Kipptischuntersuchung - Welchen Stellenwert hat sie?

PRAKTISCHE KARDIOLOGIE
- JOURNAL BY FAX
IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM BUNDESVERBAND NIEDERGELASSENER KARDIOLOGEN
Redaktion: D. JESINGHAUS, Saarbrücken; I. KRUCK, Ludwigsburg; F. SONNTAG, Henstedt-Ulzburg; N. WITTLICH, Mainz; R. ZIMMERMANN, Pforzheim
Für den BNK: N. SMETAK, Kirchheim (Erster Bundesvorsitzender); J.-H. WIRTZ, Dinslaken (Stellvertr. Bundesvorsitzender), F. de HAAN, Solingen
18. Jahrgang 2015; Nr. xx
Was diagnostiziert man mit der Kipptischuntersuchung:
die orthostatische Disposition ‒ Eine Neubewertung
Wir kennen 4 Synkopentypen:
1. Die Reflexsynkope, bei der die normalen Kreislaufreflexe
vorübergehend dysfunktional werden (nach emotionaler
Erregung, langem Stehen, bei Blutentnahme, bei Vagusreizung),
2. die orthostatische Hypotension, bei der eine nicht ausreichende Antwort des autonomen Nervensystems nach kürzerem oder längerem Stehen zu einem Blutdruckabfall und
so zum Bewusstseinsverlust führt,
3. die kardiale Synkope bei Rhythmusstörungen oder bestimmten Herzerkrankungen (Aortenklappenstenose, HOCM) und
4. andere Ursachen (Epilepsie verschiedenen Typs, Vertebralisinsuffizienz, Polyneuropathie, Sturzanfälle).
Häufig ist eine rasche Zuordnung zu einer der Gruppen über
Anamnese und Basisuntersuchungen (EKG, Auskultation,
Stehtest) möglich.1 Es bleibt aber ein Anteil von 20-30 % der
Patienten, bei denen dies nicht gelingt und bei denen eine weitere Abklärung erforderlich ist. Hier, so hoffte man, als 1986
erste Publikationen zu dieser Methode erschienen, sollte die
Kipptischuntersuchung zur Aufdeckung von Kreislaufregulationsstörungen hilfreich sein. Wie so häufig bei Neuerungen:
Zuerst Euphorie, dann Ernüchterung und Enttäuschung. Nach
über 2.000 Veröffentlichungen in den letzten 28 Jahren ist die
Zeit für eine Neubewertung gekommen.2
Gerade da, wo man sich Klärung durch die Untersuchung erhoffte, nämlich bei Patienten mit Synkopen unklarer Ätiologie,
floppte sie: Bei 51-56 % war das Ergebnis positiv, aber auch
bei etwa 45 % der Patienten mit nachgewiesener rhythmogener Synkope. „Stopp!! Da kann ich die Untersuchung doch
gleich ganz sein lassen“. Bitte nicht das Kind mit dem Bade
ausschütten. Die Kipptischuntersuchung ist evaluiert worden.
Als Referenzgruppe dienten zum Einen diejenigen, die sicher
eine Reflexsynkope gehabt hatten (s.o.) und zum Anderen die,
die noch nie ohnmächtig geworden waren. Und hier waren die
Ergebnisse vernünftig: Bei der ersten Gruppe ergab sich eine
Sensitivität von 78-92 % (der Test war positiv bei denjenigen
mit Reflexsynkope) und für die zweite eine Spezifität von 87-92
% (der Test war negativ bei denjenigen ohne Synkope). Dies
sind in der Tat gute Werte für eine Untersuchungsmethode.
Wieso kommt es dann zu den positiven Ergebnissen bei denen
mit anderen Synkopenursachen?
Die Neigung, auf das Stehen mit einem Blutdruckabfall zu reagieren, ist weit verbreitet. Wer kennt es nicht, dass ihm in
bestimmten Situationen mulmig wird und er den Drang verspürt sich festzuhalten oder hinzusetzen? Und diese hypotensive Disposition ist wie andere biologische Variablen in
unterschiedlichem Ausprägungsgrad bei dem Einzelnen vorhanden. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Zustände bei
den einen zu einer Ohnmacht führen und bei anderen eben
nicht. Wenn jemand mit ausgeprägter hypotensiver Disposition Rhythmus-störungen bekommt, wird das bei ihm früher zu
einer Synkope führen als bei jemandem mit geringer Neigung
hierzu; d.h. auslösendes Ereignis plus hypotensive Disposition
führen zur Synkope (wobei es Ereignisse ‒ wie z.B. eine lange
Asystolie ‒ gibt, die stets eine Ohnmacht zur Folge haben).
Der Bedeutung der Methode verschiebt sich von der Diagnosefindung zur Festlegung des Ausmaßes der hypotensiven
Disposition. Für einige Spezialfälle hat sie noch einen bedeutenden Stellenwert. Bei einer Reflexsynkope, die ja mit einer
Hypotension und/oder Bradykardie einhergeht, kann man bei
Patienten, die bei der Untersuchung eine Bradykardie (und
nicht eine Hypotonie) als Auslöser für Synkope haben, mit Erfolg einen Schrittmacher einsetzen, während dies bei denen
mit einer Hypotonie mit und ohne Bradykardie keinen Erfolg
verspricht (bei 55 % innerhalb der nächsten 2 Jahre RezidivSynkope). Daneben bleibt die Kipptischuntersuchung für die
Diagnosik einer psychogenen Pseudosynkope, bei verzögerter orthostatischer Hypotension und bei dem Postural Orthostatic Tachycardia Syndrom3 ein wichtiges Hilfsmittel.
Zusammenfassung
Mit der Kipptischuntersuchung kann man die Disposition
eines Individuums zur hypotonen Reaktion bei Orthostase
beschreiben. Diese ist erwartungsgemäß bei Patienten mit
Reflexsynkope und Synkope aufgrund einer orthostatischen
Hypotension stark ausgeprägt, kann aber auch bei kardial
bedingten Synkopen vorhanden sein. Deshalb eignet sich die
Kipptischuntersuchung nur eingeschränkt zur Differenzierung
der Synkopentypen. Sinnvoll kann sie eingesetzt werden bei
speziellen Fragestellen (Reflexsynkope nur durch Bradykardie? Psychogene Synkope? POTS?).
Peter Grooterhorst, Mülheim
Literatur: 1. Guidelines for the Diagnosis and Management of Syncope (2009) ESC Guidelines. European Heart Journal 30: 2631-2671
2. Sutton R, Brignole M (2014) 28 years of research permit reinterpretation of tilt-testing: hypotensive susceptibility rather than diagnosis.
Eur Heart J 35: 2212-12 3. s. POTS – Die Frauen mit dem kleinen Herzen im Journal by Fax 2011. Anstieg der Herzfrequenz um > 30/
min. Kurz nach dem Aufstehen, einerhegend mit vegetativen Symptomen, nicht aber mit einem Blutdruckabfall, meist junge Frauen.
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