Berner Oberländer/Thuner Tagblatt Mittwoch, 2. Dezember 2015 In Kürze VERSICHERUNG Zurich sucht einen neuen Konzernchef STATISTIK ARBEITSLOSIGKEIT Deutschland hat die Schweiz nur Deutschland hat nach internationalem Massstab erstmals die tiefere Arbeitslosigkeit als die Schweiz. Nun beweist George Sheldon, Professor für Arbeitsmärkte, dass diese Statistik nicht stimmt. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz sei nach wie vor kleiner. Das Bundesamt für Statistik kennt den Fehler auch. Martin Senn Der Chef des Versicherungskonzerns Zurich, Martin Senn, hat gestern seinen Posten geräumt. Er tritt per sofort von seinem Amt zurück und scheidet zum Jahresende aus dem Unternehmen aus. Der Verwaltungsratspräsident Tom de Swaan leitet interimistisch die Versicherungsgruppe. Senn wolle nach zehn intensiven Jahren bei Zurich, wovon er sechs Jahre das Geschehen als Konzernchef bestimmt habe, nun Platz für eine neue Führungsperson an der Spitze machen, erklärte er an einer Telefonkonferenz. sda KOMITEE Vollgeldinitiative eingereicht Der Verein Monetäre Modernisierung hat bei der Bundeskanzlei die Vollgeldinitiative mit über 110 000 Unterschriften eingereicht. Die Initiative verlangt, dass nur die Nationalbank neben Münzen und Banknoten auch elektronisches Geld erzeugen darf. Im heutigen System schaffen Banken dauernd neues, eigenes fiktives Geld, sogenanntes Buchgeld, indem sie Kredite vergeben. Dieses existiert nur elektronisch, erweitert aber die umlaufende Geldmenge. sda ZUKUNFT DER BAHN Auch Fernbusse sollen zahlen Zähneknirschend dürften die Bahnen hinnehmen, dass sie bei grossen Verspätungen künftig eine Entschädigung zahlen müssen. Sie beharren aber darauf, dass dann auch die Fernbuskonkurrenz zur Kasse gebeten wird. Das geht aus der Vernehmlassungsantwort zur Organisation der Bahninfrastruktur hervor. Die Stiftung für Konsumentenschutz verlangt indes, dass auch Kunden von Regionalzügen eine Entschädigung erhalten sollen, wenn ihr Zug über 60 Minuten Verspätung hat. sda Die Schweiz ist offiziell entthront: Deutschland weist für das dritte Quartal dieses Jahres eine tiefere Erwerbslosenquote aus als die Rekordhalterin Schweiz. Erstmals überhaupt. Sie beträgt für Deutschland neu «nur» noch 4,4 Prozent jene für die Schweiz 4,9 Prozent. In der Schweiz wird die Quote vom Bundesamt für Statistik erhoben, in Deutschland vom Statistischen Bundesamt, hüben und drüben nach gleicher internationaler Definition, mittels standardisierten Umfragemethoden. Zahlen, die sich beissen Alles klar, würde man meinen: Deutschland boomt, die Schweiz darbt, wegen des starken Frankens; und nun hat also der grosse Kanton die Schweiz überholt. Doch so einfach ist es nicht. Denn neben der international einheitlichen Erwerbslosenquote wird in beiden Ländern auch noch die «Für viele Sprachen fehlt bei der Umfrage der Übersetzungsdienst.» George Sheldon Arbeitslosenquote erhoben. Beide Quoten sind ein Mass für Arbeitslosigkeit. Bei der Arbeitslosenquote ist das Verhältnis Schweiz - Deutschland aber nach wie vor umgekehrt: In Deutschland liegt die Arbeitslosenquote aktuell immer noch bei hohen 6 Prozent, in der Schweiz hingegen bei «nur» 3,2 Prozent. Welcher Vergleich zählt nun? Fragen oder schätzen? Auf den ersten Blick scheint die international standardisierte Erwerbslosenquote tauglicher für den Vergleich der beiden Länder, zumal sie im Gegensatz zur Arbeitslosenquote eben beidseits der Grenzen nach gleichem Massstab gemessen wird. Zur Erhebung dieser einheitlich definierten Erwerbslosenquote geht das Bundesamt für Statistik folgendermassen vor: Es wählt jährlich 120 000 Personen nach dem Zufallsprinzip aus und befragt sie zu ihrem Erwerbsleben: Die Angerufenen werden gefragt, ob sie erwerbstätig sind, ob sie für eine Arbeit verfügbar sind und ob sie in den letzten vier Wochen Arbeit gesucht haben. Ob sie amtlich als arbeitslos registriert sind, spielt bei der Ermittlung der Erwerbslosenquote keine Rolle. Nur Registrierte Ganz anders bei der Arbeitslosenquote: Hier werden ausschliesslich die bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren registrierten Arbeitslosen erfasst. Publiziert wird die Arbeitslosenquote durch das Staatssekretariat für Wirtschaft. Analog berechnet auch in Deutschland eine Behörde aus den registrierten Arbeitslosen eine Arbeitslosenquote.WeilArbeitslose in Deutschland und in der Schweiz nach unterschiedlichen Kriterien registriert werden, ist ein Direktvergleich der Arbeitslosenquoten eigentlich nicht statthaft. Genau deshalb einigten sich die Länder auf die standardisierte umfragebasierte Erwerbslosenquote. Sheldons Beweis Dann taugt also tatsächlich bloss die internationale Erwerbslosenquote für den Vergleich der beiden Länder? Und dann hat Deutschland neuerdings tatsächlich die tiefere Arbeitslosigkeit? «Nein», sagt George Sheldon, Wirtschaftsprofessor an der Universität Basel, Spezialist für Arbeitsmärkte, überraschend. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz sei nach wie vor eindeutig tiefer als in Deutschland. Vom Vorgehehen des Bundesamtes für Statistik bei der Erhebung der internationalen Erwerbslosenquote hält er wenig. Sheldons Beweis, dass auf diese Umfragen zur Erhebung der Erwerbslosenquote nicht Verlass ist: Bei den Umfragen werde jeweils auch noch gefragt, ob die Person als arbeitslos registriert An diesem Schalter wird ein Schweizer Arbeitsloser nach Schweizer Gesetz registriert. sei. Die Antworten sind für die Berechnung der Erwerbslosenquoten zwar nicht relevant. Sheldon braucht sie aber zur Überprüfung der Erhebung. Seine Prüffrage: Wenn die Umfrage korrekte Resultate liefert, muss mit der Frage nach der amtlichen Registrierung die tatsächliche Zahl der registrierten Arbeitslosen berechnet werden können. Das funktioniert aber nicht. Die Rechnung ergibt laut Sheldon nur halb so viele registrierte Arbeitslose, wie tatsächlich registriert sind. Wenn eine Umfrage so grosse Verzerrungen aufweise, dürfe man aus ihr schlicht keine Schlüsse ziehen, weder in die eine noch in die andere Richtung. Pikant: Auch Bundesamt für Statistik weiss um den grossen, nicht erklärbaren Fehler. Es beziffert ihn zwar anders als Sheldon auf «nur» 22 Prozent. Selbst das entspricht 25 000 Arbeitslosen, welche auf für Statistiker gänzlich unerklärliche Weise in der Statistik fehlen. Und allein dieser kleinere Fehler macht die Statistik eigentlich unbrauchbar. Sprachprobleme Der Gründe für die grosse Verzerrung bei der Erwerbslosenquote sind laut Sheldon Sprachprobleme. Ausländer seien überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Deshalb fallen Sprachprobleme sehr viel stärker ins Gewicht als bei anderen Umfragen. Konkret: Für viele Sprachen stehe bei den Umfragen kein Übersetzungsdienst zur Verfügung. Personen solcher Sprachen werden dann, so Sheldon, über Drittpersonen indirekt befragt, was zu groben Fehlern fü hre. So kommt Sheldon zum Schluss, dass sich für den Vergleich der Arbeitslosigkeit der beiden Länder trotz allem die Arbeitslosenquote besser eignet. Problematisch sei zwar hier tatsächlich, dass die Gesetze, welche die Registrierung der Arbeitslosen regeln, in Deutschland und der Schweiz unterschiedlich sind. Langzeitarbeitslose werden zum Beispiel unterschiedlich erfasst. KEIN EINFLUSS AUF WANDERUNG Auch wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter sinkt, dürfte das kaum Einfluss auf die Nettowanderung zwischen den beiden Ländern haben. Selbst wenn sie tatsächlich unter Niveau in der Schweiz fallen würde, würden laut George Sheldon mehr Deutsche in die Schweiz ziehen als umgekehrt. Der Basler Wirtschaftsprofessor begründet seine Prognose so: «Gegenwärtig sind über 50 Prozent der in Deutschland rekrutierten Arbeitskräfte hoch qualifiziert respektive Hochschulabgänger.» Sie wandern, so Sheldon, nicht in die Schweiz, weil sie keine Arbeit in Deutschland fänden, sondern deshalb, weil die Jobangebote, die sie hier erhalten, attraktiver seien. Solange dies so sei, dürfte sich an der Richtung der Wanderungen wenig ändern. Ähnlich sieht es Boris Züricher, Chef der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft. Immerhin gebe es mittlerweile aber auch in Deutschland zunehmend einen Mangel an Fachkräften. Die Lohndifferenzen zwischen Deutschland und der Schweiz sind indessen tatsächlich noch immer beträchtlich. Gemäss einer von Towers Watson publizierten Studie lag der mittlere Jahreslohn in der Schweiz 2014 bei 66 000 Dollar und jener in Deutschland bei 43 450. ma REFERENZZINSSATZ Mieten in der Schweiz bleiben stabil Die Mietzinsen in der Schweiz bleiben stabil. Der hypothekarische Referenzzinssatz verharrt bei rekordtiefen 1,75 Prozent. Dies gab das Bundesamt für Wohnungswesen bekannt. Wer aber noch keine Senkung verlangt hat, kann profitieren. Der Durchschnittszinssatz, der per 30. September ermittelt wurde, ist gegenüber dem Vorquartal von 1,83 auf 1,80 Prozent gesunken. sda GESCHÄFTSERGEBNIS Schwarze Zahlen für die KPMG Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG Schweiz hat in seinem Geschäftsjahr 2014/2015 deutlich zulegen können, wie es gestern mitteilte. Der Nettoumsatz erhöhte sich in dem per Ende September abgeschlossenen Geschäftsjahr um 3,6 Prozent auf 401,9 Millionen Franken. Der Bruttoumsatz nahm um 8,9 Prozent zu. sda Mehr Frauen als Männer – zum dritten Mal in Serie DIPLOMATIE Erst zum vierten Mal überhaupt – aber zum dritten Mal in Serie – werden 2016 mehr Frauen als Männer in den diplomatischen Stage aufgenommen. seine Ausbildungsklassen nennt, verfügt über weitere markante Charakteristika, wenn man die nach Muttersprache und Geschlecht aufgeschlüsselte Auswertung analysiert. Die Würfel sind gefallen: Sieben Frauen und fünf Männer sind neu für die diplomatische Laufbahn rekrutiert worden, wie das Aussendepartement EDA auf Anfrage mitteilt. Die Frauen machen damit in der einstigen Männerdomäne weiter Terrain gut. Insgesamt haben zwölf Kandidierende das mehrstufige Auswahlverfahren, den «Concours», erfolgreich absolviert. Das sind immerhin sieben weniger als vor Jahresfrist (vgl. Grafik). Das EDA nennt den Grund dafür: «Dieses Jahr konnte aufgrund der angespannten Finanzlage eine gegenüber den letzten Jahren eher kleinere ‹Volée› rekrutiert werden.» Die «Volée 2016», wie das EDA Nur zwei Romands Acht der angehenden Jungdiplomatinnen und Jungdiplomaten sind deutscher, je zwei französischer und italienischer Muttersprache. Während bei den Deutschschweizern und den Romands Geschlechterparität herrscht, wurde kein italienischsprachiger Mann berücksichtigt. Von den sechs italienischsprachigen Kandidatinnen machte jede Dritte das Rennen, von den einundsechzig deutschsprachigen Kandidaten dagegen schaffte es nur gerade jeder fünfzehnte. Bei den eingegangenen Bewerbungen dominieren weiterhin klar die Männer: 60 Prozent sind es diesmal, letztes Jahr waren es DIPLOMATISCHER NACHWUCHS Im letzten Jahrzehnt haben 70 Frauen und 76 Männer den «Concours» mit Erfolg absolviert 18 20 9 9 9 8 7 5 10 10 3 10 9 4 8 4 7 7 4 7 4 4 2007 2008 Frauen 2009 2010 2011 Männer 2012 2013 2014 2015 2016 Graik fri / Quelle EDA gar 64 Prozent. Viele der Männer schafften bereits die Vorselektion nicht, zur ersten Runde des «Concours» wurden 31 Männer und 27 Frauen zugelassen, davon blieben für die zweite und entscheidende Runde 15 Frauen und 14 Männer übrig. Insgesamt lässt das Interesse an der diplomatischen Laufbahn etwas nach: Diesmal wurden 172 Dossiers eingereicht, letztes Jahr waren es gut 220. Im Jahr davor war mit beinahe 300 der bisherige Höchststand erreicht worden. Die «Volée 2016» wird ab dem kommenden Frühling erstmals ein zweijähriges Ausbildungsprogramm absolvieren, bisher dauerte der Stage mit viel Praxisbezug 15 Monate. Und wer es nicht geschafft hat, kann es neu ein zweites Mal probieren, sofern der Kandidierende die Bedingungen – etwa die Alterslimite von 35 Jahren – weiterhin erfüllt. Andreas Saurer
© Copyright 2025 ExpyDoc