Knockout-Mäuse als Modell für Depressionen und Stress

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ÿ Konformationen der Bacteriophytochrom-Struktur entschlüsselt
ÿ Knockout-Mäuse als Modell für Depressionen und Stress
ÿ Koffein-Abbau durch Darmmikroben im Kaffeekirschenkäfer
ÿ Endosymbionten verlassen sterbende Bartwürmer
Lothar Jaenicke
Jochen Graw
© Springer-Verlag 2015
Konformationen der Bacteriophytochrom-Struktur entschlüsselt
Sensoren ermöglichen dem Organismus,
auf Milieuveränderungen mit lebenserhaltenden Mechanismen zu reagieren. Dazu
überführen aus sensitiven und transformierenden Domänen ko-entwickelte
Sensorproteine Strukturimpulse einer
Empfängerdomäne über weite Entfernungen in Regulatorsignale einer Antwortdomäne. Ein Paradebeispiel ist die Familie
der Rotlicht-spürenden Phytochrome.
ó Dies sind Kinasen, die in prokaryotischen
Mikroorganismen (Cyanobakterien, Blaualgen)
physiologische Reaktionen, sowie in eukaryotischen Pflanzen und Pilzen unterschiedliche
Funktionen bei Entwicklung (Streckung, Tropismen, Schattenmeidung, Diurnalität) und
Fortpflanzung (Keimen, Blühen) durch Änderungen ihrer Struktur und/oder Umschalten
zwischen zwei stabilen Konformationen kontrollieren. Die Photosensoren der Blaualgen
sind vermutlich die Vorläufer der eukaryotischen Phytochrom-Rotlicht-Rezeptoren.
Phytochrome sind dimere Sensorproteine,
die spezifisch Rot- und nahes Infrarotlicht ab-
sorbieren. Dazu setzen sie einen kovalent
gebundenen, dimeren Chromophor ein, der in
seinem lichtempfindlichen Kern eine angestoßene Reaktionskette vergrößert und dazu
Elemente der 3D-Proteinstruktur nutzt. Die
Reaktion-induzierenden Konformationsänderungen sind im Ångström-Bereich der Wasserstoff- und van-der-Waals-Bindungen. Es
wird diskutiert, ob sie Rotationen zentraler
Helix-Elemente sind oder die Bewegung einer
konservierten „Zunge“ (465P-R-X-S-F469), die
die beiden Domänen verbindet.
Nun ist es R. Takala et al. (Nature (2014)
509:245–248) aber geglückt, das Bacteriophytochrom des strahlungs- und hitzeresistenten Mikroorganismus Deinococcus radiodurans, das nach Belichtung nur langsam relaxiert, im belichteten Zustand zur Röntgenstrukturanalyse einzufangen und mit diesem
eine niederaufgelöste Konformation des gesamten kristallisierten Photosensors im Dunkel und nach Belichtung zu reproduzieren. Darüber hinaus wurde die molekulare Photodynamik simuliert, um das Verhalten der Struktu-
ren zwischen Lösung und Kristall zu vergleichen.
Das Phytochrom-Effektormodul trägt eine
His-Kinase, die ihre Substrate über eine Phasenscheide hinweg überträgt. Das ist nur im
Dunkel möglich, wenn die Partner in Konjunktion stehen. Die Messergebnisse stützen die
Aussage, dass Rotlicht-Absorption im Sensor
benachbarte H-Bindungen löst und dadurch.eine β-Haarnadelstruktur auseinandergefaltet und in einer α-Helix fixiert wird.
Y Auf diese Weise verkürzt sich die „Zunge“
um 2,5 Å und bekommt einen scharfen 50°Knick; die Verbindungsarme spreizen sich auf
8 Å und die Effektor-Kinase wird aktiviert. Es
wird errechnet, dass dies den Lichteffekt um
12 Größenordnungen verstärkt. Die „Zungen“Bewegung darf nicht dissipieren und muss eingefangen bleiben. Das geschieht durch ein Achtknoten-Arrangement, das die Zahl der Konformationsfreiheiten drastisch einschränkt.
Lothar Jaenicke ó
Knockout-Mäuse als Modell für Depressionen und Stress
Die Erkenntnisse über schwere depressive Erkrankungen haben in den letzten Jahren zwar zugenommen, aber viele molekulare Aspekte sind noch offen. Ein internationales Team aus England, Schottland,
Japan und den USA hat nun mithilfe einer
konditionalen Cdk5-Knockout-Mausmutante den Zusammenhang zwischen
dem cAMP-System im ventralen Striatum,
Stress und Depressionen untersucht
(Plattner F et al., Nature Neurosci (2015)
18:1094–1100).
ó Die Autoren haben gezeigt, dass in den
konditionalen Cdk5-Mutanten bei Verwendung
einer Tamoxifen-induzierbaren Cre-ERT-Rekombinase die Aktivität der Cyclin-abhängigen Proteinkinase 5 (CDK5) in den mittelgroßen dornigen Neuronen des Striatums der
Maus deutlich vermindert ist. Da in den zum
Ausschalten des Cdk5-Gens verwendeten CreERT-Mäusen die CRE-Aktivität im ventralen
Tegmentum und in der Substantia nigra sehr
gering ist, bleibt die Verminderung der CDK5Aktivität auf das ventrale Striatum beschränkt
und führt dort zu einer unvollständigen
Phosphorylierung der Phosphodiesterase 4E
(PDE4E), wodurch der Abbau von cAMP verhindert wird. Die Synthese des cAMP geschieht üblicherweise durch die Proteinkinase A (PKA), deren Aktivität in den KnockoutMutanten zusätzlich erhöht ist, sodass es insgesamt zu einer Anhäufung von cAMP kommt.
Die Autoren untersuchten außerdem die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das Verhalten der Mäuse in verschiedenen StressSituationen (z. B. Aufhängen der Maus am
Schwanz oder sozialer Stress). Dabei waren
die Mutanten unter allen Versuchsbedingun-
gen weniger gestresst und erschienen insgesamt weniger depressiv.
Y Verhaltenstests an Mäusen werden üblicherweise verwendet, um neue Psychopharmaka zu testen; es bestehen aber grundsätzliche Einwände, derartige Tests zu verwenden,
um schwere Depressionen zu modellieren. Die
Autoren diskutieren diesen Aspekt in besonders
ausführlicher Weise. Sie glauben – und ich
schließe mich dem an – dass Erkenntnisse aus
derartigen Verhaltenstests dazu geeignet sind,
biologische Mechanismen besser zu verstehen,
die zur Verwundbarkeit durch Stress bzw. umgekehrt auch zu einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gegen Stress führen. Es wäre aber
eine Überinterpretation solcher Experimente,
wenn man darin ein direktes Widerspiegeln
schwerer Depressionen des Menschen schlechthin sehen würde.
Jochen Graw ó
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Cornelia Welte
Johannes Sander
Beatrix Barth
Harald Schwalbe
Johannes F. Buyel Jutta Ludwig-Müller
Koffein-Abbau durch Darmmikroben
im Kaffeekirschenkäfer
Der winzige Kaffeekirschenkäfer ernährt
sich ausschliesslich von den Kernen der
koffeinreichen Kaffeekirsche, also den
Kaffeebohnen. J. A. Ceja-Navarro et al.
(Nat Commun (2015) 6:7618) zeigten kürzlich, dass die Darmmikrobiota dieser
Käfer für den Abbau des toxischen Koffeins verantwortlich ist und ein Überleben
der Larven und Käfer auf Kaffeepflanzen
überhaupt erst möglich machen.
ó Coffea arabica und C. canephora (RobustaKaffee) sind ökonomisch wichtige Pflanzen, deren Kaffeekirschkern als Kaffeebohne weltweite Beliebtheit erfährt. Die Kaffeebohne enthält
etwa 1–2 % des Purinalkaloids Koffein, das die
Kaffeekirsche vor Tierfraß schützt. Der Kaffeekirschenkäfer kann sich dennoch von der Kaffeepflanze ernähren: Er bohrt Löcher in die Kaffeebohne und legt Galerien an, um dort seine
Eier abzulegen. Die Larven ernähren und entwickeln sich innerhalb der Bohne und richten
beträchtliche Schäden bei der Kaffeeernte an.
Diese Käferart ist damit der ökonomisch wichtigste Kaffeeschädling. Ceja-Navarro et al. untersuchten Kaffeekirschenkäfer, deren Darmmi-
kroben durch Antibiotika unschädlich gemacht
wurden, und fanden, dass es Käfern dann nicht
mehr möglich ist, Koffein abzubauen. Daraufhin
isolierten sie über 100 Bakterienstämme aus
dem Darmtrakt der Insekten, und entdeckten,
dass ein Pseudomonas fulva-Isolat das ndmAGen enthielt, das für die Koffein-Demethylase
codiert. Sie konnten zeigen, dass nahe verwandte Käfer, die sich nicht von Kaffee ernähren, dieses Gen nicht in ihrem Darmmikrobiom
enthielten. Ausserdem beobachteten sie, dass
Antibiotika-behandelte Käfer durch Fütterung
mit dem P. fulva-Isolat wieder in die Lage versetzt wurden, Koffein abzubauen.
Y Die Studie über den Koffeinabbau beim Kaffeekirschenkäfer zeigt zum ersten Mal, wie das
Darmmikrobiom eines Insekts für den Abbau
eines toxischen pflanzlichen Sekundärmetabolits genutzt wird. Ohne sein Darmmikrobiom
ist es dem Käfer nicht möglich, sein natürliches
Futter zu entgiften und sich normal zu entwickeln. Das Darmmikrobiom von Schadinsekten könnte somit in Zukunft als neues Target für Insektenschutzmittel genutzt werden.
Cornelia Welte ó
Endosymbionten verlassen sterbende Bartwürmer
Riftia pachypttila ist ein darmloser Bartwurm, der in der Nähe der nur wenige Jahre existierenden Schwarzen Rauchern der
Tiefsee lebt und sich durch intrazelluläre,
Sulfid-oxidierende Endosymbionten (Candidatus Endoriftia persephone) ernährt.
Diese leben in spezialisiertem Gewebe,
dem Trophosom. Bakterien-freie, pelagische Wurmlarven nehmen etwa 20 Endoriftien aus der Umgebung auf. Doch wie
gelangen die meist terminal differenzierten Symbionten aus den Öffnungs-losen
Würmern wieder ins Freie?
ó Mithilfe einer speziellen Versuchsanordnung zeigten J. Klose et al., (Proc Natl Acad Sci
USA (2015), doi: 10.1073/pnas.1501160112),
dass lebendige und teilungsfähige Endoriftien
totes Trophosomgewebe aktiv verlassen können. Möglicherweise hilft ihnen dabei ihre mutmaßliche Fähigkeit zur Flagellenbildung. Sie
lässt sich aus dem Metagenom vermuten, wurBIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang
de aber während der endosymbiontischen Phase noch nie beobachtet. Simuliert wurden sowohl die Bedingungen in der Nähe hydrothermaler Quellen als auch in der umgebenden
Tiefsee (Druck, Temperatur, Sauerstoff- und
Sulfidgehalt).
Y Erlöschen die Schlote, so sterben die Würmer, und ihre Symbionten verlassen die Kadaver in großen Mengen durch die Epidermis.
Möglicherweise tragen auch Kadaver-fressende
Krabben zur Freisetzung bei. Ohne den hemmenden Einfluss ihres Wirtes teilen sich freie
Endoriftien wieder ungehindert und leben so
unabhängig von ihrem Wirt weiter. Etwa 7 Mio.
bis 1,5 Mrd. Symbionten leben in einer RiftiaKolonie aus 10 bis 2.000 Würmen, die beim
Absterben der Würmer freigesetzt werden.
Daher lohnt sich die Symbiose für die Bakterien angesichts der Investition von 20 Zellen
pro Wurmlarve.
Johannes Sander ó
Kurz gefasst
ó Mikrobielle Konsortien in der
Biotechnologie
Die Produktion von pharmakologisch
relevanten Naturstoffen scheitert oft an
der Anzahl und Komplexität der notwendigen Biosyntheseschritte, insbesondere wenn einzelne Enzyme wie
Cytochrom P450-abhängige Monooxygenasen spezielle Kompartimentierungen benötigen und deshalb eine effiziente Expression in Bakterien kaum
möglich erscheint. Der Gruppe um Gregory Stephanopolous (Nature Biotech
(2015) 33:377–383) am Massachusetts
Institute of Technology (Boston, USA)
ist es gelungen, durch kontrollierte und
gemeinsame Kultivierung von Bakterien
(Escherichia coli) und Hefen (Saccharomyces cerevisiae) die fermentative
Produktion des Mitosehemmers Paclitaxel (Taxol), der zur Behandlung verschiedener Krebsformen eingesetzt
wird, deutlich zu steigern. Beide Organismen enthalten sich ergänzende
Anteile des Biosynthesewegs; dabei
wird das Diterpen Taxadien von E. coli
produziert, die nachfolgenden oxydativen Schritte von der Hefe. Dies gelingt
auch, weil die Zellwände für Taxadien,
wie für zahlreiche andere Terpene, permeabel sind. Die Hefe produziert dann
Taxol.
Thomas Vogt
ó Neuer Wirkungsmechanismus
des Antidepressivums Paroxetin?
Gängige Lehrbuchmeinung ist, dass das
schon seinen vielen Jahren in der klinischen Praxis angewendete Antidepressivum Paroxetin seine Wirkungen über
eine selektive Hemmung der neuronalen
Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin vermittelt. Paroxetin kam
dadurch in Verruf, dass es mit erhöhter
Suizidalität, insbesondere bei Jugendlichen, in Verbindung gebracht wurde.
Der diesen Wirkungen zu Grunde liegende Mechanismus ist bislang unbekannt. In einer aktuellen Arbeit haben
nun Y. Y. Dong et al. (Science (2015)
347:1256–1259) den Kaliumkanal
TREK-2 im Komplex mit dem aktiven
Metaboliten von Paroxetin, Norfluoxetin, kristallisiert. Die hochaffine Bindung
von Norfluoxetin an den Kanal war sehr
überraschend und könnte eine Erklärungsmöglichkeit für die Suizidalität
unter Paroxetin-Therapie darstellen.
Roland Seifert
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Kanäle in F-Typ-Synthasen erklären ATP-Produktion im Enzym
ÿ Qualitative Analyse von host cell protein in Biopharmazeutika
ÿ Auxinsynthese und -Signalweiterleitung reguliert Lebermoos-Entwicklung
ÿ Persistenz-induzierendes Toxin-Antitoxin-Modul
Kanäle in F-Typ-Synthasen erklären ATP-Produktion im Enzym
ATP (Adenosintriphosphat) ist als Energieeinheit einer der wichtigsten Bestandteile
in Zellen und wird von F-Typ-Synthasen
hergestellt. Durch Protonenwanderung an
der Zellmembran entsteht eine rotierende
Bewegung, die die Produktion katalysiert.
Erstmalig wurde nun von M. Allegretti
et al. (Nature (2015) 521:237–240) eine
Erklärung für die Rotation und den exakten Vorgang der Protonenwanderung
gegeben. Dieser neue Blick auf die ATPSynthase wurde möglich, weil das mitochondriale ATP-Synthasen-Dimer erstmals
mittels Einzelpartikel-Elektronen-KryoMikroskopie als vollständiger Komplex
aufgeklärt werden konnte. Somit ist man
einem der wichtigsten biologischen Prozesse und der Frage, woher die chemische Energie kommt, mit dieser Arbeit in
Meilenschritten näher gekommen.
ó Wesentliche Bausteine der F-Typ-Synthasen, die makromolekularen Komplexe der ATPSynthese, sind a- und c-Untereinheiten, die in
der Zellmembran eingebettet sind. Die a-Untereinheiten fügen sich aus sechs transmembranen Helices und die c-Untereinheiten aus einer rotierenden Ringwalze zehn senkrechter
einzelner Helices zusammen. Zusätzlich konnten nun in der erstmals komplett abgebildeten
Struktur noch unerwartet vier lange α-Helices
der a-Untereinheit entdeckt werden, die sich
horizontal in der Membranebene befinden.
Diese schmiegen sich nahezu im rechten Winkel an die Ringwalze der c-Untereinheit und
sind wie zwei Haarnadelpaare angeordnet. Die
Autoren kommen im Abgleich mit bereits bekannten Strukturen nun zu dem beachtlichen
Ergebnis, dass ein Arginin der horizontal liegenden a-Untereinheit mit einem Glutamat der
c-Untereinheit in einen Protonenaustausch tritt
und demnach die zentrale Frage nach der exakten Position der Protonenwanderung aufschlüsselt. Zusätzlich konnten in Übereinstimmung mit Cysteinmutationsexperimenten
in Escherichia coli zwei entscheidende hydrophile Halbkanäle in der Struktur gefunden werden. Ein lumenaler Zugang im Enzym erschließt
sich als Pforte für Protonen, die die innere
mitochondrielle Membran passieren. Ein
weiterer neu entdeckter Kanal ermöglicht den
benötigten Protonenabtransport durch das
Lösungsmittel auf die Seite der Zellmatrix.
Y Der Weg der Protonen führt also durch den
lumenalen Kanal der a-Untereinheit zum
Antrieb der c-Ringwalze bis hin zur finalen Ausscheidung über den Matrixkanal. Dies erklärt
nicht nur die Antriebskraft und Drehrichtung
für die c-Ringwalze im Enzym, sondern er schließt somit einen der wichtigsten biologischen Prozesse überhaupt.
Beatrix Barth, Harald Schwalbe ó
Qualitative Analyse von host cell protein in Biopharmazeutika
Verunreinigungen (impurities) in biopharmazeutischen Produkten entstammen oft
dem zur Herstellung verwendeten Organismus und können aus DNA und Proteinen, dem host cell protein (HCP),
bestehen. Auf empirischer Grundlage
haben sich im Laufe der Jahre Grenzwerte
etabliert, z. B. 100 ng/mg für HCPs. Diese
Grenzen erscheinen jedoch sehr vereinfacht gewählt bedenkt man die potenziellen Unterschiede die verschiedene HCPs
auf ein Produkt haben können, z. B.
Serumalbumin im Vergleich zu einer Protease.
ó Eine umfassende Betrachtung und Bewertung des Einflusses von HCPs auf die Produktsicherheit wäre daher angemessen. D. G.
Bracewell et al. (Biotechnol Bioeng (2015)
112:1727–1737) beschreiben in ihrem Artikel,
wie solche Untersuchungen ablaufen sollten.
Sie erläutern zunächst, dass eine sensitive und
qualitative Analyse von HCPs Voraussetzung
für eine anschließende Risikobewertung hinsichtlich individueller Grenzwerte darstellt. Als
orthogonale Methoden zur HCP-Detektion werden dabei Enzymassays (ELISA) sowie Massenspektrometrie identifiziert, die durch bestimmte Anreicherungsmethoden noch sensitiver gestaltet werden können. Bracewell et al.
konstatieren, dass die Zahl der möglichen HCPs
zu groß ist um sie momentan routinemäßig analysieren zu können und z. B. für chinese hamster
ovary(CHO)-Zellen aufgrund von Modifikationen bei einem Vielfachen der ca. 24.000 relevanten Gene liegt. Dennoch schlagen sie vor,
dass HCPs mit potenziell größeren Auswirkungen auf das Produkt genauer untersucht werden sollten. Zu diesen HCPs gehören Proteasen, Chaperone und Proteine die unter Umständen an das Produkt binden könnten. Abschließend entwickeln sie eine Risikobewertung auf Grundlage dieser HCP-Klassen, deren
Häufigkeit in der finalen Formulierung und der
Möglichkeit sie zu detektieren.
Y Die Sicherheit von Biopharmazeutika
nimmt einen immer größeren Stellenwert ein,
nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung,
sondern auch bei Gesetzgebern und Herstellern. Bracewell et al. liefern mit ihrem Artikel
die Grundlage für eine Neuausrichtung der
Bewertung von HCPs, die als Verunreinigungen maßgeblicher Bestandteil der Risikobetrachtung eines Produktes sind. Die Autoren
beschreiben, dass ein Weg weg von rein quantitativen Limits hin zu wissensbasierten Bewertungen notwendig ist, um den verschiedenen
Arten von HCPs und den damit einhergehenden Risiken Rechnung zu tragen. Besonders
Proteasen und Enzyme können verheerendere
Auswirkungen auf ein Produkt haben, da sie
dieses modifizieren und damit unwirksam
machen können. Der von Bracewell et al. vorgeschlagene Risikoindex bezieht diese Faktoren mit ein und kann in Zukunft helfen, die
potenziellen Gefahren durch bestimmte HCPs
besser einzuschätzen. Johannes F. Buyel ó
BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang
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Auxinsynthese und -Signalweiterleitung reguliert
Lebermoos-Entwicklung
Auxine sind wachstumsfördernde Pflanzenhormone, wozu auch die Indol-3essigsäure (IAA) gehört. Die IAA spielt in
der Entwicklung von Landpflanzen eine
große Rolle. Ihr Vorkommen ist auch in
den Lebermoosen belegt, jedoch wurden erstmals durch die Analyse von
Mutanten in einem IAA-Biosyntheseweg
Entwicklungsstadien des Brunnenlebermooses Marchantia polymorpha identifiziert, für die IAA wichtig ist.
ó Die Generation von Mutanten in verschiedenen Biosynthesegenen sowie Genen,
die für Komponenten der Signaltransduktion
codieren, zeigte dass Marchantia polymorpha
den bisher kleinsten Werkzeugkasten für den
Biosyntheseweg über Indol-3-brenztraubensäure als Intermediat der IAA-Biosynthese
besitzt (Eklund DM et al., Plant Cell (2015)
27:1650–1669). Dieser Weg ist hauptsächlich in den zellteilungsaktiven Zonen des Thallus aktiv und somit für die korrekte Entwick-
lung dieses Gewebes. Außerdem ist IAA für
die Aufrechterhaltung der Dormanz der Brutkörper, die eine vegetative Fortpflanzung der
Gametophytengeneration garantieren, verantwortlich. Diese Brutkörper befinden sich
in Brutbechern und werden durch Wasser
ausgeschwemmt, damit sie an neuen Standorten keimen können. In einem ähnlichen Ansatz (Kato H et al., PLOS Genetics (2015),
doi:10.1371/journal.pgen.1005084) wurden
Auxinrezeptoren identifiziert, die in der Lebermoosentwicklung eine wichtige Rolle
spielen.
Y Auxin wurde als Wachstumsregulator
bereits in Lebermoosen gefunden, die jedoch
für alle Komponenten (Signaltransduktion,
Transport und Biosynthese) nur mit einer
Minimalausstattung auskommen müssen.
Diese Erkenntnisse helfen zu verstehen, wie
Pflanzenhormone die Entwicklung von Landpflanzen möglich machten.
Jutta Ludwig-Müller ó
Persistenz-induzierendes Toxin-Antitoxin-Modul
Toxin-Antitoxin(TA)-Systeme bestehen
aus einem stark toxischen Protein und
einem Protein, das dieses Toxin durch
Bindung neutralisiert. Wird jedoch das
Toxin aus diesem Proteinkomplex durch
den Abbau des Antitoxins freigesetzt,
greift es verschiedene zelluläre Komponenten an (z. B. das Zytoskelett, den Protonengradient oder die Ribosomen).
Sind Topoisomerasen die Angriffsstelle,
so entstehen zahlreiche Chromosomenbrüche, die das Reparatursystem der
Zellen überfordern und so zu deren Tod
führen.
ó Bakteriozide TA-Module wie ParDE oder
CcdBA blockieren die Toposisomerasen während der Katalyse, also bei bereits gespaltener DNA. Trifft ein Transkriptions- oder Replikationskomplex auf das blockierte Enzym,
so wird der bis dahin kovalent gebundene
DNA-Bruch freigesetzt. A. Harms et al. (Cell
Reports (2015) 12:1497–1507) zeigen, dass
FicTA-Module die DNA-Gyrase und die Topoisomerase IV reversibel lahmlegen. Sie unterbinden deren ATPase-Aktivität durch Adenylylierung der jeweiligen B-Untereinheiten. Die
Expression von FicT aus verschiedenen Bak-
BIOspektrum | 06.15 | 21. Jahrgang
terien führte bei Escherichia coli zu Verknotungen, Verkettungen und Entspannungen
der Chromosomen, die dadurch die Transkription und Translation behindern und die
Zellen so in einen persistenten Zustand führen, der durch FicA-Expression wieder aufgehoben werden kann. FicTAs wirken somit
nicht bakteriozid, sondern bakteriostatisch.
Bartonella schoenbuchensis kann sein FicTASystem dank eines T4SS-Sekretionssignals
wahrscheinlich in fremde Zellen exportieren.
Y Die bakteriostatische Wirkung von FicTA
ist hauptsächlich auf die Hemmung der
Topoisomerase IV zurückzuführen; die Gyrase-Hemmung wirkt lediglich ergänzend. Welche Rolle FicTA-Module bei der Etablierung
von dormanten Zellen unter natürlichen
Lebensbedingungen spielen, ist noch offen.
Interessanterweise ist das eigene FicTAModul der Enterobakterien aufgrund der
abweichenden und damit untypischen Aminosäuresequenz seiner FIC-Domäne nicht
zur Adenylylierung und damit auch nicht
zur Persistenzinduktion befähigt. Seine biologische Funktion ist unklar.
Johannes Sander ó
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Programmierter Zelltod in Saccharomyces cerevisiae
ÿ Retinitis pigmentosa, eine Glukosemangelerkrankung der Netzhaut
ÿ Intestinal-Mikrobiom von innaten Lymphzellen gefüttert
Programmierter Zelltod in Saccharomyces cerevisiae
Caspasen sind Schicksalsparzen der Vielzeller zur Zellsortierung bei der Abrundung ihrer Organisation aus dem Ungeordneten und der Rückführung der Reste
zur Wiederverwendung in den Stoffwechsel. Sie haben aber kein rein destruktives
Ziel, sondern dienen zugleich der homöostatischen Ordnung und dem organisatorischen Fortschritt.
ó Ihr Prototyp sind die Metacaspasen (Mca)
der einzelligen Sprosshefen, deren grundlegend konstruktive Funktion zur Gewährleistung
isoliert-ungehemmter Individualität S. Malmgren Hill et al. (Science (2014) 344:1389–
1392) an Hand der Mca 1 von Saccharomyces cerevisiae beschreiben und diskutieren.
Überexpression von Mca 1 haben M. A.
Khan et al. (Proc Natl Acad Sci USA (2005)
102:17326–17330) mit einem Minus an Markern des Zelltod-Programms und verminderter
Sprossbildung in Zusammenhang bringen können. Auf Unterexpression von Mca 1 folgt stärkere Zellaggregation bis zur gegenseitigen Behinderung. Diese Hefen leiden unter oxidativem Stress. Das nun deuten Malmgren Hill
et al. in analytischer Beweisführung als unmittelbare Wirkung auf das chaperonierende
Hitzeschock-Protein Hsp 104.
Chaperon Hsp 104 entwirrt Proteinaggregate und unterstützt dadurch die asymmetrische Sammlung von Proteineinheiten zu funktionell-gerichteten Multikomplexen in sich teilenden Zellen, aber es verlängert nicht die
Lebensspanne des Wildtyps. Sein Fehlen, und
demzufolge Minderausstattung mit dem KoProtein Ydj 1, beschleunigt dagegen das Vermehrungsaltern.
Caspasen werden nach dieser Interpretation
nicht als Hilfsmechanismus zur Ernährung der
fitteren Überlebenden aktiviert, sondern sind
unter Evolutionsperspektive zu betrachten, damit die Zellen Vergiftungsstress durch sich anhäufende Fehlfaltungen widerstehen können.
Nur ohne proteotoxischen Stress oder exzessive Zellschädigung wird die Caspase-Aktivität
unkontrolliert und führt zum programmierten
Zelltod.
Abwehr von Proteinschädigung läuft auf
mehren Bahnen. Im Frühstadium einer Aggregatbildung kann Mca 1 parallel zu dieser und
unabhängig von der Mca 1-Aktivität an die
falschgefalteten Proteine gebunden und durch
Proteasomen abgebaut werden. In späteren
Stadien hilft Mca 1 aber auch, zusammen mit
Hsp 104 und Ssa, falsch gefaltete Proteine proteolytisch zu enttüddeln, noch bevor sie an das
Proteasom zum Abbau freigegeben werden.
Wenn sie zur Aggregation führt, kann sie durch
die Chaperon-Kette Hsp 104→SSa→YDj 1 in
Ordnung gebracht werden.
Y Bei Metazoen ist, wie beim prototypischen
Hefe-Paradigma, die Hauptfunktion der Caspasen der homöostatische zelleigene Schutz
und die zelleigene Funktionsordnung im Verlauf des Alterns durch selektiven Zelltod nach
Qualitätsprüfung. Diese erfolgt in einer mehrschichtigen Funktionskontrolle der Polypeptidketten durch Chaperon-gestützte Korrektfaltung und Aktivierung über Protea- und Autophagosom im Lysosom. Akute Abwehr und vorsorgender Schutz liegen dicht beieinander.
Kaum zu entscheiden, wo die Aktivitätsgrenzen sind.
Lothar Jaenicke ó
Retinitis pigmentosa, eine Glukosemangelerkrankung der Netzhaut
Die farbempfindlichen Zapfen der Retina
werden von Genen aus den helligkeitsempfindlichen Stäbchen kontrolliert.
Mutative Defekte in diesen, die etwa 3 in
10 000 Personen treffen, führen zur
gefürchteten Retinitis pigmentosa. Ohne
Kenntnis der grundlegenden Zusammenhänge war man bei dieser Krankheit bisher sehr hilflos.
ó Eine Arbeit von N. Ait-Ali et al. (Cell (2015)
161:817–831) weist auf einen Zusammenhang
zwischen dem Absterben der Zapfenelemente, der Bildung von Sauerstoff-Radikalen (ROS)
und dem Proteinkomplexes mTOR1 hin.
mTOR1 balanciert den anabolen Zellstoffwechsel aus, indem er die Expression von Genen fördert, durch die die O2-Konzentration
kontrolliert wird. Bei Überaktivierung von
mTOR1 wird der Spiegel von anabolen Zwischenstoffen, darunter die des anabolen, radikalfangenden Coenzyms NADPH, gesteigert.
Das ist für das Überleben der Zäpfchen essenziell. Gesunde Photorezeptoren sind äußerst stoffwechselaktiv und werden dazu
reichlich über das retinale Pigmentepithel mit
Blut versorgt, das ihnen Sauerstoff und Glukose antransportiert. Das erhält die NADPHKonzentration, damit auch den Anabolismus
und die ROS-Konzentration niedrig.
Der auf der Zelloberfläche sitzende Glukosetransporter Glut-1 dient als Schleuse für die
erforderliche Glukose. Sein Mangel oder seine funktionelle Defizienz tragen zur Retinitis
pigmentosa bei. In Kombination mit einem weiteren Protein der Stäbchen, dem Protein Basigin-1, vermutlich einem Antoxidans, verbessert es die Glukose-Aufnahme. Induktion und
Aktivierung des Systems steigert also den
Energiehaushalt aus Glukose durch die Induktion und Aktivierung von Glut-1.
Bei Erkrankungen wie der Retinitis pig mentosa, bei der die Stäbchen absterben, sind
die Zäpfchen nicht mehr in der Lage, ausreichend Glukose aufzunehmen, um ihren Stoffwechsel zu betreiben und müssen ebenfalls
sterben. Durch Zugabe vom Stäbchen-Vitalitätsfaktor RdCVF kann der Defekt kompensiert
werden.
Y Dysfunktion, wie bei der Retinitis pigmentosa, führt zum Zelltod. RdCVF, Basigin-1 und
Glut-1 bilden einen Komplex auf der Zelloberfläche, der die Glukoseaufnahme regelt. Wenn
bei Retinitis pigmentosa Zellen absterben, verlieren die Zäpfchen die Fähigkeit, ausreichend
Glukose zur Betreibung ihres Energiehaushalts
zu importieren und gehen zugrunde. Die Autoren zeigen, dass Zugaben von RdCVF den Defekt
heilen kann. Aber die Glut-1-Konzentration
steigt dabei nicht. Sie vermuten daher, dass der
Komplex stattdessen den Spiegel einer aktiven
Glut-1-Form erhöht.
Lothar Jaenicke ó
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Intestinal-Mikrobiom von innaten Lymphzellen
gefüttert
Die Oberflächen unseres MagenDarmtrakts sind von Anfang bis Ende
mit einer Unzahl von Mikroorganismen besiedelt, die in einer Art produktiver Symbiose mit dem Immunsystem zusammenleben. Sie helfen,
Nahrung optimal zu nutzen, indem
sie z. B. sonst unverdauliche Kohlenhydrate aufschließen und dem Stoffwechsel zuführen. Wie alles, hat auch
dieses Ökosystem seine zwei (und
mehr) Seiten. Wenn nämlich Bakterien tiefer ins Gewebe dringen, können sie Schaden anrichten.
ó Sie müssen also kontrolliert auf Abstand gehalten werden. Dazu dient das innate Immunsystem, das im Epithelgewebe dauernd unterwegs ist.
Y. Goto et al. (Science (2014),
doi: 10.1126/science.1254009) zeigen einen immunologischen Weg, auf dem Intestinalepithelzellen über Synthese und
Umbau durch induzierte Glycosyltransferasen kommensaler Symbionten Oberflächen-Glykolipide und Glykoproteine
umwandeln können, sodass aus Zell/Zellund Zell/Matrix-Kommunikationsmolekülen Nahrung wird.
Keimfrei aufgezogene Mäuse besitzen
auf den Glyko-Oberflächen ihrer Darmepithelzellen vornehmlich Saccharide, die
mit Sialinsäure enden. Dagegen bilden sie
nach Infektion mit den üblichen mutualistischen, also in physiologischer Nutzgemeinschaft lebender, Mikrobiota eine
Fucosyltransferase-2 (FUT2), die die endständige Sialinsäure gegen L-Fucose austauscht, sodass die Darmschleim-Oberfläche dem Wildtyp gleicht, an die das
Wildtyp-Mikrobiom gewöhnt ist. Zu diesem gehört charakteristisch Bacteroides
thetaiotaomicron (Bthjo), der eine ganze
Anzahl von Glykosidasen und Transferasen exprimiert. Die Bthjo-Enzyme machen
die Kohlenhydrate des Wirts-Darmepithels dem Bthjo-Stoffwechsel zugänglich
und endfucosylieren sie. Dies ist für Bthjo
ein selektiver Vorteil gegenüber den (pa-
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thogenen) Nutzern, die meist nicht mit
solchen Enzymen ausgestattet sind.
Also auch ein Vorteil für uns, den Wirt!
Interessant ist, wie die Bakterien die
Epithel-Fucosylierung induzieren. Es ist
keine simple direkte Rezeptor-Wechselwirkung, sondern die Bakterien setzen eine Immunkette in Gang: Die angestammten „innaten“ Lymphzellen (ILC), die im
Gewebe unterhalb der Epithelzellen kreisen und der Infektionsabwehr dienen,
gliedern sich in mehrere Untergruppn, die
sich durch genetische Manipulation unterscheiden lassen, sodass Maus-Stämme
mit definierten ILC-Defekten aufgezogen
werden können. Untergrupe ILC3 bildet
weit unternormal FUT2, infolgedessen keine endfucosylierten Darmepithel-Oberflächen. Gleichweise wirken ILC3-Antikörper. ILC3 ist also essenziell für die Fucosylierung der Epitheloberfläche.
Die Aktionskette läuft demnach folgendermaßen: ILC3 sezerniert ein Zytokin Interleucin-22 (IL-22). Dieses vermehrt
aber nicht die Zahl der ILC3, sondern deren IL-22-Produktion. Dies wiederum stimuliert auf den Zellen einen Rezeptor IL22R und damit die Expression von FUT2.
Es kommt zur Endfucosyl-Umformung der
Epithel-Kohlenhydrat-Strukturen. Diese
können dann durch sezernierte bakterielle
Fucosidasen abgebaut und von den Bakterien als Baumaterial- und Energiequelle benutzt werden. Mit Sicherheit ein Vorteil im Kampf um die Ressourcen mit der
übrigen Darmflora. Aufbauend regeln aber
ILC3 auch den Epithel-Schutz gegen Bakterien-Invasion, indem sie, kooperativ mit
IL-22, FUT2 produzieren und dadurch die
Intestinal-Oberfläche fucosylierend abdichten.
Y Diese Untersuchung gibt einen detaillierten Einblick in die biologische Funktion der ILCs. Vermutlich aber ist die Sache
noch komplexer, denn auch andere Zytokine und zytotoxische Proteine scheinen
in dem Vorgang eingesetzt zu sein.
Lothar Jaenicke ó
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Größere Tabakblätter durch schnellere Rubisco
Größere Tabakblätter durch schnellere Rubisco
Nur etwa ein Prozent des Sonnenlichts
wird durch Photosynthese aus Atmosphären-CO2 in C-H-Bindung fixiert und ist
dadurch allen übrigen Lebewesen zur
Ernährung zugänglich. Der limitierende
Faktor ist das Schlüsselenzym Ribulose1,5-bisphosphat(Ru-1,5-BP)-carboxylase,
kurz Rubisco, durch das im Calvin-Zyklus
CO2 mit Ru-1,5-BP zu 2 Mol 3-Phosphoglycerinsäure kondensiert wird.
ó Das polydimere Rubisco-System der Photosynthesepflanzen ist sehr unspezifisch, denn
es wurde zu einer Erdgeschichtszeit entwickelt,
als die Atmosphäre noch O2-arm war. Erst die
zunehmende photosynthetische Spaltung von
2 H2O in 4 reaktive H°-Radikale und O2 hat sie
auf den heutigen Stand gebracht. Es gab also
wenig Evolutionsdruck, zwischen vorhandenem CO2 und entstehendem O2 zu unterscheiden.
Die Natur hat in ihrer Weise auf das sich verändernde Milieu reagiert: Entweder mehr der
wenig diskriminierenden Rubisco produzieren
oder das System durch vorgelagerte Schritte
in spezialisierten Enzymaggregaten komplettieren. Dies war durch die „Carboxysomen“ in
der CO2-Assimilationsentwicklung eine frühzeitlich verfolgte, aber, aus welchen Gründen
immer, nicht allgemein durchgesetzte Strategie.
Je nachdem unterscheiden sich die Assimilations-Gesamtausbeuten verschiedener Reiche in ihrer Effektivität. Die besten haben die
urzeitlichen Blau(grün)algen (Cyanophyceen)
verwirklicht. In ihren Pigment-Thylakoiden
nämlich gibt es einen vorgelagerten CO2 concentrating mechanism (CCM) durch einen light
harvesting complex (LHC), die aus einer CO2Pumpe und dem Enzym Carboanhydrase besteht. Sie pumpt CO2-Moleküle ein und hydratisiert sie zu gut transportierbaren HCOO–Ionen. Diese treten dann in eine weitere Mikrostruktur, die Rubisco-enthaltenden Carboxysomen. Dort wird CO2 als Substrat für die
Rubisco durch Carboanhydrase in optimierter
Konzentration regeneriert.
Diesem Verbesserungsweg folgen M. T. Lin
et al. (Nature (2014) 513:547–550) mit einigen,
gegenüber früheren Konkurrenten (Kenevski I
et al., Plant Physiol (1999) 119 :133–141) durch
Nutzung von β-carboxysomalen Schalenproteinen als Chaperone (Lin MT et al., Plant
(2014) 79:1–12) zielführenden Abwandlungen.
Sie transferieren Carboxysomen-Gene der
CCM-Pumpe von Synechococcus elongatus in
Chloroplasten einer höheren Pflanze, hier dem
Tabak als gängigem Versuchsobjekt.
Auf diese Weise wird innerhalb des Photosynthese-Kompartiments, nun der Tabakpflanze, Carboanhydrase exprimiert, dadurch
eindiffundierendes CO2 als Bicarbonat-Ion abgebunden und der Rubisco weitgehend O2-konkurrenzlos verfügbar gemacht. Die transplastomischen Tabakpflanzen bilden (bei 9.000
ppm CO2 in der Atmospäre) schneller größere Blätter. Sie sind für die CO2-Fixierung absolut von der Blaualgen-Rubisco abhängig und
(verständlich !) sehr sauerstoffempfindlich.
Y Dies zu verringern und die CO2-Konzentration nächst der Rubisco zu konzentrieren wäre
das Wunschziel – für nützliche GM-Nutzpflanzen. Das zitierte Paradigma ist natürlich in
gegenwärtiger Zeit der Raucherghettos kontraproduktiv.
Lothar Jaenicke ó
Prof. Dr. Lothar Jaenicke, Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln
Prof. Dr. Jochen Graw, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg, [email protected]
Dr. Cornelia Welte, Radboud University Nijmegen, Heyendaalseweg 135, NL-6525 AJ Nijmegen, Niederlande,
[email protected]
Dr. Johannes Sander, Falkenstraße 87, D-58553 Halver, [email protected]
Dr. Beatrix Barth und Prof. Dr. Harald Schwalbe, Zentrum für Biomolekulare Magnetische Resonanz, Universität Frankfurt a. M., Max-von-Laue-Straße 7, D-60438 Frankfurt a. M., [email protected], [email protected]
Dr. Johannes Felix Buyel, Institut für Molekulare Biotechnologie, RWTH Aachen, Worringerweg 1, D-52074 Aachen,
[email protected]
Prof. Dr. Jutta Ludwig-Müller, Institut für Botanik, TU Dresden, Zellescher Weg 20b, D-01062 Dresden,
[email protected]
Kurz gefasst
ó Mikro-RNAs als Matrize für
regulatorische Peptide
Mikro-RNAs sind kleine RNA-Moleküle,
die ein homologes RNA-Zielmolekül
erkennen und zu dessen Abbau führen.
Die Mikro-RNA wird durch eine wesentlich größere Vorläufer-RNA codiert, aus
der die Mikro-RNA herausgeschnitten
wird. Nun wurde am Beispiel der Seitenwurzelentwicklung gezeigt, dass
beim Schneckenklee Medicago truncatula und bei der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana dieses Vorläufer-Molekül für Mikro-RNAs kurze offene Leserahmen enthält, die direkt für ein regulatorisches Peptid codieren (Lauressergues D et al., Nature (2015) 520:90–
93). Die Peptide wiederum induzieren
die Bildung der eigenen Mikro-RNA aus
ihrem Vorläufer und spielen so für die
Regulation der Menge des eigentlichen
Zielgens eine wichtige Rolle. Synthetische Peptide mit entsprechenden
Homologien, die in die Pflanze eingebracht wurden, konnten ebenfalls die
Induktion des jeweiligen Mikro-RNA Vorläufers bewirken.
Jutta Ludwig-Müller
ó Konkurrenzkampf fördert
Biofilmbildung
Biofilmbildung wurde bisher hauptsächlich als Ergebnis einer symbiontischen Interaktion verschiedener mikrobieller Spezies angesehen. Ein Team von
Wissenschaftlern um Kevin Foster von
der Universität von Oxford hat nun aber
aufgezeigt, dass die Bildung von Biofilmen auch als Verteidigungsmechanismus, insbesondere im Intraspezies-Konkurrenzverhalten, auftritt (Oliveira NM et al., PLoS Biol (2015)
13:e1002191). Bei der Ko-Kultivierung
verschiedener Stämme der opportunistisch pathogenen Spezies Pseudomonas aeruginosa setzte sich meist ein
„Gewinner“ durch und bildete einen reinen Biofilm welcher dichter war, als der
Biofilm der Reinkultur desselben Stammes. Geringe Mengen des Antibiotikums
Pyocin, welches von einigen P. aeruginosa-Stämmen produziert wird um die
Konkurrenz auszuschalten, wurden als
Auslöser dieser verstärkten Biofilmbildung identifiziert. Biofilmbildung scheint
also (auch) eine generelle Antwort auf
Zellschädigung zu sein, und Antibiotika
in geringen Dosen damit wichtige
Kooperationssignale. Auch nicht-letale
Dosen von medizinisch genutzten Breitbandantibiotika fördern diese verstärkte Biofilmbildung und damit folglich
auch die Persistenz dieser Bakterien.
Maximilian Mora und
Christine Moissl-Eichinger
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