«Wir müssen meiner Meinung nach nicht mehr lange verhandeln»

*NZZ am Sonntag
06.03.2016
«Wir müssen meiner Meinung nach
nicht mehr lange verhandeln»
Aussenminister Didier Burkhalter ist trotz Differenzen in Details zuversichtlich, mit
Brüssel bei der Personenfreizügigkeit einen Kompromiss zu finden. Man sei mit der
EU nahe an einer Lösung
VON STEFAN BÜHLER
NZZ am Sonntag: Der Bundesrat droht der EU mit einer einseitigen
Schutzklausel zur Drosselung der Zuwanderung, falls man bei der Umsetzung
der Zuwanderungsinitiative keine gemeinsame Lösung findet. Wäre es nicht
ehrlicher, für diesen Fall die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens in
Aussicht zu stellen?
Nein, das wäre ein falsches Signal. Wir wollen zwar die Migration selber steuern,
aber gleichzeitig den bilateralen Weg erhalten. Dafür gibt es nur einen guten Weg:
eine einvernehmliche Schutzklausel, basierend auf dem Freizügigkeitsabkommen.
Das weiss die EU-Kommission so gut wie wir, im Grundsatz sind wir uns darüber
einig. Bei wichtigen Details gibt es aber noch Differenzen. Zudem will Brüssel bis zur
Abstimmung über den Austritt Grossbritanniens aus der EU am 23. Juni nicht
zugleich öffentlich über eine Lösung mit der Schweiz debattieren. Darum können wir
im Moment nicht vorwärtsgehen.
Nach dem 23. Juni geht es dann schnell?
Das wäre das beste Szenario. Dass die EU an einer gemeinsamen Lösung
interessiert ist, zeigt sich an den intensiven Gesprächen, die wir seit einem Jahr
führen. Wir müssen meiner Meinung nach auch nicht mehr lange verhandeln, denn
wir sind mit der EU nahe an einer Lösung.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag einer einseitigen Schutzklausel zum
jetzigen Zeitpunkt doch gar nicht nötig.
Ich verstehe die Kritik. Es gab in der Tat zwei Möglichkeiten: Zuwarten bis im
Sommer und auf eine schnelle Einigung hoffen. Oder dem Parlament einen
Vorschlag unterbreiten, wie von uns im Dezember angekündigt. Wir haben uns auch
aus institutionellen Gründen entschieden, nun das Parlament einzubeziehen. So hat
es genug Zeit, sich seriös und gemäss den Verfassungsbestimmungen mit dem
Thema auseinanderzusetzen und die vorgeschriebenen Fristen einzuhalten. Zudem
ist trotz gutem Willen nicht sicher, ob die rasche Lösung mit der EU tatsächlich
zustande kommt.
Aber insgeheim wünschen Sie, dass das Parlament die einseitige
Schutzklausel ablehnt?
Das Parlament muss selber entscheiden, was es will. Aber wir wiederholen immer
wieder, dass es nur einen Weg gibt, der Rechtssicherheit herstellen kann: die
einvernehmliche Lösung mit der EU im Rahmen der Bilateralen. Die einseitige
Schutzklausel schlagen wir lediglich für den Fall vor, dass es keine Lösung mit
Brüssel gibt. Sie ist zwar verfassungskonform, hat aber viele Nachteile. So gibt es
etwa ein Bundesgerichtsurteil, das festhält, dass man sie in einem konkreten
Einzelfall nur anwenden kann, wenn man die Personenfreizügigkeit kündigt. Das
unilaterale Vorgehen ist sicher nicht die erste Wahl.
Der Bundesrat schlägt eine Schutzklausel mit Höchstzahlen und Kontingenten
vor, was für Brüssel kaum infrage kommt. Hätte man nicht weichere Kriterien
vorschlagen können, um der EU guten Willen zu signalisieren?
Wir schlagen sowohl quantitative als auch qualitative Massnahmen vor. Es braucht
aber die Möglichkeit von Höchstzahlen zur Beschränkung der Zuwanderung, damit
unser Vorschlag verfassungskonform ist.
Folglich müssen auch in einer Lösung mit der EU konkrete Zahlen enthalten
sein, damit sie verfassungskonform ist?
Die konkreten Zahlen müssten je nach der wirtschaftlichen Lage festgesetzt werden;
aber quantitative Kriterien müssten in einer einvernehmlichen Schutzklausel
enthalten sein. Das ist eine der Fragen, über die wir mit der EU noch verhandeln.
Die andere ist, wer entscheidet, dass die Schweiz Massnahmen gegen zu starke
Einwanderung ergreifen darf. Wir werden sehen, was wir in den Gesprächen mit der
EU aushandeln können - es wird ein Kompromiss sein. Sind quantitative Kriterien
drin, ist die Lösung wirklich gut und verfassungskonform. Ohne diese Kriterien wäre
sie wohl nicht verfassungskonform, doch hätten wir wenigstens einen Gewinn an
Rechtssicherheit. Das müsste man abwägen: Will man eine wortgetreue Umsetzung
der Initiative, oder geht man den Weg, der die grösste Rechtssicherheit bietet? Für
mich ist die Rechts- und Planungssicherheit sehr wichtig, denn sie stärkt unsere
Unternehmen und die Perspektiven für die nächsten Generationen.
In den Beschlüssen des Bundesrats vom Freitag steht nichts mehr von einem
institutionellen Rahmenabkommen mit der EU. Ist Ihr Traum, mit einem
umfassenden Vertragspaket die Bilateralen für 20 Jahre zu sichern, geplatzt?
Nein, wir verhandeln weiter über die institutionellen Fragen, auch diese Woche
gerade wieder. Aber das Rahmenabkommen ist nicht so dringend wie die Frage der
Personenfreizügigkeit. Hier muss es nun schnell gehen.
Welche Reaktionen erwarten Sie von den EU-Staaten auf den Vorschlag des
Bundesrates?
Ich habe mit vielen Aussenministern aus der EU schon im Vorfeld unseres
Entscheids gesprochen. Ich habe ihnen unser Vorgehen erklärt und sie darauf
hingewiesen, dass wir eine einvernehmliche Lösung wünschen und mit aller Kraft
darauf hinarbeiten.
Und wie haben sie reagiert?
Stets gleich: Dass auch sie sich eine einvernehmliche Lösung mit der Schweiz
wünschen, die Hauptgrundsätze der Personenfreizügigkeit für sie aber nicht
verhandelbar seien.
Am Freitag hat die Schweiz das Protokoll zur Ausweitung der
Personenfreizügigkeit auf Kroatien unterzeichnet. Ist die Teilnahme an den EUForschungsprogrammen gesichert?
Das hängt auch vom politischen Willen ab. Indem wir mit Kroatien vorwärtsmachen,
ist eine Bedingung der EU erfüllt. Aber es braucht auch eine Lösung bei der
Personenfreizügigkeit. Je nach dem müssen wir sehen, ob es eine weitere
Zwischenlösung braucht. Bei der Forschungszusammenarbeit darf man auch nicht
meinen, nur die Schweiz wünsche sich etwas von der EU. Denn in der
Spitzenforschung geht es um den Wettbewerb der Kontinente. In diesem
Wettbewerb kann die EU vom Beitrag der Schweizer Forscher sehr stark profitieren,
das zeigen alle verfügbaren Kennzahlen. Es ist also auch im Interesse Brüssels, mit
uns in den Forschungsprogrammen zu arbeiten.