Durchsetzungsinitiative: Polarisierung stark, leichter Nein-Trend, Ausgang offen Zweite Gotthardröhre: Vorteile für Ja-Seite schwinden Heiratsstrafe: Heftige Kritik mindert Annahmechancen Medienbericht zur 2. Welle der Befragungsreihe "SRG Trend" zur Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 Studie im Auftrag der SRG SSR, Februar 2016 Projektteam Claude Longchamp Politikwissenschafter, Lehrbeauftragter der Universitäten Bern und Zürich Martina Mousson Politikwissenschafterin Stephan Tschöpe Politikwissenschafter Marcel Hagemann Sozialwissenschafter Johanna Schwab Sekretariat und Administration Alexander Frind Politikwissenschafter Inhaltsverzeichnis 1 WICHTIGSTES IN KÜRZE............................................................................3 2 EINLEITUNG ..............................................................................................14 2.1 Mandat ................................................................................................14 2.2 Initiative gegen Heiratsstrafe ..............................................................15 2.3 Durchsetzungsinitiative .......................................................................21 2.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation........................................29 2.5 Zweite Gotthardröhre..........................................................................32 2.6 Beteiligung ..........................................................................................38 2.7 Hypothesen zur Meinungsbildung ......................................................39 3 BEFUNDE ...................................................................................................42 3.1 Vorläufige Teilnahmeabsichten ...........................................................42 3.2 Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" ..........47 3.3 Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" ...........................................................................................60 3.4 Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" ...................74 3.5 Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet ....................................................................................79 4 ANHANG ....................................................................................................91 4.1 Forschungskonzept: erweiterter Dispositionsansatz ........................105 4.2 Die SRG-Befragung ...........................................................................116 4.3 Instrumentenvergleich ......................................................................118 4.4 gfs.bern-Team ...................................................................................121 Bern, 16. Februar 2016 Copyright by gfs.bern Sperrfrist: 17. Februar 2016, 17h00 2 1 Wichtigstes in Kürze Wäre bereits am 9. Februar 2016 über die vier Vorlagen der eidgenössischen Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 entschieden worden, hätte eine Mehrheit für eine Zweite Gotthardröhre votiert. Knapp mehrheitlich wäre die Zustimmung zur Initiative gegen die Heiratsstrafe gewesen. Fast gleich stark wären beide Seiten bei der Durchsetzungsinitiative ausgefallen. Abgelehnt worden wäre die Spekulationsstopp-Initiative. Um es klar zu sagen: Dies sind keine Prognosen zu den Ergebnissen vom 28. Februar 2016. Vielmehr handelt es sich um die zweite und letzte Bestandsaufnahme im Rahmen der SRG-Trendbefragung. Für eine Projektion müssten die Unentschiedenen verteilt werden können, für eine Prognose müsste man zudem wissen, wie sich der last swing in den Kampagnen auf die Stimmabsichten auswirkt. Beides lassen wir bewusst weg. Tabelle 1 Übersicht gegenwärtige Stimmabsichten Teilnahmewillige Abstimmung vom 28. Februar 2016 bestimmt / eher dafür bestimmt / eher dagegen weiss nicht/ keine Antwort Einschätzung Ausgang VI gegen Heiratsstrafe 53 (-14) 38 (+17) 9 (-3) offen Stand: knapp Ja Trend: klar Nein Durchsetzungsinitiative 46 (-5) 49 (+7) 5 (-2) offen Stand: keine Mehrheit Trend: eher Nein VI gegen Nahrungsmittelspekulation 31 (-17) 54 (+15) 15 (+2) Nein Stand: Nein Trend: klar Nein Zweite Gotthardröhre 56 (-8) 39 (+10) 5 (-2) eher Ja Stand: Ja Trend: eher Nein Bemerkung: Bei allen ausgewiesenen Zahlen ist bei einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit ein statistischer Unsicherheitsbereich von rund 2.7 Prozentpunkten plus/minus mitzudenken. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Die Absichten, sich an der Abstimmung zu beteiligen, haben sich von der 1. zur 2. Befragungswelle von 48 auf 55 Prozent aller Stimmberechtigten erhöht. Damit zeichnet sich ein überdurchschnittlicher Teilnahmewert ab. Im Vergleich zur ersten Befragung mit dem mittleren Erhebungstag am 12. Januar 2016 sind die quantitativen Veränderungen bei den Volksinitiativen gegen Nahrungsmittelspekulation respektive gegen Heiratsstrafe am grössten. Es folgt die Gotthard-Vorlage. Quantitativ am geringsten sind die Verschiebungen bei der Durchsetzungsinitiative. Qualitativ relevant ist, dass wir den Ausgang der Entscheidung gegen die Heiratsstrafe aufgrund der aktuellen Daten und den Trends neu als offen taxieren. Bei der Durchsetzungsinitiative gilt neuerdings das gleiche, mit leichten Vorteilen für die Gegnerschaft und beim Gotthardtunnel ist das Ja nicht mehr so sicher wie vor Monatsfrist. Die Meinungsbildung zu den Vorlagen ist ungleich stark fortgeschritten. Am höchsten ist der Stand bei der Durchsetzungsinitiative, gefolgt von der Vorlage zum zweiten Gotthard-Tunnel. Dahinter folgen die Volksinitiativen gegen die Heiratsstrafe respektive gegen die Nahrungsmittelspekulation. Mit anderen Worten: Die ausgewiesenen Ja/Nein-Anteile haben sich bei den beiden letztgenannten Vorlagen am meisten verändert, und sie könnten sich noch weiter stark verändern. 3 Durchsetzungsinitiative Stimmabsichten Aktuell würden 46 Prozent bestimmt oder eher für die Durchsetzungsinitiative votieren, und 49 Prozent würden dagegen stimmen. Damit hat sich seit der ersten Befragung die Zustimmungsbereitschaft um 5 Prozentpunkte verringert, und die Ablehnungstendenz ist um 7 Prozentpunkte gestiegen. Die relative Mehrheit hat damit gekehrt, auch wenn sie nicht eindeutig genug ist, um entscheidend zu sein. Stand der Meinungsbildung 73 Prozent der Beteiligungsbereiten haben eine dezidierte Stimmabsicht dafür oder dagegen. Die Meinungsbildung ist damit fortgeschritten, wenn auch nicht abgeschlossen. Ganz unschlüssig sind 5 Prozent der Teilnahmewilligen. Konfliktmuster Das Konfliktmuster ist ausgeprägt. Dominant ist die politische Polarisierung, einmal zwischen linkem und rechtem Lager, dann zwischen Behördenvertrauen und –misstrauen. Mehrheitlich dafür sind die Wählenden der SVP und die Parteiungebundenen. Bei der SVP sind die Verhältnisse stabil, bei den Ungebundenen geht der Trend leicht Richtung Nein. Mehrheiten der anderen Parteianhängerschaften von Grünen bis FDP sind gegen die Durchsetzungsinitiative. Der angelegte Elite/Basis-Konflikt bei der FDP ist verschwunden. Ihre Wählerschaft ist neu mehrheitlich im Nein. Der Polarisierungsgrad ist extrem. Zwischen SP und SVP liegen bei der Durchsetzungsinitiative Welten, so differiert der Nein-Anteil um 75 Prozentpunkte. Grafik 1 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 28 45 63 72 56 10 2 6 10 13 8 30 6 32 70 71 34 11 5 18 16 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 14 11 11 11 3 23 16 FDP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 7 8 9 CVP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 GPS/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 14 3 11 6 4 4 SP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 12 9 25 21 14 14 7 14 19 12 10 12 19 34 bestimmt dafür Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 62 75 2 5 3 SVP/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 59 4 3 4 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Mehrheitlich im Ja sind regierungsmisstrauische Stimmberechtigte mit Teilnahmeabsichten. 74 Prozent von ihnen wollen die Durchsetzungsinitiative annehmen. Bürgerinnen und Bürger mit Regierungsvertrauen lehnen das Begehren zu 68 Prozent ab. Bei den Misstrauischen sind die Verhältnisse stabil, bei den übrigen entspricht der Trend der allgemeinen Entwicklung. 4 Meinungsdruck Die Teilnahmewilligen gehen von einer knappen Annahme der Vorlage am Abstimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung für den Ja-Anteil beträgt 51 Prozent Argumente Populärstes Einzelargument auf der Ja-Seite ist die konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer ohne Wenn und Aber. Auf der Nein-Seite ist die Zustimmung am grössten, wenn sie von den wachsenden Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit der EU spricht. Eine relative Mehrheit findet wie die Initianten, die Gerichte würden sich über das Recht stellen respektive die parlamentarische Umsetzung der Masseneinwanderung entspreche nicht dem Volkswillen. Neinseitig gibt es Zustimmungsmehrheiten bei allen getesteten Botschaften, also auch bei der Secondo-Problematik, der vernünftigen Umsetzung durch das Parlament und dem Verstoss gegen die Menschenrechte durch die SVPInitiative. Indexiert stehen 55 Prozent der beteiligungsbereiten Stimmberechtigten den Nein-Argumenten näher. 40 Prozent sind den Ja-Botschaften näher. Wirksamstes Argument auf der Ja-Seite ist die konsequente Ausweisung. Tendenziell überziehen die Initianten ihre Position aus Bürgersicht, wenn sie den Volkswillen über das Völkerrecht stellen. Am meisten wirkt auf der Nein-Seite das Fehlen der Härtefallklausel im Initiativtext und damit der Verstoss gegen die Menschenrechte. Auf der gegnerischen Seite wirkt allerdings eher der Mix an Argumenten als ein einziges. Vergleich mit Ausschaffungsinitiative Im Vergleich zur Ausschaffungsinitiative haben vor allem FDP- und CVPWählende ihre Stimmabsichten verändert. Rund ein Fünftel von ihnen haben vom Ja ins Nein-Lager gewechselt. Vorhanden, wenn auch deutlich schwächer, ist der Effekt bei den parteiungebundenen Stimmenden. Erwartungen bis zur Volksabstimmung Im Normalfall nimmt die Ablehnungsbereitschaft mit dem Abstimmungskampf zu, und es sinkt auch die Zustimmungstendenz. Automatisch ist diese Entwicklung gerade bei rechten Volksinitiativen jedoch nicht. Setzt sich der Trend fort, wird die Vorlage abgelehnt. Stockt er, bleibt es für beiden Seiten unsicher. Entsprechend erscheint der Ausgang offen. Die Verhältnisse sind für eine eindeutige Aussage zu knapp. Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (nationalkonservativ) fortgeschrittene Meinungsbildung, aber nicht abgeschlossen hohe Prädisponierung durch Stimmverhalten bei Ausschaffungsinitiative. Trend vom Ja ins Nein vor allem bei FDP/CVP Konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer populärstes und wirksamstes Ja-Argument Fehlende Härtefallklausel, Gesetzgebung zur Umsetzung Ausschaffungsinitiative, Probleme für Bilaterale auf Nein-Seite mehrheitsfähig und wirksam Ausgang offen, Verhältnisse und Trends zu knapp 5 Initiative gegen Heiratsstrafe Stimmabsichten Aktuell würden 53 Prozent der teilnahmewilligen Bürgerinnen und Bürger bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" stimmen. 38 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. Noch führt die Ja-Seite. Der Vorsprung ist aber erheblich geschrumpft. Denn die Veränderungen zur ersten Wellen machen im Schnitt von Ja und Nein 15,5 Prozentpunkte aus. Das ist einiges über dem Mittel an Veränderungen in einem Abstimmungskampf. Stand der Meinungsbildung 63 Prozent aller Beteiligungsbereiten haben zwischenzeitlich eine feste Stimmabsicht. Das sind knapp 10 Prozent mehr als in der ersten Befragung. Der Grad an Entschiedenheit hat damit zugenommen, bleibt aber weiterhin zurück. Die Meinungsbildung ist hier in vollem Gang. Konfliktmuster Profiliert werden die Stimmabsichten in erster Linie durch die Parteibindungen. Mehrheitlich dafür sind die Parteiwählerschaften von CVP und SVP. Mehrheitlich dagegen fallen die Werte bei den Wählenden von GPS, SP und FDP aus. Damit sind die Wählerschaften dieser drei Parteien seit der ersten Befragung gekippt. Die Zustimmungsbereitschaft ist aber auch bei SVP und CVP gesunken. Dabei fällt auf, dass der Ja-Wert in der SVP-Wählerschaft zwischenzeitlich gar höher ist als an der Basis der Initiativurheberschaft (CVP). Mehrheitlich für die Vorlage sind die parteiungebunden Stimmenden. Bei Ihnen hat sich nicht viel verändert. Klar über dem Mittel ist die Zustimmungsbereitschaft auch bei misstrauischen Bürgerinnen und Bürgern. Grafik 2 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 7 15 13 32 GPS/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 18 20 10 11 10 11 41 11 13 28 10 6 29 6 20 9 6 18 16 17 18 15 4 13 39 20 34 44 47 43 eher dagegen 22 weiss nicht/keine Antwort 18 45 bestimmt dagegen 46 eher dafür 25 bestimmt dafür Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 23 14 9 7 14 SVP/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 16 21 35 15 13 32 46 17 CVP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 44 SP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 11 16 8 9 3 FDP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 14 23 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Ganz generell gilt, dass die Zustimmungsbereitschaft rückläufig ist. Das gilt für alle untersuchten Gruppen, ausser für die Romandie und für Parteiungebundene. Mehrheitlich dafür sind verheiratete Paare respektive Personen, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Bei Paaren, bei denen das nicht der Fall ist, fällt demgegenüber die Ablehnung besonders deutlich aus. Keine Gruppe hat im Abstimmungskampf ihre Meinung zur Initiative so stark geändert wie diese. 6 Meinungsdruck 50 Prozent der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme aus, 37 Prozent von einer Ablehnung. Im Schnitt schätzen die Beteiligungsbereiten einen Ausgang von 51 zu 49 Prozent. Argumente Das populärste Einzelargument auf Seiten der Initianten betrifft die Ungerechtigkeit der Doppelbesteuerung. 80 Prozent sind damit voll oder eher einverstanden. Knapp mehrheitlich geteilt wird zudem, dass mit der Individualbesteuerung ein Bürokratiemonster geschaffen würde Bei der Gegnerschaft werden die Steuerausfälle bei einem Ja am breitesten geteilt. Das sehen 66 Prozent gleich wie die Gegnerschaft. Mehrheitlich geteilt wird zudem, dass man vor allem Reiche entlaste und gleichgeschlechtliche Paare diskriminiere. Viele Teilnahmewillige können den Botschaften beider Seiten etwas abgewinnen. Eher auf Seiten der Initianten sind indexiert 42 Prozent, während 45 Prozent den Nein-Argumenten insgesamt mehr abgewinnen können. 13 Prozent sind im Dilemma. Sie sehen gleich viel Gutes wie Schlechtes in der Initiative. Bei einer reinen, argumentenbasierten Entscheidung können diese Werte als die sicheren Potenziale beider Seiten gelten. Alles andere hängt von den Schlussentscheidungen einer namhaften Minderheit ab, welche sehr ambivalent eingestellt ist. Erwartungen bis zur Volksabstimmung Die Initiative gegen die Heiratsstrafe ist eine potenziell mehrheitsfähige Initiative. Dafür spricht, dass sich aktuell eine knappe Mehrheit für die Vorlage ausspricht. Feste Meinungen haben sich aber nicht hinreichend entwickelt. Der Trend spricht für ein Nein. Den Ausgang taxieren wir als offen. Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (bürgerlich-konservativ) eher fortgeschrittene Meinungsbildung ungerechte Doppelbesteuerung populärstes und wirksamstes Argument auf der Ja-Seite Folgen der Steuereinbussen populärstes Nein-Argument, Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare bisher wirksamstes Argument, das alleine aber nicht mehrheitsfähig ist Polarisierungsgrad wachsend, zwischen rechtskonservativ und linksliberal Ausgang offen, Vorsprung für Ja, aber klarer Nein-Trend 7 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Stimmabsichten Aktuell würden 31 Prozent der teilnahmewilligen Bürger und Bürgerinnen bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln" stimmen. 54 Prozent wären bestimmt oder eher gegen die Vorlage. Die Veränderungen seit der ersten Welle sind erheblich. Die Ja-/Nein-Werte haben sich im Schnitt um 16 Prozentpunkte verschoben. Stand der Meinungsbildung Nur 52 Prozent der Beteiligungswilligen haben eine bestimmte Stimmabsicht dafür oder dagegen. Keine Stimmabsicht zeigen 15 Prozent. Der Grad an Meinungsbildung hat sich damit nur wenig verfestigt. Fest Entschiedene kommen zu 5 Prozentpunkten mehr vor, Unentschiedene haben um 2 Prozentpunkte zugenommen. Die Meinungsbildung bleibt für den kurzen Zeitpunkt vor der Abstimmung wenig fortgeschritten. Konfliktmuster Relevant sind die Zusammenhänge der Stimmabsichten entlang der Parteibindungen. Klar gegen die Vorlage votieren will die FDP-Wählerschaft, gefolgt von CVP- und SVP-Wählenden, die mehrheitlich im Nein sind. Am klarsten dafür ist die grüne Wählerschaft, gefolgt von der der SP. Damit ist die Links/RechtsPolarisierung gegeben. Zwischen den Polen sind die Parteiungebundenen, mit einer leicht höheren Affinität zum bürgerlichen Lager. Grafik 3 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 51 14 19 24 17 12 13 14 13 11 17 30 18 29 23 18 23 14 12 13 22 18 31 17 22 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 11 8 11 7 8 27 Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 32 18 37 19 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 28 SVP/ 9. Februar 2016 37 SP/ 9 Februar 2016 39 SP/ 12. Januar 2016 47 GPS/ 9. Februar 2016 GPS/ 12. Januar 2016 58 27 24 13 13 28 SVP/ 12. Januar 2016 26 22 20 FDP/ 9. Februar 2016 25 14 15 FDP/ 12. Januar 2016 19 7 14 CVP/ 9. Februar 2016 13 7 8 CVP/ 12. Januar 2016 4 17 2 eher dafür bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Weitgehend verschwunden sind die anfänglichen Zusammenhänge der Stimmabsichten mit der Schicht, dem Alter und dem Geschlecht. Das gilt weitgehend auch für die Sprachregionen. Signifikant bleibt die Abhängigkeit hiervon nur wegen dem stark unterschiedlichen Mass an Unschlüssigkeit, die in der italienischsprachigen Schweiz erheblich bleibt, in der Romandie aber auch unüblich und sogar angestiegen ist. Erwartungen bis zur Abstimmung Erwartet wird, dass sich der klare Trend Richtung Nein bis zum Abstimmungstag weiter fortsetzt. 8 Stichworte für die Berichterstattung Minderheitsinitiative von links Meinungsbildung unverändert wenig ausgeprägt Polarisierung auf der Links/rechts-Achse Ablehnung sicher Zweite Gotthardröhre Gegenwärtige Stimmabsichten Aktuell würden 56 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten bestimmt oder eher für die Zweite Gotthardröhre stimmen. 39 Prozent wären dagegen. Der Ja-Vorsprung beträgt damit 17 Prozent unter den Entschiedenen. Der Trend geht Richtung Nein, was bei einer Behördenvorlage eher die Ausnahme ist. Die Ablehnung ist innert Monatsfrist um 10 Prozentpunkte gewachsen, die Zustimmung um 8 Prozentpunkte gesunken. Stand der Meinungsbildung 65 Prozent haben eine feste Intention; sie sind entweder bestimmt dafür oder bestimmt dagegen. Nur 5 Prozent äussern zwar Beteiligungs-, nicht aber Stimmabsichten. Die Meinungsbildung ist damit für den Zeitpunkt eher fortgeschritten, wenn auch nicht abgeschlossen. Konfliktmuster Das Konfliktmuster ist in erster Linie parteipolitischer Natur. 70 Prozent der FDP-Wählenden sind auf der Ja-Seite; bei der SVP sind es 69 Prozent. Auch unter CVP-Wählenden besteht mit 64 Prozent eine Zustimmungsmehrheit. Bei den Wählenden der GPS wollen 86 Prozent dagegen stimmen, an der SP-Basis 65 Prozent. Parteiungebundene stehen dem bürgerlichen Lager näher. Sie befürworten die Zweiten Gotthardröhre zu 58 Prozent. Die parteipolitische Polarisierung ist hoch. Die Nein-Differenz zwischen GPS und FDP beträgt 62 Prozent. Grafik 4 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 32 46 61 2 21 5 12 36 18 22 9 6 10 7 3 20 18 9 4 42 47 16 8 16 22 48 9 60 27 11 4 32 20 35 38 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 53 18 bestimmt dafür Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 2 GPS/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 5 7 27 15 SVP/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 18 10 18 25 8 8 FDP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 11 32 9 6 10 19 SP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 15 2 15 CVP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 55 21 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Der Haupttrend der Meinungsbildung Richtung Nein findet sich auch über alle Parteilager hinweg. 9 Die Zustimmung ist zwischenzeitlich in der deutschsprachigen Schweiz am höchsten (58%, -8%-punkte), gefolgt vom italienischsprachigen Landesteil (51%, -25%-punkte) und der französischen Sprachregion (47%, -6%-punkte). Die Zustimmungsmehrheit ist hier nicht mehr gesichert. Die Veränderungen sind vor allem im Tessin erheblich. Hier wurde die Gegnerschaft mit dem Abstimmungskampf mobilisiert. Personen mit mehreren Automobilen im Haushalt sind zu 68 Prozent dafür. Personen ohne Privatwagen im Haushalt sind zu 55 Prozent dagegen. Am meisten bewegt haben sich Haushalte mit einem Auto. Bei diesen führt noch die Ja-Seite mit 50 Prozent, doch die Gegnerschaft ist stärker geworden. Sie liegt hier bei 43 Prozent. Meinungsdruck Die Teilnahmewilligen gehen von einer knappen Annahme der Vorlage am Abstimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung für den Ja-Anteil beträgt 53 Prozent. Argumente Alle acht getesteten Botschaften sind mehrheitsfähig. Indexiert stehen 52 Prozent der teilnahmewilligen Personen den Ja-Argumenten näher, bei 41 Prozent ist das bezogen auf die Nein-Botschaften der Fall. Eindeutig populärstes Pro-Argument im Abstimmungskampf die Sicherheitsfrage. Zwei Tunnels mit je einer Fahrspur sind für 88 Prozent der Stimmberechtigten sicherer als eine Röhre mit Gegenverkehr. Auf der Nein-Seite ist die Zustimmung am grössten, wenn mit dem steigenden Druck aus dem In- und Ausland zur dauerhaften Öffnung der vier Fahrspuren argumentiert wird. Am meisten polarisiert die gegnerische Aussage, dass sich der Verkehr zwangsläufig erhöhen werde. Damit stellen neu die Gegner die zentralen Botschaften zur Meinungsbildung. Auf der Ja-Seite wirken zahlreiche Argumente, am meisten die Tunnelsicherheit. Erwartungen bis zur Volksabstimmung Die bisherige Meinungsbildung entspricht dem Typ einer positiv vorbestimmten Behördenvorlage. Allerdings ist es der Ja-Seite nicht gelungen, sich mit dem Abstimmungskampf zu verstärken. Vielmehr nehmen die Gegner zulasten der Befürworter zu. Das Ja ist wahrscheinlicher, wenn auch nicht mehr sicher. Stichworte für die Berichterstattung positiv vorbestimmte Entscheidung zu einer Behördenvorlage eher fortgeschrittene Meinungsbildung Konfliktmuster mit parteipolitischer Polarisierung, persönlicher Betroffenheit und regionaler Betroffenheit Sicherheit populärstes und wirksamstes Ja-Argument Öffnung zweite Röhre populärstes Nein-Argument, Verkehrszunahme wirksamstes Ausnahmefall der Meinungsbildung für eine Behördenvorlage: Ja nimmt ab, nicht zu Ausgang offen 10 Vorläufige Teilnahmeabsichten Teilnahmeabsichten Am 9. Februar 2016 hätten sich 55 Prozent der Stimmberechtigten bestimmt an den Entscheidungen zu den vier Vorlagen beteiligt. Die Teilnahmeabsichten sind damit innert Monatsfrist um 7 Prozentpunkte gestiegen. Der Start war in der deutschsprachigen Schweiz ausserordentlich rasant. 59 Prozent unserer Interviewten gaben hier von Beginn weg an, sich äussern zu wollen. Für die Veränderungen seither sind die italienisch- und französischsprachigen Landesteile entscheidend. Die Teilnahmeabsichten bleiben hier dennoch zurück. Insgesamt zeichnet sich eine überdurchschnittliche Beteiligung an der Volksabstimmung vom 28. Februar 2916 ab. Profil Die höchste Teilnahmebereitschaft kennt die SP-Wählerschaft; drei Viertel wollen sich hier bestimmt beteiligen. Es folgt die FDP, welche mit 65 Prozent ebenfalls über dem Mittel mobilisiert. Bei beiden Parteien ist die Mobilisierung rekordverdächtig – und höher als bei den Nationalratswahlen 2015. Die anderen Parteiwählerschaften sind nahe dem Schnitt. Unter diesem sind die Beteiligungsabsichten der Parteiungebundenen. Grafik 5 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 2 9 45 7 5 4 4 16 1 4 1 1 3 3 7 6 11 2 28 27 31 30 21 52 2 1 9 42 4 5 2 33 9 9 12 9 7 9 33 76 55 59 67 65 62 57 46 39 33 bestimmt nicht teilnehmen eher nicht teilnehmen weiss nicht/keine Antwort eher teilnehmen 56 37 42 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 SVP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 FDP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 CVP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 SP/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 GPS/ 12. Januar 2016 bestimmt teilnehmen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) Überdurchschnittlich mobilisiert bleiben die misstrauischen Bürgerinnen und Bürger. Ihr Vorsprung ist allerdings gesunken. Emotionen im Abstimmungskampf als Mobilisierungsmittel sind kein Privileg der SVP mehr und haben gerade auch bei Liberalen Einzug gehalten. Stichworte für die Berichterstattung aktuell überdurchschnittliche Beteiligungsabsichten Deutschschweiz am stärksten mobilisiert, aber grösste Steigerung im Tessin Wählende von FDP und SP überdurchschnittlich teilnahmebereit, Wählende von GPS, CVP und SVP nahe am Mittel 11 Teilnahmeabsicht behördenmisstrauischer Bürgerinnen und Bürger nach wie vor überdurchschnittlich, Teilnahmeabsichten Regierungsvertrauender sind gegenüber erster Welle namhaft angestiegen Generelles Trend Umfragen Momentaufnahme Projektionen Prognosen Mindestens zweimalige Messung von Stimmabsichten, um Entwicklung der Meinungsbildung zu sehen. Einmalige Messung von Stimmabsichten. Momentaufnahmen, bei denen die Unentschiedenen verteilt werden. Projektionen, welche die kommende Meinungsbildung bis zum Abstimmungstag mitberücksichtigen und die erwarteten Ja/Nein-Anteil bestimmen. Wie üblich handelt es sich auch bei der zweiten Befragung um eine Momentaufnahme, ohne direkte prognostische Absicht. Der Vergleich der ersten und zweiten Welle ergibt eine perspektivische Sicht, die gewisse Rückschlüsse bis zum Abstimmungstag erlaubt. Anstatt einer Prognose erstellen wir aber Szenarien der Meinungsbildung und der Beteiligungsentwicklung. Dabei gehen wir bei Volksinitiativen grundsätzlich davon aus, dass sich die Ablehnungsbereitschaft erst mit dem Abstimmungskampf aufbaut und die Zustimmungsbereitschaft vor allem bei linken Initiativen in dieser Phase sinkt. Schwieriger ist es, bei rechten Initiativen allgemeine Regeln für die Auswahl von Szenarien festzulegen, da sie sich bis zum Schluss zu einer Protestabstimmung entwickeln können. Keine Aussagen machen können wir über das Ständemehr, das bei Volksinitiativen ebenfalls entscheidet, denn die Fallzahl lässt gesicherte Rückschlüsse auf die Kantone nicht zu. Erinnert sei daran, dass der 9. Februar 2016 der mittlere Befragungstag war und die letzten Entscheidungen am 28. Februar gefällt werden müssen. Das sind 20 Tage oder fast 3 Wochen Differenz, während denen ein wesentlicher Teil des Abstimmungskampfes und damit der Formierung des Volkswillens erst stattfindet. 12 Datengrundlage Die vorliegende Befragungsreihe wurde vom gfs-Befragungsdienst realisiert, die Berichterstattung nahm das Forschungsinstitut gfs.bern vor. Befragt wurden 1411 repräsentativ ausgewählte Stimmberechtigte in der ganzen Schweiz. Um sprachregionale Aussagen machen zu können, haben wir die Sprachminderheiten überproportional berücksichtigt. Diese wurden, um nationale Aussagen machen zu können, wieder ins richtige Verhältnis gebracht. Tabelle 2 Technischer Kurzbericht SRG-Trend Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 Auftraggeber CR-Konferenz der SRG SSR Grundgesamtheit Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz Herkunft der Adressen Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt) Datenerhebung telefonisch, computergestützt (CATI) Art der Stichprobenziehung geschichtet nach at random/Geburtstagsmethode im Haushalt Sprachregionen Befragungszeitraum 5.– 13. Februar 2016 mittlerer Befragungstag 9. Februar 2016 Stichprobengrösse minimal 1400, effektiv 1411 n DCH: 704, n WCH: 404, n ICH: 303 Stichprobenfehler +/- 2.7% Quotenmerkmale Geschlecht/Alter interlocked Gewichtung nach Sprache, Teilnahme, Parteiaffinität Befragungsdauer Mittel Standardabweichung 15.7 Minuten 4.8 Minuten Publikation 17. Februar 2016, 17h SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Die Sperrfrist für den aktuellen Bericht ist Mittwoch, der 17. Februar 2016, um 17.00 Uhr. Danach sind die Ergebnisse und der Bericht unter Quellenangaben frei. Zitierweise 2. Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016, vom Forschungsinstitut gfs.bern zwischen dem 5. und 13. Februar 2016 bei 1411 repräsentativ ausgewählten Stimmberechtigten durchgeführt. 13 2 Einleitung 2.1 Mandat Das Projekt "Abstimmungsvorbefragungen und Trendberichterstattung für die SRG-SSR-Medien", welches das Forschungsinstitut gfs.bern speziell für die Abstimmungsvorlagen vom 28. Februar 2016 vornimmt besteht aus zwei Befragungen bei einem repräsentativ ausgewählten Querschnitt der stimmberechtigten Schweizer Bevölkerung. Diese Befragungsdaten werden mittels ausgefeilter statistischer Datenanalyse ausgewertet und die Befunde im Rahmen des Dispositionsansatzes interpretiert. Dieser schliesst von der Vorlage auf das Abstimmungsergebnis, und zwar unter Berücksichtigung dessen, was die Politik daraus macht (Einfluss der Kampagnen, Entscheidungen der Behörden, allgemeines politisches Klima) respektive der Prädispositionen der Bürger und Bürgerinnen (vergleichbare Entscheidungen von früher, Alltagserfahrungen von heute). Grafik 6 Analytisches Schema des Dispositionsansatzes Klima Konfliktmuster meinungsbildende Eliten Abstimmungskampf Vorlage Dispositionen Konfliktmuster Stimmwillige Entscheidung Prädispositionen Zeitachse © gfs.bern Unsere generelle These lautet: Abstimmungsergebnisse stehen nicht an sich fest. Sie sind das Produkt aus dem Abstimmungskampf einerseits, und den Prädispositionen anderseits. Der Abstimmungskampf wird durch das politische Klima und die Positionsbezüge der meinungsbildenden Elite bestimmt, während sich die Prädispositionen aus den Alltagserfahrungen ableiten, welche die Bürger und Bürgerinnen mit dem Abstimmungsthema machen. Veränderungen im Meinungsbildungsprozess vor Volksabstimmungen fallen meist deutlich höher aus, als dies bei Parteiwahlen der Fall ist. Stabilität ist nicht der Normal-, sondern der Ausnahmefall. Dabei gilt: Je geringer die Prädispositionen sind, desto volatiler ist die Meinungsbildung. Stabilisierend wirken Abstimmungskämpfe, wenn sie bereits vorhandene Prädispositionen (re)aktivieren. Veränderungen sind dann zu erwarten, wenn es zu einem Meinungsaufbau bei unentschiedenen Bürger und Bürgerinnen kommt respektive wenn ein Meinungswandel vom Ja ins Nein oder umgekehrt vorkommt. Hinzu können Mobilisierungseffekte kommen, wenn sich die Beteiligungsabsichten mit dem Abstimmungskampf entwickeln. Bei Behördenvorlagen gehen wir 14 davon aus, dass Meinungsaufbau stattfinden, derweil es bei Initiativen auch zu Meinungswandel kommt. Abgestimmt wird am 28. Februar 2016 über vier Vorlagen, die nachfolgend vorgestellt werden: 1. Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe", kurz Initiative gegen Heiratsstrafe 2. Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer", kurz Durchsetzungsinitiative 3. Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!", kurz Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation 4. Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet (STVG), kurz zweiter Gotthardtunnel 2.2 Initiative gegen Heiratsstrafe Die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" will in der Verfassung verankern, dass Ehepaare steuerlich eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden und nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und Sozialversicherungen. Lanciert wurde die Initiative aus den Reihen der CVP; im Initiativkomitee hat es auch Vertreter und Vertreterinnen von SVP und EVP. In der SRG-Trend-Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Vorlage wie folgt umschrieben: "Die Initiative fordert, dass die Ehe gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt wird, insbesondere nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen. Die Ehe soll die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau sein, und das Ehepaar soll in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden." 2.2.1 Konfliktmuster In der Schlussabstimmung des Nationalrates wurde die Initiative gegen die Heiratsstrafe mit 107 zu 85 Stimmen abgelehnt. Im Ständerat betrug die Ablehnung 25 zu 20 Stimmen. Dem Anliegen der Initianten wurde somit seitens des Parlamentes letztlich keine Folge geleistet. Der Bundesrat, der die Vorlage ursprünglich bejaht hatte, musste sie alsdann ebenfalls ablehnen. Die Mehrheitsverhältnisse in den Behörden waren aber knapp und die Vorlage polarisierte die Behörden. Die parlamentarische Gegnerschaft der Initiative stammt vorwiegend aus den Reihen der SP, der GPS, der GLP und der FDP. Geschlossen hinter der Initiative standen in der Schlussabstimmung im Nationalrat Parlamentarier und Parlamentarierinnen der CVP, mit einer Ausnahme auch solche der SVP, während sich die BDP gespalten zeigte. 15 Grafik 7 Schlussabstimmung Nationalrat Initiative gegen Heiratsstrafe Quelle: www.politnetz.ch Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen. Für die Herausgabe der Nein-Parole entschieden sich die SP, die GPS, die GLP, die BDP und die FDP. Die Ja-Parole gefasst hat neben der Initiantin, der CVP, die SVP und die EVP. Damit ist eine Spaltung zwischen einem gesellschaftlichkonservativen Lager gegen den Rest die treffende Beschreibung für den Parolenspiegel der Initiative gegen die Heiratsstrafe. Tabelle 3 Parolen Initiative gegen Heiratsstrafe Initiative gegen Heiratsstrafe Stimmempfehlung BR Nein-Parole Abstimmung NR 107:85 (Nein-Parole) Abstimmung SR 25:20 (Nein-Parole) Befürwortende Parteien SVP, CVP, EVP (abweichend; Junge CVP ZH) Ablehnende Parteien SP, FDP, GPS, GLP, BDP (abweichend; BDP AG) Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 14.02.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Von der ablehnenden Haltung der Behörden weichen drei berücksichtigte Parteien ab. Immerhin zwei davon sind Regierungsparteien. Der Konflikt im Regierungslager ist damit erheblich. Der Bundesrat sprach sich ursprünglich für die Initiative aus, schloss sich jedoch der ablehnenden Haltung vom Parlament an. Positioniert haben sich zahlreiche Verbände. Für das Anliegen stehen die Schweizer Bischofskonferenz ein, der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband und die Finanzdirektorenkonferenz. Dagegen wenden sich Wirtschaftsverbände wie economiesuisse und der Gewerbeverband, der Gewerkschaftsbund sowie Interessenorganisation, die sich für eine "Ehe für alle" einsetzen. Für das Konfliktmuster unter den Parteien gibt es kaum Vergleichsabstimmungen. Denn es zeichnet sich neu eine bürgerlich-konservative Front zugunsten einer Volksinitiative ab. Bisher handelte es sich eher um einen Support einzelner Parteien (insbesondere der SVP und der CVP) oder aber des bürgerlichen Lagers insgesamt (wie bei der Bauspar-Initiative). 16 2.2.2 Abstimmungskampf Anliegen der Initianten ist es, Paare sollen, egal ob verheiratet oder nicht, gleich besteuert werden. Diskriminierungen aufgrund des Zivilstandes werden abgelehnt. Ungerechtigkeiten, die schon länger bestehen und benannt sind, sollten beseitigt werden. Der Bundesrat unterstützt das Ziel, die Heiratsstrafe abzuschaffen, lehnt die Volksinitiative jedoch wegen der zu engen Ehedefinition ab. Er will die Möglichkeit der Individualbesteuerung nicht durch eine Verfassungsbestimmung ausschliessen. Er geht davon aus, dass bei einer Annahme der Vorlage 80'000 Menschen, nämlich verheiratete Doppelverdiener-Paare, einen finanzielle Vorteil hätten. Die befürwortenden Parteien wie CVP, SVP und EVP befürworten die gemeinsame Besteuerung von Paaren ausdrücklich. Sie sehen darin eine Stärkung der Familie. Die Individualbesteuerung führt ihrer Meinung nach zu einer Vermehrung der Bürokratie. Grafik 8 Die Gegnerschaft der Initiative bemängelt die enge Definition der Ehe. Die Beschränkung der Lebensgemeinschaft auf Mann und Frau sei diskriminierend und rückständig. Kritisiert wird weiter die faktische Erhöhung der Hürde für die Einführung eines Modells mit Individualbesteuerung. Zudem wird von der Gegnerschaft angeführt, dass Ehepaare bei den Sozialversicherungen gar nicht benachteiligt würden, vielmehr Steuergeschenke an reiche Ehepaare gemacht würden. Grafik 9 Medial geniesst die Vorlage weniger Aufmerksamkeit als die Durchsetzungsinitiative oder die Gotthard-Vorlage. Prominentester Auftritt rund um dieses Anliegen war jener von Finanzminister Ueli Mauerer, der in einem Interview bekannt machte, die Heiratsstrafe bei der Bundessteuer gleich wie seine Vorgängerin unabhängig vom Abstimmungsausgang abschaffen zu wollen1. Unterstützung findet er darin bei seinem Amtskollegen und Bundespräsidenten Johann Schneider-Amann. Beide zielen mit ihren Voten auf ein Nein zur Vorlage ab. Anders als in früheren Abstimmungskämpfen zu vergleichbaren Initiativen spielt das Finanzargument diesmal keine so dominante Rolle. Der Diskriminierungsaspekt ist dafür viel wichtiger. Das gilt letztlich für beide Seiten, denn auch die Initianten wehren sich gegen die Diskriminierung von Ehepaaren. Beide Seiten argumentieren vor allem in sozialen Medien aktiv, wobei die NeinKampagne früh einsetzte und eine eigentliche Vorkampagne in den klassischen Medien führte. Diese berichten insgesamt neutral, mit einer leichten Tendenz gegen die Vorlage. 1 www.tagesanzeiger.ch, 04.02.2016 17 2.2.3 Zwischenbilanz Die Ergebnisse der ersten Welle für die SRG haben wir wie folgt verdichtet: Bei der Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative. Die Zustimmung in der Ausgangslage zum Abstimmungskampf ist mehrheitlich. Die Prädisponierung ist nur mittelstark. Dabei ist die Zunahme der Ablehnungsbereitschaft am wahrscheinlichsten, gefolgt von der Abnahme der Zustimmungstendenz. Die ersten Stimmabsichten wurden in der Ausgangslage auffällig schwach durch die Bewertung der Argumente gestützt, sodass mit erheblichen Veränderungen namentlich im rotgrünen Lager und bei Parteiungebundenen gerechnet werden kann. Beide Seiten verfügen über mehrheitsfähige Botschaften. Im Lager der Initianten ist das vor allem die ungerechte Ehebesteuerung nach heutigem Recht, auf der Nein Seite sind das finanzpolitische Auswirkungen. Bisher polarisiert hat jaseitig die Doppelbesteuerung, nein-seitig die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Von den gegnerischen Aussagen zu den finanziellen Folgen ist noch keine Wirkung ausgegangen. Das Konfliktmuster in der Ausgangslage war wenig ausgeprägt, am ehesten parteipolitischer Natur sowie durch die unmittelbare Betroffenheit charakterisiert. Gewisse Elite/Basis-Konflikte finden sich gegenwärtig bei der FDP, der SP und der GPS, alle im Nein-Lager, nicht aber bei den befürwortenden Parteien CVP und SVP. Erwartet wurde, dass die Ablehnung steige und die Zustimmung sinke, wobei Vorteile für die Initianten weiter bestehen könnten. 2.2.4 Vergleichsvorlage: VI "Familien stärken!" In jüngster Zeit ist mehrfach über vergleichbare Anliegen abgestimmt worden. Beide vergleichbaren Volksinitiativen, sind in der Volksabstimmung gescheitert. Von den Initianten und dem Konfliktmuster besser vergleichbar ist die CVPInitiative von 2015, was sich nicht zwingend im Endergebnis niederschlagen muss. Denn das Endergebnis war nachweislich von der Dynamik des Abstimmungskampfes abhängig. Mit einem Ja-Stimmenanteil von 24.6 Prozent wurde diese Initiative vom Volk und der Gesamtheit der Stände abgelehnt. Etwas höhere Ja-Anteile erzielte die Initiative in Teilen der Romandie und im Tessin, sie wurde aber auch dort mehrheitlich abgelehnt. Ausser der CVP, die das Anliegen als Initiantin trug, sprach auch die SVP die nationale Ja-Parole aus. 18 Grafik 10 Abstimmung vom 8. März 2015: VI "Familien stärken!" Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Im Vorfeld der Abstimmung zeigte sich, dass das Anliegen auf Sympathien traf, denn in im Rahmen der ersten SRG-Trendumfrage sprach sie eine Mehrheit für die Initiative aus. Mit Fortschreiten des Abstimmungskampfes schwand diese Mehrheit allerdings und das gegnerische Lager machte Boden gut. Diese Entwicklung war bereits in der zweiten Umfragewelle erkennbar und setzte sich bis zum Abstimmungssonntag weiter fort. Der Sockel an bestimmter Zustimmung konnte im Wesentlichen gehalten werden, tendenzielle Zustimmende und die Unentschiedene jedoch wurden durch den Abstimmungskampf zu Gegnern und Gegnerinnen der Vorlage. Dies ist ein für Initiativen typischer Meinungsverlauf. Grafik 11 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom 8. März 2015: VI "Familien stärken!" "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Volksinitiative "Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen" abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen/teilgenommen haben 19 35 bestimmt dagegen 14 15 75.4 weiss nicht/keine Antwort 10 eher dafür 25 14 27 20. Januar 2015 eher dagegen 15 26 17. Februar 2015 bestimmt dafür 24.6 8. März 2015 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 8. März 2015 im Trend, 2. Welle, 16. - 21. Februar 2015 (n = 980), Endergebnis 19 Die VOX-Nachanalyse legte offen, dass die generellen Konfliktlinien bei der Familieninitiative nicht stark ausgeprägt waren. Sympathisierende aller Parteien stimmten mehr oder weniger deutlich gegen die Initiative, wobei die Unterstützung bei Anhängerschaften derjenigen Parteien, welche die Ja-Parole herausgegeben hatten, noch am grössten war: Bei der CVP stimmten 49 Prozent und bei der SVP 27 Prozent für die Initiative. Bei den Anhängerinnen und Anhängern der SP und der FDP war die Zustimmung klar tiefer (20% bzw. 18%). Weiter war die persönliche Betroffenheit für den Stimmentscheid relevant: Bei kinderlosen, ledigen Personen fiel die Zustimmung am tiefsten aus und stieg mit der Grösse der Familie sowie steigendem Einkommen leicht an. Im Vergleich hierzu hat sich die CVP bei der neuerlichen Abstimmung besser aufgestellt; vor allem versucht sie, die Interessen der kantonalen Finanzpolitiker und -politikerinnen durch Berücksichtigung im Initiativkomitee besser einzubinden. Dies wirkte sich zumindest auf die Ausgangslage aus. Denn die aktuelle Volksinitiative startete mit einer Zustimmungsbereitschaft von 67 Prozent, verglichen mit 52 Prozent vor Jahresfrist. Zudem betrug die Ablehnungsbereitschaft vor einem Monat 21 Prozent, im Vergleichsfall lag der Ausgangswert bei 33 Prozent. Entscheidend ist aber, in welchem Masse Bewegung in die aktuellen Stimmabsichten kommt. Markant ist die veränderte Ausgangslage in der italienischsprachigen Schweiz, gefolgt von der in der deutschsprachigen. Wenig verändert hat sich der Startpunkt in der Romandie. Grafik 12 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht VI Familien stärken und Initiative gegen Heiratsstrafe nach Sprache: 1. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Volksinitiative 'Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen'/Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 19 12 19 9 15 11 14 12 3 5 10 10 16 13 20 14 26 25 17 20 19 weiss nicht/keine Antwort 31 56 25 ICH/ Gegen Heiratsstrafe bestimmt dafür ICH/ Familien stärken FCH/ Gegen Heiratsstrafe FCH/ Familien stärken 24 DCH/ Gegen Heiratsstrafe eher dafür 42 42 DCH/ Familien stärken eher dagegen 18 26 27 bestimmt dagegen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 08. März 2015 im Trend, 19. - 24. Januar 2015 (n = 831) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Bei der 2015er-Abstimmung zeichnet sich von Beginn weg eine sozialliberale Gegnerschaft gegen die damals geforderten Vergünstigung ab, während das Profil im aktuellen Fall eher zwischen Bürgerlichen und Rotgrünen ausfällt. Denn in der Ausgangslage war nicht klar, ob sich die Mehrheit der FDPWählenden für oder gegen die neuerliche Initiative aussprechen wird. 20 Grafik 13 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht VI Familien stärken und Initiative gegen Heiratsstrafe nach Parteibindung: 1. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Volksinitiative 'Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen'/Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 35 13 30 32 34 23 34 18 CVP/ Familien stärken SP/ Familien stärken 28 11 12 29 25 23 20 32 SP/ Gegen Heiratsstrafe 22 GPS/ Gegen Heiratsstrafe GPS/ Familien stärken 21 45 15 12 21 9 48 29 13 16 31 6 16 17 eher dagegen 18 weiss nicht/keine Antwort 21 44 bestimmt dagegen eher dafür 43 26 bestimmt dafür Parteiungebundene/ Gegen Heiratsstrafe 29 11 11 9 7 Parteiungebundene/ Familien stärken 15 32 19 SVP/ Gegen Heiratsstrafe 15 16 6 14 FDP/ Familien stärken 14 15 4 13 8 9 3 14 SVP/ Familien stärken 11 14 FDP/ Gegen Heiratsstrafe 23 CVP/ Gegen Heiratsstrafe 16 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 08. März 2015 im Trend, 19. - 24. Januar 2015 (n = 831) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 2.3 Durchsetzungsinitiative Volk und Stände haben im November 2010 die Ausschaffungsinitiative angenommen und damit neue Verfassungsbedingungen geschaffen; Ausländerinnen und Ausländer sollen die Schweiz verlassen, wenn sie wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden. Im März 2015 hat das Parlament die nötigen Gesetzesbestimmungen dazu verabschiedet, die 2016 in Kraft treten. Der Urheberschaft der Durchsetzungsinitiative ging die vom Parlament erarbeitete Umsetzung der Ausschaffungsinitiative von Beginn weg zu wenig weit, weshalb sie die Durchsetzungsinitiative lancierte. Sie verlangt, dass die Bestimmungen zur Ausschaffung direkt und detailliert in die Verfassung geschrieben werden. In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Durchsetzungsinitiative wie folgt beschrieben: "Die Initiative verlangt, dass noch einmal über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer abgestimmt wird. Die Initianten wollen damit ihre Vorstellung davon durchsetzen, wie die Ausschaffungsinitiative umzusetzen sei. Das Parlament hat diese Umsetzung inzwischen aber beschlossen und die Gesetze verschärft." 2.3.1 Konfliktmuster Die Schlussabstimmung im Nationalrat fiel deutlich aus: ausserhalb der Initianten ist keine einzige Stimme für das Anliegen ausgefallen. 140 Ratsmitglieder sprachen sich gegen die Vorlage aus, die 57 Stimmen dafür, finden sich in der geschlossenen SVP-Fraktion. In der Schlussabstimmung des Ständerats sahen die Verhältnisse ähnlich aus; 38 Stimmen für den Antrag des Bundesrats auf 21 Ablehnung der Initiative, 6 SVP-Stimmen dagegen. Die Polarisierung entspricht der bekannten Opposition aus rechtsnationaler Sicht gegen die Mehrheit. Grafik 14 Schlussabstimmung Nationalrat Durchsetzungsinitiative Quelle: www.politnetz.ch Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen Damit steht eine geschlossene SVP-Fraktion allen anderen im Parlament vertretenen Parteien gegenüber und das übersetzt sich eins zu eins in die nationalen Parteiparolen: SVP (und EDU/MCG) haben die Ja-Parole gefasst, alle anderen Parteien sprechen die Nein-Parole aus. Es zeichnet sich damit für die Durchsetzungsinitiative ein ähnlicher Parolenspiegel wie bei der Ausschaffungsinitiative ab. . Tabelle 4 Parolen Durchsetzungsinitiative Durchsetzungsinitiative Stimmempfehlung BR Nein-Parole Abstimmung NR 140:57 (Nein-Parole) Abstimmung SR 38:6 (Nein-Parole) Befürwortende Parteien SVP Ablehnende Parteien SP, FDP. CVP, GPS, GLP, BDP, EVP Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Von der ablehnenden Position der Behörden weicht eine berücksichtigte Partei ab, mit der SVP auch eine der starken Regierungsparteien. Der Konflikt im Regierungslager ist damit beschränkt. Die SVP ist isoliert. Verbandsseitig wird die Gegnerschaft unterstützt von Organen der Kantone, von economiesuisse, den Gewerkschaften und humanitären Organisationen. 2.3.2 Abstimmungskampf Die mediale Aufmerksamkeit für die Vorlage ist hoch. Die meisten Medien bringen beide Standpunkte, sympathisieren aber überwiegend mit dem Nein. Explizit befürwortet wird die Vorlage von der "Weltwoche", abgelehnt wird sie namentlich von der "NZZ" und vom "Tagesanzeiger", die Aufsehen erregende Leitartikel in dieser Sache brachten. Auch in sozialen Medien wird die Debatte intensiv geführt. Mindestens auf Twitter ist ein Nein-Überhang feststellbar. Während die Initianten weitgehend einen Standardabstimmungskampf mit Plakaten und Abstimmungszeitung führen, tritt die Gegnerschaft unüblich auf. 22 Aufrufe von alt-Bundesräten und -rätinnen, alt-Richter und -Richterinnen, (alt)Parlamentarier und Parlamentarierinnen und der Rechtswissenschaft machen die Runde. Diese formierte sich im Abstimmungskampf zusehends und sammelte Geld, das seitens economiesuisse erwartet wurde, letztlich aber ausblieb. Der Tagesanzeiger titelte in Anlehnung an die Masseneinwanderungsinitiative, die "49.7" Prozent seien gerade noch rechtzeitig erwacht. Grafik 15 Die Befürworterschaft der Initiative argumentiert, die neuerliche Initiative sei für die korrekte Umsetzung der Ausschaffungsinitiative unerlässlich. Sie sei zum Schutz gut integrierter Ausländer und Ausländerinnen. Sie sichere Sozialwerke und verhindere Wiederholungstaten. Ganz generell schaffe sie Sicherheit. Die SVP argumentiert auffällig mit dem Opferschutz: Sie wirft gleichzeitig der Gegnerschaft vor, sich für die Täter stark zu machen. Der Bundesrat, der die Nein-Seite anführt. Sieht Grundregeln der Demokratie gebrochen, befürchtet Einschränkungen der Justiz, Belastungen der Beziehungen zur EU und insistiert, das Parlament habe seine Arbeit bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative gemacht. Grafik 16 Seitens der ablehnenden Parteien wird von einer gefährlichen Aushebelung des Rechtsstaats gesprochen, die die Unverhältnismässigkeit der Initiative kritisiert und die Missachtung der Menschenrechte angeprangert. Vorgeworfen wird den Initianten, den Delikte-Katalog nicht nur konkretisiert, sondern auch erweitert zu haben. Weiter wird befürchtet, die Schweiz mache sich unglaubwürdig und der Initiativtext können nicht umgesetzt werden. Tendenziell haben sich zwei unterschiedliche Diskurse etabliert: jener zur Sicherheit im Alltag und jener zum Rechtsstaat. Das Konfliktpotenzial der Durchsetzungsinitiative mit rechtstaatlichen Grundsätzen führte zu einer eigentlichen Metadiskussion: Die Initianten beklagen eine einmalige Ballung von Macht gegen die Vorlage. So soll das Volk daran gehindert werden, sich in Machtbereiche einzumischen, welche die Obrigkeit für sich beanspruche. Höhepunkt dieser Interpretation war die Provokation von Christoph Blocher, die Schweiz bewege sich in Richtung einer (Eliten-)Diktatur. SVP-kritisch gesinnte Wirtschaftsführer werfen der Partei im Gegenzug vor, Volksentscheide zu instrumentalisieren und zu einer Diktatur der Mehrheit machen zu wollen. Politikwissenschaftliche Interpretationen sehen in der Entwicklung einen Lernprozess, ausgelöst durch vergleichbare Volksabstimmungen der letzten 20 Jahre. Sie orten einerseits einen wiederkehrenden Elite/Basis-Konflikt, denn Eliten seien öffnungswilliger, das Volk isolationistischer eingestellt. Das drücke sich in konservativen Entscheidungen der Stimmberechtigten aus, bisweilen im Gegensatz zu den meinungsbildenden Eliten. Auch unter Fachleuten umstrittener sind Vorwürfe, wonach die Politik den Volkswillen missachte. Das wird zwar nicht kategorisch ausgeschlossen, jedoch als Folge davon gesehen, dass Initiativen vermehrt internationale Verträge missachten würden und zu Marketinginstrumenten der Parteien verkommen würden, die einzig der Themenbewirt23 schaftung dienen. Nötig sei eine Reform der Volksrechte, um Missbräuche zu verhindern. Anderseits werden Lernprozesse in der politischen Kommunikation gesehen. So würde sich der aggressive Stil, der früher der SVP-Werbung eigen war, heute zusehends überall durchsetzen. Verwiesen wird auf Plakate mit offensichtlicher Anspielung auf Gewalt und gegen Institutionen und Werte, welche die Schweiz ausmachten. Die Rede ist von Anschlägen auf die Schweiz oder die Demokratie. Dies gilt namentlich für die linke Propaganda gegen die Durchsetzungsinitiative, die ganz auf ihre Zielgruppen ausgerichtet ist. Demgegenüber ist die Propaganda aus der bürgerlichen Mitte gemässigter. betont, dass die Initiative nicht nötig respektive eine Zwängerei sei. Erwartet wird, dass die Kette aus Provokation durch Emotionalisierung der Mobilisierung förderlich ist. Der Durchsetzungsinitiative kommt dabei mit Blick auf die Abstimmung vom 28. Februar 2016 eine Lokomotiv-Funktion zu. 2.3.3 Exkurs: Institutionenvertrauen Eines der zentralen Themen im Abstimmungskampf zur Durchsetzungsinitiative ist das Institutionenvertrauen. Ausgehend von der generellen Kritik am Bundesrat misstrauen die Initianten dem Parlament und der Gerichten recht flächendeckend. Sowohl in den VOX-Analysen als auch im Sorgenbarometer erkundigen wir uns regelmässig zum Vertrauen der Stimmberechtigten in die Institutionen. In der VOX-Analyse beschränken wir uns dabei auf den Bundesrat, im Sorgenbarometer wird das separat nach Regierung, Legislative und Judikative ermittelt. Dabei unterscheiden wir beim Parlament sogar nach beiden Kammern. Bei der VOXAnalyse ist die Datenbasis grösser, denn die Resultate werden nach jeder Abstimmung erhoben, während dies beim Sorgenbarometer einmal jährlich der Fall ist. Bei der VOX handelt es sich pro Jahr um rund 4000 Telefon-Interviews, beim Sorgenbarometer um gut 1000 Personen, die direkt befragt werden Grafik 17 Regierungsvertrauen 2004-2015 "Ich lese Ihnen jetzt zwei Ansichten vor, die man recht oft über unsere Regierung hören kann. Welcher stimmen Sie am ehesten zu? 1) Ich kann mich meistens auf die Regierung im Bundeshaus verlassen. Sie handelt nach bestem Wissen und Gewissen, zum Wohle aller. 2) Im Bundeshaus wird immer mehr gegen und immer weniger für das Volk entschieden. Die Regierung kennt unsere Sorgen und Wünsche nicht mehr." in % Stimmberechtigter 48 50 45 43 44 40 45 20 18 32 32 14 13 14 31 11 13 30 2005 Misstrauen (gegen das Volk entschieden) weiss nicht/keine Antwort 12 20 32 2004 32 14 12 18 38 Vertrauen (kann mich verlassen) 37 39 2006 2007 43 2008 48 43 2009 2010 48 2011 54 55 54 2012 2013 2014 58 2015 gfs.bern, VOX-Trendauswertungen (04-15, Vox 82-119), Stand Juli 2015 (n pro Vox = jeweils ca. 1000), gewichtet nach Teilnahme Im Detail unterscheiden sich die Messwerte leicht, was mit den unterschiedlichen Zeitpunkten und Erhebungsinstrumenten, vor allem aber dem variierenden Kontext zusammenhängt. Denn die VOX-Daten werden stets nach einem 24 Abstimmungswochenende ermittelt, in einer meist etwas aufgewühlten Situation mit Gewinnern und Verlierern. Grafik 18 Die wesentlichen Ergebnisse lauten: Erstens: Tiefpunkt im Vertrauen der Bürgerschaft zu den Institutionen war das Jahr 2003. Damals fanden allgemeine Wahlen statt, die mit dem Entscheid, Christoph Blocher in die Bundesregierung zu wählen, endete. Die VOXBefragungen 2004 sprachen von 32 Prozent Vertrauenden, der Sorgenbarometer 1 Jahr nach der Bundesratswahl von 40 Prozent. Seither hat das Institutionenvertrauen gemäss beiden Instrumenten wieder zugenommen, wenn auch nicht ganz konstant. So zeigte insbesondere 2014 einen vorübergehenden Rückgang. Aktuell spricht die VOX-Analyse von 58 Prozent Vertrauenden, derweil dies beim Sorgenbarometer 63 Prozent sind. Zweitens: Im Sorgenbarometer kann das Vertrauen in die verschiedenen Behörden sogar noch etwas differenziert werden. Dabei gilt, dass das Bundesgericht stets besser abschneidet, während das Parlament weniger gut weg kommt. Dabei liegt der Nationalrat meist etwas vor dem Ständerat. Die aktuellen Werte für die Justiz liegen bei 68 Prozent, für die Parlamentskammern separat bei 57 für den National- und 56 für den Ständerat. Drittens: Die Ergebnisse sprechen dafür, dass man nicht von einem generalisierten Misstrauen in die Institutionen ausgehen kann. Das bestätigt auch eine Reihe weitere Untersuchungen, die in aller Regel von einem erhöhten Vertrauen in die Institutionen in der Schweiz sprechen. Hauptgründe hierfür werden in der Wirtschaftslage einerseits, den Institutionen anderseits gesehen. So entwickelte sich die Konjunktur trotz der globalen Finanzmarktkrise in der Schweiz ab 2010 vorteilhaft, was zum Anstieg im Institutionenvertrauen beitrug. Zudem sind die Werte gerade im Systemvergleich an sich höher, weil die Polarisierung zwischen Eliten und Volk dank Eigenheiten wie der direkten Demokratie, dem Föderalismus und dem Milizsystem geringer ist. Viertens: Aus Vertrauensmessungen darf man jedoch nicht schliessen, dass die Unterstützung der Behördenpolitik automatisch gesichert ist. Vertrauen bedeutet letztlich nur, dass man von der Richtigkeit der geleistet Arbeit im Sinne des Prozesses ausgeht. Gesprochen wird von einer diffusen Unterstützung, die im Einzelfall nicht in eine spezifische münden muss. Besser verwendbar ist 25 der umgekehrte Zusammenhang: Wer kein Institutionenvertrauen hat, unterstützt mit geringer Wahrscheinlichkeit die Politik der Behörden. 2.3.4 Zwischenbilanz Aufgrund der ersten Welle zur SRG-Befragungsreihe haben wir die Ausgangslage im Abstimmungskampf wie folgt beschrieben. Bei der Initiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative, die vor allem durch die Entscheidungen bei der Ausschaffungsinitiative stark prädisponiert ist. Die Meinungsbildung war von Beginn weg fortgeschritten, wenn auch die Stimmabsichten nicht überall abschliessend gemacht waren. Es bestand eine knappe Ja-Mehrheit. Änderungen im Ja/Nein-Anteil namentlich durch die Mobilisierung erschienen aber möglich; bei einer weiter steigenden Beteiligung wurde mit Vorteilen für die Initianten gerechnet. Populärstes Argument der Kampagne ist die konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer. Es hat bisher auch mit Abstand am meisten polarisiert. Seitens der Gegner gibt es kein so eindeutiges Argument. Mehrheitlich akzeptiert und zielgruppenspezifisch wirkungsvoll sind die Gesetzgebung des Parlaments zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, die fehlende Härtefallklausel in der Volksinitiative und die Folgen für die Bilateralen. Tendenziell als Bumerang wirkt es sich aus, wenn die Initianten den Volkswillen generell über das Völkerrecht stellen. Das Konfliktmuster in der Ausgangslage glich dem aus bekannten Vergleichsabstimmungen. Die Opposition war parlamentarisch nicht mehrheitsfähig, unter den Stimmwilligen aber grösser, weil es Elite/Basis-Konflikte gibt. Dieser ist rechts ausgeprägter als links, aber auch bei den Parteiungebundenen vorhanden. Verstärkt kam dies durch Ja-Stimmen der regierungsmisstrauischen Bürgerinnen und Bürger vor. Dies kennzeichnet aber auch die Stimmabsichten der unteren Schichten. Neu war, dass die Zustimmungsbereitschaft insbesondere bei jüngeren Personen höher war als im hohen Alter. Erwartet wird, dass die Ablehnung etwa steigt und die Zustimmung etwas sinkt. Grosse Veränderungen werden angesichts des fortgeschrittenen Standes der Meinungsbildung jedoch nicht angenommen. Offen ist der Ausgang auch wegen dem Ständemehr. 2.3.5 Vergleichsvorlage: Ausschaffungsinitiative Die offensichtliche Referenz für die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative ist ihr Vorläufer die Ausschaffungsinitiative der SVP vom 28. November 2011, die vom Volk mit einem Ja-Anteil von 52.3 Prozent angenommen wurde. Der Bundesrat, das Parlament und der Grossteil aller Parteien empfahlen die Vorlage zur Ablehnung und lediglich die SVP sowie einige Parteien aus dem rechts-konservativen Lager beschlossen die Ja-Parole. Die Volksinitiative war in der Ausgangslage mehrheitsfähig, weil die Kriminalität bestimmter Ausländergruppen in breiten Bevölkerungsschichten problematisiert worden ist. Der Lösungsansatz der Initianten und Initiantinnen war allerdings gerade im Parlament umstritten, sodass es zu einem Gegenentwurf kam, der Ziele der Initiative aufnahm, sie aber mit anderen Mitteln verfolgen wollte. Der Verlauf der Meinungsbildung zur Ausschaffungsinitiative ist kein eindeutiger Regelfall. Obwohl sich der Ja-Anteil, wie bei Initiativen üblich, von der ersten hin zur zweiten Umfrage verringerte, tat er dies nicht in gewohntem Ausmass. Es gelang während der Kampagnenphase beiden Lagern ähnlich gut, mit ihren Argumenten zu überzeugen. Insbesondere blieb der übliche Meinungs26 wandel der tendenziellen Befürworterschaft aus; aus tendenziellen Befürwortern wurden zum Schluss dezidierte. Solche Fälle der Meinungsbildung bei Initiativen treten nach unserer Erfahrung dann auf, wenn es mit der Initiativentscheidung zu einem Tabubruch kommt, mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. Es ist in solchen Situationen möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen (zugunsten der Initiative) ändert oder auch ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Denkbar ist der Fall auch, wenn der Problemdruck als hoch angesehen wird, sodass mit der Stimmabgabe ein bewusstes Zeichen gegen die Erfahrungen aus dem Alltag gesetzt wird. Der hitzig geführte Abstimmungskampf und die hohe Mobilisierung von Stimmberechtigten (52.9% Stimmbeteiligung) stützen diese These. Der Ausgang der Abstimmung wurde von der VOX-Autorenschaft als historisch bezeichnet, denn erstmals wurde eine Initiative im Bereich der Ausländerpolitik im engeren Sinne angenommen. Diesen Erfolg hatte die SVP-Initiative gemäss VOX-Nachanalyse zunächst der konsequenten Unterstützung in den eigenen Reihen zu verdanken. Ausserdem fand die Initiative auch Zuspruch in bürgerlichen Kreisen. Etwa jede zweite FDP-Wählerin respektive jeder zweite FDPWähler legte ein Ja ein. Bei der CVP-Anhängerschaft war der Ja-Stimmenanteil zwar geringer, aber mehr als ein Drittel (37%) von ihnen entschied sich – entgegen der Parteiparole – zugunsten des Begehrens. Im linken Lager stiess die Initiative erwartungsgemäss auf wenig Sympathie. Nur 12 Prozent der SPAnhängerschaft stimmten zu ihren Gunsten. Mit Ausnahme von Basel-Stadt erreichte das SVP-Volksbegehren in allen Deutschschweizer Kantonen eine Mehrheit. In den französischsprachigen Kantonen wurde sie mit Ausnahme des Wallis zwar mehrheitlich verworfen, aber überall lag der Ja-Stimmenanteil bei über 40 Prozent. Grafik 19 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht an Abstimmung vom 28. November 2010: "Ausschaffungs-Initiative" "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Ausschaffungs-Initiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 24 37 12 bestimmt dagegen 47.7 eher dagegen 6 6 3 22 15 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 52.3 36 1. Welle/13.10.2010 39 2. Welle/10.11.2010 bestimmt dafür 28.11.2010 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. November 2010 im Trend, 2. Welle, 08. – 13.11.2010 (n = ca. 750), Endergebnis Denkbar ist auch ein Bezug zur Einbürgerungsinitiative, denn sie zeigte ein ähnliches Konfliktmuster, allerdings bei deutlich geringerer Konfliktintensität. Den Hauptgrund hierfür sehen wir darin, dass institutionelle Fragen nicht die gleiche Sprengkraft haben wie gesellschaftspolitische. Deshalb wirken rechtspolitische Bedenken der Gegnerschaft in solchen Fällen deutlich stärker. 27 Grafik 20 Abstimmung vom 28. November 2010: Ausschaffungsinitiative Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Aus dem Vergleich der Startpunkte bei beiden Befragungen kann man ableiten, dass die Ausschaffungsinitiative etwas besser begann als die Durchsetzungsinitiative. Denn die erste Volksinitiative zum Thema begann mit 58 Prozent Zustimmungsbereitschaft, die zweite mit 51 Prozent. Bei der Ausschaffungsinitiative startete die Gegnerschaft bei 36 Prozent, während dies bei der aktuellen Vorlage 42 Prozent waren. Grafik 21 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht AusschaffungsInitiative und Durchsetzungsinitiative nach Sprache: 1. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Ausschaffungs-Initiative/Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 28 33 DCH/ Durchsetzungsinitiative DCH/ Ausschaffungsinitiative 38 18 bestimmt dagegen 8 18 30 16 2 6 10 eher dagegen 11 18 21 weiss nicht/keine Antwort 45 44 31 eher dafür bestimmt dafür 20 ICH/ Durchsetzungsinitiative 18 16 FCH/ Ausschaffungsinitiative 23 11 5 29 7 11 6 22 ICH/ Ausschaffungsinitiative 33 FCH/ Durchsetzungsinitiative 22 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. November 2010 im Trend, 1. Welle, 12. – 16. Okt. 2010 (n = 765) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Geringer ist die Zustimmung in der Ausgangslage namentlich in der deutschsprachigen Schweiz, nicht aber im italienischsprachigen Landesteil. In der französischsprachigen Schweiz sind etwas mehr Teilnahmewillige dafür, die Mei28 nungsbildung ist aber weniger klar fortgeschritten als zum Vergleichszeitpunkt 2010. Geringer fällt der anfängliche Support namentlich bei der SP aus, gefolgt von der CVP und der FDP. Einzig bei den Parteiungebundenen ist die Zustimmungsbereitschaft leicht erhöht. Grafik 22 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht AusschaffungsInitiative und Durchsetzungsinitiative nach Parteibindung: 1. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Ausschaffungs-Initiative/Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 2 20 21 15 14 10 8 19 30 23 70 32 30 16 13 34 23 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür Parteiungebundene/ Durchsetzungsinitiative 9 76 SVP/ Ausschaffungsinitiative 21 25 25 CVP/ Durchsetzungsinitiative 3 7 8 SP/ Durchsetzungsinitiative 2 SP/ Ausschaffungsinitiative 19 GPS/ Durchsetzungsinitiative 14 GPS/ Ausschaffungsinitiative 12 2 13 14 24 4 3 4 12 10 7 3 19 14 FDP/ Durchsetzungsinitiative 11 16 17 21 FDP/ Ausschaffungsinitiative 62 12 8 7 19 45 CVP/ Ausschaffungsinitiative 66 3 SVP/ Durchsetzungsinitiative 43 59 30 28 Parteiungebundene/ Ausschaffungsinitiative 23 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. November 2010 im Trend, 1. Welle, 12. – 16. Okt. 2010 (n = 765) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 2.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Die Initiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" verlangt, dass spekulative Geschäfte mit Agrarderivaten in der Schweiz verboten werden. Zulässig bleiben sollen lediglich Geschäfte zur terminlichen und preislichen Absicherung. Ausserdem soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass die Spekulation auf den Märkten für Agrarderivate bekämpft wird. Lanciert wurde die Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation von den Juso; mitgetragen wird sie von der jungen CVP, der AL, der EVP und den Grünen sowie Organisationen aus humanitären und kirchlichen Kreisen. In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation wie folgt beschrieben: "Die Volksinitiative verlangt in der Schweiz ein Verbot von spekulativen Finanzgeschäften, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Ausserdem soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass solche Geschäfte bekämpft werden." 29 2.4.1 Konfliktmuster Im Nationalrat wurde die Initiative mit 130 zu 58 Nein-Stimmen abgelehnt. Im Ständerat legten 31 Parlamentsmitglieder ein Nein ein, während sich 11 für die Initiative aussprachen. Das Ergebnis war damit recht klar: Die Polarisierung entspricht weitgehend der linksgrünen Opposition gegen die bürgerliche Mehrheit. Grafik 23 Schlussabstimmung Nationalrat Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Quelle: www.politnetz.ch Lesebeispiel: Ja heisst Zustimmung zum Antrag des Bundesrates: Initiative zur Ablehnung empfehlen Es zeichnet sich damit eine politische Entscheidung entlang der Parteispektren ab, wobei sich die politische Mitte mit dem rechtsbürgerlichen Lager gegen die SP und die Grünen aufstellen dürften. Die Parteiparolen entsprechen diesem Bild. Auf der nationalen Ebene beschliessen bisher einzig die SP, die Grünen und die EVP die Ja-Parole, während GLP, CVP und SVP das Anliegen zur Ablehnung empfehlen. Tabelle 5 Parolen VI gegen Nahrungsmittelspekulation VI gegen Nahrungsmittelspekulation Stimmempfehlung BR Nein-Parole Abstimmung NR 130:58 (Nein-Parole) Abstimmung SR 30:11 (Nein-Parole) Befürwortende Parteien SP, GPS, EVP Ablehnende Parteien SVP, FDP, CVP, GLP, BDP Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Von der ablehnenden Position der Behörden weichen drei berücksichtigte Parteien ab, mit der SP auch eine starke Regierungspartei. Der Konflikt im Regierungslager ist damit beschränkt vorhanden. Verbandsseitig findet die Ja-Seite Support beim Gewerkschaftsbund, Bauern – und Entwicklungshilfeorganisationen und Umweltverbänden. Die Nein-Seite wird durch economiesuisse, die Bankiervereinigung und die Föderation der Nahrungsmittelindustrien verstärkt. 30 2.4.2 Abstimmungskampf Nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten haben spekulative Geschäfte mit Agrarderivaten einen negativen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise und tragen zu Armut und Hunger in der Welt bei. Zudem nähmen viele Finanzkonzerne ihre Verantwortung nicht wahr. Die Schweiz habe es auch verpasst, die Spekulation per Gesetz einzudämmen. Schliesslich, mit Essen spiele man nicht. Grafik 24 Der Bundesrat attestiert der Initiative mit der Bekämpfung von Armut und Hunger hehre Ziele, die wichtig für die Schweiz seien. Er setzt aber auch die bewährten Instrumente, wie Entwicklungszusammenarbeit oder humanitäre Nothilfe. Zudem soll sich die Schweiz international für eine Verbesserung der Transparenz auf den Rohstoffmärkten engagieren. Bei einer Annahme der Initiative sieht er namentlich Schaden für den Wirtschaftsstandort und Unternehmen. Die Gegnerschaft führt ins Feld, das betroffene Unternehmen ihre Handelsaktivitäten schlichtweg ins Ausland verlegen könnten. Daher hätte ein Schweizer Verbot kaum Auswirkungen auf den weltweiten Handel mit Agrarderivaten. Die Initiative sei Unsinn, nütze nichts und schade nur. Teils verteidigen sie Spekulation auch als Mittel der langfristigen Versicherung für Lebensmittelkonzerne und Landwirte. Die mediale Präsenz der Vorlage ist von allen vier Abstimmungsthemen am geringsten. Ein eigentlichen Medientenor hat sich dabei nicht entwickelt. Als Kampagnenereignisse der Hauptkampagnenphase können vorerst zwei Aktionen der Pro-Seite genannt werden, ein neuartiges und klassisches Kampagnenelement: Das medienwirksame Aufschalten einer Website2, wo direkte Beschwerdemails an den CEO der Credit Suisse abgesetzt werden können sowie ein breiter Versand von Propagandamaterial in Schweizer Haushalte. Zusätzliche Unterstützung erhielten die Initianten von verschiedenen Bauernvereinigungen der Schweiz. Der gegnerischen Seite gelang der Aufbau einer Argumentationskette zu den wirtschaftsschädigenden Wirkungen einer Annahme der Initiative und sie betonen die Wirkungslosigkeit einer SchweizerLösung im weltweiten Kontext. 2.4.3 Zwischenbilanz Aufgrund der ersten von zwei Befragungswellen hielten wir als Zwischenbilanz zur Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation fest: Bei der Vorlage zum Spekulationsstopp bei Nahrungsmitteln handelt es sich um eine Minderheitsinitiative, die ein neues Thema aufwirft, sodass nicht mit ausgeprägt prädisponierten Stimmabsichten gerechnet werden kann. In der Ausgangslage bestand keine absolute Zustimmungsmehrheit, jedoch eine relative. Die Meinungsbildung war wie erwartet bisher wenig fortgeschritten. Die Polarisierung folgte wie im Parlament dem Links/rechts-Muster; sie war aber wenig ausgeprägt. Insbesondere unter den Wählenden der SVP und CVP gab es vorerst recht starke Abweichungen von den Parteiparolen. 2 http://spekulationsstopp.ch/credit-suisse/ 31 Argumentativ dreht sich die Debatte aus Bevölkerungssicht um die Ursachen des Welthungers. Die Initianten haben damit ein zentrales Thema gesetzt, finden aber mit ihrem Lösungsansatz keine Mehrheit. Erwartet wird, dass die Ablehnung steigt und die Zustimmung sinkt, sodass die Initiative wahrscheinlich abgelehnt werde. 2.5 Zweiter Gotthardtunnel Der Gotthard-Strassentunnel wird jährlich von rund fünf Millionen Personenwagen und 900‘000 Lastwagen genutzt. Die Strasse über den Pass kann jeweils nur im Sommerhalbjahr befahren werden. Im Winter ist sie nicht passierbar. Mit einem täglichen Verkehr von durchschnittlich 17‘000 Fahrzeugen ist der Gotthard die wichtigste Alpenverbindung der Schweiz. Nach rund 35 Jahren Betrieb soll der Gotthardstrassentunnel altershalber saniert werden. Um die Strassenverbindung während der mehrjährigen Sanierungsarbeiten aufrecht zu erhalten, haben Bundesrat und Parlament den Bau eines zweiten Tunnels beschlossen, die während der Sanierungsarbeiten als Ausweichtunnel dienen soll. Nach der Sanierung sollen beide Tunnel in Betrieb sein, ohne dabei die Kapazität insgesamt zu erhöhen: Im Gesetz ist verankert, dass immer nur eine Fahrspur pro Richtung betrieben werden darf. Der Bau der zweiten Tunnelröhre und die Sanierung der bestehenden kosten rund 2,8 Milliarden Franken. Gegen die Vorlage wurde von rotgrüner Seite erfolgreich das Referendum ergriffen. Federführend war der Verein "Nein zur 2. Gotthardröhre" bestehend aus über 50 nationalen und lokalen Organisationen (Parteien, Vereine, Gewerkschaften, Interessengemeinschaften, Stiftungen und NGOs). In unserer Befragung und in den Erläuterungen des Bundesrates (offizielle Abstimmungsbroschüre) wurde die Vorlage wie folgt beschrieben: "Die Gesetzesänderung ermöglicht den Bau einer zweiten Röhre mit anschliessender Sanierung des bestehenden Tunnels. So ist die Strassenverbindung durch den Gotthard auch während der Sanierung verfügbar. Im Gesetz wird zudem verankert, dass immer nur eine Fahrspur pro Richtung offen ist." 2.5.1 Konfliktmuster Der Bau eines Sanierungstunnels wurde von beiden Räten gutgeheissen. Im Ständerat betrug das Resultat 28 Ja- zu 17 Nein-Stimmen, im Nationalrat wurde die Vorlage mit 109 Ja- zu 74 Nein-Stimmen angenommen. Grafik 25 Schlussabstimmung Nationalrat über zweite Gotthardröhre Lesebeispiel: Das Parlament stimmt über die Änderung der Bundesgesetzes ab. Ein Ja bedeutet: Annahme der Änderung. Quelle: www.politnetz.ch 32 Die sozialdemokratische, grüne und grünliberale Fraktion stimmten in beiden Kammern geschlossen gegen die zweite Gotthardröhre. Auf der befürwortenden Seite standen in beiden Räten die BDP, CVP, FDP, BDP und die SVP, wenn auch nicht alle geschlossen. Der Entscheid war nur eher klar, hat jedoch vorwiegend auf entlang der Links/rechts-Achse polarisiert. Orientiert man sich an der Schlussabstimmung im Parlament kann bei dieser Abstimmung eine ökologisch-links-orientierte Front gegen eine bürgerlichrechts-orientierte erwartet werden. Durchbrochen werden dürfte dieses Muster allerdings von regionalen Faktoren. National bereits ein Ja als offizielle Parteiparole gefasst haben die SVP, BDP und die CVP. Die Vorlage zur Ablehnung empfehlen dagegen die SP, GPS, GLP und die EVP. Tabelle 6 Parolen zweite Gotthardröhre Bundesbeschluss zweite Gotthardröhre Stimmempfehlung BR Ja-Parole Abstimmung NR 109:74 (Ja-Parole) Abstimmung SR 28:17 (Ja-Parole) Befürwortende Parteien SVP, FDP, CVP, BDP (abweichend CVP UR, NW) Ablehnende Parteien SP, GPS, GLP, EVP Quelle: Parteienwebseiten, Stand: 20.01.2016 SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Von der zustimmenden Position der Behörden weichen vier berücksichtigte Parteien ab, mit der SP auch eine starke Regierungspartei. Der Konflikt im Regierungslager ist damit beschränkt vorhanden. Die Ja-Seite wird von Verbänden der Automobilisten, der Transporteure und der Bauwirtschaft sowie der Wirtschaftsverbände unterstützt. Auf der Nein-Seite finden sich Umweltverbände, der Verkehrsclub, der Gewerkschaftsbund und Swisscleantech. 2.5.2 Abstimmungskampf Die Aufmerksamkeit für diese Vorlage ist hoch. Medial ist die Vorlage zum Zweiten Gotthardtunnel sehr präsent, wobei beide Seiten ihren Platz erhalten. Die Pro-Seite setze mit einer Kampagnenzeitung an alle Schweizer Haushalte auf klassische Kampagnenführung, die gegnerische Seite ist im Internet sehr präsent und führt mit Animationsvideos Alternativen zur zweiten Tunnelröhre vor Augen. Überrascht nahm manch einer die deutliche und gegnerische Positionierung der NZZ zur Kenntnis und auch "Das Magazin" gab gegnerischen Stimmen in einer Ausgabe Platz. Aufsehen erregte Clown Dimitri, der im Abstimmungskampf vom Befürworter zum Gegner mutierte. Seitens der Befürworterschaft wird dagegen mit Sicherheit, Kosteneffizienz und der Wichtigkeit der steten Nord-Südverbindung argumentiert. Der Gotthard-Strassentunnel gilt als Herzstück der Nord-Süd-Verbindung durch die Alpen und sichert Bevölkerung und Handel eine ganzjährig verfügbare Strassenverbindung. Zudem sei damit für alle künftigen Sanierungen am Gotthard vorgesorgt. Grafik 26 33 Ergriffen wurde das Referendum, weil der Alpenschutz nicht gewährleistet bleibe, es besser Alternativen gäbe und die getroffene Wahl finanzpolitischer Unsinn sei. Die Gegner und Gegnerinnen des Zweiten Gotthardtunnels befürchten konkret, dass die zweite Röhre, wenn sie einmal gebaut sei, auch genutzt werde und die Schweiz so zur "Transithölle" verkomme. Kritisiert wird auch der Umstand, so viel Geld in ein Projekt zu schiessen, während in den Städten und Agglomerationen, wo der Verkehr aus allen Nähten platze und Geld für notwendige Projekte fehle. Die Neat dagegen, in die das Schweizer Volk 24 Milliarden investiert hat, sieht man durch die zweite Gotthardröhre konkurrenziert. Gefährdet sei zudem das Verlagerungsziel des Güterverkehrs auf die Schiene. Grafik 27 2.5.3 Zwischenbilanz Als Bilanz der ersten von zwei Befragungswellen hielten wir zur GotthardVorlage fest: Bei der Vorlage, die zu einem zweiten Gotthardtunnel führen soll, handelt es sich um eine positiv vorbestimmte Behördenvorlage, gegen die von rotgrüner Seite das Referendum ergriffen worden ist. Die Debatte wurde durch Sicherheitsfragen bestimmt. Polarisierend wirkten aber eher die staatspolitischen Botschaften: Die drohende Abkapselung des Tessins ohne den neuen Tunnel einerseits, die Ritzung des Alpenschutzes bei einer zweiten Röhre anderseits. Die bisherige Polarisierung folgt der Konfliktlinie im Parlament. Sie ist in erster Linie durch den Gegensatz zwischen bürgerlicher und linker (Verkehrs-) Politik geprägt. Hinzu kommen Unterschiede nach Sprachregionen, wobei die italienischsprachige Schweiz (verstärkt dafür) und die Romandie (verstärkt unentschieden) die Gegensätze bilden. Die parteipolitische Polarisierung ist mittelstark, ohne dass es bisher zu namhaften Abweichungen der nationalen Parolen gekommen wäre. Erwartet wird, dass die Befürworter im Vorteil bleiben. Im Normalfall verteilen sich die Unschlüssigen auf beide Seite, im Ausnahmefall könne auch ein Teil der anfänglichen Ja-Lager das Lager wechseln. 2.5.4 Vergleichsvorlage: Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative Eine Vergleichsvorlage aus jüngerer Vergangenheit ist jene über die Finanzierung und den Ausbau der Bahninfrastruktur, kurz FABI. Inhaltich näher am Thema liegt jedoch eine etwas ältere Vorlage, der Gegenvorschlag zur AvantiInitiative. Die Automobilverbände TCS und ACS hatten mit einer Ende 2000 eingereichten Volksinitiative verlangt, dass Engpässe auf überlasteten Autobahnteilstücken im Mittelland behoben und am Gotthard ein zweiter Strassentunnel gebaut wird. Letzteres hätte die teilweise Ausserkraftsetzung der 1994 vom Volk 34 angenommenen Alpenschutzinitiative bedingt. Der Bundesrat lehnte den Gotthardstrassentunnel als nicht dringlich ab und legte einen Gegenentwurf vor. Dieser sah neben dem Ausbau von überlasteten Nationalstrassen auch die Förderung des öffentlichen Agglomerationsverkehrs mit bisher für den Strassenbau zweckgebundenen Mitteln vor. Gegen den Willen des Bundesrates nahm das Parlament zusätzlich den Bau einer zweiten Tunnelröhre durch den Gotthard in den Gegenvorschlag auf, was die Automobilverbände veranlasste, ihre Avanti-Initiative zurückzuziehen. Da das Parlament auf die Festlegung eines Termins für den Bau der Gotthardröhre verzichtet hatte, stellte sich in der Abstimmungskampagne auch der Bundesrat hinter den Parlamentsbeschluss. Die Fronten im damaligen Abstimmungskampf waren weitgehend klar: Auf der Gegnerseite befanden sich die SP, die GPS sowie die Umweltschutzorganisationen und die Gewerkschaften. Für den Gegenvorschlag setzten sich die FDP, die SVP und die Unternehmerverbände ein. Nicht in dieses für Umweltschutzfragen klassische Schema passte die CVP mit ihrer gegen die Parteileitung gefassten Nein-Parole. Die Kampagne wurde namentlich von der Contra-Seite sehr engagiert geführt. Ihre Argumente konzentrierten sich auf zwei Elemente: Den Gotthard-Tunnel, welcher das Ziel einer Verlagerung des Gütertransitverkehrs auf die Schiene sabotiere, und die angesichts der Sparanstrengungen des Staates hohen Kosten von rund 30 Milliarden Schweizer Franken. Die Befürworterschaft pries die Vorlage als ausgewogenes Konzept zur Förderung sowohl des privaten als auch des öffentlichen Verkehrs an, dessen Finanzierung durch die Verwendung von zweckgebundenen Abgaben der Automobilisten auch langfristig gesichert sei. In der Volksabstimmung vom 8. Februar 2004 wurde der Avanti-Gegenvorschlag mit einem Neinstimmen-Anteil von 62,8 Prozent deutlich abgelehnt. Das für eine Annahme ebenfalls erforderliche Ständemehr hatte sie noch klarer verfehlt, ergab sich doch in keinem einzigen Kanton eine zustimmende Mehrheit. Grafik 28 Abstimmung vom 8. Februar 2004: Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative Quelle: www.atlas.bfs.admin.ch Die VOX-Nachanalyse dieser Abstimmung legte offen, dass das Abstimmungsverhalten von einem klaren Links/rechts-Graben geprägt war: Wer sich politisch als links einstufte, hatte den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative abgelehnt, wer sich rechts einstufte, hatte ihn knapp angenommen. Fast ebenso stark beeinflusste die Einstellung zur Umweltschutzpolitik den Entscheid: Wer den 35 Schutz der Umwelt höher bewertet als das Wirtschaftswachstum, stimmte zu 79 Prozent Nein. Dass die Skepsis weit ins bürgerliche Lager hineinreichte, zeigte das Verhalten der Parteisympathisanten. Nur etwas mehr als die Hälfte der Anhängerschaft der SVP und der FDP folgte den Ja-Parolen ihrer Parteien. Im Gegensatz dazu schlossen sich 79 Prozent der SP-Sympathisanten und rund zwei Drittel der CVP-Gefolgschaft den ablehnenden Empfehlungen ihrer Parteien an. Die sozialen Merkmale wirkten sich nur schwach auf das Abstimmungsverhalten aus. Am wichtigsten war die Frage, wie viele Personenwagen in einem Haushalt vorhanden sind. Stimmende aus Haushalten mit mehreren Autos waren die einzigen, welche den Avanti-Gegenvorschlag mehrheitlich guthiessen. Für die Mehrheit der Nein-Stimmenden war der Avanti-Gegenvorschlag eindeutig ein Plebiszit gegen einen zweiten Gotthardtunnel. Bereits an zweiter Stelle der Entscheidungsmotive folgen die von der Contra-Propaganda herausgestrichenen Kosten des Projekts. Das Pro-Argument, dass ein zweiter Strassentunnel durch den Gotthard notwendig sei, hat die beiden Lager am meisten polarisiert. Obwohl im politischen Spektrum die Zustimmung zum Gotthardtunnel von links nach rechts zunimmt, war er bei keiner Partei mehrheitsfähig. Von den gegnerischen Argumenten polarisierte vor allem die Aussage, dass neue Strassen grundsätzlich zu mehr Verkehr führen und deshalb aus Umweltschutzgründen darauf zu verzichten sei. Eine Zweidrittelmehrheit der Stimmenden war mit dem Argument einverstanden, dass der Bund anstelle der Autobahnen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen solle. Grafik 29 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 8. Februar 2004: Gegenvorschlag Avanti-Initiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie bei einer solchen Abstimmung teilnehmen würden oder nicht: Wenn morgen schon über den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen/teilgenommen haben 22 37 18 62.8 14 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 19 21 bestimmt dagegen / Nein 17 eher dafür 10 bestimmt dafür / Ja 37.2 20 9. Dezember 2003 22 20. Januar 2004 8. Februar 2004 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 8. Februar 2004 im Trend, 2. Welle, 14. – 25. Januar 2004 (n = 900), Endergebnis Die Vorlage für einen zweiten Gotthard-Strassentunnel startet klar besser als der Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative. Damals waren in der Ausgangslage 41 Prozent dafür und 40 Prozent dagegen. Aktuell waren zum vergleichbaren Zeitpunkt 64 Prozent auf der Ja-Seite, nur 29 Prozent im Nein-Lager. Markant sind die Unterschiede in der Ausgangslage namentlich in der italienischsprachigen Schweiz. Die Differenz beträgt hier rund 30 Prozentpunkte. Bei zirka einem Viertel der teilnahmewilligen Stimmberechtigte in der deutschsprachigen Schweiz findet sich vergleichbares. 36 Grafik 30 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative und Zweite Gotthardröhre nach Sprache: 1. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative/die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 13 3 18 13 14 11 22 14 23 31 22 16 12 25 eher dafür 29 FCH/ Zweite Gotthardröhre ICH/ Gegenvorschlag Avanti 21 FCH/ Gegenvorschlag Avanti DCH/ Zweite Gotthardröhre weiss nicht/keine Antwort 54 18 DCH/ Gegenvorschlag Avanti eher dagegen 22 15 44 21 bestimmt dagegen 20 32 20 11 6 7 bestimmt dafür ICH/ Zweite Gotthardröhre 18 25 © SRG-Trend/gfs.bern, Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative 2003 (n = 830) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) Vergleichbares findet sich auch nach Parteibindungen. Generell gilt: Je rechter eine Parteiwählerschaft ist, umso markanter fällt der Meinungswandel aus. Bei der SVP-Basis startet die Vorlage mit 33 Prozent mehr Zustimmung, während sich bei den Grünen kaum eine nennenswerte Veränderung eingestellt hat. Einiges spricht dafür, dass sich darin der allgemeine Rechtsrutsch, verbunden mit der Abkehr von ökologischen Präferenzen gerade im bürgerlichen Lager ausdrückt. Grafik 31 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative und Zweite Gotthardröhre nach Parteibindung: 1. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative/die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 18 15 12 10 13 18 SP/ Gegenvorschlag Avanti SP/ Zweite Gotthardröhre 25 17 16 8 15 32 28 27 21 eher dagegen 23 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 60 47 36 bestimmt dagegen 16 19 20 23 CVP/ Zweite Gotthardröhre 12 22 18 20 9 35 bestimmt dafür Parteiungebundene/ Zweite Gotthardröhre 16 26 11 14 Parteiungebundene/ Gegenvorschlag Avanti 15 2 GPS/ Zweite Gotthardröhre 11 27 32 10 7 3 SVP/ Zweite Gotthardröhre 21 GPS/ Gegenvorschlag Avanti 23 8 8 14 25 CVP/ Gegenvorschlag Avanti 21 15 2 27 10 25 SVP/ Gegenvorschlag Avanti 16 55 15 FDP/ Gegenvorschlag Avanti 33 32 FDP/ Zweite Gotthardröhre 12 29 © SRG-Trend/gfs.bern, Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative 2003 (n = 830) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 37 2.6 Beteiligung Die erste Vorbefragung in unserer Serie ging bei 48 Prozent von einer Stimmabsicht aus. Erwartet wird, dass der Wert bis zum Abstimmungstag nochmals zunimmt. Wenig Gesichertes lässt sich dabei über die finale Höhe aussagen, denn diese ergibt sich im Wesentlichen aus dem Abstimmungskampf einerseits und den Mobilisierungsbestrebungen anderseits. Zunahmen im Abstimmungskampf bis 5 Prozentpunkte gelten als normal, darüber als unüblich. Die Beteiligungshöhe hängt davon ab, dass es mindestens eine LokomotivVorlage gibt. Sie zeichnet sich in der Regel durch polarisierte Lager mit klarer Meinungsbildung ab, was in der Werbung und Medienberichterstattung entsprechend zum Ausdruck kommt. Im aktuellen Fall ist das zweifelsfrei die Durchsetzungsinitiative. Die erste Welle sprach von 62 Prozent der Beteiligungsbereiten Bürger und Bürgerinnen mit festen Stimmabsichten, weiteren 31 Prozent mit tendenziellen. Bei der Gotthardabstimmung waren 56 Prozent bereits zu Beginn des Abstimmungskampfes überzeugt, bei der Heiratsstrafe 52 Prozent und beim Spekulationsstopp lag der Vergleichswert bei 47 Prozent. Darin spiegelt sich auch die (vermutete) Intensität der Medienberichterstattung. Denn auch diese ist bei der Durchsetzungsinitiative und dem zweiten Gotthardtunnel hoch, bei den beiden anderen Vorlagen tiefer. Dazu passen beispielhaft die Zuschauerzahlen respektive Marktanteile, die regelmässig zur "Arena"-Sendung ermittelt werden. Die relevante Zusammensetzung dazu findet sich nachfolgend. Sie zeigt, dass sowohl die Zuschauerzahlen als auch der Markanteil positiv mit der Prädisponiertheit korreliert. Tabelle 7 Grad der Prädisposition von Stimmabsichten (1. Welle) und Resonanz der "Arena"-Sendungen zu den Themen Prädisposition hoch Prädisposition mittel Durchsetzungsinitiative 62 31 7 301'000 30% Zweiter Gotthardtunnel 56 37 7 271'000 29% Heiratsstrafe 52 36 12 177'000 18% Spekulationsstopp 47 40 13 140'000 12% Vorlage Prädisposition tief Zuschauer Arena (SRF) Marktanteil Fussnote: Gemäss Angaben von Jonas Projer, Leiter Arena, beeinflusste die Sendung "Dschungelcamp" den Marktanteil bei der Spekulationsstopp- respektive Nahrungsmittel-Initiative um zirka 3 Prozentpunkte negativ. Der Überzeugungsgrad einer Vorlage entscheidet auch darüber wie die Argumente im Abstimmungskampf gelesen werden. Je klarer man sich einer Position zuneigt, umso eher liest man alle Botschaften als Bestätigungen, sei es im gemeinten Sinne oder im umgekehrten. Konkret, was von der eigenen Seite herkommt bestätigt einen wie beabsichtigt, was von der anderen Seite kommt auch, aber ganz anders als intendiert. Vor allem bei Unschlüssigen ist mit stärker verbreiteten Ambivalenzen zu rechnen. Das gilt namentlich für Behördenvorlagen weit ab vom Bürgeralltag. Demgegenüber wirken bei Initiativen die Kampagnen stärker dagegen als dafür, sodass es auch bei Teilen der tendenziellen Befürworter und Befürworterinnen zu einem Meinungswechsel kommen kann. Konkret heisst dies, der Spielraum für Veränderungen ist bei der Durchsetzungsinitiative am tiefsten, bei der Spekulationsstoppinitiative am höchsten. Da die Verhältnisse bei der Durchsetzungsinitiative am ausgeglichensten sind, rechnet man hier am ehesten mit einem knappen Ergebnis, was die mediale Aufmerksamkeit und selektive Beteiligung durch diese Vorlage nochmals steigert. Alles zusammen führt dazu, dass Vorlagen mit geringerem Überzeugungsgrad am ehesten durch die sachfremde Beteiligungszusammensetzung beeinflusst 38 werden können. Dem Endergebnis bei der Spekulationsstoppinitiative dürfte damit durchaus etwas Ideologisches anhaften. Kurz angesprochen sei auch, dass die Beteiligungshöhe diesmal den Ausgang gerade bei der Durchsetzungsinitiative mitentscheiden kann. Nachweislich zeigen Bürger und Bürgerinnen mit einer Parteibindung, die gegen die Parole ihrer Partei stimmen wollen, eine geringere Zurückhaltung, dies auch am Abstimmungstag auszudrücken. Sie spüren den Meinungsdruck. Es fehlt ihnen an Vorbildern, die ebenso abweichen wie sie. Sie halten deshalb mit ihrer Meinung in aller Regel zurück. In Umfragen drückt sich das nicht, wie häufig vermutet, in der Anpassung an die Mehrheit aus, sondern in der bekundeten NichtTeilnahme trotz vorhandener Stimmabsicht. Bei einer kann das Muster Volksabstimmung durchbrochen werden, vor allem durch ausserordentliche Ereignisse, die emotional aufwühlen und damit eine unübliche Meinungsbildung und -äusserung zulassen. Bei keiner Vorlage sind die Effekte gross, bei der Durchsetzungsinitiative würden sie sich aber zugunsten der Ja-Seite äussern. 2.7 Hypothesen zur Meinungsbildung Unsere Abklärungen vor der Befragung lassen die nachstehende Übersicht zu, die einerseits auf Rechtsform und die Herkunft der Vorlage abstellt, anderseits auf die Behandlung in den Behörden, die Ausgangslage, das Konfliktmuster und den Typ der Meinungsbildung. Sie folgt damit der generellen These des Dispositionsansatzes, die einleitend kurz vorgestellt wurde. Tabelle 8 Übersicht Stimmabsichten nach Parteibindungen, Abweichungen von Parolen, Unentschiedenheit und Teilnahmebereitschaft Rechtsform Parlamentarische Opposition VI gegen Heiratsstrafe Volksinitiative Durchsetzungsinitiative Mehrheitsfähigkeit Prädisponiertheit Konflikttyp bürgerlich-konservativ potenziell gegeben eher hoch (beschränkt indirekte Vergleichsabstimmungen) linksliberal vs. bürgerlichkonservativ, persönliche Betroffenheit Volksinitiative nationalkonservativ potenziell gegeben Hoch (direkte Vernationalkonservativ vs. gleichsabstimmung) linksliberal, aber Elite/Basis VI gegen Nahrungsmittelspekulation Volksinitiative rotgrün nicht gegeben gering Zweite Gotthardröhre Behördenvorlage rotgrün gegeben eher hoch (indirekte bürgerlich vs. rotgrün, Vergleichsabstimregionale Betroffenheit mung) bürgerlich vs. rotgrün, geringe Ausprägung SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 39 Unsere Hypothesen für die vorliegende Untersuchungsreihe zu den Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016 lauten: Hypothese Beteiligung an Volkabstimmungen Am 28. Februar 2016 kommt es mit vier Vorlagen zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Abstimmungen. Erwartet wird entsprechend eine Beteiligung über dem langjährigen Mittel. Sollte es zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der regierungsmisstrauischen Stimmbürgerschaft kommen, wird der Protestcharakter (von rechts) in den Voten verstärkt. Hypothese Initiative gegen Heiratsstrafe Bei der Initiative gegen Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage, bei welcher der Abstimmungskampf entscheidet. Mit der Besteuerung von Ehepaaren nimmt sie ein verbreitet problematisch empfundenes Thema auf, das bis weit in die Behörden hinein akzeptiert wird. Aufgrund der Ehedefinition und der fiskalischen Folgen ist sie allerdings kritisierbar, weshalb mit dem normalen Verlauf der Meinungsbildung gerechnet werden kann, bei dem sich die Gegnerschaft im Verlauf des Abstimmungskampfes aufbaut und das Lager der Befürworterschaft schrumpft. Gerechnet wird mit einer Polarisierung zwischen konservativer und linksliberaler Bürgerschaft, etwas durchbrochen durch die Betroffenheit als verheiratetes Paar. Das Veränderungspotenzial des Abstimmungskampfes wird als erheblich eingestuft. Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volksentscheidung ist offen. Hypothese Durchsetzungsinitiative Bei der Durchsetzungsinitiative handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage mit direktem Bezug zur angenommenen Ausschaffungsinitiative. Diese griff ein gesellschaftlich breit empfundenes Problem auf, das in erster Linie mit juristischen Argumenten bekämpft wurde, was erfolglos blieb. Die neue Initiative verbindet die Problematik mit einer Institutionenkritik, wonach verschiedene Behörden bei der Ausschaffung zu wenig weit gehen. In einer solchen Konstellation ist ein Elite/Basis-Konflikt häufig, vermehrt rechts denn links, bei dem namentlich die Mobilisierungsfrage der innerparteilichen Minderheiten von Belang wird. Typisiert ist mit einer generellen Konfliktlinie zu rechnen: Ängste vor Identitätsverlust auf der einen Seite, Befürworter einer multikulturellen, offenen Schweiz auf der anderen Seite. Erwartet wird mit einer vergleichbaren Ausgangslage und aufgrund einer alltäglichen und politisch verbreiteten Prädisposition ein eher geringes, aber vorhandenes Veränderungspotenzial durch den Abstimmungskampf. Es bestehen Vorteile für das Ja, der Ausgang der Volkabstimmung ist aber offen. Hypothese Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation handelt es sich um ein Minderheitsanliegen. Stossrichtung und Trägerschaft entsprechen einem klaren Linksprofil mit beschränkter Ausstrahlung auf die politische Mitte. Erwartet wird, dass die Gegnerschaft im Verlaufe des Abstimmungskampfes stärker wird und das Lager der Befürworterschaft abnimmt. Postuliert wird eine Polarisierung im Links/rechts-Spektrum. Denkbar ist eine beschränkte Unterstützung im konservativ-bürgerlichen Elektorat. Ein Nein am Abstimmungstag ist das wahrscheinlichste Szenario. 40 Hypothese zweite Gotthardröhre Bei der "Gotthard"-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, die aufgrund des Alltagsbezugs vorbestimmte Stimmabsichten kennt. Bestimmt sind diese durch drei Faktoren: Parteizugehörigkeit, regionale Betroffenheit und Autobesitz. Aufgrund der Vorteile für den Transitverkehr ist mit einer mehrheitlich Zustimmung in der Ausgangslage zu rechnen, verbunden mit einer Opposition aus dem rotgrünen, beschränkt auch dem bürgerlichen Lager, das einen Verstoss gegen die Verlagerungspolitik am Gotthard sieht. Die Glaubwürdigkeit der Absender ist von Belang, denn es wir mit unsicheren Auswirkungen vor allem bei einer Annahme argumentiert. Mit eindeutigen Mehrheiten ist nicht zu rechnen, die Entscheidung fällt erst im Abstimmungskampf. 41 3 Befunde 3.1 Vorläufige Teilnahmeabsichten 3.1.1 Profil der Beteiligungswilligen 55 Prozent der Stimmberechtigten gaben am 9. Februar 2016 an, sich bestimmt an der Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 beteiligen zu wollen. Das sind mehr als noch vor einem Monat (+7%-punkte), so dass die Mobilisierungsfunktion der Kampagnen deutlich wahrnehmbar eingesetzt hat. Grafik 32 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 2 5 7 5 6 5 38 29 bestimmt nicht teilnehmen eher nicht teilnehmen weiss nicht/keine Antwort eher teilnehmen 48 12. Januar 2016 55 bestimmt teilnehmen 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) Die Beteiligungsabsichten stellen unter dem Strich eine überdurchschnittliche Teilnahme (Legislaturmittel 2011-2015: 45.6%) in Aussicht. Das ist bei vier Vorlagen an sich nichts Ungewöhnliches, denn jede Vorlage kennt ihr spezifisches Mobilisierungspotenzial. Zusätzlich kann die frühe (mediale) Auseinandersetzung mit den anstehenden Entscheidungen als Erklärung für die hohen Beteiligungsabsichten ins Feld geführt werden. Das trifft insbesondere auf die Durchsetzungsinitiative zu, beschränkt auch auf den zweiten Gotthard Tunnel und die Initiative zur Abschaffung der Ehestrafe. Die Erfahrung lehrt zudem, dass Abstimmungskämpfe in den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz unterschiedlichen zeitlichen Rhythmen folgen; sie werden in der Deutschschweiz regelmässig zuerst losgetreten und erst danach in der Westschweiz und im Tessin. Dieses Bild bestätigt die zweite SRG-Trend-Umfrage: In der Deutschschweiz liegt die Teilnahmebereitschaft mit 59 Prozent exakt im nationalen Mittel, in der Westschweiz und im Tessin bleibt sie mit 47 respektive 41 Prozent dahinter zurück. Die stärkste Wirkung entfalteten Kampagnen im Tessin, wo die Teilnahmeabsichten gegenüber der ersten Umfrage am stärksten angestiegen sind (+15%-punkte). Dahinter folgt die Westschweiz mit einer ebenfalls namhaften 42 Steigerung der Beteiligungsabsichten (+6%-punkte). In der Deutschschweiz dagegen hält sich die Mobilisierung auf stabilem Niveau. Ein Entscheid über eine allfällige Abstimmungsteilnahme wurde damit in der Deutschschweiz bereits früh gefasst und die eigentlichen Hauptkampagnen haben einen solchen lediglich bestärkt, nicht aber weiter aufgebaut. Grafik 33 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 1 5 6 6 6 5 29 24 3 4 7 5 8 7 45 33 3 4 14 6 7 5 41 bestimmt nicht teilnehmen eher nicht teilnehmen 53 weiss nicht/keine Antwort 59 59 41 47 41 eher teilnehmen ICH/ 9. Februar 2016 ICH/ 12. Januar 2016 FCH/ 9. Februar 2016 FCH/ 12. Januar 2016 DCH/ 9. Februar 2016 DCH/ 12. Januar 2016 26 bestimmt teilnehmen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) Nach Parteiwählerschaften gesondert betrachtet, finden sich unterschiedlich fortgeschrittene Teilnahmeabsichten: Am wenigsten weit und klar unterdurchschnittlich bleibt die Intention einer Abstimmungsteilnahme bei Parteiungebundenen, wo auch kaum Bewegung festzustellen ist (+5%-punkte). Exakt im Mittel liegen die Teilnahmeabsichten von GPS-affinen Wählerinnen und Wählern (+16%-punkte), klar darüber liegen sie bei SP-Sympathisierenden (+17%-punkte). Wählerschaften aus dem linken Spektrum wurden in der Hauptkampagnenphase klar stärker mobilisiert als solche aus dem rechten politischen Spektrum oder aus der politischen Mitte. Denn die Teilnahmeabsichten der FDP-affinen Wählerschaft mögen zwar über dem nationalen Mittel liegen, sie wurden durch den Abstimmungskampf jedoch nur unwesentlich beeinflusst (+3 %-punkte). Anders die SVP-affine-Wählerschaft, die sich in der ersten Umfrage noch verhalten teilnahmewillig zeigte: Anfang Februar hätten sich 56 Prozent des SVP-affinen Elektorates an der Abstimmung beteiligt, was einer Steigerung von 10 Prozentpunkten entspricht. Speziell ist die Entwicklung der Teilnahmeabsichten von CVP-nahen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern; der anfängliche Enthusiasmus einer Teilnahme scheint verpufft, denn als einzige Wählergruppe zeigen sie sich weniger mobilisiert als noch vor gut einem Monat (-10%-punkte). 43 Grafik 34 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 2 9 45 7 5 4 4 16 1 4 11 2 28 27 30 1 1 3 3 7 6 31 21 52 2 1 9 4 5 2 33 42 9 9 12 9 7 9 33 76 55 59 67 57 62 65 eher nicht teilnehmen weiss nicht/keine Antwort eher teilnehmen 56 46 39 33 bestimmt nicht teilnehmen 37 42 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 SVP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 FDP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 CVP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 SP/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 GPS/ 12. Januar 2016 bestimmt teilnehmen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) Bei der SP und der FDP handelt es sich dabei um Rekordwerte der Teilnahmeabsicht für die letzten fünf Jahre. Die Teilnahmeabsichten der SP-nahen Wählerschaft schwankten in der vergangenen Legislatur bei einem Mittelwert von 56 Prozent zwischen 41 und 75 Prozent. Bei der FDP lag der Tiefstwert bei 33 Prozent, der Höchstwert bei 65 Prozent. Im Mittel lag die Mobilisierung bei 45 Prozent. Bei der SVP zeigen sich Potenzialausschöpfungen von 36 bis 56 Prozent (Volkswahl des Bundesrats) also maximal gleich hoch wie jetzt. Der jetzige CVP-Messwert stellt einen hohen, aber keinen Rekordwert dar; den ermittelten wir im Vorfeld der Abschaffung der Wehrpflicht, verbunden mit der Tankstellenliberalisierung. Auch bei den Parteiungebundenen ist das aktuelle Ergebnis nicht rekordverdächtig. Da mobilisierte die Kontroverse um die Ecopop-Initiative besser. Klarer noch wird die Besonderheit der gegenwärtig vorgefundenen Mobilisierung, wenn man sie jener der Wahlen 2015 vergleicht. Aktuell sind SP und FDP besser mobilisiert als drei Wochen vor den Nationalratswahlen 2015, die CVP ist gleich gut unterwegs, und die Beteiligungsbereitschaft der denkbaren SVPWählenden ist heute etwas geringer als Ende September des letzten Jahres. Tabelle 9 Teilnahmebereitschaft zu den Wahlen 2015 und zu den Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016 Wahlen 2015 Wahlbarometer VA 28.02.2016 SRG-Trend 2. Welle Differenz SVP 60 56 -4 SP 63 76 +13 FDP 45 65 +20 CVP 58 57 -1 GPS 60 55 -5 Partei SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) Quer zu den Parteibindungen bestätigen sich beschränkt Anzeichen einer populistischen Aufladung der Teilnahmeabsichten, was bei drei Initiativen mit je 44 unterschiedlicher politischer Stossrichtung und entsprechend unterschiedlichem Mobilisierungspotenzial nicht wirklich erstaunt. Regierungsmisstrauische bleiben überdurchschnittlich gewillt, am 28. Februar teilzunehmen, während jene mit Vertrauen in die Regierung sich exakt im Mittel einpendeln. Relativierend ist anzufügen, dass sich die Teilnahmeabsichten regierungsskeptischer Kreise mit dem Verlauf des Abstimmungskampfes nicht weiter gesteigert haben. Die Teilnahmeabsichten Regierungsvertrauender dagegen sind gegenüber erster Welle namhaft angestiegen. Grafik 35 Teilnahmeabsicht an Abstimmung vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen "Würden Sie selber an dieser Abstimmung bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?" in % Stimmberechtigter 1 4 9 3 7 8 5 6 6 5 3 5 25 28 39 4 6 3 5 9 3 23 44 bestimmt nicht teilnehmen eher nicht teilnehmen 52 weiss nicht/keine Antwort 62 55 47 60 30 Misstrauen/ 9. Februar 2016 Misstrauen/ 12. Januar 2016 weiss nicht/ keine Antwort/ 9. Februar 2016 bestimmt teilnehmen weiss nicht/ keine Antwort/ 12. Januar 2016 Vertrauen/ 9. Februar 2016 Vertrauen/ 12. Januar 2016 eher teilnehmen 43 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) Kurz zusammengefasst zeigen die bisherigen Abklärungen, welche Merkmalsgruppen die Beteiligung in welche Richtung beeinflussen. Nebst Parteibindung, Regierungsvertrauen und Sprachregion, variieren die Teilnahmewerte hinsichtlich sozioökonomischer und soziodemografischer Merkmale, nicht mehr jedoch nach Siedlungsarten. Tabelle 10 Konfliktlinien: Teilnahme an Abstimmungen Konflikt Signifikanz bestimmt teilnehmen Teilnahme unsicher Parteibindung sig. SP, (CVP), FDP, (SVP) (FDP), (Parteiungebundene) Sprachregion sig. (DCH) (FCH) Siedlungsart n.sig. Schulbildung sig. hoch (tief), (mittel) HH-Einkommen sig. (CHF 3- 5000), CHF 5-7000, (CHF 7- 9000), CHF9- 11000, über CHF 11000 (bis CHF 3000), (CHF 3- 5000) Geschlecht sig. (Mann) (Frau) Alter sig. 40-64-Jährige, 65+-Jährige (18- bis 39-Jährige) Regierungsvertrauen sig. (Misstrauen) (Vertrauen) Konfession protestantisch, keine Konfession (protestantisch) sig. Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Stimmberechtigten ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Stimmberechtigten ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (N = 1411) 45 3.1.2 Stichworte für die Berichterstattung aktuell überdurchschnittliche Beteiligungsabsichten Deutschschweiz am stärksten mobilisiert, aber grösste Steigerung im Tessin Wählende von FDP und SP überdurchschnittlich teilnahmebereit, Wählende von GPS, CVP, und SVP nahe am Mittel behördenmisstrauische Bürgerinnen und Bürger über dem Mittel mobilisiert, aber nur Teilnahmeabsichten Regierungsvertrauender namhaft angestiegen 46 3.2 Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" 3.2.1 Vorläufige Stimmabsichten Zum Zeitpunkt der zweiten Befragung bestätigt sich mit 53 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten eine Mehrheit für die Initiative gegen die Heiratsstrafe. Die Gegnerschaft setzt sich aus 28 Prozent bestimmten und 10 Prozent tendenziellen Gegnern und Gegnerinnen zusammen. Insgesamt resultiert dies in einem Nein-Potenzial von 38 Prozent. Die Initianten konnten damit ihren Vorteil in die Hauptphase des Abstimmungskampfes retten, der Abstimmungskampf, der bei Initiativen in aller Regel der Nein-Seite Aufwind verschafft, macht sich jedoch deutlich bemerkbar. Dynamisch betrachtet hat nämlich der für Initiativen typische Meinungsverlauf eingesetzt: Die Ja-Mehrheit hat sich innert Monatsfrist verringert (-14%-punkte), derweil sich die Nein-Minderheit vergrössert hat (+17%-punkte). Das ist eine grosse Veränderung innert vier Wochen und spricht dafür, dass die Entscheidfindung zur Initiative gegen die Heiratsstrafe hochdynamisch ist. Grafik 36 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 12 9 28 bestimmt dagegen 10 eher dagegen 12 9 27 18 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 40 12. Januar 2016 35 bestimmt dafür 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Der Stand der Meinungsbildung ist fortgeschritten. Mit 63 Prozent verfügt zwischenzeitlich eine klare Mehrheit der Teilnahmewilligen über eine gefestigte Stimmabsicht, sei es für oder gegen die Initiative. Namhaft zugelegt hat dabei allerdings nur die konsolidierte Nein-Seite. 28 Prozent kennen eine tendenzielle Entscheidung, und 9 Prozent der Teilnahmewilligen bleiben nach wie vor unschlüssig, was weiterhin auf einen gewissen Spielraum für den Abstimmungskampf verweist: Unentschiedene müssen überzeugt werden und die Erfahrung zeigt, dass die tendenzielle Unterstützung zu Initiativen brüchig ist. Dies zeichnet sich für die Initiative gegen die Heiratsstrafe bereits ab. Was am 28. Februar 2016 in der Frage der Heiratsstrafe resultieren wird, bleibt mit Unsicherheiten behaftet, denn der Meinungsverlauf spricht für ein Nein, der 47 hohe Ausgangswert allerdings eher für ein Ja. Der Startwert lag klar über dem, was die Partei in jüngerer Vergangenheit mit einer Initiative erreicht hat.3 Hinzu kommt, dass die Stimmberechtigten selber von einer knappen Annahme der Vorlage ausgehen (Stimmberechtigte 50.6% geschätzter Ja-Anteil, Teilnehmende 50.2%). Insofern lässt sich ein gewisser Meinungsdruck nur schwer von der Hand weisen. Mit ihrem Anliegen die Heiratsstrafe abzuschaffen, hat die CVP durchaus einen Nerv getroffen. 3.2.2 Vorläufiges Konfliktmuster Das Konfliktmuster der Initiative bleibt vorwiegend durch Parteiaffinität und Betroffenheit geprägt. Festgehalten werden kann übergreifend, dass sich die beschriebene Tendenz eines Nein-Anteil-Aufbaus und eines Ja-AnteilRückgangs über annähernd alle Untergruppen hinweg bestätigt. Auf die einzigen beiden Ausnahmen hiervon wird in der Folge eingegangen. Mit dem Einsetzten des Abstimmungskampfes wurden weitere Gruppen polarisiert, grundlegend sind diese Abweichungen jedoch nur in drei Fällen. Die erste wesentliche Konfliktlinie bestätigt sich entlang der Parteibindungen, wobei hier aus Nuancen in der ersten Umfrage handfeste Unterschiede entstanden sind. Äusserten sich vor knapp einem Monat noch Teilnahmewillige jeglicher Parteibindung mehrheitlich für die Vorlage, sind Sympathisierende der Grünen, der SP und der FDP gekippt und lehnen die Initiative in der zweiten Umfrage mehrheitlich ab. Die Phänomene der behördlichen Willensbildung haben sich damit auf die Parteiwählerschaften übertragen. Von den fünf grössten Parteien sind nun alle Wähler und Wählerinnen mehrheitlich im Einklang mit den nationalen Parteiparolen. Die in der Ausgangslage vorgefundenen Elite/Basis-Konflikte bei der SP, der FDP und der GPS sind erodiert. Am deutlichsten fällt die Ablehnung der Initiative gegen die Heiratsstrafe im linken Spektrum aus; GPS-affine Wählergruppen äussern zu 60 Prozent eine ablehnende Haltung, SP-affine zu 56 Prozent. Im Umfeld der FDP geben 51 Prozent an, gegen die Initiative stimmen zu wollen. Gewisse, um nicht zu sagen gewichtige, Sympathien bleiben der Abschaffung der Heiratsstrafe allerdings im FPD-Umfeld erhalten; immerhin 43 Prozent der FDP-affinen Wählerschaft hätten am 9. Februar noch Ja gestimmt. Die höchste Zustimmung erfährt die CVP-Initiative nicht mehr aus den eignen Reihen (CVP: 59% eher/bestimmt dafür) sondern von SVP-nahen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern (65% eher/bestimmt dafür). Darüber hinaus sind Parteiungebundene dem Ja-Lager zuzurechnen (68%) und bei diesen Stimmberechtigten ohne feste Parteibindung ist das Meinungsbild eindeutig. Die Zustimmung hat sich nämlich in dieser Gruppe von der ersten zur zweiten Umfrage hin weiter aufgebaut (+7%-punkte) und das ist klar die Ausnahme. Damit findet sich 19 Tage vor der Abstimmung ein ablehnender Block im linken politischen Spektrum, gestärkt durch ein bürgerliches Nein aus FDP-Kreisen. Dem steht das Ja der Wählerschaft der Initiantin entgegen, verstärkt durch das Ja aus SVP-Kreisen und der parteiungebundenen Wählerschaft. 3 siehe Einleitung Kapitel 2.2, Referenzabstimmung VI "Familien stärken!" 48 Grafik 37 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 13 32 GPS/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 41 11 13 28 29 10 6 16 9 6 17 18 18 15 4 13 39 20 34 44 47 43 eher dagegen 22 weiss nicht/keine Antwort 18 45 bestimmt dagegen 46 eher dafür 25 bestimmt dafür Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 11 18 20 10 7 10 11 6 20 SVP/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 23 14 9 7 14 FDP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 16 21 35 15 13 32 46 17 CVP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 44 16 SP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 11 8 9 3 14 23 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Akzentuiert präsentiert sich zweitens das Betroffenheitsmuster: Verheiratete Stimmberechtigte und solche, die in einer eingetragen Partnerschaft leben, geben auch in der zweiten Umfrage mehrheitlich an, für die Vorlage zu sein. Die anfänglich mehrheitliche Zustimmung von ledigen, geschiedenen, verwitweten oder im Konkubinat lebenden Teilnahmewilligen ist jedoch zwischenzeitlich einer relativmehrheitlichen Ablehnung der Vorlage gewichen. Die potenziell Begünstigten dieser Vorlage hegen damit nach wie vor grössere Sympathien als der Schweizer Durchschnitt, die Ja-Anteile sind aber auch in dieser Gruppe rückläufig. Grafik 38 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Betroffenheit: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 9 8 24 11 8 29 18 35 13 9 10 21 25 12 38 34 eher dagegen 11 13 43 bestimmt dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 29 Rest/ 9. Februar 2016 Rest/ 12. Januar 2016 verheiratet/eingetragene Partnerschaft/ 9. Februar 2016 verheiratet/eingetragene Partnerschaft/ 12. Januar 2016 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 49 Unterschiedliche Mehrheiten finden sich schliesslich nach Einkommen betrachtet, wobei die Ja-Anteile auch hier über sämtlichen Einkommensgruppen hinweg rückläufig sind und das Nein ansteigt. Einzig bei Teilnahmewilligen mit den tiefsten Haushaltseinkommen hat diese Entwicklung allerdings zu neuen Mehrheiten geführt; sie hätten die CVP-Initiative vergangene Woche relativmehrheitlich abgelehnt. Grafik 39 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Haushaltseinkommen: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 9 16 28 9 18 24 10 16 22 8 15 12 9 9 14 11 11 26 9 10 30 27 17 34 38 12 8 22 20 9 13 31 9 7 38 30 4 4 13 5 11 27 30 38 35 47 36 41 38 10 7 24 14 42 bestimmt dagegen 10 16 15 29 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 43 30 über CHF 11 000/ 9. Februar 2016 über CHF 11 000/ 12. Januar 2016 CHF 9-11 000/ 9. Februar 2016 CHF 9-11 000/ 12. Januar 2016 CHF 7-9000/ 9. Februar 2016 CHF 7-9000/ 12. Januar 2016 CHF 5-7000/ 9. Februar 2016 CHF 5-7000/ 12. Januar 2016 CHF 3-5000/ 9. Februar 2016 CHF 3-5000/ 12. Januar 2016 bis CHF 3000/ 9. Februar 2016 bis CHF 3000/ 12. Januar 2016 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Für die zweite sozioökonomische Grösse, die Schulbildung, findet sich dahingehend ein Unterschied, dass Teilnahmewillige mit obligatorischem Schulabschluss in höherem Masse unentschieden sind, als solche mit höheren Schulabschlüssen. Bemerkenswert ist, dass erst der Abstimmungskampf zu dieser Situation geführt hat. Anders formuliert haben Kampagnenargumente die unterste Bildungsgruppe verunsichert. Nichts desto trotz bleiben in allen Bildungsschichten zustimmende, wenn auch schwindende Mehrheiten bestehen. Erst durch den Abstimmungskampf polarisiert wurden auch regierungskritische Kreise. Teilnahmewillige, die der Regierung grundsätzlich vertrauen, haben sich auch deren Position angenähert. Zwar bleiben auch sie relativmehrheitlich im Ja, der Meinungsverlauf zeigt aber eher Richtung Nein, wohl weil man der Regierung vertraut das Problem der Steuerdiskriminierung von Verheirateten, wie verschiedentlich angetönt, auf anderem Weg zu lösen. Dieser Trend ist unter Teilnahmewilligen, die der Regierung gegenüber Skepsis hegen klar verhaltener und die Zustimmung bleibt in diesem Umfeld mit 62 Prozent hoch. 50 Grafik 40 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 12 10 32 11 6 10 25 9 30 9 18 25 18 40 14 bestimmt dagegen 22 9 11 27 22 34 10 8 8 27 18 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 17 34 eher dafür 44 40 Misstrauen/ 9. Februar 2016 Misstrauen/ 12. Januar 2016 weiss nicht/ keine Antwort/ 9. Februar 2016 weiss nicht/ keine Antwort/ 12. Januar 2016 Vertrauen/ 9. Februar 2016 Vertrauen/ 12. Januar 2016 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Die Meinungsbildung ist in der Deutschschweiz klar am weitesten fortgeschritten während im Tessin und in der Romandie vermehrte Unsicherheit wahrnehmbar ist. In allen drei Sprachregionen hätte das CVP-Anliegen jedoch zustimmenden Mehrheiten gefunden. Speziell ist die Romandie, denn hier hält sich der Ja-Anteil auf stabilem Niveau und der Nein-Anteil hat sich vergleichsweise wenig stark aufgebaut. In der Deutschschweiz konnte die Nein-Seite innert Monatsfrist 19 Prozentpunkte gutmachen, im Tessin waren es mit 18 Prozentpunkten ähnlich viel. In der Romandie baut sich das Nein vergleichsweise schleppend auf (+5%-punkte). Grafik 41 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Initiative gegen Heiratsstrafe "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen die Heiratsstrafe abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 12 9 14 31 10 11 9 26 17 3 5 18 16 8 12 20 15 31 29 20 18 eher dagegen 8 15 16 56 42 bestimmt dagegen 37 40 25 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 27 ICH/ 9. Februar 2016 ICH/ 12. Januar 2016 FCH/ 9. Februar 2016 FCH/ 12. Januar 2016 DCH/ 9. Februar 2016 DCH/ 12. Januar 2016 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 51 Bemerkenswert ist, dass keine der untersuchten sozioökonomischen Grössen für die Haltung zur Initiative gegen die Heiratsstrafe wirklich relevant ist. Für das Alter gilt dieser Befund uneingeschränkt; Teilnahmewillige aller Altersgruppen stimmen der Vorlage mehrheitlich zu, sind jedoch alle vom gleichen Meinungsverlauf erfasst: Das Ja verliert zu Gunsten des Neins. Das gilt auch nach Geschlecht betrachtet, wobei der Abstimmungskampf hier zu einem signifikanten Unterschied geführt hat: Zwar hätten Frauen wie Männer vergangene Woche mehrheitlich Ja gestimmt, Männer hätten dies allerdings deutlicher als Frauen getan, denn letztere sind weniger gefestigt in ihren geäusserten Stimmabsichten. Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass das Einsetzen der Hauptphase des Abstimmungskampfes die Stimmabsichten polarisiert hat, denn es finden sich klar mehr relevante Konfliktlinien als noch vor einem Monat. Allerdings ist diese Polarisierung bisher eher gradueller Natur und nur in drei Fällen grundlegend, denn vom Mainstream abweichende Mehrheitsverhältnisse finden sich einzig bei SP-, GPS- und FDP-affinen Teilnahmewilligen, bei Ledigen, Verwitweten und im Konkubinat Lebenden sowie bei solchen mit den tiefsten Haushaltseinkommen. Alle übrigen Untergruppen sind der Abschaffung der Heiratsstrafe mehrheitlich wohlgesinnt. Allerdings sind mit Ausnahme der Romandie und der Parteiungebundenen alle Untergruppen von ein und demselben Trend erfasst: Das Ja verliert an Boden und das Nein konnte sich aufbauen. Tabelle 11 Konfliktlinien: VI gegen Heiratsstrafe Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. CVP, SVP, Parteiungebundene GPS, SP, FDP (SP), (Parteiungebundene) Sprachregion sig. (FCH), (ICH) (DCH) (FCH), ICH Zivilstand sig. verheiratet ledig, verwitwet, (geschieden), lebt mit Partner/in (nicht eingetragene Partnerschaft) geschieden Siedlungsart n.sig. Schulbildung sig. (mittel) (hoch) tief HH-Einkommen sig. (CHF 3- 5000), (CHF 5- 7000), (CHF 9- 11000), (über CHF 11000) bis CHF 3000, CHF 7- 9000, (CHF 9- 11000), (über CHF 11000) (bis CHF 3000), (CHF 5- 7000) Geschlecht sig. (Mann) (Mann) (Frau) Alter n.sig. Regierungsvertrauen sig. Misstrauen (Vertrauen) weiss nicht/keine Antwort Konfession sig. (römisch-katholisch), (protestantisch) (protestantisch), keine Konfession (römisch-katholisch) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 52 3.2.3 Argumententest Aufschlussreich ist die Analyse der Argumente für und gegen die Initiative gegen die Heiratsstrafe, denn sie liefert einen Eindruck davon, inwiefern das Mehrheitsverhältnis inhaltlich abgestützt ist. Dass die Initianten ein Problem aufgegriffen haben, das weite Teile der Stimmberechtigten mit fester Teilnahmeabsicht als relevant erachten, bestätigt sich deutlich: Das Ungerechtigkeits-Argument wird von 80 Prozent mehr oder weniger geteilt. Nur 15 Prozent widersprechen der Aussage, dass es doppelt ungerecht sei, wenn zwei Personen durch eine Heirat mehr Steuern bezahlen und weniger Rente erhalten, als wenn sie nicht verheiratet wären. Daran hat auch der Abstimmungskampf kaum etwas geändert (-4%-punkte). Zweifel sind eher dahingehend entstanden, dass Heiraten durch diese Initiative wieder attraktiver werde (-8%-punkte), denn zwischenzeitlich verwirft eine relative Mehrheit diese Aussage (46:48). Das dritte Pro-Argument wurde erst in der zweiten Umfrage getestet, so dass hier nichts über die Entwicklung gesagt werden kann. Festgehalten werden kann allerdings, dass die Hälfte der Teilnahmewilligen an der gemeinsamen Besteuerung von Ehepaaren festhalten möchte, weil die Einführung eines Individualbesteuerungsmodells für sie der Schaffung eines Bürokratiemonsters entspricht. 40 Porzent widersprechen dieser Aussage und 10 Prozent sind unschlüssig. Unter dem Strich verlieren damit zwei der im Zeitvergleich beurteilbaren ProArgumente an Zustimmung. Das von der Initiative gegen die Heiratsstrafe angesprochene Problem bleibt aber im Grunde unbestritten. Grafik 42 Trend Filter Pro-Argumente zur Initiative gegen Heiratsstrafe "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Dopppelbesteuerung ungerecht "Es ist doppelt ungerecht, wenn zwei Personen durch eine Heirat mehr Steuern zahlen und weniger Rente erhalten, als wenn sie nicht verheiratet wären." schafft Bürokratiemonster* "Ehepaare sollen weiterhin gemeinsam besteuert werden, die Individualbesteuerung von Ehepaaren schafft ein Bürokratiemonster. " Heiraten attraktiver "Die Initiative macht Heiraten wieder attraktiver." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen, Anteil voll/eher einverstanden 84 54 80 Dopppelbesteuerung ungerecht 50 schafft Bürokratiemonster* 46 Heiraten attraktiver 12. Januar 2016 9. Februar 2016 *nur in zweiter Welle befragt © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Die beiden gegnerischen Argumente, die einen Zeitvergleich erlauben, haben eher etwas an Boden gewonnen. Erstaunlicherweise weniger das Argument, dass Steuereinbussen resultieren werden (+3%-punkte) als vielmehr das Diskriminierungsargument (+7%-punkte). 53 Drei Viertel der Teilnahmewilligen gehen davon aus, dass bei einer Annahme der Initiative Steuereinbussen drohen, 23 Prozent glauben dies nicht. Die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare ist für 56 Prozent problematisch, der Widerspruch ist hier allerdings trotz gestiegener Zustimmung grösser. 35 Prozent sehen diesen Umstand der Diskriminierung nämlich nicht als gegeben an. Das linke Gegenargument der stärkeren Entlastung reicher Ehepaare wird von 56 Prozent geteilt und von 27 Prozent verworfen. Die Verunsicherung ist mit 17 Prozent unbestimmter Voten (weiss nicht/keine Antwort) jedoch in dieser Frage eindeutig am grössten. Grafik 43 Trend Filter Contra-Argumente zur Initiative gegen Heiratsstrafe "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Initiative gegen die Heiratsstrafe immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Steuereinbussen "Die Annahme der Initiative führt zu Steuereinbussen." Reiche stärker entlastet* "Die Initiative würde reiche Ehepaare am stärksten entlasten, Mittelstand und ärmere Ehepaare hingegen deutlich weniger." diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare "Die enge Definition von Ehe diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen, Anteil voll/eher einverstanden 63 66 Steuereinbussen 56 56 49 Reiche stärker entlastet* diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare 12. Januar 2016 9. Februar 2016 *nur in zweiter Welle befragt © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Die Meinungen zu allen Argumenten erscheinen relativ gefestigt, denn die Mehrheiten sind mit einer Ausnahme eindeutig, und es finden sich verhältnismässig wenige unentschiedene Voten zu den getesteten Botschaften. Beides spricht für ein erhöhtes Mass an Prädisponierung in Fragen der Heiratsstrafe. Führt man sich die Regressionsanalyse vor Augen, wird deutlich, wo die Sympathien dem Anliegen gegenüber wirksam begründet liegen und inwiefern Argumente überhaupt eine Rolle spielen. Durch die Argumente erklärt werden können aktuell 28 Prozent eines Stimmentscheids, was in dieser Kampagnenphase einem eher tiefen Wert entspricht. Im Vergleich zur ersten SRG-Trendumfrage ist dieser Wert zwar leicht angestiegen. Stimmentschiede zur Initiative gegen die Heiratsstrafe werden aber nach wie vor nur bedingt inhaltlich gestützt getroffen. Man orientiert sich zusätzlich an anderen Grössen oder entscheidet aus dem Bauch heraus. Die Leseweise der Regressionsanalyse ist allerdings eindeutig: Die Initiative wird von der perzipierten Ungerechtigkeit der Doppelbesteuerung getragen und diese ist, wie beschrieben, äusserst weit verbreitet. Dass allerdings Heiraten durch die Abschaffung der Ehestrafe attraktiver werde, wird relativmehrheitlich nicht geglaubt und wirkt sich entsprechend negativ auf einen Stimmentscheid aus. Erst die tiefere Auseinandersetzung mit der Vorlage vermochte dieses Argument zu kippen, denn in der ersten Umfragewelle wirkte das Heiratsargu54 ment noch positiv. Es wurde also anders formuliert in der Hauptkampagnenphase entkräftet. Der Initiativ-Gegnerschaft gelang die Platzierung ihrer Einwände, denn zwischenzeitlich erweisen sich alle drei getesteten Contra-Botschaften als entscheidrelevant. In der ersten Umfrage galt dies lediglich für das nach wie vor stärkste gegnerische Argument; die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Zusätzlich stützen das Argument, dass Reiche verhältnismässig stärker entlastet werden als arme und das Argument der Steuereinbussen ein Nein zur Initiative gegen die Heiratsstrafe. Das neu getestete SP-Argument der stärkeren Entlastung reicher Ehepaare wirkt in abgeschwächter Form ebenfalls auf ein Nein und auch das Argument der Steuereinbussen entfaltet mittlerweile seine Wirkung auf die Stimmabsicht. Es ist allerdings das schwächste ContraArgument, so dass Entscheide gegen die Initiative nach wie vor eher von der gesellschaftsliberalen Argumentation getragen werden. Das Gesamtbild ist damit klar: Es dominiert die Pro-Seite, allerdings kann sie mit nur einem Argument wirklich punkten. Die gegnerische Argumentation hat mit dem Fortschreiten des Abstimmungskampfes ihre Wirkung entfaltet und sie ist breitenwirksam. Am stärksten gestützt wird sie nach wie vor vom Diskriminierungsargument. Damit hat sich eine für Initiativen typische Situation herausgebildet, wo ein Problem im Zentrum steht, dessen Lösung jedoch auf verschiedene Weise problematisiert wird. Grafik 44 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Initiative gegen Heiratsstrafe Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Nein Doppelbesteuerung ungerecht Ablehnung zu: Heiraten attraktiver diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare Reiche stärker entlasten Steuereinbussen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167), R2 = 0.281 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable – den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent nicht einverstanden mit dem Argument sind ('weiss nicht'-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. 55 Eine andere Art der Messung des Potenzials argumentativer Haltungen geschieht anhand des Indexwertes. Analytisch gesehen ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Argument für alle Bürger und Bürgerinnen massgeblich ist. Daher wird die indexierte Version aller Argumente beigezogen, welche die Argumente nicht hinsichtlich ihrer Wirkung gewichtet, sondern die mittlere Nähe einer Person zu allen Argumenten bilanziert. Interessant ist die dabei resultierende Diskrepanz von Stimmabsichten und argumentativer Haltung. Was diese Analyse für die Initiative gegen die Heiratsstrafe offenlegt, kann wie folgt zusammengefasst werden: Erstens werden dem Anliegen grundsätzlich Sympathien entgegengebracht. Das Problem ist weitum akzeptiert. Allerdings liegt die argumentative Zustimmung (43%) nicht nur deutlich unter der faktischen (53%), sie ist darüber hinaus nicht mehrheitlich. Würde nämlich rein die argumentative Haltung der Stimmberechtigen zählen, wäre das Anliegen nicht mehrheitsfähig. Zweitens liegt die argumentative Zustimmung zur Initiative durchs Band tiefer als die faktische und sie ist drittens lediglich bei Wählerschaften von GPS, SP, FDP und SVP im Einklang mit den Stimmabsichten. Grafik 45 Filter Zustimmung zur Initiative gegen Heiratsstrafe und Index Argumente nach Parteien in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 65 Index Argumente Ja+/Nein- 68 59 53 43 33 33 36 54 44 39 42 30 23 Total bestimmt teilnehmende Parteiungebundene SVP FDP CVP SP GPS Stimmabsicht bestimmt/eher dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Erläuterung: Beim Argumentenindex werden die Argumente aufgrund ihrer Bedeutung für die Stimmabsicht recodiert. Dabei wird die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Ablehnung zu den Contra-Argumenten (sehr/eher nicht einverstanden) als positiv definiert, die Ablehnung (sehr/eher nicht einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den ContraArgumenten als negativ definiert. Keine inhaltliche Nennung (weiss nicht/keine Antwort) bei den Argumenten wird als Null definiert. Dies wird für jedes Argument berechnet und danach summiert. Entsteht eine positive Summe, liegt ein Überhang zur argumentativen Zustimmung vor, liegt eine negative Summe vor, eine argumentative Ablehnung. Eine summierte Null bedeutet neutral. Der ausgewiesene Wert ist der positive Überhang zu den Argumenten. CVP-affine Wählerinnen und Wähler wollen der Initiative nämlich zustimmen, obwohl sie argumentativ eher einem Nein zugewandt wären. Ein Phänomen, das sich auch bei Parteiungebundenen zeigt. In diesen beiden Wählergruppen ist ein weiteres Schwinden der Zustimmung damit möglich. Eine ähnliche Situation fanden wir noch in der ersten Umfragewelle auch im linken politischen Spektrum. Allerdings haben sich dort die Stimmabsichten den Argumenten bereits angeglichen. 56 Argumentativ im Ja befindet sich letztlich nur noch die SVP-Wählerschaft. Aus diesem Wählersegment ist mit dem deutlichsten Ja zu rechnen. Die FDPWählerschaft hat sich von der ersten zur zweiten Umfragewelle sowohl argumentativ als auch an Stimmabsichten gemessen von der Ja- zur Nein-Seite hin bewegt. Und innerhalb der CVP bröckelt die argumentative Unterstützung der Vorlage, nicht aber die faktische – man will die Partei mit ihrer Initiative nicht im Stich lassen. 3.2.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Die Überlegungen und Haltungen zu konkreten Auswirkungen der Initiative waren in der Ausgangslage noch wenig kritisch, was typisch für eine Initiative ist. Das Problembewusstsein ist prädisponiert, nicht aber unbedingt die Lösungspräferenz, da sich diese erst im Verlauf eines Meinungsbildungsprozesses auf die Entscheidungsabsichten auswirkt. Exakt dieser Prozess hat zwischenzeitlich eingesetzt und Bewegung in die Meinungsbildung gebracht. Der Gegnerschaft gelang die Platzierung ihrer Argumente und es konnten relevante Zweifel an der Lösung gestreut werden, obwohl die Ungerechtigkeit des Status quo nicht wirklich umstritten ist. Namentlich die Wählerschaften von GPS, SP und FDP liessen sich von der gegnerischen Argumentation überzeugen und haben in ihrer Mehrheit die Seite gewechselt: Sie wollen das Anliegen, wie von ihren Stammparteien empfohlen, zwischenzeitlich verwerfen. Allerdings behält die Initiative Strahlkraft im rechten Spektrum, namentlich bei der SVP. Damit es allerdings zum Abstimmungserfolg reicht, müssten auch die Parteiungebundenen bei der Stange gehalten werden und diese sind gespalten: Haltungsseitig stehen sie der Nein-Seite näher, sie wollen jedoch mehrheitlich Ja stimmen. Insgesamt ergibt sich ein gespaltenes Bild, was gewisse Unsicherheiten mit sich bringt und wohl letztlich Ausdruck der ebenso gespaltenen Haltung von Bundesrat und Parlament. Erwartet wird von den Stimmberechtigten eine knappe Annahme der Initiative und auch die aktuellen Stimmabsichten zeigen bei hoher Prädisponierung in diese Richtung. Die Argumente sprechen allerdings in dieser fortgeschrittenen Phase des Abstimmungskampfes bereits nicht mehr für die Initiative und auch die Dynamik der Meinungsbildung verweist eher auf eine Ablehnung am 28. Februar 2016. Tabelle 12 Indikatoren der Einschätzung der VI gegen Heiratsstrafe Ausprägung Parlament dagegen NR: 56% SR: 56% dafür NR: 44% SR: 44% Insgesamt Erklärung Argumente R2 Trenderwartung Dispositionsansatz Index Argumente SP, GPS, GLP, FDP 50% 45% 38% Normalszenario mit Zunahme Nein SVP, CVP, EVP, EDU 50% 42% 53% Spezialfall mit Stagnation Ja oder Polarisierung 28%v Stimmabsichten Prädisponierung Erwartung Stimmende Parolen 63% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Der hohe Ausgangwert der Zustimmung für eine Initiative lässt allerdings gewisse Zweifel darüber entstehen, wie viel weiter das Ja noch erodieren wird. 57 Denn wie mehrfach betont, hat die CVP mit ihrer Initiative zweifelsohne ein relevantes Problem aufs Tapet gebracht. Entsprechend formulieren wir zwei generelle Hypothesen zu den möglichen Trends in der Meinungsbildung zur Initiative gegen die Heiratsstrafe: Der Normalfall besteht darin, dass die Vorlage vor dem Abstimmungskampf in der Bevölkerungsgunst besser abschneidet. Während des Abstimmungskampfes steigt der Nein-Anteil, meist sinkt auch die Zustimmung. Hinzu kommt, dass sich damit meist ein Fokuswandel einstellt: Vom Problem verlagert sich die Meinungsbildung hin zur Lösung des Problems. In Ausnahmefällen funktioniert dieser erprobte Mechanismus des Meinungswandels zu Volksinitiativen nicht. Das ist namentlich dann der Fall, wenn es zu einer Protestabstimmung kommt. Die Symbolik der Entscheidung ist dann wichtiger als ihre Konsequenzen. Gegenüber den Behörden soll, in einem meist tabuisierten Bereich, ein klares Zeichen gesetzt werden. Das Regelfall-Schicksal blühte der inhaltlichen Referenzvorlage, der CVPFamilieninitiative von vergangenem Jahr (siehe Einleitung). Während eine Mehrheit der Befragten in der ersten SRG-Trend-Umfrage vor Beginn des Abstimmungskampfes bestimmt oder eher für die CVP-Familieninitiative stimmen wollten (52%), verlief die anschliessende Meinungsbildung kontinuierlich im Sinne der Initiativgegner (2. SRG-Trend-Umfrage: 40% eher/bestimmt dafür, Resultat Abstimmung: 24.6% Ja). Aktuell finden wir gleiches, allerdings mit einem höheren Ausgangswert, was Unsicherheiten mit sich bringt. Denn etwa die Abstimmung über den Familienartikel zeigte mit ihrem Auseinanderklaffen von Volks- und Ständemehr, dass ein gewisser Meinungsdruck oder Handlungsbedarf in Sachen Familienpolitik und vielleicht eben auch in Fragen der Besteuerung von Ehepartnern nicht von der Hand gewiesen werden kann. Daher erachten wir nach wie vor auch das zweite Szenario einer Annahme als möglich, wenn auch weniger wahrscheinlich. Grafik 46 Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Abstimmungstag Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 58 3.2.5 Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (bürgerlich-konservativ) fortgeschrittene Meinungsbildung aber schwache argumentative Untermauerung der Stimmabsichten ungerechte Doppelbesteuerung populärstes und wirksamstes Argument auf der Ja-Seite, Problem ist unbestritten verschiedene Angriffsflächen, am deutlichsten: Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare Polarisierungsgrad gewachsen: gesellschaftlich liberal vs. konservativ, Betroffenheit Zustimmung von Parteiungebundenen und CVP im Konflikt mit argumentativer Haltung Ja-Vorsprung war erheblich, Nein-Kampagnen zeigen allerdings Wirkung Ausgang schwer abschätzbar: Meinungsverlauf spricht für Ablehnung, hoher Startwert spricht für Annahme 59 3.3 Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" 3.3.1 Vorläufige Stimmabsichten Zum Zeitpunkt der Befragung waren 49 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten gegen die SVP-Initiative, und 46 Prozent befürworteten sie. Die Stimmabsichten sind damit gespalten. Im Zeitvergleich sind die Veränderungen gering, aber wichtig. Die Gegnerschaft ist um 7 Prozentpunkte gewachsen, die Befürwortung ist um 5 Prozentpunkte geschrumpft. Der anfänglich knappe Vorteil der Initianten und Initiantinnen in der SRG-Befragung hat sich damit in einen relativen Nachteil verändert. Der wichtigste Grund für die Veränderungen bezieht sich auf die Mobilisierung. Wie wir im Teilnahmekapitel gesehen haben, sind die Beteiligungsabsichten zwischenzeitlich gestiegen. In absoluten Zahlen haben beide Seiten zugelegt. Die Nein-Sager wegen der Spezialmobilisierung bei SP und FDP jedoch mehr. Grafik 47 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 31 40 eher dagegen 11 7 9 5 20 bestimmt dagegen 13 weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür 31 12. Januar 2016 33 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Der Stand der Meinungsbildung ist fortgeschritten, aber nicht abgeschlossen. 73 Prozent der beteiligungsbereiten Bürgerinnen und Bürger haben eine feste Stimmabsicht. Weitere 22 Prozent sind tendenziell entschieden. 5 Prozent äussern, ganz unentschieden zu sein. Ganz überraschend ist dies nicht, denn die Kontroverse begann 2007 und hält seither mehr oder minder stark an. Zudem wurde 2010 über die Ausschaffungsinitiative abgestimmt, auf die sich die neue Vorlage direkt bezieht. Die Vertrautheit mit dem Thema kann damit als hoch eingestuft werden, was eine frühe und relativ stabile Meinungsbildung begünstigt. Viel diskutiert worden ist, ob die Gefängnisflucht eines syrischen Häftlings in Dietikon in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar die Meinungsbildung beeinflusst hatten. Kurzfristig konnte man eine starke Medialisierung, verbunden mit 60 einer erhöhten Emotionalisierung festhalten. Dies drückte sich in Aktivitäten in den sozialen Medien aus. Die Debatte zur Durchsetzungsinitiative änderte der Gefängnisausbruch jedoch nicht wirklich; die Initianten stiegen weder mit Inseraten noch mit offiziellen Stellungnahmen auf. Hauptgrund hierfür dürfte der fortgeschrittene Stand der Debatte sein, verbunden mit der Tatsache, dass die Durchsetzungsinitiative in diesem Fall keine Auswirkung gehabt hätte. Unsere Befragung bestätigt diese eher zurückhaltende Interpretation. Denn die Stimmabsichten lagen vor dem Ereignis bei 45:49, in den ersten vier Tagen danach bei 46:48. Die geringen Veränderungen sprechen keineswegs für einen eindeutigen Einfluss. Wir taxieren den Ausgang unverändert als offen, mit etwas verbesserten Chancen für die Nein-Seite. Auch die Teilnahmewilligen gehen von einem knappen Abstimmungsausgang aus. Die mittlere Schätzung beträgt 51 zu 49 Prozent. Damit führt die Ja-Seite ganz knapp, verliert aber an Vorsprung. Bei der ersten Messung lag der Quotient noch bei 54:46 Prozent. 3.3.2 Vorläufiges Konfliktmuster Das Konfliktmuster bei der Durchsetzungsinitiative ist vorwiegend politischer Natur. Zuerst unterscheiden sich die Stimmabsichten entlang der Parteibindungen. Dann variieren sie je nach Regierungsvertrauen/-misstrauen. An der Basis der SVP wollen 90 Prozent bestimmt oder eher Ja stimmen. Das sind 44 Prozentpunkte mehr als der Schnitt. Den Gegenpol bilden die SP-Wählenden, bei denen 82 Prozent die Vorlage ablehnen wollen. Auch das sind 33 Prozentpunkte mehr als das Mittel. Bei den Grünen sind 86 Prozent der Wählenden auf der Nein-Seite, bei der CVP sind es 72 Prozent und bei der FDP 67 Prozent. Die grösste Verschiebung hat an der Basis der FDP stattgefunden. Der NeinAnteil ist hier um 25 Prozentpunkte gestiegen. Bei der CVP-Wählerschaft hat er um 17 Prozentpunkte zugenommen. Bei den GPS-Wählenden beträgt der Vergleichswert plus 15 Prozentpunkte. Bei der FDP hat dies zu einem Wechsel der (relativen) Mehrheiten geführt. Die Parteiwählerschaft hat sich nach einer offensiven Kampagne der Parteispitze ins Nein-Lager bewegt. Wenn die Abstimmung dennoch nicht entschieden ist, hat dies vor allem mit der Position der Parteiungebundenen zu tun. Sie sprechen sich zu 52 Prozent für die Initiative aus. Der Trend bewegt sich zwar auch hier leicht gegen Nein, ist aber nur schwach ausgebildet, und zu einem Mehrheitswechsel wie bei der FDP ist es (wenigstens bisher) nicht gekommen. 61 Grafik 48 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 28 45 75 63 72 9 56 SP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 GPS/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 14 3 10 2 6 10 25 13 30 6 70 34 71 11 5 18 16 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 14 11 11 11 3 32 14 8 23 16 FDP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 7 8 9 11 6 4 4 CVP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 12 21 14 7 14 19 12 10 12 19 34 bestimmt dafür Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 62 2 5 3 SVP/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 59 4 3 4 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Wer dem Bundesrat misstraut, ist zu 74 Prozent für die Durchsetzungsinitiative. Wer Vertrauen hat in die Arbeit der Behörden würde heute zu 68 Prozent Nein sagen. Bürgerinnen und Bürger dazwischen sind zu 48 Prozent auf der Ja-Seite und zu 45 Prozent im Nein-Lager. Grafik 49 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 25 39 40 57 6 4 6 7 24 16 5 eher dafür bestimmt dafür Misstrauen/ 9. Februar 2016 Vertrauen/ 9. Februar 2016 58 32 Misstrauen/ 12. Januar 2016 Vertrauen/ 12. Januar 2016 49 weiss nicht/ keine Antwort/ 9. Februar 2016 16 41 weiss nicht/ keine Antwort/ 12. Januar 2016 20 eher dagegen 16 11 11 bestimmt dagegen weiss nicht/keine Antwort 9 7 20 16 8 6 13 12 13 13 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 62 Politisch gesprochen, besteht damit eine mehrheitliche Zustimmung an der Basis der SVP, bei den Parteiungebundenen und den Personen mit Behördenmisstrauen. Diese befürwortenden Gruppen wurden vom Abstimmungskampf in ihren Haltungen bestärkt und sind noch deutlicher im Ja als vor rund einem Monat. Anders von links bis in die bürgerliche Mitte, wo man zwischenzeitlich mehrheitlich bis fast geschlossen gegen die Initiative ist. Dasselbe gilt für Bürgerinnen und Bürger mit Behördenvertrauen. Der Polarisierungsgrad ist erheblich. Die Differenz zwischen SVP und SP beträgt im Nein-Anteil 75 Prozentpunkte, im Ja 74 Prozentpunkte. Damit sind die Wahrnehmung und Bewertung der Vorlage fast vollständig konträr. Die Meinungsführung durch die Initiativ-Gegnerschaft im Abstimmungskampf zeigt Wirkung. Das exemplarische Engagement der Parteispitzen, von Betroffenen wie den Rechtsgelehrten und die Appelle der Massenmedien haben die Elite/Basis-Konflikte im Nein-Lager weitgehend zum Verschwinden gebracht. Die Ablehnung wächst umso deutlicher, je grösser das Vertrauen in die Behördenarbeit ist. Die SVP-Wählerschaft zeigt sich davon aber unbeeindruckt. Sie wirkt aber etwas isolierter, denn ihre Verbündeten finden sich vor allem bei parteipolitisch distanzierten Menschen mit geringem Behördenvertrauen. Im bürgerlichen Lager hat sich die Zustimmung namentlich bei den FDPWählenden bis auf 30 Prozent verringert. Räumlich gesehen gibt es in der italienischsprachigen Schweiz einen Gegentrend. Denn die Zustimmung hat hier zugenommen. Sie beträgt nun 68 Prozent. Demgegenüber wächst die Ablehnung in den deutsch- und französischsprachigen Landesteilen. Sie liegt bei 50 respektive 49 Prozent. Grafik 50 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 33 22 34 43 5 18 7 3 11 11 19 7 5 8 10 16 11 18 15 21 eher dagegen 17 weiss nicht/keine Antwort 12 31 eher dafür 21 44 36 51 bestimmt dafür ICH/ 9. Februar 2016 18 ICH/ 12. Januar 2016 FCH/ 12. Januar 2016 DCH/ 9. Februar 2016 DCH/ 12. Januar 2016 20 FCH/ 9. Februar 2016 33 bestimmt dagegen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Höher als im Schnitt ist die Zustimmungsbereitschaft auf dem Land. Da ist eine Mehrheit dafür. Die Tendenz zum Nein kommt dagegen in den grossen Agglomerationen überproportional vor, wo es eine negative Mehrheit gibt. 63 Grafik 51 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Siedlungsart: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen bestimmt dagegen 30 10 7 16 31 32 43 12 10 7 8 5 5 16 18 12 46 14 6 26 35 22 grosse Agglomeration/ 12. Januar 2016 kleine/mittlere Agglomeration/ 12. Januar 2016 33 kleine/mittlere Agglomeration/ 9. Februar 2016 35 ländlich/ 9. Februar 2016 ländlich/ 12. Januar 2016 39 eher dagegen 11 4 11 28 weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür grosse Agglomeration/ 9. Februar 2016 28 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Auf der individuellen Ebene finden sich weitere, statistisch signifikante Unterschiede entlang der Schicht, des Geschlechts und des Alters. Vermehrt dagegen ist man bei hoher Bildung oder hohem Haushaltseinkommen, vermehrt dafür sind Unterschichten und Männer, während Frauen und Mittelschichten überdurchschnittlich zögern. Nennenswert sind die Schichteinflüsse: Teilnahmewillige mit einem höheren Schulabschluss sind zu 58 Prozent gegen die SVP-Initiative. Bei Absolventinnen und Absolventen der obligatorischen Schulzeit ist die relevante Zahl genau gleich; hingegen sind 58 Prozent dafür. Der Trend geht allerdings überall Richtung Nein-Aufbau. Relevant war diese Entwicklung bei 18- bis 39-Jährigen und Pensionierten, bei Frauen, bei Teilnahmewilligen mit hohen Einkommen, bei der FDP-Wählerschaft sowie bei Bewohnern und Bewohnerinnen urbaner Zentren, der Deutschschweiz oder der Romandie. In diesen Gruppen ist von der ersten zur zweiten Umfrage aus einer mehrheitlichen Zustimmung eine mehrheitliche Ablehnung geworden. Tabelle 13 Konfliktlinien: Durchsetzungsinitiative Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. SVP, Parteiungebundene GPS, SP, CVP (GPS), (FDP), (Parteiungebundene) Sprachregion sig. ICH (DCH) (FCH), (ICH) Siedlungsart sig. (ländlich) (grosse Agglomeration) (kleine/mittlere Agglomeration) Schulbildung sig. tief, mittel hoch (tief) HH-Einkommen sig. bis CHF 3000, (CHF 3-5000), (CHF 5-7000) (CHF 3-5000), CHF 9-11000, (über CHF 11000) (CHF 7-9000) Geschlecht n.sig. Alter sig. (18- bis 39-Jährige) (40- bis 64-Jährige) 18- bis 39-Jährige Regierungsvertrauen sig. Misstrauen Vertrauen (weiss nicht/keine Antwort) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 1. Welle, 11.–15. Januar 2016 (n = 793) 64 3.3.3 Stimmabsichten zur Durchsetzungsinitiative verglichen mit der Ausschaffungsinitiative Wichtigste Vergleichsabstimmung ist die zur Ausschaffungsinitiative. Sie passierte bei einer Beteiligung von 52,6 Prozent mit 52,9 Prozent Zustimmung und einem Ja von 16,5 Ständen. Um Vergleiche anstellen zu können, stellten wir eine Rückerinnerungsfrage zum damaligen Stimmentscheid. Nur diese erlaubt es, Veränderungen auf dem individuellen Niveau zu schätzen. Der Vergleich der damaligen Stimmabsichten legt nahe, dass die Verhältnisse bei SVP, SP und GPS im Wesentlichen gleich sind wie damals. Verändert hat sich die Situation an der Basis der FDP und der CVP. Beide sind diesmal stärker im Nein. Bei der CVP nahm der Anteil in den zweiten Wellen von 61 und 72 Prozent zu, bei der FDP stieg er von 49 auf 67 Prozent. Tendenziell gilt dies auch für die Parteiungebundenen, denn der Ja-Anteil reduzierte sich hier von 62 auf 52 Prozent. Grafik 52 Vergleich Filter Persönliche Stimmabsicht AusschaffungsInitiative und Durchsetzungsinitiative nach Parteibindung: 2. Welle "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Ausschaffungs-Initiative/Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 2 2 2 14 10 17 80 eher dagegen 5 5 11 19 5 18 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 71 14 11 11 11 3 32 43 30 34 bestimmt dafür 16 6 Parteiungebundene/ Durchsetzungsinitiative 11 20 9 bestimmt dagegen 28 Parteiungebundene/ Ausschaffungsinitiative 2 5 4 SVP/ Durchsetzungsinitiative 6 CVP/ Ausschaffungsinitiative GPS/ Durchsetzungsinitiative 4 10 SP/ Durchsetzungsinitiative 8 6 4 GPS/ Ausschaffungsinitiative 11 17 SP/ Ausschaffungsinitiative 22 12 11 3 9 63 SVP/ Ausschaffungsinitiative 9 2 56 FDP/ Ausschaffungsinitiative 75 72 CVP/ Durchsetzungsinitiative 76 66 19 44 FDP/ Durchsetzungsinitiative 52 2 5 3 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. November 2010 im Trend, 2. Welle, 08. – 13.11.2010 (n = 771) © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Wer damals dafür war, will zu praktisch 77 Prozent erneut Ja sagen. 19 Prozent der damaligen Befürworter haben ins Nein-Lager gewechselt. Wer damals dagegen stimmte, will es im wachsenden Masse, nämlich zu 91 Prozent, wieder tun. 7 Prozent werden das Gegenteil machen. Damit gibt es auch auf individueller Ebene einen leichten Trend vom Ja bei der Ausschaffungsinitiative ins Nein bei der Durchsetzungsinitiative. Die Entwicklung hat zwischen den Abstimmungen stattgefunden; sie ist mit dem Abstimmungskampf noch minimal stärker geworden. 65 Grafik 53 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Stimmabgabe Ausschaffungsinitiative: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 9 7 4 29 12 bestimmt dagegen 7 4 16 eher dagegen 65 80 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 51 61 16 7 8 4 ja/ 12. Januar 2016 ja/ 9. Februar 2016 nein/ 12. Januar 2016 bestimmt dafür 11 2 4 3 nein/ 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Gliedert man diese Auswertung nach Parteilagern, sind die dynamischen Effekte von der ersten hin zur zweiten Umfrage wiederum bei den FDP- respektive CVP-Wählenden am klarsten. Die Bilanz bei der FDP beträgt 20 Prozent vom Ja ins Nein. Bei der CVP sind es knapp so viele. Bei den Ungebundenen halbiert sich der Wert auf 9 Prozent. Gering sind die Verschiebungen wiederum bei SP, GPS und SVP. 3.3.4 Argumententest Beide Seiten verfügen unverändert über mindestens ein mehrheitsfähiges Argument in der Kontroverse zur Durchsetzungsinitiative. Bei den Befürwortern ist es die Ausschaffung krimineller Ausländer und Ausländerinnen "ohne Wenn und Aber". Voll oder eher einverstanden sind 60 Prozent. Bei der Gegnerschaft sind die Erschwernisse bei den Verhandlungen mit der EU mit 67 Prozent bestimmtem oder tendenziellem Einverständnis das populärste Argument. Bezogen auf die Ja-Argumente halten wir fest, dass die drei anderen, getesteten Botschaften für sich gesehen nicht mehrheitsfähig sind. Das gilt für die Annahme, die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative entspreche nicht dem Volkswillen, für die Vorstellung, die Gerichte massen sich an, über dem Recht zu stehen und für die generelle Auffassung, der Volkswille stehe über dem Völkerrecht. In allen drei Fällen teilen maximal 42-45 Prozent die Argumente der Initianten. Daraus kann man nicht zwingend eine Nein-Mehrheit ableiten. Diese gibt es nur beim Vergleich von Volkswille und Völkerrecht; da widerspricht die eindeutige Mehrheit der Position der Initianten, derweil dies in den beiden anderen Fällen nur bei einer relativen Mehrheit der Fall war. 66 Grafik 54 Trend Filter Pro-Argumente zur Durchsetzungsinitiative "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." kriminelle Ausländer ausschaffen "Kriminelle Ausländer gehören ohne Wenn und Aber ausgeschafft." Gerichte über Recht* "Die Gerichte massen sich an, über dem Schweizer Recht zu stehen und verhindern legitime Ausschaffungen." Umsetzung Ausschaffungsinitiative ≠ Volkswillen "Die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative entspricht nicht dem Volkswillen." Volkswille wichtiger als Völkerrecht "Der Schweizer Volkswille ist wichtiger als das Völkerrecht." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen, Anteil voll/eher einverstanden 65 60 44 43 45 45 42 kriminelle Ausländer ausschaffen Gerichte über CHRecht* Umsetzung Ausschaffungsinitiative ≠ Volkswillen Volkswille wichtiger als Völkerrecht 12. Januar 2016 9. Februar 2016 *nur in zweiter Welle befragt © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Anders sieht es bei den vier getesteten Nein-Botschaften aus. Sie sind für sich betrachtet alle mehrheitsfähig. Das gilt jenseits des bereits erwähnten EUArgumentes für die Secondo-Problematik, für die Parlamentsvorlage zur Umsetzung für den Verstoss gegen die Härtefallklausel. Sie alle kennen 55 Prozent bestimmtes oder tendenzielles Einverständnis oder auch mehr. Grafik 55 Trend Filter Contra-Argumente zur Durchsetzungsinitiative "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Verhandlungen mit EU schwieriger "Eine Annahme der Durchsetzungsinitiative macht die Verhandlungen mit der EU zur Personenfreizügigkeit noch schwieriger." Secondo-Problematik* "In der Schweiz geborene Ausländer und Ausländerinnen können nicht in ein Land ausgeschafft werden, das sie kaum kennen." vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament "Das Parlament hat eine vernünftige Gesetzesvorlage ausgearbeitet, die in Kraft tritt, wenn die Durchsetzungsinitiative abgelehnt wird." gegen Menschenrechtskonvention "Die Durchsetzungsinitiative verstösst gegen die Menschenrechtskonventionen weil sie keine Härtefallklausel kennt." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen, Anteil voll/eher einverstanden 68 61 52 67 Verhandlungen mit EU schwieriger 63 60 55 Secondo-Problematik* vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament gegen Menschenrechtskonvention 12. Januar 2016 9. Februar 2016 *nur in zweiter Welle befragt © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 67 Schätzt man den Erklärungswert der Botschaften für die Stimmabsichten, zeigt sich zuerst, dass 62 Prozent der individuell geäusserten Dispositionen zur Durchsetzungsinitiative argumentativ korrekt nachvollzogen werden können. Auch das spricht für eine fortgeschrittene Meinungsbildung, für die die Botschaften der Kampagnen relevant sind. Zudem fällt auf, dass jede der acht getesteten Botschaften einen Erklärungsbeitrag liefert, wenn auch nicht einen gleich starken. Grafik 56 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Durchsetzungsinitiative Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Nein kriminelle Ausländer ausschaffen Ablehnung zu: Volkswille wichtiger als Völkerrecht gegen Menschenrechtskonvention Gerichte über CH-Recht vernünftige Gesetzesvorlage durch Parlament Verhandlungen mit EU schwieriger Umsetzung Ausschaffungsinitiative ≠ Volkswille Secondo-Problematik © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167), R2 = 0.622 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. Quantifiziert man die Effekte der einzelnen Argumente auf die Stimmabsichten, resultiert die nachstehende Reihenfolge hinsichtlich der Polarisierung: Ja-Seite kriminelle Ausländerinnen und Ausländer ohne Wenn und Aber ausschaffen (mehrheitsfähig) Gerichte massen sich an, über dem Schweizer Recht zu stehen (relative Mehrheit) Parlamentarische Umsetzung entspricht nicht dem Volkswillen (relative Mehrheit) 68 Mit aufführen müssten wir selbstredend auch die Botschaft, der Volkswille sei wichtiger als das Völkerrecht. Sie würde sogar an zweiter Stelle rangieren, wird allerdings mehrheitlich verworfen, sodass man diese Botschaft eher als Bumerang-Polarisierung klassieren muss. Das Thematisieren des Vorrangs des Volkswillens begünstigt ein Nein eher denn ein Ja. Nein-Seite Härtefallklausel (mehrheitsfähig) Gesetzesvorlage des Parlaments (mehrheitsfähig) Schwierigkeiten Verhandlungen mit EU (mehrheitsfähig) Secondo-Problematik (mehrheitsfähig). Die Initianten und Initiantinnen haben mit der konsequenten Ausschaffung krimineller Ausländer die zentrale Kampagnenbotschaft platzieren können. Dem stehen aber verschiedenen Bedenken gegenüber, wie die fehlende Härtefallklausel, die Alternative mit dem Gesetzesvorschlag des Parlaments und die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit der EU. Überzeichnet haben die Initianten mit dem Argument, Schweizer Volksentscheidungen würden über dem Völkerrecht stehen. In dieser Frage wendet sich die Mehrheit von ihnen ab. Die Argumente können auch indexiert verwendet werden, um die Stimmabsichten zu kontrollieren. Indexiert man die Nähe und Distanz der Teilnahmewilligen BürgerInnen zu allen geprüften Argumenten, stehen 55 Prozent den NeinBotschaften näher, bei 40 Prozent gilt das hinsichtlich der Ja-Argumente. 5 Prozent lassen sich nicht klassieren, denn sie positionieren sich gleich häufig zu Gunsten oder Ungunsten zu den Botschaften beider Seiten. Die nachstehende Grafik listet die Parteien horizontal, und sie zeigt, in welchem Masse die Parteigängerschaften uns eine Ja-Stimmabsicht bekundeten respektive in welchem Mass wir eine solche aufgrund der Argumentenbewertungen insgesamt vermuten können. Dabei ist auffällig, dass die Unterschiede gering sind. Bei der CVP sind die Wert praktisch identisch, bei der FDP besteht eine Differenz von 4 Prozentpunkten, bei SP und GPS von je 6 und bei der SVP von 8 Prozentpunkten. Einzig bei den Parteiungebundenen gibt es eine relevante Differenz von 11 Prozentpunkten. Die Indexwerte sind dabei konsequent tiefer. Inhaltlich gesprochen bedeutet dies, dass die Stimmabsichten nicht nur insgesamt leicht stärker im Ja sind als die durchschnittlichen Bewertungen der Botschaften, nirgends aber das Umgekehrte vorliegt. Das würde bedeuten, dass versteckte Ja-Stimmen in der Sonntagsfrage nicht zum Ausdruck kämen, sich im Argumententest aber zeigen würden. Dies ist kaum der Fall. 69 Grafik 57 Filter Zustimmung zur Durchsetzungsinitiative und Index Argumente nach Parteien in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 90 Index Argumente Ja+/Nein- 82 52 46 30 40 41 16 17 8 Stimmabsicht bestimmt/eher dafür Total bestimmt teilnehmende Parteiungebundene SVP FDP 15 CVP SP GPS 2 10 26 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Erläuterung: Beim Argumentenindex werden die Argumente aufgrund ihrer Bedeutung für die Stimmabsicht recodiert. Dabei wird die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Ablehnung zu den Contra-Argumenten (sehr/eher nicht einverstanden) als positiv definiert, die Ablehnung (sehr/eher nicht einverstanden) zu den Pro-Argumenten und die Zustimmung (sehr/eher einverstanden) zu den ContraArgumenten als negativ definiert. Keine inhaltliche Nennung (weiss nicht/keine Antwort) bei den Argumenten wird als Null definiert. Dies wird für jedes Argument berechnet und danach summiert. Entsteht eine positive Summe, liegt ein Überhang zur argumentativen Zustimmung vor, liegt eine negative Summe vor, eine argumentative Ablehnung. Eine summierte Null bedeutet neutral. Der ausgewiesene Wert ist der positive Überhang zu den Argumenten. 3.3.5 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung von der Beurteilung des mit der Vorlage angesprochenen Problems hin zur Lösung des Problems. Das führt dazu, dass die Zustimmungsbereitschaft insgesamt sinkt, derweil die Ablehnungstendenz mit dem Abstimmungskampf zunimmt. Grafik 58 Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme Abstimmungstag Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 70 Der hier beschriebene Mechanismus funktioniert bei Initiativen mit linker Unterstützung letztlich lückenlos, derweil dies bei rechten Volksbegehren weniger eindeutig der Fall ist. Denn es gibt auch Fälle, bei denen die Zustimmungsmehrheit bleibt respektive als Folge des Abstimmungskampfes erst entsteht. Bezogen auf SVP-Initiativen kann man drei typische Fälle erwähnen: Zustimmungsmehrheit von Anfang an und bleibend: Ausschaffungsinitiative Anfängliche Minderheit, Wandel zur Mehrheit mit Kampagnen: Masseneinwanderungsinitiative Zustimmungsmehrheit zu Beginn, Meinungsumschwung im Abstimmungskampf: Einbürgerungsinitiative Grafik 59 Die bisherige Meinungsbildung unterscheidet sich von der bei der Initiative gegen Masseneinwanderung am klarsten. Sie gleicht der bei der Ausschaffungsinitiative am deutlichsten. Der Unterschied zur Einbürgerungsinitiative ist nur gradueller Natur, das aber deutlich. Oder anders gesagt: Wie bei er Ausschaffungsinitiative war die Zustimmungsbereitschaft in den SRG-Befragungen zu Beginn mehrheitlich, verringerte sich dann aber. Im Referenzfall blieb die mehrheitliche Zustimmung in unseren Befragungsreihen bis am Schluss. Das stimmte sehr gut mit dem Endergebnis überein. Aktuell ist der Ja-Wert unter die Hälfte gefallen. Wenn wir das dennoch nicht für abschliessend entschieden halten, hat das mit der denkbaren Eigenschaft rechter Initiativen insbesondere mit nationalkonservativem und rechtspopulistischen Gehalt respektive Kommunikation zu tun, die man bei Ausländerfragen kennt. Demnach können solche Protestabstimmungen zwar im Abstimmungskampf selber an Zustimmung verlieren, dank der Schlussmobilisierung legen sie aber kurzfristig noch einmal zu. In Ansätzen sehen wir das bei der Durchsetzungsinitiative auch, wenn wir die drei zur Verfügung stehenden Umfragen zum Thema als Film betrachten. Demnach reduzierte sich die harte Zustimmung vor allem als Folge des Vorabstimmungskampfes, während sie mit diesem wieder etwas zunahm. 71 Grafik 60 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Durchsetzungsinitiative "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 31 40 16 bestimmt dagegen 3 11 21 eher dagegen 9 7 5 20 13 weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür 45 33 31 24. Oktober 2015 12. Januar 2016 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Setzt sich die Gegenbewegung fort, ist der Ausgang offen, ohne das ist das Nein eher wahrscheinlich. Im Normalfall resultiert demnach ein Nein. Dafür spricht vor allem der Argumententest, es können aber auch Stimmabsichten beigezogenen werden. Dagegen kann man die Erwartungshaltung der Stimmwilligen vorbringen, die einen minimalen Ja-Überschuss sieht. Tabelle 14 Indikatoren der Einschätzung der Durchsetzungsinitiative Erwartung Stimmende Index Argumente SP, GPS, GLP, Piraten, CVP, EVP, BDP, FDP 49% 55% Bestimmt Teilnehmende: 49% Normalszenario mit leicht sinkendem JaAnteil Ausnahmeszenario, wenn Beteiligungsabsicht stark steigend SVP, EDU 51% 40% Bestimmt Teilnehmende: 46% Normalszenario mit steigendem NeinAnteil Ausnahmeszenario, wenn Beteiligungsabsichten stark steigen Ausprägung Parlament Parolen dagegen NR: 71% SR: 83% dafür NR: 29% SR: 13% Insgesamt Erklärung Argumente R2 62% Stimmabsichten Grad Meinungsbildung Trenderwartung Dispositionsansatz 63% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 793) Die etwas heterogenen Befunde passen gut zu rechten Initiativen mit nationalkonservativem und rechtspopulistischem Gehalt. Demnach entscheiden die 72 kurzfristigen Momente rund um Ereignisse in der Schlussphase der Abstimmung, auf welche Seite die Mehrheit kippt. 3.3.6 Stichworte für die Berichterstattung potenzielle Mehrheitsinitiative von rechts (nationalkonservativ) fortgeschrittene Meinungsbildung, aber nicht mehr zunehmend hohe Prädisponierung durch Stimmverhalten bei Ausschaffungsinitiative. Leichter Umschwung vom Ja ins Nein Konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer populärstes und wirksamstes Ja-Argument fehlende Härtefallklausel, Gesetz zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, Probleme für Bilaterale und Secondo-Problematik auf Nein-Seite mehrheitsfähig und wirksam Ausgang eher Nein, aber unverändert offen 73 3.4 Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!" 3.4.1 Vorläufige Stimmabsichten Zum Zeitpunkt der Befragung waren 31 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten bestimmt oder eher für die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln". 54 Prozent waren bestimmt oder eher dagegen. Der anfängliche Vorsprung der Initianten hat sich damit in einen Rückstand verwandelt. Stattgefunden hat damit der bekannte Prozess der Meinungsbildung bei linken Initiativen. Grafik 61 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 19 32 bestimmt dagegen 20 eher dagegen 13 20 28 12. Januar 2016 22 weiss nicht/keine Antwort 15 eher dafür 11 bestimmt dafür 20 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Der Stand der Meinungsbildung zur Spekulationsstopp-Vorlage bleibt weiterhin zurück. Nur 52 Prozent der Beteiligungsbereiten hatten knapp drei Wochen vor dem Abstimmungstag eine bestimmte Stimmabsicht. Ein Drittel hat sich tendenziell entschieden, und bei 15 Prozent ist das gar nicht der Fall. Über die Zeit betrachtet, sind die Veränderungen marginal. Die Meinungsbildung hat sich graduell kaum verstärkt. Die Unentschiedenheit hat sogar leicht zugenommen. Wahrgenommen hat man die Opposition. Sie wirkt sich auf den Trend in den Stimmabsichten aus. So hat sich die Zustimmungsbereitschaft um 17 Prozentpunkte verringert, und die Ablehnungstendenz ist um 15 Prozentpunkte gestiegen. Im Schnitt beträgt die Veränderung 16 Prozentpunkte – ein weit überdurchschnittlicher Wert. Die grosse Veränderung trotz geringer öffentlicher Debatte hat mit der Eigenschaft der Thematik zu tun. Das Anliegen geniesst, bei geringer Auseinandersetzung, ein Sympathiepotenzial. Dieses schwindet bei schon mässiger Beschäftigung mit der öffentlichen Meinung, weil keine festen Prädispositionen bestehen. Für viele Stimmberechtigte ist das Thema neu. Und es ist auch anspruchsvoll. Der wichtigste, bekannte Mechanismus bei einer solchen Ausgangslage ist, dass man sich an der Parole der bevorzugten Partei ausrichtet. 74 3.4.2 Vorläufiges Konfliktmuster Das Konfliktmuster in den Stimmabsichten zur Spekulationsstopp-Initiative ist in erster Linie parteipolitischer Natur. Die Stimmabsichten sind je nach Parteibindung ungleich. Unverändert keinen Einfluss finden wir dagegen hinsichtlich des Regierungsvertrauens/-misstrauens. Am klarsten gegen die Initiative stimmen will die Basis der FDP. 74 Prozent ihrer Wählenden sind mehr oder weniger klar dagegen. An der Basis von SVP und CVP sind es je 60 Prozent. Am klarsten dafür sind die Wählenden der GPS. 72 Prozent wollen hier zustimmen. Unter den SP-Wählenden sind es 50 Prozent. Nicht eindeutig ist die Position der Parteiungebundenen. Eine relative Mehrheit von 48 Prozent will Nein sagen, 30 Prozent wollen der Vorlage zustimmen. Die Unschlüssigkeit hat hier im Verlaufe des Abstimmungskampfes klar zugenommen. Im Übrigen gilt, dass der Trend in allen politischen Lagern gleich ist wie im Allgemeinen. Die Meinungsbildung entwickelt sich Richtung Nein. Grafik 62 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 32 14 19 24 17 12 14 13 11 17 30 18 29 13 18 37 23 18 23 14 12 13 22 18 17 22 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 11 8 11 7 8 31 27 19 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 37 SP/ 9 Februar 2016 39 SP/ 12. Januar 2016 47 GPS/ 9. Februar 2016 GPS/ 12. Januar 2016 58 28 51 24 13 13 27 Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 26 28 SVP/ 9. Februar 2016 25 22 20 SVP/ 12. Januar 2016 14 15 FDP/ 9. Februar 2016 19 7 14 FDP/ 12. Januar 2016 13 7 8 CVP/ 9. Februar 2016 17 2 CVP/ 12. Januar 2016 4 eher dafür bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Die Entwicklung der Meinungsbildung folgt damit den Parolen der jeweiligen Parteien. Die Trennlinie befindet sich zwischen Bürgerlichen und den Rotgrünen. Parteiungebundene sind dazwischen, mit einer leicht höheren Affinität zum rechten als zum linken Lager. Die Polarisierung ist erheblich. So unterscheiden sich die FDP- und GPSWählenden im Ja-Anteil um 57 Prozentpunkte. Im Nein-Anteil sind es 54 Prozentpunkte. Beides ist eindeutig mehr als zu Beginn des Abstimmungskampfes. Die Mehrheiten in den Parteiwählerschaften entsprechen zwischenzeitlich durchwegs den Parteiparolen. Unsicher ist einzig, ob dies bei der SP so bleibt. Verschwunden ist dagegen die latente Zustimmungsbereitschaft im rechten und konservativen politischen Lager. 75 Statistisch nur noch knapp relevant sind die anfänglichen Unterschiede, die wir entlang von Schulabschluss, Alter und Geschlecht im Gefolge der ersten Welle festhielten. Letztlich bleibt, dass Männer etwas mehr dagegen und Frauen etwas unschlüssiger sind. Signifikant sind einzig noch die Unterschiede nach Sprachregionen. Dies ist allerdings nicht eine Folge verschiedener Zustimmungswerte. Denn sie schwanken nur von 30 Prozent in der französischsprachigen Schweiz bis 39 Prozent in der italienischsprachigen. Deutlich anders sind dafür die Anteil auf der Nein-Seite. In der deutschsprachigen Schweiz liegt ihr Wert bei 57 Prozent, in der italienischsprachigen bei nur 29 Prozent. Hauptgrund ist, dass im Tessin der Prozentsatz Unentschiedener mit 32 Prozent unüblich hoch ist und sich auch nicht verringert hat. Grafik 63 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 19 21 9 22 35 25 12 17 23 18 30 10 11 21 20 FCH/ 12. Januar 2016 15 DCH/ 9. Februar 2016 DCH/ 12. Januar 2016 32 33 28 ICH/ 9. Februar 2016 18 31 ICH/ 12. Januar 2016 22 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür 15 FCH/ 9. Februar 2016 11 21 8 12 22 30 9 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Untenstehende Tabelle fasst die Befunde zum Konfliktmuster der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation zusammen. Auf einen Argumententest wurde für die zweite Welle aufgrund der klaren Ausgangslage verzichtet. 76 Tabelle 15 Konfliktlinien: VI gegen Nahrungsmittelspekulation Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. GPS, SP CVP, FDP, SVP Parteiungebundene Sprachregion sig. ICH (DCH) FCH, ICH Siedlungsart n.sig. Schulbildung sig. (mittel) (hoch) (tief), (mittel) HH-Einkommen n.sig. Geschlecht sig. (Frau) Mann Frau Alter sig. (18-39-Jährige), (40-64- (18-39-Jährige), 65+Jährige) Jährige (40-64-Jährige) Regierungsvertrauen sig. (Misstrauen) weiss nicht/keine Antwort, (Misstrauen) Konfession n.sig. (Vertrauen) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 3.4.3 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung von der Beurteilung des angesprochenen Problems zur Beurteilung der vorgeschlagenen Lösung. Das hat zur Folge, dass die Ablehnungsbereitschaft mit der Dauer des Abstimmungskampfes steigt, während sich die Zustimmungstendenz verringert. Bei linken Initiativen gilt dieser Normalfall fast lückenlos. Die Volksinitiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmittel" der Jungsozialisten, unterstützt von diversen Kreisen aus dem Mitte/links-Spektrum, fügt sich in eine Reihe von Vorlagen ein. Namentlich erwähnt sei hier die eidgenössische Initiative "1:12"; verwiesen sei auch auf vergleichbare Vorlagen wie die zum Mindestlohn. Ihnen gemeinsam ist, dass sie wirtschaftskritisch aufgestellt sind und stets mit einer moralischen Anklage verbunden sind. Für eine Ablehnung in der Volksabstimmung spricht, dass die Behörden die Vorlage nicht unterstützen und das bürgerliche Lager fast geschlossen auf der Nein-Seite steht. Diesmal kommt hinzu, dass die Vorlage auch bei den Jungparteien klar im Links/rechts Spektrum polarisiert. Tabelle 16 Indikatoren der Einschätzung der VI gegen Nahrungsmittelspekulation Parlament Parolen dagegen NR: 69% SR: 74% GLP, CVP, FDP, SVP, EDU 54% Normalszenario mit Zunahme Nein dafür NR: 31% SR: 26% SP, GPS, EVP 31% Normalszenario mit Abnahme Ja Insgesamt Stimmabsichten Entschiedenheit Trenderwartung Dispositionsansatz Ausprägung 52% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 793) Bis zum Abstimmungstag gehen wir davon aus, dass sich der bisherige Trend fortsetzt, denn er entspricht den theoretischen Erwartungen und die empirisch nachgewiesene Entwicklung ist erheblich. Ein Nein am Abstimmungstag ist sicher, sehr wahrscheinlich sogar deutlicher als es jetzt zum Ausdruck kommt. 77 Grafik 64 Negativ prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Unentschieden Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 3.4.4 Stichworte für die Berichterstattung Minderheitsinitiative von links Meinungsbildung weiterhin eher wenig ausgeprägt starke Polarisierung auf der Links/rechts-Achse, vor allem zwischen FDP und GPS Trend zur Annäherung an parlamentarische Mehrheiten kein Elite/Basis-Konflikt, allenfalls bei SP eine Differenz Ablehnung dürfte weiter steigen, Zustimmung weiter sinken Ablehnung in der Volksabstimmung sicher 78 3.5 Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet 3.5.1 Vorläufige Stimmabsichten Anfang Februar 2016 hätten 56 Prozent der teilnahmewilligen Stimmberechtigten für die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet gestimmt. 39 Prozent wären dagegen gewesen. Der Zweite Gotthardtunnel wäre demzufolge angenommen worden, hat jedoch gegenüber den im Januar festgehaltenen Werten etwas an Zustimmung eingebüsst (-8%punkte). Der Abstimmungskampf gab der gegnerischen Argumentation Raum, was sich in den Stimmabsichten bemerkbar macht; die Nein-Seite konnte innert Monatsfrist 10 Prozentpunkte gutmachen. Unentschieden bleiben mit 5 Prozent nur noch wenige Stimmberechtige mit Teilnahmeabsicht und der Kampagnenverlauf hat das Meinungsbild weiter gefestigt, denn 65 Prozent sind in der Frage des zweiten Gotthardtunnels bereits fest entschlossen. Grafik 65 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 16 27 bestimmt dagegen 13 7 12 eher dagegen 5 24 18 weiss nicht/keine Antwort eher dafür 40 12. Januar 2016 38 bestimmt dafür 9. Februar 2016 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Typologisch entspricht die Sanierungsvorlage zum Gotthardtunnel einer positiv prädisponierten Behördenvorlage. Diese Einschätzung ist neben dem JaVorsprung auch dem Umstand geschuldet, dass kein Unterschied in der mehrheitlichen Einschätzung der Vorlage von Regierung, Parlament und der teilnahmewilligen Bevölkerung existiert. Die vornehmliche Kampagnenwirkung bei einer Behördenvorlage ist die Überzeugung Unschlüssiger, was bisher erst in geringem Masse geschah (-2%punkte). Vielmehr erfasste die Nein-Kampagne im vorliegenden Fall auch tendenzielle Befürworterinnen und Befürworter, denn der Sockel dieser tendenziellen Zustimmung zum Zweiten Gotthardtunnel ist am schmelzen. Diese Entwicklung entspricht typologisch einer Polarisierung der Meinungsbildung zum Nein. 79 Klimatisch wird allerdings nach wie vor ein Vorteil für die Ja-Seite wahrgenommen: Die teilnahmewilligen Stimmberechtigten schätzen im Schnitt, dass die Vorlage am Abstimmungstag 53.7 Prozent Zustimmung erreichen wird. Lediglich eine Minderheit von ihnen geht von einer Ablehnung der Vorlage aus (22% gehen von einem Ja-Anteil unter 50 Prozent aus), 70 Prozent rechnen mit einer Zustimmung. Damit haben sich die Erwartung des Abstimmungsausgangs und die geäusserten Stimmabsichten einander angenähert. 3.5.2 Vorläufiges Konfliktmuster Symptomatisch für diesen fortgeschrittenen Stand der Meinungsbildung ist die deutliche und sich mit der zweiten Umfrage konsolidiert erweisende Polarisierung. Mit Ausnahme der Siedlungsart und des Alters erweisen sich alle untersuchten Grössen als signifikante Spaltungsmerkmale. Nur in zwei Fällen führt diese Spaltung jedoch zu vom Mainstream abweichenden Mehrheiten. Die Entwicklung der Stimmabsichten verlief dabei in der Mehrheit der Untergruppen gleich; der Nein-Anteil ist etwas angestiegen, der Ja-Anteil ist rückläufig oder hält sich stabil. Die primäre Polarisierung im Abstimmungskampf verläuft entlang der Parteibindungen und spaltet zwischen links und rechts. Linke Parteiwählerschaften wurden von der Nein-Kampagne bestätigt und konsolidierten ihre ablehnende Haltung, während in der Mitte und im rechten Spektrum weniger Bewegung festzustellen ist. Sympathisantinnen und Sympathisanten der GPS und der SP bleiben im Nein. Im Umfeld der CVP kippen die Mehrheitsverhältnisse ins Ja und auch FDP- und SVP-affine Teilnahmewillige sind klar dem BefürworterLager zuzurechnen. Parteiungebundene schliessen sich dieser Mehrheit an, allerdings hat hier die Nein-Kampagne deutliche Spuren hinterlassen, denn der Nein-Anteil stieg innerhalb eines Monats um 13 Prozentpunkte. Grafik 66 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Parteibindung: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 15 32 46 61 2 21 22 9 6 10 7 3 20 18 9 4 5 12 42 47 22 48 9 16 8 16 19 36 18 27 15 60 27 11 4 32 20 35 38 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 53 18 bestimmt dafür Parteiungebundene/ 12. Januar 2016 Parteiungebundene/ 9. Februar 2016 2 GPS/ 12. Januar 2016 GPS/ 9. Februar 2016 5 7 8 8 SVP/ 12. Januar 2016 SVP/ 9. Februar 2016 18 10 18 25 9 6 10 FDP/ 12. Januar 2016 FDP/ 9. Februar 2016 11 32 SP/ 12. Januar 2016 SP/ 9. Februar 2016 15 2 15 CVP/ 12. Januar 2016 CVP/ 9. Februar 2016 55 21 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Die Stimmabsichten sämtlicher Parteiwählerschaften sind damit, wie bereits in der Ausgangslage, im Einklang mit den Parolen ihrer jeweiligen Partei. Es be80 stehen keine parteiinternen Elite/Basis-Konflikte, aber die Parteien und Wählerschaften aus dem linken Spektrum stehen in Opposition zur Behördenposition. Die Vorlage zum zweiten Gotthardtunnel kennt zwei Betroffenheitsdimensionen, denn man kann als Einwohner eines angrenzenden Kantons oder aber als Autofahrer direkt von den Auswirkungen eines Stimmentscheids tangiert sein. Während die vorliegende Stichprobe nicht ausreicht, um Aussagen auf Kantonsebene machen zu können, können approximativ die Sprachregion untersucht werden. Die Frage jedoch, ob man selber Autobesitzer oder Autobesitzerin ist oder nicht, spaltet weitaus stärker. Neben Sympathisanten der SP und der GPS sind Teilnahmewillige ohne Auto die einzige Untergruppe, welche der Vorlage ablehnend gegenübersteht. Gefestigte 55 Prozent von ihnen hätten am 9. Februar 2016 Nein gestimmt. Teilnahmewillige dagegen, die ein Auto besitzen und noch deutlicher solche mit zwei Autos und mehr hätten den Sanierungstunnel angenommen (50%/68% eher/bestimmt dafür). Grafik 67 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Autobesitz: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 10 16 36 29 43 13 7 11 12 18 12 24 7 bestimmt dagegen 6 10 4 eher dagegen 25 22 weiss nicht/keine Antwort 15 6 16 40 23 14 18 13 35 46 46 eher dafür 23 zwei Autos und mehr/ 9. Februar 2016 zwei Autos und mehr/ 12. Januar 2016 ein Auto/ 9. Februar 2016 ein Auto/ 12. Januar 2016 kein Auto/ 9. Februar 2016 kein Auto/ 12. Januar 2016 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Nach Sprachregionen betrachtet bleibt die Westschweiz in der Meinungsbildung zurück; nicht nur finden sich klar weniger fest Entschlossene, auch ist das Meinungsbild bei 47 Prozent Befürwortern und 42 Prozent Gegnern wenig akzentuiert. In der Deutschschweiz sprechen sich 58 Prozent für den Sanierungstunnel aus und 39 Prozent dagegen, Nur noch drei Prozent sind unentschieden. Alle drei Sprachregionen wurden von einer Polarisierung hin zum Nein erfasst, allerdings fällt diese in der Romandie und insbesondere im Tessin deutlich stärker aus als in der Deutschschweiz. Im Tessin geben noch 51 Prozent für den Zweiten Gotthardtunnel zu stimmen, vor einem Monat waren es 76 Prozent. Das bleibt eine Mehrheit für den Tunnel, der anfängliche Enthusiasmus für den Sanierungstunnel wurde allerdings im Tessin von relevanten Zweifeln abgeschwächt. 81 Grafik 68 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Sprachregion: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 22 11 3 11 23 30 22 8 bestimmt dagegen 11 eher dagegen 9 22 weiss nicht/keine Antwort 54 42 21 25 FCH/ 12. Januar 2016 FCH/ 9. Februar 2016 41 DCH/ 9. Februar 2016 DCH/ 12. Januar 2016 19 6 7 11 17 32 44 11 23 eher dafür ICH/ 9. Februar 2016 13 3 13 28 ICH/ 12. Januar 2016 18 bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Beschränkt erweisen sich gesellschaftliche Differenzierungen als relevant. So zeigen sich Frauen weniger deutlich in ihrer Zustimmung als Männer oder jüngere Teilnahmewillige weniger als ältere. Unter dem Strich würden jedoch Frauen (52%) wie Männer (59%) respektive Junge (51%) wie Teilnahmewillige im mittleren Alter (56%) oder Pensionierte (58%) mehrheitlich für den Sanierungstunnel am Gotthard stimmen. Grafik 69 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Alter: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 14 25 15 5 34 15 27 12 19 5 8 29 12 10 7 26 20 16 10 8 5 12 17 20 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort 40 41 65+-Jährige/ 9. Februar 2016 bestimmt dafür 65+-Jährige/ 12. Januar 2016 18-39-Jährige/ 9. Februar 2016 39 40-64-Jährige/ 9. Februar 2016 31 40-64-Jährige/ 12. Januar 2016 32 18-39-Jährige/ 12. Januar 2016 eher dafür 46 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 82 Am Rande erweisen sich zudem sozioökonomische Grössen als relevant, wobei nicht das Einkommen wohl aber die Schulbildung eine Rolle spielt. Tief Gebildete sind nämlich die dritte vom Mainstream abweichende Gruppe, denn sie wurden von einem straken Nein-Trend erfasst und lehnen den Sanierungstunnel relativmehrheitlich ab. Das war in der ersten Umfrage klar anders. Ein gewisses Mass an Polarisierung findet sich auch unter Hochgebildeten, sie bleiben jedoch mehrheitlich dem Ja zugeneigt. Grafik 70 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Schulbildung: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 25 3 7 27 17 25 19 28 14 13 21 15 7 9 4 20 17 14 7 27 14 5 19 14 43 45 37 hoch/ 12. Januar 2016 mittel/ 9. Februar 2016 mittel/ 12. Januar 2016 tief/ 9. Februar 2016 tief/ 12. Januar 2016 24 34 hoch/ 9. Februar 2016 46 bestimmt dagegen eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür bestimmt dafür © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Zu guter Letzt erweist sich auch das Institutionenvertrauen als signifikant, wobei sich keine Anzeichen für einen Protestcharakter dieser Entscheidung finden lassen. Regierungskritische Teilnahmewillige sind nämlich die am stärksten befürwortende Gruppe. Am verhaltensten ist die Zustimmung unter jenen Teilnahmewilligen, die keine Angabe zum Regierungsvertrauen machen können oder wollen. Nahe am Durchschnitt bewegen sich die Zustimmungswerte von Stimmberechtigten, die der Regierung grundsätzlich vertrauen. 83 Grafik 71 Trend Filter Persönliche Stimmabsicht vom 28. Februar 2016 nach Regierungsvertrauen: Zweite Gotthardröhre "Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Volksabstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet, abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?" in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen 14 27 29 26 14 12 15 4 8 14 19 9 3 24 16 16 36 weiss nicht/ keine Antwort/ 12. Januar 2016 32 eher dagegen weiss nicht/keine Antwort eher dafür 44 44 Vertrauen/ 9. Februar 2016 Vertrauen/ 12. Januar 2016 39 19 15 9 bestimmt dagegen 28 bestimmt dafür Misstrauen/ 9. Februar 2016 24 weiss nicht/ keine Antwort/ 9. Februar 2016 7 28 9 Misstrauen/ 12. Januar 2016 16 © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Mit anderen Worten: Die Opposition gegen den Sanierungstunnel am Gotthard kommt von links, wird an der Basis von GPS und SP mehrheitlich getragen und sie wird verstärkt von Teilnahmewilligen, die kein Auto besitzen oder maximal über einen obligatorischen Schlussabschluss verfügen. Kritische oder zögernde Untertöne finden sich eher bei jenen Teilnahmewilligen, die den Behörden gegenüber indifferent eingestellt sind oder in der Westschweiz leben. Zusammengefasst finden sich diese Befunde in der nachfolgenden Tabelle. Tabelle 17 Konfliktlinien: Zweite Gotthardröhre Konflikt Signifikanz Ja ++ Nein ++ Unschlüssigkeit ++ Parteibindung sig. CVP, FDP, SVP, GPS, SP (Parteiungebundene) (CVP), (FDP) Sprachregion sig. (DCH) (FCH) (FCH), (ICH) Siedlungsart n.sig. Schulbildung sig. mittel, tief, (hoch) tief HH-Einkommen n.sig. Geschlecht sig. (Mann) (Frau) (Frau) Alter sig. (65+-Jährige) (18-39-Jährige) Regierungsvertrauen sig. (Misstrauen) (Vertrauen), (weiss nicht/keine Antwort) Autobesitz sig. zwei Autos und mehr kein Auto, (ein Auto) (kein Auto), (ein Auto) Konfession sig. (römisch-katholisch) (keine Konfession) weiss nicht/keine Antwort (keine Konfession) Lesebeispiel: Aufgeführte Untergruppen weichen mehr als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. Untergruppen in Klammern weichen weniger als 5 Prozentpunkte vom Mittel der Teilnahmewilligen ab. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 84 3.5.3 Argumententest Die Ja-Seite kann mit vier überzeugenden Botschaften werben, wobei das Sicherheitsargument heraussticht. Stabile 88 Prozent akzeptieren die Aussage, dass je eine Fahrspur pro Tunnel sicherer sei als eine Variante mit Gegenverkehr. Diese Argumentationslinie ist weitgehend unbestritten. Stabile 62 Prozent erachten die Notwendigkeit von Zusatzbauten und den resultierenden Landverschleiss als gegeben. Bewegung ist allerdings in der Frage der Abkoppelung des Tessins festzustellen. Noch vor einem Monat war dies das zweitstärkste Argument für den Sanierungstunnel, zwischenzeitlich wurde es auf den dritten Rang verwiesen (-7%-punkte), wird aber nach wie vor mehrheitlich geteilt. Das neu getestete, vierte Kampagnenargument zu den Schäden für die Schweizer Wirtschaft bei einer Schliessung des Tunnels überzeugt 57 Prozent der Teilnahmewilligen, 37 Prozent widersprechen. Kurzum liegt die Vorlage dann richtig, wenn sie die Notwendigkeit des Tunnels glaubhaft machen kann – sei es, um das Tessin nicht abzuhängen, sei es um Landverschwendung zu vermeiden – und, wenn sie an Sicherheitsbedürfnisse und den Wirtschaftsstandort Schweiz appelliert. Dynamisch betrachtet hat dabei die staatspolitische Argumentation etwas an Boden verloren. Grafik 72 Trend Filter Pro-Argumente zur Zweiten Gotthardröhre "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." je eine Fahrspur sicherer "Zwei Tunnelröhren mit je einer Fahrspur sind sicherer als ein Tunnel mit Gegenverkehr." Landverbrauch für Bahnverlad " Die Verbindung zu Norditalien, dem drittwichtigsten Handelspartner der Schweiz, zu kappen ist schädlich für die Schweizer Wirtschaft." Tessin nicht abschneiden** " Die Schweiz kann es sich nicht leisten, das Tessin während dreier Jahre abzukoppeln." schädlich für CH Wirtschaft* "Die Verbindung zu Norditalien, dem drittwichtigsten Handelspartner der Schweiz, zu kappen ist schädlich für die Schweizer Wirtschaft." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen , Anteil voll/eher einverstanden 88 88 68 62 61 61 je eine Fahrspur sicherer Landverbrauch für Bahnverlad 57 Tessin nicht abschneiden schädlich für CH Wirtschaft* 12. Januar 2016 9. Februar 2016 *nur in zweiter Welle befragt **Änderung Fragestellung zur ersten Welle © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Auch vier Argumentationslinien der Gegenkampagne wurden getestet und sie erfahren allesamt mehrheitliche Unterstützung. Der Gegnerschaft gelang es folglich mit Fortschreiten der Kampagne, relevante Zweifel zu streuen. Dieser Umstand äussert sich bereits in der beschriebenen leichten Polarisierung der Stimmabsichten zum Nein, er ist aber auch inhaltlich untermauert: Stabile 67 Prozent der Stimmberechtigten befürchten nämlich, dass der Druck zur Öffnung der zweiten Fahrspur steigen werde und ebenso stabile 59 Prozent erachten einen Widerspruch zum Alpenschutz erachten als gegeben. Leicht an Boden verloren hat dagegen das Argument, dass sich der Verkehr am Gotthard und damit auch gesundheitsschädigende Emissionen erhöhen werde (-3%punkte). 85 Zusätzlich erachten 58 Prozent den hohen Mitteleinsatz am Gotthard als falsch, weil dann Geld zur Lösung anderer Verkehrsengpässe fehle. Dieses Argument hat gegenüber der ersten Welle als einziges namhaft an Unterstützung gewonnen (+6%-punkte). Die Opposition hält dem Bau der zweiten Gotthardröhre Bedenken zur Verkehrsbelastung und dem Druck dieser nachzugeben sowie ökologische Einwände entgegen. Mit dem Kampagnenverlauf aufzubauen, vermochte sie die Kritik, das Projekt fokussiere zu einseitig auf einen einzelnen Verkehrsknotenpunkt. Grafik 73 Trend Filter Contra-Argumente zur Zweiten Gotthardröhre "Ich lese Ihnen jetzt einige Argumente vor, die man im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet immer wieder hören und lesen kann. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob Sie damit voll einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden sind." Druck aus In- und Ausland wird steigen "Der Druck aus dem In- und Ausland zur Öffnung der zweiten Fahrspur, wird nach deren Fertigstellung steigen." widerspricht Schutz der Alpen** "Der geplante Sanierungstunnel widerspricht dem vom Volk beschlossenen Schutz der Alpen vor immer mehr Strassenverkehr." verbraucht finanzielle Mittel "Der Bau eines Gotthard-Sanierungstunnels verbraucht finanzielle Mittel, die dann bei Ausbau anderer Verkehrsengpässe in der Schweiz fehlen." Verkehr am Gotthard erhöht sich** "Mit der zweiten Röhre erhöht sich der Verkehr am Gotthard, der Ausstoss von Schadstoffen und die Lärmbelastung steigen." in % Stimmberechtigter, die bestimmt teilnehmen wollen , Anteil voll/eher einverstanden 66 58 57 52 67 59 Druck aus In- und Ausland wird steigen 58 55 widerspricht Schutz der Alpen verbraucht finanzielle Mittel Verkehr am Gotthard erhöht sich 12. Januar 2016 9. Februar 2016 **Änderung Fragestellung zur ersten Welle © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Für eine quantitative Hierarchisierung der Argumentationskette erlaubt die Regressionsanalyse, denn erst sie legt offen, wie die Argumente im Zusammenspiel auf einen Stimmentschied wirken. Bemerkenswert ist, dass erstens alle acht hier getesteten Argumente auf einen Stimmentscheid wirken und zweitens, dass damit hohe 53 Prozent einer Entscheidung für oder gegen die zweite Röhre am Gotthard erklärt werden können. Wir haben es hier also nicht mit einem Bauchentscheid, sondern einer argumentativ abgestützten Entscheidung zu tun. Relativierend muss höchstens der Umstand erwähnt werden, dass bei dieser Vorlage acht anstelle von sechs Argumenten getestet wurden, und das alleine erhöht die Modellgüte leicht. Insofern ist bei direkten Vergleichen mit den Werten anderer Vorlagen gewisse Vorsicht geboten. Was sich gegenüber der ersten Welle am meisten verändert hat, ist die Dominanz der gegnerischen Argumentation. Die beiden stärksten Argumente zur Erklärung eines Stimmentscheids sind nämlich neu Contra-Argumente. Befürchtungen rund um erhöhtes Verkehrsaufkommen sowie die Gefährdung des Alpenschutzes erweisen sich als effektivste Schwachstelle des Sanierungstunnels, denn diese beiden Argumente befördern am ehesten ein Nein. Dahinter reiht sich jedoch die gesamte Pro-Argumentation geschlossen ein und sämtliche Argumente der Pro-Seite wirken wie intendiert auf ein Ja. Ein eigentliches Killerargument ist dabei schwer auszumachen, denn alle vier getesteten Argumentationslinien wirken ähnlich stark. Etwas mehr in den Vordergrund gerückt 86 ist gegenüber der ersten Umfrage das Sicherheitsargument, weiterhin als zentral erweist sich die staatspolitische Räson. Befürchtete Wirtschaftsschäden und der Landverschleiss für Zusatzbauten wirken ähnlich stark auf ein Ja. Weniger bedeutend ist dagegen die Wirkung der Contra-Argumente zum Mitteleinsatz und zum Druck der Öffnung auf ein Nein. Die Erfolge, die der gegnerischen Seite durchaus attestiert werden können, nähren sich also primär aus zwei Quellen: Die Angst, dass sich das Verkehrsaufkommen durch einen zweiten Tunnel erhöht und der Widerspruch zum vom Volk beschossenen Alpenschutz. Die Befürworterseite hält jedoch den Sicherheitsaspekt und die Solidarität mit dem Tessin als starke Motive dafür in der Hand und überzeugt gemessen an den aktuellen Stimmabsichten offensichtlich mehr. Grafik 74 Filter Regressionsanalyse persönliche Stimmabsicht zur Zweiten Gotthardröhre Filter: Stimmberechtigte, die bestimmt teilnehmen wollen Ja Nein Verkehr am Gotthard erhöht sich widerspricht Schutz der Alpen je eine Fahrspur sicherer Tessin nicht abschneiden Landverbrauch für Bahnverlad schädlich für CH Wirtschaft verbraucht finanzielle Mittel Druck aus In- und Ausland wird steigen © SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167), R2 = 0.529 Erläuterung: Die eingesetzte Methode der linearen Regression beschreibt das Vorhandensein des Einflusses von unabhängigen Variablen – hier der Pro- und Contra-Argumente – (in abnehmender Reihenfolge) auf eine abhängige Variable, den Stimmentscheid. Anhand der Farbe lässt sich 2 unterscheiden, ob ein Element eher zu einer Ja-Stimmabgabe (blau) oder zu einer Nein-Stimmabgabe (orange) geführt hat. Das R gibt Auskunft darüber, wie erklärungskräftig ein Modell ist – je näher der Wert bei 1 liegt, desto grösser ist der Anteil der Varianz in der abhängigen Variable, der mit den unabhängigen Variablen erklärt wird. Argumente, welche in der Grafik nicht erscheinen, haben keinen Einfluss. Argumente mit dem Wortzusatz "Ablehnung zu" werden mehrheitlich verneint. Entsprechend sind solche Argumente in die andere Richtung eingefärbt und erhalten besagten Zusatz. Die schwarze Linie in der Mitte der Abbildung bezeichnet den Median. Befindet sich ein Argument genau auf der Mitte der Linie, bedeutet dies, dass 50 Prozent der Befragten einverstanden mit dem Argument sind, während die anderen 50 Prozent damit nicht einverstanden sind ("Weiss nicht"-Angaben werden dafür ausgeklammert). Je weiter das Kästchen nach links oder rechts von der 50-Prozentlinie abweicht, desto grösser ist die einseitige Beurteilung des betreffenden Arguments. Der rote Punkt dient als Lesehilfe, er markiert jeweils die Mitte des Kästchens. Aufgrund der regionalen Betroffenheit ist ein Blick auf die Sprachregionen aufschlussreich. Nachfolgende Tabelle fasst die Zustimmung zu den Argumenten und ihre Wirkung gemäss Regressionsanalyse zusammen. Interessant ist das Tessin, denn es erweist sich nur ein einziges der ProArgumente als relevant für einen Stimmentscheid; das Sicherheitsargument. Das war vor einem Monat noch anders, denn damals war das einzige wirksame Argument für die Vorlage, dass man nicht abgeschnitten werden wollte. Dieser Effekt hat sich neutralisiert. Was allerdings bleibt, ist dass ein Nein-Argumente stärker wirkt als das Sicherheitsargument, was die gestiegenen Nein-Anteile in den Tessiner Stimmabsichten erklären dürfte: Die Angst vor erhöhter Verkehrsbelastung wirkt sich sehr stark auf ein Nein aus. Den finanziellen Mittel87 verbrauch erachten die Ticinesi dagegen als wenig problematisch, eher noch ist der Alpenschutz ein entscheidrelevantes Kriterium für ein Nein. Das ist in der Deutschschweiz und in vor allem der Romandie klar anders: Weil man einseitigen Mitteleinsatz befürchtet, ist man dort eher dem Nein zugeneigt. Das Zögern der Romandie in Bezug auf den Zweiten Gotthardtunnel lässt sich anhand der Regressionsanalyse gut nachzeichnen, denn die Angst vor erhöhter Verkehrsbelastung ist hier das stärkste Argument und es wirkt gegen eine zweite Gotthardröhre. Die Zustimmung dagegen wird in der französischsprachigen Schweiz am stärksten vom Wirtschaftsargument getragen, was in den anderen beiden Sprachregionen höchstens am Rande zum Tragen kommt. Die Leseweise ist in der Deutschschweiz nochmal leicht anders, obwohl auch dort die Angst vor erhöhtem Verkehrsaufkommen das wirksamste Argument ist. Wirksamstes Pro-Argument ist in der Deutschschweiz nämlich das staatspolitische Argument, das Tessin nicht abzukoppeln. Bemerkenswert ist, dass diese Argumentation einzig in der Deutschschweiz Wirksamkeit entfaltet. Tabelle 18 Regressionen nach Sprachregion: Zweite Gotthardröhre deutschsprachige Schweiz französischsprachige Schweiz italienischsprachige Schweiz schädlich für CH Wirtschaft Zustimmung .100 Zustimmung .250 Zustimmung n.s. Tessin nicht abschneiden Zustimmung .162 Zustimmung n.s. Zustimmung n.s. Landverbrauch für Bahnverlad Zustimmung .155 Zustimmung .107 Zustimmung n.s. je eine Fahrspur sicherer Zustimmung .155 Zustimmung .147 Zustimmung .212 widerspricht Schutz der Alpen Zustimmung -.202 Zustimmung -.192 Zustimmung -.178 Verkehr am Gotthard erhöht sich Zustimmung -.252 Zustimmung -.299 Zustimmung -.431 verbraucht finanzielle Mittel Zustimmung -.080 Zustimmung -.191 Ablehnung -.247 Druck aus In- und Ausland wird steigen Zustimmung -.078 Zustimmung n.s. Zustimmung n.s. JaMehrheit relative JaMehrheit JaMehrheit mittel .530 mittel .526 hoch .615 Argument Pro Contra Total Erklärungsgrad Lesebeispiel: Dargestellt ist, ob ein Argument mehrheitlich ablehnt (Abl.) oder geteilt wird (Zust.) und als Zahl die Stärke des Einflusses eines Arguments auf die Stimmabsicht (beziffert durch den Beta-Koeffizienten aus der Regressionsanalyse). Je näher der Wert des Koeffizienten bei 1 liegt, desto höher der Einfluss des Argumentes. Das Vorzeichen gibt Auskunft über die Richtung des Einflusses. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) 88 3.5.4 Szenarien der weiteren Meinungsbildung Abschliessend werden die Erwartungshaltungen zum Abstimmungsausgang klassifiziert. Dazu dient nachfolgende Übersicht, welche neben der Behördenposition, den Parolen und den Erwartungen der Stimmenden auch deren Stimmabsichten und einen Indexwert zu den Argumenten enthält. Die Stimmabsichten legen zum zweiten Mal in Folge ein Plus für die Ja-Seite nahe, werden von argumentativen Haltungen getragen und sind im Einklang mit der Behördenposition und den Parolen der grossen fünf Parteien. Der Konflikt der parlamentarischen Beratung findet seine Verlängerung im Abstimmungskampf und spaltet das linke Lager gegen Mitte-rechts. Die Fokussierung der Debatte auf Schwachstellen und Risiken eines Sanierungstunnels, wie sie die Gegnerschaft macht, hat die Bevölkerung zwar erreicht, sie gewichtet aber zumindest bisher den Nutzen und Sicherheit offensichtlich höher als Befürchtungen rund um Alpen- und Umweltschutz respektive erhöhtes Verkehrsaufkommen. Tabelle 19 Indikatoren der Einschätzung der zweiten Gotthardröhre Ausprägung Erwartung Stimmende Index Argumente Erklärung Argumente R2 Stimmabsichten Prädisponierung Trenderwartung Dispositionsansatz Parlament Parolen dagegen NR: 40% SR: 38% SP, GPS, GLP, EVP 46% 41% 39% Polarisierung möglich dafür NR: 60% SR: 62% SVP, BDP, FDP, CVP, EDU 54% 52% 56% Polarisierung möglich Insgesamt 53% 65% SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 (n = 1167) Das Normalszenario für Behördenvorlagen sieht gemäss Dispositionsansatz vor, dass sich Unentschiedene mit dem Verlauf des Abstimmungskampfes in einem ungewissen Verhältnis auf beide Seiten verteilen. Die Zahlen der zweiten SRG-Trendumfrage sprechen allerdings eher für ein Spezialszenario, denn der Ja-Anteil ist gegenüber der ersten Umfrage rückläufig während der NeinAnteil angestiegen ist. Das entspricht einer Meinungsbildung in der Stimmbevölkerung, die sich tendenziell weg vom Behördenstandpunkt und dem Mainstream, hin zur Opposition entwickeln. Bei der Vorlage zum Sanierungstunnel am Gotthard haben wir es allerdings mit einer eindeutig positiv prädisponierten Behördenvorlage zu tun, so dass die Gegenkampagne für einen Abstimmungserfolg viel an Boden gutmachen müsste. Die Meinungsbildung zur eingangs diskutierten Referenzvorlage, der Abstimmung über die Finanzierung und den Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) entsprach dem Regelfall der Meinungsbildung zu Behördenvorlagen und passierte die Abstimmung bei einem tieferen Ausgangswert in der ersten Umfrage (56% eher/bestimmt dafür) mit einem Ja-Anteil von 62 Prozent. Die zweite Referenzvorlage entsprach dem Ausnahmeszenario, allerdings handelte es sich bei der Abstimmung über die Avanti-Initiative nicht um einen Gegenvorschlag, der vom Bundesrat nicht vehement verteidigt wurde. Zu betonen ist allerdings, dass damals über eine fixe zweite Gotthardröhre abgestimmt wurde, nicht über einen Sanierungstunnel. Letztlich scheiterte der Gegenvorschlag an dieser zweiten Röhre, weil die Skepsis über dessen Folgen weit ins bürgerliche Lager reichte. Das ist im aktuellen Fall klar anders. 89 Nichts desto trotz ist der Abstimmungsausgang nur bedingt determiniert. Der gute Ausgangswert und das Konfliktmuster der Vorlage sprechen eher für eine Annahme. Die Dynamik der Meinungsbildung im Kampagnenverlauf relativiert dies allerdings. Wir taxieren den Abstimmungsausgang als bedingt offen, denn eine Annahme bleibt wahrscheinlicher als eine Ablehnung. Grafik 75 Positiv prädisponierte Behördenvorlage mit Meinungswandel zum Nein, Ausgang offen in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Unentschieden Ja Vor der Kampagne Während der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning 3.5.5 Stichworte für die Berichterstattung positiv vorbestimmte Entscheidung zu einer Behördenvorlage Meinungsbildung fortgeschritten auf beiden Seiten mehrheitsfähige Argumente: zentral sind Verkehrsaufkommen vs. Sicherheitsfrage Konfliktmuster mit parteipolitischer Polarisierung, persönlicher Betroffenheit, Bildungseffekte und beschränkt regionalen Betroffenheit Ausnahmefall der Meinungsbildung: Ja nimmt ab Annahme bleibt aufgrund hohen Startwerts wahrscheinlicher, Ausgang muss jedoch wegen der Dynamik offen gelassen werden 90 4 Synthese Am 28. Februar 2016 entscheiden die Schweizer Stimmberechtigten über vier Vorlagen: Initiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" (der CVP und Zugewandter) Initiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" (der SVP) Initiative "Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln" (der Juso und Zugewandter) Zweite Gotthardröhre, durch ein Referendum aus rotgrünen Kreisen in Frage gestellt. Mit der Synthese verdichten wir die Ergebnisse aus den verschiedenen Befunden der zweiten Befragungswelle und der Trends seit der ersten. Wir konzentrieren uns dabei auf jene, die zur These des Dispositionsansatzes passen. 4.1 Die generelle These Gemäss unserer allgemeinsten Auffassung über Volksabstimmungen stehen die Resultate von Volksabstimmungen nicht ein für alle Mal fest. Anders als bei Wahlen sind sie viel stärker variabel. Denn bei Volksabstimmungen gibt es keine Parteiidentifikation, die fast alles vorbestimmt. Wichtiger sind der Einfluss des Abstimmungskampfes und der Bezug des Themas zum Alltag der Bürgerschaft. Letzteres nennen wir Prädispositionen oder Einstellungen, die sich auch ohne Abstimmungskampf ergeben. Zu ihnen gehören themenspezifische Meinungen, aber auch Haltungen zu den Behörden und Parteien. Den Abstimmungskampf wiederum sehen wir durch das Konfliktmuster in der meinungsbildenden Elite bestimmt. Dazu zählen wir die Behörden, die Medien und auch die Zivilgesellschaft. Grafik 76 Analytisches Schema des Dispositionsansatzes Klima Konfliktmuster meinungsbildende Eliten Abstimmungskampf Vorlage Dispositionen Konfliktmuster Stimmwillige Entscheidung Prädispositionen Zeitachse © gfs.bern 91 Generell gehen wir davon aus, dass sich die Position der Bürgerschaft im Abstimmungskampf an jene der Behörden anpasst. Initiativen mögen noch so gut starten, ihre Ablehnung nimmt mit den Kampagnen zu und die Zustimmung verringert sich, wenn Regierung und Parlament dagegen sind. Kommt es nicht zu diesem Effekt, ist entweder die Behördenposition löcherig, oder aber, was häufiger ist, mit dem Abstimmungskampf wird ein Protestpotenzial deutlich. Dieses steigt auf die überwiegend eingesetzte Schwachstellenkommunikation gegen die Initiative nicht ein, will vielmehr ein gut sichtbares Zeichen des Unmuts setzen. Auch bei Behördenvorlagen kommt es in aller Regel zu einer Anpassung der Bürgermeinung an jene von Regierung und Parlament. Dabei sind Meinungsänderungen weniger häufig, vielmehr interessiert hier die Meinungsbildung der gänzlich oder tendenziell unschlüssigen Bürgerinnen und Bürger. Im Normalfall verteilen sie sich auf beide Seiten. Im Ausnahmefall zerfällt die anfängliche Zustimmungsbereitschaft und die Zustimmung sinkt. Das ist namentlich dann vorstellbar, wenn die parlamentarische Allianz im Abstimmungskampf auseinander fällt. Aufgrund dieser Annahmen hatten wie die Vorlagen vom 28. Februar 2016 wie folgt bewertet: Tabelle 20 Übersicht Stimmabsichten nach Parteibindungen, Abweichungen von Parolen, Unentschiedenheit und Teilnahmebereitschaft Rechtsform Parlamentarische Opposition VI gegen Heiratsstrafe Volksinitiative Durchsetzungsinitiative Mehrheitsfähigkeit Prädisponiertheit Konflikttyp bürgerlich-konservativ potenziell gegeben eher hoch (beschränkt indirekte Vergleichsabstimmungen) linksliberal vs. bürgerlichkonservativ, persönliche Betroffenheit Volksinitiative nationalkonservativ potenziell gegeben hoch (direkte Vergleichsabstimmung) nationalkonservativ vs. linksliberal, aber Elite/Basis VI gegen Nahrungsmittelspekulation Volksinitiative rotgrün nicht gegeben gering bürgerlich vs. rotgrün, geringe Ausprägung Zweite Gotthardröhre Behördenvorlage rotgrün gegeben eher hoch bürgerlich vs. rotgrün, (indirekte Vegleichs- regionale Betroffenheit abstimmung) SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Die konkreten Messergebnisse unserer zweiten Trendbefragung sind in der nachstehenden Übersicht in knappster Art und Weise zusammengefasst. Sie bilden die Grundlage für die nachfolgende Synthese zu den Vorlagen einerseits, der Beteiligung anderseits. 92 Tabelle 21 Übersicht gegenwärtiger Stand der Stimmabsichten und Meinungsbildung zu Volksabstimmungen vom 28. Februar 2016 Indikatoren VI gegen Heiratsstrafe Durchsetzungsinitiative VI Nahrungsmittelspekulation Zweite Gotthardröhre Grad der Prädisponierung eher fortgeschritten fortgeschritten wenig fortgeschritten eher fortgeschritten 55 Prozent der Stimmberechtigten Teilnahmeabsicht ohne Stimmabsichten 9 Prozent der Teilnahmewilligen 5 Prozent der Teilnahmewilligen 15 Prozent der Teilnahmewilligen 5 Prozent der Teilnahmewilligen mit tendenziellen Stimmabsichten 28 Prozent der Teilnahmewilligen 22 Prozent der Teilnahmewilligen 33 Prozent der Teilnahmewilligen 30 Prozent der Teilnahmewilligen mit festen Stimmabsichten 63 Prozent der Teilnahmewilligen 73 Prozent der Teilnahmewilligen 52 Prozent der Teilnahmewilligen 65 Prozent der Teilnahmewilligen Richtung der Prädisponierung absolute Mehrheit dafür relative Mehrheit dafür absolute Mehrheit dagegen absolute Mehrheit dafür bestimmt und eher dafür 53 Prozent der Teilnahmewilligen 46 Prozent der Teilnahmewilligen 31 Prozent der Teilnahmewilligen 56 Prozent der Teilnahmewilligen bestimmt und eher dagegen 38 Prozent der Teilnahmewilligen 49 Prozent der Teilnahmewilligen 54 Prozent der Teilnahmewilligen 39 Prozent der Teilnahmewilligen Szenarien der Meinungsbildung positiv prädisponiert, Polarisierung Richtung Nein knapp positiv prädisponiert, Polarisierung Richtung Nein nicht prädisponiert, Polarisierung Richtung Nein positiv prädisponiert, Polarisierung Richtung Nein nimmt zu Szenarien Beteiligung Szenarien Ausgang Volksabstimmung offen (Stand: knapp Ja, Trend: klar Nein) offen (Stand: keine Mehrheit, Trend: eher Nein) Nein (Stand: Nein, Trend Nein) eher Ja (Stand: Ja, Trend: eher Nein Konfliktmuster signifikant Parteibindung (CVP/SVP(Parteiungebundene vs. GPS/SP/FDP) Sprachregion (FCH/ICH vs. DCH) Zivilstand (verheiratet vs. verwitwet/ledig/ /lebt mit PartnerIn (nicht eingetragene Partnerschaft) Schulbildung (mittel vs. hoch) HH-einkommen, (mittel/hoch vs. tief) Geschlecht (Mann vs. Frau) Regierungsvertrauen (Misstrauen vs. Vertrauen) Konfession (katholisch/protestantisch vs. keine Konfession) Parteibindung (SVP/ Parteiungebundene vs. GPS/SP/CVP/FDP) Sprachregion (ICH vs. DCH) Siedlungsart (kleine /mittlere vs. grosse Aggl.) Schulbildung (tief/mittel vs. hoch) HH-einkommen, (tief vs. hoch) Alter (mittel vs. alt) Regierungsvertrauen (Misstrauen vs. Vertrauen) Parteibindung (GPS/SP vs. CVP/FDP/SVP) Sprachregion (ICH vs. DCH) Schulbildung (mittel vs. hoch) Alter (mittel vs. jung/alt) Regierungsvertrauen (Misstrauen vs. Vertrauen) Parteibindung (CVP/FDP/SVP/Parteiungebundene vs. GPS/SP) Sprachregion (DCH vs. FCH) Schulbildung (mittel vs. tief) Geschlecht (Mann vs. Frau) Alter (alt vs. jung) Regierungsvertrauen (Misstrauen vs. Vertrauen).) Autobesitz (ja vs. nein) nicht signifikant Alter, Siedlungsart Konfession Siedlungsart, HH-einkommen, Konfession Siedlungsart, HH-einkommen, typologisch gesellschaftlich liberal vs. traditionell, Betroffenheit links/rechts, Elite/Basis-Konflikt bürgerlich/rotgrün links/rechts, Betroffenheit Mehrheitsfähige Argumente Pro Doppelbesteuerung ungerecht Abl.: Heiraten attraktiver kriminelle Ausländer ausschaffen Abl: Volkswille vor Völkerrecht Gerichte über CH-Recht Umsetzung ≠ Volkswille - je eine Fahrspur sicherer Tessin nicht abschneiden Landverbrauch für Bahnverlad schädlich für CH Wirtschaft Contra diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare Reiche stärker entlasten Steuereinbussen gegen Menschenrechtskonvention vernünftige Gesetzesvorlage Verhandlungen mit EU schwieriger Secondo-Problematik - Verkehr am Gotthard erhöht sich widerspricht Schutz der Alpen verbraucht finanzielle Mittel Druck aus In- und Ausland wird steigen Bestimmungsgrad tief (R =0.281) hoch (R =0.622) Zentrale Polarität bisher ungerecht vs. Diskriminierung Ausschaffen vs. Menschenrechte 2 2 2 mittel (R =0.529) - Verkehrsaufkommen vs. Sicherheit SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 93 4.2 Diskussion der Hypothesen 4.2.1 Stimmbeteiligung Hypothese Beteiligung an Volkabstimmungen Am 28. Februar 2016 kommt es mit vier Vorlagen zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Abstimmungen. Erwartet wird entsprechend eine Beteiligung über dem langjährigen Mittel. Sollte es zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der regierungsmisstrauischen Stimmbürgerschaft kommen, wird der Protestcharakter (von rechts) in den Voten verstärkt. Das mehrjährige Mittel der Beteiligung an Volksabstimmung liegt bei 45.8 Prozent. Dabei ergeben sich erheblich Schwankungen im Gefolge der Politisierung im Abstimmungskampf. Auf individueller Ebene können wir mit rund 25 Prozent sicheren Abstimmungseilnehmerinnen und -teilnehmern rechnen, derweil rund 20 Prozent sich nie oder kaum beteiligen. Alle anderen sind selektiv Teilnehmende, die sich abhängig vom Thema interessieren und im Gefolge von Abstimmungskämpfen mobilisiert werden. Unsere aktuelle Messung geht von rund 55 Prozent teilnahmewilligen Stimmberechtigten aus. Das entspricht einem überdurchschnittlichen Wert, der im Vergleich zum Vormonat noch gestiegen ist. Bestätigt wird dies durch den bisherigen Rücklauf der brieflichen Stimmen. Die zuverlässigste Statistik kommt aus dem Kanton Genf. Normalweise sind die Werte nur leicht über dem nationalen Schnitt. Im Konkreten zeichnet sich auch hier eine hohe Mobilisierung ab, wenn auch nicht ganz so breit wie bei der Masseneinwanderungsinitiative. Grafik 77 Entwicklung der Stimmbeteiligung im Kanton Genf in % eingetragener Stimmberechtigter 57.4 9. Feb. 2014 28. Feb. 2016 28.3 25. Nov. 2012 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Tage bis zur Abstimmung gfs.bern, Quelle: www.ge.ch Gemäss unserer Umfragen besonders auffällig sind die Beteiligungswerte bei SP und FDP. Sie sind rekordverdächtig hoch, höher jedenfalls als bei den vergangenen Nationalratswahlen. Bei den anderen Parteien bewegen sich die Beteiligungswerte ebenfalls im oberen Bereich. Der bisherige Abstimmungs94 kampf seit der ersten Befragung hat mit der SVP und der GPS die Pole mobilisiert. Einzig die CVP konnte mit dieser Steigerung nicht mithalten. Dank ihrer Familieninitiative startete sie zwar mit Enthusiasmus, der angesichts der Kontroversen nicht ganz durchgehalten werden konnte. Die Beteiligungsabsichten waren von Beginn weg im behördenkritischen Publikum hoch. Die Unterschiede haben sich seither ausgeglichen. Das gilt auch für die Sprachregionen, denn die ermittelten Teilnahmewerte waren insbesondere im deutschsprachigen Landesteil von Beginn weg hoch; seither steigen die Beteiligungsabsichten vor allem in den anderen Sprachregionen. Unsere Hypothese wird damit weitgehend bestätigt. Das gilt für die Höhe der Beteiligung. Gründe hierfür orten wir zunächst in der Vielzahl Vorlagen, in der hohen Intensität des Abstimmungskampfes und in der starken Polarisierung der Gesellschaft insbesondere durch die Durchsetzungsinitiative. Der Protestcharakter kommt im mobilisierten Elektorat zwar zum Ausdruck, ist aber nicht generell gewachsen. Die heftigen Reaktionen auf die Durchsetzungsinitiative sehen wir als Hauptursache dafür. Das Misstrauen in die Behörden hilft aber den Initianten von rechts, insbesondere der SVP, aber auch der CVP. 4.2.2 Initiative gegen Heiratsstrafe Hypothese Initiative gegen Heiratsstrafe Bei der Initiative gegen Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage, bei welcher der Abstimmungskampf entscheidet. Mit der Besteuerung von Ehepaaren nimmt sie ein verbreitet problematisch empfundenes Thema auf, das bis weit in die Behörden hinein akzeptiert wird. Aufgrund der Ehedefinition und der fiskalischen Folgen ist sie allerdings kritisierbar, weshalb mit dem normalen Verlauf der Meinungsbildung gerechnet werden kann, bei dem sich die Gegnerschaft im Verlauf des Abstimmungskampfes aufbaut und das Lager der Befürworterschaft schrumpft. Gerechnet wird mit einer Polarisierung zwischen konservativer und linksliberaler Bürgerschaft, etwas durchbrochen durch die Betroffenheit als verheiratetes Paar. Das Veränderungspotenzial des Abstimmungskampfes wird als erheblich eingestuft. Der anfänglich hohe Sympathiebonus für diese Volksinitiative ist mit dem Abstimmungskampf stark geschrumpft. Die Gegner haben aufgeholt, und es findet eine Verlagerung vom Ja Richtung Nein statt. Das Ausmass ist höher als im Normalfall. Zudem ist die Meinungsbildung nicht abgeschlossen, was weitere Veränderungen in den Stimmabsichten zulässt. Noch führen die Initianten, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Mehrheit kippt. Die Zustimmung ist im konservativen Lager hoch. Zwischenzeitlich sind die JaWerte bei der SVP höher als bei der CVP. Mehrheitlich zustimmend sind sie auch bei den Parteiungebundenen. Klar zugenommen hat die Ablehnung an den Basen von SP, FDP und GPS. Sie folgen jetzt den ablehnenden Parteiparolen mehrheitlich. Geblieben sind unterschiedliche Mehrheiten nach Betroffenheit als Ehepaar. Wer nicht direkt angesprochen wird, hat mit dem Abstimmungskampf vom mehrheitlichen Ja ins tendenzielle Nein gewechselt. In Bewegung geraten ist die Meinungsbildung namentlichen in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz, sei es aufgrund von Positionsänderungen resp. aufgrund der Mobilisierungsverschiebungen. Bisher wenig geschehen ist in der französischsprachigen Schweiz. 95 Grafik 78 Argumentativ hat die Ja-Seite mit der Kritik an der bestehenden Doppelbesteuerung den zentralen Punkt gesetzt. Die Gegnerschaft verfügt aber über mehrere mehrheitsfähige Einwände, so zu den Steuereinbussen, der Entlastung für Reiche und der Nachteile für gleichgeschlechtlicher Paare. Die zentrale Polarität in der Stimmbürgerschaft dreht sich um die Beseitigung alter durch Einführung neuer Diskriminierungen. Das hier skizzierte Muster gleich in vielem den beiden bisherigen Familieninitiativen. Dabei sind die Auffälligkeiten in der Meinungsbildung mit der Entscheidung zur SVP-Vorlage (2013) grösser als mit jener der CVP vor Jahresfrist. In allen fällen starteten die Vorlagen mit einer mehrheitlichen Zustimmung, in beiden Referenzen sank diese mit der Problematisierung rasch. Schliesslich scheiterten beide Vorlagen. Grafik 79 Unsere vor der Befragungsreihe entwickelte Hypothese wird damit weitgehend bestätigt. Nicht abschliessend entscheidbar ist aber, ob die Vorlage angenommen wird oder nicht. Wir lassen es bewusst offen. 96 4.2.3 Durchsetzungsinitiative Hypothese Durchsetzungsinitiative Bei der Durchsetzungsinitiative handelt es sich um eine potenziell mehrheitsfähige Vorlage mit direktem Bezug zur angenommenen Ausschaffungsinitiative. Diese griff ein gesellschaftlich breit empfundenes Problem auf, das in erster Linie mit juristischen Argumenten bekämpft wurde, was erfolglos blieb. Die neue Initiative verbindet die Problematik mit einer Institutionenkritik, wonach verschiedene Behörden bei der Ausschaffung zu wenig weit gehen. In einer solchen Konstellation ist ein Elite/Basis-Konflikt häufig, vermehrt rechts denn links, bei dem namentlich die Mobilisierungsfrage der innerparteilichen Minderheiten von Belang wird. Typisiert ist mit einer generellen Konfliktlinie zu rechnen: Ängste vor Identitätsverlust auf der einen Seite, Befürworter einer multikulturellen, offenen Schweiz auf der anderen Seite. Erwartet wird mit einer vergleichbaren Ausgangslage und aufgrund einer alltäglichen und politisch verbreiteten Prädisposition ein eher geringes, aber vorhandenes Veränderungspotenzial durch den Abstimmungskampf. Potenziell mehrheitlich ist die richtige Umschreibung für die Durchsetzungsinitiative. Deutlich geringer als bei den beiden anderen Volksinitiativen ist die Volatilität der Meinungsbildung. Die beiden Lager sind aber nahe bei 50 Prozent, sodass nicht klar ist, ob die Mehrheitsfähigkeit bestehen bleibt. Für die Initiativen sind die Wählenden der SVP und in ihrer Mehrheit die regierungskritischen Bürgerinnen und Bürger respektive die Parteiungebundenen. Der Protestcharakter der Entscheidung kommt hierin am besten zum Ausdruck. Anders als bei Vergleichsabstimmungen fällt der Anteil abweichender Minderheiten bei den anderen Parteien diesmal aber gering aus. Namentlich in der FDP-Basis sind die Mehrheitsverhältnisse im Abstimmungskampf gekippt. Auch der Vergleich mit der Ausschaffungsentscheidung legt nahe, dass das bürgerliche Zentrum die parlamentarische Reaktion auf Entscheidung von 2010 unterstützt. Wir schätzen, ein Fünftel von FDP und CVP hat das Lager gewechselt. Das ist denn auch der wesentliche Unterschied zur Ausschaffungsinitiative. Die aktuellen Verhältnisse sind allerdings nach Sprachregionen anders, ist doch die Zustimmungsbereitschaft namentlich in der italienischsprachigen Schweiz über dem Mittel und bleibt die Meinungsbildung speziell in der Romandie zurück. 97 Grafik 80 Argumentativ haben auch hier die Initianten den zentralen Punkt mit der Ausschaffung krimineller Ausländer im Abstimmungskampf gemacht. Zahlreich sind aber die Einwände, vor allem wegen der fehlenden Härtefallklausel, wegen der Missachtung des parlamentarischen Angebots und wegen der Folgen für die Verhandlungen mit der EU. Die Polarisierung durch den Abstimmungskampf ist exemplarisch. Die harte Kontroverse, nicht nur im Parlament, auch in den Medien, zwischen den Parteien und in der Zivilgesellschaft ist ausserordentlich. Sie hat die Stimmbürger gespalten. Der unübliche Auftritt namentlich der Gegnerschaft hat zudem etwas Bewegung in die stark vorgefassten Meinungen gebracht. Der Trend in der Meinungsbildung gleicht bezogen auf SVP-Initiativen jenem, den wir seit der Ausschaffungsinitiative kennen. Die Mehrheitsfähigkeit ist gegeben, verringert sich aber mit der Problematisierung im Abstimmungskampf. Im aktuellen Fall sind die Vergleichswerte zu den verschiedenen Zeitpunkten etwas tiefer, vor allem wegen dem indizierten Positionswechsel im bürgerlichen Zentrum. Eine explosionsartige Politisierung der Vorlage durch den Abstimmungskampf, wie wir ihn bei der Masseneinwanderungsinitiative erlebt haben, finden wir in den Umfragedaten jedoch nicht. 98 Grafik 81 Unsere Hypothese wird weitgehend bestätigt. Gleich wie bei der Familieninitiative sind die Messwerte für den Stand und die Entwicklung der Stimmabsichten nicht klar genug, um eine Entscheidung bezüglich Annahme oder Ablehnung vorweg zu nehmen. Entscheiden werden die Schlusskampagnen und da vor allem die Mobilisierung. 4.2.4 Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Hypothese Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation Bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation handelt es sich um ein Minderheitsanliegen. Stossrichtung und Trägerschaft entsprechen einem klaren Linksprofil mit beschränkter Ausstrahlung auf die politische Mitte. Erwartet wird, dass die Gegnerschaft im Verlaufe des Abstimmungskampfes stärker wird und das Lager der Befürworterschaft abnimmt. Postuliert wird eine Polarisierung im Links/rechts-Spektrum. Denkbar ist eine beschränkte Unterstützung im konservativ-bürgerlichen Elektorat. Klar ist die Ausgangslage vor dem Abstimmungstag bei der Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation. Zwar fand sich in der ersten Befragung eine relative Zustimmungsmehrheit. Doch lag schon damals die Interpretation nahe, dass es sich bezüglich der Meinungsbildung um einen Normalfall handelt, bei dem die Nein-Kampagne die Gegnerschaft aufbaut und die Zustimmungsbereitschaft verringert. Entstanden ist zwischenzeitlich eine klare Polarisierung auf der Links/RechtsAchse. Dabei bleibt die Position der SP-Wählerschaft noch etwas offen. Verflogen ist aber die anfängliche Zustimmungsbereitschaft im konservativen Lager. Die Linke wirkt dadurch isoliert. 99 Grafik 82 Unsere Hypothese war korrekt formuliert, und alles andere als eine Ablehnung der Vorlage in der Volksabstimmung wäre eine Überraschung. 4.2.5 Zweite Gotthardröhre Hypothese zweite Gotthardröhre Bei der "Gotthard"-Abstimmung handelt es sich um eine Behördenvorlage, die aufgrund des Alltagsbezugs vorbestimmte Stimmabsichten kennt. Bestimmt sind diese durch drei Faktoren: Parteizugehörigkeit, regionale Betroffenheit und Autobesitz. Aufgrund der Vorteile für den Transitverkehr ist mit einer mehrheitlich Zustimmung in der Ausgangslage zu rechnen, verbunden mit einer Opposition aus dem rotgrünen, beschränkt auch dem bürgerlichen Lager, das einen Verstoss gegen die Verlagerungspolitik am Gotthard sieht. Die Glaubwürdigkeit der Absender ist von Belang, denn es wird mit unsicheren Auswirkungen vor allem bei einer Annahme argumentiert. Mit eindeutigen Mehrheiten ist nicht zu rechnen, die Entscheidung fällt erst im Abstimmungskampf. Bei der festgestellten Meinungsbildung zum zweiten Gotthardtunnel handelt es sich nicht um den Normalfall bei einer Behördenvorlage. Bei diesem müsste nämlich die Zustimmungsbereitschaft steigen. Unsere Messwerte belegen das Gegenteil. Den Hauptgrund hierfür orten wir jeweils im höheren Konflikt, den die Debatte im Abstimmungskampf auslöst, als dies während der parlamentarischen Beratung der Fall war. Wie erwähnt, gehört die exemplarische Ablehnung der Vorlage durch führende Tageszeitungen zu den wichtigsten Eigenschaften des Abstimmungskampfes. Zwar ist es nicht neu, dass sich Massenmedien in Abstimmungskämpfen äussern, eine Front über mehrere Blätter gegen eine Behördenentscheidung ist jedoch eher unüblich. Das spricht für eine Politisierung des Journalismus, welche das Geschäft von Regierung und Parlament erschwert. 100 Unsere Befragungsreihe legt nahe, dass die politische Polarisierung zentral ist. Das bürgerliche Lager ist für den zweiten Tunnel durch den Gotthard, das rotgrüne dagegen. Gespalten sind ungebundene Kräfte, in ihrer knappen Mehrheit würden sie aktuell dafür stimmen. Darüber hinaus bestätigt unsere Konfliktanalyse die Entscheidung im Gefolge der Interessen und Betroffenheiten. Namentlich in sprachregionaler Hinsicht stellen wir erhebliche Unterschiede zwischen der mehrheitlich befürwortenden deutschsprachigen und der unschlüssigen französischsprachigen Schweiz fest. Zudem hat der Abstimmungskampf die Gegnerschaft im italienischsprachigen Landesteil geweckt. Grafik 83 Argumentativ dominierte zu Beginn die Sicherheitsfrage. Sie bildet unverändert die populärste Botschaft der Befürworter, allerdings mit abnehmender Wirkung. Ins Zentrum der Debatte ist der Verdacht gerückt, der Ausbau am Gotthard führe zu mehr Verkehr und widerspreche dem Alpenschutz. 101 Grafik 84 Die Chance, dass die Vorlage die Volksabstimmung passiert, ist weiterhin gegeben, wenn auch verringert. Bei der Abstimmung über den Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative sank die Zustimmungsbereitschaft im Abstimmungskampf auch deutlich, nicht mehr aber in der Schlussphase. 4.3 Übersicht Kommen wir zur finalen Übersicht, und damit zur Frage, was für eine Signifikanz der Abstimmungssonntag vom 28. Februar 2016 haben dürfte. Klar fällt die Antwort nicht aus, da drei der vier Entscheidungen nicht eindeutig sind. Immerhin sind Szenarien machbar. Gesichert ist das Nein zur Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation. Eher ja ist die Entscheidung zur Gotthard-Entscheidung, zu dynamisch ist die Meinungsbildung bei der Initiative gegen Heiratsstrafe und knapp sind die Verhältnisse bei der Durchsetzungsinitiative. Beide Entscheidungen halten wir für offen. Tabelle 22 Übersicht über Parteiparolen zu allen vier Vorlagen Behörden GPS SP GLP CVP BDP FDP SVP Total DSI Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Ja Nein Gotthard Ja Nein Nein Nein Ja Ja Ja Ja Ja Heiratsstrafe Nein Nein Nein Nein Ja Nein Nein Ja Ja Spekulationsstopp Nein Ja Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein 3 0 1 2 4 3 3 3 CVP SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Sollte der Gotthardtunnel passieren und die Volksinitiativen alle scheitern, würden sich Bundesrat und Parlament durchsetzen. Parteipolitisch gesprochen wären FDP und BDP die Abstimmungssieger. Ein liberal-bürgerliches Klima dürfte die Folge der Entscheidung sein. Mit der FDP stünde der eine Wahlsieger bei den Parlamentswahlen im Zentrum. Die neu engagierte Zivilgesellschaft als Widersacherin der SVP hätte gleich zu Beginn einen Erfolg verbuchen kön102 nen. Auch das dürfte Folgen haben, speziell dann, wenn Institutionen, Rechtsstaat und Völkerrecht pauschal zur Debatte stehen sollten. Würden der Gotthard und die Eheinitiative angenommen, der Rest aber abgelehnt, entspräche das genau der CVP-Position. Die Behörden erlitten zwar eine Niederlage, allerdings ausgerechnet in dem Fall, indem ihre Sympathien am grössten waren. Das würde für eine gemässigt bürgerlich-konservative Schweiz sprechen. Sollte die Durchsetzungsinitiative angenommen werden, wird man den Abstimmungssonntag ohne Zweifel anders interpretieren können. Denn dann hätte sich die SVP ganz oder weitgehend durchgesetzt (wenn die Heiratsstrafe scheitern sollte). Die Behörden hätten eine exemplarische Niederlage erlitten, auf dem heikelsten Gebiet der letzten 20 Jahre. Die Debatte über den Gegensatz zwischen Eliten in Politik, Medien und Wissenschaft einerseits, dem Stimmvolk, repräsentiert durch die SVP, anderseits würde ins Zentrum gerückt. Mit ihr wäre dem anderen Sieger der jüngsten Wahlen der Lead in der Politik sicher. Anders wäre es, wenn der Zweite Gotthard Tunnel scheitern sollte. Für die bürgerliche Schweiz wäre dies ein Schlag gegen ein zentrales Projekt der letzten Jahre. Sollte alles abgelehnt werden, stünde die GLP als Siegerin da, sekundiert von der NZZ. 4.4 Thesen These Stimmbeteiligung Die Beteiligungsabsichten sind überdurchschnittlich. Über dem Mittel der letzten Jahren mobilisiert sind die Wählerschaften von SP und FDP. Der Abstimmungskampf hat die Pole bewegt, nicht aber das Zentrum. Bei der CVP stagnieren die Teilnahmeabsichten. These Initiative gegen Heiratsstrafe Bei der Vorlage über die Heiratsstrafe handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative aus dem bürgerlich-konservativen Lager. Die Zustimmung war in der Ausgangslage klar mehrheitlich. Mit dem Abstimmungskampf ist sie aber zurückgegangen. Mehrheitlich dafür sind rechtskonservative Kreise im Umfeld von SVP, CVP und Parteiungebundenen sowie die begünstigten Paare. Ihnen ist die Beseitigung der Heiratsstrafe wichtig. Ins Nein-Lager gekippt sind namentlich die Wähler und Wählerinnen von SP, FDP und GPS. Sie haben verschiedene Gründe, so beispielsweise Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare, aber auch die finanziellen Folgen einer Annahme. Die Meinungsbildung ist nicht abgeschlossen, sodass ein Mehrheitswechsel in letzter Minute nicht ausgeschlossen werden kann. Denn die Entwicklung verläuft klar gegen die Initiative. Wir taxieren den Ausgang als offen. These Durchsetzungsinitiative Bei der Vorlage zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer handelt es sich um eine potenzielle Mehrheitsinitiative, die vor allem durch die Entscheidungen bei der Ausschaffungsinitiative prädisponiert ist. Zu Beginn führte die Ja-Seite, aktuell sind beide Lager gleich stark, ohne dass eine gesicherte Mehrheit im Ja oder Nein besteht. Klar im Ja sind die Wählenden der SVP, mehrheitlich gilt dies auch für die misstrauische Bürgerschaft und die Parteiungebundenen. Ihnen ist die konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer und Ausländerinnen wichtig. 103 Ablehnend sind die Wählerschaften von links bis hin zur FDP. Sie stossen sich an der fehlenden Härtefallklausel, an der Missachtung der parlamentarischen Umsetzung und sie fürchten negative Folge in den Verhandlungen mit der EU. Die Entscheidungen bei der Ausschaffungsinitiative bestimmen die aktuellen Meinungen stark, nicht aber im bürgerlichen Zentrum. Ein Fünftel der FDP und CVP haben seither ihre Meinung geändert. Die Meinungsbildung ist fortgeschritten. Aber nicht abgeschlossen. Angesichts der engen Verhältnisse sind beide Ausgänge möglich. Letztlich entscheidet die Mobilisierung. These gegen Nahrungsmittelspekulation Bei der Vorlage zum Spekulationsstopp bei Nahrungsmittel handelt es sich um eine Minderheitsinitiative, die ein neues Thema aufwirft, sodass nicht mit ausgeprägt prädisponierten Stimmabsichten gerechnet werden konnte. Die Meinungsbildung folgte dem bekannten Schema bei linken Initiativen. Der rotgrünen Minderheit steht zwischenzeitlich ein weitgehend geschlossenes bürgerliches Lager gegenüber. Alles spricht für den Normalfall an Meinungsbildung, die Ablehnung ist sehr wahrscheinlich. These zweite Gotthardröhre Bei der Vorlage, die zu einer zweiten Gotthardröhre führen soll, handelt es sich um eine positiv vorbestimmte Behördenvorlage, gegen die von rotgrüner Seite das Referendum ergriffen worden ist. Das bürgerliche Lager befürwortet weitgehend geschlossen die Vorlage. Die Sicherheitsfrage ist hier entscheidend. Das rotgrüne Lager lehnt ebenso geschlossen die Vorlage ab. Sie vermutet die Vermehrung des Verkehrs, was im Widerspruch zum Alpenschutzartikel stehe. Die Vorlage stösst (sprach)regional auf eine unterschiedliche Zustimmungsbereitschaft. Namentlich in der französischsprachigen Schweiz bestehen Zweifel. Mit dem Abstimmungskampf ist im Tessin auch die Gegnerschaft geweckt worden, sie bleibt aber vorerst minderheitlich. Der Stand der Meinungsbildung ist eher fortgeschritten, keinesfalls abgeschlossen. Heute würde die Vorlage angenommen, der Trend verläuft aber gegen sie, was bei einer Behördenvorlage eher der Ausnahmefall ist. 104 5 Anhang 5.1 Forschungskonzept: erweiterter Dispositionsansatz gfs.bern fasst sein Forschungskonzept zu Abstimmungen im Dispositionsansatz zusammen. In seiner ursprünglichen Form ist er 1998 durch uns entwickelt worden; seither ist er laufend an neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und Standards angepasst und aufgrund der Anwendungen überprüft worden. Primär dient der Dispositionsansatz der Analyse von Prozessen der Meinungsbildung vor Volksabstimmungen, denn er bildet einen sinnvollen Rahmen, mit dem Umfragedaten zum Entscheidungsprozess analysiert, interpretiert und eingebettet werden können. Unseres Wissens ist der Dispositionsansatz die einzige sozialwissenschaftliche Vorgehensweise, die geeignet ist, Abstimmungsergebnisse in der Schweiz in der dynamischen Perspektive zu untersuchen. Untenstehende Grafik zeigt auf, worauf der Dispositionsansatz abstellt und die die vermuteten Zusammenhänge wirksam werden. Grafik 85 Analytisches Schema des Dispositionsansatzes Klima Konfliktmuster meinungsbildende Eliten Abstimmungskampf Vorlage Dispositionen Konfliktmuster Stimmwillige Entscheidung Prädispositionen Zeitachse © gfs.bern Bei Wahlen bildet die Parteibindung die relevante Grundhaltung auf Basis welcher entschieden wird. Sie bestimmt in einem hohen Masse, wie man Parteien, Kandidierende und Wahlkampfthemen wahrnimmt. Eine solche Vereinfachung ist bei Volksabstimmungen direkt nicht möglich. Dafür variiert die Themenbreite der Vorlagen zu stark. Ausserdem sind Abstimmungskämpfe weniger standardisiert als Wahlkämpfe. Entsprechend ist die informationsgestützte Meinungsbildung bei Sachentscheidungen wichtiger als bei den routinierteren Wahlen. 105 Statt auf einer einfachen Parteibindung aufzubauen, stützt sich die Abstimmungsforschung vorzugsweise mit Prädispositionen. Konkret handelt es sich dabei um Elemente der individuellen Meinungsbildung, die gegeben sind, bevor ein konkreter Prozess der Entscheidungsfindung einsetzt. Die Meinungsbildung steht nämlich weder ein für alle Mal fest, noch beginnt sie jedes Mal bei Null. Zu den bei Volksabstimmungen relevanten Prädispositionen zählen wir insbesondere: Alltagserfahrungen mit dem Abstimmungsgegenstand (Problembewusstsein) eindeutige Interessenslagen hinsichtlich einer Vorlage (aufgrund von Schaden-Nutzen-Erwartungen) durch Politik und Kultur bestimmte Werthaltungen (wie Einstellung zum Staat, Präferenzen für Lösungsansätze politischer Probleme) die Parteibindung (inklusive die Position der Bürger und Bürgerinnen auf der Links/rechts-Achse) Abstimmungsroutinen (beispielsweise die Teilnahmeabsicht, Regierungsvertrauen/-misstrauen). Was die Dynamik angeht, unterscheiden wir generell: Meinungsaufbau (aus Unentschiedenen werden Entschiedene) Meinungswandel (aus Vorentschiedenen werden Entschiedene in die entgegengesetzte Richtung) Meinungsverstärkung (aus Vorentschiedenen werden Entschiedene in die sich abzeichnende Richtung) Das Mass an Vorbestimmtheit von Volksabstimmungen bezeichnen wir als Prädisponiertheit. Deren Mass und Grad hängt dabei einerseits vom generellen Vorhandensein relevanter Prädispositionen ab, andererseits von der Art und Weise, wie Abstimmungskampagnen diese Prädispositionen mobilisieren, verstärken oder verändern können. Insgesamt gilt, dass die Prädisponiertheit von Abstimmungen geringer ist als diejenige von Wahlen, insbesondere von Parteiwahlen. Der Dispositionsansatz stützt sich empirisch nicht nur auf die Sonntagsfrage(n) zu den Stimm- und Teilnahmeabsichten, wie das beispielsweise die Vorschriften des Verbandes der Markt- und Sozialforschung minimal verlangen, sondern berücksichtigt auch weitere Einstellungsfragen. Im Mandat Trendumfragen vor Abstimmungen sind dies der Argumententest und das Konfliktmuster, wie es bei den Stimm- und Teilnahmeabsichten zum Ausdruck kommt. Sie werden verwendet, um die Ausgangslage und Möglichkeiten von Kampagnen im Abstimmungskampf zu bestimmen und damit das Potenzial von Veränderungen auszuloten. 5.1.1 Anwendung auf Volksinitiativen Fast allen Volksinitiativen ist gemeinsam, dass deren Forderungen von Regierung und Parlament nach der Behandlung abgelehnt oder zu Gegenvorschlägen umformuliert (und somit zu Behördenvorlagen) werden – was sich wiederum auf die meinungsbildenden Eliten auswirkt. Das unterscheidet Meinungsbildungsprozesse zu Volksinitiativen von solchen zu Behördenvorlagen grundlegend. Volksinitiativen beinhalten in der Regel einen Sachverhalt, der in der Öffentlichkeit bereits behandelt wurde. Ohne substanzielles Problembewusstsein ist es schwierig, im vorgeschriebenen Zeitrahmen genügend Unterschriften für das Zustandekommen einer Initiative zu sammeln. Das heisst indes nicht, dass die von einer Initiative vorgeschlagene Problemlösung im gleichen Masse bekannt 106 sein muss, ausser sie ist allein durch ihren Titel klar. Entsprechend muss die Meinungsbildung hinsichtlich des Problems und hinsichtlich seiner spezifischen Behebung durch die Initiative unterschieden werden. Wir postulieren hier generell, dass das Problembewusstsein erfolgreicher Initiativen prädisponiert ist, nicht aber die Lösungspräferenz, da sich diese erst im Verlaufe eines Meinungsbildungsprozesses auf die Entscheidungsabsichten auswirkt. Die Ausgangslage für eine Volksinitiative wird durch das Mass des Problembewusstseins in der Öffentlichkeit bestimmt. Je problematischer eine Situation eingeschätzt wird, desto eher findet sich vor einer Kampagne eine Zustimmungsbereitschaft zur entsprechenden Initiative. Als je weniger dringlich ein Problem beurteilt wird, desto eher liegt eine offene, allenfalls sogar negativ vorbestimmte Ausgangslage vor. Unsere für die Entscheidung zu Volksinitiativen spezifizierte These lautet demnach: Bei einer Volksinitiative kommt es in der Regel zu einer Verlagerung der kollektiven Meinungsbildung weg von der Beurteilung des angesprochenen Problems hin zur Beurteilung der vorgeschlagenen Lösung. Dies alleine kann die Stimmabsichten beeinflussen. Entsprechend formulieren wir zwei generelle Hypothesen zu Trends in der Meinungsbildung bei Volksinitiativen: Der Nein-Anteil nimmt mit der Dauer des Abstimmungskampfes zu. Der Ja-Anteil nimmt mit der Dauer des Abstimmungskampfes ab. Damit ist nur etwas über die Richtung ausgesagt, nicht aber über das Ausmass der Veränderung. Dieses hängt davon ab, wie stark die Prädisponierung (vor allem der Ja-Seite) ist respektive wie viele Teilnahmewillige unentschieden sind und wie wirksam die Kampagnen auf solche Unsicherheiten eingehen. Dabei ist bekannt, dass die Schwachstellenkommunikation zum Lösungsvorschlag die effektivste ist, sprich am ehesten Unschlüssige und latent Befürwortende zu Gegnern und Gegnerinnen werden lässt. Das Ausmass des Meinungswandels in ein Nein ist schwer vorhersehbar: Je ausgeprägter generell das Problembewusstsein ist, desto kleiner fällt der Meinungswandel aus. Eine rein mechanische Betrachtung führt indessen nicht zum Ziel; es braucht auch eine dynamische Analyse, die beispielsweise konkrete Kampagnenaktivitäten miteinbezieht. In der Realität ist ein Rückgang des Ja-Anteils (fast) immer zu beobachten, das Ausmass dieses Rückgangs variiert allerdings zwischen 2 und 25 Prozent. Das Mittel seit 2008 beträgt rund 10 Prozent. Grösser ist der Umschwung auf der Nein-Seite; im Schnitt beträgt er 25 Prozent. Eine eindeutige Regel dazu, wie gross der zu erwartende Anteil der Veränderung in den Stimmabsichten ist, gibt es nicht. Am ehesten kann geltend gemacht werden, dass der Prozentsatz "eher-befürwortender" Bürger und Bürgerinnen ein brauchbarer Prädiktor ist. Allerdings kennen wir zwei Typen von Veränderungen: Beim einen schmilzt der ganze Anteil der Befürwortenden weg, beim anderen Typus hingegen nur weniger als die Hälfte. Zum ersten Typus kommt es, wenn das Anliegen selbst sehr sympathisch wirkt und so vorerst viel Zustimmung generiert – während die darauf folgende Kritik am Inhalt der Vorlage dann zur Erosion der Unterstützung führt. Der zweite Typus hingegen hat verschiedene Ursachen: Unter anderem diejenige, dass die Zustimmung von Beginn weg gering ist und sich mit den Kampagnen auch nicht viel ändert. Vereinfacht kann der Meinungsbildungsprozess zu Initiativen in vier idealtypischen Szenarien festgehalten werden. Szenario 1: Mehrheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage, kaum Opposition zum Lösungsvorschlag oder sehr hoher Problemdruck: Nein nimmt zu, Ja bleibt (fast) stabil, Vorlage wird (in der Regel) angenommen. Szenario 2: Mehrheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage, beschränkt hoher Problemdruck und Opposition zum Lösungsvorschlag: NeinAnteil nimmt zu, Ja-Anteil nimmt ab. Die Vorlage wird abgelehnt, ausser prä107 disponierter Ja-Anteil über 50 Prozent ist höher als der nachfolgende Meinungswandel während des Abstimmungskampfes. Grafik 86 Positiv prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne Positiv prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning Szenario 3: Minderheitlich positiv prädisponierte Mehrheit in der Ausgangslage: Nein-Anteil nimmt zu, Ja-Anteil nimmt ab, Vorlage wird abgelehnt. Szenario 4: In Ausnahmefällen kann das Szenario 3 ausbleiben. Das ist nach unserer Auffassung dann der Fall, wenn es mit der Initiativentscheidung zu einem Tabubruch kommt, mit dem sich eine Proteststimmung aufbaut. Es ist möglich, dass sich die Zusammensetzung der Teilnahmewilligen (zugunsten der Initiative) ändert oder ein kurzfristiger Meinungswandel im Sinne des Zeichensetzens entsteht. Nach unserer Erfahrung ist das sehr selten; es muss sich aufgrund der Beteiligungsabsichten (im Abstimmungskampf stark steigend) andeuten, im Argumententest sichtbar werden (indem Gegner und Gegnerinnen und Unschlüssige vermehrt Ja-Botschaften zustimmen) und es braucht in der Regel eine doppelte Öffentlichkeit, was bedeutet, dass Mainstream-Medien gegen die Initiative sind, Zielgruppenmedien aber eine verbreitete Zustimmung erahnen lassen. Unter diesen Bedingungen tritt der vierte und unten postulierte Verlauf ein: Hier hinkt die Darstellung allerdings etwas, da die Beteiligungsabsichten asymmetrisch zunehmen. Grafik 87 Negativ prädisponierte Initiative ohne Mehrheitswandel, Ablehnung Negativ prädisponierte Initiative mit Mehrheitswandel wegen Enttabuisierung, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Abstimmungstag Nein Nein Unentschieden Unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Nachfolgend eine Übersicht sämtlicher im Rahmen der SRG-Trendumfragen untersuchten Meinungsbildungsprozesse zu Volksinitiativen seit 2008. 108 Tabelle 23 Abstimmung Initiativ-Typ Vorlage positiv prädisponiert ohne Mehrheitswandel, Annahme negativ prädisponiert mit Mehrheitswandel wegen Enttabuisierung, Annahme positiv prädisponiert mit Mehrheitswandel, Ablehnung negativ prädisponiert ohne Mehrheitswandel, Ablehnung 1./2. Welle Veränderung seit 1./2. Welle Ja in % Nein in % Best./eher Ja in % best. /eher Differenz Nein in % Ja Differenz Nein Abzocker-Initiative 68 32 65/64 25/27 3/4 7/5 Pädophilie-Initiative 64 36 74/59 19/33 -10/5 17/3 Ausschaffungsinitiative 52 48 58/54 36/43 -6/-2 12/5 Zweitwhgs-Initiative 51 49 61/52 27/37 -10/1 22/12 Minarett 58 42 34/37 53/53 24/11 -11/-11 Masseneinwanderung 50 50 37/43 55/50 13/7 -5/0 Sicheres Wohnen Alter 47 53 55/46 25/35 -8/1 28/18 Waffen 44 56 52/47 39/45 -8/-3 17/9 Bauspar-Initiative I 44 56 55/49 22/35 -11/-5 34/21 SVP-Familieninitiative 42 58 64/49 25/43 -22/-7 33/15 Steuergerechtigkeit 42 58 58/45 23/40 -16/-3 35/5 Rentenalter 41 59 52/45 30/43 -11/-4 29/16 Schutz vor Passivrauchen 34 76 59/41 36/52 -25/-7 40/24 CVP-Familieninitiative 25 75 52/40 33/50 -27/-15 42/25 Abschaffung Pauschalbesteuerung 41 59 48/42 36/46 -7/-1 23/10 Einheitskrankenkasse 38 62 40/38 51/54 -2/0 11/8 Hanf 37 63 45/38 42/50 -8/-1 21/13 1:12-Initiative 35 65 44/36 44/54 -9/-1 21/11 Einbürgerung 36 64 48/33 37/56 -12/3 27/8 Verbandsbeschwerde 34 66 42/33 40/49 -8/1 26/17 Ferien-Initiative 34 66 39/33 55/63 -5/1 11/3 Kriegsmaterial 32 68 41/39 44/50 -9/-7 24/18 Kampfjet 32 68 34/- 55/- -2/- 13/- Bauspar-Initiative II 31 69 47/42 38/45 -16/-11 31/24 Tieranwalt 30 70 45/- 44/- -15/- 26/- Abtreibungsfinanzierung 30 70 35/36 58/58 -5/-6 9/10 Erbschaftssteuer 29 81 38/34 51/61 -9/-5 30/20 MwSt-Diskriminierung 29 71 41/41 34/46 -12/-12 37/25 Stipendieninitiative 28 82 49/28 37/50 -21/0 45/32 Aufhebung Wehrpflicht 27 73 35/31 57/63 -8/-4 16/10 Ecopop-Initiative 26 74 35/39 58/56 -9/-13 16/18 Behördenpropaganda 25 75 27/26 57/60 -2/-1 18/15 Staatsverträge vors Volk 25 75 44/33 44/55 -19/-8 31/20 Volkswahl Bundesrat 24 76 25/25 67/66 -1/-1 9/10 Mindestlohn-Initiative 24 76 40/30 52/64 -16/-6 24/12 Gold-Initiative 23 77 44/38 39/47 -21/-15 38/30 Energie- statt MwSt 8 92 29/19 58/73 -21/-11 34/19 *Unverjährbarkeitsinitiative nicht befragt SRG-Trend/gfs.bern 109 5.1.2 Anwendung auf Behördenvorlagen Zu Behördenvorlagen zählen obligatorische Referenden, fakultative Referenden und Gegenvorschläge zu Volksinitiativen. Ihnen ist gemein, dass sie vom Parlament mehrheitlich abgesegnet wurden. Sämtliche Verfassungsänderungen gelangen als obligatorische Referenden automatisch vors Stimmvolk. Gesetzesvorlagen hingegen kommen nur dann zur Abstimmung, wenn 50'000 Bürger und Bürgerinnen dies verlangen. In solchen Fällen (fakultatives Referendum) ist mit einer organisierten Opposition zu rechnen, während dies bei obligatorischen Referenden nicht zwingend der Fall sein muss (Ausnahme: gleichzeitige Abstimmung zu Volksinitiative und Gegenvorschlag). Die These, die wir zur Meinungsbildung zu Behördenvorlagen entwickelt haben, ist komplex, da die Voraussetzungen einer Volksentscheidung zuweilen wenig einheitlich sind: Einmal kann es an einer organisierten Opposition fehlen – dann gibt es Fälle, wo die parlamentarische Allianz zerfällt, sobald es zu einer Volksabstimmung kommt. Letzteres Szenario ist eigentlich nicht vorgesehen und es erschwert die Annahmechancen in der Bevölkerung, denn die Situation gleicht jener, die wir bei Volksinitiativen beschrieben haben. Den Mechanismus nennen wir Meinungsbildung zum Nein. Beim Ausbleiben organisierter Opposition kommt es zu einem lauen Abstimmungskampf, bei dem es an Kontroversen mangelt und es zu einer Zustimmung ohne grosse Beschäftigung mit dem Thema kommt. Wir bezeichnen dies als Meinungsumschwung zum Ja. Der Normalfall bei Behördenvorlagen liegt dazwischen. Er ist durch folgende Eigenschaften in der Ausgangslage gekennzeichnet: Die prädisponierte Zustimmung überwiegt die prädisponierte Ablehnung; die Ja-Seite verfügt in der Ausgangslage jedoch nicht zwingend über eine absolute Mehrheit. Die nicht prädisponierten Bürger und Bürgerinnen sind eine relevante Grösse. Ein grosser Anteil nicht prädisponierter Bürger und Bürgerinnen kann zwei unterschiedliche Ursachen haben: Einmal kann es sein, dass der Abstimmungsgegenstand zu alltagsfern ist und damit bei einem erheblichen Teil der stimmberechtigten Bevölkerung keine vorgängige Meinungsbildung erfolgt ist. Dann ist es möglich, dass eine Vorlage so kompliziert ist, dass man aufgrund einer schnellen Beurteilung nicht zu einem endgültigen – oder auch nur vorläufigen – Schluss kommen kann. Die zentrale Wirkung des Abstimmungskampfes zu einer Behördenvorlage besteht in der Regel darin, dass anfänglich nicht-prädisponierte Stimmberechtigte polarisiert werden. Dabei gibt es keinen Schlüssel dafür, welche Anteile eher ins Ja respektive eher ins Nein wechseln – dies ist weitgehend variabel. Es kann vermutet werden, dass die Aktivitäten der einzelnen Akteure im Abstimmungskampf entscheidend sind. Mit anderen Worten: vom aktiven Verhalten der Befürwortenden, die für eine Behördenvorlage werben, und von der Propagandaintensität beider Seiten im Vergleich. Wir sprechen dann auch von einer kampagnenabhängigen Polarisierung zum Ja oder Nein. Im Unterschied zum Meinungsumschwung, wie wir ihn zu Initiativen beschrieben haben, erfasst die Polarisierung nur die Unschlüssigen, nicht aber die vorentschiedenen Bürger und Bürgerinnen. Wir brauchen drei Hypothesen, um die denkbare Dynamik abbilden zu können und veranschaulichen sie mit idealtypischen Verläufen der Meinungsbildung zu Behördenvorlagen: 110 Szenario 1: Meinungsaufbau zum Ja: Der Ja-Anteil steigt während des Abstimmungskampfes – der Nein-Anteil sinkt. Es kommt zu einer Annahme der Vorlage. Grafik 88 Positiv prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau Richtung Nicht prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau Richtung Ja, Annahme Ja, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Negativ prädisponierte Behördenvorlage, Meinungsaufbau zum Ja, Annahme in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Unentschieden Unentschieden unentschieden Ja Ja Vor der Kampagne Während der Kampagne Abstimmungstag Ja Vor der Kampagne Während der Kampagne Abstimmungstag vor der Kampagne während der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning Nein Szenario 2: Polarisierung (entweder ins Ja- oder ins Nein-Lager): Ja- und NeinAnteile steigen gleichzeitig, bei der (häufiger vorkommenden) Polarisierung ins Nein stärker zugunsten der Gegnerschaft. Bei der (selteneren) Polarisierung ins Ja vermehrt zugunsten der Befürwortenden. Der Ausgang ist offen. Er hängt von der Stärke der Einzeleffekte ab. Wenn der prädisponierte Nein-Anteil grösser ist als der Ja-Anteil, ist mit einer Ablehnung zu rechnen Grafik 89 Positiv prädisponierte Behördenvorlage, schwache Polarisierung, Annahme Nicht-prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung, Annahme oder Ablehnung je nach Ausgangslage in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Negativ prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung, Ablehnung in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein Nein unentschieden unentschieden unentschieden Ja Ja Ja vor der Kampagne Abstimmungstag vor der Kampagne vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning gfs.bern, Campaigning während der Kampagne Abstimmungstag während der Kampagne Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Szenario 3: Meinungsumschwung ins Nein: Der Nein-Anteil steigt während des Abstimmungskampfes, der Ja-Anteil sinkt. Es kommt zu einer Ablehnung der Vorlage. Grafik 90 Positiv prädisponierte Behördenvorlage mit Meinungsumschwung zum Nein, Ablehnung Nicht prädisponierte Behördenvorlage, Polarisierung Richtung Nein mit negativem Meinungsaufbau in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht in % Stimmberechtigter mit Teilnahmeabsicht Nein Nein unentschieden unentschieden Ja Ja vor der Kampagne vor der Kampagne gfs.bern, Campaigning während der Kampagne Abstimmungstag Abstimmungstag gfs.bern, Campaigning Nachfolgend eine Übersicht sämtlicher im Rahmen der SRG-Trendumfragen untersuchten Meinungsbildungsprozesse zu Behördenvorlagen seit 2008. 111 Tabelle 24 Abstimmung Referenden positiv prädisponiert, Meinungsaufbau Richtung Ja, Annahme nicht prädisponiert, Meinungsaufbau Richtung Ja, Annahme positiv prädisponiert, schwache Polarisierung Richtung Nein, Annahme Vorlage nicht prädisponiert, Polarisierung Richtung Nein, Annahme oder Ablehnung positiv-prädisponiert mit Meinungsumschwung zum Nein, Ablehnung negativ-prädisponiert, Ablehnung Ja in % Nein in % best./eher dafür in % best./eher dagegen in % Differenz Differenz Ja Nein OR Med. Grundversorgung 88 12 66/71 10/10 22/17 2/2 GV Neuregelung Geldspiele 87 13 55/65 21/16 32/22 -8/3 GV Jugendmusikförderung 73 27 68/73 33/17 5/0 -6/10 OR Forschung am Menschen 77 23 49/- 14/- 28/- 9/- OR Verzicht allg. Volksinitiative 68 32 19/29 40/32 49/39 -8/0 OR Spezialfinanzierung Luftverkehr 65 35 42/49 26/23 23/16 9/2 FR Asylgesetz 78 22 48/57 29/29 30/21 -7/-7 FR Tierseuchengesetz 68 32 - - - -* 68 32 63/63 20/21 5/5 12/21 FR/ind. Betäubungsmittelgesetz G. nicht prädisponiert, Polarisierung Richtung Ja, Annahme Veränderung seit 1./2. Welle 1./2. Welle GV Komplementärmedizin 67 33 67/69 15/19 0/-2 18/14 FR Raumplanungsgesetz 64 36 54/59 18/22 10/5 18/14 OR FABI 62 38 56/56 27/28 6/6 11/10 FR Personenfreizügigkeit 60 40 50/50 40/43 10/10 0/-3 FR Epidemiengesetz 60 40 49/49 39/39 11/11 1/1 FR Tankstellenshops 56 44 46/48 47/45 10/8 -3/-1 FR IV-Zusatzfinanzierung 55 45 51/50 27/32 4/5 8/13 FR ALV-Revision 53 47 49/48 25/30 4/5 22/17 FR Unternehmenssteuerreform 51 49 43/- 29/- 8/- 20/- FR Biometrischer Pass 50 50 47/49 39/37 3/1 11/13 GV Ausschaffungsinitiative 46 54 41/43 49/49 5/3 5/5 FR Buchpreisbindung 44 56 48/40 39/47 4/-4 17/9 FR Autobahnvignette 40 60 53/50 41/46 -13/-10 19/14 OR Familienartikel** 54 46 66/55 23/35 -12/-1 23/ 11 GV Krankenversicherung 31 69 62/39 18/45 -31/-8 51/24 FR Gripen-Beschaffung 47 53 42/44 42/51 5/3 11/2 FR BVG Umwandlungssatz 27 73 17/- 66/- 10/- -7/- FR Managed Care 24 76 33/28 44/58 -9/-4 32/18 FR RTVG 50 50 46/43 45/47 4/7 5/3 OR PID 62 38 40/46 44/40 22/16 -6/-2 ** beim Volksmehr angenommen, am Ständemehr aber gescheitert SRG-Trend/gfs.bern 112 5.1.3 Anwendung auf die Stimmbeteiligung Bisher wenig beachtet wurden die Auswirkungen der Abstimmungskämpfe auf die Mobilisierung, respektive auf die Verteilung der Stimmabsichten. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Identifizierung von Zusammenhängen angesichts einer rasch wechselnden Zahl an Vorlagen und Themen nicht ganz einfach ist. Wir halten fest, dass die Auffassung, die Beteiligungshöhe hinge nur vom Abstimmungskampf ab, widerlegt ist. Vielmehr gilt, dass es einen Sockel routinemässig teilnehmender Bürger und Bürgerinnen gibt sowie einen Anteil der Bevölkerung, der sich in Abhängigkeit vom Klima, der Konfliktsituation und der eigenen Meinungsbildung beteiligt. Zudem halten wir fest, dass die mittlere Beteiligung an Volksabstimmungen der letzten Legislatur (2011-2015) bei 45.6 Prozent lag4. Stimmbeteiligungen zwischen 40 und 50 Prozent zeigen meist keine relevanten Veränderungen in der Zusammensetzung des Elektorates. Fällt die Beteiligung jedoch höher aus, nimmt vor allem der Anteil der wenig politischen Bürger und Bürgerinnen zu und die Chancen populistisch geprägter Entscheidungen steigen. Bei geringeren Teilnahmewerten beteiligen sich die Bürger und Bürgerinnen mit starkem Interesse an der Politik vergleichsweise mehr, sodass die Chancen kurzfristiger Veränderungen sinken. Die Zunahme der Beteiligung(sabsicht) hängt davon ab, ob es eine Vorlage gibt, die klar mobilisierend wirkt. Hinzu kommt, dass Abstimmungstermine mit mehreren Abstimmungsthemen eher mehr Zusatzbeteiligung auslösen als solche mit nur einer Vorlage. Hauptgrund dafür ist, dass die Beteiligung dann über den Sockel hinaus vorlagenspezifischer ausfallen kann. Verwiesen sei aber darauf, dass die Beteiligungswerte für die einzelnen Vorlagen nicht unbedingt identisch sein müssen. Mit anderen Worten: Zwischen der Beteiligung an sich und der Stimmabgabe zu den einzelnen Vorlagen kommt es immer mehr zu einer Differenzierung. Vereinfachend halten wir hier den Mobilisierungsfall als Regelbeispiel fest. Dabei nimmt die Stimmbeteiligung in Funktion des Abstimmungskampfes im Mittel um 5 Prozentpunkte zu. Alles andere sind Ausnahmen. Grafik 91 Normalentwicklung der Teilnahmeabsichten während Abstimmungskampf in % Stimmberechtigter Nichtteilnehmende Teilnehmende 1. Welle 2. Welle 3. Welle gfs.bern, Campaigning 4 http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/17/03/blank/key/stimmbeteiligung.html 113 5.1.4 Prognose, Momentaufnahme oder Trend? Ergebnisse aus Abstimmungsumfragen sind per se Momentaufnahmen, keine Prognosen. Zu viele unbekannte Faktoren verhindern, sie direkt als Vorhersage verwenden zu können. Der Dispositionsansatz hilft, die Entwicklung verständlich zu machen. Da dieser auch von den Trends abhängig ist, die vom Abstimmungskampf beeinflusst werden, kann man – ohne Kenntnisse des spezifischen Kommunikationsmomentes auf Basis einer einzelnen Befragung – an sich keine Prognosen machen. In unseren Berichten hat es sich eingebürgert, in diesem Zusammenhang folgende Begriffe zu verwenden: Trend-Umfragen – fortgesetzte Messung des Standes der Dinge. Momentaufnahme – Messung des Standes der Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt. Projektionen – Annahmen zur Verteilung von Unentschiedenen in Momentaufnahmen oder Trend-Umfragen. Prognosen – Annahmen zur weiteren Entwicklung der Meinungsbildung, namentlich in Trendumfragen, die rund zwei Wochen vor der Abstimmung gemacht werden müsse).5 Die Übersicht zu Momentaufnahmen und Projektionen über alle 60 Fälle seit 2008 ist in den nachstehenden beiden Grafiken zusammengefasst. Würde man bei Behördenvorlagen nur die erste Befragungswelle berücksichtigen, würde man die Abstimmungsmehrheit in nur 71 Prozent der Fälle kennen. Das ist eindeutig zu wenig. Mit der zweiten Befragungswelle steigert sich der Vergleichswert auf 94 Prozent. Bezieht man auch die Extrapolation von Trends mit ein, kommt man auf einen Wert von 97 Prozent.6 Grafik 92 Allenfalls in Trend prozentuale Häufigkeit der Bestimmung der richtigen Mehrheit 1. und 2. Welle im Vergleich zum besten Modell 100% Volksinitiativen 90% linke Volksinitiativen 80% 70% rechte Volksinitiativen 60% Behördenvorlagen 50% -19 -46 0 Anzahl Tage bis zur Abstimmung Lesebeispiel: Die x-Achse enhält die Tage vor dem Abstimmungstag, die y-Achse den Populationsschätzer. Der erste Wert bezieht sich auf die Ergebnisse der 1. Welle, der zweite auf jene der 2. Welle. Der dritte Wert ist der zur Extrapolation. Angeziegt wird die qualitative Übereinstimmung mit dem Endergebnis (links) und die mittlere quantiative Abweichung (rechts). Die Kurven zeigen an, mit der Zeit oder dem Verfahren Verbesserungen erzielt werden. 5 Vorschrift Verband VSMS: Publikation spätestens 10 Tage vor Abstimmung. Wir halten hier ausdrücklich fest, dass sich diese Form der Evaluierung eindeutig von derjenigen unterscheidet, welche der Datenblog des Tagesanzeigers ohne unser Wissen gemacht hat. Diese Missachtung ist aus unserer Sicht gerade für einen Kommunikationswissenschafter unverzeihlich, da die Meinungsbildung bei Volksabstimmung nicht invariant ist und ein Vergleich von Endergebnissen und Befragungswerten nur schon deshalb nicht identisch sein muss. 6 114 Grafik 93 Trend Durchschnittliche Abweichung 1. und 2. Welle im Vergleich zum Modell mit der geringsten Abweichung 15 Volksinitiativen 13 11 linke Volksinitiativen 9 rechte Volksinitiativen 7 5 Behördenvorlagen 3 -46 -19 0 Anzahl Tage bis zur Abstimmung Bei Initiativen mit linker Urheberschaft liegt die mittlere Abweichung bei der zweiten Befragungswelle bei gerundeten 4 Prozentpunkten. Mittels der Extrapolation von Trends kommen wir auf eine Differenz von 3.3 Prozentpunkten. Bei Initiativen aus dem rechten Lager liegen beide Werte höher, nämlich bei rund 8 Prozentpunkten. Wir werden auf diesen Punkt anschliessend speziell eingehen. Bei Behördenvorlagen kommt die zweite Befragungswelle bis auf gerundete 9 Prozentpunkte an das Endergebnis heran. Mit der Extrapolation ergibt sich eine Verbesserung auf 5 Prozent. In qualitativer Hinsicht sind die Werte deutlich besser. Bei linken Initiativen zeigen sich bei 100 Prozent der Vorlagen die richtigen Mehrheiten, und zwar unabhängig davon, ob man auf die zweite Welle oder auf die Extrapolation abstellt. Bei rechten Initiativen kommen wir auf 88 Prozent (zweite Welle) respektive 94 Prozent (Extrapolation) Treffgenauigkeit. Bei Behördenvorlagen liegend die Werte bei 64 Prozent (zweite Welle) respektive 96 Prozent (Extrapolation). Mit anderen Worten: Dank einer Extrapolation der Trends aus beiden Befragungen kommen wir sehr wohl in den Bereich, der bei Stichprobenerhebungen erwartet werden darf. Wenn Ungenauigkeiten verbleiben, hat das nicht mit der oft behaupteten Mess(un)genauigkeit von Befragungen tun, sondern in der Sache selbst – das heisst in der Dynamik der Meinungsbildung, die nicht unabhängig vom Zeitpunkt und vom konkreten Verlauf ermittelt werden kann. Dabei spielt die Karenzfrist zur Publikation von abstimmungsbezogenen Umfragen, die sich der Branchenverband auf Wunsch der Politik selbst auferlegt hat, eine wichtige Rolle. Sie führt dazu, dass die letztmögliche Befragung am Abstimmungstag meist zwischen zwei und drei Wochen alt ist. Im Vergleich zu Wahlen sind die Effekte bei Abstimmungen deutlich höher, sodass vermehrte Vorsicht mit Schlussfolgerungen angezeigt ist. Um die Sicherheit qualitativer Einschätzungen dennoch etwas zu erhöhen, verwenden wir zusätzliche weitere Indikatoren der Meinungsbildung Zu den gebräuchlichsten gehören das Abstimmungsergebnis im Parlament oder der Parolenspiegel der Parteien. Bezogen auf Befragungen können nebst der Stimmabsicht auch die indexierten argumentativen Haltungen oder der bevölkerungsseitig erwartete Abstimmungsausgang beigezogen werden. Schliesslich bieten die Modellierungen der Trendverläufe gemäss Dispositionsansatz Anhaltspunkte, um qualitative Prognosen vorzunehmen. 115 5.2 Die SRG-Befragung 5.2.1 Fragebogen Kernbestandteile jeder Befragung im genannten Forschungsprojekt sind: 1. Klärung der Stimmberechtigung 2. Klärung der Teilnahme- respektive Stimmabsichten (Sonntagsfragen) 3. Klärung der Zustimmung/Ablehnung mit je zwei oder drei Kernargumenten der Pro- respktive Contra-Seite 4. Klärung der Personen- und Ortsmerkmale (Geschlecht, Alter, Schulabschluss, Haushaltseinkommen, Siedlungsart [Stadt/Land], Sprachregion). Es werden die vom Verband VSMS respektive von uns entwickelten und standardisierten Fragen verwendet. Dies gilt insbesondere für den obigen Punkt zwei. So wird die Vergleichbarkeit erhöht, was wiederum die Interpretationssicherheit – wie sie bei Wahlen besteht, bei Abstimmungen aber erst in Entwicklung begriffen ist – steigert. 5.2.2 Stichprobenbildung Gesichert wird die Repräsentativität durch ein doppeltes At-random-Verfahren, das auf dem Telefonverzeichnis für Festnetzanschlüsse der Swisscom aufbaut. Dieses gilt unverändert als bestes allgemein zugängliches Verzeichnis für Telefonumfragen. Doppelt ist das systematische Zufallsverfahren deswegen, weil zuerst die Telefonhaushalte gezogen und erst dann in diesen die zu befragende Person mit der Geburtstagsmethode At-random bestimmt wird. Gesichert wird die Datenqualität durch siebenfache Kontaktversuche zu verschiedenen Tageszeiten zwischen 8 Uhr und 20 Uhr. Um der Problematik Rechnung zu tragen, dass das Swisscom-Verzeichnis seit 2009 nicht mehr alle Telefonnummer enthält, ergänzen wir dieses durch Nummernblöcke privater Anschlüsse, die wir aus der Erfahrung erarbeitet haben. Befragt werden Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen werden nicht berücksichtigt, da ihre Erreichbarkeit aufgrund spezifischer Datenschutzbestimmungen des Bundes mit CATIBefragungen nicht sichergestellt werden kann. Zur Grundgesamtheit zählen Personen, die der deutschen, französischen oder italienischen Sprache mächtig sind. Spricht die Person Schweizerdeutsch, wird diese auf Schweizerdeutsch befragt. Da die Erreichbarkeit von Personen in Mehrpersonenhaushalten beispielsweise nach Geschlecht und Alter nicht ganz identisch ist, wird dies mit Vorgaben zu Maximalquoten für Befragte mit entsprechenden Merkmalen kontrolliert. Repräsentativ sind diese, weil sie sich an der At-random-Theorie für die Stichprobenbildung orientierten. Nach dieser ist eine Befragung repräsentativ, wenn alle Personen der Grundgesamtheit die gleiche Chance haben, befragt zu werden. Das ist bei Telefonbefragungen nicht ganz, aber weitgehend der Fall. Gewisse Einschränkungen ergeben sich aus dem Kreis der Personen, die über gar keine registrierte Privatadresse mehr telefonisch erreichbar sind. Tests hierzu zeigen, dass dies aber die Befragungsergebnisse nicht wesentlich beeinflusst, solange der diesbezügliche Anteil nicht wesentlich über 10 Prozent liegt. Die Genauigkeit der Aussagen hängt zunächst von der Repräsentativität ab, dann aber auch von der Anzahl der Befragten. Für die erste Welle werden 1200 Personen befragt, für die zweite 1400. Dies geschieht, um die Aussagegenauigkeit der letzten Befragungswelle insbesondere in den Sprachregionen etwas zu erhöhen. Dies wird zudem unterstützt, indem jede Welle letztlich aus drei Befragungen besteht: je einer in der deutsch-, französisch- und italienischspra116 chigen Schweiz. Dabei ist die Zahl der Befragten in den Sprachminderheiten bewusst zu hoch, denn das verringert die Unsicherheiten, die bei einer geringeren Stichprobengrösse vorhanden sind. Für gesamtschweizerische Aussagen wird diese mit einer Designgewichtung rückgängig gemacht, das heisst die Ergebnisse in den Sprachregionen fliessen in der korrekten Proportion in das gesamtschweizerische Resultat mit ein. Die Aussagegenauigkeit wird üblicherweise mit dem Stichprobenfehler bestimmt. Dieser besagt, in welchem Masse effektiv eine Abweichung von einem gemessenen Wert der Fall ist. Die Unsicherheit hängt zuerst von der Stichprobengrösse ab, dann von der Wahrscheinlichkeit, mit der man eine Aussage machen will. Beispielhaft gilt: Bei einer Stichprobengrösse von 1200 Befragten und einer Irrtumswahrscheinlichkeit von maximal 5 Prozent (sprich in einem von 20 Fällen), beträgt der Stichprobenfehler ±2.9 Prozent. Konkret heisst dies, dass ein ausgewiesener Wert von 50 Prozent maximal zwischen 47.1 und 52.9 Prozent variieren kann. Darüber hinaus gilt: Je kleiner die Zahl der Befragten ist, desto grösser ist der Stichprobenfehler. Dies gilt auch, wenn die verlangte Sicherheit erhöht wird. 5.2.3 Befragungsarbeit Die Befragung wird vom gfs-Befragungsdienst durchgeführt. Dieser ist eine gemeinsame Tochtergesellschaft von gfs.bern und gfs-zürich. Die Interviewer und Interviewerinnen arbeiten nach einer zentralen Schulung dabei wahlweise von einem Heimarbeitsplatz oder vom zentralen Telefonlabor in Zürich aus. Nach der erfolgten Schulung werden die neu instruierten Personen intensiv überprüft und unmittelbar kontrolliert. Tabelle 25 Technischer Kurzbericht SRG-Trend Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 Auftraggeber CR-Konferenz der SRG SSR Grundgesamtheit Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz Herkunft der Adressen Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt) Datenerhebung telefonisch, computergestützt (CATI) Art der Stichprobenziehung geschichtet nach at random/Geburtstagsmethode im Haushalt Sprachregionen Befragungszeitraum 5.– 13. Februar 2016 mittlerer Befragungstag 9. Februar 2016 Stichprobengrösse minimal 1400, effektiv 1411 n DCH: 704, n WCH: 404, n ICH: 303 Stichprobenfehler +/- 2.7% Quotenmerkmale Geschlecht/Alter interlocked Gewichtung nach Sprache, Teilnahme, Parteiaffinität Befragungsdauer Mittel Standardabweichung 15.7 Minuten 4.8 Minuten Publikation 17. Februar 2016, 17h SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Befragt wird von Montag bis Samstag, wobei auch der Sonntag – nur auf Wunsch der Probanden – für vorterminierte Interviews genutzt wird. Während der ganzen Befragungsdauer werden rund 50 Interviewer und Interviewerinnen aus dem Pool des gfs-Befragungsdienstes eingesetzt. Wir garantieren, dass jeder und jede an den Interviews Beteiligte höchstens 5 Prozent der Interviews durchführt. 117 5.3 Instrumentenvergleich Insgesamt liegen bisher neben jener von gfs.bern zwei weitere Umfragen zu den Vorlagen vom 28. Februar 2016 vor. Sie basieren auf unterschiedlichen Vorgehensweisen. Die SRG-Trendumfragen basieren auf einer At-random-Stichprobe und werden telefonisch durchgeführt. Die Stichprobenbildung funktioniert damit nach den wissenschaftlichen Regeln des Zufallverfahrens. Zufall meint dabei, dass ein systematisches Auswahlverfahren auf eine vordefinierte Grundgesamtheit angewendet wird. Die Grundgesamtheit sind für die vorliegende Studie Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz, die einen verzeichneten Telefonanschluss haben, egal ob das ein Festnetz- oder ein Handyanschluss ist. Die Umfragen von "20 Minuten" basieren auf einer nicht randomisierten Stichprobe, die online befragt und mittels Gewichtung nachträglich korrigiert wird. Das heisst, es ist offen, wer an der Mitmach-Umfrage teilnimmt. Beeinflusst wird dies dadurch, dass man einen Internet-Anschluss hat und sich auf die Plattform von "20 Minuten" begibt. Die entstehende Stichprobe wird nach Vorgaben poststratifiziert, sodass die Struktur der Stimmberechtigten stimmt. 118 Tabelle 26 Instrumentenvergleich Institut / Medium gfs.bern / SRG SSR 20 Minuten Sonntagszeitung Befragung telefonische Repräsentativbefragung Online-Mitmachbefragung, gewichtet Online-Mitmachbefragung (Panel) Auswertung Momentaufnahme Momentaufnahme Momentaufnahme Zeitvergleich beabsichtigt beabsichtigt -- Raum DCH/FCH/ICH DCH/FCH/ICH k. A. Grundgesamtheit Stimmberechtigte Stimmberechtigte Stimmberechtigte Befragungszahl 1. Welle 1213 32'654 k. A. Befragungszahl 2. Welle 1411 31'253 34'389 Befragungszahl 3. Welle Zeitraum 1. Welle 11.–15. Januar 2016 5.–7. Januar 2016 Zeitraum 2. Welle 5.–13. Februar 2016 25.–27. Januar 2016 15.–16. Februar 2016 Zeitraum 3. Welle Fehlerbereich (Dezember 2015) +/- 2.7% +/- 1.2% k. A. 45:24 (31) Ergebnis VI gegen Heiratsstrafe 1. Welle 61:21 (12) 63:24 (13) 2. Welle 53:38 (9) 61:28 (11) 3. Welle 49:45 (6) Ergebnis Durchsetzungsinitiative 1. Welle 51:42 (7) 61:36 (3) 2. Welle 46:49 (5) 51:48 (1) 3. Welle 55:25 (20) 43:56 (1) Ergebnis VI gegen Nahrungsmittelspekulation 1. Welle 48:39 (13) 41:30 (29) 2. Welle 31:54 (15) 40:35 (25) 3. Welle k. A. 39:46 (15) Ergebnis zweite Gotthardröhre 1. Welle 64:29 (7) 58:31 (11) 2. Welle 56:39 (5) 56:35 (9) 3. Welle 63:16 (21) 54:42 (4) Beteiligung 1. Welle 48% k. A. k. A. 2. Welle 55% k. A. k. A. 3. Welle k. A. SRG-Trend/gfs.bern, Abstimmung vom 28. Februar 2016 im Trend, 2. Welle, 5.–13. Februar 2016 Der Vorteil der Umfragen für "20 Minuten" besteht in der Stichprobengrösse, die deutlich höher ausfällt als bei der SRG-SSR-Umfrage. Der Nachteil ist, dass das Auswahlverfahren keine individuelle Repräsentativität garantiert. Die Vorgehensweise von Marketagent ist in der Publikation der Sonntagszeitung nicht beschrieben. Bekannt ist lediglich, dass die Interviews online auf Panelbasis realisiert werden. Wie aufgezeigt, beruhen die Vorumfragen der SRG und von 20 Minuten auf unterschiedlichen Verfahren der Datenbeschaffung und -gewichtung. Untenstehende Auswertung zeigt die idealisierte Linie der Unterschiede zwischen den Ergebnissen der zweiten Welle und dem Endresultat für beide Serien. Sie legt nahe, dass bei knappen Entscheidungen die SRG-Umfragen mittels repräsentativen Stichproben im Schnitt genauer sind, während bei einseitigen Ergebnissen im Ja oder Nein die 20 Minuten-Erhebung besser abschneidet. 119 In der Regel finden sich bei den Umfragen von 20 Minuten wesentlich weniger Unentschiedene als bei den SRG-Trendumfragen, was nicht den Entscheidrhythmen gemäss VOX-Analysen oder statistischen Ämtern entspricht. Entsprechend sind die Abweichungen der 20-Minuten-Umfragen gerade bei unbestrittenen Vorlagen geringer. Grafik 94 120 5.4 gfs.bern-Team CLAUDE LONGCHAMP Verwaltungsratspräsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung gfs.bern, Verwaltungsrat gfs-bd, Politikwissenschafter und Historiker, Lehrbeauftragter der Universitäten Bern und Zürich, Dozent am VMI der Universität Fribourg und am KPM der Universität Bern. Schwerpunkte: Abstimmungen, Wahlen, Parteien, politische Kultur, politische Kommunikation, Lobbying, öffentliche Meinung, Rassismus, Gesundheits- und Finanzpolitik Zahlreiche Publikationen in Buchform, in Sammelbänden, wissenschaftlichen Zeitschriften MARTINA MOUSSON Projektleiterin, Politikwissenschafterin Schwerpunkte: Analyse politischer Themen und Issues, nationale Abstimmungen und Wahlen (SRG-Trend, VOX-Analysen, Wahlbarometer), Image- und Reputationsanalysen, Integrierte Kommunikationsanalysen, Medieninhaltsanalysen, Qualitative Methoden, Gesellschaftsthemen (Jugendforschung, Rassismus, Familien, Mittelschicht) STEPHAN TSCHÖPE Leiter Analyse und Dienste, Politikwissenschafter Schwerpunkte: Koordination Dienstleistungen, komplexe statistische Datenanalytik, EDV- und Befragungs-Programmierungen, Hochrechnungen, Parteien- und Strukturanalysen mit Aggregatdaten, Integrierte Kommunikationsanalysen, Visualisierung MARCEL HAGEMANN Datenanalytiker, Sozialwissenschafter Schwerpunkte: Datenanalyse und Datenbanken, Programmierungen, Integrierte Kommunikationsanalysen, Medienanalysen, Recherchen, Visualisierungen, Hochrechnungen 121 JOHANNA LEA SCHWAB Sekretariat und Administration, Kauffrau EFZ Schwerpunkte: Desktop-Publishing, Visualisierungen, Projektadministration, Vortragsadministration ALEXANDER FRIND Praktikant, Politikwissenschafter Schwerpunkte: Datenanalyse, Programmierungen, Qualitative Methoden, Recherchen, Medienanalysen, Visualisierungen 122 gfs.bern ag Hirschengraben 5 Postfach CH – 3001 Bern Telefon +41 31 311 08 06 Telefax +41 31 311 08 19 [email protected] www.gfsbern.ch Das Forschungsinstitut gfs.bern ist Mitglied des Verbands Schweizer Markt- und Sozialforschung und garantiert, dass keine Interviews mit offenen oder verdeckten Werbe-, Verkaufsoder Bestellabsichten durchgeführt werden. 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