Ribosomen-Untereinheiten arbeiten auch in RNA

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ÿ Transportmechanismus der Flippasen
ÿ Ribosomen-Untereinheiten arbeiten auch in RNA-Fesseln
ÿ Induktion der Pathogen-Abwehr in Arabidopsis
ÿ Neuer Zelltod-Mechanismus bei p53
Lothar Jaenicke †
Jochen Graw
© Springer-Verlag 2016
Transportmechanismus der Flippasen
Oberflächen- und Sekretproteine sind fast
immer mit Oligosacchariden „kandiert“.
Diese werden oft zunächst an der Zytoplasmaseite des intrazellulären Membransystems (Golgi-Apparat bei Eukaryoten)
an einem Lipidträger als Lipid-gebundene
Oligosaccharide (LLO) zusammengesetzt
und erst dann en bloc auf dessen Außenseite mit dem im Periplasma (dem Äquivalent des Endoplasmatischen Retikulums
(ER) der Eukaryoten) synthetisierten Protein verknüpft. Sie müssen also durch die
Doppelschicht geschwenkt werden; keine
kleine Aufgabe bei so sperrigem Gut.
ó C. Perez et al. (Science (2015) 524:433–
438) zeigen mittels eines neuen in vitro-Nachweissystems und durch Röntgen-Kristallstrukturanalysen, auf welche raffinierte Weise der
homodimere ABC-Transporter PgIK des Darmbakteriums Campylobacter jejuni als Flippase
mit dem schwierigen Umfädelungsproblem fertig wird. Die LLOs haben eine hydrophile pyrophosphorylierte Oligosaccharid-Kopfgruppe
und einen lipophilen Polyprenylschwanz. PgIK
überspannt die Lipidmembran zwischen Periplasma und Zytoplasma-Kompartiment. Jedes
PgIK-Monomer hat eine Bindestelle für das
negativ geladene hydrophile ATP, dazu auf der
periplamatischen Außenseite einen Gürtel und
eine Helix von positiv geladenen AminosäureSeitenketten. Der Umordnungkreislauf beginnt
damit, dass das Dimer in seiner nach außen
geschlossenen Konformation in die Translokationsgrube eintaucht und darin mit der externen, positiv geladenen Helix des PgIK-Transporters in Verbindung tritt, der sich dabei nach
außen öffnet. In die positiv geladene, offene
Zange lagert sich der negativ geladene
ATP/ADP-Energie-Kopf des LLO. Das aktiviert
den Transporter, der während der gesamten
Prozedur an die Lipid-Doppelschicht attachiert
bleibt. Nun erst löst sich das LLO vom PgIKProtein nach der Zytoplasmaseite der Membran hin, sodass es in Spiegelposition zum Anfangszustand flippt.
Y Der springende (flippende) Punkt ist, dass
das katalysierende System zwar aus- und einwärtsweisende Konformationen annehmen
kann, aber diese allein für den Vorgang zielführend sind. Das unterscheidet „Flipping“ eindeutig von den bidirektionalen Transportmechanismen.
Lothar Jaenicke ó
Ribosomen-Untereinheiten arbeiten auch in RNA-Fesseln
Das Ribosom ist eine RibonukleoproteinMaschine zur Synthese von Proteinen. In
allen Reichen der Natur besteht sie aus
zwei unterschiedlich großen (30S und
50S), funktionsgerecht fein-ziselierten
Einzelteilen, die wiederum auf ihrem ribosomalen rRNA-Gerüst aufgebaut sind.
ó Die unabhängige, aber zielgerecht koordinierte Funktion dieser Untereinheiten beginnt
mit ihrem dichten Umschließen (< 50 Å) um die
Zielprodukt-codierende mRNA mittels zweier
Klettverschluß-artiger Ösen und Schlaufen auf
den Untereinheiten zum 70S-Ribosom, gefolgt
von dessen abgezirkelten Drehungen während
des fortschreitenden Ablesens der Tripelcodons und endet schließlich mit dem Zerfall des
produktiven Komplexes in die synthetisierte
Polypetidkette und die beiden Untereinheiten,
die dann für die nächste Runde bereitstehen.
Der Wunsch besteht, diese labile Feinmechanik zu vereinfachen, um sie für neue Aufgaben zu manipulieren. Ein Weg ist, nichts dem
kinetischen und evolutiven Zufall zu überlassen, sondern die beiden Untereinheiten von
Anfang an zusammenzufügen, um sie nach
Plan zu nutzen und zu entwickeln – falls sie das
vertragen. Tatsächlich ist es C. Orelle et al. (Nature (2015) 524:119–124) gelungen, das Ribosom über viele Evolutionszyklen à la carte in
materialeigene RNA-Ketten zu legen (tethered Ribo-T). Ribo-T ist nicht nur in vitro funktionstüchtig, wie Serienversuche zeigten, sondern kann auch ohne weitere Hilfen das normale Wachstum seines Ursprungsorganismus,
Escherichia coli, dem die funktionierenden
rRNA-Gene fehlten, gewährleisten. Ribo-T ersetzt bei der Protein-Synthese das normale
Ribosom komplett. Außerdem kompensiert
Ribo-T Elongationsblocks in der großen, und
Antibiotika-Resistenz in der kleinen Untereinheit. Erstmals konnte damit ein sterisch
fixiertes und völlig stabiles, funktionierendes
Ribosomenkonstrukt in die Hand genommen
werden.
Y Das Weitere wird nicht lange auf sich warten lassen. Synthetische Biologen werden ihre
kreative Freude haben! Aber auch die Vorstellungen und Lehrmeinungen über die Struktur/Funktions-Zusammenhänge und die Stufen der ribosomalen Polypeptid-Synthese könnten durch diese ingeniösen Zugriffssansätze
evident verändert werden. Wait and watch –
or do!
Lothar Jaenicke ó
BIOspektrum | 01.16 | 22. Jahrgang
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Gerald Thiel
Volkmar Braun
Cornelia Welte
Horst Lohrer
Sabine Brantl
Inga Hänelt
Induktion der Pathogen-Abwehr in Arabidopsis
Eine Vielzahl von P450-Genen im Genom
des Kreuzblütlers Arabidopsis thaliana
(Ackerschmalwand), der etablierten
Modellpflanze der Molekularbotaniker,
wird durch Pathogene hochreguliert. Sie
sind also Glieder einer Abwehrkette. Die
Detailanalyse des Pathogen-induzierten
Gens CYP82C2 durch Metabolom- und
Koexpressionsstudien gaben J. Rajnak
et al. (Nature (2015) 525:376–379) Einblick den Biosyntheseweg von 4-Hydroxyindol-3-carbonylnitril (4-OH-ICN, im Folgenden ICN), einem bisher unbekannten
Metaboliten der Pflanzen.
ó Bereits chemisch ist diese Substanz ein
Unikum, denn cyanogene Funktionalitäten sind
in der Natur überaus selten und bei Pflanzen
bisher ohne Beispiel. Die ArylcyanogenZwischenstufe im Weg zu ICN könnte möglicherweise der Hinweis auf ein bisher unbekanntes cyanogenes Glycosid in einem Kreuzblüter sein.
Die Reaktionsfolge aus L-Tryptophan zu ICN
über das Indol-aminoxid (IAOx), Indol-cyanhydrin (I-CH(OH)-CN) und Indolyl-cyanid (I-CO-
CN) wurde durch in vitro- und in vivo-Rekonstitution des gesamten Biosynthesewegs mit
den in der Hefe Saccharomyces cerevisiae und
dem Tabak Nicotiana benthamiana exprimierten Einzelenzymen gesichert; jedes einzelne
Produkt womöglich durch kombinierte Ionenextraktions-Chromatografie vor oder nach
Hydrolyse identifiziert und charakterisiert. Wie
unter der Arbeitsprämisse zu erwarten, sind
alle Arabidopsis-Mutanten im Weg zu ICN
gegenüber dem pathogenen Bakterium Pseudomonas syringae sehr viel anfälliger als die
Wildform. Die Funktion des ICN in der induzierten Pathogenabwehr läuft vermutlich auf
direktem Weg, nicht unmittelbar über weitere
Funktionsketten.
Y Über diese unmittelbare Abwehrreaktion
hinaus wurden Kreuzreaktionen mit den Tryptophan-Abkömmlingen Camalexin und 4Methoxy-glucobrassicin (4-Methoxy-indol-3-ylmethylglucosinolat) festgestellt. Das wäre eine
bisher unbekannte mittelbare Rolle des L-Tryptophan-Stoffwechselprodukts ICN im Selbstschutz von Pflanzen.
Lothar Jaenicke ó
Neuer Zelltod-Mechanismus bei p53
Ferroptose, eine Eisen-abhängige Form
des Zelltods, wird als Teil der allgemeinen
Tumor-Suppressions-Aktivität des
Genom-bewachenden Tumorsupressorproteins p53 angesehen. Sie besteht einerseits aus dem Anhalten des Teilungszyklus, dadurch Zeitgewinn für Reparaturen, andererseits aus Zellalterung und
Apoptose, damit zur Bereinigung des
Aktionsfelds von Mutanten.
ó L. Jiang et al. (Nature (2015) 520:57–62)
zeigen mit der Maus-Mutanten p533KR, dass
zum „Wachbuch“ von p53 auch eine bisher unbekannte Stoffwechselaktivität gehört. p53
hemmt nämlich die Aufnahme des zum Komplexieren des Fe(II) nötigen Cysteins, damit die
Expression des Cys/Glu-Aminosäure-Antiporters SLC7A11 auf der Zelloberfläche. Die indirekte Folge ist die Fe(II)-abhängige Bildung von
ROS, den radikalisch aktiven Sauerstoffspezies.
BIOspektrum | 01.16 | 22. Jahrgang
Um diese Vorstellung zu untermauern, analysierten die Autoren Mausembryonen mit der
p533KR-Mutation, die im essenziellen p53-Inhibitor Mdm2 blockiert sind und daher wegen
p53-Hyperaktivität absterben. Durch die Hemmung der Ferroptose überlebt jedoch ein großer Anteil. Auch Überexpression von SLC7A11
überwindet in Mäusen mit transplantierten
Tumoren die p533KR-Mutation, mindestens teilweise; wobei aber nicht klar ist, ob dies ein primärer oder ein Folge-Effekt ist.
Y Nach dieser erweiterten Kenntnis bündelt
Tumorprotein p53 im Zellgeschehen also folgende Stress-Signale: Stopp des Teilungszyklus;
Altern bis hin zur Apoptose; Ferroptose und
ROS-Produktion über Fe-Katalyse; DNA-Reparatur, sowie allgemeine Stoffwechselkontrollen. Sie alle tragen zur Tumor-Suppression bei.
Lothar Jaenicke ó
Kurz gefasst
ó Erfolgreiche Reise in ein
pharmakologisches schwarzes
Loch
Der G-Protein-gekoppelte Rezeptor
GPR68 stellt einen orphan receptor ohne bekannten endogenen
Liganden dar. Durch geschickte
Kombination von Computer-gestützter Modellierung und experimenteller Analyse von mehr als drei
Millionen Substanzen sowie nachfolgender medizinisch-chemischer
Optimierung von Leitsubstanzen ist
es der der Arbeitsgruppe von Bryan
Roth (Huang XP et al., Nature
(2015) 527:477–483) gelungen,
allosterische Modulatoren zu identifizieren. Durch Einsatz von Substanzen in Tiermodellen konnte
eine Rolle von GPR68 in der Regulation von Angstverhalten aufgezeigt werden. Die Arbeit zeigt
exemplarisch auf, dass durch intelligente Kombination verschiedener Methoden pharmakologische
schwarze Löcher erfolgreich bereist werden können, ohne verschluckt zu werden.
Roland Seifert
ó Neue Enzyme der Glucosinolat-Biosynthese in
Brassicaceen
Tryptophan-basierende Glucosinolate wie Brassinin sind charakteristische Abwehrstoffe (Phytoalexine) in wilden und kultivierten Formen der Brassicaceen, z. B. Raps,
Broccoli oder Kresse. Andrew Klein
und Elisabeth Satteley (Nature
Chem Biol (2015) 11:837–839)
beschreiben zwei neuartige Cytochrom P450-abhängige Monooxygenasen (Cyp71CR1 und CR2), deren
Transkripte im Rübsen Brassica
rapa nach Befall mit Pseudomonas
syringae vermehrt gebildet wurden.
Heterologe Expression in Hefe und
präzise Analyse der Reaktionsprodukte ergab eine ungewöhnliche
oxidative Heterocyclisierung des
Brassinins über Epoxybrassinin zu
Spirobrassiniol (CR1) oder Cyclobrassinin (CR2), typische Vertreter
der Indol-basierten Glucosinolate
der Brassicaceen.
Thomas Vogt
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ DNAJ chaperoniert Proteinfaltung bei Tieren
ÿ Lysinoxidase des Tumor-Sekretoms induziert Knochenläsionen
ÿ Genomschutzfunktion von P53 über Telomer-Bindung
ÿ Mehr Designerrezeptoren und -drogen
ÿ Chaperon-abhängige Insertion und Faltung von Membranproteinen
DNAJ chaperoniert Proteinfaltung bei Tieren
In der Hefe Saccharomyces kontrolliert
das Hitzeschockprotein HSP 70 mit seinen Nukleotid-Austauschwerkzeugen die
Korrektfaltung von frischen oder physikalisch geschädigten bzw. durch Alterung
koagulierten Polypeptidketten, indem sie
sich an hydrophobe Bereiche lagern und
diese „zurechtmassieren“. Metazoen fehlen HSPs dieser Art. Bei ihnen wird die
Faltung stattdessen synerg durch den
Ko-Chaperon-Proteinkomplex DNAJ ausgeführt, berichten N. B. Nillegoda et al.
(Science (2015) 524:247–251).
ó Die meist homodimeren DNAJ-Proteine
agieren miteinander über konservierte J-Do-
mänen und binden mit ihren Substraten durch
carboxy-terminale ionische Coulombkräfte.
Dabei treten sich wechselseitig modulierende Beeinflussungen zwischen Monomeren von
JA- und JB-Proteinen auf, deren Resultat ein
Monomeren-Austausch zwischen beiden Dimeren (AA/BB → AB/AB) ist (Kampinga HH,
Craig EA, Nature Rev Mol Cell Biol (2010)
11:579–592). Die Hydrolyse von ATP durch
HSP70 entwirrt denaturierte Polypeptdketten
eines Aggregats entropisch, sodass sie zu
Funktion rückgefaltet oder ubiquitinyliert und
durch Proteasomen abgebaut werden können.
Y Zusammengefasst nutzen Tierzellen zur Protein-Disaggregation und -„Rekonformierung“
homodimere DNAJA- und DNAJB-Paare. Diese
verbinden über ihre Carboxyterminal-Domäne
je wechselweise die J-Domäne einer der DNAJAoder benachbarten DNAJB-Homodimeren. Die
Heterodimeren rekrutieren die entsprechenden
Enzyme, die mit ATP-Energisierung falschgefaltete Polypeptidketten ausrichten, sodass sie
entweder ordnungsgemäß rückgefaltet oder proteolysiert werden können. Dabei dissoziiert der
DNAJ/HSP-Komplex, und der freigewordene
Rückfaltkatalysator ist für einen neuen Kreislauf bereit.
Lothar Jaenicke ó
Lysinoxidase des Tumor-Sekretoms induziert Knochenläsionen
Brustkrebs ruft mit die gefährlichsten
Tumoren hervor, weil er so hinterhältig
und stark in andere Organe und in die
Peripherie streut, vor allem auch in die
Knochen, wo er große Zerstörung und
Schmerzen anrichtet, aber so gut wie
unerreichbar ist.
ó Knochen besteht aus zu Aragonit modifizierten Calcitkristallen, eingebettet in eine
extrazelluläre Kollagenmatrix (ECM), die ihm
zugleich Struktur, Form, Steife und Elastizität
verleiht. Veränderungen der ECM bewirken vermehrte Brüchigkeit und erzeugen in der
Architektur Lücken, die Nischen abgeben für
einwandernde, das Gewebe enzymatisch auflösende Osteoklasten.
An der Metastasierung ist, wie T. R. Cox et al.
(Nature (2015) 522:106–110) finden, das von
den Tumorzellen sezernierte Nischenenzym
Lysinoxidase (LOX) zentral beteiligt, das Kollagen-L-Lysin mit O2 zu 5-Aminovaleramid, CO2
und H2O oxidiert. Dadurch löst es mit hinterhältig langem Zeitverzug die die Knochenkristalle zusammenhaltende ECM auf. Bisher wurde LOX in Metazoen wenig beachtet, seine
Funktion vor allem im allgemeinen Aminosäure-Stoffwechsel der Mikroben gesehen.
Nun wird sie zu einem Paradigma der TumorMetastasierung.
Definierbare Klone von Brustkrebszellen, die
keine Östrogen-Rezeptoren bilden (ER-Zellen),
exprimieren stattdessen Faktoren mit einer Af-
finität zu Knochen. Diese ist, wie die Autoren
finden, mit der hohen Aktivität der LOX verbunden. In einem transplantierbaren MausBrusttumormodell wird LOX bei Anaerobiose
in Zellen exprimiert. Diese werden systemisch
mit dem Blutstrom zum Knochengewebe transportiert, das gelockert und mit Tumorzellen
metastatisch kolonisiert wird.
Y Analog gelingt die prämetastatische
Nischenbildung sogar zellfrei mit von anoxischen ER-Brustkrebszellen sezernierten Faktoren. AntiLOX-Immunglobulin und Bisphosphonat hemmen die Nischenbildung. Ein sehr
aussichtsreiches System der Tumorbekämpfung
– hoffentlich mehr als ein Modell.
Lothar Jaenicke ó
Genomschutzfunktion von P53 über Telomer-Bindung
Telomere sind die Enden der Chromosomen
und haben zum Schutz vor Abbau der DNA
eine Reihe von Wiederholungssequenzen.
Der Schutz der Telomere wird durch eine
Reihe von Proteinen verstärkt, die ebenfalls an diese Region binden. Dazu gehört
auch das (menschliche) P53-Protein, das
auch als „Hüter des Genoms“ bezeichnet
wird. Paul Lieberman und seine Gruppe in
Philadelphia haben diese Schutzfunktion
von P53 genauer untersucht (Tutton S
et al., EMBO J (2015) e201490880).
ó Durch verschiedene bioinformatische Methoden habe die Autoren zwei subtelomerische
P53-Bindestellen (P53-response elements) auf
den menschlichen Chromosomen 13q und 18q
identifiziert. In Zellkulturen konnten sie nach
Behandlung mit dem Zytostatikum Etoposid
(das DNA-Brüche induziert) eine entsprechende Bindung von P53 in diesen Regionen
identifizieren. Nach Klonierung dieser P53-response elements in einen Luciferase-Reportervektor und entsprechender Transfektion in Zellen zeigte sich bei Anwesenheit von P53 eine
ca. 100-fache Stimulierung der LuciferaseExpression. Im Bereich der P53-Bindestellen
fanden die Autoren nach Behandlung mit Etoposid vermehrt Nukleosomen mit den Histon-
Lysin-Acetylierungen H3K9ac und H3K27ac,
was zu einer transkriptionellen Aktivierung
führt, allerdings mit etwas unterschiedlichen
Verteilungsmustern.
Y Auf der Suche nach Auswirkungen von P53
auf die Genexpressionen beobachteten die Autoren eine erhöhte Expressionen von p21 (ein
Inhibitor Cyclin-abhängiger Kinasen), PARD6G
(partition-defective protein 6γ, ein Regulator
der Zellpolarität), TERRA (telomere repeat-containing RNA; eine lange, nicht-codierende RNA)
und einer Reihe kleiner RNAs, die als „enhancer-RNAs“ (eRNAs) charakterisiert werden.
Jochen Graw ó
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Mehr Designerrezeptoren und -drogen
Die Entwicklung und Aktivität G-Proteingekoppelter Designerrezeptoren, die
durch exogene, künstliche Liganden aktiviert werden können (DREADDs, G-protein
coupled designer receptors exclusively
activated by designer drugs), wurde hier
bereits ausführlich diskutiert (Thiel G
et al., BIOspektrum (2014) 3:259–262).
Neue Entwicklungen, sowohl auf der
Ebene der Designerrezeptoren, als auch
auf der Ebene der Designerdrogen, steigert die Bedeutung dieser Methode als
chemisch-genetisches Werkzeug für die
Grundlagenforschung sowie die angewandte, pharmakologische Forschung
(Stachniak TJ et al., Neuron (2014)
82:797–808; Chen X et al., ACS Chem
Neurosci (2015) 6:476–484; Vardy E et al.,
Neuron (2015) 86:936-946).
ó Die DREADDs wurden ursprünglich entwickelt, um die Komplexität der intrazellulären
Signaltransduktion G-Protein gekoppelter Rezeptoren zu vermindern, sodass die Funktionen dieser Rezeptorklasse in vitro und in vivo
besser analysiert werden können. Expressionsexperimente in Nervenzellen zeigen, dass
Neurone durch Stimulation Gαq-gekoppelter
DREADDs aktiviert werden, während die Stimulation Gαi-gekoppelter DREADDs die neuronale Aktivität inhibiert. Die Inhibition beruht
auf einer Hyperpolarisation der Nervenzellen
sowie auf einer Unterdrückung der Neurotransmitterfreisetzung. Die DREADD-Technologie ermöglicht es, selektiv und reversibel
neuronale Populationen zu aktivieren bzw. zu
inhibieren. Stachniak et al. entwickelten eine
Axon-exprimierte Variante eines Gαi-gekoppelten DREADDs durch Fusion mit der intrazellulären Domäne des Neurexin-1α-Proteins.
Funktionelle Experimente zeigten, dass die Aktivierung dieses Fusionsproteins die Neurotransmitterfreisetzung hemmt und damit spezifisch synaptische Verbindungen inhibiert. Die
bisher hauptsächlich exprimierten Rαq- bzw
Rαi-gekoppelten DREADDs sind Mutanten des
muskarinischen Acetylcholinrezeptors (Typ III
bzw Typ IV), die durch die Designerdroge Clopazin-N-Oxid (CNO) aktiviert werden. Chen et
al. identifizierten Perlapine und 11-(1-Piperazinyl)-5H-dibenzo[b,e][1,4]-Diazepin als weiterere DREADD-Liganden, die die DREADDs,
nicht aber muskarische Acetylcholinrezepto-
ren aktivieren. Da sowohl die Gαq- als auch
die Gαi-gekoppelten DREADDS durch CNO
aktiviert werden, ist es nicht möglich, in derselben neuronalen Population aktivierende und
hemmende DREADDS gleichzeitig zu exprimieren. Vardy et al. entwickelten deshalb
KORD, ein DREADD, basierend auf den Gαi-gekoppelten kappa-Opioidrezeptor, der durch die
Designerdroge Salvinorin B aktiviert werden
kann. Funktionelle Studien zeigten, dass die
Stimulation dieses Rezeptors in Nervenzellen
zur Hemmung neuronaler Aktivität und Änderung im Verhalten der Tiere führte. Die Ko expression von KORD mit einem CNO-stimulierbaren Gαq-gekoppelten DREADD in derselben Nervenzellpopulation ermöglicht jetzt
die sequenzielle und bidirektionale Kontrolle
des Verhaltens durch Aktivierung bzw. Inhibition der neuronalen Aktivität.
Y Die Weiterentwicklung der DREADD-Technologie unterstreicht das Potenzial dieser
Technik. Insbesondere die Tatsache, dass damit
Neuronen selektiv aktiviert oder inhibiert werden können, eröffnet vielversprechende Studien für die Zukunft.
Gerald Thiel ó
Chaperon-abhängige Insertion und Faltung von Membranproteinen
Zu den ungelösten Fragen der Biowissenschaften zählt, wie Proteine ihre dreidimensionale Struktur gewinnen. Zudem
müssen Membranproteine in Membranen
inserieren und darin ihre aktive Struktur
einnehmen. Ein bevorzugtes Objekt für
das Studium von Proteininsertionen in
Membranen ist die äußere Membran (OM)
von Escherichia coli, da sie mit vergleichsweise wenigen, in hoher Konzentration vorkommenden Proteinen und den
hoch entwickelten molekularbiologischen
Methoden experimentell gut zugänglich
ist.
ó FhuA in der OM von E. coli ist eines dieser
Modellproteine mit multiplen Funktionen z. B.
als Transporter von Eisenchelatverbindungen
und Antibiotika oder Rezeptor von Phagen und
Proteintoxinen. Es bildet in der OM ein β-barrel aus 22 Transmembransegmenten (11 Haarnadeln), dessen Pore durch ein N-terminales
globuläres Segment verschlossen ist. Während
FhuA das Periplasma passiert, wird seine falsche Faltung und Aggregation durch die Chaperone SurA und Skp verhindert. J. Thoma
et al. (Nature Struct Molec Biol (2015) 22:795–
BIOspektrum | 01.16 | 22. Jahrgang
802) untersuchten mithilfe der atomic force
microscopy (AFM), wie die beiden Chaperone
die Insertion und Faltung von FhuA in der OM
bestimmen. Die AFM-Spitze bindet bevorzugt
an den N-Terminus von FhuA, löst sich jedoch
häufig wieder, sodass 10.000 Einzelmolekülmessungen für ein Faltungsexperiment notwendig sind. Als Antwort auf die angewandte
Kraft entfaltet sich FhuA, inseriert in Lipidmembranen in diskreten Schritten, die den einzelnen elf Haarnadeln entsprechen. Partiell
entfaltetes FhuA (N-Terminus plus Haarnadeln
H1-H8) faltet nicht in die native Konformation,
wohl aber bei Zugabe von SurA. Einzelne Haarnadeln inserieren wieder in die Membran. Ohne SurA und Skp liegt die Missfaltung von FhuA
bei 60 %, mit SurA bei 14 % und mit Skp bei
12 %. Mit SurA sind 40 %, mit Skp 14 % von
FhuA nativ gefaltet. Skp stabilisiert mit 73 %
vor allem ungefaltetes FhuA, SurA 46 %. Beide
Chaperone verhindern in erheblichem Maß die
Missfaltung von FhuA. Darüber hinaus erleichtert SurA bevorzugt die Insertion gefalteter Haarnadeln in die Membran. Nach 10 s sind
sieben Haarnadeln in die Membran inseriert.
Die durchschnittliche Faltungsgeschwindigkeit
einer einzelnen Haarnadel liegt bei 0,68 s–1.
Die Lebensdauer des FhuA-Skp-Komplexes
liegt bei 102 min, die von FhuA-SurA bei
12 min. FhuA ist nur in Anwesenheit von SurA
oder Skp wasserlöslich. NMR-Studien zeigen,
dass Chaperon-gebundenes, ungefaltetes
FhuA multiple dynamische Konformationen
einnimmt, die in schnellem Austausch (< 1 ms)
begriffen sind.
Y Die lange Lebenszeit der FhuA-Chaperonkomplexe ist geeignet, im Periplasma die Missfaltung neu synthetisierten FhuA-Proteins zu
verhindern. Die Konformationsdynamik der
Komplexe erlaubt, sequenziell Haarnadeln in
die Membran zu inserieren, bis ein vollständig
nativ gefaltetes FhuA vorliegt. Chaperone spielen nicht nur eine essenzielle Rolle bei der Biogenese der OM Gram-negativer Bakterien, sondern auch von Mitochondrien und Chloroplasten, die einen der bakteriellen OM homologen Insertionsapparat besitzen. Erkenntnisse,
die mit FhuA und seinen Chaperonen SurA und
Skp gewonnen werden, sind daher relevant für
den Einbau von β-barrel-Proteinen in Eukaryotenmembranen.
Volkmar Braun ó
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Unerwartete Vielfalt bei den Methanarchaeen: die Bathyarchaeota
ÿ Genvarianten beeinflussen den Ausbruch von Chorea Huntington
ÿ Neuer Wirkungsmechanismus eines bakteriellen Typ II-Toxins
ÿ Kaliumionen als Signalgeber bakterieller Zell-Zell-Kommunikation
Unerwartete Vielfalt bei den Methanarchaeen: die Bathyarchaeota
Methanogene bilden eine besondere
physiologische Gruppe, die mit einer Vielzahl an ungewöhnlichen Kofaktoren und
Enzymen ausgestattet ist, um Methan zu
bilden. Kürzlich wurden neue Methanarchaeen entdeckt, die nur noch entfernt
verwandt sind mit den bisherigen Methanogenen und damit die Tür öffnen zu
einer neuen Vielfalt im Methanzyklus.
ó Alle bisher bekannten Methan-produzierenden oder Methan-abbauenden Archaeen
gehören zu den Euryarchaetoa, weshalb man
davon ausgegangen war, dass die Fähigkeit,
mit dem Schlüsselenzym Methyl-CoM-Reduktase Methan zu produzieren oder zu aktivieren, dieser Organismengruppe eigen war. Im
Oktober 2015 veröffentlichte ein australisches
Forscherteam um Gene Tyson (Evans PN et al.,
Science (2015) 350:434–438) zwei nahezu
vollständig rekonstruierte Genome von Ar-
chaeen, die zwar das Gen für die Methyl-CoMReduktase enthielten, aber nicht zu den Euryarchaeota gehören. Beide Genome codieren
neuartige Methyltransferasen, die nahelegen,
dass die neu entdeckten Methanarchaeen
Methan aus methylierten Verbindungen bilden
könnten. Im Vergleich zu den Euryarchaeota
fehlt diesen Archaeen allerdings eine Vielzahl
an Proteinen, die für Methanogenese eigentlich unerlässlich sind, wie etwa ATP-Synthase,
F420-reduzierende Hydrogenasen oder Proteine des Membran-gebundenen Elektronentransports. Wahrscheinlich benutzen die Archaeen, die zu den Bathyarchaeota gehören,
organische Verbindungen wie Laktat als
Elektronendonor, wodurch sie auf viele sonst
kanonische Proteine verzichten können. Wie
dieser Stoffwechsel allerdings Energie konservieren kann, bleibt ein Rätsel. Zusätzlich
zeigten die Forscher, dass die Bathyarchaeo-
ta auch in anderen Metagenomen zu finden
sind und damit möglicherweise einen signifikanten Beitrag zum Methanzyklus leisten – es
scheinen aber nicht alle Bathyarchaeota auch
Methanarchaeen zu sein, und darüber hinaus
besteht auch die Möglichkeit, dass Methan
nicht produziert, sondern von diesen Organismen abgebaut wird.
Y Die neu entdeckten Bathyarchaeota erweitern die Artenvielfalt der Methanarchaea, die
das Schlüsselenzym Methyl-CoM-Reduktase nutzen, um Methan zu produzieren oder abzubauen. Die Gensequenz dieses Enzyms ist
bekannten Sequenzen so unähnlich, dass
Umweltstudien diese Organismengruppe bisher nicht erfasst haben. Neue molekulare Werkzeuge müssen entwickelt werden, um dem
erweiterten Methanzyklus gerecht zu werden.
Cornelia Welte ó
Genvarianten beeinflussen den Ausbruch von Chorea Huntington
Chorea Huntington (Huntington-Krankheit, HD) ist eine progressive Erkrankung
des Gehirns, die autosomal dominant vererbt wird und nach durchschnittlich 18
Jahren zum Tod des Patienten führt. Die
Ursache der Krankheit ist ein short tandem repeat (STR) in der codierenden
Sequenz des Huntingtin-Proteins auf dem
Chromosom 4. Die drei Basen CAG werden normalerweise 10- bis 34-mal wiederholt und dies führt zur gleichen Anzahl
von Wiederholungen von Glutamin im
Huntingtin. HD-Patienten besitzen 42 bis
100 Wiederholungen der CAG-Sequenz im
dominanten Allel, wobei sich mit steigender Zahl der Wiederholungen die Symptome früher bemerkbar machen.
ó Bei manchen Patienten liegt der Beginn der
Symptome allerdings früher als die Zahl der
Wiederholungen erwarten ließe. Es könnte
folglich sein, dass HD durch den Ausfall ande-
rer Stoffwechselfunktionen erst auf den Weg
gebracht wird. Ein Konsortium aus den USA,
UK und Deutschland hat im Erbgut dieser untypischen Patienten genomweit nach Einzelnukleotid-Mechanismen (single nucleotide
polymorphisms, SNPs) gesucht, welche mit
dem frühen Krankheitsbeginn korrelieren (Genetic Modifiers of Huntingon’s Disease (GeMHD) Consortium, Cell (2015) 162:516–526).
Für HD-Patienten mit 40 bis 53 CAG-Wiederholungen wurde die zu erwartende Zeit des Beginns der neurologischen Symptome berechnet. Das Konsortium identifizierte zwei unabhängige SNPs auf dem Chromosom 15, welche
mit einer Vorverlagerung der neurologischen
Symptome um 6,1 Jahre beziehungsweise
1,4 Jahre verbunden waren. Die Loci sind mit
den Kandidatengenen MTMR10 (myotubularin
related protein 10) und FAN1 (Fanconi anemia
FANC1/FANCD2-associated nuclease 1) assoziiert. Ein Lokus auf Chromosom 8 konnte mit
einer Beschleunigung der Symptome um
1,6 Jahre assoziiert und zwei Kandidatengene
ermittelt werden: RRM2B (P53-induzierbare
Ribonucleotidreduktase M2 B) und UBR5 (Ubiquitin-Protein-Ligase). Unter den identifizierten SNPs, die jedoch keine genomweite Signifikanz zeigten, war ein SNP auf dem Chromosom 3, welcher sich im MLH1-Gen (DNAMismatch-Reparaturgen) befindet und mit einer Verlangsamung des Beginns der Symptome um 0,9 Jahre assoziiert ist. Damit gehören die identifizierten Kandidatengene zu Funktionen des DNA-Stoffwechsels oder der DNAReparatur.
Y Die Ergebnisse des HD-Konsortiums eröffnen Wege zur Entwicklung von Medikamenten,
die die Pathogenese von HD beeinflussen, oder
vielleicht sogar gänzlich verhindern.
Horst Lohrer ó
BIOspektrum | 01.16 | 22. Jahrgang
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Neuer Wirkungsmechanismus eines bakteriellen Typ II-Toxins
Toxin-Antitoxin(TA)-Systeme bestehen aus
einem stabilen Toxin, das bei Überexpression zum Zelltod führt, und einem instabilen Antitoxin, das dessen Toxizität neutralisiert. In Typ II-TA-Systemen ist das Antitoxin ein kleines Protein, das mit dem
Toxinprotein interagiert. Die Rolle der
meisten chromosomal codierten TA-Systeme ist noch unbekannt.
ó Die Arbeitsgruppen von C. Dehio und K.
Gerdes entdeckten mit FicTA ein neues Typ IITA-System, bei dem das Toxin FicT – Mitglied
einer konservierten und verbreiteten Familie –
einen bislang unbekannten Mechanismus zur
Inaktivierung seiner Targets verwendet (Harms
A et al. (Cell Reports (2015) 12:1497–1507),
und zwar die Adenylierung von Gyrase B und
Topoisomerase IV. Diese Modifikation inaktiviert die ATPase-Aktivität beider Enzyme und
führt zur Störung der zellulären DNA-Topologie, was sich u. a. in einer DNA-Relaxation
widerspiegelt. Die bisher bekannten Wirkungsmechanismen von Typ II-Toxinen umfassen die Spaltung von mRNA und die Phosphorylierung von Translationsfaktoren. Das erste Typ II-Toxin, für das überhaupt ein Target
identifiziert wurde, war das plasmidcodierte
CcdB, das die Gyrase-Untereinheit A nichtko-
valent bindet und damit das Enzym irreversibel vergiftet, was sich in DNA-Doppelstrangbrüchen äußert. Im Unterschied zu diesen
Toxinen ist die Wirkung von FicT reversibel.
Y FicTA-Systeme haben in vivo wahrscheinlich Bedeutung für die Persistenz, einen Mechanismus, bei dem Zellen z. B. nach AntibiotikaWirkung in einen zeitweisen Ruhezustand übergehen, aus dem sie später „wiedererweckt“ werden können. Da FicT ähnlich wie das Antibiotikum Gyramid wirkt, könnte es pharmazeutische Anwendung finden. Zum anderen wäre es
als Tool für weitere in vivo-Studien zur bakteriellen DNA-Topologie geeignet.
Sabine Brantl ó
Kaliumionen als Signalgeber bakterieller Zell-Zell-Kommunikation
Während die strukturelle Ähnlichkeit pround eukaryotischer Kaliumkanäle lange
bekannt ist, zeigt sich nun auch eine
bedeutende vergleichbare Funktion: In
bakteriellen Biofilmen vermitteln Kaliumkanäle eine elektrische Signalübertragung, die der Zell-Zell-Kommunikation
dient und als Vorläufer der neuronalen
Signalübertragung gelten könnte.
ó In einer früheren Studie hatten J. Liu et al.
(Nature (2015) 523:550–554) beschrieben,
dass Biofilme von Bacillus subtilis ab einer bestimmten Schwelle in periodischen Zyklen
wachsen. Dieses Wachstumsverhalten ist in
der mangelnden Verfügbarkeit von Glutamat
für die innen liegenden Zellen begründet, woraus ein Mangel an Ammonium für die gesam-
te Population resultiert. Unklar war, wie ein solcher Mangel über die bakterielle Gemeinschaft
kommuniziert würde. A. Prindle et al. (Nature
(2015) 527:59–63) zeigen nun, dass eine aktive elektrische Signalübertragung die Zell-ZellKommunikation selbst über lange Distanzen
ermöglicht. Hierbei führt ein nicht bekannter
Reiz zunächst zum Kaliumausfluss aus den
innenliegenden Zellen, der sich dann wellenartig durch den Biofilm fortsetzt, indem stets
die benachbarten Zellen depolarisiert werden.
Da in B. subtilis der Import von Glutamat an die
Aufnahme von Protonen und somit an die protonenmotorische Kraft gekoppelt ist, nehmen
die außen liegenden, depolarisierten Zellen weniger Glutamat auf, das dadurch für die innen
liegenden, hyperpolarisierten Zellen verfügbar
ist. Verantwortlich für den Kaliumefflux ist der
Kaliumkanal YugO, der bereits früher als für die
Biofilm-Bildung essenziell beschrieben wurde
(Lundberg ME et al., PLoS One (2013)
8:e60993.
Y Die Entdeckungen von Prindle et al. werden der Erforschung von Zellgemeinschaften
und bakteriellen Kaliumkanälen neuen Auftrieb geben. Es wird sich zeigen, ob ähnliche
Mechanismen der Signalübertragung in anderen Zellgemeinschaften zu finden sind. Gleichzeitig ist die Signalweiterleitung auf molekularer Ebene zu erklären, weshalb es einer
genaueren Untersuchung der Regulation der
beteiligten Kaliumkanäle bedarf.
Inga Hänelt ó
Prof. Dr. Jochen Graw, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg,
[email protected]
Prof. Dr. Gerald Thiel, Universität des Saarlandes, Medizinische Biochemie und Molekularbiologie, Campus Universitätsklinikum, Gebäude 44, D-66421 Homburg/Saar,
[email protected]
Prof. Dr. Volkmar Braun, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Spemannstraße 35, D-72076 Tübingen, [email protected]
Dr. Cornelia Welte, Radboud University Nijmegen, Heyendaalseweg 135, NL-6525 AJ Nijmegen, Niederlande,
[email protected]
Dr. Horst D. Lohrer, Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Anton-Günther-Straße 51, D-72488 Sigmaringen, [email protected]
PD Dr. habil. Sabine Brantl, AG Bakteriengenetik, Universität Jena, Philosophenweg 12, D-07745 Jena, [email protected]
Dr. Inga Hänelt, Institut für Biochemie, Universität Frankfurt a. M., Max-von-Laue-Straße 9, D-60438 Frankfurt a. M., [email protected]
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