten times zeigt eine immer wieder
vollzogene Annäherung an eine uns fremde Kultur und immer wieder neue
Einschreibungen ins Gedächtnis bei dem Versuch diese Kultur zu dechiffrieren.
Geister, die an animistische Züge des Shintoismus denken lassen, beseelen die
Bilder und markieren das Überschreiten des Bandes zwischen zwei Geisteswelten
und Kulturen.