*Die Südostschweiz 21.01.2016 «Wir haben den Austausch vorgeschlagen» Aussenminister Didier Burkhalter erzählt im Interview, wie die Schweiz die Freilassung von amerikanischen Häftlingen im Iran aufgegleist hat. Und er sagt, was passiert, wenn die EU im Streit um die Personenfreizügigkeit hart bleibt. VON LORENZ HONEGGER Für den Bundesrat ist das WEF eine einmalige Gelegenheit, ausländische Minister und EU-Kommissare informell und mit wenig protokollarischem Aufwand zu treffen. Dieses Jahr sind sechs Mitglieder der Landesregierung in Davos zugegen. Aussenminister Didier Burkhalter nutzt unter anderem die Gelegenheit, den EUVertretern den Schweizer Standpunkt im verfahrenen EU-Dossier näher zu bringen. Herr Bundesrat, mit welcher Mission sind Sie ans WEF nach Davos gereist? DIDIER BURKHALTER: Ich konzentriere mich auf zwei Themen: die Beziehungen der Schweiz zur EU sowie den Nahen und Mittleren Osten, wo wir einen Beitrag zum Frieden leisten wollen. Davos eignet sich sehr gut für solche Gespräche, obwohl es manchmal etwas chaotisch ist. In der Nahost-Diplomatie scheint die Schweiz in der Top-Liga angekommen zu sein: US-Präsident Barack Obama hat uns vor wenigen Tagen für die «entscheidende Hilfe» beim Gefangenenaustausch mit dem Iran gedankt. Worin bestand diese Hilfe? Die Schweiz ist seit langem Schutzmacht der USA im Iran. Das Mandat beinhaltet auch die konsularische Betreuung von Gefangenen mit amerikanischer Staatsbürgerschaft. In dieser Funktion haben wir den beiden Seiten einen Gefangenenaustausch vorgeschlagen und unsere guten Dienste als Vermittlerin angeboten. Wie kam es dazu? In solchen Situationen fehlt es am Anfang oft an Vertrauen. Man muss irgendwie erreichen, dass die Leute miteinander sprechen. Das kann nur ein Land, das neutral, glaubwürdig und effizient ist und bei der Vermittlung eine gewisse Expertise hat. Wie waren Sie selber involviert? Es fanden zahlreiche geheime Gespräche zwischen den Delegationen des Irans, der USA und der Schweiz statt. Bei Schwierigkeiten wurden direkte Kontakte auf Ministerebene nötig, im Fall der USA mit John Kerry. Wir kennen uns seit der OSZEPräsidentschaft 2014 der Schweiz sehr gut. Auf Englisch würde man vielleicht sagen, wir sind «close». Wir haben manchmal verschiedene Meinungen, doch wir können immer darüber sprechen. Es gibt Stimmen, die sagen, dank dem Gefangenenaustausch und dem amerikanisch-iranischen Atomabkommen werde ein neuer Krieg im Nahen Osten verhindert. Darf die Schweiz einen Teil der Lorbeeren für sich beanspruchen? Wir spielten eine bescheidene Rolle. Doch der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Die jahrzehntelangen Spannungen zwischen den USA und dem Iran werden nicht einfach verschwinden. Wir befinden uns an einer wichtigen Wegmarke der Geschichte. In Kuba ist die Schweiz seit Kurzem nicht mehr Schutzmacht: Die USA betreiben wieder eine eigene Botschaft in Havanna. Ist eine ähnliche Entwicklung in Teheran absehbar? Die Situation ist anders als in Kuba. In Havanna hatte die Schweiz am Schluss kaum noch Aufgaben. Das Schutzmachtmandat im Iran werden wir jedoch noch längere Zeit behalten. Als Aussenminister ist es mein Ziel, diese Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen. Reden wir über die EU: Die Gespräche über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative kommen in die heisse Phase. In wenigen Wochen ist klar, ob Brüssel Hand bietet zur Einführung einer Schutzklausel zur Steuerung der Zuwanderung. Wo stehen wir? Es gibt drei Szenarien. Im besten Fall einigen wir uns mit Brüssel bis Ende Februar, Anfang März, einvernehmlich auf eine Schutzklausel. Das wäre für beide Seiten mit Abstand die beste Lösung. Szenario 2: Wir können uns nicht einigen. Dann schlägt der Bundesrat dem Parlament eine einseitige Schutzklausel vor. In einem dritten Szenario beginnen wir die Umsetzung der Initiative mit einer einseitigen Lösung, unterbreiten dem Parlament jedoch später, im April oder Mai, eine Zusatzbotschaft mit einer einvernehmlichen Schutzklausel. Eine weitere zentrale Frage lautet, ob die Schweiz das Abkommen zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien unterschreibt – denn das verstösst eigentlich gegen die Initiative. Ohne Unterzeichnung werden Schweizer Hochschulen jedoch bei der Forschungszusammenarbeit mit der EU benachteiligt. Im Fall einer einvernehmlichen Schutzklausel können wir das Kroatien-Protokoll unterschreiben und wieder über eine volle Teilnahme am Forschungsrahmenabkommen Horizon 2020 verhandeln. Bei der einseitigen Lösung ist es offen: Der Bundesrat müsste entscheiden, ob wir das Protokoll unterschreiben. Wir würden vermutlich eine Erklärung abgeben, dass wir Kroatien gegenüber den anderen EU-Staaten nicht benachteiligen. Reicht das, um den Zugang der Hochschulen zu Forschungsgeldern zu gewährleisten? Das ist zweifelhaft. Wichtig finde ich: Gut ist nur die einvernehmliche Lösung, sowohl für die Schweiz als auch die EU. In der Forschung gibt es einen harten Wettbewerb zwischen den Kontinenten. Es kann nicht im Interesse Europas sein, dass einer der führenden Hochschulstandorte benachteiligt wird. Es gibt genug Krisen: Niemand braucht eine Krise EU-Schweiz. Bald stimmt Grossbritannien über den Verbleib in der EU ab. Was für einen Einfluss hätte ein Austritt, ein «Brexit», für die Schweiz? Die Schweiz und Grossbritannien sind zwei verschiedene Fälle, die man nicht vermischen sollte. England ist ein EU-Mitgliedsstaat, wir nicht. In England geht es in der öffentlichen Debatte vor allem um Sozialleistungen für Einwanderer, in der Schweiz nicht. Wo stehen die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen, das die Übernahme von EU-Recht durch die Schweiz regelt? Wir sind immer noch am Verhandeln. Das bisherige Ergebnis sieht so aus: Es wird keine automatische Rechtsübernahme geben, gemäss dem Verhandlungsmandat des Bundesrates. Dazu haben wir auch erreicht, dass es keine supranationale Überwachungsbehörde geben wird. Wenn die EU neues Recht einführt, das die bilateralen Abkommen betrifft, kann die Schweiz ihre Meinung einbringen. Unser politisches System wird ganz klar respektiert, das heisst, wir haben Zeit für ein Referendum. Was geschieht bei Differenzen? Bei Unstimmigkeiten nimmt der Europäische Gerichtshof eine Rechtsinterpretation vor. Diese Interpretation stellt noch keinen abschliessenden Entscheid dar, sondern einen verbindlichen Lösungsrahmen. Die Interpretation des Gerichtshofs wird in einem zweiten Schritt vom gemischten Ausschuss der Schweiz und der EU behandelt, wo wir in der Lage sein sollten, fast alle Probleme zu lösen. Sollte das einmal nicht der Fall sein, kann die Schweiz politisch entscheiden und neues EURecht falls nötig ablehnen. Die Folge wären Strafmassnahmen. Man spricht von Kompensationsmassnahmen, weil es dann ein Ungleichgewicht im Abkommen gibt. Diese sind zurzeit noch Gegenstand von intensiven Gesprächen. Wenn diese Frage geklärt ist, können wir die Verhandlungen abschliessen. Die Schweiz hat demzufolge keinen Zeitdruck? Nein, die Frage der Rechtsübernahme wurde von der Europäischen Union initiiert. Wir sind bereit zu verhandeln und haben mit unserem Vorschlag einen Sprung gewagt: Mit einer institutionellen Lösung wird die Rechtssicherheit der Schweizer Akteure im Binnenmarkt für die nächste Generation erhöht.
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