David Low - Neue Zürcher Zeitung

David Lows satirische Sendung
Zur betten Würze der britischen Preti« gehören
die «Cartoonist!», die politischen Karikaturisten. Et
tat erstaunlich, wie Kahlreiche und verschiedenartige
Künstler in den englischen Zeitungen mit ihrem
parodistischen Stift die Tagesereignisse kommentieren. Illingworih und Mansbridge, Cummings und
Vicky, Giles, Osbcrt Lancaster und Ronald Searle
zeichnen ihre witzigen Randglossen ssutn öffentlichen
Loben mit einer Unermüdlichkeit und einem Ideenreichtum, wie sie kaum in einer andern Hauptstadt
anzutreffen sind. Der Altmeister dieacr tiiglirhcn Erheiterer und Beleuchter ist David Low. Er hat das
amtliche Rücktrittsalter überschritten, schmückt mit
seinen «Cartoons» nber immer noch eine zcntrala
Stelle im «Manchester Guardian». Man sieht seine
weiterhin hllihcndo Gestalt mit der besnndcra rund
gewölbten Stirn und den dunkeln, buschigen Brauen
nicht selten in Westminster oder an Parteikongressen,
wo er sich Material für seinen satirischen Griffel holt.
Vor einiger Zeit hat Low seine Selbstbiographie
veröffentlicht (Low's Autobiography, Michael Joseph,
London 1956). Er schreibt weniger konzentriert, als
er zeichnet, aber oft ebenso scharfiiiigig und humor-
voll. Kulturhistorisch sind seine Memoiren darum
besonders interessant, weil sie dun London der Zwi-
schenkriegszeit aus der Perspektive eines NeuseelUnders zeigen. Low verbrachte seine JtifccnH in
Christchurch auf Neuseeland als Sohn eine» Projektemachers schottischer Herkunft und einer Mutter mit dem irischen Familiennamen Flanagan. Da
»ich sein früh verstorbener Bruder nach der Uebcrzeugung der Litern beim Lernen überanstrengt hatte,
wurde der junge David in zartem Alter aus der
Schule genommen. Kr wuchs «außerhalb der Freimaurerei» der Public School Boys auf, frei flanierend
und viel lesend. Einer religiösen Anwandlung folgend, vergrub der Voler cines Tages Zola, Maupassant und George Sund im Gurten. So wendete sich
der autodidaktische Snhn loderen Erkenntnisquellen
zu, Sokrates, Aristoteles und Thukydides, Herodot,
Plutarch und Gibbon, Montaigne und Kunt, June
Austen und Tnlntoj.
Seine Spcjiallicgiihung zeigte sich früh. Schon als
Halbwüchsiger begann er «Comics» zu zeirhnen und
die Notabeln seiner Heimat ins Skizzenbuch aufzunehmen. Die zweite Stntion seiner Karriere ist diis
benachbarte Australien. Kr wird der Bildsatiriker des
radikal-demokratischen «Bulletin» in Melbourne und
vertritt mit seinem Blatt einen «-progressiven» Nationalismus, der bei aller Loyalität lum Mutterland
nichts mehr von Bevormundung durch London wis«Billy»
sen will. Sein erster pittoresker Held wird
Hughes, der australische Premierminister von vor
junge
Schwarz-WeißUnersättlich studiert der
.
1914
Künstler die verschiedensten Persönlichkeiten, Gruppen und Milieus. Er treibt Journalismus mit karikierendem Pinsel und schreibt darüber in seinen
Erinnerungen: «Von allen Berufen weilet der Journalisrmis den Horizont des Verstandes am meisten
wenn Verstand da ist.»
sind Bruegel, Callot, Hogarth,
Seine Vorbilder
Gillray, Rowlandson, Daumier. Die viktorianiiche
blographie verzeichnet aber auch schon den ersten
mit Churchill.
und Zusammenprall
Kontakt
Zudem lernt man mit Lows Augen Wells, Shaw,
Macdonald und viele lindere Gestalten kennen,
denen er persönlich nahetrat.
Ali die denkwürdigen dreißiger Jahre heraufdämmern, beginnt die nahezu unglaubliche Symbiose
zwischen dem linksdemokratischen Neuseeländer and
dem aus Kanada stammenden, rechtskonservativen
PressefUraten und Imperialisten Lord Beaverbrook.
Low begann für den «Evening Standard» su zeich-
nen, das Abendblatt der in der Wolle blau geerbten
bezug auf
Tories. Er hatte sich von Beaverbrook In
Behandlung des Themas kontraktlich
Themawahl und
vollständige Freiheit gesichert, und der Kontrakt
wurde gehalten. Aus den rornbebenden Zuschriften,
die der radikale Karikaturist oft aui der Stammleserschaft seinet Blattet erhielt, sei eine besonder«
herzliche herausgegriffen: «You are so Low you
jener Zeit
would have to go to hell in a balloon.» In
Inspiration
hat Low, In einem türkischen Bad auf
wartend, die seither In der ganzen Welt sprichwörtgewordene Figur
Colonel Blimp geichaffen.
lich
dei
Er legt sich früh eine Bibliothek über Kommunismus, Fascismiis und Nationalsozialismus an und
HauplgcschUu gegen Hitler.
richtet beizeiten sein
mitteilt,
1937 ist es so weit, daß Lord Halifax ihm
jede seiner Zeichnungen werde «um Führer geExplodieren.
bringe
Er hält sich
ihn zum
bracht und
«Friedenspolitik» der
eine Zeitlang zurück, um der
Regierung einen Gefallen zu tun. Aber nach dem
Anschluß Ocsterreichs läßt er die Höflichkeit wieder
Möglichkeiten von Chamfallen. Die symbolischen
Tages im St. Jarneaberlains Schirm fallen ihm eines
Spazieren
Park ein, als er den Premierminister beim
prMgi
und zeichnet das Motto: «Sl vit
beobachtet. Er
pacem, para umhrellum.»
eindrück,
Die Lebenserinnerungen Lows enthalten
Appeasement-Stimmung im
liehe Stellen über die
Vorkriegszeit.
England der
Mehrmals beschreibt er
«nchafsmäßig* vorkommenden Trieb, der
den ihm
die Mas»cn und den Hauptharst der Konservativen
Partei «loyal» zu Chamberlain hallen und den war.
lange flint als Feind de« Vaterlandes
nendcn Churchill
erscheinen lieli. Vom Jahre 1938 «rhreibt er: «Ein
derartiger Nebel von Wunkchdenken und Selbsttäuschung senkte sich über die herrschenden Kreise,
daß man Whitehall kaum mehr sehen konnte.» Dainals weigerte sich Lows Tahaklicferanl, ihn weiter
Bilder,
zu bedienen, aus Protest gegen die bitteren
mit denen der Karikaturist den Kurs Chamberlain
STEPFING «TONES TO GLORY (1936)
«Sttt/en zum Ruhm»
«J!et>;He;rovir*
(Eitler schreitet über
(Ritter
wnrf
aufwärts)
die Bücken rückgratloser Demokraten
RENDEZVOUS (1039)
Stalin treffen sich ah Verlandete auf den Ttuinrn Pole».* und
»tellen «ich aegvnsritig höflich vor.
Hitler: <;Dcr Abschaum drr Menschheit, wie ich vermuten
Stalin; *J)er Mörder der Arbeiterklasse, wie ich zu hoffen wage/»)
darfit
kritisierte.
Der Pakt zwischen Stalin und Hitler war ein
Sowjetrußland
Schock für den Fortschrittler, der in
eher eine zukunftsreiche all eine dämonische Macht
gesehen hatte. An einem Essen mit seinem Bekannten,
schlagt er auf den Tisch
dem Botschafter Maisky,
und sagt seine Meinung. Low lernt 1940 die reitende
Unfähigkeit der Briten bewundern, sich das Ausmaß
einer Niederlage 'einzugestehen. Als formidable EinMann-Streitmacht stürzt er sich in das Getümmel dea
Zweiten Weltkriegs, beidseits dei Atlantiki mit Bild
ALL BEHIND YOU, WINSTON (1940)
Kampf)
«Alle hinter Dir, Winston» (Churchills Kriegskabinett zieht 1040 in den
ittfcfcttttB
World copyright by arrangement wlth «The Manchester 0-usrdis.n»
THE MISCALCUL.ATION (1056)
geraten
«Die Fehlrechnung* (Ditt Raulen Her von Stalin errichteten Gctval Herrschaft
Wanken, ah sich in ungarn der tot geglaubte Geist der Freiheit erhebt)
Wohlanständigkeit Tenniels sagt ihm nicht zu. Er
will zu der aufrüttelnden Kunst der satirischen
Meister zurückfinden. Churchill meinte einmal, er
gedanklich vorwerfo seine Karikaturen, wenn sie
belehren,
bereitet seien, nur so hin. Low mußte ihn
il.il'. die Entstehung eines seiner «Cartoons» oft drei
Tage dauere, «*wei mit Mühen verbracht und einen,
Z e i c h e der Mühe auszumerzen».
um die n
Wellkriegs fahrt Low von
Am Ende des Ersten
Antipoden
mich London, der Stätte seines künfden
tigen Ruhms. Als dieser Individualist von der demokratischen Pioniergrenze in Westminster zum ersten
Unterhausmitglieder stiil.lt.
Mal auf konservative
kommen sie ihm alle seltsam uniform vor. «Tlie Old
Typus nennt, wird
School Tie Brigade», wie r>;r diesen
zwanziger
ihm noch zu schaffen machen. In den
Zeichnungen
im «Star». Sein
Jahren er^r'.ieinen seine
Lloyd George. Die Ai.ioParademodell is* zuerst
im
kämpfend. Am
und Wort für die alliierte Sache
jenen Jahren stammen leine berühmtesten «Cartoons».
(lastspiel in den
Nach dem Krieg gab Low ein
Spalten dea «Daily Herald», des Organi der Labour-
partei. Die Gewerkschaftsbonzen hatten aber weniger
Sinn für witzige Selbstkritik als Lord Beaverbrook.
Low wanderte zum «Manchester Guardian» weiter
und prosperiert dort Sn wahlverwandter Altersheimat.
«Ich zog aus», sagt er im Rückblick, «um ein komiNeugier danach, was die
scher Künstler zu werden.
Welt bewegt, führte mich im Reich der Ideen, und
ich wurde ein graphischer Satiriker. Die Umstände
machten einen politischen Karikaturisten aus mir.»
Man konnte ihn surh einen «Zeichner von LeitBemerkungen zur
artikeln» nennen, dessen bildliche
Lage weit über einen Sprachbereich hinnui lesbar
Eric Mettler
World cnpyrlfht
"KKKP TO THE RIGHT
l>;y
srrnncrturnt witli «The Mi»nchr.«lrr Guardian»
OS..." (1056)
AND STRAIGHT
Scheideweg »tritonen Sue: und den Vcreinintm
immer aradau.*» (Eilen am
«7?rrÄM halten
Sichtung als die Lendkarte Sir Anthonys)
Nationen: hwot Schicksalsgöttin geigt m anderer
Neue Zürcher Zeitung vom 02.02.1957