Pressedossier FUNDAMENTALISTEN

FUNDAMENTALISTEN
SCHAUPLATZ INTERNATIONAL
Koproduktion
Im Rahmen von Culturescapes Island 2015
Vorstellungen: 28. / 30. / 31. Oktober 2015
jeweils 20:00 Uhr
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ZUM STÜCK
Alles begann nicht.
Wie der Frachter im Januar 2015, hätte man über sie schreiben können. Meisterlich
gestrandet, eine schnelle Lösung kann nicht erwartet werden. Als in einer anderen Zeitung
ein Foto von 2007 abgedruckt wurde, ein toter, hingerichteter Berggorilla wird im Kongo
von zwanzig Menschen auf einem Gestänge getragen, zu Grabe getragen, in absoluter Ruhe
verrät uns der Fotograf im Text am Rand. Die Gorillas kommen dort zwischen die Fronten,
hier die Rohstoffjäger, dort die Parkranger, die den Rohstoff intakte Natur erhalten sollen.
Am Vortag waren Künstler von Fundamentalisten in Paris, der Stadt der Liebe wie es immer
wieder gesagt wurde in jedem Beitrag, ermordet worden. Der Spass, die Ironie waren auf
tödlichen Ernst gestossen. Hatten sie sich vor Kurzem noch als IDEALISTEN bezeichnet,
oder hatten zumindest mit dieser Zusprechung gerungen, waren darüber gestolpert. Waren
froh darüber gewesen, dass über sie auch gelacht wurde. Beschlich sie nun die Ahnung, der
Hauch einer Ahnung, aber der schleicht nicht, sondern der überkommt einen, also der
überkam sie. WIR SIND FUNDAMENTALISTEN. Laut schrie es in ihnen. WIR SUCHEN
WAHRHEIT UND GEHEN ÜBER LEICHEN.
Sie hatten die letzte Arbeit eingelagert, nochmals nach getaner Arbeit zusammen Risotto
gegessen. Und dann war es über sie hereingebrochen. Ein Streit, eine Versöhnung, eine
Trennung, Schlüssel wurden abgegeben, Bücher in Kisten gepackt, die immer noch im
Atelier darauf warten, abgeholt zu werden.
Sie hatten sich an Weihnachten gestritten, beinahe geschlagen. Das Ritual beim
Nachbarsbauern am 24. Dezember den letzten übriggebliebenen Weihnachtsbaum, meist
ein eher ramponiertes Exemplar, zu kaufen, ihm so Asyl zu geben, hatten sie ausgelassen.
In München hatten sie eine Nordmanntanne aus Dänemark gekauft. 29 Euro. Sechs Jahre
alt, stellte sich beim Zersägen heraus, kurz nach dem Dreikönigstag. Ausgerechnet aus
Dänemark, dort wo Olafur Eliasson 2014 einen Bergbach in ein Museum gebaut hat. Er, der
sich mal Isländer nennt, mal Däne. Dänemark, wo das mit den Karikaturen seinen Anfang
nahm.
Island, Schauplatz des Romans "Weltlicht" von Halldor Laxness. Der Roman, den er im
letzten Sommer, noch voller Hoffnung was die Zukunft des Unternehmens Kunst anbelangt,
verschlungen hatte. Er hatte sich und sie als Gruppe im Protagonisten zu erkennen
geglaubt. Olafur Karason, der Protagonist, der daran glaubt, dass Kunst etwas Heiliges ist,
das man nicht beschmutzen darf. Dass die Kunst eine Bestimmung ist, ein Schicksal, keine
Wahl. Karason, der von sich als Autor spricht, obwohl er zu Beginn des Romans noch gar
nichts geschrieben hat. Er, das Findelkind, von seiner Pflegefamilie gequält, gedemütigt.
Er, der wegen Krankheit über Jahre in der Dachkammer vegetiert. Bewegungslos, einzig
ein Dachfenster gibt ihm Ausblick in den isländischen Himmel. Von Zeit zu Zeit setzt sich
die fettleibige Tochter des Hauses an sein Bett und liest ihm heimlich aus der "Insel
Felsenburg" vor. Einem wirren Abenteuerroman aus der zweiten Hälfte des 18. Jh. Sonst
wird, so erinnert er sich an seine Lektüre, nur in Postillen gelesen, moralisch religiösen
Schriften. Lange sieht ihn keiner in diesem Roman als Schriftsteller, aber es scheint ihm
egal, er entzieht seinem Umfeld die Deutungshoheit.
Sie hatte ein Stück an der Volksbühne Berlin darüber gesehen, ein Stück, das mit Motiven
des Romans spielt: mit dem Erhabenen der Kunst, der Landschaft. Es wurden handgemalte
Prospekte aufgezogen und gewechselt, dazu romantische Musik gespielt. Viel zu kurz,
hatte sie gesagt, nur 45 Minuten, es war zu kurz, es hat den Leuten nur gefallen, ohne
ihnen nahe zu kommen, ihnen weh zu tun, waren ihre Worte gewesen. Der Regisseur hatte
im Programmheft so was gesagt, wie dass er im Theater aufgewachsen sei und dass er das
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Auf- und Abbauen immer am spannendsten fand. Das war ihr auch zu unheilig gewesen,
wenigstens war er Isländer, hatte sie gesagt.
Er war aus den Sommerferien zurückgekommen, aus dem Ort in den finnischen Schären, wo
er jedes Jahr, wo sie das Paar, nicht sie die Gruppe, jedes Jahr hinfuhren, seit sie
zusammen sind, vom Ort zurückgekommen, wo er am meisten Kunst machte, so empfand
er es, am meisten über Welt und Kunst nachdachte, aber sie auch am wenigsten brauchte,
die Welt und die Kunst.
Es gibt Orte an denen spürt man keinen Schmerz, keine Trauer, obwohl man Teil der
Menschheit sein möchte. Man möchte unbewusst mit ihr verbunden sein, möchte den
Schmerz, der ihr zugeführt wird, den möchte man spüren wie ein Ohrfeige. Aber ohne
technische Hilfsmittel spürt man nichts, es braucht die Verlängerung, ins Netz, ins All, es
braucht die Auflösung. An solchen Orten erfährt man dann erst eine Woche später, vom
Abschuss eines Passagierflugzeuges, durch wen auch immer, und es hat einem nichts
geschmerzt, die Backe brennt nicht, nichts haben wir gefühlt. Aus den südfinnischen
Schären war er wie besessen von der Idee, diesen Roman integral auf isländisch
aufzuführen, zurückgekommen. Ohne Übersetzung, versteht ihr! Das ist das einzig
RICHTIGE hatte er gesagt. Das einzig Wahre. Ein marginale Sprache, seit Jahrtausenden
unverändert, welche Verschwendung, grossartig.
Er hatte angefangen von seiner Reise zu erzählen, seiner Reise, die er für die Gruppe
machen möchte. Eine Pilgerreise, an Orte der Wahrheit, Wahrheit in der Kunst, eine Reise
zu deren Protagonisten. Er hatte diese Reise geplant, dann bemerkt, dass sie wohl zu lang
werden würde. Dass keine Zeit bleiben würde. Später notierte er unbeholfen in sein
Tagebuch; soviel Schnee, wie wir brauchen, kann gar nicht fallen.
Er geht rennen, wie ihr es immer tut, wenn ein Hindernis auftaucht. Rennen, das Hindernis
umgehen. Wie ihr es macht, wenn ihr Pläne schmiedet. Rennen, überall wo ihr seid.
Prospect Parc, Brooklyn, oder eben auch in Bethlehem, wo euer Atelier steht, euer Studio.
Es ist nachts, Winter. Er rennt dann meistens einmal um Bethlehem, an den Rändern
entlang. Rennt am Hochhaus vorbei mit der Aufschrift ASCOM und ERICSSON. Zwei
Unternehmen der Kommunikationsbranchen, zwei unverwundbare Riesen, so schien es
einmal. Sein erstes Handy war ein Ericsson gewesen, Ascom war mit der grösste
Arbeitgeber am Ort, wo er das Gymnasium besucht hatte. Dort rennt er vorbei, am
Fussballplatz, es wird schon trainiert, auf Kunstrasen. Die lokale Retortenmannschaft, die
es mit Geld und dem Investor in den bezahlten Fussball schaffen will. Hätte er es schaffen
können? Die Frage kam ihm immer wieder. Wie weit hätte er es im Fussball bringen
können? Er erinnert sich an die Zeit im letzten Sommer, wo er eine Woche wie im Kloster
in der Sporthochschule kaserniert, ein weiteres Trainerdiplom erworben hatte. Er erinnert
sich an das erhabene Gefühl, die Reinheit, die Redlichkeit der Atmosphäre. Das Zimmer
mit Blick auf den See, das Besuchen der Theorieblöcke im Trainingsanzug, dann mit dem
Fahrrad sanft ansteigend zum Trainingsplatz. Er am Rand entlang, es ist Nacht, alles ist
Wald, alles ist Landschaft. Die Häuser, die Bäume, Autos und die Menschen alles wird
Landschaft. Er kann sich nicht satt sehen.
Aus der Presse hatten sie später entnommen, dass die Attentäter von Paris sich zum
Joggen im Park verabredet hatten. Vermutlich um der Überwachung zu entkommen,
möglicherweise aber auch, weil es diese Bewegung braucht um das Hindernis zu umgehen,
um einen neuen Gedanken fassen zu können, um etwas zu denken, was einem im Sitzen
nicht kommt.
Es hätte eine Arbeit über die Freiheit in der Kunst, die Bewunderung, die wir für sie und
ein ähnliches Gefühl das wir in den Bergen haben, werden sollen. Eine Arbeit über unseren
verbissenen Kampf: das Festhalten dieses Moments und seiner Überführung in eine Form.
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Als Paten sollten die historischen Figuren John Ruskin und Eugène Viollet-Le-Duc fungieren,
wir wollten sie erwecken, über sie und uns erzählen. Aber wir können nicht drauf schauen,
es ist in uns, die Bestie, das Unbekannte. Der Berg ist in uns. Wir bereiten uns auf unsere
Reise ins Dunkle vor. Eine Reise, die uns in die Schweizer Alpen führen wird, in den
Taunus, nach Holland, über Berlin nach Dänemark, nach Schonen. Dann weiter in den
schwedischen Norden, nach Island, zurück nach Nordengland, nach Paris, Carcassone, am
Mont-Blanc vorbei nach Lausanne, ins Südtirol und zurück über München nach Hause. „The
Universal Law of Obscurity“ könnte ein Titel von Ruskin oder eine Songzeile sein, die im
ewigen Schnee erklingt. Auf der Suche nach Erhabenheit und wahrer Schönheit. Ohne
Ironie, ohne Zynismus, ohne Rücksicht auf uns und andere.
Ausgehend von Werner Herzogs Film „Die große Ekstase des Bildschnitzers Walter Steiner“,
und Beobachtungen zum 19. Jahrhundert, welches James Webb in seinem Buch als das
Zeitalter des Okkultismus, als das Zeitalter der Flucht vor der Vernunft betitelte, ist
FUNDAMENTALISTEN eine Arbeit über die fanatische Suche nach der Wahrheit im
künstlerischen Ausdruck, nach der radikalen Redlichkeit in der Lüge.
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DIE GRUPPE
Schauplatz International wurde 1999 gegründet. Seit 2001 besteht die Gruppe im Kern aus
Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Lars Studer und Martin Bieri (bis 2014) und arbeitet
regelmässig mit anderen Künstlern zusammen. Die Gruppe agiert von Bern und Berlin aus
und hat in den vergangenen 15 Jahren an vielen Festivals und Gastspielhäusern, Staatsund Stadttheatern gastiert. Dabei sind über 50 Stücke, Performances, Aktionen, Filme und
Hörspiele entstanden. 2012 erschien im transcript- Verlag unter dem Titel „Neues
Landschaftstheater“ eine Monographie über Arbeiten der Gruppe.
Martin Lorenz, Schlagzeuger und Komponist, studierte in Zürich, Amsterdam und Paris und
arbeitet freischaffend im Bereich der zeitgenössischen und experimentellen Musik. An den
Turntables spielt er eigene Kompositionen bei denen er elektronische Sounds mit
mechanischen Störgeräuschen überlagert, die er mit einem Skalpell in die LPs einritzt.
Martin Lorenz ist Mitglied von Trabant Echo Orchestra, Collegium Novum Zürich und
künstlerischer Leiter des auf elektronische Musik spezialisierten Plattenlabels DUMPF.
Diana Ammann studierte Mode-Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in
Basel. Anschliessend war sie als Kostümassistentin an den Münchner Kammerspielen
beschäftigt. Seit 2008 ist sie als freischaffende Kostümbildnerin für Theater, Tanz und Film
tätig. Sie arbeitet meist sehr konzeptionell und entwirft am liebsten Kostüme, die sich
irgendwo zwischen Kunst und Mode bewegen.
Helga Brekkan ist in Reykjavík auf Island geboren. Bisher hat sie in Oslo, Wien, und
Stockholm gelebt. Ihr aktueller Wohnsitz ist Berlin. Helga hat Sprachen, Theater- und
Filmwissenschaften studiert. Sie arbeitet als Filmemacherin und Dolmetscherin.
Idee, Realisation, Bühne und Musik: Schauplatz International
Mit: Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl und Cellokindern als Lars Studer
Komposition, Musik: Martin Lorenz
Kostüme, Ausstattung: Diana Ammann
Simultanübersetzung Isländisch: Helga Brekkan
Technische Leitung, Licht: Stephan Müller
Assistenz, Produktionsleitung, Presse: Isabelle Jakob
Assistenz Bühne, Ausstattung, Technik: Janosch Perler
Grafik: Katharina Reidy, www.coboi.ch
Koproduzenten: Schauplatz International, Schlachthaus Theater Bern, ROXY Birsfelden,
Südpol Luzern
Gefördert durch: Stadt Bern, Kanton Bern, Pro Helvetia, Migros Kulturprozent, Kanton Zug,
Ernst-Göhner-Stiftung, Burgergemeinde Bern
Premiere: Schlachthaus Bern, 13. März 2015
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Für Pressekarten, Produktionsbilder und weitere Informationen wenden Sie sich bitte an
Larissa Bizer, Kommunikation ROXY, [email protected] oder
Oliver Roth, Dramaturgie & Kommunikation ROXY, [email protected]
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