Kunsttherapie für Kinder und junge Erwachsene mit schweren

Kunsttherapie für Kinder und junge Erwachsene mit schweren Erkrankungen
Vorstellung
Mein Name ist Katja Bonnländer, ich bin Künstlerin und Kunsttherapeutin.
Als Kunsttherapeutin auf der psychosomatischen Abteilung des Dr. von
Hauner`schen Kinderspitals, habe ich vor einigen Jahren das (trauma-)therapeutische Behandlungskonzept vor dem bindungstheoretischen Hintergrund
kennengelernt. Heute arbeite ich, eingebunden ist das psychosoziale Team
unter der Leitung von OA Dr. Karl Heinz Brisch, im Projekt Kunsttherapie für
Kinder und junge Erwachsene mit schweren Erkrankungen, flexibel auf verschiedenen somatischen Stationen des Dr. von Hauner`schen Kinderspitals.
Weiterhin arbeite ich therapeutisch für Refugio München e.V..
Bei der kunsttherapeutischen und traumabewältigenden Arbeit mit Kindern aus Kriegs- und
Krisengebieten mache ich hier wertvolle interkulturelle Erfahrungen.
Mein Bewusstsein für Bindungsformen und -prozesse, wird durch die Begegnung mit Kindern und
Familien aus eher kollektivistisch organisierten Kulturen erweitert. Ich erlebe, wie Kinder die Kluft
zwischen ihrer Herkunftskultur und der deutschen Kultur meistern.
In meiner Arbeit in der Dr. von Hauner´schen Kinderklinik begegne ich auch internationalen jungen PatientInnen - russischen JüdInnen, OberbayerInnen, PalästinenserInnen...
Kindern und jungen Erwachsenen, die ich kunsttherapeutisch begleite, begegne ich mit
Aufmerksamkeit für ihre Ressourcen und Belastungen, vor dem Hintergrund ihrer familiären und
kulturellen Bindungen.
Wenn Worte fehlen...
Kunsttherapie bietet eine besondere Kontaktmöglichkeit über die non-verbale Kommunikation mit
Bildern.
Bei schweren Krankheitsverläufen, die von mangelnder Verständigung durch Sprache begleitet
sind, kann sie Begegnung möglich machen, wo sie notwendig ist, der Zugang zum Patienten aber
sehr eingeschränkt ist.
Die Einschränkung der verbalen Kommunikation mit jungen PatientInnen, mit denen ich im Dr.
von Hauner`schen Kinderspital arbeite, hat verschiedene Ursachen:
Lungenerkrankungen schränken die Kommunikation ein, da der Atem knapp ist. Psychische
Erkrankungen, die u.a. durch die Belastung schwerer körperlicher Erkrankungen entstehen, führen bis zum Mutismus: ein Kind kann sprechen, hat aber aufgehört mit Fremden in Worten zu
kommunizieren, zieht sich in sich zurück.
Bei Sterbeprozessen noch ganz junger Menschen entsteht ein oft überwältigender Druck.
Die innere psychische Entwicklung von Kindern und jungen Erwachsenen bietet eine starke, sichentfaltende, aufs Leben neugierige Kraft, ihre körperliche Erkrankung führt sie aber schmerzhaft
an Grenzen, konfrontiert sie mit der Endlichkeit unseres Daseins. Der/die Einzelne und ihre
Angehörigen sind überfordert.
Die seelische Belastung in Zusammenhang mit Krankheit, Leid, Verlust, ist hier oft schwer in
Worte zu fassen.
Zwischen einander
In der Kunsttherapie werden in all diesen Fällen empathische Beziehung, en pasant auch
Gespräche, möglich.
Im Vordergrund steht die Gestaltung, der künstlerische Rhythmus aus Beobachtung und Impuls,
das Abwechseln von Innen und Aussen. Die Kontaktaufnahme ist in dieser Atmosphäre erleichtert.
Themen und Arbeitsformen entwickle ich mit den jungen PatientInnen gemeinsam - mit Interesse
für ihre Lebenswelt und vor dem Hintergrund meiner künstlerischen und therapeutischen
Erfahrung und Intuition.
Von Selbstporträts über Darstellungen aus dem Film Titanic - ein aufglühender Himmel hinter
Liebenden, kurz vor dem Untergang - bis zu Kontakt- und Konkurrenzbildern: PatientIn und
TherapeutIn kämpfen spielerisch auf dem Blatt mit Farben um Raum.
Das Spannungsfeld zwischen einander - wird spielerisch erprobt.
Der Perspektivwechsel von der Krankheit auf einen bildnerischen Schaffensprozess, das eigene
Tun, wirkt erleichternd. Innerpsychisch fördert die künstlerische und kunsttherapeutische Arbeit
die Entwicklung von Bewältigungsstrategien.
Mit wachsendem Vertrauen bietet sich die Möglichkeit, sich der eigenen Situation gegenüber - mit
Unterstützung - zu öffnen.
Die „Entdeckung unwegsamen seelischen Landes“ wird im Bild und in der therapeutischen
Beziehung gewagt.
Schritt für Schritt - Vorgehensweisen
Kunsttherapeutische Methoden, wie das progressive therapeutische Spiegelbild (Prof. Dr. G.
Benedetti) kommen, angepasst an die jeweilige Situation, zum Einsatz.
In dieser Methode wird zu Beginn eine symbiotische non-verbale Situation und Beziehung angeboten. Therapeut und Klient malen beide das gleiche, auf unterschiedlichen Blättern. Durch die
malerischen und zeichnerischen Produkte wächst diese Situation über sich hinaus:
Neben Gemeinsamkeiten treten Unterschiede auf - ein spiegelnder Beziehungsprozess wird
erlebt, in dem später progressive Schritte der Kontaktaufnahme, Ablösung, Annäherung und
Selbstbehauptung, geprobt werden.
Zum Beispiel malen wir beide an einem Selbstporträt der Patientin, die verbalen und
Augenkontakt meidet. Wir sitzen nebeneinander und sehen dabei beide “ihr” - dem Portraitfoto
von ihr, das wir abzeichnen - in die Augen.
Ohne Worte wird der Radiergummi geteilt, werden zeichnerisches Vorgehen, Proportionen, enstehende Augen und Münder, “abgeguckt” und verglichen.
Praeverbal entsteht Beziehung, ausgerichtet auf das Sosein der Patientin, auf dem porträtierend
und wertschätzend die Aufmerksamkeit ruht.
Bald werden Qualitäten von Augen - wie gucken sie? wie ist der Mund auf deiner Zeichnung - auf
meiner - wie in Echt? zu Gegenständen der Beobachtung, auch zu möglichen Gesprächsthemen.
Jederzeit kann die oft heikle sprachliche Ebene verlassen werden, wieder nur der Radiergummi
wandern, Striche abgeguckt, eine Atmosphäre geteilt werden, in der der Patientin Aufmerksamkeit
und Empathie entgegengebracht werden.
Manche Stunden verlaufen still, manche handeln später von Wünschen für die evtl. bevorstehende Beerdigung, von der weder Eltern noch andere Angehörige sprechen wollen, und von
Wünschen für das Fest, falls durch eine Transplantation das Leben noch einmal beginnen kann.
Machtlosigkeit und Wunder
Die Bindung, die in der Kunsttherapie entsteht, wächst entsprechend den Möglichkeiten und
Grenzen der Beteiligten, auch meiner eigenen.
Die Existenzialität der Arbeit fordert mich heraus, führt aber auch zu Ratlosigkeit und
Ohnmachtsgefühlen - Einzelsupervision und der Austausch im psychosozialen Team bringen mir
hier oft Erleichterung und Inspiration.
Mit den PatientInnen entstehen neben der gemeinsam schwer ausgehaltenen Ohnmacht durch
große Schmerzen und Angst, familiäre Belastungen - gelegentlich Momente der wundervollen
Erleichterung:
Während der malerischen Arbeit an einer Melone, spricht eine junge Frau erstmals nach einem
halben Jahr der gemeinsamen Arbeit ganz direkt ihren möglicherweise bald bevorstehenden Tod
an - es wird still.
Solange die Atmosphäre trägt, ist jetzt Zeit endlich nicht allein zu sein damit... es geht auch um
Gott und Allah, von der Reise, die wir nach dem Tod antreten? - Und dann gleich wieder um wieviel weiß und blau in dem gemischten Melonenrot gut wären?
Ein gegenüber Fremden gänzlich stummes Mädchen antwortet schon in der ersten Stunde in kurzen Worten auf pragmatische Fragen, die ich ganz nebenbei im zeichnerischen Prozess stelle,
erklärt mir den Weg zur Toilette. So wissen wir beide, es geht!
Erstmal für den “Notfall”, später vielleicht für das Teilen von Gefühlen - wir können - sie kann kommunizieren... Den Mund auf ihrer Zechnung radiert sie noch einige Zeit immer wieder weg,
weil er nicht gelingen will.