„Sehr großzügige Reform“ bringt ambulanten Diensten mehr Geld

CA R E ko nk re t // 1 1
AUSGAB E 4 8 // 27.11.2015
AMBULANTE DIENSTE
Pflegestärkungsgesetz II
„Sehr großzügige Reform“ bringt
ambulanten Diensten mehr Geld
Das Pflegestärkungsgesetz II enthält als zentrale Neuerung den Pflegebedürftigkeitsbegriff. Vorgesehen ist hier jedoch ein umfassender Bestandsschutz der bisherigen Pflegstufen. Im Ergebnis werden im ambulanten Bereich zum Umstellungszeitpunkt mehr
als 95 Prozent der Leistungsbezieher ab 2017 besser gestellt, niemand schlechter. Aber
was bedeutet die Besserstellung für ambulante Pflegedienste?
VON CITO AUFENACKER
und ohne eak und endend bei
Härtefall.
Für all diese acht Gruppen hat
der Report 359 681 anspruchsberechtige Pflegepersonen zugrunde gelegt.
Von den acht Gruppen werden
im Zuge der Reform sechs besser
gestellt sein, PS III (14 224 Personen), und die Härtefallregelungen (2 144 Personen) werden
keine Erhöhung erfahren. Diese
16 368 Personen ohne Besserstellung entsprechen einem Anteil
von fünf Prozent.
Hamburg // Der aktuelle BARMER/
GEK-Pflegereport (siehe Seite 5 in
CAREkonkret) betitelt das PSG II als
eine „sehr großzügige Reform“, weil
im ambulanten Bereich zum Umstellungszeitpunkt mehr als 95 Prozent der dann Leistung Beziehenden
besser gestellt werden. Niemand
stellt sich schlechter. Auch bei langfristiger Betrachtung gibt es nur wenige Personen, die sich dann im neuen System schlechter stellen werden
als im alten.
Großzügig
scheint
zuzutreffen, denn für vier von fünf
Pflegesachleistungsempfänger (79
Prozent) erhöhen sich die monatlichen Leistungen um mindestens
221 Euro und für jeden Vierten (27
Prozent) sogar um 383 Euro oder
mehr. Multipliziert mit den Fallzahlen 2014, ergeben sich rechnerische
Mehrausgaben in Höhe von 1,265
Milliarden Euro.
Die zweite Frage ist die Höhe der Besserstellung:
Die höchsten Sprünge erfahren
Anspruchsberechtigte mit einer
bereits diagnostizierten eak.
198 Prozent bei PS 0 plus eak auf
Pflegegrad 2
88 Prozent bei PS I plus eak auf
Pflegegrad 3
PS II plus eak und PS III plus eak
erfahren beide die gleiche Erhöhung von 24 Prozent
PSG II: Rund 100 000 Euro
Pflegesachleistungen mehr
Foto: Archiv
Wie viele Kunden habe ich in den
acht Gruppen?
// Ein Pflegedienst
sollte nun wissen, wie
sein eigener persönlicher Pflegestufenmix
aktuell aussieht. //
ALEXANDER CITO AUFENACKER
Dieser Wert auf 12 754 Pflegediensten heruntergebrochen, ergibt einen
statistischen Mittelwert von etwas
über 100 000 Euro Mehrerlöse aus
Pflegesachleistungen pro Dienst pro
Jahr.
Das ist natürlich nur ein Rechenmodell, aber wie genau kann man
diese Reform auf den eigenen Pflegedienst herunterbrechen?
Hier eine kalkulatorische Anleitung:
Zunächst sei erklärt, wie sich die 95
Prozent Besserstellung zusammensetzt:
Die bisherigen Pflegestufen lassen sich bereits heute in acht
unterschiedliche Gruppen mit
Pflegesachleistungen einteilen,
beginnend bei Pflegestufe 0 (PS)
plus eingeschränkte Alltagskompetenz (eak) über PS I, II, II mit
Ein Pflegedienst sollte nun wissen,
wie sein eigener persönlicher Pflegestufenmix aktuell aussieht. Da nicht
alle Tourenwirtschaftssysteme in
der Lage sind, die Personen mit eak
zu filtern, müssen diese wohl händisch gezählt werden (siehe Tabelle).
Viele Pflegedienste liegen (zum
Teil weit) unter diesen Mittelwerten. Hier steht also noch gar nicht
die 95-Prozentige Besserstellung im
Fokus, sondern die eigenen Hausaufgaben im Vordergrund. In diese
Kalkulation ist die Berechnung der
Barmer GEK als Grundlage herangezogen worden, was heißt, dass
weder die Betreuungs- und Entlastungsleistungen (B&E) § 45b ( 104
Euro/ 208 Euro vorher und 125 Euro
nachher) noch die maximale Verhinderungspflege §39 kalkulatorisch
berücksichtigt worden.
Setzt man also voraus, dass ein
Pflegedienst seine SGB XI Kunden
genau eingruppieren kann, und
dass er zudem seine eigene Pflegestufenausschöpfung kennt, lässt
sich diese Tabelle nutzen, um den
eigenen potenziellen Mehrerlös zu
visualisieren.
Im hiesigen Fallbeispiel (siehe
Tabelle Rechenmodell Pflegesachleistungen nach Barmer) hat der
Dienst 140 aktive Kunden, wovon
aber „nur“ 91 Kunden mit Anteil SGB
XI in die Tabelle aufnehmbar sind.
Über all diesen 91 SGB XI Kunden
hat das Fallbeispiel eine Pflegestufenausschöpfung von 60 Prozent.
Bei diesen 60 Prozent erfährt der
Pflegedienst durch die Reform einen kalkulatorischen Mehrerlös von
13 667 Euro pro Monat. Mit anderen
Worten: Mit jedem Kunden sind 150
Euro Mehrerlöse generierbar.
Darüber hinaus könnte die Gruppe der (ab 2017) neuen Pflegekunden
mit dem Pflegegrad 1 mit einem
Leistungsanspruch von 125 Euro per
Kostenerstattungsprinzip ein weiteres Wachstum ermöglichen. Diese
neue Gruppen der möglichen Kunden nach PG 1 lässt sich derzeit allerdings noch nicht beziffern - wohl
aber die zusätzliche Leistungssteigerung im Pflegegeld. Auch fast alle
Leistungsempfänger (97 Prozent)
aus Qualitätssicherungsbesuchen
nach §37.3 erhalten eine Steigerung,
wofür in der Pflegeversicherung
weitere rechnerische Mehrausgaben in Höhe von 2,047 Milliarden
Euro bereit gestellt werden.
Mehrerlös: Rund 150 Euro
Der Mehrerlös hat aber auch Konsequenzen. Es gilt nun, strategisch
wichtige Maßnahmen einzuleiten:
1. Die PDL sollte schnellstmöglich
eine Schulung der Mitarbeiter zu
den aktuellen Begutachtungsrichtlinien des MDK einleiten,
insbesondere zu den Kriterien,
die Grundlage für die Ermittlung
der eak sind, um den Prozess des
Pflegestufenmanagements sicherstellen zu können.
2. Die überwiegende Anzahl der
Pflegedienste könnte auch jetzt
schon mehr Leistungen anbieten, wenn nicht die Verfügbarkeit des Personals der alles
begrenzende Faktor wäre. Dementsprechend werden Mehrleistungen auch nur angeboten
werden können, wenn sich der
Pflegedienst schnellstmöglich
um einen Zuwachs an Mitarbeitern bemüht.
3. Die Beratungskompetenz und
Verkaufsstrategie der PDL und
der beratenden Pflegefachkräf-
aktuelle
Einstufung
zukünftige
Pflegegrade
PS 0 + eak
PG 2
PS I
Mehr Pflegeerträge sind immer auch gleichzusetzen mit mehr Zeitaufwand, die die
Mitarbeiter auch zu leisten haben.
Foto: epd-Bild/Schmidt
te sollte gestärkt werden, damit
die Pflegekunden in Zukunft
tatsächlich Mehrleistungen in
Anspruch nehmen und nicht
bei den bestehenden Leistungsvereinbarungen bleiben, um
den Anteil an eigenen Geldleistungen zu erhöhen. Das hieße
dann nämlich, dass die Kennzahl
„Ausschöpfung der Pflegesachleistung“ gleich bliebe oder sogar falle.
Alexander Cito Aufenacker,
Aufenacker Unternehmensberatung, Kompetenz in der Sozialwirtschaft, Hamburg;
www.aufenacker.net
MDK
Datenpool
Aufenacker
Datenpool
PS O + eak
17%
21%
PS I + eak
28 %
19%
PS II + eak
40%
34%
PS III + eak
58%
39%
Härte + eak
k.a.
k.a.
n=?
n=56 Wohlfahrt
Quelle: Geldtipp 18.7.2013, eigene Datenerhebung
Eine Kundenanalyse des Medizinischen ‚Diesntes der Krankenkassen (MDK) sowie des
Aufenacker Datenpools ergeben folgende statistische Anteile von Anspruchsberechtigten mit eak.
:
Summe
Besserstellung in %
Besserstellung um
Beispiel "eigene
SGB XI Kunden"
Kalkulator.
"Mehrerlös"
689 €
198%
458 €
1
458 €
PG 2
689 €
47%
221 €
50
11.050 €
PS I + eak
PG 3
1.298 €
88%
609 €
9
5.481 €
PS II
PG 3
1.298 €
13%
154 €
17
2.618 €
PS II + eak
PG 4
1.612 €
24%
314 €
4
1.256 €
PS III
PG 4
1.612 €
0%
0€
4
0€
PS III + eak
PG 5
1.995 €
24%
383 €
5
1.915 €
Härtefall
PG 5
1.995 €
0%
0€
1
0€
22.778 €
Bei 60% durchschn. PS-Ausschöpfung
13.667 €
Kalkulatorischer Mehererlös pro Kunde
150 €
Durch die Reform hat ein angenommener Pflegedienst einen kalkulatorischen Mehrerlös von 13 667 Euro pro Monat. Mit anderen
Worten: Mit jedem Kunden sind 150 Euro Mehrerlöse generierbar (Benchmark Anteil eak).