Prof. Dr. Frank Saliger Übung im Strafrecht für Anfänger Sommersemester 2015 Einheit 9 15. Juli 2015 Diebstahl, Täterschaft und Teilnahme, Versuch und Versuch der Beteiligung, Rücktritt und Lockspitzel Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 2 Sachverhalt A hofft, in einer am Stadtrand liegenden Villa, deren Bewohner im Urlaub sind, reiche Beute zu machen. Um gegen alle Zufälle gewappnet zu sein, will er sich jedoch zuerst eine Pistole verschaffen. Mit der Bitte, ihm eine solche zu besorgen, wendet er sich an den ihm bekannten und mehrfach vorbestraften B, von dem er weiß, dass dieser Kontakte zu Ganovenkreisen hat. B verspricht sein Bestes zu tun, hat jedoch keinen Erfolg, weil es der von ihm angesprochene X, als er hört, um was es geht, rundweg ablehnt, dem A seine Schusswaffe zu überlassen. Als A dies hört, fordert er, um sein Risiko zu verringern, den B auf, gegen eine Beteiligung an der Beute doch selbst „mitzumachen“: B solle an einer geeigneten Stelle „Schmiere stehen“, während er (A) mit einem Dietrich das altmodische Schloss der Villa öffnen und dort das andere „erledigen“ wolle. B ist mit allem einverstanden. Den Dietrich hatte A schon zuvor bei dem mit ihm befreundeten und in sein Vorhaben eingeweihten Schlosser (S) besorgt. In der folgenden Nacht begeben sich A und B zum Tatort, wo B alsbald seinen Posten bezieht. Der Versuch des A, das Türschloss zu öffnen, misslingt jedoch. Nach Rücksprache mit dem B schlägt er deshalb auf der Rückseite des Hauses ein Fenster ein und gelangt so in das Innere der Villa. Während er auf der Suche nach mitnehmenswerten Gegenständen ist, bekommt B eingedenk seiner Vorstrafen „kalte Füße“. Als A wenig später mit reicher Beute (Geld, Schmuck) die Villa verlässt, stellt er zu seiner Überraschung fest, dass sich B bereits heimlich davongemacht hat. Wie ist das Verhalten des A, B und des S strafrechtlich zu beurteilen? Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 3 1. Tatkomplex: Absprachen und Vorbereitung A. Strafbarkeit des B gem. §§ 30 I iVm 244 I wegen Bitte an X, ihm eine Pistole für A zu überlassen Frage: Versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen bzw. zu einer Anstiftung zu einem Verbrechen? (-), Überlassen der Pistole allenfalls Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl, die für § 30 II nicht genügt / zudem § 244 I kein Verbrechen B. Ergebnis: §§ 30 I, 244 I (-) 2. Tatkomplex: Das Eindringen in die Villa A. Strafbarkeit des A gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 3 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 4 a. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache = Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams b. § 244 I Nr. 3: Einbrechen/Einsteigen in eine Wohnung? Wohnung = abgeschlossene + überdachte Räume, die Menschen als Unterkunft dienen Einbrechen = gewaltsames Öffnen oder Erweitern einer dem Zutritt entgegenstehenden Umschließung von außen (+) Einsteigen = Hineingelangen in die Wohnung durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung unter Überwindung von Hindernissen 2. Subjektiver Tatbestand Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 5 a. Vorsatz b. Zueignungsabsicht - Vorsatz bzgl. dauerhafter Enteignung - Absicht mindestens vorübergehender Zueignung - Rechtswidrigkeit der Zueignung - darauf gerichteter Tätervorsatz II. Rechtswidrigkeit + Schuld III. Ergebnis B. Strafbarkeit des A gem. §§ 123 I, 303 I? (+), werden aber als typische Begleittaten konsumiert Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 6 C. Strafbarkeit des B gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 3, 25 II I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Wegnahme einer fremden beweglichen Sache durch A Zurechnung gem. § 25 II (Mittäterschaft) - Gemeinsamer Tatplan (+) - Gemeinsame Ausführung? P1: Tatherrschaftslehre vs. gemischt-subjektive Auslegung Contra: Schmierestehen untergeordneter Tatbeitrag, der B nicht ins Zentrum des Geschehens stellt + geringer Anteil an der Beute Indiz für mangelnden Täterwillen Prof. Dr. Frank Saliger 7 Sommersemester 2015 C. Strafbarkeit des B gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 3, 25 II I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Wegnahme einer fremden beweglichen Sache durch A Zurechnung gem. § 25 II (Mittäterschaft) - Gemeinsamer Tatplan (+) - Gemeinsame Ausführung? Tatherrschaftslehre vs. gemischt-subjektive Auslegung Contra: dringt nicht selbst ins Haus ein Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 8 Pro: Mitwirkung bei der Vorbereitung + ständige Rücksprache am Tatort Mittäterschaft (+) 2. Subjektiver Tatbestand a. Vorsatz b. Zueignungsabsicht P2: Wegfall der Zueignungsabsicht? Vorsatz und Zueignungsabsicht müssen bis Abschluss der Tathandlung vorliegen. Lt. Sachverhalt verschwindet B in dem Zeitpunkt, wo A nach Stehlenswertem sucht. Daher unklar, ob Wegnahme bereits vollendet Hier aber unschädlich, da Drittzueignungsabsicht des B fortbesteht. Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 9 II. Rechtswidrigkeit und Schuld III. Rücktritt oder tätige Reue analog? Dafür ist die Verhinderung der Vollendung notwendig (oder nach S. 2 ernsthaftes Bemühen); diese liegt hier nicht vor D. Strafbarkeit des S gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 3, 27 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a. Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat b. Hilfeleisten P3: Wozu? Einbrechen statt geplantem Eindringen mittels Werkzeugs? Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 10 Dietrich des S führte nicht zum Erfolg; Kausalität der psychischen Beihilfe oder bloße Förderung? Übergabe des Dietrichs = physische Förderung der Haupttat Übergabe des Dietrichs = auch kausale psychische Beihilfe 2. Subjektiver Tatbestand Vorsatz bzgl. des Vollendens der Haupttat? Kein Aliud; nur geringfügige Abweichung innerhalb der Tathandlungen des § 244 I Nr. 3 II. Rechtswidrigkeit und Schuld III. Ergebnis: §§ 242 I, 244 I Nr. 3, 27 (+) Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 11 Sachverhalt – Teil 2 B und C fassen den Entschluss, das Ehepaar X zu überfallen, von dem sie wissen, dass es in seinem Einfamilienhaus eine große Menge Bargeld und wertvollen Schmuck aufbewahrt. Um die Eheleute X nicht misstrauisch zu machen und die Öffnung der Haustür sicherzustellen, treten B und C an den mit dem Ehepaar gut bekannten A heran: Er solle an der Haustür klingeln; nach Öffnung würden B und C sofort hineingehen und die ausersehene Beute durch Bedrohung der Eheleute X mit Schusswaffen an sich bringen. A könne nach Öffnung der Tür weggehen und würde als Belohnung ein Fünftel der Deliktsbeute erhalten. A will das „Angebot“ von B und C zunächst nicht annehmen, entschließt sich aber zum Mitmachen, als B und C ihm damit drohen, ihn andernfalls wegen eines früher begangenen Bankraubes anzuzeigen, der dem A eine hohe Freiheitsstrafe einbringen würde. Zwei Tage vor der Ausführung des Überfalls bekommt A Bedenken und informiert die Polizei, die ihm rät, seine Rolle weiter zu spielen und an der Haustür zu klingeln. Danach würden sofort vier im Vorgarten in Büschen versteckte und bewaffnete Polizeibeamte eingreifen und alles Weitere verhindern. Nachdem A am Tattag geklingelt hat, kommen die Polizeibeamten mit gezogenen Pistolen aus ihren Verstecken, um die im Vorgarten stehenden B und C festzunehmen. B und C werden sodann überwältigt und entwaffnet und zusammen mit A festgenommen. Wie haben sich A, B und C nach dem StGB strafbar gemacht? Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 12 1. Abschnitt: Die Verabredung der Tat A. Strafbarkeit von B und C gem. §§ 249 I, (255), 250 I Nr. 1 lit. a, 30 II (Verabredung zu einem Verbrechen) Verbrechen = § 249 I (§ 255) bzw. § 250 I Nr. 1 lit. a Verabreden = Übereinkommen, ein Verbrechen in Mittäterschaft zu begehen (+), zwei sichere Mittäter genügen Vorsatz, RW + Schuld Ergebnis (+) B. Strafbarkeit von B und C gem. § 240 I wegen Nötigung des A I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 13 Drohung mit einem empfindlichen Übel = Ankündigung der Strafanzeige Tun, Dulden, Unterlassen = Klingeln beim Ehepaar 2. Subjektiver Tatbestand II. Rechtswidrigkeit 1. Keine Rechtfertigungsgründe 2. Verwerflichkeit gem. § 240 II Zweck, Mittel + Zweck-Mittel-Relation Beteiligung an Verbrechen ist verwerflich und keinerlei Verbindung der Strafanzeige zum gewünschten Handeln (Konnexität) (+) III. Schuld IV. Ergebnis Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 14 B. Strafbarkeit des A gem. §§ 249 I (255), 250 I Nr. 1 lit. a, 30 II? I. Tatbestand Verbrechen (+) Verabreden? P4: Ist A nach dem Tatplan Mittäter oder Gehilfe? Wenn Gehilfe keine Strafbarkeit Hier Frage: Gewicht des Tatbeitrags, liegt arbeitsteiliges Zusammenwirken + gegenseitige Abhängigkeit bei der Tatausführung vor? (+), Plan wäre niemals ohne A gelungen, weil das Ehepaar die Tür nicht geöffnet hätte Vorsatz Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 15 II. Rechtswidrigkeit P5: Rechtfertigender Notstand bei Nötigung? Nötigungsnotstand nach h.M. kein Rechtfertigungsgrund, da andernfalls Eingriffsopfer Notwehrrecht genommen wird. III. Schuld P6: Entschuldigender Notstand analog § 35? (-), da A Nötigungsnotstand mitverursacht hat IV. Rücktritt gem. § 31 I Nr. 3 - Kein Fehlschlag - Taugliche Rücktrittshandlung = Verhindern der Tat Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 16 P7: Wurde Tat hier verhindert? Es genügt Eingreifen der Polizei; A muss die Tat nicht eigenhändig verhindern. V. Ergebnis: §§ 249 (255), 250 I Nr. 1a. 30 II (-) Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 17 2. Abschnitt: Die Ausführung des Überfalls A. Strafbarkeit des A gem. §§ 249 bzw. 255, 250 I Nr. 1 lit. a, 22, 23 I, 25 II Vorprüfung I. Tatentschluss P8: Agent provocateur/Lockspitzel: A will nicht die Vollendung des Delikts + geht auch nicht von deren Eintreten aus (-) Exkurs: Möglichkeiten des Lockspitzeleinsatzes 1. Tat soll vor Vollendung verhindert werden (wie hier) 2. Tat soll vollendet werden und Täter vor Beendigung gefasst werden (problematisch!) Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 18 B. Strafbarkeit von B und C gem. §§ 249 I bzw. 255, 250 I Nr. 1 lit. a, 22, 23 I, 25 II Vorprüfung I. Tatentschluss II. Unmittelbares Ansetzen? Klingeln des A Zurechnung gem. § 25 II? - Als Mittäter? A ist mangels gemeinsamen Tatplans kein Mittäter - P9: Unmittelbares Ansetzen bei vermeintlicher Mittäterschaft? Einzelbetrachtung oder Gesamtbetrachtung? Gesamtbetrachtung auch beim vermeintlichen Mittäter möglich? Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 19 Contra: - Generell bei Mittäterschaft: Gemeinsame Tatausführung ist Voraussetzung der Zurechnung, insofern würde Zurechnung einer Handlung, die vor dem gemeinsamen Ausführen stattfindet, zu einer Zurechnung auf rein subjektiver Basis führen - Speziell bei vermeintlichen Mittätern: Bloße Vorstellung der Mittäterschaft zieht Tatbestandsmerkmal noch weiter ins Subjektive (-) (a.A. gut vertretbar) C. Strafbarkeit von B und C gem. § 123 I durch Eindringen in den Vorgarten (+) Prof. Dr. Frank Saliger Sommersemester 2015 20
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