Matthias Knuth Übergänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbsarbeit: Bessere Chancen in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt? Arbeit der Zukunft – neue Herausforderungen für den ESF? Europäische Akademie Otzenhausen, 16. November 2015 Übersicht 1. Entwicklung bisher 2. Was man über die Zukunft wissen müsste (aber nicht wissen kann) 3. Drei Herangehensweisen - mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen 4. Schlussfolgerungen 2 Jährliche Übergänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit und umgekehrt Übergänge (Tausend) 4.300 Erwerbstätige Arbeitslosigkeit --> Erwerbstätigkeit Erwerbstätigkeit --> Arbeitslosigkeit 45.000 43.000 4.100 41.000 3.900 39.000 3.700 37.000 3.500 35.000 3.300 33.000 3.100 31.000 2.900 29.000 2.700 27.000 2.500 25.000 Erwerbstätige (Tausend) 4.500 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Bundesagentur für Arbeit (2015): Arbeitsmarkt 2014. Nürnberg (Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, 6s. Jahrgang, Sondernummer 2). 3 Abgangsraten aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt nach Dauer vorangegangener Arbeitslosigkeit – Westdeutschland, 1998 – 2011 14% 12% 10% 8% bis 6 Mon 6-9 Mon 9-12 Mon 6% 1 - unter 2 Jahre 2 Jahre und länger 4% 2% Linear (1 - unter 2 Jahre) Linear (2 Jahre und länger) 0% Quelle: Ursula Jaenichen / Thomas Rothe, Beschäftigungsstabilität und Entlohnung nach Arbeitslosigkeit 1998 bis 2010, WSI4 Mitteilungen 3/2014 (im Erscheinen) - Arbeitslose zwischen 25 und 54 Jahren, gleitender 3-Monatsdurchschnitt saisonbereinigter Monatswerte, ohne Daten der zkT Abgangsraten aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung am "ersten" Arbeitsmarkt (einschl. EGZ)/Vermittlungsraten ungefördert (o. EGZ) 2 1,8 1,6 1,4 1,2 Abgangsrate SGB III Abgangsrate SGB II 1 Vermittlungsrate (ungef.) SGB III Vermittlungsrate (ungef.) SGB II 0,8 0,6 0,4 0,2 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 5 Eintrittsraten in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Quartale 0,13 0,12 0,11 0,1 0,09 0,08 0,07 I II III IV 2007 I II III IV 2008 I II III IV I 2009 Eintrittsrate II III IV 2010 I II III IV I II III IV 2011 2012 I II III IV I II 2013 2014 Poly. (Eintrittsrate) Quelle: Bundesagentur für Arbeit - Statistik: Begonnene und beendete Beschäftigungsverhältnisse. Deutschland. Daten nach einer Wartezeit von sechs Monaten. Nürnberg (Arbeitsmarkt in Zahlen – Beschäftigungsstatistik); eigene Berechnungen 6 Basisdaten des Erwerbssystems 1993-2013 60.000 60 55.000 55 Bevölkerung 15 - 64 50.000 50 45.000 40.000 35.000 45 40 35 30.000 30 25.000 25 (Milliarden) Std. i. Tausend Erwerbstätige sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Arbeitsvolumen (rechte Skala) durchschnittliche Wochenarbeitszeit Beschäftigte 7 Die zehn wachstumsstärksten Berufsgruppen in Deutschland, 1993-2011, 1993=100 Quelle: Eichhorst, Werner (2015): Müssen wir vor der Zukunft der Arbeit Angst haben? (IZA Standpunkte, 81). Online verfügbar unter http://ftp.iza.org/sp81.pdf. (Datengrundlage: Mikrozensus) 8 Fragen an die Zukunft – was man gerne wissen würde • Umfang der Erwerbsarbeit (Arbeitsvolumen) • Umfang der Bevölkerung im Erwerbsalter • Verteilung des Arbeitsvolumens (Anzahl Erwerbstätige) • kaum abhängig von technologischer Entwicklung • Erwerbsformen (sozialversicherungspflichtig? mit Bestandsschutz?) • kaum abhängig von technologischer Entwicklung • Arbeitsmarktdynamik: Einstellungsraten • Einstellungschancen von Arbeitslosen (Anteil der Arbeitslosen an den Einstellungen) • Anforderungsstruktur der Arbeitsplätze 9 Diskursstränge • Ersetzung von Arbeit durch Digitalisierung (Frey/Osborne 2013; kritische Umsetzung auf Deutschland) • neue Debatte über das "Ende der Arbeit" (vgl. Rifkin 1996) • Ersetzung bestehender Tätigkeiten; keine Überlegung zum Entstehen neuer Tätigkeiten • "Industrie 4.0": wirtschaftliches Wachstum und arbeitspolitische Gestaltungsoptionen • zwischen Euphorie und Nüchternheit • begrenzt auf Produktion (und teilweise Logistik) • baut auf Fortsetzung des deutschen Exportmodells • Fortschreibung von Modellrechnungen. Extrapolation aus der Vergangenheit 10 Aussagen zum Ersetzungspotenzial weiterer Digitalisierung • "We … focus on potential job automatability over some unspecified number of years. According to our estimates around 47 percent of total US employment is in the high risk category…– i.e. jobs we expect could be automated relatively soon, perhaps over the next decade or two." (Frey/Osborne 2013) • (Nach der Methodik von Frey/Osborne) "…arbeiten derzeit 42 % der Beschäftigten in Deutschland in Berufen mit einer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit." • (Wenn man jedoch alternativ nicht auf Berufe, sondern auf Tätigkeitsstrukturen abstellt) "… weisen in den USA 9 % der Arbeitsplätze Tätigkeitsprofile mit einer relativ hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit auf. In Deutschland trifft dies auf 12 % der Arbeitsplätze zu." (Bonin et al. 2015) 11 Hype-Cycle relevanter Technologien für die Umsetzung von Industrie 4.0 Quelle: Wischmann, Steffen; Wangler, Leo; Botthof, Alfons (2015): Industrie 4.0. Volks- und betriebswirtschaftliche Faktoren für den Standort Deutschland. Eine Studie im Rahmen der Begleitforschung zum Technologieprogramm AUTONOMIK für 12 Industrie 4.0. Hg. v. Bundesministerium Wirtschaft und Energie. iit Berlin. (nach Gartner Research, 2014) Aussagen aus dem "Industrie 4.0"-Diskurs • " …die Inhalte der „Industrie 4.0“ beschreiben lediglich die nächsten Schritte bereits bestehender Automatisierungsprozesse. Disruptiv mögen einige Geschäftsmodelle sein, disruptive Technologien lassen sich hieraus jedoch nicht ableiten." (Managerkreis der Friedrich-EbertStiftung 2014) • "Automatisierung wird für immer kleinere Serien möglich – dennoch bleibt menschliche Arbeit weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Produktion… • Vollständige Autonomie dezentraler, sich selbst steuernder Objekte gibt es auf absehbare Zeit nicht… • Aufgaben traditioneller Produktions- und Wissensarbeiter wachsen weiter zusammen. Produktionsarbeiter übernehmen vermehrt Aufgaben für die Produktentwicklung…" (Fraunhofer-IAO, 2013) 13 "Schwarm-Organisation" aber unsicherem Beschäftigungsstatus? (analog Filmproduktion?) Quelle: Hirsch-Kreinsen, Hartmut (2014): Wandel von Produktionsarbeit - "Industrie 4.0". Dortmund (Soziologisches Arbeitspapier, 38). 14 Polarisierte Produktionsorganisation Inwieweit wird die angestrebte Selbststeuerungsfähigkeit "anpassungsintelligenter Produktionssysteme" Wirklichkeit? Quelle: Hirsch-Kreinsen, Hartmut (2014): Wandel von Produktionsarbeit - "Industrie 4.0". Dortmund (Soziologisches Arbeitspapier, 38). 15 Aussagen aufgrund von Modellrechnungen • "Der durch die Produktivitätssteigerungen hervorgerufene Verlust an Arbeitsplätzen mit Routine-Tätigkeiten im Verarbeitenden Gewerbe geht mit einem Aufwuchs an Arbeitsplätzen mit NichtRoutine-Tätigkeiten einher, die ein im Schnitt höheres Qualifikationsniveau erfordern. • Geht man davon aus, dass durch die Umsetzung von Industrie 4.0 eine neue Nachfrage nach Produkten generiert wird …, so werden über 490.000 bisher bestehende Arbeitsplätze bis 2025 verloren gehen, jedoch auch 430.000 neue entstehen. • 500.000 / 42.000.000 = 1,2% • Der Wandel zu einer Dienstleistungsgesellschaft wird durch den Übergang zu Industrie 4.0 gestärkt. Die Unterbeschäftigung bei Personen ohne berufliche Ausbildung vergrößert sich allerdings noch." (IAB-Forschungsbericht 8/2015) 16 Angebot und Bedarf bis 2030 nach Qualifikation und Region (Millionen) Quelle: Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen bis 2030, IAB-Kurzbericht 9/2015 17 Fragen an die Zukunft – wozu überhaupt Aussagen gemacht werden • Umfang der Erwerbsarbeit (Arbeitsvolumen) • Umfang der Bevölkerung im Erwerbsalter: aktuelle Zuwanderung macht alle Prognosen obsolet • Verteilung des Arbeitsvolumens (Anzahl Erwerbstätige) • Erwerbsformen • Arbeitsmarktdynamik: Einstellungsraten • Anforderungsstruktur der Arbeitsplätze • Einstellungschancen von Arbeitslosen (Anteil der Arbeitslosen an den Einstellungen) 18 Schlussfolgerungen • Gleichzeitigkeit von Fachkräfteengpässen und verfestigter Arbeitslosigkeit wird andauern oder sich verstärken • Abmilderung von Fachkräfteengpässen durch ungesteuerte Zuwanderung erhöht "im Paket" Arbeitslosigkeit von Ungelernten • Effekte weiterer Akademisierung unklar: • werden eher Akademiker oder eher Facharbeiter ersetzt? • "Dualisierung" (Hybridisierung) von Ausbildungsgängen würde gewisse Sicherheit bieten • Chancen formal nicht Qualifizierter werden eher noch schlechter • Gesellschaft muss sich auf anhaltend hohe oder gar steigende SGB-II-Quoten einstellen 19
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