JuS-Kurzinterview Die VW-Affäre und ihre strafrechtlichen Folgen Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei VW wirft neben zahlreichen zivil- und arbeitsrechtlichen Fragestellungen – etwa nach der Berechtigung von Renten- und Abfindungsansprüchen des zurückgetretenen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn bzw. dem Bestehen von Schadensersatzansprüchen – zusätzlich die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf. Akad. Rat Dr. Christian Brand, Habilitand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Rudolf Rengier an der Universität Konstanz, forscht auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts. Als Mitglied des JuS-Beirats gewährt er unseren Lesern Einblick in die strafrechtlichen Probleme der Affäre. JuS: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat zwischenzeitlich ein Ermittlungsverfahren gegen Martin Winterkorn wegen Betrugsverdachts aufgenommen. Welche sonstigen Tatbestände könnten die für den Abgaswerteskandal Verantwortlichen noch verwirklicht haben? Brand: Neben dem bereits genannten Betrugstatbestand könnten die für die Manipulation der Abgaswerte Verantwortlichen Untreue (§ 266 StGB) zum Nachteil der VW AG begangen sowie den Tatbestand der strafbaren Werbung (§ 16 I UWG) verwirklicht haben. JuS: Im Fokus des Skandals um manipulierte Abgaswerte steht derzeit der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende der VW AG, Martin Winterkorn. Allerdings ist bislang noch völlig ungeklärt, wer wann genau etwas wusste und wer die Manipulationen angeordnet hat. Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage: Wer sind die denkbaren Täter der Abgaswertemanipulation? Brand: Da das deutsche Strafrecht de lege lata nur natürliche Personen als taugliche Täter adressiert und ein Unternehmensstrafrecht, wie es derzeit vielfach gefordert wird, noch nicht kennt, werden die Strafverfolgungsbehörden nicht darum herum kommen, die individuelle Verantwortlichkeit für die Abgasmanipulationen aufzuklären. Erst wenn feststeht, wer die Abgasmanipulationen veranlasst hat bzw. wer trotz Kenntnis von diesen Manipulationen als Garant untätig blieb und den Dingen ihren Lauf ließ, kann der „VW-Skandal“ strafrechtlich aufgearbeitet werden. Das Fehlen eines Unternehmensstrafrechts im deutschen Recht bedeutet allerdings nicht, dass Unternehmen, deren Mitarbeiter straf- oder verwaltungsrechtliche Pflichten missachten, immer „ungeschoren“ davonkommen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt mit den §§ 30, 130 Akad. Rat Dr. Christian Brand OWiG Vorschriften, die es ermöglichen, auch das Unternehmen wegen Fehlverhaltens seiner Leitungsorganmitglieder oder Mitarbeiter mit empfindlichen Geldbußen zu belegen. JuS: Angenommen, den Strafverfolgungsbehörden gelingt es, einen oder mehrere Verantwortliche zu identifizieren. Wäre der Betrugstatbestand auf der Grundlage des derzeit bekannten Sachverhalts überhaupt verwirklicht? Brand: Bekanntlich setzt der Betrugstatbestand eine Täuschungshandlung voraus, die in einen Irrtum mündet, auf Grund dessen das Täuschungsopfer über sein Vermögen verfügt und dadurch einen Schaden erleidet. Subjektiv muss der Täter neben dem üblichen Vorsatz mit der Absicht handeln, sich oder einen Dritten stoffgleich zu bereichern. Während sich eine Täuschung relativ leicht bejahen lässt, weil die an den Endverbraucher gerichteten Verkaufsprospekte unzutreffende Angaben über den Schadstoffausstoß der Fahrzeuge enthielten, bereitet die Prüfung des Irrtumsmerkmals etwas größere Schwierigkeiten. Denn zahlreiche Endverbraucher wird es zwar interessieren, wie hoch der Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs ist, sie dürften sich aber beim Kauf häufig keine Gedanken über den Schadstoffausstoß des zu erwerbenden Fahrzeugs machen. Gleichwohl ist es denkbar, dass umweltbewusste Käufer eines Kfz darauf achten, wie hoch der Schadstoffausstoß des Fahrzeugs ist, das sie zu erwerben gedenken. Auch können steuerrechtliche Gründe den Kfz-Käufer dazu motivieren, ein Kfz anzuschaffen, dessen Schadstoffausstoß gering ist; die (unzutreffenden) Angaben über die Schadstoffemission sind dann für die Kaufentscheidung zumindest (mit)motivierend. Liegen die Fälle so, steht der Annahme eines Irrtums nichts entgegen. Hat man die Hürde des Irrtums genommen, gilt es zu eruieren, ob den Endverbrauchern, die ein Kfz erworben haben, dessen Schadstoffausstoß deutlich über den Angaben des Verkaufsprospekts und den einschlägigen umweltrechtlichen Vorgaben liegt, einen Schaden erlitten haben. Unproblematisch zu einem Schaden gelangte man, falls die manipulierten Kfz auf Grund ihres erhöhten Schadstoffausstoßes nicht am Straßenverkehr teilnehmen dürften. Doch auch wenn eine Teilnahme am Straßenverkehr trotz des hohen Schadstoffausstoßes zulässig ist, erleiden die Käufer solcher manipulierter Kfz einen Vermögensschaden, sollte sich herausstellen, dass die Kfz auf Grund der erhöhten Schadstoffemission mangelhaft und deshalb weniger wert sind als der für sie verlangte Kaufpreis. Dass die VW AG wie angekündigt sämtliche manipulierte Pkw zurückrufen und reparieren wird, ändert am Bestehen eines Schadens nichts. JuS: Wie steht es um den Untreuetatbestand? Könnten sich die für den Abgasskandal Verantwortlichen auch nach dieser „Allzweckwaffe“ des Wirtschaftsstrafrechts strafbar gemacht haben? Brand: Zunächst gilt es festzuhalten, dass nicht jedermann, sondern nur ein gegenüber dem Geschädigten Vermögensbetreuungspflichtiger als tauglicher Täter der Untreue in Betracht kommt. Unproblematisch vermögensbetreuungspflichtig sind etwa die Vorstandsmitglieder einer AG. Sollte sich deren Verwicklung in den Abgasskandal herausstellen, ist eine Untreue zum Nachteil der VW AG zumindest strukturell denkbar. Schwierigkeiten dürfte es aber bereiten, einen Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht festzustellen. Indem die für den Abgasskandal Verantwortlichen Pkw in den Verkehr gebracht haben, deren Abgasemission den umweltrechtlichen Vorgaben widerspricht, haben sie zwar ihre Pflichten auch im Verhältnis zur VW AG verletzt. Denn die Sorgfaltsgeneralklausel des Aktienrechts, § 93 I AktG, verbietet jeglichen Legalitätsverstoß. Für die Annahme einer untreuerelevanten Pflichtverletzung genügen solche Legalitätsverstöße nach Ansicht des BGH alleine aber nicht. Vielmehr muss die verletzte Legalitätspflicht zumindest mittelbar dem Schutz des Treugebervermögens dienen. Von den missachteten umweltrechtlichen Vorgaben wird man das jedoch nicht sagen können. Etwas anderes soll allerdings dann gelten, wenn die nicht vermögensschützende Legalitätspflicht, die der Treunehmer missachtet hat, Gegenstand der Satzung oder des Anstellungsvertrags ist. In diesem Fall soll der Treunehmer, der entgegen dieser Satzungs- bzw. Anstellungsvertragsbestimmung handelt, seine Vermögensbetreuungspflicht verletzen. Ist es also denkbar, im VW-Abgasskandal eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung zu konstruieren, so ist damit aber noch keinesfalls gesagt, dass die Verantwortlichen eine Untreue zum Nachteil der VW AG begangen haben. Wie § 263 StGB setzt nämlich auch § 266 StGB den Eintritt eines Vermögensschadens voraus. Zwar könnte man daran denken, die Sanktionen, die der VW AG etwa gem. § 30 I OWiG drohen, als untreuerelevanten Schaden zu qualifizieren. Die hM in Rechtsprechung und Schrifttum widerspricht einem solchen Vorgehen jedoch zu Recht, steht doch sowohl das Ob der Verhängung einer Geldbuße als auch die Höhe der Buße im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Stelle. Angesichts dessen lässt sich der Schaden allenfalls mit den Kosten begründen, die durch die Rückrufaktion entstehen werden. Dieser Weg wirft aber schwierige Fragen der Schadenskompensation auf – die VW AG hat womöglich durch die Abgasmanipulationen erhebliche Gewinne erwirtschaftet – und ist im Lichte der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach der Schaden konkret beziffert werden muss, äußerst steinig. JuS: Sie haben neben der Untreue den Tatbestand der strafbaren Werbung (§ 16 I UWG) ins Spiel gebracht. Liegen dessen Voraussetzungen vor? Brand: Angesichts der unzutreffenden Angaben über die Schadstoffemissionen in den auch für die Endverbraucher bestimmten Verkaufsprospekten ist eine Strafbarkeit gem. § 16 I UWG prima vista nicht gänzlich fernliegend. Gewisse Probleme könnte jedoch die von § 16 I UWG geforderte Absicht bereiten, „den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen“. Die Aufnahme unzutreffender Angaben über die Schadstoffemissionen in den Verkaufsprospekt kann zwar schon für sich genommen den Anschein eines besonders günstigen Angebots bewirken, weil „besonders günstig“ nicht nur das ist, was materielle Vorteile verspricht. Zwingend ist das aber nicht. Nach gegenwärtiger Kenntnislage lässt sich deshalb ein abschließendes Urteil darüber, ob die für den Abgasskandal Verantwortlichen den Tatbestand des § 16 I UWG verwirklicht haben, nicht treffen. Das Interview haben wir am 29.9.2015 geführt. www.JuS.de ► Zur Vertiefung: Theile/Petermann, Die Sanktionierung von Unternehmen nach dem OWiG, JuS 2011, 496.
© Copyright 2024 ExpyDoc